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Mai/Juni 2012<br />
<strong>BusinessReport</strong><br />
Afrika, Naher Osten und Zentralasien<br />
Der Araberund<br />
Bauernstaat<br />
Wie Katar<br />
die Wüste urbar<br />
machen will<br />
Schweizer Konten<br />
WAS AUS DEN VERMÖGEN MUBARAKS UND BEN ALIS WIRD<br />
Notfälle aus Libyen<br />
DAS GESCHÄFT MIT DEN VERWUNDETEN<br />
Schlacht um Prepaid-Kunden<br />
MOBILFUNK-MARKT WESTAFRIKA<br />
ISSN 2193-0333 CHF 8,50 I USD 8,50 I GBP 5,20 I AED 32,00 I TRY 16,00 I KZT 1.400,00 I Euro 5,80<br />
IRAKS MINISTER<br />
FÜR GESUNDHEIT<br />
JAMEEL<br />
IM INTERVIEW<br />
»Herz-OP<br />
für<br />
40 Cent«
EDITORIAL<br />
Titelillustration: Lesprenger<br />
Sicherheit ist ein Dauerthema im Nahen Osten. Kaum ist die Revolution in<br />
Libyen etwas tiefer gerutscht auf der internationalen Agenda, hat auch schon<br />
Syrien den Spitzenplatz abonniert. Doch für die Staaten der Region hat Sicherheit<br />
noch ganz andere Dimensionen. Eine davon ist der Zugang zu Nahrungsmitteln,<br />
den nicht zuletzt Wüstenstaaten als keineswegs gesichert betrachten. Damit ihr<br />
Wohlstand trotzdem nicht auf Sand gebaut ist, scheuen sie keine Mühen, um diesen<br />
Mangel zu beheben. Welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gilt, erläutert<br />
der Leiter von Katars Nationalem Programm für Nahrungsmittelsicherheit im großen<br />
zenith-Interview (Seite 14).<br />
Dass für viele Libyer der eigentlich beendete Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei<br />
ist, überrascht kaum angesichts der Gewalt, von der die letzten Zuckungen des Gaddafi-Regimes<br />
begleitet waren. Am schwersten tragen diejenigen, die in den Kämpfen<br />
verletzt wurden. Doch vielen bereiten nicht nur körperliche Verletzungen Pein.<br />
Die Behandlung im Ausland, die ihnen eigentlich schnelle und professionelle medizinische<br />
Betreuung sichern sollte, endete für manche der Verletzten im organisatorischen<br />
Chaos. Wer daran wie viel verdient hat, ist schwer zu durchschauen. Ein<br />
zenith-Reporter hat eine Schneise in das Dickicht des Millionengeschäfts geschlagen<br />
(Seite 28).<br />
Auch in Tunesien sind die Folgen der Revolution noch nicht ausgestanden. Korruption<br />
und Günstlingswirtschaft des alten Regimes werden die Justiz noch eine<br />
ganze Weile beschäftigen – wenn die Regierung nicht vorher die Notbremse zieht.<br />
Denn mittlerweile werden Forderungen laut, einen Schlussstrich unter die noch laufenden<br />
Verfahren gegen viele Unternehmer zu ziehen, um eine wirtschaftliche Lähmung<br />
des Landes zu verhindern (Seite 20).<br />
Im Irak ist das alte Regime zwar schon länger Vergangenheit, aber der Wiederaufbau<br />
ist weiterhin eine Hauptaufgabe. Im Gesundheitswesen etwa sind die Folgen von<br />
Diktatur und Krieg noch unübersehbar. Im zenith-Interview skizziert Gesundheitsminister<br />
Majeed Hamad Amin Jameel, wie er das System neu aufbauen will (Seite 32).<br />
Die Energiewende ist nicht nur in Deutschland ein Streitthema. Auch Israel hat<br />
hochfliegende Pläne – und wird ihnen in der Realität nicht gerecht, findet unsere<br />
Kommentatorin (Seite 41). Wir erklären, warum es in Liberia trotz des erhofften Erdöl-Booms<br />
an allen Ecken und Enden an der Energieversorgung mangelt (Seite 44).<br />
Und wie die arabische Welt ganz ohne Megaprojekte erneuerbaren Energieträgern<br />
zum Durchbruch verhelfen könnte, zeigen wir künftig regelmäßig in unserer Kolumne<br />
»Almanach der Energien« auf – in der ersten Folge: Solarkocher, Wasserentsalzung<br />
mit Sonnenkraft und Selbstbau-Tageslichtsysteme (Seite 43).<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 03
INHALT<br />
IMPRESSUM<br />
Deutscher Levante Verlag GmbH<br />
Chausseestraße 11<br />
10115 Berlin<br />
Telefon: +49.30.3983.5188-0<br />
E-Mail: info@levante-verlag.de<br />
Online: www.zenithonline.de<br />
CHEFREDAKTEUR:<br />
Daniel Gerlach<br />
REDAKTIONSLEITUNG:<br />
Christoph Dreyer<br />
CHEF VOM DIENST:<br />
Marcus Mohr<br />
REDAKTION:<br />
Robert Chatterjee, Nils Metzger<br />
AUTOREN UND KORRESPONDENTEN:<br />
Sven Hirschler, Achmed A.W. Khammas,<br />
Mohamed Khodeir, Tafline Laylin,<br />
Simona Pfister, Frederik Richter,<br />
Romy Rösner, Sara Winter Sayilir,<br />
Björn Zimprich<br />
ILLUSTRATIONEN:<br />
Lesprenger<br />
LAYOUT:<br />
Lesprenger<br />
ARTDIREKTION:<br />
Lesprenger, Berlin<br />
DRUCK:<br />
GCC GmbH & Co. KG<br />
KONTAKT FÜR ANZEIGEN UND VERTRIEB:<br />
anzeigen@zenithonline.de<br />
GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE:<br />
Nr. 3 vom 1. Januar 2012<br />
COPYRIGHT:<br />
Deutscher Levante Verlag GmbH.<br />
Zitat nur mit Quellenangabe.<br />
Nachdruck nur mit Genehmigung.<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />
geben die Meinung der Autoren<br />
wieder, nicht aber unbedingt die<br />
der Redaktion.<br />
ISSN 2193-0333<br />
PROFIL<br />
06 Mister 20 Prozent<br />
Der Unternehmensberater Michael Liebreich bringt<br />
erneuerbare Energien an die Börse<br />
QUARTALSBERICHT<br />
08 Irakische Milch und teurer Zement<br />
Neuigkeiten zwischen Investitionschancen<br />
und geplatzten Träumen<br />
TITELTHEMA<br />
10 Ein Schock und ein Traum<br />
Warum die Golfstaaten um ihre Nahrungsmittel-<br />
Sicherheit bangen<br />
12 Eine Frage der Sichtweise<br />
Nahrungsmittelsicherheit und Landkauf<br />
14 »Eine Mondlandung für Wüstenstaaten«<br />
Ein Interview mit Fahad Al-Attiya,<br />
dem Leiter von Katars Nationalem Programm<br />
für Nahrungsmittelsicherheit<br />
GELD UND MACHT<br />
20 Wir sind jung und brauchen das Geld<br />
Die ehrgeizig begonnene Aufarbeitung der<br />
Korruption in Tunesien gerät ins Stocken<br />
24 Das Erbe der Sparfüchse<br />
Die Probleme der Schweiz der Rückführung<br />
der Vermögen Mubaraks und Ben Alis<br />
RECHT<br />
26 Konkurs darf kein Tabu sein<br />
Katars Insolvenzrecht muss den Praxistest<br />
noch bestehen<br />
GESUNDHEIT<br />
28 Der Preis des schlechten Gewissens<br />
Libysche Kriegsverletzte erlebten in Deutschland<br />
Chaos und undurchsichtige Geschäfte<br />
32 »2015 werden wir mehr ausgeben<br />
als Saudi-Arabien«<br />
Iraks Gesundheitsminister Madschid Hamad<br />
Amin Dschamil über seine Ressortpläne<br />
PLANEN UND BAUEN<br />
34 Der Dreh- und Angelpunkt<br />
Ein Alleskönner-Terminal<br />
für den Flughafen Abu Dhabi<br />
38 Eine Ölstadt soll sich neu erfinden<br />
Neubauten und Megaprojekte<br />
geben Baku ein neues Gesicht<br />
ENERGIE<br />
41 Im Tal von Elah<br />
Wie Israel seine führende Position bei den<br />
Erneuerbaren aufs Spiel setzt<br />
43 Ein Liter Licht<br />
Kolumne: Almanach der Energien<br />
44 Kautschukschnitzel für Vattenfall<br />
In Liberia kommt der Aufbau der Energie-<br />
Infrastruktur nur mühsam voran<br />
KONSUM<br />
46 Nicht ohne mein Nokia<br />
Afrikas boomende Mobilfunk-Märkte werden<br />
von heimischen Anbietern dominiert – noch<br />
LUXUS<br />
48 Ist das Kunst oder kann das weg<br />
Die Sharjah-Biennale ringt um einen Neuanfang<br />
50 DER SEKRETÄR<br />
Letzte Meldungen und wichtige Termine<br />
aus der Karawanserei<br />
Illustration: Kohn Pedersen Fox Associates<br />
04 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
PROFIL<br />
ERNEUERBARE ENERGIEN<br />
illustration: Hadinugroho<br />
Mister<br />
20 Prozent<br />
Der Unternehmensberater Michael Liebreich<br />
bringt Erneuerbare Energien an die Börse<br />
und versucht, einer Branche im Nahen Osten<br />
Konturen zu verleihen, die bisher fast nur in<br />
Planspielen existiert<br />
Von Robert Chatterjee<br />
»Am Anfang ignorieren sie<br />
Dich«, lautet der Titel eines<br />
kurzen Videoclips über den<br />
globalen Siegeszug regenerativer Energien.<br />
Michael Liebreich hat den Film im<br />
vergangenen Jahr produziert. Er ist eine<br />
Art Fazit, Anleitung – und auch ein wenig<br />
Ausdruck von Genugtuung. Denn<br />
heute werden Liebreich und seine 2004<br />
gegründete Beratungsfirma New Energy<br />
Finance nicht mehr ignoriert: Binnen weniger<br />
Jahre hat sich der 48-jährige US-<br />
Amerikaner zu einem der innovativsten<br />
und effektivsten Architekten nachhaltiger<br />
Energiestrategien entwickelt.<br />
Das ist keine Selbstverständlichkeit in<br />
einer momentan verunsicherten Branche,<br />
deren Potenzial viel gelobt und zuweilen<br />
eifrig gefördert wird, die aber auf Jungunternehmer<br />
trotzdem eine eher mittelmäßige<br />
Anziehungskraft ausübt. Auch<br />
Liebreich hatte nach seinem Abschluss an<br />
der Harvard Business School bei Accenture<br />
und McKinsey erst einmal eine Karriere<br />
im vergleichsweise sicheren Feld der<br />
Unternehmensberatungen gewählt. Doch<br />
dann scherte er aus und gründete ein Spezial-Beratungsunternehmen<br />
für die Erneuerbare-Energien-Branche.<br />
Bald wurde<br />
New Energy Finance so erfolgreich,<br />
dass der Finanzinformationskonzern<br />
Bloomberg sich 2009 zur Übernahme entschloss<br />
– und Liebreich als Chef der neuen<br />
Tochter auf seinem Posten beließ.<br />
Seitdem arbeitet der Manager daran,<br />
erneuerbare Energien in großem Maßstab<br />
ins Gespräch zu bringen – und setzt<br />
dabei auf einen regionalspezifischen An-<br />
06 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
PROFIL<br />
Foto: Vestas Wind Systems A/S<br />
Mit Windrädern auf Börsenkurs:<br />
Liebreich spielt mit den Großen, wie<br />
dem Marktführer für Windenergie,<br />
Vestas aus Dänemark.<br />
satz. Auf dem World Future Energy Summit<br />
in Abu Dhabi gründete er eine Regionalsektion<br />
des Clean Energy Business<br />
Council – den ersten Unternehmerverband<br />
der Saubere-Energien-Branche für<br />
den Nahen und Mittleren Osten. »Viele<br />
globale Unternehmen unterhalten nur Satellitenbüros<br />
für saubere Energien in der<br />
Region und warten lieber ab, bis sich der<br />
Markt ausreichend entwickelt hat, bevor<br />
sie mehr Mittel zur Verfügung zu stellen«,<br />
kritisierte er bei dieser Gelegenheit. »Die<br />
Industrie ist noch nicht überzeugt, dass<br />
sich die großen Erwartungen in der Region<br />
auch erfüllen werden.«<br />
Eine Woche zuvor waren New Energy<br />
Finance und die New Yorker Börse eine<br />
strategische Partnerschaft eingegangen.<br />
Im Kern geht es dabei um den Start dreier<br />
»Viele globale<br />
Unternehmen warten<br />
lieber ab, bis sich<br />
der Markt ausreichend<br />
entwickelt hat«<br />
regionaler Indizes für erneuerbare Energien;<br />
einer davon umfasst Europa, den<br />
Nahen Osten und Nordafrika.<br />
Ein Jahr später präsentierte Liebreich<br />
wiederum beim Energie-Gipfel in Abu<br />
Dhabi ein weiteres Großprojekt: das Konsortium<br />
für Digitale Energie (CoDE), das<br />
sich die internationale Durchsetzung intelligenter<br />
Stromnetze auf die Fahnen<br />
schrieb, um auf diese Weise den erneuerbaren<br />
Energien den Boden zu bereiten. Für<br />
die branchenübergreifende Initiative brachte<br />
er eine Reihe von Industrie-Schwergewichten<br />
zusammen, darunter Größen wie<br />
Philips, Intel und Vodafone. »Solange wir<br />
nicht die Art und Weise, wie wir in der<br />
Wirtschaft Energie übertragen und kontrollieren,<br />
komplett umkrempeln, wird es<br />
niemals möglich sein, bis 2020 einen Anteil<br />
von 20 Prozent Erneuerbarer Energien<br />
oder bis 2050 eine Kohlendioxid-Einsparung<br />
von 50 Prozent zu erreichen«, mahnte<br />
Liebreich bei dieser Gelegenheit. Diese<br />
Botschaft dürfte nicht zuletzt auf seine<br />
Gastgeber in der Golfregion zielen, die sich<br />
bezüglich der Nutzung erneuerbarer Energien<br />
zwar gerne ambitioniert zeigen, aber<br />
in der Praxis immer mehr konventionell<br />
erzeugte Energie verschlingen.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 07
QUARTALSBERICHT<br />
Illustration: Lesprenger<br />
Der Zögling<br />
Kuwaits neuer Zentralbankchef<br />
tritt in große Fußstapfen<br />
Mohammed Al-Hashel vereint<br />
gleich mehrere Superlative auf<br />
sich: jüngster Zentralbankchef<br />
der Golfregion, erster Amtsinhaber außerhalb<br />
des Königshauses und erste Neubesetzung<br />
des Postens seit 25 Jahren. Vor<br />
allem letzteres Attribut macht deutlich,<br />
welche Bürde auf den Schultern des 38-<br />
4,2 Mrd.<br />
Dollar Schadenersatz<br />
... verlangt der Mobilfunkanbieter Turkcell<br />
von seinem südafrikanischen Konkurrenten<br />
MTN. Das türkische Unternehmen wirft<br />
MTN vor, es habe seine iranische Mobilfunklizenz<br />
2005 durch Korruptionszahlungen<br />
an südafrikanische und iranische Beamte<br />
erhalten. MTN ist mit 49 Prozent an<br />
dem erfolgreichen Anbieter Irancell beteiligt.<br />
Die ursprüngliche Ausschreibung hatte<br />
Turkcell 2004 gewonnen, sich dann aber<br />
nach Reuters-Informationen mit der iranischen<br />
Seite über Detailfragen zerstritten –<br />
was Turkcell jedoch verneint. Nach Angaben<br />
eines Turkcell-Juristen soll MTN als<br />
Gegenleistung für eine Einigung mit dem<br />
Iran auch südafrikanische UN-Stimmen<br />
Jährigen lastet. Hashel muss die übergroßen<br />
Fußstapfen von Salem Abdul-Aziz Al-<br />
Sabah ausfüllen, der im Februar nach einem<br />
Vierteljahrhundert an der Spitze der<br />
kuwaitischen Zentralbank zurücktrat.. Damit<br />
protestierte der langjährige Amtsinhaber<br />
gegen eine freigiebige Ausgabenpolitik<br />
der Regierung. Diese drohe die<br />
Zentralbank an der Erfüllung ihrer gesetzlichen<br />
Aufgaben zu hindern, warnte<br />
er – ein kaum verhüllter Hinweis auf steigende<br />
Inflationsgefahren.<br />
Seit dem vergangenen Jahr hatte es<br />
wiederholt große Streiks im öffentlichen<br />
Dienst Kuwaits gegeben. Die Regierung<br />
beschloss daraufhin Gehaltssteigerungen<br />
von bis zu 25 Prozent – und spekuliert<br />
damit auf anhaltend hohe Ölpreise.<br />
Salem hatte sich einen Ruf als Reformer<br />
erarbeitet. Unter anderem galt er als treibende<br />
Kraft hinter der Entscheidung von<br />
2007, den kuwaitischen Dinar als erste Währung<br />
der Golfregion aus der Dollar-Bindung<br />
zu lösen. Der neue Spitzenmann Hashel<br />
gilt als Zögling des Zurückgetretenen,<br />
dessen Stellvertreter er drei Jahre lang war.<br />
Nun muss er zeigen, ob er die Stabilitätspolitik<br />
seines Mentors fortsetzen kann.<br />
und Waffenlieferungen versprochen haben.<br />
Die Nachrichtenagentur Bloomberg<br />
zitierte aus MTN-Dokumenten, die Hinweise<br />
auf mehrere Schmiergeldzahlungen<br />
in sechsstelliger Höhe gäben, sowie aus<br />
Vermerken, in denen von »rüstungsbezogenen<br />
Versprechen« die Rede sei. MTN-<br />
Chef Sifiso Dabengwa hat alle Anschuldigungen<br />
scharf zurückgewiesen.<br />
Vor Gericht zog Turkcell nun in den USA<br />
und unter Berufung auf ein Gesetz, das in<br />
bestimmten Fällen Schadenersatzklagen<br />
von Ausländern zulässt. Allerdings will das<br />
Oberste Gericht in Washington im Sommer<br />
anhand eines anderen Falls über die<br />
Frage entscheiden, inwieweit diese Regelung<br />
überhaupt auf Rechtsstreitigkeiten<br />
außerhalb des US-Territoriums anwendbar<br />
ist. Der Turkcell-Klage könnte das die juristische<br />
Grundlage entziehen.<br />
Glückliche<br />
Kühe in<br />
Nadschaf<br />
Irak will<br />
sich von Milchimporten<br />
unabhängig<br />
machen<br />
In der irakischen Provinz Nadschaf<br />
sollen bald Kühe weiden: Nach dem<br />
Willen der Landwirtschaftsbehörden<br />
könnten Rinderfarmen dort einen<br />
Großteil des irakischen Milch- und<br />
Joghurtbedarfs decken. Noch importiert<br />
Irak diese Produkte aus der Türkei,<br />
Iran und sogar aus dem kaum für<br />
saftige Almen bekannten Saudi-Arabien.<br />
Das ist teuer für die Iraker, da die<br />
Nachbarn geringe Milchüberschüsse<br />
erwirtschaften und nur exportieren,<br />
wenn sie dafür einen besseren Preis<br />
bekommen als auf dem heimischen<br />
Markt. »Der Boden in der Region Nadschaf<br />
ist hingegen fruchtbar, es wären<br />
drei Ernten pro Jahr für Viehfutter<br />
denkbar«, sagte ein deutscher Ingenieur,<br />
der den Behörden kürzlich einen<br />
Projektplan vorgelegt hat, im Gespräch<br />
mit zenith.<br />
Die Bewässerung sei über Brunnen<br />
möglich: Das Grundwasser sei ab 50<br />
Metern Tiefe nicht mehr versalzen und<br />
daher nutzbar. Deutsche Unternehmen<br />
könnten die Planung von Rinderfarmen<br />
übernehmen und die Technologie<br />
für Melk- und Abfüllanlagen<br />
übernehmen. »Man fängt hier bei null<br />
an, die Erwartungen der lokalen Partner<br />
und Behörden sind allerdings sehr<br />
hoch«, sagte der Ingenieur. Die Iraker<br />
planten, schon Ende 2013 die ersten<br />
Euter zu melken; die eigentliche<br />
Produktion könne aber frühestens in<br />
zweieinhalb Jahren beginnen.<br />
08 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
QUARTALSBERICHT<br />
Zementkrise<br />
in Mekka<br />
Nach Protesten gegen Preisanstieg<br />
greift die Regierung ein<br />
Steigende Rohstoffpreise verzögern<br />
zahlreiche Bauprojekte in Mekka<br />
und Umgebung. Nachdem besonders<br />
der Zementpreis kräftig anzog,<br />
protestierten Bauunternehmer gegen zunehmenden<br />
Kostendruck, für den sie auch<br />
illegale Preisabsprachen unter Großhändlern<br />
verantwortlich machen. Inzwischen<br />
versucht die saudi-arabische Regierung,<br />
den Markt mit Zwangsmaßnahmen zu beruhigen.<br />
Nach einem kurzfristigen Zement-Exportverbot<br />
legte das Handelsministerium<br />
Anfang April einen Fixpreis von<br />
240 Rial pro Tonne fest.<br />
Obwohl die landesweite Zementproduktion<br />
vergangenes Jahr um knapp 13 Prozent<br />
auf 48 Millionen Tonnen stieg, kommt<br />
es durch die umfangreichen Bauvorhaben<br />
an den Heiligen Stätten in Mekka zu lokalen<br />
Versorgungsengpässen. Für das laufende<br />
Jahr rechnet die Zementbranche mit einer<br />
weiteren Produktionssteigerung um bis<br />
zu 13 Prozent. 2011 verzeichneten die saudischen<br />
Hersteller erstmals seit der Weltfinanzkrise<br />
wieder Wachstum: Dem kuwaitischen<br />
Gulf Investment House zufolge erzielten<br />
sie im Durchschnitt ein Umsatzplus<br />
von 22,5 Prozent.<br />
22,5%<br />
Umsatzplus erzielten<br />
die saudischen Zementhersteller<br />
im vergangenen Jahr im Schnitt<br />
Ausgekreuzt nach einer Saison<br />
Abu Dhabis erster Luxusliner hätte der Beginn einer Erfolgsgeschichte<br />
werden sollen. Nun dampft er schnell wieder ab<br />
Abu Dhabis Ambitionen, sich als<br />
Zentrum des Kreuzfahrt-Tourismus<br />
zu etablieren, haben einen<br />
herben Dämpfer erhalten. Nur eine<br />
Saison, nachdem die italienische MSC<br />
Cruises als erster Veranstalter die Hauptstadt<br />
der Vereinigten Arabischen Emirate<br />
(VAE) zum Heimathafen eines Luxusliners<br />
erklärte, hat sie die mit hohen<br />
Erwartungen verbundene Kooperation<br />
fürs Erste schon wieder beendet. Anstatt<br />
wie geplant bald ein noch größeres Schiff<br />
in Abu Dhabi zu stationieren, schickt sie<br />
die dafür vorgesehene MSC »Opera« nun<br />
ins südafrikanische Durban.<br />
Die VAE hätten zwar großes Potenzial<br />
als Kreuzfahrt-Destination, erklärte das<br />
Unternehmen. »Aber für den langfristigen<br />
Erfolg des Kreuzfahrt-Tourismus in<br />
der Region des Golfkooperationsrats<br />
müssen neue Anlaufhäfen entwickelt und<br />
die Terminals nachgerüstet werden.«<br />
Auch müssten mehr Kunden aus der Region<br />
selbst gewonnen werden.<br />
Noch im Herbst war die Kooperation<br />
zwischen MSC Cruises und der Tourismusbehörde<br />
Abu Dhabis (ADTA) als<br />
Meilenstein für die Pläne des Emirats gefeiert<br />
worden, das Kreuzfahrtgeschäft zu<br />
einer Säule der strategisch wichtigen Reisebranche<br />
aufzubauen. Allein von der Stationierung<br />
des ersten Schiffs hatte sich<br />
ADTA Umsätze von 22 Millionen US-<br />
Dollar für die heimische Wirtschaft versprochen.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 09
TITELTHEMA<br />
Illustration: Lesprenger<br />
GOLFSTAATEN: NAHRUNGMITTELSICHERHEIT<br />
Ein Schock<br />
und ein Traum<br />
Die weitgehende Abhängigkeit von<br />
Nahrungsmittel-Importen ist eine Achillesferse<br />
der Öl- und Gasstaaten am Golf. Die weltweite<br />
Preiskrise von 2007/2008 hat das schmerzlich<br />
ins Bewusstsein gerufen und eine neue Runde<br />
von Gegenmaßnahmen ausgelöst<br />
Von Christoph Dreyer<br />
10 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
TITELTHEMA<br />
Als der Weltmarktpreis für Reis im Frühjahr<br />
2008 binnen zwei Wochen um die Hälfte<br />
emporschoss, war das nur der erste Höhepunkt<br />
einer seit Jahren schleichend eskalierenden<br />
Entwicklung. Seit dem Frühjahr 2007 war Mais um<br />
31 Prozent teurer geworden, Soja um 87 Prozent<br />
und Weizen um 130 Prozent. Weltweit kam es zu<br />
Panikkäufen, mancherorts wurde der Export beschränkt.<br />
In Ägypten gingen Tausende Arbeiter gegen<br />
gestiegene Brotpreise auf die Straße, im Jemen<br />
errichteten Demonstranten Straßensperren. Insgesamt<br />
soll der massive Preisanstieg für Grundnahrungsmittel<br />
in fast 40 Ländern zu Unruhen beigetragen<br />
haben.<br />
In den ölreichen, aber von Nahrungsmittelimporten<br />
abhängigen Golfstaaten löste die Krise von<br />
2007/2008 zwar keine Massendemonstrationen aus,<br />
aber dafür eine schockartige politische Erkenntnis:<br />
Wenn die Kapriolen der Weltmärkte zu so starken<br />
Preisausschlägen führen können, dass Lieferländer<br />
den Export von Grundnahrungsmitteln einschränken,<br />
wären bei künftigen Krisen im schlimmsten<br />
Fall auch die größten Erdöleinnahmen nutzlos,<br />
weil es schlicht keinen Reis oder Weizen mehr<br />
zu kaufen gäbe.<br />
Dass die Nahrungsmittelsicherheit eine Achillesferse<br />
ihres rasanten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums<br />
ist, ist den Regierungen der Golfstaaten<br />
schon länger bewusst. Saudi-Arabien etwa<br />
versuchte seit den 1970er-Jahren einige Zeit lang,<br />
im eigenen Land genug Nahrungsmittel für den eigenen<br />
Bedarf zu produzieren. Doch irgendwann<br />
wurde klar: Eine immer größere Bevölkerung lässt<br />
sich bei steigendem Lebensstandard und entsprechenden<br />
Essgewohnheiten (mehr Fleisch, weniger<br />
Getreide) nicht vom Agrarertrag eines Landes ernähren,<br />
dessen Wasserverbrauch längst die natürlichen<br />
Vorkommen übersteigt. Ähnliches gilt auch<br />
für die anderen Staaten des Golfkooperationsrats<br />
(GCC), von deren Landfläche nur 1,7 Prozent landwirtschaftlich<br />
nutzbar sind.<br />
Wohl auch deshalb gehören die Golfstaaten zur<br />
Speerspitze eines Trends, für den »Landnahme«<br />
noch eine der freundlicheren Bezeichnungen ist:<br />
Reiche Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und Kuwait,<br />
aber auch Südkorea und die Schweiz kaufen<br />
weltweit Ländereien, um auf fremdem Territorium<br />
1,7%<br />
der Fläche der<br />
GCC-Staaten sind<br />
landwirtschaftlich<br />
nutzbar<br />
Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf zu produzieren<br />
– und sich so für den Krisenfall vom Weltmarkt<br />
unabhängig zu machen. Kritiker sehen darin<br />
eine Art Neokolonialismus, der zulasten der Menschen<br />
in den betroffenen Ländern gehe und dort die<br />
Nahrungsmittelsicherheit gefährde. Von den Landkäufen<br />
sind allerdings nicht nur unterentwickelte<br />
Staaten etwa in Afrika und Asien betroffen, sondern<br />
auch reiche Länder wie Australien.<br />
Mittlerweile bemühen sich die Vereinten Nationen,<br />
die Landkäufe in geregelte Bahnen zu lenken.<br />
Mitte Mai sollen bei einem<br />
Sondertreffen der Welternährungsorganisation<br />
die »Freiwilligen<br />
Leitlinien zur verantwortungsvollen<br />
Verwaltung von Boden-<br />
und Landnutzungsrechten,<br />
Fischgründen und Wäldern« verabschiedet<br />
werden. Sie empfehlen<br />
den Staaten Schutzmaßnahmen<br />
wie etwa Obergrenzen für den Landverkauf<br />
und Genehmigungsverfahren für größere Geschäfte.<br />
Doch auch wenn die Landkäufe die meisten<br />
Schlagzeilen machen: Das Thema Nahrungsmittelsicherheit<br />
ist weit komplexer. So erwägt die Arabische<br />
Behörde für Agrarinvestitionen und -entwicklung,<br />
eine gemeinsame Getreidereserve für die<br />
GCC-Staaten aufzubauen. Besonders ehrgeizig geht<br />
der kleine Golfstaat Katar das Thema an. Er hat ein<br />
eigenes, direkt dem Emir unterstelltes Programm<br />
eingerichtet, um bis zum Jahr 2024 das strategische<br />
Ziel der Nahrungsmittelsicherheit zu verwirklichen.<br />
»Landnahme«<br />
ist eine der<br />
freundlicheren<br />
Bezeichnungen<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 11
TITELTHEMA<br />
NAHER OSTEN UND NORDAFRIKA: NAHRUNGSMITTELSICHERHEIT<br />
Eine Frage der<br />
Sichtweise<br />
Nahrungsmittelsicherheit ist auch eine Frage<br />
der Definition. Die arabischen Golfstaaten betrachten<br />
ihre eigene Versorgung als höchst prekär,<br />
weil ihre extremen klimatischen Bedingungen<br />
nur wenig Agrarproduktion ermöglichen<br />
und sie von Importen abhängig machen –<br />
Grund genug, sich durch den Kauf fruchtbarer<br />
Flächen im Ausland vor künftigen Krisen zu<br />
wappnen.<br />
Im bislang größten Deal dieser Art kaufte<br />
2009 ein Konzern aus den Vereinigten Arabischen<br />
Emiraten 1,5 Millionen Hektar im Sudan<br />
– eine Fläche fast so groß wie Schleswig-Holstein.<br />
Weltweit sind die VAE der viertgrößte<br />
Agrarland-Käufer nach Großbritannien, den<br />
USA und China.<br />
Von außen betrachtet, relativieren sich die<br />
Argumente für den Landerwerb: Wer über<br />
verlässliche Erdöl-Einnahmen oder andere<br />
Exporterlöse verfügt, braucht sich um den<br />
Zugang zu Lebensmitteln auf dem Weltmarkt<br />
kaum zu sorgen. Für die Menschen in ärmeren<br />
Ländern stellt sich die Frage ohnehin anders –<br />
für sie geht es oft um blanke Unterernährung.<br />
Die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas<br />
lassen sich nach dem Risiko ihrer »Nahrungsmittel-Unsicherheit«<br />
kategorisieren.<br />
Risiko von Nahrungsmittel-Unsicherheit 1) ...<br />
niedrig<br />
mittel<br />
ernsthaft<br />
alarmierend<br />
extrem alarmierend<br />
... und landwirtschaftlich nutzbare Fläche in<br />
Prozent der gesamten Landesfläche (2009)<br />
1) Berücksichtigt auf Makroebene, wie leicht es einer Volkswirtschaft<br />
fällt, Nahrungsmittelimporte durch Exporterlöse und Überweisungen<br />
im Ausland lebender Bürger zu finanzieren; sowie die Häufigkeit<br />
von Unterernährung bei Kindern als Indikator, inwieweit auf<br />
Mikroebene der Zugang zu Nahrungsmitteln gesichert ist.<br />
Quellen: International Food Policy Research Institute, Weltbank<br />
MAURETANIEN<br />
0,38<br />
MAROKKO<br />
18,05<br />
Agrarlandkäufe der GCC-Staaten 2)<br />
ALGERIEN<br />
3,15<br />
TUNESIEN<br />
17,42<br />
Anbaufläche 3) Bahrain Katar Kuwait Oman VAE Saudi- Deutschld.<br />
in ha<br />
Arabien<br />
heimische 4.000 6.000 7.000 59.000 255.000 1.214.000 11.909.600<br />
Ägypten - - - - 68.500 73.000<br />
Äthiopien - - - - - 140.000<br />
Algerien - - - - 31.000 -<br />
Argentinien - - - - - 212.300<br />
Ghana - 50.000 - - 10.000 -<br />
Indonesien - - - - 100.000 -<br />
Laos - - 200.000 - - -<br />
Marokko - - - - 700.000 -<br />
Mauretanien - - - - - 52.000<br />
Nigeria - - - - - 1.000<br />
Pakistan - - - 369.100 202.400<br />
Philippinen 10.000 100.000 20.000 10.000 - 50.000<br />
Rumänien - - - - 50.000 -<br />
Sambia - - - - - 5.000<br />
Senegal - - - - - 5.000<br />
Spanien - - - - 5.100 -<br />
Sudan - 100.000 - - 1.643.100 177.200<br />
Südsudan - - - - - 105.000<br />
Tansania - - - - 50.000 -<br />
nichtheimische<br />
gesamt 10.000 250.000 220.000 10.000 3.026.800 1.022.900 430.200<br />
Einwohner 1,2 Mio. 1,9 Mio. 2,7 Mio. 3,1 Mio. 5,3 Mio. 26,5 Mio. 81,3 Mio.<br />
2) seit 2006 abgeschlossene Verträge und laufende Projekte; Stand: Dezember 2011<br />
3) nur landwirtschaftliche Anbauflächen, keine Weideflächen<br />
Quellen: GRAIN, Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, CIA World Factbook<br />
12 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
TITELTHEMA<br />
TÜRKEI<br />
27,74<br />
LIBANON<br />
14,17<br />
SYRIEN<br />
25,43<br />
PALÄSTINENSISCHE<br />
AUTONOMIEGEBIETE<br />
16,61<br />
ISRAEL<br />
14,05<br />
IRAK<br />
10,36<br />
IRAN<br />
10,56<br />
JORDANIEN<br />
2,25<br />
KUWAIT<br />
0,62<br />
LIBYEN<br />
0,99<br />
ÄGYPTEN<br />
2,9<br />
SAUDI-ARABIEN<br />
1,49<br />
BAHRAIN<br />
1,32<br />
KATAR<br />
1,04<br />
VAE<br />
0,77<br />
OMAN<br />
0,32<br />
JEMEN<br />
2,22<br />
SUDAN<br />
8,48<br />
DJIBOUTI<br />
0,09<br />
DEUTSCHLAND<br />
34,26<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 13
TITELTHEMA<br />
KATAR: ERNÄHRUNG<br />
Illustration: Lesprenger<br />
»Eine Mondlandung<br />
für Wüstenstaaten«<br />
Katar will immun werden gegen globale<br />
Nahrungsmittelkrisen – der Wüste zum Trotz<br />
und auf umweltverträgliche Weise.<br />
Im zenith-Interview erläutert der Leiter des<br />
Nationalen Programms für Nahrungsmittelsicherheit,<br />
Fahad Al-Attiya, wie das Land<br />
dazu umgebaut werden muss und was er sich<br />
von ausländischen Investoren erhofft<br />
Interview: Christoph Dreyer<br />
zenith: Wie definiert Katar Nahrungsmittelsicherheit,<br />
und wie wollen Sie dieses Ziel erreichen<br />
Fahad Al-Attiya: Der Nationale Masterplan wird<br />
hoffentlich bis Ende 2014 fertiggestellt sein, und<br />
seine Umsetzung dürfte zehn Jahre in Anspruch<br />
nehmen. 2024 sollte das System also komplett funktionieren.<br />
Dann wird unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln<br />
hoffentlich durch drei Elemente gesichert<br />
sein: Oberste Priorität hat die Inlandsproduktion;<br />
an zweiter Stelle kommt der Handel und<br />
an dritter eine strategische Reserve.<br />
Mit Inlandsproduktion meinen wir, dass wir daran<br />
arbeiten sollten, die natürlichen Einschränkungen<br />
zu überwinden, denen die Nahrungsmittelerzeugung<br />
unter erschwerten Bedingungen wie Wasserknappheit<br />
und einem extremen Klima unterliegt.<br />
Das heißt nicht, dass Katar versuchen würde, autark<br />
zu werden und seine gesamten Nahrungsmittel selbst<br />
zu erzeugen. Aber wir wollen unsere Abhängigkeit<br />
von Importen in diesem Bereich so weit verringern,<br />
dass die Lage im Land ziemlich stabil bleibt, falls es<br />
zu einer globalen Krise kommen sollte.<br />
Und was bedeuten die anderen beiden<br />
Elemente des Masterplans praktisch<br />
Als zweites Element wollen wir in Katar einen Handelsplatz<br />
schaffen, auf dem Nahrungsmittel für größere<br />
Märkte umgeschlagen werden. Da wir ein kleines<br />
Land mit einer kleinen Bevölkerung sind, profitieren<br />
wir nicht von Skaleneffekten, sodass die<br />
Nahrungsmittelpreise hier extrem schwanken. Das<br />
belastet unsere Wirtschaft. Also lautet der Ansatz,<br />
dieses Problem durch Sicherungsgeschäfte zu lösen<br />
und indem wir Geschäftschancen für Unternehmen<br />
der Ernährungsindustrie und der Lebensmittellogistik<br />
schaffen, sodass diese Katar als bevorzugten<br />
Zugang zu ihren Märkten nutzen und auf<br />
diese Weise Volumen generieren. In der Folge soll-<br />
14 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
TITELTHEMA<br />
Fahad Bin Mohammed Al-Attiya<br />
leitet seit November 2008 Katars Nationales<br />
Programm für Nahrungsmittelsicherheit (QNFSP).<br />
Er besuchte die britische Militärakademie Sandhurst<br />
und studierte Jura, arbeitete später in der Rechtsabteilung<br />
der katarischen Streitkräfte. Seit 2007 ist<br />
er Rechtsberater im Büro von Thronfolger Scheich<br />
Tamim Bin Hamad Al-Thani. Unter Al-Attiyas<br />
Leitung soll das QNFSP bis Ende 2014 einen Masterplan<br />
für Nahrungsmittelsicherheit entwickeln.<br />
ten wir hoffentlich Größenordnungen erreichen,<br />
die es uns erlauben, Lebensmittel zu angemessenen<br />
Preisen zu kaufen.<br />
Das dritte Element ist eine strategische Nahrungsmittel-Reserve,<br />
also der Aufbau von Lagerbeständen<br />
für ein bis drei Jahre – je nachdem, was<br />
vernünftigerweise erreichbar ist. Das ist natürlich<br />
das letzte Mittel, auf das wir hoffentlich niemals<br />
zurückgreifen müssen.<br />
Was Sie nicht erwähnt haben, ist der Kauf von<br />
Agrarland in anderen Teilen der Welt, wie ihn<br />
einige andere Länder praktizieren. Warum nicht<br />
Der Grund ist Nahrungsmittel-Souveränität. Es ist<br />
kein Problem, Agrarland im Ausland zu kaufen. In<br />
Afrika, in Asien, in Südamerika gibt es riesige Landstriche,<br />
die überhaupt nicht erschlossen sind. Dieses<br />
Land zu bewirtschaften, ist im Grundsatz gut<br />
für die gesamte Welt. Aber es sichert nicht unbedingt<br />
die Versorgung des Investors. Denn wenn man sich<br />
auf den schlimmsten Fall einstellt, dann gehört dazu,<br />
dass dieser in allen Ländern eintritt. In der Vergangenheit<br />
haben viele Staaten in solchen Situationen<br />
den Export eingeschränkt. Warum sollten sie also<br />
in Zukunft nicht auch so handeln<br />
Ich sage das nicht, weil wir Angst hätten, dass<br />
irgendjemand Katar als solches ins Visier nimmt.<br />
Aber der Aufstieg der Mittelschicht in China und<br />
Indien, die Folgen der Erderwärmung für die<br />
Niederschlagsmengen, die Umwidmung von Agrarland<br />
für Biokraftstoff und so weiter – alle diese<br />
Faktoren werden eines Tages zusammenkommen<br />
und wieder eine Krise auslösen. Die Frage ist, wie<br />
man diese Krise entschärfen kann. In Agrarland im<br />
Ausland zu investieren ist gut, aber es führt nicht<br />
zu nationaler Sicherheit, weil dieses<br />
Ausland seine eigene Souveränität<br />
hat. Heißt das, man sollte<br />
nicht investieren Nein, verstehen<br />
Sie mich nicht falsch. Investieren<br />
Sie! Aber das entbindet nicht von<br />
der Verantwortung, sich zu bemühen,<br />
die Versorgung mit Nahrungsmitteln<br />
aus heimischen<br />
Quellen zu sichern – was Investitionen<br />
in Wissenschaft und Forschung<br />
bedeutet, die Anwendung<br />
der jeweils besten Verfahren, die<br />
Anpassung von Technologien. Das Ziel einer nationalen<br />
Landwirtschaft kann also zu Innovationen,<br />
Ideen und Lösungen führen, von denen nicht<br />
nur Katar profitieren könnte, sondern alle Wüstenstaaten.<br />
Dennoch wirkt die große Bedeutung der Inlandsproduktion<br />
in Ihrem Konzept überraschend,<br />
wenn man sich die klimatischen Bedingungen<br />
Katars vor Augen hält. Wenn das Ziel schon<br />
nicht Autarkie lautet, wie weit können Sie gehen<br />
Wer bin ich, eine willkürliche Zahl zu nennen<br />
Überlassen wir das den Wissenschaftlern, lassen<br />
wir die Landwirte zu ihrer Zahl kommen. Wenn<br />
wir bei 60 oder 70 Prozent landen – großartig!<br />
Wenn uns die Wissenschaft sagt, dass auch 80 Prozent<br />
erreichbar sind – perfekt! Oder wir kommen<br />
sogar noch weiter. Wir erlauben es der Wissenschaft,<br />
die Gegebenheiten ständig aufs Neue infra-<br />
»Agrarland im<br />
Ausland zu kaufen,<br />
sichert nicht<br />
unbedingt die<br />
Versorgung<br />
des Investors«<br />
>><br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 15
TITELTHEMA<br />
»Wir müssen<br />
letztlich Energie<br />
als Rohstoff für<br />
Wasser einsetzen«<br />
ge zu stellen, ohne dass wir eine willkürliche Zielmarke<br />
vorgeben. Aufgrund unserer ersten Schätzungen<br />
und Forschungsergebnisse kann ich mit<br />
Zuversicht sagen, dass dieses Land 60 Prozent der<br />
benötigten Nahrungsmittel im Inland herstellen<br />
kann – natürlich unter der Bedingung, dass nichts<br />
davon exportiert wird. Denn dann wird für die eigenen<br />
Bedürfnisse produziert und nicht für den<br />
Weltmarkt. Der Hunger der globalen Märkte ist<br />
unbegrenzt, sie würden das System sprengen.<br />
Wie sinnvoll ist es angesichts der dafür nötigen<br />
großen Menge an Ressourcen, eine einheimische<br />
Viehwirtschaft in Ihren Masterplan aufzunehmen<br />
Für uns sind Nutztiere wichtig, weil wir unsere Artenvielfalt<br />
schützen müssen und der Import von<br />
Vieh die Artenvielfalt dieses Landes bedroht. Zudem<br />
wurde entschieden, dass wir unsere Eiweißquellen<br />
im Inland herstellen müssen. Aber wir können Futter<br />
im Ausland zukaufen. Man kann sogar große<br />
Mengen Futtermittel für lange Zeit lagern und den<br />
Rest durch inländische Produktion decken. Man<br />
muss aber auch überlegen, wie man die Fischerei<br />
stärkt, weil sie eine sehr gute Proteinquelle ist.<br />
Warum ist die Energieerzeugung<br />
ein integraler Teil der Strategie für<br />
die Nahrungsmittelsicherheit<br />
Im Westen braucht man keine Energie, um an Wasser<br />
zu kommen. Man hat die Energie also für alles<br />
übrige zur Verfügung – für Industrialisierung,<br />
Wachstum und andere Dinge.<br />
60%<br />
seiner Nahrungsmittel<br />
könnte Katar laut Al-Attiya<br />
selbst produzieren<br />
Aber in unseren Volkswirtschaften<br />
müssen wir letztlich Energie als<br />
Rohstoff für Wasser einsetzen. Das<br />
ist etwas historisch wirklich Neues,<br />
denn Städte sind seit Anbeginn<br />
der Menschheit immer am Wasser<br />
entstanden. Es ist also ein Novum,<br />
dass sich die Länder des<br />
Golf-Kooperationsrates (GCC) an der trockensten<br />
Stelle der Erde entwickeln. Die Frage ist: Wie kann<br />
der GCC bestehen und den Reichtum bewahren,<br />
den wir geschaffen haben Das Programm zur Nahrungsmittelsicherheit<br />
wird darauf bis 2024 hoffentlich<br />
eine Antwort geben: durch Meerwasser-<br />
Entsalzung mittels Solarenergie; indem wir das<br />
Wasser über spezielle Verteilungsnetze an die Landwirte<br />
verteilen; indem wir altertümliche Landwirtschaftsmethoden<br />
durch wassersparende Technologien<br />
des 21. Jahrhunderts ablösen; indem wir<br />
unsere nationalen Reichtümer wie Grundwasserschichten<br />
und Wasserspeicher schützen und zu strategischen<br />
Reserven machen, weil wir sie nicht mehr<br />
ausbeuten müssen, wenn wir erst einmal mithilfe<br />
der Solarenergie Meerwasser entsalzen.<br />
Wie groß wird die Rolle von Solarenergie<br />
und anderen erneuerbaren Energien sein<br />
Wir werden 1.800 Megawatt Solarstrom erzeugen<br />
und damit eine Entsalzungsanlage mit einer Kapazität<br />
von 3,5 Millionen Kubikmetern pro Tag betreiben.<br />
Das gesamte Wasser, das wir für landwirtschaftliche<br />
Zwecke benötigen, wird also hoffentlich<br />
mit erneuerbaren Energiequellen gewonnen.<br />
Wenn das gelingt, ist es ein riesiger Durchbruch –<br />
von ähnlicher Bedeutung, wie einen Menschen auf<br />
den Mond zu schicken. Das wird riesige Wellen<br />
schlagen. Wir werden mutmaßlich der erste Wüstenstaat<br />
der Welt sein, der mit erneuerbaren Energiequellen<br />
einen gewissen Grad an Nahrungsmittelsicherheit<br />
erreicht. Das Modell könnte also in<br />
andere Länder exportierbar sein, die ähnliche Gegebenheiten<br />
wie wir haben. Weltweit leben etwa<br />
zwei Milliarden Menschen in Wüstengegenden. Das<br />
Problem, ihre Ernährung zu sichern, wird also größer<br />
werden, und wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen<br />
und Lösungsansätze mit anderen Ländern<br />
zu teilen.<br />
16 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
TITELTHEMA<br />
Wie viele der Technologien, die für die<br />
Verwirklichung des Masterplans nötig sind,<br />
müssen erst noch entwickelt werden<br />
Sehr wenige. Die meisten Technologien, von denen<br />
wir sprechen, gibt es schon. Sie müssen nur noch<br />
an unsere Gegebenheiten angepasst werden, und<br />
das ist, soweit wir es überblicken, nicht sehr kompliziert.<br />
Zum Beispiel werden Solaranlagen schon<br />
jetzt in vielen Wüsten verwendet, sodass bereits an<br />
Lösungen für die Effizienzverluste durch Staub und<br />
andere Probleme gearbeitet wird. Auch andere Systeme<br />
sind sehr gut für unsere klimatischen Bedingungen<br />
geeignet.<br />
Forschung wird nach meiner Einschätzung vor<br />
allem im Bereich der Landwirtschaft eine Rolle spielen,<br />
etwa was die Entwicklung von Saatgut angeht,<br />
Ertragssteigerungen, die Entwicklung von Nutzpflanzen,<br />
die mit weniger Wasser auskommen, hitzeunempfindlich<br />
sind und so weiter. Und wenn es<br />
in diesem Bereich größere Durchbrüche gibt, sind<br />
die auch für alle anderen Wüstenstaaten anwendbar.<br />
Wann und wie werden Sie entscheiden,<br />
welche Technologien Sie im Einzelnen einsetzen,<br />
zum Beispiel für Ihre Solaranlagen<br />
Das überlassen wir den Entwicklern. Denn der<br />
Schwerpunkt beim Aufbau des Programms zur<br />
Nahrungsmittelsicherheit liegt<br />
stark beim privaten Sektor. Die<br />
Regierung wird nur für die Rahmenbedingungen<br />
und Anschubinvestitionen<br />
sorgen, seien es die<br />
Entwicklung des Rahmenplans,<br />
der Aufbau von Bildungs- und<br />
Forschungseinrichtungen, Garantien<br />
oder Absicherungen oder Gewährleistungen<br />
oder sogar Finanzierungsmöglichkeiten und<br />
auch technologische Unterstützung. Aber was wir<br />
erreichen wollen, ist, dass der Privatsektor das ganze<br />
System bereitstellt und der öffentliche Sektor<br />
dies nur ermöglicht und natürlich reguliert.<br />
Welche Rolle wird ausländischen Investoren<br />
dabei zukommen<br />
Für sie wird es eine Vielzahl von Möglichkeiten geben,<br />
besonders was die Technologien angeht. Wir<br />
versuchen, Anreize für Direktinvestitionen ausländischer<br />
Firmen in diese Sektoren zu schaffen – die<br />
Energiebranche, die Wasserbranche. Aber wir bemühen<br />
uns auch, sie zu Industrieinvestitionen im<br />
Technologiebereich zu bewegen, besonders im Zusammenhang<br />
mit erneuerbaren Energien, Wasser,<br />
Landwirtschaft und Nahrungsmitteln. Deutsche,<br />
europäische und andere Firmen werden wir also<br />
»Nicht nur Katar<br />
kann profitieren,<br />
sondern alle<br />
Wüstenstaaten«<br />
>><br />
Ursachen der Nahrungsmittelkrise 2007/2008<br />
Im Zuge der weltweiten Nahrungsmittelkrise von<br />
2007/2008 verteuerte sich Reis von 350 auf fast<br />
1.000 Dollar pro Tonne. Auch die Preise für andere<br />
Grundnahrungsmittel zogen sprunghaft an. Ähnliche<br />
Steigerungen gab es auch im Frühjahr 2011,<br />
als Weizen 60 Prozent und Mais 93 Prozent teurer<br />
gehandelt wurden als ein Jahr zuvor.<br />
Über die Gründe solcher extremen Schwankungen<br />
ist seitdem viel spekuliert worden. Für die Krise<br />
von 2007/2008 identifizierte das »Internationale<br />
Institut für Nahrungsmittelforschung« in Washington<br />
in einer Studie unter anderem folgende<br />
Ursachen:<br />
Hohe Energiepreise, durch die Biokraftstoffe<br />
wettbewerbsfähiger wurden und die Nachfrage<br />
nach ihnen wuchs<br />
Preiserhöhungen für Mais und Sojabohnen<br />
durch eine gestiegene Nachfrage nach Biokraftstoffen<br />
Wechselkursschwankungen<br />
Exportbeschränkungen und Panikkäufe vor<br />
allem für Reis<br />
Schlechtes Wetter<br />
Keine Rolle spielte der Studie zufolge dagegen die<br />
steigende Nachfrage Indiens und Chinas nach Nahrungsmitteln.<br />
>><br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 17
TITELTHEMA<br />
»Wer ab 2014<br />
dabei sein und<br />
etwas aufbauen<br />
will, muss jetzt<br />
herkommen«<br />
mit Sicherheit ermutigen, Katar<br />
als ihr industrielles Zentrum für<br />
solche Technologien in Betracht<br />
zu ziehen. Viele dieser Technologien<br />
werden hier sicherlich Vergünstigungen<br />
erhalten, wenn sie<br />
in Katar produziert werden, und<br />
wir werden ihre Verbreitung auch<br />
außerhalb Katars unterstützen, da<br />
wir auf diese Weise eine einheimische industrielle<br />
Basis stärken. Somit können Unternehmen in<br />
Deutschland von diesen Anreizen profitieren.<br />
Häufig braucht man in dieser Weltgegend einen<br />
einheimischen Partner, dem dann 51 Prozent des<br />
Unternehmens gehören, das man hier aufbaut. Wird<br />
das auch für diese Art von Investitionen gelten<br />
Ich glaube nicht, dass diese Frage innerhalb der<br />
nächsten paar Monate behandelt wird. Denn man<br />
könnte eine Art Freihandelszone schaffen oder die<br />
Möglichkeit, dass Unternehmen zu 100 Prozent in<br />
ausländischer Hand liegen, wenn ihre Branchen<br />
vom Staat als strategisch eingestuft werden und<br />
entwickelt werden müssen. Wir haben bereits Ausnahmeregelungen<br />
in vier Bereichen: Gesundheit,<br />
Bildung, Industrie und Tourismus. Man kann also<br />
als Ausländer Industriebetriebe in Katar zu 100<br />
Prozent besitzen, ohne einheimischen Partner. Deswegen<br />
würde ich sagen, dass auch keine einheimischen<br />
Partner für diese Hightech-Branchen nötig<br />
sein werden.<br />
Wann sollten ausländische Investoren beginnen,<br />
Ausschau nach Geschäftschancen im Zusammenhang<br />
mit Ihrem Programm zu halten<br />
Darum, auf den Markt zu gehen und mit der Umsetzung<br />
zu beginnen, wird es ab 2014 gehen. Aber<br />
damit jemand ab 2014 dabei sein und etwas aufbauen<br />
kann, muss er jetzt herkommen und etwas<br />
über den Markt lernen.<br />
Manche ihrer Ziele erfordern nicht nur<br />
technische Lösungen, sondern auch eine informierte<br />
Bevölkerung, die sich beteiligt und in ihrem<br />
täglichen Leben zur Umsetzung beiträgt. Was<br />
haben Sie in dieser Hinsicht vor, auch im Hinblick<br />
auf den großen und stark fluktuierenden<br />
Ausländeranteil<br />
Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Bevölkerung<br />
an Bord zu bekommen, und an erster Stelle stehen<br />
dabei Maßnahmen auf freiwilliger Basis. Wir<br />
wollen eine Bevölkerung, die informiert ist und<br />
die Risiken versteht, mit denen das Land lebt. Dabei<br />
geht es nicht darum, Angst oder Verunsicherung<br />
zu schüren, sondern die Menschen dazu zu<br />
bewegen, verantwortungsvoller mit sehr knappen<br />
Ressourcen umzugehen. Das kann geschehen, indem<br />
man Jugendlichen und Kindern diese Werte<br />
im Schulalter vermittelt und auch ihre Eltern<br />
mit einbezieht.<br />
Wie sieht es mit Maßnahmen aus,<br />
die nicht auf Freiwilligkeit beruhen<br />
Dabei geht es in erster Linie um die Regulierung von<br />
bestimmtem Abfall und um Steuern. Wir werden dem<br />
folgen, was einige Industriestaaten in der Frage der Abfallbeseitigung<br />
und -besteuerung unternommen haben.<br />
Man belegt ja nicht gerade Lebensmittel oder<br />
das, was die Menschen konsumieren, mit Steuern<br />
oder Abgaben. Sondern man konzentriert sich auf<br />
den Abfall und sagt, wenn jemand übermäßig viel<br />
Müll produziert, muss er dafür Verantwortung übernehmen<br />
und vielleicht etwas mehr bezahlen. Dazu<br />
denken wir über Maßnahmen nach, die Verbraucher<br />
mit übermäßigem Abfall mit Sicherheit dazu bewegen<br />
werden, daran etwas zu ändern.<br />
Wenn man sich die heutige Situation<br />
in Katar ansieht, zum Beispiel was Energieverschwendung<br />
oder die überragende Rolle<br />
von Autos angeht: Wie lang wird der Weg noch<br />
sein, um die Menschen so weit zu bekommen<br />
Die Autofahrer können nicht für die Planung einer<br />
Stadt verantwortlich gemacht werden, die sie zwingt,<br />
Autos zu benutzen. Was kann ein Einzelner denn<br />
tun Soll er nicht zur Arbeit gehen, weil er Energie<br />
sparen will Soll er seinen Sohn nicht zur Schule<br />
bringen Soll er nicht zum Supermarkt fahren, weil<br />
er dabei schon wieder Energie verbrennt, um seine<br />
täglichen Bedürfnisse zu decken Die Stadt ist für<br />
Autos gebaut.<br />
Deshalb bin ich dafür, unsere Städte so umzubauen,<br />
dass der Einsatz von Autos gedrosselt wird<br />
und natürlich auch die Energie, die für die täglichen<br />
Wege verbraucht wird, was im Prinzip die<br />
Energieverschwendung verringern wird. Zudem<br />
18 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
TITELTHEMA<br />
wird es positive Auswirkungen auf die Gesundheit,<br />
auf die soziale und wirtschaftliche Situation des<br />
Einzelnen haben. Vieles von dem verschwenderischen<br />
Verhalten liegt also nicht in der Entscheidung<br />
Einzelner, sondern außerhalb ihres Willens.<br />
Wie viel Geld steht Ihnen für diesen<br />
riesigen Umbau zur Verfügung<br />
Es wird ein substanzieller Betrag sein. Sobald wir<br />
wissen, wie das gesamte System aussieht, werden wir<br />
die Kosten für die Umsetzung abschätzen können.<br />
Aber die werden mit Sicherheit zwischen dem Privatsektor<br />
und dem Staat aufgeteilt.<br />
Könnte Ihr Ehrgeiz, die Versorgung<br />
mit Nahrungsmitteln zu sichern, die Landwirtschaft<br />
aufzubauen und dabei auch noch<br />
umweltverträglich vorzugehen,<br />
dem Bevölkerungswachstum Katars<br />
irgendwann eine Grenze setzen<br />
Für die Nahrungsmittelsicherheit muss in jedem<br />
Land das Bevölkerungswachstum berücksichtigt<br />
werden. Denn was ich für eine Million Menschen<br />
sicherstellen kann, ist womöglich nicht ausreichend<br />
für zwei Millionen oder für drei oder fünf. Bei unserem<br />
Programm haben wir einkalkuliert, dass die<br />
Bevölkerung doppelt so groß sein wird wie heute.<br />
Wenn sie stärker wächst, müssen wir sehen, wie das<br />
System das bewältigt, ob es weiter verbessert werden<br />
muss und ob Wissenschaft und Technik uns dafür<br />
hoffentlich die Antworten liefern können. Das<br />
sind Fragen, die offenbleiben werden, aber sie werden<br />
natürlich sorgfältig beobachtet, und von Zeit<br />
zu Zeit muss man sie von Neuem stellen.<br />
<strong>BusinessReport</strong><br />
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GELD UND MACHT<br />
TUNESIEN: KORRUPTIONSBEKÄMPFUNG<br />
Wir sind jung und<br />
brauchen das Geld!<br />
Foto: Frederik Richter<br />
Die nach der Revolution ehrgeizig begonnene Aufarbeitung<br />
der Korruption gerät ins Stocken. Die schwebenden Verfahren<br />
gegen wichtige Geschäftsleute verunsichern Investoren.<br />
Die Regierung betrachtet inzwischen die Wiederbelebung<br />
der Wirtschaft als vorrangig<br />
Von Frederik Richter<br />
Blau strahlt das Mittelmeer. Sanft<br />
fallen die Hügel zur Bucht von Tunis<br />
ab, grüne Pinien säumen die<br />
Küste. Der Minister aus dem letzten Kabinett<br />
des gestürzten Machthabers hat die<br />
Terrasse eines Luxushotels in der antiken<br />
Hauptstadt Karthago ausgesucht, um aus<br />
der Zeit unter dem Regime zu erzählen.<br />
Von dem Ministerkollegen etwa, der eines<br />
Tages eine Mitteilung aus dem nahen<br />
Präsidentenpalast erhielt, unterschrieben<br />
von Zine el-Abidine Ben Ali persönlich:<br />
Der Bildungsminister möge bitte eine bestimmte<br />
Studentin in die Universität einschreiben.<br />
»Selbst um so etwas hat sich Ben Ali<br />
gekümmert. Wir haben Regeln für die Einschreibung<br />
von Studenten, sind von der<br />
Unesco für unser System ausgezeichnet<br />
worden«, sagt der Minister, der nicht namentlich<br />
genannt werden will. »Doch Ben<br />
Ali hat das alles umgangen.«<br />
Ein paar Kilometer weiter nördlich sieht<br />
es selbst an der Küste so ärmlich aus wie<br />
im Landesinneren mit seiner hohen Arbeitslosigkeit,<br />
wo der Arabische Frühling<br />
Ende 2010 begann. Vor kleinen Läden mit<br />
Lebensmitteln oder Baumaterial warten<br />
die Händler auf Kunden. Die Wirtschaft<br />
ist kleinteilig, auf das Dorf beschränkt.<br />
Häuser stehen zum Verkauf, bevor sie fertig<br />
gebaut sind.<br />
»Wir sollten<br />
nicht auf jegliche<br />
good governance<br />
verzichten«<br />
Hier, in dem 10.000-Einwohner-Nest Raoued,<br />
sollte Tunesien zum Finanzzentrum<br />
Nordafrikas gemacht werden. Auf mehreren<br />
Hundert Hektar Land direkt am<br />
Meer wollte die bahrainische Investmentbank<br />
Gulf Finance House (GFH) ein Bankenzentrum<br />
bauen, das aus Tunesien die<br />
bevorzugte Adresse in der Region für ausländische<br />
Finanzunternehmen machen<br />
sollte. GFH versprach, Investitionen in<br />
Höhe von drei Milliarden Dollar für das<br />
Projekt anzulocken.<br />
Noch heute weiden Schafe auf dem Gelände,<br />
der Wind treibt leere Plastiktüten<br />
über die Pfützen aufs Meer zu. Hat die<br />
Regierung das Land zurückgefordert Wie<br />
viel Geld hat sie überhaupt für das Land<br />
bekommen Hatte GFH lokale Partner mit<br />
Verbindungen zum Regime an Bord Warum<br />
wurde das Projekt nie gebaut Wer in<br />
Tunis Spitzenbeamte aus der heutigen und<br />
der früheren Regierung befragt, erhält darauf<br />
keine Antworten. Sie beteuern immer<br />
noch, das Projekt werde gebaut. Dabei<br />
liegt GFH längst am Boden, zermalmt vom<br />
Immobiliencrash am Golf und den intransparenten<br />
Geschäften, die die Finanzfirma<br />
mit Regierungen in fast einem<br />
Dutzend Ländern betrieben hat.<br />
Nach der Revolution arbeitete Tunesien<br />
die Günstlingswirtschaft und Kor-<br />
20 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
GELD UND MACHT<br />
»Aus Sicht der Investoren<br />
sind zu viele Fragen ungeklärt«<br />
Gut 400 Geschäftsleute stehen unter<br />
Reiseverbot. »Das ist ein Handicap«, sagt<br />
Tunesiens Finanzminister Houcine Dimassi.<br />
ruption unter Ben Ali zunächst intensiv<br />
auf. Ein Antikorruptionsministerium wurde<br />
eingerichtet, eine Kommission veröffentlichte<br />
einen Bericht zur Korruption<br />
in allen Bereichen der Wirtschaft. Doch bei<br />
dem Projekt in Raoued ist die Aufarbeitung<br />
noch nicht ankommen, und vielleicht<br />
wird sie das auch niemals tun.<br />
Die Schlagzeilen zur Korruptionsbekämpfung<br />
gelten den in Frankreich und<br />
der Schweiz beschlagnahmten Häusern<br />
und Bankkonten, auf denen Ben Ali seine<br />
Reichtümer geparkt haben soll. Die<br />
neue Regierung bemüht sich intensiv darum,<br />
die im Ausland vermuteten Milliarden<br />
Euro nach Hause zu holen. Die tunesische<br />
Zentralbank hat den Schweizer Anwalt<br />
Enrico Monfrini, der schon die<br />
beiseitegeschafften Gelder des nigerianischen<br />
Diktators Sani Abacha wieder auftrieb,<br />
mit der Jagd nach dem Geld beauftragt.<br />
In Frankreich hat Transparency<br />
International gegen den Widerstand einer<br />
politisch gesteuerten Staatsanwaltschaft<br />
die Beschlagnahme von Vermögenswerten<br />
erwirkt.<br />
Auch in Tunesien hat die Regierung<br />
Unternehmensanteile beschlagnahmt.<br />
Doch deren ungeklärter rechtlicher Status<br />
belastet zunehmend die ohnehin schwächelnde<br />
Wirtschaft. Wie kaum ein anderer<br />
arabischer Autokrat hat Ben Ali zusammen<br />
mit der Familie seiner Frau Leila<br />
Trabelsi über erzwungene Beteiligungen<br />
die tunesische Wirtschaft kontrolliert.<br />
»Habt Ihr einen Kontakt im Präsidentenpalast«<br />
war die erste Frage, die tunesische<br />
Unternehmer von potenziellen ausländischen<br />
Geschäftspartnern gestellt bekamen.<br />
Über im Palast angesiedelte<br />
Gremien wie die »Höhere Kommission<br />
für Großprojekte« oder die »Höhere Kommission<br />
für öffentliche Aufträge« konnte<br />
Ben Ali an der Ministerialbürokratie vorbei<br />
direkt auf Verträge und Projekte zugreifen.<br />
Mehr als hundert Menschen aus<br />
dem Dunstkreis des alten Regimes sind<br />
inzwischen wegen Korruption verurteilt<br />
worden.<br />
Weitere gut 400 Beschuldigte stehen<br />
unter Reiseverbot; ihre Vermögen und<br />
Unternehmensanteile sind eingefroren.<br />
Ihre ausländischen Geschäftspartner sind<br />
verunsichert. »Das ist ein wirtschaftliches<br />
Handicap, denn unter ihnen sind die<br />
wichtigsten Geschäftsleute des Landes«,<br />
sagt Finanzminister Houcine Dimassi.<br />
Die Regierung sieht als ihre wesentlichen<br />
Aufgaben inzwischen die Bekämpfung<br />
der Arbeitslosigkeit und die Wiederbelebung<br />
der Wirtschaft an, die 2011 um<br />
1,8 Prozent geschrumpft ist. Denn die<br />
ständigen Proteste jugendlicher Arbeitsloser<br />
belasten den politischen Neubeginn.<br />
»Ich denke, es ist Zeit, sich zu entscheiden«,<br />
argumentiert Dimassi deshalb mit<br />
Blick auf die noch laufenden Verfahren<br />
gegen Korruptionsverdächtige. »Entweder<br />
man verurteilt sie anhand von Beweisen,<br />
oder man einigt sich gütlich, indem<br />
sie zum Beispiel etwas in den Haushalt<br />
einzahlen – der kann das gebrauchen.«<br />
Die Regierung verwaltet treuhänderisch<br />
die eingefrorenen Unternehmensanteile,<br />
darunter die Mehrheit am Telekomanbieter<br />
Orange Tunisie sowie komplette Banken.<br />
Der Verkauf allein der Anteile, deren<br />
Beschlagnahme juristisch schon abgeschlossen<br />
ist, könnte der Staatskasse laut<br />
Dimassi ein bis zwei Milliarden Euro einbringen.<br />
Doch in der von Ben Ali kultivierten<br />
Günstlingswirtschaft sind viele<br />
Fälle verworren: Wo endet die legitime<br />
Geschäftsbeziehung, und wo beginnt das<br />
Profitieren von der Nähe zum Präsidentenpalast<br />
Auch Dimassi räumt ein, dass die juristische<br />
Differenzierung dauern wird. Doch<br />
der politische Umbruch hat keine Zeit. In<br />
den ärmlichen Regionen in der Landesmitte<br />
protestieren arbeitslose Jugendliche<br />
>><br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 21
GELD UND MACHT<br />
immer noch fast täglich. Vor allem im sogenannten<br />
Minenbecken um Gafsa blockieren<br />
sie oft Straßen und Eisenbahnstrecken,<br />
auf denen die wichtige Phosphat-<br />
und Chemieindustrie ihre Produkte<br />
zur Küste transportiert. In diesen strukturschwachen<br />
Regionen ist die Hälfte aller<br />
Jugendlichen arbeitslos. Durch den<br />
Einbruch des Tourismus im vergangenen<br />
Jahr – aus Deutschland etwa kamen 40<br />
Prozent weniger Touristen – sind auch die<br />
besser entwickelten Küstenregionen von<br />
der Wirtschaftskrise betroffen.<br />
»Man schafft mehr Wachstum<br />
im Land, wenn man die Korruption<br />
bekämpft«<br />
Neben neuen Touristen braucht das Land<br />
Investoren, doch aus deren Sicht sind zu<br />
viele Fragen ungeklärt. »Es besteht noch<br />
ganz viel Unsicherheit, politisch und in<br />
sozialer Hinsicht«, sagt Slim Feriani, der<br />
tunesische Chef des rund 750 Millionen<br />
Euro schweren Vermögensverwalters Advance<br />
Emerging Capital. Der Fonds hat<br />
seine Investitionen in Tunesien während<br />
der Revolution von fünf auf ein Prozent<br />
seines Portfolios in der Region reduziert<br />
und will erst einmal weiter abwarten.<br />
»Es gibt eine große Auseinandersetzung<br />
über die zukünftige Richtung des Landes«,<br />
sagt Feriani. »Die oberste Priorität<br />
sollte es jetzt sein, endlich schnell und<br />
pragmatisch die Verfassung abzuhaken<br />
und sich nicht in ideologischen Fragen zu<br />
verlieren.« Vor allem die Vorstellungen der<br />
islamistischen Ennahda-Partei – der derzeit<br />
stärksten politischen Kraft im Land –<br />
von einer Islamisierung seien wenig verheißungsvoll<br />
und könnten speziell den<br />
Tourismus treffen, an dem fast die Hälfte<br />
aller Arbeitsplätze in Tunesien hängt.<br />
Doch viele Tunesier wollen trotz der<br />
wirtschaftlichen Probleme nicht einfach<br />
zur Tagesordnung übergehen. Auf Facebook<br />
attackieren Aktivisten den Gouverneur<br />
der Zentralbank, der noch aus der<br />
Ben-Ali-Ära stamme und deswegen nicht<br />
gegen die Financiers des alten Regimes<br />
vorgehe.<br />
»Es hat sich nichts verändert«, sagt<br />
auch Sofiane Reguigui von der tunesischen<br />
Vereinigung für Transparenz im<br />
Energie- und Minensektor. »Wegen der<br />
Pressefreiheit diskutieren wir jetzt ständig<br />
über Korruptionsfälle, aber viele Geschäftsleute<br />
aus der Ben-Ali-Ära sind<br />
noch da.« Reguigui fürchtet, die Islamisten<br />
wollten die Aufarbeitung der Korruption<br />
abkürzen, um es sich nicht mit<br />
der nach wie vor mächtigen Wirtschaftselite<br />
des Landes zu verscherzen.<br />
Ebenso wie vielen anderen Tunesiern<br />
bereitet es ihm Unbehagen, dass nach<br />
der Revolution zwar das Geld aus anderen<br />
Quellen kommt, aber die Intransparenz<br />
die gleiche geblieben ist. So verweist<br />
Reguigui darauf, dass die Regierung ein<br />
zwei Milliarden Dollar teures Raffinerieprojekt<br />
ohne Ausschreibung an eine<br />
Staatsfirma aus Katar vergeben wolle.<br />
Der reiche Golfstaat hat im Arabischen<br />
Frühling auf die Aufstandsbewegungen<br />
in der Region gesetzt und pumpt jetzt<br />
über mehrere Projekte Geld ins Land,<br />
um seine neu erworbene Stellung als Regionalmacht<br />
zu festigen.<br />
»Wir brauchen dringend das Geld«, sagt<br />
Reguigui. »Aber das heißt nicht, dass wir<br />
auf jegliche good governance verzichten<br />
sollten.« Seine Vereinigung setzt sich vor<br />
allem dafür ein, dass sich Tunesien wie<br />
schon mehr als 30 andere Staaten um die<br />
Aufnahme in die Transparenzinitiative der<br />
Rohstoffwirtschaft bemüht.<br />
Die Verwaltung, die mit Ausnahme des<br />
Zolls weitgehend vom alten Regime übernommen<br />
wurde, weist jede Schuld an der<br />
Korruption von sich. Auch der Ex-Minister<br />
auf der Hotel-Terrasse in Karthago<br />
wurde nach der Revolution nach seiner<br />
Rolle in der Günstlingswirtschaft befragt.<br />
»Es ging um Zuteilungen von Land, keine<br />
große Summen. Doch die Minister haben<br />
auf schriftlichen Befehl von Ben Ali<br />
gehandelt, sie hatten keine Wahl«, sagt er.<br />
Neben den Verflechtungen der Wirtschaft<br />
mit dem Präsidentenpalast Ben Alis<br />
plagt sich Finanzminister Dimassi noch<br />
mit einem weiteren Erbe des alten Regimes.<br />
Der Wirtschaftsexperte, der als politisch<br />
Unabhängiger an den Parlamentswahlen<br />
teilnahm, sorgt sich vor allem um<br />
die hohen Ölpreise. Ebenso wie andere<br />
arabische Autokraten hatte sich Ben Ali<br />
die Bevölkerung mit massiven Subventionen<br />
von Benzin und Lebensmitteln gewogen<br />
gemacht. Doch das kann sich Tunesien<br />
immer weniger leisten in Zeiten,<br />
in denen seine Devisenreserven nicht einmal<br />
mehr reichen, um die Importe für<br />
vier Monate zu decken.<br />
»Vom rein finanziellen und wirtschaftlichen<br />
Standpunkt her müssen wir vor allem<br />
die Benzinpreise korrigieren«, sagt<br />
Dimassi in seinem Palast im Regierungsviertel<br />
von Tunis. Eine Kürzung der Subventionen<br />
dürfte jedoch weitere soziale<br />
Proteste zur Folge haben – und damit den<br />
Spielraum der Regierung, sich mit der Vergangenheit<br />
statt mit der Zukunft zu beschäftigen,<br />
weiter einengen.<br />
Fondsmanager Feriani warnt bei allem<br />
Pragmatismus dennoch davor, die Aufarbeitung<br />
der Korruption zu vernachlässigen.<br />
Die grassiere vor allem im öffentlichen<br />
Sektor Tunesiens auch nach dem<br />
Ende des Ben-Ali-Regimes noch immer.<br />
»Die Priorität sollte jetzt auf Wachstum<br />
liegen, aber das heißt nicht, dass sie nur<br />
das tun und für die nächsten beiden Jahre<br />
die Korruption ignorieren sollten«, betont<br />
Feriani. »Beides gehört zusammen.<br />
Man schafft mehr Wachstum im Land,<br />
wenn man die Korruption bekämpft, denn<br />
Korruption kostet die Wirtschaft sehr viel<br />
Geld.«<br />
22 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
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GELD UND MACHT<br />
SCHWEIZ: POTENTATENGELDER<br />
Das Erbe der<br />
Sparfüchse<br />
Nach dem Sturz der autoritären<br />
Machthaber in Nordafrika sperrte die<br />
Schweiz mehr als eine Milliarde Franken.<br />
Die libyschen Gelder sind schrittweise<br />
freigegeben worden, doch die Vermögen<br />
aus Tunesien und Ägypten warten noch<br />
auf ihre Rückgabe<br />
Von Simona Pfister<br />
Endlich heile Welt sein: Die Regierung<br />
will den Ruf der Schweiz als Gelddepot<br />
für Diktatoren loswerden.<br />
Die arabischen Umstürze des vergangenen<br />
Jahres haben auch in<br />
der Schweiz politisch etwas in<br />
Bewegung gebracht. Am 19. Januar 2011<br />
– wenige Tage nach dem Rücktritt des tunesischen<br />
Machthabers Zine el-Abidine<br />
Ben Ali – sperrte der Bundesrat, die<br />
Schweizer Regierung, rund 60 Millionen<br />
Schweizer Franken des gestürzten Präsidenten<br />
und seiner Entourage. Auf gleiche<br />
Weise wurde drei Wochen später, am 11.<br />
Februar, gleich nach dem Sturz Hosni Mubaraks<br />
verfahren. Um mit Bezug auf Ägypten<br />
die Veruntreuung in der Schweiz deponierter<br />
staatlicher Gelder zu verhindern,<br />
ließ der Bundesrat 410 Millionen<br />
Franken blockieren, die von dem ehemaligen<br />
Präsidenten und seinem engsten privaten<br />
und politischen Umfeld stammten.<br />
Banken, die Vermögenswerte der Betroffenen<br />
hielten oder verwalteten, mussten<br />
die Gelder damit wie auch im Fall Tunesiens<br />
dem Außenministerium in Bern<br />
melden, das für den Vollzug dieser Verordnungen<br />
zuständig ist. Außerdem waren<br />
sie verpflichtet, die Vermögenswerte<br />
für sämtliche Transaktionen zu sperren.<br />
Beide Blockadeanweisungen gelten für<br />
drei Jahre, um den neuen Regierungen der<br />
Revolutionsländer Zeit zu geben, Rechtshilfegesuche<br />
mit dem Ziel der Rückerstattung<br />
der Gelder zu stellen. Denn die<br />
Beweisschuld, die unrechtmäßige Herkunft<br />
der blockierten Vermögenswerte in<br />
24 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
GELD UND MACHT<br />
»Es ist schwierig zu evaluieren,<br />
wie lange die Rückführung an<br />
die Herkunftsländer dauern wird«<br />
einem Strafverfahren nachzuweisen und<br />
damit deren Rückführung zu ermöglichen,<br />
liegt bei den betroffenen Staaten.<br />
Allerdings können sich die neuen Regierungen<br />
dabei auf Auskünfte der<br />
Schweizer Behörden stützen, wenn sie entsprechende<br />
Rechtshilfegesuche einreichen.<br />
Sowohl Ägypten als auch Tunesien haben<br />
von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.<br />
Am 17. August stellte Ägypten ein<br />
entsprechendes Gesuch, am 18. Oktober<br />
folgte Tunesien. Seitdem ermittelt die<br />
Bundesanwaltschaft, um die Herkunft der<br />
Gelder zu klären. Im Dezember sei zudem<br />
ein zweites Rechtshilfegesuch aus Ägypten<br />
zum Vollzug an die Schweizer Ermittlungsbehörde<br />
delegiert worden, erklärt<br />
deren Sprecherin Jeanette Balmer.<br />
Neben diesem Weg verfügt die Schweiz<br />
mit dem Geldwäschegesetz auch über ein<br />
nationales Instrument, um gegen die Anlage<br />
unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte<br />
vorzugehen. Es verpflichtet die<br />
Finanzinstitute, beim Eingang von Geldern<br />
politisch exponierter Persönlichkeiten<br />
eine Reihe von Fragen zu Herkunft<br />
und Verwendung der Mittel zu stellen. So<br />
müssen die Banken Herkunft und Ursprung<br />
des Vermögens, Hintergründe und<br />
Plausibilität größerer Zahlungseingänge<br />
sowie den Verwendungszweck abgezogener<br />
Gelder abklären. Ergibt sich dabei ein<br />
Verdacht auf eine Unregelmäßigkeit, müssen<br />
die Institute die Meldestelle für Geldwäsche<br />
einschalten.<br />
Sowohl zu tunesischen als auch zu<br />
ägyptischen Geldern gingen dort im Januar<br />
und Februar 2011 entsprechende<br />
Mitteilungen von Banken ein. Deshalb ermittelt<br />
die Bundesanwaltschaft nun nicht<br />
nur aufgrund der Rechtshilfegesuche, sondern<br />
auch im Rahmen nationaler Gesetze<br />
gegen Verdächtige aus dem Umfeld Ben<br />
Alis und Mubaraks. Mittlerweile wurden<br />
diese Ermittlungen in beiden Fällen von<br />
der Geldwäsche auf den Tatbestand der<br />
Unterstützung einer kriminellen Organisation<br />
ausgeweitet. Beschuldigte aus beiden<br />
betroffenen Ländern haben beim<br />
Bundesverwaltungsgericht in Bellinzona<br />
Beschwerde gegen die Untersuchungen<br />
eingereicht. Um wen es sich dabei handelt<br />
und welchen genauen Inhalt die Ermittlungen<br />
haben, lässt die Bundesanwaltschaft<br />
unbeantwortet.<br />
Auch infolge der Einsprüche konnten<br />
die Strafermittlungen noch nicht abgeschlossen<br />
werden. Ebenso ist über die<br />
Rechtshilfegesuche aus den beiden Ländern<br />
noch nicht entschieden worden. Bis<br />
heute konnte deshalb kein Geld an Ägypten<br />
oder Tunesien zurückerstattet werden.<br />
»Es ist schwierig zu evaluieren, wie lange<br />
die Rückführung von unrechtmäßig erworbenen<br />
Vermögenswerten an die Herkunftsländer<br />
dauern wird«, sagt dazu<br />
Außenamtssprecherin Carole Wälti. »Dies<br />
wird in erster Linie davon abhängen, wie<br />
schnell die unrechtmäßige Herkunft von<br />
den Ursprungsländern nachgewiesen werden<br />
kann.« Um solche Prozesse in Zukunft<br />
zu beschleunigen, werde die Schweiz<br />
an tragfähigen Rechtshilfebeziehungen arbeiten<br />
und habe dabei seit dem vergangenen<br />
Jahr schon wichtige Fortschritte erzielt.<br />
Zudem hat die Schweiz als erster Staat<br />
der Welt ein Gesetz über die Rückerstattung<br />
unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte<br />
verabschiedet. Diese Regelung<br />
ermöglicht eine Rückerstattung selbst<br />
dann, wenn die Rechtshilfegesuche der<br />
Ursprungsländer wegen Versagens der<br />
staatlichen Strukturen zu keinem Ergebnis<br />
führen. Auf politischer Ebene gibt man<br />
sich also Mühe, dem Bankenplatz Schweiz<br />
nicht den Ruf eines Gelddepots für Diktatoren<br />
anhaften zu lassen. Ungeklärt<br />
bleibt allerdings, ob die Banken nicht<br />
schon vor den Umstürzen genug Anlass<br />
gehabt hätten, Meldungen im Rahmen des<br />
Geldwäschegesetzes zu erstatten.<br />
Ganz anders stellt sich die Lage hinsichtlich<br />
der Gelder aus Libyen dar. Zwar<br />
sperrte der Bundesrat im Februar 2011<br />
auch libysche Vermögenswerte, aber er ersetzte<br />
diese Verordnung bald darauf durch<br />
eine neue, um die vom UN-Sicherheitsrat<br />
beschlossenen Finanzsanktionen gegen Libyen<br />
umzusetzen. Grundlage dieses neuen<br />
Beschlusses war das Embargogesetz,<br />
weshalb er in die Zuständigkeit des Staatssekretariats<br />
für Wirtschaft (SECO) fällt.<br />
Zudem betraf die Sperrung anders als in<br />
den Fällen Ägypten und Tunesien vor allem<br />
Gelder staatlicher Organisationen; sie<br />
summierten sich zunächst auf 650 Millionen<br />
Schweizer Franken.<br />
Im Zuge der Anpassungen des UN-Sanktionsregimes<br />
an die Entwicklung in Libyen<br />
lockerte auch der Bundesrat seine Verordnung<br />
wiederholt und gab mehrfach Vermögenswerte<br />
frei, so am 23. Dezember rund<br />
165 Millionen Schweizer Franken der libyschen<br />
Zentral- und Auslandsbank. Damit<br />
befinden sich diese Gelder wieder unter voller<br />
Verfügungsgewalt der jeweiligen Unternehmen<br />
– einschließlich der Möglichkeit<br />
eines erneuten Missbrauchs. Aus Libyen<br />
seien nun nur noch rund 100 Millionen<br />
Schweizer Franken eingefroren, ließ SECO-<br />
Sprecherin Antje Baertschi wissen.<br />
Auch aus Syrien liegen noch gesperrte<br />
Vermögenswerte auf Schweizer Bankkonten,<br />
die ebenfalls im Rahmen des Embargogesetzes<br />
nach Maßgabe der UN-Sanktionen<br />
blockiert wurden. Was mit diesen<br />
Geldern geschieht, ist einstweilen ebenso<br />
offen wie der Ausgang der Proteste gegen<br />
Baschar al-Assad.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 25
RECHT<br />
KATAR: INSOLVENZEN<br />
Konkurs darf<br />
kein Tabu sein<br />
Um Investoren Sicherheit zu geben, braucht<br />
Katars boomende Wirtschaft klare Regeln<br />
für Firmen, die in Schieflage geraten oder<br />
scheitern. Das bestehende Insolvenzrecht<br />
muss sich noch in der Praxis bewähren<br />
Von Mohamed Khodeir<br />
Katars rasante wirtschaftliche Entwicklung<br />
hat hohe Markterwartungen<br />
geweckt. Aber wo es<br />
Wachstum gibt, muss es natürlich auch<br />
Mittel zur Regulierung von Fällen geben,<br />
in denen Firmen in wirtschaftliche Schieflage<br />
geraten oder scheitern. Im rechtlichen<br />
Rahmen geschieht dies durch Konkursregelungen.<br />
Angesichts ihrer Bedeutung für<br />
die Investitionssicherheit können Insolvenz-<br />
oder Umschuldungsbestimmungen<br />
deshalb nicht länger ein »Tabu« bleiben.<br />
Geschäftsklima-Rankings und andere<br />
globale Umfragen deuten durchweg darauf<br />
hin, dass Insolvenzregelungen unmittelbaren<br />
Einfluss darauf haben, wie die Entwicklung<br />
einer Wirtschaft eingeschätzt wird.<br />
Einfach ausgedrückt werden die Investoren<br />
umso mehr davon überzeugt sein, in<br />
der jeweiligen Gerichtsbarkeit zu investieren,<br />
je mehr Gewissheit sie haben, was dort<br />
im Falle einer Schieflage oder beim Scheitern<br />
eines Unternehmens unternommen<br />
werden kann.<br />
Anders als oft behauptet, gibt es in Katar<br />
bereits ein Insolvenzgesetz und ziemlich<br />
genaue Vorschriften, die zu den detailliertesten<br />
Abschnitten des katarischen<br />
Wirtschaftsrechts zählen dürften. Die Regeln<br />
und Verfahrensweisen für Insolvenzen<br />
finden sich in Kapitel 6 des Katarischen<br />
Handelsgesetzbuchs (Qatari Commercial<br />
Code, QCC), das mit dem Gesetz Nr.<br />
27/2006 verabschiedet wurde. Das QCC<br />
umfasst die Verfahren sowohl für die Privat-<br />
und Firmeninsolvenz als auch für den<br />
vorbeugenden Vergleich (al-sulh al-waqi),<br />
eine Form der Umschuldung, die gegebenenfalls<br />
eine Insolvenz verhindern soll.<br />
Die meisten Vorschriften<br />
wurden mehr mit Blick auf<br />
die Insolvenz gestaltet als<br />
darauf, diese abzuwenden<br />
Der QCC enthält keine konkrete Definition<br />
von »Insolvenz«, sondern zeigt nur<br />
die Umstände auf, unter denen ein Unternehmen<br />
als insolvent erachtet wird. Artikel<br />
606 des QCC bestimmt, dass »ein<br />
Unternehmen für insolvent erklärt werden<br />
möge, wenn es die Zahlung seiner Bankschulden<br />
zum Fälligkeitsdatum infolge finanzieller<br />
Unsicherheit oder aus Mangel<br />
an verfügbarem Kredit aussetzt«.<br />
Diesbezüglich ist eine sorgfältige Analyse<br />
des Textes wichtig, da der Wortlaut die<br />
Umstände einer Geschäftsinsolvenz darlegt,<br />
nämlich a) den Zahlungsausfall auf Bankschulden<br />
zum Fälligkeitstermin, was den<br />
Weg für Nicht-Bankschulden und für die<br />
Stundung von Schulden eröffnet; und b)<br />
dass dieser Zahlungsausfall das Ergebnis sowohl<br />
finanzieller Unsicherheit als auch einer<br />
instabilen Kreditwürdigkeit sein kann.<br />
Das QCC legt nicht im Einzelnen dar,<br />
wann davon ausgegangen wird, dass ein<br />
Unternehmen seine Schuldenzahlungen<br />
ausgesetzt hat. Der oben genannte Artikel<br />
schlägt jedoch eine Insolvenzüberprüfung<br />
in Form eines Cashflow-Tests vor. Dieser<br />
ist anwendbar, sobald eine Bankschuld<br />
unter den genannten Bedingungen nicht<br />
zur Fälligkeit beglichen wird. Auch sind<br />
die obigen Kriterien interpretationsbedürftig,<br />
und es mangelt an Präzedenzfällen.<br />
Dennoch bietet der erwähnte Test eine<br />
allgemeine Orientierung, um zu beurteilen,<br />
wann ein Zahlungsausfall als<br />
eingetreten betrachtet werden kann.<br />
Das Verfahren, mit dem die Insolvenz<br />
eines Unternehmens erklärt wird, muss<br />
den zuständigen Gerichten vorgelegt werden<br />
und kann entweder freiwillig oder auf<br />
Antrag von Gläubigern eingeleitet werden.<br />
Die beiden allgemeinen Prinzipien<br />
des Verfahrens sind, dass<br />
kein Gläubiger Klage gegen einen<br />
Schuldner erheben darf, nachdem die<br />
Insolvenz erklärt worden ist, wenngleich<br />
dies nicht die Rechte abgesicherter<br />
Gläubiger berührt, ihre Garantien<br />
geltend zu machen;<br />
Insolvenzverfahren eingestellt werden<br />
können, (1) wenn alle Gläubiger ausbezahlt<br />
wurden, (2) im Zuge eines richterlichen<br />
Vergleichs oder (3) indem das<br />
Unternehmen alle seine Vermögenswerte<br />
zugunsten seiner Schuldner abtritt.<br />
26 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
RECHT<br />
Insolvenzregelungen<br />
haben unmittelbaren<br />
Einfluss darauf,<br />
wie die Entwicklung<br />
einer Volkswirtschaft<br />
eingeschätzt wird<br />
Als weitere wichtige Aspekte verdienen<br />
Erwähnung:<br />
Kapitalgesellschaften, die in Qatar<br />
nach dem Kapitalgesellschaftsgesetz<br />
gegründet wurden, werden als Unternehmen<br />
behandelt.<br />
Insolvenzen müssen per Gerichtsbeschluss<br />
erklärt werden.<br />
Das Datum des Zahlungsausfalls ist<br />
ausschlaggebend für die Bestimmung<br />
der Positionen und der Durchsetzbarkeit<br />
von Transaktionen, die vor oder<br />
nach diesem Datum abgeschlossen<br />
wurden, sowie dafür, wann die Insolvenz<br />
vom zuständigen Gericht verkündet<br />
wird.<br />
Ein katarisches Unternehmen kann die<br />
katarischen Gerichte anrufen, um eine Einigung<br />
mit seinen Gläubigern zu erzielen,<br />
entweder wenn seine Finanzlage so<br />
stark beeinträchtigt ist, dass ein Zahlungsausfall<br />
droht, oder binnen zwanzig<br />
Tagen nach dem Zahlungsausfall (und<br />
vorausgesetzt, das Unternehmen befindet<br />
sich noch nicht im Konkursverfahren).<br />
Was Kapitalgesellschaften angeht, darf<br />
die Geschäftsleitung diese Form des Vergleichs<br />
bei offenen Handelsgesellschaften<br />
nur mit Zustimmung der Mehrheit der<br />
Teilhaber beantragen und bei anderen<br />
Unternehmensformen nur mit Zustimmung<br />
einer außerordentlichen Hauptversammlung.<br />
Zur Deckung der Verfahrenskosten<br />
muss die Gesellschaft bei<br />
Gericht eine bestimmte (vom Gericht<br />
angeordnete) Summe zur treuhänderischen<br />
Verwaltung hinterlegen. Die Bewerbung<br />
ist an das Insolvenzgericht zu<br />
richten. Der Staatsanwalt kann sich dem<br />
Antrag anschließen, und im Handelsregister<br />
sollte die Eröffnung der Insolvenz<br />
der Gesellschaft eingetragen werden.<br />
Der wichtigste Nachteil der gegenwärtigen<br />
Insolvenzregelungen ist, dass<br />
die meisten Vorschriften von Kapitel 6<br />
des QCC mehr mit Blick auf die Insolvenz<br />
gestaltet wurden als darauf, diese<br />
abzuwenden. Dennoch erlauben die Regelungen<br />
zum vorsorglichen Vergleich<br />
durchaus einen Weg zur Umschuldung,<br />
auch wenn die Anwendungsmechanismen<br />
in der Praxis recht komplex sein<br />
können, vor allem was eine fehlende Koordination<br />
der Gläubiger und der informellen<br />
gemeinsamen Entscheidungsfindung<br />
angeht.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />
dass Katar sehr wohl ein, recht umfassendes,<br />
Insolvenzrecht hat, das Umschuldungen<br />
ermöglicht. Angesichts des<br />
boomenden Markts in Katar, der noch<br />
keine nennenswerten Fälle von Zahlungsausfall<br />
ausgelöst hat, steht der Praxistest<br />
für dieses Recht allerdings aus.<br />
Da Insolvenzregelungen wesentlich sind,<br />
um die Investitionsfreundlichkeit eines<br />
Rechtsraums abzuschätzen, sollte man<br />
Nachbesserungen des derzeitigen Insolvenzrechts<br />
– und nicht unbedingt ein<br />
völlig neues – prüfen, um flexiblere Anwendungsmechanismen<br />
eines Systems<br />
zu ermöglichen, das noch kaum vor Gericht<br />
erprobt ist.<br />
Mohamed Khodeir ist Partner der<br />
Anwaltsfirma Al Tamimi & Company<br />
und leitet deren Büro in Katar.<br />
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<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 27
GESUNDHEIT<br />
LIBYEN: KRIEGSVERLETZTE<br />
Der Preis des<br />
schlechten Gewissens<br />
Hunderte Opfer des Bürgerkrieges in Libyen sind zur<br />
Behandlung nach Deutschland geflogen worden. Der<br />
libysche Staat bezahlte dafür Millionenbeträge. Vielen<br />
der Patienten rettete er so das Leben, doch manche<br />
erlebten auch Chaos und undurchsichtige Geschäfte<br />
Von Nils Metzger<br />
Am12. Oktober, Muammar al-Gaddafi war<br />
noch nicht gefasst, stand Philipp Rösler als<br />
Büßer auf dem Rollfeld des Flughafens von<br />
Tripolis. Der Bundeswirtschaftsminister besuchte<br />
Libyen als Vertreter jenes westlichen Landes, das<br />
sich den Rebellen bei der entscheidenden Abstimmung<br />
im UN-Sicherheitsrat verweigert hatte. Als<br />
Wiedergutmachung hatte der Deutsche ein versöhnliches<br />
Angebot im Gepäck: Visa für libysche<br />
Kriegsverletzte.<br />
Schon knapp eine Woche später, am Nachmittag<br />
des 18. Oktober, landete eine aus dem tunesischen<br />
Sfax kommende Transportmaschine der Bundeswehr<br />
auf dem Flughafen Köln-Bonn. An Bord hatte sie 39<br />
verletzte Libyer, die auf fünf Militärkrankenhäuser<br />
verteilt wurden. Am Flughafen erwartete die Verletzten<br />
auch Stefan Kottmair, der Chef des Münchner<br />
Medizindienstleisters Almeda. Die Tochter des<br />
Rückversicherers Munich Re bietet Krankenrücktransporte<br />
aus dem Ausland und IT-Systeme zur Behandlungsabrechnung<br />
an und erzielte damit 2010<br />
einen Umsatz von 23 Millionen Euro. Mehr als 50<br />
Millionen Euro an Behandlungs- und Transportkosten<br />
wickelt das Unternehmen jährlich im Auftrag<br />
von Versicherungen und Krankenhäusern ab.<br />
Kottmair konnte sich glücklich schätzen: Almeda<br />
wurde vom Global Healthcare Programme, mit<br />
dem Libyen im Zuge der Revolution Kriegsverletzte<br />
zur Behandlung ins Ausland verschickte, mit Aufträgen<br />
im Volumen von 60 Millionen Dollar betraut,<br />
wie aus den jüngsten Zahlen des Programms<br />
hervorgeht. Für einige der verletzten Libyer sowie<br />
manche der beteiligten Krankenhäuser sollte sich die<br />
Kooperation als weniger glücklich erweisen.<br />
Die Vorgeschichte des Geschäfts beginnt am 1.<br />
Oktober. An jenem Samstag wendet sich der Temporary<br />
Financing Mechanism (TFM), die inzwischen<br />
aufgelöste Treuhandgesellschaft der libyschen Übergangsregierung<br />
für die Auslandsgelder des Gaddafi-Regimes,<br />
an die Munich-Re-Tochter Daman Health<br />
in Abu Dhabi: Man wolle davon wegkommen,<br />
die Auslandsbehandlungen der Kriegsopfer direkt<br />
zu verwalten und »mit Krankenhäusern stattdessen<br />
über eine Drittpartei in Kontakt treten«, lässt der<br />
TFM, der auch hinter dem Global Healthcare Programme<br />
steht, in einem Schreiben an Daman<br />
Health wissen. Auch sei man daran interessiert, alle<br />
Dienstleistungen durch ein einziges Unternehmen<br />
abwickeln zu lassen – mit Schwerpunkt in Deutschland,<br />
einen Kredit durch die Förderbank KfW vorausgesetzt.<br />
Daman Health reicht den Auftrag weiter<br />
an das Schwesterunternehmen Almeda.<br />
Dieses wird schnell einig mit den Libyern. Am<br />
13. Oktober unterzeichnen beide Seiten den Vertrag,<br />
28 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
GESUNDHEIT<br />
tags darauf versendet Almeda einen Kostenvoranschlag<br />
über 12,4 Millionen Euro für die Behandlung<br />
300 libyscher Patienten. In einer E-Mail an das<br />
Unternehmen wundert sich Dietrich Becker, Ständiger<br />
Vertreter an der deutschen Botschaft in Tripolis,<br />
der damalige TFM-Direktor Mazin Ramadan<br />
habe sich aus eigener Initiative an ihn gewandt<br />
und auf Eile gedrungen: »Normalerweise muss sich<br />
die Botschaft für deutsche Firmen verwenden. Diesmal<br />
ist es erstaunlicherweise umgekehrt.«<br />
Die Vereinbarungen zwischen Almeda und dem<br />
TFM sind wenige Seiten lang: Patienten, die in Tunesien<br />
nicht behandelt werden können, sollen ausgeflogen<br />
werden; Almeda bündelt die Rechnungen<br />
und Patientenakten und reicht sie dem TFM weiter;<br />
in Deutschland werde man die Verletzten mit<br />
kulturell geschultem, arabischsprachigem Personal<br />
betreuen, so die Vertragsbestimmungen. Pro Patient<br />
veranschlagt das Unternehmen bei drei bis<br />
sechs Wochen Aufenthalt zunächst Kosten von<br />
35.000 Euro, 7.000 Euro Flugkosten nicht eingerechnet.<br />
Grundlage für die Abrechnung sind den<br />
Vereinbarungen zufolge die deutschen Fallpauschalen,<br />
die genau festschreiben, wie viel ein Krankenhaus<br />
für jede Dienstleistung verlangen darf. Almeda<br />
selbst erhält nach Angaben des ehemaligen<br />
TFM-Vizechefs Shihab Elborai rund 500 Euro monatlich<br />
pro Patient für seinen Verwaltungsaufwand.<br />
Am 19. Oktober fliegt ein Ärzteteam nach Tunesien,<br />
um geeignete Patienten auszuwählen. Innerhalb<br />
von weniger als 24 Stunden erklären sich die<br />
ersten deutschen Krankenhäuser bereit, Libyer aufzunehmen.<br />
Inzwischen fragen sich manche davon,<br />
ob sie nicht besser abgelehnt hätten.<br />
»Das waren stundenlange Operationen in den<br />
ersten Tagen – Menschen mit nur notdürftig behandelten<br />
Schusswunden, schwerste Hirnverletzungen«,<br />
berichtet ein Mitarbeiter des Asklepios-<br />
Klinikverbunds in Hamburg. »Wenn die Hütten<br />
hier voll sind, muss man sich fragen, ob man sich<br />
so etwas Aufwendiges leisten kann.« Große Mehrbelastungen<br />
seien den Kliniken etwa dadurch entstanden,<br />
dass fast alle libyschen Patienten mit antibiotikaresistenten<br />
Keimen belastet gewesen seien –<br />
ein enormer Kostenfaktor. »Wir wussten am Anfang<br />
nicht, dass eine Keimbelastung vorlag«, sagt der<br />
Asklepios-Mitarbeiter. Positiver bewertet das Universitätsklinikum<br />
Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel<br />
und Lübeck die Zusammenarbeit mit Almeda. Zwar<br />
seien mehrmals Patienten in anderer Zahl und mit<br />
anderen Diagnosen als angekündigt eingeliefert<br />
worden, aber unter den besonderen Umständen sei<br />
dies zu erwarten gewesen, sagt Pressesprecher Oliver<br />
Grieve. Für seine Klinik, die infolge des Ehec-<br />
Ausbruchs im vergangenen Jahr ein millionenschweres<br />
Defizit einfuhr, hätten sich die Behandlungen<br />
ausgezahlt: »Wir rechnen das so ab, dass<br />
am Ende die eine oder andere Mark übrig bleibt.«<br />
Für manche der libyschen Patienten verlängerte<br />
sich der Aufenthalt am UKSH allerdings um Wochen,<br />
weil keine angemessenen Reha-Angebote zu<br />
finden waren. »Manche Kliniken haben uns Plätze<br />
für 4.000 Euro am Tag vorgeschlagen«, berichtet<br />
Grieve – ein selbst für den deutschen Gesundheitsmarkt<br />
unverhältnismäßig teures Angebot.<br />
Vor allem aber ignorieren solche Preise die deutsche<br />
Rechtslage. »Die Behandlungspauschale gilt<br />
auch für Ausländer«, betont Ortwin Schulte, der<br />
im Bundesgesundheitsministerium die Außenwirtschaftsförderung<br />
koordiniert.<br />
Auch Barbara Walsh-Hanratty, Leiterin der Auslandsabteilung<br />
des Städtischen Klinikums München,<br />
erläutert, Aufschläge für interkulturelle<br />
»Wenn die Hütten hier voll sind,<br />
muss man sich fragen, ob man sich<br />
so etwas Aufwendiges leisten kann«<br />
Sonderleistungen, Übersetzer und besonderes Essen<br />
dürften in den veranschlagten Sätzen nicht<br />
vorkommen.<br />
Almeda stellte dem TFM dennoch von Anfang<br />
an den 1,8-fachen Kostensatz in Rechnung, wie aus<br />
einer zenith vorliegenden Kostenabrechnung hervorgeht.<br />
Zudem boten die Münchner einzelnen<br />
Krankenhäusern Ende Oktober an, auch zum 2,5-<br />
fachen Tarif behandeln zu dürfen. Dies sei mit dem<br />
libyschen Partner abgesprochen gewesen, erklärt<br />
Almeda gegenüber zenith: »Die Vergütungen wurden<br />
mit den Kliniken individuell ausgehandelt.«<br />
>><br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 29
GESUNDHEIT<br />
Almeda stellte von Anfang an<br />
die 1,8-fachen Kosten in Rechnung<br />
Viele Betroffene beklagen, die im Gegenzug erhaltene<br />
Betreuung sei keineswegs erstklassig gewesen.<br />
Vor allem im November, als die meisten Patienten<br />
in Deutschland eintrafen, häuften sich in einem<br />
Kriegsverletzten-Forum auf Facebook die Beschwerden.<br />
»Es ist den Patienten überhaupt nicht<br />
klar, wofür Almeda zuständig ist«, kritisierte dort<br />
eine Angehörige eines Betroffenen. Auch zahle das<br />
Unternehmen den ihnen zustehenden Taschengeldsatz<br />
nicht aus. »Wir sollten sicherstellen, dass<br />
Almeda auf keinen Fall weitere Patienten erhält«,<br />
verlangte eine Frau, die in Hamburg Verletzte besucht<br />
hatte. Im gleichen Monat hatte Almeda jedoch<br />
schon einen Folgevertrag über die Betreuung weiterer<br />
300 Patienten unterzeichnet, finanziert aus<br />
einem KfW-Darlehen an den TFM in Höhe von<br />
insgesamt 100 Millionen Euro.<br />
Die Kritik der Patienten drang auch zum TFM<br />
durch, der am 16. November mit einer Stellungnahme<br />
auf seiner Internetseite reagierte, um die<br />
Vorwürfe zu entkräften. Jeder Patient solle in<br />
Deutschland von nun an 500 Euro Begrüßungsgeld<br />
erhalten, und das Taschengeld werde auf 60 Euro<br />
pro Tag angehoben. Der Münchner Rechtsanwalt<br />
Armin Ritter erhebt dennoch schwere Vorwürfe gegen<br />
Almeda. So seien Behandlungen vorzeitig abgebrochen<br />
worden: »Ein Patient erhielt von seinem<br />
Arzt die schriftliche Auskunft, dass er noch Wochen<br />
in Behandlung verbleiben muss – tags darauf<br />
checkte ihn Almeda ohne Rücksprache aus dem<br />
Hotel aus«, berichtet er. zenith vorliegende Dokumente<br />
bestätigen dies.<br />
Mustafa Erhebi ist der Patient, dem Almeda am<br />
19. Februar die Behandlung strich. Zurzeit nächtigt<br />
er auf der Couch seines Übersetzers in München.<br />
Schon vor seiner Ankunft in Deutschland seien<br />
Fehler gemacht worden, beklagt Erhebi. Bei seiner<br />
Ankunft hätten den Münchner Isar Kliniken keine<br />
Informationen über sein Krankheitsbild vorgelegen,<br />
bis zur Behandlung durch einen Neurochirurgen<br />
seien Wochen vergangen.<br />
Daneben vertritt Rechtsanwalt Ritter einen Patientenbetreuer,<br />
der Almeda beschuldigt, ihn für<br />
mehr als zweimonatige Fahr- und Dolmetscherdienste<br />
für neun libysche Patienten nicht entlohnt<br />
zu haben. »Man nutzt die Gutmütigkeit meines<br />
Mandanten aus, der sich auf mündliche Zusagen<br />
verlassen hatte«, sagt Ritter. Almeda betont dagegen,<br />
der Mann habe gar keinen Auftrag gehabt.<br />
Eine für internationale Patienten zuständige Mitarbeiterin<br />
des Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt<br />
wirft Almeda gar versuchte Unterschlagung im<br />
Zusammenhang mit den Fallpauschalen vor: »Die<br />
Krankenhäuser bekommen den 1,8-fachen Satz ausgezahlt,<br />
während Almeda den 2,5-fachen aus Libyen<br />
erhält. Man betreibt ein Monopoly mit Patienten.«<br />
Ihre Klinik habe deshalb die Verhandlungen<br />
mit Almeda abgebrochen. Almeda wies die<br />
Anschuldigungen auf zenith-Anfrage zurück: »Almeda<br />
stellt dem Auftraggeber sämtliche Originalrechnungen<br />
zur Verfügung.«<br />
Viele der Patienten legten infolge von Kriegstraumata<br />
ein aggressives Verhalten an den Tag und<br />
hätten einen erhöhtem Pflegebedarf, erklärte das<br />
Unternehmen weiter. Dies sei auch der Grund, warum<br />
die veranschlagten Kosten von zunächst 12,4<br />
Millionen Euro für 300 Patienten auf 60 Millionen<br />
Dollar bei 600 Patienten gestiegen seien. Tatsächlich<br />
hob Almeda zenith vorliegenden Dokumenten<br />
zufolge die Kostenübernahme je Patient zuletzt auf<br />
bis zu 60.000 Euro an – ein Betrag, der im konkreten<br />
Fall von der beteiligten Klinik bis auf den letzten<br />
Euro ausgereizt wurde.<br />
Während TFM-Vizechef Elborai diesen Anstieg<br />
für gerechtfertigt hält, äußerte sich der libysche Botschafter<br />
in Deutschland zurückhaltender. »Ja, wir<br />
haben gemerkt, dass die Rechnungen immer weiter<br />
ansteigen«, sagte Masednah al-Kotany, der selbst als<br />
Arzt tätig war, bevor er vergangenes Jahr in die Diplomatie<br />
wechselte. Die Botschaft stehe wegen der<br />
gestiegenen Kosten mit vielen Kliniken im Dialog.<br />
Dass die Behandlung libyscher Kriegsverletzter<br />
für Unternehmer zu einem Fiasko werden kann,<br />
zeigt ein Fall aus Hamburg, der sich jenseits der<br />
offiziellen TFM-Almeda-Kooperation abspielte. Am<br />
28. November landete eine Chartermaschine mit<br />
rund 60 leichtverletzten Libyern auf dem Flughafen<br />
der Hansestadt, ohne dass Krankenhäuser oder<br />
örtliche Gesundheitsbehörden vorab informiert gewesen<br />
wären. Bei ihrer Ankunft strandeten sie zu-<br />
30 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
GESUNDHEIT<br />
nächst auf dem Airport; ihre Unterbringung musste<br />
das Hamburger Gesundheitsamt kurzfristig organisieren.<br />
Bei der Organisation des Fluges war<br />
nach Darstellung der Behörde das Beratungsunternehmen<br />
German Health Management & Consult<br />
(GHMC) eingebunden.<br />
GHMC-Chefin Leonore Boscher streitet dagegen<br />
jede organisatorische Tätigkeit in diesem Zusammenhang<br />
ab. »Ich habe mit der Frage, wie die<br />
Patienten hierher kamen, nichts zu tun», sagte sie<br />
zenith. »Ich habe mit meiner Erfahrung kurzfristig<br />
die Verteilung dieser Patienten organisiert, ohne<br />
irgendwelche Bezahlung und von Anfang an mit<br />
der dringenden Ansage an die Libysche Botschaft,<br />
dass ich hierfür einen Auftrag benötige.« Nun versuche<br />
sie – bislang vergeblich – eine Bezahlung ihrer<br />
Dienste durch die libysche Botschaft auszuhandeln,<br />
sagt Boscher.<br />
Zwei Versäumnisse führten nach Darstellung Boschers<br />
zu dem Chaos am Hamburger Flughafen:<br />
die Weigerung libyscher Ministerien, mit der Botschaft<br />
in Berlin zusammenzuarbeiten – lediglich<br />
der Botschafter, nicht aber die meisten Angestellten<br />
wurden nach der Revolution ausgetauscht –<br />
und die deutsche Visapolitik. »Es gibt klare Regeln<br />
für medizinische Visa«, sagte die GHMC-Chefin. Im<br />
Einzelfall fehle es aber oft an aussagekräftigen Dokumenten.<br />
»Aufgrund des Zeitdrucks sind vermeintlich<br />
pragmatische Lösungen vom Auswärtigen<br />
Amt gesucht worden.«<br />
Im Berliner Außenamt will man selbst hinter vorgehaltener<br />
Hand die an dem Hamburger Fiasko beteiligten<br />
Unternehmen nicht namentlich nennen.<br />
»Wir stellen uns wirtschaftlicher Kooperation nicht<br />
in den Weg«, sagt ein Diplomat. Eine Sprecherin des<br />
Ministeriums teilt lediglich mit, der deutschen Botschaft<br />
in Tripolis habe für alle betroffenen Patienten<br />
eine Behandlungszusage und Kostenübernahmeerklärung<br />
eines Krankenhauses vorgelegen.<br />
Letztlich nahm unter anderem das UKSH die Libyer<br />
auf – und blieb bislang auf den Kosten sitzen,<br />
wie Pressesprecher Grieve betont. Das Klinikum sei<br />
aber »zuversichtlich, dass die libysche Botschaft uns<br />
da entgegenkommt«. Auch mehrere Vermittlungsagenturen<br />
und andere Krankenhäuser versuchen<br />
mittlerweile, Gelder zu bekommen, die ihnen von<br />
angeblichen und tatsächlichen Kontaktpersonen der<br />
libyschen Regierung zugesagt wurden.<br />
Einer dieser Unzufriedenen ist Olaf Haase, Chef der<br />
Vermittlungsagentur Premier Healthcare in Hamburg,<br />
die nach eigenen Angaben intensiv mit den Asklepios-Kliniken<br />
zusammenarbeitet. Im Fall der<br />
nordafrikanischen Kriegsverletzten hatte das Unternehmen<br />
mit verschiedenen libyschen Stellen zu tun.<br />
Mit wechselndem Erfolg. Ein großer Teil der Verletzten<br />
sei über die Organisation Wounded Libyan<br />
Evacuation Team (WLET) mit Sitz in den Niederlanden<br />
gekommen. »Unter diesen Umständen haben<br />
die das gut hinbekommen«, sagt Haase.<br />
In anderen Fällen hätten sich Partner in Libyen<br />
nicht an Absprachen gehalten oder eine willkürliche<br />
Zahl an Patienten geschickt. »Wir hatten zu viele Patienten,<br />
nicht alle waren auf Deutschland vorbereitet«,<br />
sagt Haase. Teils seien die Verwundeten direkt<br />
nach der Visavergabe ins Flugzeug gesetzt worden.<br />
Nach Angaben von WLET sitzen die Asklepios-<br />
Kliniken noch immer auf unbezahlten Behandlungskosten<br />
von rund 800.000 Euro. Von WLET ist<br />
auch zu erfahren, dass die Ausstellung eines deutschen<br />
Visums in Tripolis nur wenige Stunden dauere.<br />
Die eingereichten Unterlagen bestünden meist<br />
aus nur drei Sätzen, von denen zwei die Qualität des<br />
behandelnden Arztes priesen.<br />
Almeda überlegt einer Branchenkennerin zufolge,<br />
»Ja, wir haben gemerkt, dass die<br />
Rechnungen immer weiter ansteigen«<br />
sich aus der Betreuung libyscher Kriegspatienten zurückzuziehen.<br />
Der Vertrag mit TFM sollte im April<br />
auslaufen. »Aus Libyen liegen Anfragen zur Fortsetzung<br />
nicht vor«, erklärte Almeda. Die libysche Botschaft<br />
in Berlin zog Konsequenzen aus dem Chaos.<br />
Sie unterzeichnete Ende Februar einen Kooperationsvertrag<br />
mit dem Berliner Klinikbetreiber Vivantes,<br />
der auch Richtlinien zur interkulturellen Betreuung<br />
libyscher Patienten festschreibt. Bundesgesundheitsminister<br />
Daniel Bahr wiederum vereinbarte<br />
bei einem Libyen-Besuch im April die Einsetzung einer<br />
gemeinsamen Kommission, »die sich der optimierten<br />
administrativen Abwicklung der Behandlungsfälle<br />
widmen soll«, wie sein Ministerium mitteilte.<br />
Als Rahmen dafür solle ein Deutsch-Libysches<br />
Gesundheitsabkommen geschlossen werden.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 31
GESUNDHEIT<br />
IRAK: MEDIZIN<br />
Foto: Philipp Spalek<br />
»2015 werden wir<br />
mehr ausgeben als<br />
Saudi-Arabien«<br />
Iraks Gesundheitsminister Majeed Hamad<br />
Amin Jameel im zenith-Interview<br />
über Investitionsgarantien, das künftige<br />
Krankenversicherungssystem und<br />
den Wettlauf der Provinzen um die beste<br />
medizinische Versorgung<br />
Interview: Daniel Gerlach und Philipp Spalek<br />
Ausländische Unternehmen – nicht<br />
nur deutsche – verlangen Garantien,<br />
bevor sie in die irakische Gesundheitsinfrastruktur<br />
investieren. Verspricht<br />
Ihre Regierung staatliche Garantien<br />
Oder würden Sie die deutsche Regierung<br />
bitten, mit Hermes-Exportbürgschaften<br />
einzuspringen<br />
Momentan sind etwa drei- oder vierhundert<br />
internationale Unternehmen in Irak<br />
aktiv. Die haben allesamt Garantien – vom<br />
irakischen Finanzministerium und von<br />
der Irakischen Handelsbank, die als weltweit<br />
tätiges Geldhaus allen Investoren Garantien<br />
zur Verfügung stellt. Die deutschen<br />
Unternehmen, die in Irak arbeiten, könzenith:<br />
Doktor Jameel, Sie haben im Irak<br />
ein veraltetes, heruntergewirtschaftetes<br />
Gesundheitswesen geerbt. Ist das System<br />
noch reformierbar oder müssen Sie es<br />
völlig neu aufbauen<br />
Majeed Hamad Amin Jameel: Unser Gesundheitssystem<br />
hat seine Grenzen und ist<br />
ungeeignet für die heutigen Anforderungen.<br />
Bislang hat die Regierung alles kontrolliert.<br />
Zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation<br />
arbeiten wir jetzt daran,<br />
dieses System zu ändern. Und es gibt Fortschritte.<br />
Experten der Universität Oxford<br />
prüfen derzeit mögliche Reformschritte.<br />
Das Gesundheitsministerium folgt einer<br />
zweigleisigen Strategie: Einerseits fördern<br />
und verbessern wir, was bereits vorhanden<br />
ist, und ergänzen es um weitere Dienstleistungen;<br />
andererseits bemühen wir uns,<br />
das alte System abzulösen.<br />
Noch vor ein paar Jahrzehnten galt<br />
die Gesundheitsversorgung in Irak<br />
als eine der besten des Nahen Ostens.<br />
Nach Jahren des Kriegs und der<br />
Unruhe wird es nicht einfach sein,<br />
das System zu sanieren.<br />
Das System war adäquat, als Irak noch acht<br />
Millionen Einwohner hatte und die Menschen<br />
vergleichsweise geringe Ansprüche<br />
stellten. Heute leidet die irakische Bevölkerung<br />
unter neuen Krankheiten; es gibt<br />
viele Fälle von Krebs, Herzleiden sind so<br />
weit verbreitet wie in Europa. Früher gab<br />
es hier keine Herzkrankheiten, kein Diabetes,<br />
keine Probleme mit Bluthochdruck,<br />
keinen Krebs, keine Nierenleiden. Früher<br />
litten die Menschen an Infektionskrankheiten.<br />
Die sind nicht mehr das Thema.<br />
Und die neuen Krankheiten sind teuer. Die<br />
Gesundheitskosten steigen täglich – und<br />
Sie in Deutschland kennen ja die Belastungen<br />
durch hohe Gesundheitskosten.<br />
Irak war einmal ein großzügiges Land: Ich<br />
erinnere mich, dass Irak 1971 rund 300<br />
Millionen Dollar allein für Medikamente<br />
ausgab. Und das war in den Siebzigern!<br />
Und heute Unsere Pharmafabriken sind<br />
inzwischen sehr alt und nicht mehr zur<br />
Medikamentenherstellung geeignet. Medikamente<br />
aus Irak sind von minderer Qualität<br />
und sehr einfach: Beruhigungsmittel,<br />
Antibiotika – und die meisten Antibiotika<br />
fallen bei Tests durch. Irak importiert 94<br />
Prozent seines medizinischen Bedarfs.<br />
Was das für die nationale Sicherheit und<br />
die Sicherheit der Medikamentenversorgung<br />
bedeutet Wir modernisieren unsere<br />
bestehenden Produktionsstätten – die<br />
Werke Samarra, Niniveh und Akai – die<br />
auch von internationalen Unternehmen<br />
genutzt werden können. Zum Zweiten halten<br />
wir nach Investitionen in neue Fabriken<br />
Ausschau, um Mittel gegen Krebs herzustellen,<br />
Anästhetika, Notfallmedikamente<br />
und Mittel gegen chronische Leiden.<br />
Irak hat das zweitgrößte Gesundheitsbudget<br />
in der arabischen Welt, gleich nach Saudi-Arabien.<br />
Und wir gehen davon aus, dass<br />
wir bis 2015 das größte haben werden.<br />
32 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
GESUNDHEIT<br />
»Wenn ein Iraker heute eine Herz-OP<br />
braucht, kostet ihn das 40 Cent«<br />
Majeed Hamad Amin Jameel ist<br />
irakisch-kurdischer Arzt und wurde 2010<br />
Gesundheitsminister Iraks. Zuvor war er<br />
Minister für »Märtyrerangelegenheiten«<br />
in der kurdischen Regionalregierung.<br />
Jameel ist Mitglied der Patriotischen<br />
Union Kurdistan, der Partei des irakischen<br />
Präsidenten Jalal Talabani.<br />
Im April 2012 überlebte er einen<br />
Bombenanschlag in Bagdad.<br />
nen das bezeugen. Bis jetzt hat es keine<br />
Zahlungsprobleme gegeben.<br />
Und die Sicherheiten im Gesundheitssektor<br />
gelten sowohl für medizinische<br />
Ausrüstung als auch für Bauvorhaben<br />
Ja. Wir investieren gerade rund drei Milliarden<br />
Dollar in den Bau neuer Krankenhäuser.<br />
Die wichtigste Sicherheit wird<br />
ein Kooperationsabkommen zwischen<br />
Deutschland und Irak sein, wir haben gerade<br />
eine Absichtserklärung mit dem deutschen<br />
Gesundheitsministerium unterzeichnet.<br />
Das Abkommen erlaubt es deutschen<br />
Firmen, sicher in Irak zu arbeiten.<br />
Natürlich sind wir zu allem bereit, um<br />
deutschen Unternehmen den Weg zu ebnen.<br />
Der gute Ruf deutscher Unternehmen<br />
erreicht Irak schon, bevor sie überhaupt<br />
beginnen, für sich zu werben.<br />
Irak ist ein Bundesstaat. Wer wird<br />
die wichtigen Entscheidungen im<br />
Gesundheitswesen treffen: die Zentralregierung<br />
oder die Provinzen<br />
Irak ist ein föderales Staatswesen mit zwei<br />
Arten der Verwaltung. Die erste ist regional<br />
– wie in der Region Kurdistan mit ihren<br />
spezifischen Bedingungen und völliger<br />
Selbständigkeit in allen Ressorts außer<br />
Sicherheit, Finanzen und Öl. Die Provinzen<br />
machen ihre eigene Politik, doch im<br />
Gesundheitswesen formuliert die Bundesregierung<br />
die Strategien, setzt sie aber<br />
nicht selbst um. Das ist Aufgabe der lokalen<br />
Behörden.<br />
Die großen Vorgaben kommen von uns,<br />
und die Provinzen und Regionen kümmern<br />
sich um die Details. In diesem Jahr<br />
reicht unser Budget für den Bau von 26<br />
Krankenhäusern im ganzen Land. Aber<br />
womöglich hat die Region Kurdistan dazu<br />
ganz eigene Ansichten und baut weitere<br />
Krankenhäuser. Die reichen Provinzen<br />
wie Basra oder Kirkuk bauen vier neue<br />
Fachkliniken auf. Das Gleiche geschieht<br />
in Nadschaf und Mosul.<br />
Wie planen Sie im Einzelnen:<br />
große, multifunktionale Krankenhäuser<br />
und medizinische Zentren oder<br />
ein dezentralisiertes Netzwerk kleiner<br />
ambulanter Kliniken<br />
In allen Provinzen wird es große Polikliniken<br />
geben. Bislang haben alle Städte in<br />
Irak ein Allgemeinkrankenhaus, eine pädiatrische<br />
sowie eine gynäkologische oder<br />
Geburtshilfeklinik. Jetzt haben wir begonnen,<br />
weitere zu bauen. Sämtliche medizinischen<br />
Leistungen, die in Bagdad zur Verfügung<br />
stehen, wird es auch in allen Provinzen<br />
geben. Natürlich wird ein Patient<br />
für bestimmte Spezialbehandlungen wie<br />
eine Netzhauttransplantation nach Bagdad<br />
kommen müssen. Aber in Nasirija, Er-<br />
bil, Sulaimanija, Nadschaf und Kirkuk wird<br />
bereits Herzchirurgie angeboten.<br />
Lokale und Provinzregierungen liefern<br />
sich mittlerweile einen Wettlauf um die bessere<br />
Gesundheitsversorgung: Nadschaf hat<br />
eine 100-Betten-Klinik für Herzkrankheiten<br />
und Chirurgie errichtet, Nasirija und<br />
Mosul bauen onkologische Zentren.<br />
Gewiss benötigen die Iraker ein neues<br />
Versicherungssystem. Ihre Nachbarstaaten<br />
am Golf gewähren ihren Bürgern<br />
freie Gesundheitsversorgung, stellen nun<br />
aber fest, dass das so nicht mehr funktioniert.<br />
Welches Versicherungssystem wird<br />
sich in Irak durchsetzen: ein privates, ein<br />
staatliches oder eine Kombination aus<br />
beiden<br />
Gemäß der Verfassung hat der Staat alle<br />
Iraker zu versorgen. Faktisch macht das<br />
die irakische Regierung zur größten Versicherung.<br />
Das ist nicht gut, denn es ist<br />
zu teuer. Wenn ein Iraker heute eine Herzoperation<br />
benötigt, kostet ihn das 40 Cent.<br />
Es gibt gar kein echtes Versicherungsunternehmen<br />
in Irak. Aber zusammen mit<br />
der neuen Strategie und dem neuen Gesundheitssystem<br />
baut die Regierung neue<br />
Versicherungsunternehmen auf. Ich als<br />
Gesundheitsminister glaube, dass wir ein<br />
spezielles Armen-Ministerium in Irak benötigen.<br />
Menschen, die mehr als drei Millionen<br />
Dinar im Monat verdienen ...<br />
... also rund 3.000 Euro ...<br />
... sollten sich privat versichern und in privaten<br />
Krankenhäusern behandelt werden.<br />
Für öffentliche Angestellte sollte der Staat<br />
die Krankenversicherungsbeiträge übernehmen,<br />
als Teil ihres Gehalts wie in Europa.<br />
Aber das braucht viel Zeit. In den<br />
kommenden zwei bis vier Jahren ist das<br />
nicht zu schaffen, aber auf dieses Ziel arbeiten<br />
wir hin.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 33
PLANEN UND BAUEN<br />
VAE: ARCHITEKTUR<br />
Der Dreh- und<br />
Angelpunkt<br />
Der Flughafen Abu Dhabis lässt sich für fast<br />
sieben Milliarden Dollar ein neues Terminal bauen.<br />
Das soll als Katalysator für das Wirtschaftswachstum<br />
des ganzen Emirats dienen und selbstverständlich<br />
auch architektonisch glänzen<br />
34 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
PLANEN UND BAUEN<br />
Illustration: Kohn Pedersen Fox Associates<br />
Als künftiges Tor zur Stadt soll der Bau Offenheit signalisieren.<br />
Das Terminal soll das größte<br />
Gebäude im Emirat werden<br />
Der neue, zwischen den beiden Startbahnen<br />
gelegene Terminalkomplex soll den<br />
nötigen Platz für das geplante Wachstum<br />
des Flughafenbetriebs schaffen: von derzeit 12,4<br />
Millionen Reisenden auf 20 Millionen im Jahr 2017<br />
und längerfristig bis zu 40 Millionen Passagiere pro<br />
Jahr. Der Neubau ist eng verknüpft mit dem Ausbau<br />
des Flughafens zum internationalen Luftdrehkreuz<br />
und der Expansion des nationalen Carriers<br />
Etihad Airways. Die Planer nennen das Terminal<br />
deshalb in einem Atemzug mit Prestigeprojekten<br />
wie dem Kulturdistrikt Saadiyat Island als integralen<br />
Bestandteil des Plans Abu Dhabi 2030, der Strategie<br />
des Emirats für den Ausbau von Wirtschaft<br />
und Tourismus. Rund elf Milliarden Dollar an wirtschaftlichem<br />
Ausstrahlungseffekt verspricht sich<br />
die Flughafengesellschaft Abu Dhabi Airports Company<br />
in der letzten Ausbaustufe allein von dem neuen<br />
Terminal.<br />
Bei solchen Dimensionen dürfen auch architektonisch<br />
die landestypischen Superlative nicht fehlen.<br />
Das vom Architekturbüro Kohn Pedersen Fox<br />
Associates entworfene Gebäude soll das größte<br />
im ganzen Emirat werden, die zentrale Halle drei<br />
Fußballfelder fassen und von einer gewagten, bis<br />
>><br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 35
PLANEN UND BAUEN<br />
Eine bis zu 52 Meter hohe Bogenkonstruktion wird die zentrale<br />
Halle des Terminals überspannen.<br />
Die Architekten versprechen<br />
ein Gebäude mit »Sinnstiftenden<br />
Verbindungen«<br />
zu 52 Meter hohen Bogenkonstruktion überspannt<br />
werden. Die Architekten versprechen ein Gebäude,<br />
dessen Offenheit »sinnstiftende Verbindungen«<br />
zwischen dem Inneren und der Umgebung schaffen<br />
werde.<br />
Zumindest innen wird der Sinn vor allem im<br />
Konsum bestehen: Mit bis zu 25.000 Quadratmetern<br />
Fläche für Einzelhandel und Gastromie wird<br />
sich der Komplex locker mit den Malls der Region<br />
messen können. Daneben ist ein 8.400 Quadratmeter<br />
großer überdachter Park mit mediterranen<br />
Pflanzen und Wüstenlandschaften geplant. Die Inbetriebnahme<br />
ist für die erste Jahreshälfte 2017<br />
angepeilt.<br />
36 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
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PLANEN UND BAUEN<br />
ASERBAIDSCHAN: BAUWIRTSCHAFT<br />
Foto: Nargiz Gasimli<br />
Wer Baku zuletzt vor fünf Jahren<br />
besucht hat und heute zurückkehrt,<br />
kann sich nur wundern,<br />
wie rasant sich das Stadtbild der aserbaidschanischen<br />
Metropole am Kaspischen<br />
Meer verändert hat. Die Innenstadt<br />
wurde saniert, ebenso die Gründerzeitfassaden;<br />
sowjetische Plattenbauten entlang<br />
den Hauptverkehrsadern (den häufigsten<br />
Fahrtrouten des Präsidenten)<br />
erhielten neue Fassaden. In den Wohnvierteln<br />
schossen massenweise pastellfarbene<br />
Hochhäuser in die Höhe, ganze<br />
Stadtteile mit alter Bausubstanz wurden<br />
ohne Rücksicht auf Denkmalschutz oder<br />
architektonische Konsistenz abgerissen<br />
und neu bebaut.<br />
Nun greift der Bauboom auf private<br />
Investorenprojekte über. »Jede aserbaidschanische<br />
Firma oder Bank will<br />
Die »Flame Towers« – hier einer<br />
der drei Türme im Bau – sollen<br />
zu neuen Wahrzeichen Bakus werden.<br />
38 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
PLANEN UND BAUEN<br />
Eine Ölstadt<br />
soll sich neu erfinden<br />
Baku hat sich in den vergangenen fünf<br />
Jahren massiv verändert. Neubauten, aufwendige<br />
Restaurierungen und Megaprojekte prägen<br />
das neue Gesicht der Stadt. Deutsche und türkische<br />
Firmen mischen kräftig mit, die einheimische<br />
Industrie schaut unbeteiligt zu<br />
Von Sara Winter Sayilir<br />
sich jetzt eine neue Verwaltungszentrale<br />
bauen«, sagt Thomas Winterstetter<br />
vom Stuttgarter Ingenieur- und Planungsbüro<br />
Werner Sobek. Die Erneuerungsmaßnahmen<br />
hätten Bakus Innenstadt<br />
lebenswerter gemacht, findet er –<br />
hier gebe es jetzt alles, was das Herz begehre:<br />
Restaurants, Boutiquen, sogar einen<br />
McDonald’s.<br />
Auch die staatlich orchestrierte Umbauphase<br />
ist bei weitem nicht abgeschlossen.<br />
Das größte Neubauvorhaben<br />
nennt sich »Baku White City«. Wo früher<br />
die Wohnstadt der Ölarbeiter stand, die<br />
sogenannte »Schwarze Stadt«, soll nun ein<br />
edel anmutendes Neubauviertel ganz in<br />
Weiß entstehen. Neben zahlreichen Wohnund<br />
Bürogebäuden ist ein architektonisch<br />
anspruchsvoller Kern von Wolkenkratzern<br />
und Bürogebäuden vorgesehen, der den<br />
Eindruck genuiner Urbanität vermitteln<br />
soll. Derzeit macht die Regierung das ehrgeizige<br />
Projekt auf internationalen Immobilienmessen<br />
bekannt, um Investoren<br />
anzuwerben. Bei einer Verwirklichung<br />
werde es »sicher genug Arbeit geben für<br />
die nächsten 20 bis 30 Jahre«, glaubt Winterstetter.<br />
Seit 2007 ist der Stuttgarter Ingenieur<br />
als Projektleiter für Fassade und Tragwerk<br />
zweier Megaprojekte zuständig: der Flame<br />
Towers und des Hejdar-Alijew-Kulturzentrums.<br />
Die markanten Gebäudekomplexe<br />
bilden neben dem Ausbau des internationalen<br />
Flughafens das Kernstück der<br />
Neugestaltung von Baku. »Die Idee hinter<br />
diesen Prunkstücken ist es, city icons zu<br />
schaffen – so etwas wie das Opernhaus<br />
von Sidney«, sagt Winterstetter. Die Regierung<br />
wolle den Ruf der Stadt als verseuchte,<br />
dreckige Ölproduktionsmetropole<br />
loswerden.<br />
Ein Blick auf die fast fertigen Megaprojekte<br />
macht deutlich, was Winterstetter<br />
meint: Dominant ragen die Flame Towers,<br />
entworfen vom größten US-Architekturbüro<br />
HOK, aus der Mitte der<br />
terrassenartig ansteigenden städtischen<br />
Bebauung Bakus hervor. Die drei flammenartig<br />
geformten Glastürme spielen auf<br />
>><br />
»Jede Firma will<br />
sich eine neue<br />
Verwaltungszentrale<br />
bauen«<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 39
PLANEN UND BAUEN<br />
die zoroastrische Vergangenheit der Region<br />
an. In einigem Abstand entsteht das<br />
weiß-glänzende Hejdar-Alijew-Kulturzentrum,<br />
benannt nach dem früheren Präsidenten<br />
der jungen Republik und Vater<br />
des heutigen Staatschefs. Der vom Büro<br />
der Stararchitektin Zaha Hadid entworfene<br />
Bau soll einmal ein multifunktionales<br />
Veranstaltungszentrum, ein Museum<br />
und ein Opernhaus beherbergen.<br />
Gebaut werden die beiden Megaprojekte<br />
von der türkisch-aserbaidschanischen<br />
DIA Holding, die 2007 eigens zu<br />
diesem Zweck gegründet wurde; Winterstetters<br />
Arbeitgeber Sobek ist als Subunternehmer<br />
für sie tätig. »Damals, 2007,<br />
gab es nur vier Personen, die Architekten<br />
und mich«, erinnert sich Winterstetter.<br />
Was DIA seitdem aus dem Boden gestampft<br />
habe, sei eine Meisterleistung.<br />
Der aserbaidschanische Baumarkt gebe<br />
die Materialien für derart anspruchsvolle<br />
Projekte gar nicht her; auch an qualifiziertem<br />
Fachpersonal mangele es. Alles<br />
müsse importiert werden – aus den Vereinigten<br />
Arabischen Emiraten, aus Europa<br />
und der Türkei. »Wir haben da eine<br />
Menge Erklärungsarbeit investiert und<br />
teilweise Detailentwicklung bis hin zur<br />
letzten Schraube geleistet«, sagt der Deutsche<br />
über die Zusammenarbeit mit den<br />
Zulieferern in Istanbul.<br />
Fertigstellung von Gebäuden in Aserbaidschan<br />
Ganze Stadtteile mit<br />
alter Bausubstanz<br />
wurden abgerissen<br />
und neu bebaut<br />
In Aserbaidschan selbst scheint nur wenig<br />
von dem transferierten Know-how zu bleiben.<br />
Die Stadt und ihre Bewohner profitierten<br />
dennoch, findet Winterstetter, weil<br />
der Umbau der Metropole auch die Renovierung<br />
ganzer Stadtteile und den Ausbau<br />
der Infrastruktur umfasse. »Baku hat sich<br />
in einem beispiellosen Kraftakt von einer<br />
heruntergekommenen sozialistischen Bettenburg-Stadt<br />
zu einer lebenswerten Großstadt<br />
gewandelt, in der man sich manchmal<br />
fühlt wie in Wien oder Paris.«<br />
Während viele Einwohner Bakus den<br />
Umbau mit Skepsis und Unwohlsein betrachten,<br />
sieht der Stuttgarter den gut umgesetzten<br />
Masterplan dahinter. Begünstigt<br />
werde dessen Verwirklichung gerade durch<br />
die geringe Zahl an Entscheidern in der<br />
aserbaidschanischen Regierung: Lähmende<br />
demokratische Legitimierungsprozesse<br />
wie in Europa fielen einfach weg. »Das<br />
ist wie in China, wenn einmal das Go<br />
kommt, geht alles sehr schnell«, sagt Winterstetter.<br />
Und im Unterschied etwa zum<br />
2006 2007 2008 2009 2010<br />
Fertigstellung von Wohneinheiten 13.900 14.700 17.100 13.500 17.600<br />
Fertigstellung von Wohngebäuden (Anzahl) 9.470 11.967 11.396 9530 11.808<br />
Fertigstellung von Wohngebäuden (1.000 qm) 1.583 1.616 1.845 1.501 2.049<br />
Fertigstellung von öffentlichen Gebäuden (1.000 qm) 146 236 243 139 311<br />
Fertigstellung von privaten Gebäuden (1.000 qm) 1.437 1.380 1.602 1.362 1.738<br />
Anteil des öffentlichen Baus (in Prozent) 9,2 14,6 13,1 9,3 15,2<br />
Quelle: GTAI / Staatliches Statistisches Komitee der Republik Aserbaidschan (2011)<br />
Bauboom in Dubai stünden in Aserbaidschan<br />
Milliardeneinnahmen aus dem Ölund<br />
Gassektor als sichere Finanzierung<br />
hinter den Plänen.<br />
Das ehemals sagenhafte aserbaidschanische<br />
Wirtschaftswachstum, das in den<br />
Jahren ab 2004 zunächst durchschnittlich<br />
21 Prozent erreichte, hat sich zwar aufgrund<br />
der Krise nach 2008 deutlich verlangsamt;<br />
2010 lag es nur noch bei 3,7<br />
Prozent. Dennoch hat das Land in den<br />
fetten Jahren ausreichend Geld- und Goldreserven<br />
aufgebaut, um die Folgen der<br />
Krise abfedern zu können.<br />
Nun ist eine Diversifizierung der heimischen<br />
Wirtschaft das Gebot der Stunde:<br />
Möglichst rasch will sich Aserbaidschan<br />
von der einseitigen Abhängigkeit vom Erdöl-<br />
und Gassektor befreien. 2010/11 entfielen<br />
immerhin schon sieben bis zehn Prozent<br />
des BIP auf die Baubranche. Zwar sind<br />
die ausländischen Investitionen in der<br />
Branche seit 2002 stark rückläufig, doch<br />
dafür steigen die inländischen stetig an.<br />
Nur muss die einheimische Industrie noch<br />
lernen, einen größeren Teil der Arbeit selbst<br />
zu übernehmen.<br />
Zu den ambitionierten Großprojekten<br />
in Baku gehört auch die Chrystal Hall, der<br />
Veranstaltungsort des Eurovision Song<br />
Contest in diesem Mai. Gebaut worden<br />
ist die wabenartig gestaltete Halle direkt<br />
am Ufer des Kaspischen Meeres von Alpine<br />
Bau Deutschland. Die aserbaidschanische<br />
Regierung stellte dafür 212,5 Millionen<br />
Manat (203 Millionen Euro) zur Verfügung.<br />
Allerdings führten die mit dem<br />
Projekt einhergehenden Abriss- und Umsiedlungsmaßnahmen<br />
in der Umgebung<br />
zu Protesten im In- und Ausland. Und ein<br />
Teil des Geldes für den Bau kommt aus<br />
staatlichen Töpfen, die ursprünglich für<br />
die Sanierung der Wasser- und Kanalisationssysteme<br />
in den ländlichen Regionen<br />
Aserbaidschans vorgesehen waren. Schlagerwettbewerb<br />
statt Trinkwasser – ob diese<br />
Rechnung aufgeht<br />
40 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
ENERGIE<br />
ISRAEL: FÖRDERPOLITIK<br />
Im Tal von Elah<br />
Israels Regierung hat zwar hochfliegende Pläne zur Reduzierung der<br />
Treibhausgas-Emissionen. Doch mit ihrer Energiepolitik riskiert sie die<br />
führende Position des Landes bei der Nutzung erneuerbarer Energien<br />
Ein Kommentar von Tafline Laylin<br />
Israel hat alles, was nötig wäre, um<br />
die Levante in eine sonnige Zukunft<br />
voller erneuerbarer Energie zu führen<br />
– nur nicht den politischen Willen.<br />
Die Sonneneinstrahlungswerte gehören<br />
besonders in der Negev-Wüste zu den<br />
höchsten weltweit. Und während sich<br />
Länder mit reichhaltigen Rohstoffvorkommen<br />
auf ihren Reserven an fossilen<br />
Brennstoffen ausgeruht haben, mussten<br />
sich die Israelis bis vor kurzem auf ihren<br />
Erfindungsreichtum verlassen, um ihre<br />
Wohnungen >> zu heizen. Das galt umso<br />
mehr während des arabischen Ölembargos<br />
von 1973, als die Energieknappheit<br />
Israels »Vater der Solarenergie« Harry Zvi<br />
Tabor anspornte, den Solar-Warmwasserbereiter<br />
zu entwickeln, der heute fast<br />
jedes Dach im Land ziert.<br />
Die Ölkrise spornte zwar in allen betroffenen<br />
Ländern die Erschließung erneuerbarer<br />
Energiequellen an, doch sobald<br />
der Ölpreis wieder sank und sich stabilisierte,<br />
zog in vielen Staaten wieder die<br />
Bequemlichkeit ein. Nicht so in Israel. Luz<br />
International (heute BrightSource), gegründet<br />
von den Israelis Arnold Goldman<br />
und Israel Kroizer, entwickelte die ersten<br />
kommerziell tragfähigen Solarkraftwerke,<br />
die in Kalifornien bis heute Strom liefern.<br />
Lucien Bronicki machte die Verwendung<br />
von organischen, bei niedrigen Temperaturen<br />
siedenden Stoffen in Dampfturbinen<br />
kommerziell nutzbar und baute darauf<br />
Ormat Technologies auf, inzwischen einer<br />
der anerkanntesten Anbieter erneuerbarer<br />
Energien weltweit.<br />
Israelische Firmen<br />
zählen zu den<br />
weltweit führenden<br />
Anbietern sauberer<br />
Technologien<br />
So geht es weiter bis in die Gegenwart.<br />
Israelische Firmen werden regelmäßig<br />
zu den sieben oder acht weltweit führenden<br />
Anbietern sauberer Technologien<br />
gezählt. Sowohl das israelische Technologie-Institut<br />
»Technion« in Haifa als<br />
auch das Weizmann-Institut in Rehovot<br />
haben Nobelpreisträger hervorgebracht.<br />
Israel beteiligt sich an einschlägigen<br />
internationalen Forschungskooperationen<br />
etwa mit dem US-Energieministerium.<br />
An vielen Stellen hat sich Israel als<br />
führend hervorgetan, doch im Ergebnis<br />
muss man feststellen: Das Land verfügt<br />
zwar innerhalb und außerhalb seiner<br />
Grenzen über mehr als genug Humankapital,<br />
um sich von den Fesseln fossiler<br />
Energieträger zu befreien, doch es dekkt<br />
nur 0,1 Prozent seines Energiebedarfs<br />
aus erneuerbaren Quellen.<br />
Das mutet absurd an. Obwohl Israels<br />
staatlicher Versorger seine vormals großzügigen<br />
Einspeisevergütungen auf nur<br />
noch 0,20 Euro pro Kilowattstunde Solarstrom<br />
und magere 0,08 Euro für Strom<br />
aus Windkraft zusammengestrichen hat,<br />
hätte die Vielzahl von Steuervergünstigungen,<br />
Ausnahmeregelungen und Investitionsbeihilfen<br />
den Investoren eine gewisse<br />
Zuversicht vermitteln können. Oder<br />
ist vielleicht das veraltete Stromnetz abschreckend,<br />
das nur bis zu 20 Prozent der<br />
aus erneuerbaren Quellen erzeugten Energie<br />
aufnehmen kann, weil es nicht mit den<br />
Schwankungen zurechtkommt, die mit<br />
der Wind- und Solarstromerzeugung einhergehen<br />
Doch selbst das erklärt nicht<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 41
ENERGIE<br />
0,1%<br />
seines Energiebedarfs<br />
deckt Israel aus<br />
erneuerbaren Quellen<br />
hinreichend, warum so wenig erneuerbare<br />
Energie erzeugt wird. Denn wenn Israels<br />
Regierung sich einem Ziel ernsthaft verschreibt<br />
– zum Beispiel dem Schutz seiner<br />
Bürger vor dem sogenannten Terrorismus<br />
– verfolgt sie es mitunter ziemlich rücksichtslos.<br />
Um besser zu verstehen, warum Israel<br />
sich auf die Investition von fünf Milliarden<br />
Dollar beschränkt, um bis zum Jahr<br />
2020 zehn Prozent seines Energiebedarfs<br />
aus alternativen Quellen zu decken, während<br />
das an finanziellen und geistigen<br />
Ressourcen viel ärmere Algerien bis 2030<br />
mehr als viermal so viel ausgeben will,<br />
müssen wir uns der Geopolitik zuwenden.<br />
Israel ist umgeben von arabischen<br />
Ländern, mit denen es nicht klarkommt<br />
– was seit der Staatsgründung 1948 für<br />
ein starkes Gefühl der Unsicherheit sorgt.<br />
Diese Verletzbarkeit verfolgt das Land bis<br />
heute und führt oft zu unbesonnenem<br />
Handeln.<br />
Nichts verdeutlicht dies besser als die<br />
fortdauernde Anwendung des israelischen<br />
Ölgesetzes von 1952. Seit 1932 in Bahrain<br />
Erdöl entdeckt worden war, füllten sich<br />
arabische Staaten wie Saudi-Arabien die<br />
Taschen mit den Gewinnen aus den Förderkonzessionen.<br />
Um nicht leer auszugehen<br />
und sich eine Zukunft mit mehr Energiesicherheit<br />
zu sichern, verabschiedete<br />
Israels Regierung ein Gesetz, das jedem<br />
einen roten Teppich auslegte, der<br />
innerhalb der israelischen Grenzen<br />
nach Vorkommen an fossilen Energieträgern<br />
suchen wollte. Das Ölgesetz<br />
beseitigt praktisch alle rechtsstaatlichen<br />
Verfahren, Umweltfolgeabschätzungen<br />
und anderen<br />
bürokratischen Hürden, sobald es<br />
selbst um kleinste Mengen potenzieller<br />
Energieträger geht – einschließlich<br />
Ölschiefer.<br />
Und obwohl die Entdeckung des<br />
»Leviathan«-Feldes mit seinen 450<br />
Milliarden Kubikmetern Erdgas vor<br />
der Küste bei Haifa und einem Einnahmepotenzial<br />
von Milliarden Dollar sowie<br />
der Fund von vier weiteren bedeutenden<br />
Gasfeldern im Mittelmeer dem Land endlich<br />
die langersehnte Energiesicherheit<br />
Ein roter Teppich für jeden,<br />
der nach Vorkommen an fossilen<br />
Energieträgern sucht<br />
schenken könnten, unterstützt das Infrastrukturministerium<br />
daneben noch immer<br />
die ökologisch riskante Erkundung<br />
von Ölschiefer.<br />
2008 erhielt das Unternehmen Israel<br />
Energy Initiatives (IEI) die Genehmigung,<br />
aus Ölschiefer im Tal von Elah Gas und<br />
flüssigen Brennstoff zu produzieren. Die<br />
Lizenz wird es IEI gestatten, mehrere Hundert<br />
Meter tief zu bohren, den Boden auf<br />
bis zu 350 Grad Celsius zu erhitzen und<br />
die dabei freigesetzten Gase und organischen<br />
Stoffe an die Oberfläche zu pumpen,<br />
um sie zu Ölprodukten zu raffinieren. Dadurch<br />
wird diese historisch und landwirtschaftlich<br />
wichtige Region Umweltgefahren<br />
wie schwerer Wasserverschmutzung<br />
und der Freisetzung von noch mehr<br />
Treibhausgasen ausgesetzt.<br />
Das potenziell verheerende Vorhaben,<br />
hinter dem die Investoren Jacob Rothschild<br />
und Rupert Murdoch mit Anteilen<br />
von elf Milliarden Dollar an der 89-prozentigen<br />
IEI-Mutter Genie Oil and Gas<br />
stehen, hat den vollen Segen der Regierung.<br />
Das antiquierte israelische Ölgesetz<br />
von 1952 hat IEI eine Blanko-Vollmacht<br />
für eine Art von Ölförderung gegeben,<br />
um die die USA sorgfältig einen<br />
Bogen machen. Damit überlasse das Infrastrukturministerium<br />
einem Privatunternehmen<br />
die Region um das Tal von<br />
Elah quasi als »Versuchskaninchen zur<br />
Erprobung einer neuen, aggressiven Technologie«,<br />
kritisiert Amit Bracha, Geschäftsführer<br />
des israelischen Bundes zur<br />
Verteidigung der Umwelt.<br />
Unterdessen präsentierte Israel im November<br />
2010 einen nationalen Plan, wie<br />
innerhalb eines Jahrzehnts für 446 Millionen<br />
Euro die Treibhausemissionen um 22<br />
Millionen Tonnen Kohlendioxid gesenkt<br />
werden sollen. Aber die praktische Energiepolitik<br />
wirft einen dunklen Schatten auf<br />
diese angebliche Zusage. Vergangenes Jahr<br />
gewann Israel 43 Prozent seiner Energie aus<br />
Kohle und 37 Prozent aus Erdgas. Ungeachtet<br />
seines enormen Potenzials an sauberen<br />
Technologien und trotz seiner für die<br />
Entwicklung erneuerbarer Energien geeigneten<br />
Umweltbedingungen geht das Land<br />
fröhlich einer Zukunft aus Umweltverschmutzung,<br />
Boden- und Wasservergiftung<br />
entgegen – alles im Namen der Sicherheit.<br />
Die Rettung könnte in den Bürgern liegen.<br />
Aufgeklärte Israelis gehören zu den<br />
tüchtigsten Menschen der Welt, die trotz<br />
der Torheit ihrer Regierung an einem relativ<br />
vernünftigen Lebenswandel festhalten.<br />
Dank ihres starken Umweltbewusstseins<br />
ist zu erwarten, dass die Erzeugung<br />
erneuerbarer Energien in kleinem Maßstab<br />
weiter zunehmen wird. Aber die umfassende<br />
Einbeziehung der Erneuerbaren,<br />
die zur Abwehr der schlimmsten wirtschaftlichen,<br />
ökologischen und sozialen<br />
Folgen des Klimawandels nötig wäre, wird<br />
wohl ein frommer Wunsch bleiben.<br />
42 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
ENERGIE<br />
ALMANACH DER ENERGIEN<br />
Ein Liter Licht<br />
Es müssen nicht immer Solar-Großkraftwerke<br />
sein. Unser Kolumnist lenkt den Blick<br />
auf dezentrale nachhaltige Energielösungen<br />
Illustration: Matthias Töpfer<br />
Von Achmed A.W. Khammas<br />
Ein dezentraler<br />
Einsatz könnte<br />
die rein staatlichen<br />
Projekte schnell<br />
überflügeln<br />
Wenn von neuen oder nachhaltigen<br />
Energien in der arabischen<br />
Welt die Rede ist, denkt<br />
man meist nur an Solartechnik. Aufgrund<br />
der klimatischen Verhältnisse ist das verständlich.<br />
Doch es wäre kurzsichtig, den<br />
Blick ausschließlich auf Großprojekte wie<br />
die Pläne des Desertec-Konsortiums oder<br />
zentrale Solarthermie-Anlagen wie das<br />
jüngst eröffnete Kraftwerk Kuraymat in<br />
Ägypten zu richten. Denn ein dezentraler<br />
Einsatz vieler unterschiedlicher Technologien<br />
könnte in der Summe die rein staatlichen<br />
oder kommerziellen Projekte<br />
schnell und nachhaltig überflügeln.<br />
Solarkocher zum Beispiel können fast<br />
überall in Eigenregie hergestellt werden,<br />
und der Einwand, dass sie nur tagsüber<br />
funktionierten, ist längst obsolet. Sogenannte<br />
Scheffler-Reflektoren werden seit<br />
vielen Jahren in Verbindung mit Wärmespeichern<br />
aus Stein oder Metall eingesetzt,<br />
ohne dass die arabische Welt bislang davon<br />
erfahren hat. In der größten Solarküche<br />
der Welt im indischen Rajastan<br />
können täglich mehr als 35.000 Mahlzeiten<br />
für die Besucher eines Yoga-Zentrums<br />
gekocht werden, auch am Abend. Diese<br />
Technologie lässt sich ebenso im Kleinen<br />
einsetzen. Zudem schafft die lokale Herstellung<br />
Arbeitsplätze, senkt den Brennstoff-Bedarf<br />
und ist im Gegensatz zu anderen<br />
Kochmethoden rauch- und rückstandfrei.<br />
Ähnlich verhält es sich mit der solaren<br />
Wasserentsalzung. Auch für sie gibt es neben<br />
Systemen im Industriemaßstab eine<br />
Vielzahl von Klein- und Kleinsttechnologien,<br />
die eine dezentrale Versorgung von<br />
Familien oder Dorfgemeinschaften mit<br />
sauberem Süßwasser erlauben. Ein Beispiel<br />
ist der Watercone des Münchner Designers<br />
Stephan Augustin, eine Mini-Solardestille<br />
mit einem Durchmesser von 80<br />
Zentimetern, einer Lebensdauer von fünf<br />
Jahren und einem Ertrag von rund 1,5 Litern<br />
Trinkwasser pro Tag. Bei Messungen<br />
der GIZ hat sie einen Wirkungsgrad von<br />
40 Prozent erreicht. Bei einem Pilotprojekt<br />
im Jemen, in dessen Rahmen zehn<br />
Familien in einem Fischerdorf mit jeweils<br />
zehn Watercones ausgestattet wurden, entsprach<br />
die Wasserqualität den Normen<br />
der Weltgesundheitsorganisation. Nach<br />
Meinung der Nutzer schmeckte das solar<br />
aufbereitete Wasser sogar besser als in Flaschen<br />
gekauftes Trinkwasser.<br />
Zudem kommt die Technik ohne lange<br />
Transportwege für das Trinkwasser,<br />
ohne Müll in Form von Kunststoffflaschen<br />
und völlig ohne fossile Brennstoffe<br />
aus, die bislang fast überall die Energie<br />
für industrielle Wasserentsalzungsanlagen<br />
liefern.<br />
Apropos Kunststoffflaschen: Sie eignen<br />
sich gut als Selbstbau-Tageslichtsysteme<br />
für einfache Wohnhütten. Die Idee, die<br />
auf den brasilianischen Elektroingenieur<br />
Clivenor de Araujo Filho zurückgeht, ist<br />
unter dem Namen Liter of Light bekannt<br />
geworden. Dabei werden die transparenten<br />
Flaschen mit frischem Wasser und etwas<br />
Bleichmittel befüllt (um dem Algenwachstum<br />
im Inneren vorzubeugen), gut<br />
verschlossen und in Löcher in den Hüttendächern<br />
eingesetzt. Außen zur Hälfte<br />
dem Sonnenlicht ausgesetzt, geben sie so<br />
viel Licht wie eine 50-Watt-Glühbirne in<br />
den Raum ab, ohne Hitze mitzutransportieren.<br />
Im Laufe dieses Jahres will die<br />
MyShelter Foundation auf den Philippinen<br />
bis zu einer Million Hütten mit diesem<br />
fast kostenlosen Solarsystem ausrüsten,<br />
das völlig ohne Hochleistungsphotovoltaikzellen<br />
auskommt.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 43
ENERGIE<br />
LIBERIA: INVESTITIONSBEDARF<br />
Ein Vertreter eines Energieunternehmens<br />
war nicht dabei, als Anfang<br />
März eine deutsche Unternehmerdelegation<br />
nach Liberia reiste.<br />
Bedauerlicherweise, denn er hätte in dem<br />
westafrikanischen Land einiges an Investitionsbedarf<br />
entdecken können. In der<br />
Hauptstadt Monrovia sind nur 4.000<br />
Haushalte an das Stromnetz angeschlossen.<br />
Die übrigen Einwohner der Millionenstadt<br />
säßen abends im Dunkeln oder<br />
müssten sich mit Generatoren behelfen,<br />
deren Brummen überall in der Stadt zu<br />
hören sei, berichtet Lena Schwoerer vom<br />
Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft,<br />
die diese Reise organisierte. Der ärmere<br />
Teil der Bevölkerung deckt seinen Energiebedarf<br />
größtenteils mit Holzkohle.<br />
Noch unzureichender ist die Stromversorgung<br />
außerhalb Monrovias.<br />
Auf der Straße nach Buchanan, einer<br />
Küstenstadt mit Containerhafen, in welcher<br />
der Stahlkonzern Arcelor Mittal ein<br />
Containerterminal für seine Eisenerzexporte<br />
betreibt, gibt es für die Delegation<br />
vor allem unberührte Natur und ein paar<br />
Lehmhütten zu sehen, außerdem die kürzlich<br />
von den Chinesen neu geteerte Straßen.<br />
Ansonsten ist keine Infrastruktur vorhanden.<br />
Buchanan selbst bietet dagegen<br />
großes Potenzial.<br />
Neben Arcelor Mittal lagert das Unternehmen<br />
Buchanan Renewables seine Exportware<br />
dort. Gegründet 2007 und mittlerweile<br />
von dem Schweizer Investor Pamoja<br />
Capital übernommen, verarbeitet<br />
Buchanan alte oder im Krieg zerstörte<br />
Kautschukbäume zu Holzschnitzeln, die es<br />
als Biomasse zum Verfeuern vermarktet.<br />
In Deutschland erregte 2010 die Mittei-<br />
Infrastruktur mit Ausbaubedarf: Liberias Hauptstadt Monrovia.<br />
Kautschuk-<br />
Schnitzel für<br />
Vattenfall<br />
Liberia hofft auf einen ähnlichen Erdöl-<br />
Boom wie andere Länder in Westafrika.<br />
Der dringend benötigte Aufbau der Energie-<br />
Infrastruktur kann darauf nicht warten,<br />
doch er kommt nur schleppend voran<br />
Von Romy Rösner<br />
Foto: Erik Hersman / lizensiert gemäß Creative Commons Attribution 2.0 Generic<br />
44 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
ENERGIE<br />
Bis der Staudamm wieder Strom<br />
liefert, könnte es noch viele Jahre dauern<br />
lung des Versorgers Vattenfall Aufsehen,<br />
die Schnitzel aus Liberia für seine Kraftwerke<br />
in Europa zu importieren: Liberianisches<br />
Holz als Beitrag zur deutschen<br />
Energiewende, so warben die Schweden.<br />
Umweltschützer kritisierten das Vorhaben<br />
als absurd. Doch der Vertrag steht, so<br />
dass Vattenfall nun Mitinvestor bei Buchanan<br />
Renewables ist.<br />
Für die Liberianer hat das einen negativen<br />
Nebeneffekt: Holzkohle für die eigene<br />
Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren<br />
massiv teurer geworden, weil viele der alten<br />
Kautschukbäume exportiert werden.<br />
Dennoch räumten selbst Energieexperten<br />
der Umweltschutzorganisation<br />
BUND in einer Stellungnahme ein, die<br />
Holzausfuhr könne »für das bürgerkriegsgeschädigte<br />
Liberia eine Chance darstellen«.<br />
Die Exporte brächten dem Land<br />
wichtige Einnahmen für seine wirtschaftliche<br />
Entwicklung. Außerdem habe für Liberia<br />
erklärtermaßen die Entwicklung einer<br />
»nachhaltigen energetischen Nutzung<br />
alter Kautschukbäume im eigenen Land<br />
Priorität«.<br />
Zu diesem Zweck schloss Buchanan Renewables<br />
mit der Regierung in Monrovia<br />
ein Abkommen über den Bau zweier<br />
Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt<br />
36 Megawatt. Die liberianische Zeitung<br />
Daily Observer kritisierte allerdings<br />
im Februar, der Bau habe noch immer<br />
nicht begonnen – obwohl der erste Strom<br />
schon 2010 hätte produziert werden sollen.<br />
In der Presse wird Buchanan Renewables<br />
vorgeworfen, die insgesamt 149<br />
Millionen Dollar teuren Kraftwerke überhaupt<br />
nicht bauen zu wollen. Die deutschen<br />
Besucher zumindest sahen bei ihrem<br />
Rundgang auf dem Gelände am Hafen,<br />
auf dem auch das Kraftwerk entstehen<br />
soll, nur die Holzschnitzel für den Export,<br />
aber keine Anzeichen für einen baldigen<br />
Baubeginn.<br />
Als weiteres wichtiges Energieprojekt<br />
ist die Wiederbelebung des Mount-Coffee-<br />
Staudamms geplant. Die Kosten für die<br />
Restaurierung des in den 1960er Jahren<br />
gebauten Damms werden auf mehr als<br />
300 Millionen Dollar geschätzt. Bis 1990<br />
hatte er 64 Megawatt Strom geliefert, im<br />
Bürgerkrieg wurden jedoch alle Generatoren<br />
zerstört. Die Aufträge sollen bald<br />
ausgeschrieben werden.<br />
Bis der Staudamm wieder Strom in die<br />
Städte liefern könne, werde es aber noch<br />
viele Jahre dauern, meint ein westlicher<br />
Diplomat in Monrovia. Schließlich müssten<br />
sämtliche Maschinen, Baustoffe und<br />
auch die nötigen Kenntnisse für die<br />
Wiederinbetriebnahme des Staudamms<br />
sowie den Bau neuer Stromleitungen erst<br />
importiert werden – was angesichts einer<br />
behäbigen Bürokratie ein langer Prozess<br />
werden dürfte. Auch die Ausbildung neuer<br />
Techniker für Betrieb und Wartung der<br />
Anlagen sei nicht kurzfristig zu gewährleisten.<br />
Vor einem Jahr reihte sich Ghana in die<br />
Riege der Erdöl produzierenden Länder<br />
Westafrikas ein. Nun hofft auch Liberia<br />
auf einen Ölboom und die damit einhergehenden<br />
Milliardeneinnahmen. Im Land<br />
aktive Unternehmen wie African Petro-<br />
leum und Chevron prophezeien große Vorkommen<br />
bester Qualität. »Wir wissen<br />
noch nicht, wie viel Öl sich auf unserem<br />
Staatsgebiet befindet, aber wir sind optimistisch«,<br />
sagt Randolph McClain, der<br />
Chef der nationalen Ölgesellschaft Nocal.<br />
Erste Bohrungen des US-Konkurrenten<br />
Anadarko verliefen allerdings so enttäuschend,<br />
dass das Unternehmen seine Erkundungen<br />
mittlerweile vor die Küste<br />
Sierra Leones verlagerte.<br />
Die liberianische Regierung ist sich der<br />
Bedeutung des Themas für die wirtschaftliche<br />
Entwicklung des Landes bewusst.<br />
Wenn sich das Land nachhaltig<br />
entwickeln wolle, müsse die Energie-Infrastruktur<br />
ausgebaut werden, betonte<br />
der ehemalige Vize-Industrieminister Frederick<br />
B. Norkeh im Gespräch mit den<br />
Deutschen. Potenzial habe das kleine<br />
Land mit den reichen Rohstoffvorkommen.<br />
Tatsächlich bietet Liberia neben<br />
fruchtbaren, landwirtschaftlich gut nutzbaren<br />
Böden und Kautschukplantagen<br />
große Mengen Eisenerz, aber auch Gold,<br />
Diamanten, Mangan und Columbit in<br />
wirtschaftlich abbauwürdigen Mengen.<br />
Investitionschancen gibt es auch beim<br />
Wiederaufbau von Verkehrsinfrastruktur,<br />
Gesundheitswesen und Telekommunikation.<br />
Und unter der im Herbst<br />
wiedergewählten »Eisernen Lady Afrikas«,<br />
Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf,<br />
bietet es Investoren nach langer Zeit auch<br />
wieder politische Stabilität.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 45
KONSUM<br />
WESTAFRIKA: TELEKOMMUNIKATION<br />
Nicht ohne mein Nokia<br />
Afrika ist der am schnellsten wachsende<br />
Mobilfunk-Markt der Welt. Heimische und<br />
regionale Anbieter dominieren den Wettbewerb –<br />
und wecken den Appetit der globalen Player<br />
Von Björn Zimprich<br />
Issatou Sisse hat mit ihren 73 Jahren<br />
schon einiges an Modeerscheinungen<br />
kommen und gehen sehen in ihrer<br />
Heimat Basse, einer kleinen Provinzstadt<br />
am Gambia-Fluss. Zu den Dingen,<br />
auf die Sisse auf ihre alten Tage nicht mehr<br />
verzichten möchte, gehört ihr Nokia 1100.<br />
Einfach, robust und völlig ausreichend<br />
zum Telefonieren, hat es das seit 2003 erhältliche<br />
Modell nicht zuletzt dank seiner<br />
Beliebtheit in Entwicklungsländern zum<br />
meistverkauften Handy der Welt gebracht.<br />
Auch ist ein funktionsfähiges Mobilfunkgerät<br />
im ländlichen Afrika ein Statussymbol.<br />
Sisse trägt ihres immer stolz in<br />
der Hand. Sie hat es von ihrem Sohn bekommen,<br />
der sie täglich aus der Hauptstadt<br />
Banjul anruft.<br />
Die Mobilfunkrevolution hat die Weiten<br />
des afrikanischen Kontinents erreicht.<br />
Ein flächendeckendes<br />
Festnetz<br />
gibt es in weiten<br />
Teilen Afrikas nicht<br />
Die Netze reichen bis in entlegene Kleinstädte<br />
wie das gambische Basse. Vergangenen<br />
September überholte die Zahl der<br />
Handynutzer in Afrika diejenige in Südamerika.<br />
Mittlerweile gibt es mehr als 620<br />
Millionen Mobilfunkanschlüsse. Afrika ist<br />
damit hinter Asien der zweitgrößte Mobilfunkmarkt<br />
der Welt – und der am<br />
schnellsten wachsende.<br />
Dabei sind die meisten Länder Afrikas<br />
sonst nicht gerade für ihre funktionierende<br />
Infrastruktur bekannt. Ein funktionierendes<br />
Postsystem: Fehlanzeige.<br />
Strom: nur in größeren Städten. Sauberes<br />
Trinkwasser: Mangelware. Doch gerade<br />
dieser Nachholbedarf erklärt den Mobilfunkboom.<br />
Denn ein flächendeckendes<br />
Telefonfestnetz gibt es in weiten Teilen<br />
Afrikas nicht, und aufgrund der hohen<br />
Investitionen, die für den Aufbau der entsprechenden<br />
Infrastruktur nötig wären,<br />
ist auch künftig nicht damit zu rechnen.<br />
Mobilfunk-Sendemasten dagegen lassen<br />
sich mit wenig Aufwand in jeder Kleinstadt<br />
aufstellen; die benötigte Stromversorgung<br />
sichert im Zweifelsfall eine kleine<br />
Photovoltaikanlage. Deshalb überspringt<br />
die technische Entwicklung im<br />
ländlichen Afrika gleich mehrere Schritte.<br />
Es klingelt, summt und simst am laufenden<br />
Band südlich der Sahara.<br />
Fatim Badjie von der Universität Manchester<br />
hat 2010 die Mobilfunk-Nutzung<br />
in Gambia genauer unter die Lupe genommen.<br />
Demnach verwenden 39 Prozent<br />
der Menschen dort ihr Handy 50<br />
Mal oder öfter am Tag. 2009 kamen in<br />
Gambia laut Schätzung der Internationalen<br />
Fernmeldeunion 84 Mobilfunkverträge<br />
auf 100 Einwohner; seitdem<br />
dürfte diese Zahl weiter gestiegen sein.<br />
Mit 1,7 Millionen Einwohnern ist der<br />
Markt zwar insgesamt überschaubar,<br />
aber offensichtlich attraktiv genug, um<br />
den Wettbewerb anzuziehen. Vier Anbieter<br />
wetteifern um die Gunst der Kunden<br />
am Gambia-Fluss: die halbstaatliche<br />
Gesellschaft Gamcell, der private heimische<br />
Konkurrent Q-Cell sowie Africell<br />
und Comium, deren jeweilige Muttergesellschaften<br />
Lintel Holding und Comium<br />
Group im Libanon sitzen.<br />
Von den privaten Anbietern ist Africell<br />
am längsten etabliert. Seit 2001 ist das<br />
Unternehmen in Gambia aktiv und erreichte<br />
Ende des vergangenen Jahres nach<br />
46 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
KONSUM<br />
Bildquelle: Sixième Sens / http://agence6sens.fr (4.4.2012)<br />
Mobilfunk für alle: Werbekampagne des Anbieters Comium<br />
für das frankophone Westafrika.<br />
eigenen Angaben 60 Prozent Marktanteil.<br />
Stolz präsentiert Marketing-Managerin<br />
Fatima Deeb die Wachstumskurven: »Seit<br />
Mitte 2006 sind wir Marktführer und haben<br />
heute 800.000 aktive Nutzer. Zwischen<br />
2006 und 2008 haben wir unseren Kundenstamm<br />
jährlich verdoppelt.« Mit seinem<br />
frühen Start hat das Unternehmen es<br />
geschafft, die Boomjahre von 2006 bis<br />
2010 mitzunehmen, in denen der afrikanische<br />
Mobilfunkmarkt von 201 Millionen<br />
auf 552 Millionen Anschlüsse wuchs.<br />
Mit einer Mischung aus günstigen Einstiegsangeboten,<br />
guten Beziehungen zu<br />
den Zwischenhändlern, flächendeckender<br />
Werbung und sozialem Engagement versucht<br />
Africell, auf den Märkten Afrikas zu<br />
bestehen. »Man muss nah am Kunden<br />
sein«, sagt Deeb. »Wir engagieren uns seit<br />
Jahren im Sport, sponsern Fußball in<br />
Gambia. Das schätzen die Menschen.«<br />
Aber die Konkurrenz schläft nicht. Seit<br />
2007 kamen mit Comium und Q-Cell<br />
gleich zwei neue private Anbieter auf den<br />
Markt, die nun aggressiv um Marktanteile<br />
kämpfen. Q-Cell etwa geht mit kostenlosen<br />
Anrufen am Wochenende auf Kundenfang.<br />
Comium rühmt sich, als erster<br />
Kräftige<br />
Wachstumsraten<br />
stehen einer<br />
sehr begrenzten<br />
Kaufkraft<br />
gegenüber<br />
Anbieter für jedermann erschwingliche<br />
Prepaid-Karten angeboten zu haben. Die<br />
günstigsten kosten 25 Dalasi, also rund<br />
0,60 Euro-Cent. Solche Angebote sind<br />
ganz auf die Konsumenten in Afrika zugeschnitten,<br />
wo 95 Prozent aller Handys<br />
mit den im Voraus bezahlten Guthabenkarten<br />
betrieben werden.<br />
Die kämpferischen Angebote zeigen jedoch<br />
auch, wo die Herausforderungen des<br />
afrikanischen Marktes liegen. Eine riesige<br />
Zahl potenzieller Kunden und kräftige<br />
Wachstumsraten während der Markterschließung<br />
stehen einer sehr begrenzten<br />
Kaufkraft gegenüber. Die Minutenpreise<br />
liegen zwischen zwei und drei Dalasi, also<br />
bei fünf bis sieben Cent. Eine 25-Da-<br />
lasi-Karte reicht folglich für gerade einmal<br />
zehn Minuten: Bei einem Pro-Kopf-Einkommen<br />
von 320 Dollar im Jahr etwa in<br />
Gambia sind der Kaufkraft klare Grenzen<br />
gesetzt.<br />
Dennoch sind die afrikanischen Kunden<br />
anspruchsvoll. Moniert wird insbesondere<br />
der schlechte Empfang in abgelegenen<br />
Gebieten. So gaben in der Studie<br />
der Universität Manchester 42 Prozent der<br />
Befragten an, in abgelegenen Gebieten<br />
überhaupt kein Netz zu haben. Zudem sei<br />
selbst an zentralen Orten das Signal nicht<br />
durchgängig gewährleistet. Entsprechend<br />
wird jede neu installierte Funkantenne<br />
von den Anbietern werbewirksam gefeiert.<br />
Längst haben auch die globalen Mobilfunk-Konzerne<br />
Afrika im Visier. So<br />
kaufte Vodafone 2008 von der Regierung<br />
Ghanas für 900 Millionen Dollar einen<br />
70-Prozent-Anteil der Ghana Telecom.Anfang<br />
2011 hatte das Unternehmen, das<br />
nun als Vodafone Ghana firmiert, schon<br />
drei Millionen Mobilfunkkunden. Im selben<br />
Geschäftsjahr wuchs der Vorsteuergewinn<br />
dort um 21 Prozent.<br />
Von einer flächendeckenden Präsenz<br />
westlicher Konzerne kann in Westafrika<br />
allerdings noch keine Rede sein. Zu klein<br />
sind die meisten Märkte, um für Manager<br />
in New York oder London wirklich<br />
interessant zu sein. Zudem werden immer<br />
wieder Intransparenz der Regulierungsbehörden,<br />
aber auch Vorteilsnahme, unklare<br />
Regeln für ausländische Beteiligungen<br />
und eine ineffiziente Verwaltung<br />
als Hindernisse für ausländische Investoren<br />
beklagt.<br />
Auch in Basse am Gambia-Fluss ist<br />
noch nichts über Pläne von Vodafone und<br />
Co bekannt, eigene Sendemasten zu errichten;<br />
Issatou Sisse hat die Namen solcher<br />
globalen Mobilfunkkonzern noch nie<br />
gehört. Ihre Freude am Handy trübt das<br />
nicht. Die regionalen Anbieter reißen sich<br />
ja jetzt schon um Kunden wie sie.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 47
LUXUS<br />
Die Kunststiftungspräsidentin arbeitet auch selbst als<br />
Künstlerin, ihre Bilder sind in einer Düsseldorfer Galerie zu sehen.<br />
Hier: Hoor al-Qasimi: Untitled 1 / 2010.<br />
VAE: KUNSTMARKT<br />
Ist das Kunst oder<br />
kann das weg<br />
Mit Geschick hat Hoor al-Qasimi das<br />
konservative Emirat Sharjah zur Bühne für<br />
zeitgenössische Kunst gemacht. Nun<br />
hat sie ein Problem<br />
Von Sven Hirschler<br />
Blut klebt auf den Treppen des Bait<br />
Al Serkal. Es fließt in den Innenhof<br />
des ehemaligen Krankenhauses<br />
und verläuft sich über den abgetretenen<br />
Pflastersteinen, bildet filigrane Muster,<br />
Blüten und Blattwerk, verschwindet im<br />
Gully in der Hofmitte. Kinder spielen im<br />
Hof, Frauen sitzen auf den Stufen, die<br />
Sonnenbrille hält das Haar zurück. Männer<br />
in knöchellangen weißen Baumwollgewändern<br />
stehen plaudernd in kleinen<br />
Gruppen herum.<br />
Willkommen bei der Sharjah-Biennale<br />
für zeitgenössische Kunst, dem Tor des Nahen<br />
Ostens zur künstlerischen Moderne,<br />
weltweit anerkannt und gefeiert. Im März<br />
2011 wird »Blessings upon the Land of my<br />
Love«, die aus Kunstblut gestaltete großflächige<br />
Installation des Pakistaners Imram<br />
Qureshi, als Gewinnerin der Kunstschau<br />
ausgezeichnet. Doch da dominiert längst<br />
die plötzliche Entlassung des langjährigen<br />
Biennale-Direktors Jack Persekian die internationalen<br />
Kulturschlagzeilen. Ein Proteststurm<br />
erhebt sich im Internet, Kunstmagazine<br />
boykottieren die Schau. Gut ein Jahr<br />
später bleibt abzuwarten, ob sie ihre bislang<br />
größte Krise überwunden hat.<br />
Die zehnte Sharjah-Biennale im vergangenen<br />
Frühjahr hätte ein genialer,<br />
wenn auch ungeplanter Mediencoup werden<br />
können: Während ringsherum der<br />
Arabische Frühling Potentaten hinwegfegte,<br />
untermauerte das sonst wenig beachtete<br />
Nachbaremirat Dubais seinen Ruf<br />
als feste Größe im globalen Kulturbetrieb,<br />
als Hort der Kunstfreiheit und des Experimentierens.<br />
Sharjah, das »Schaufenster<br />
der internationalen Kunst« (arte), die »bedeutendste<br />
Kunstschau im Nahen Osten«<br />
(New York Times). Das Magazin Art Review<br />
hat Scheicha Hoor al-Qasimi, die Tochter<br />
48 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
LUXUS<br />
»Ich war inspiriert von<br />
der documenta 11«<br />
des Emirs von Sharjah und Präsidentin<br />
der ausrichtenden Sharjah Art Foundation,<br />
schon einmal auf die Liste der hundert<br />
einflussreichsten Menschen im Kunstgeschäft<br />
gesetzt.<br />
Doch anstatt in Ruhe die Früchte jahrelanger<br />
Arbeit zu genießen, muss Qasimi<br />
Krisenmanagement betreiben und sich<br />
die Negativschlagzeilen mit Persekian teilen,<br />
den sie noch während der Biennale<br />
vor die Tür gesetzt hat. Persekian hatte<br />
ein Werk des Algeriers Mustafa Bendofil<br />
zugelassen, das »sexuell explizite Sprache<br />
auf offene und provokative Art mit religiösen<br />
Bezügen verband«, wie die Stiftungspräsidentin<br />
es ausdrückte.<br />
Nun musste sich Qasimi den Vorwurf<br />
der Zensur gefallen lassen – denkbar<br />
schlechte Presse in Zeiten, in denen der<br />
weltweite Kunstmarkt nach der Krise von<br />
2009 um 36 Prozent auf 46 Milliarden Euro<br />
angezogen hat, die wachsende Zahl von<br />
Kunsttouristen nicht eingerechnet. Am<br />
Ende könnte Sharjah deshalb auch wirtschaftlich<br />
der eigentliche Verlierer sein.<br />
Denn zwischen den einzelnen Emiraten<br />
ist ein Wettrennen um einen guten Platz<br />
auf diesem weltweiten Markt entbrannt.<br />
Kaum eine internationale Galerie kommt<br />
noch ohne Niederlassung in Dubai aus.<br />
Abu Dhabi lässt sich von Stararchitekten<br />
Ableger der berühmtesten Museen in den<br />
Wüstensand bauen.<br />
Sharjah ging bislang eigene Wege. 1993<br />
rief es seine Biennale ins Leben, 1998 war<br />
Sharjah-Stadt Unesco-Kulturhauptstadt<br />
der arabischen Welt. Als einziges der sieben<br />
Vereinigten Arabischen Emirate baute<br />
Sharjah ein Museum für islamische<br />
Kunst. Während Abu Dhabi wahrscheinlich<br />
mehr als eine Milliarde Dollar für seine<br />
Louvre-Filiale ausgibt, fördert Hoor al-<br />
Qasimi einheimische Nachwuchstalente<br />
und verschafft ihnen internationale Aufmerksamkeit.<br />
Für Sharjah gehöre<br />
es zum guten Ton, Museen zu<br />
stiften, die behutsam den Spagat<br />
zwischen Tradition und Moderne<br />
versuchten, sagt die Kuratorin einer<br />
Kunstmesse.<br />
Niemand verkörpert diesen Spagat besser<br />
als Qasimi selbst. 2002 übernahm sie<br />
die Leitung der Biennale und wagte den<br />
Schritt von der bis dahin dominierenden<br />
figurativen Malerei zur zeitgenössischen,<br />
kritischen Kunst. »Mein Vater hatte als<br />
Vorbild die Biennale Kairo. Ich war inspiriert<br />
von der documenta 11 in Kassel«,<br />
beschrieb die 1980 geborene Herrschertochter,<br />
die in London Kunst studiert hat,<br />
einmal ihr Selbstverständnis. Ihre Fotografien<br />
hängen in einer Düsseldorfer Galerie.<br />
»Ausländer denken oft, dass die Araber<br />
am Golf moderne Kunst mögen, weil<br />
sie prestigeträchtig mit dem Rest der Welt<br />
verbunden sei, nicht weil sie diese verstehen«,<br />
sagt Abdal Hakim Murad von der<br />
Universität Cambridge. »Die Emiratis sind<br />
nicht so naiv. Viele von ihnen finden moderne<br />
Kunst interessant, weil sie ein Fenster<br />
zur Seele des Westens ist, mit dem sie<br />
sich arrangieren müssen.«<br />
Elf Monate nach dem Skandal um die<br />
Entlassung Persekians stellte Qasimi beim<br />
diesjährigen März-Treffen, dem jährlichen<br />
Kongress der Sharjah Art Foundation, die<br />
mittlerweile als dessen Nachfolgerin benannte<br />
Yoko Hasegawa der heimischen Öffentlichkeit<br />
vor. Mit der Direktorin des<br />
Museums für Zeitgenössische Kunst in Tokio<br />
hat die Prinzessin eine konservative<br />
Kuratorin für die nächste Biennale gewählt.<br />
In sorgfältig gestreuten Interviews betonte<br />
Hasegawa, wie sehr sie die Traditionen<br />
Sharjahs respektiere. Ihr Konzept für die<br />
Sharjah-Biennale im März 2013 stellt die<br />
Kritik am Eurozentrismus in den Mittelpunkt.<br />
Glaubwürdigkeit und Authentizität<br />
– zentrale Werte, ohne die eine international<br />
anerkannte Museums- und Kunstlandschaft<br />
in den Vereinigten Arabischen<br />
Emiraten nicht funktionieren wird.<br />
<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 49
DER SEKRETÄR<br />
Foto: DP World<br />
LETZTE MELDUNGEN<br />
Keine zivile Einmischung<br />
VORSCHAU AUF DAS NÄCHSTE HEFT<br />
Handeln über Bande<br />
Geschäfte trotz Iran-Sanktionen<br />
IHRE TERMINE<br />
Qatar Transport<br />
28. bis 31. Mai, Doha, Katar<br />
»Zeit, dass sich was dreht« war die<br />
nicht sehr erfolgreiche Hymne zur<br />
Fußball-WM 2006 in Deutschland.<br />
Besser passt der Grönemeyer-Song<br />
zur geplanten Weltmeisterschaft<br />
2022 in Katar, schließlich soll dort<br />
bis dahin ein milliardenschweres<br />
Eisenbahn- und Metronetz gebaut<br />
werden. Wie viel sich schon dreht,<br />
erfahren Sie auf dieser Messe.<br />
www.qatartransportconference.com<br />
Iraq Medicare<br />
29. bis 31. Mai, Erbil, Irak<br />
Immer wieder Erbil. Während Geschäftsreisenden<br />
für die Strecke<br />
Flughafen Bagdad–Grüne Zone noch<br />
immer gepanzerte Wagen empfohlen<br />
werden, bietet die Provinz Nordirak<br />
schon ein zivileres Umfeld. Damit will<br />
der Irak nun zum dritten Mal internationale<br />
Medizintechniker und Krankenhausbetreiber<br />
anziehen.<br />
www.iraqmedicare.com<br />
Project Lebanon<br />
5. bis 8. Juni, Beirut, Libanon<br />
Schwaben können dank dieser Baumesse<br />
nicht nur Berlin, sondern auch<br />
Beirut gentrifizieren. Helfen Sie dem<br />
Hariri-Familienunternehmen Solidere,<br />
die alte Bausubstanz der libanesischen<br />
Hauptstadt in glitzernde Wolkenkratzer<br />
zu verwandeln. Auch die nahen Hänge<br />
des Libanon-Gebirges laden zum Planen<br />
ein; Zedern stehen dort schließlich<br />
schon lange nicht mehr.<br />
www.projectlebanon.com<br />
Power-Gen Europe<br />
12. bis 14. Juni, Köln<br />
In diesem Jahr öffnet die Energie-<br />
Wandermesse ihre Türen in Köln –<br />
einschließlich einer zeitgleichen<br />
Partnerveranstaltung einzig zur Kernenergie.<br />
Hier darf Siemens sogar<br />
offen zugeben, wie gerne man –<br />
Areva-Ausstieg hin oder her – beim<br />
saudischen Atomprogramm mitmischen<br />
würde. Daneben gibt es die<br />
neuesten Trends für Turbinentechnik<br />
und intelligente Stromnetze.<br />
www.powergeneurope.com<br />
Wirtschaftstag Naher<br />
und Mittlerer Osten<br />
11. Juli, Düsseldorf<br />
Die Fachtagung des Nah- und Mittelostvereins<br />
geht in eine neue Staffel.<br />
Aber warum spricht der Einladungstext<br />
von »positiven Aussichten fur 2011«<br />
Die Jahreszahlen sind nach dem arabischen<br />
Frühling wohl alles andere als<br />
austauschbar. Aber man geht dennoch<br />
gerne hin – die Gastgeberin gilt<br />
schließlich als besonders taktvoll und<br />
charmant.<br />
www.numov.org<br />
DAG-Sommerfest<br />
3. bis 5. August, Düsseldorf<br />
Die Deutsch-Arabische Gesellschaft<br />
lädt – im Nachdenkmonat Ramadan –<br />
zu alljährlichem Networking und Strategieplanung<br />
an den Rhein. Saudische<br />
Prinzen, libysche Revolutionäre und<br />
DAG-Präsident Scholl-Latour sind mit<br />
von der Partie.<br />
www.d-a-g.org<br />
!<br />
Normalerweise hält sich die ägyptische Armee bedeckt,<br />
was ihre unternehmerischen Aktivitäten angeht.<br />
Nachdem jedoch nicht nur Aktivisten, sondern<br />
auch Parlamentsabgeordnete immer lauter forderten,<br />
die Eigentumsverhältnisse der Militärfirmen<br />
offenzulegen und diese in zivile Hände zu übergeben,<br />
platzte Vize-Verteidigungsminister Mahmoud<br />
Nasr nun der Kragen.<br />
»Wir werden niemandem eine Einmischung in<br />
die geschäftlichen Angelegenheiten der Streitkräfte<br />
erlauben«, kündigte er an und betonte, seit Anfang<br />
2011 habe die Armee den ägyptischen Staat<br />
mit zwei Milliarden Dollar unterstützt.<br />
Nach Mumbai mit der Bahn<br />
Die Deutsche Bahn will den indischen Markt erobern.<br />
Ein Vorvertrag zwischen DB und Indian Railways<br />
stehe kurz vor der Unterzeichnung, erklärte<br />
die Regierung in Neu-Delhi nach einem Besuch von<br />
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Man wolle<br />
die Kooperation auf allen Ebenen ausweiten. Ramsauers<br />
Ministerium und die Bahn-Logistiktochter<br />
DB Schenker halten sich noch bedeckt: »Kein Kommentar.«<br />
Anders die indische Botschaft: Es sei nur<br />
noch etwas Feintuning auf deutscher Seite nötig –<br />
alles eine Frage von Wochen. Ob es sich um große<br />
Investitionen handle »Ja.«<br />
Royals inklusive<br />
Der saudische König Abdullah hat die Finanzmarktaufsicht<br />
angewiesen, gegen Manipulationen<br />
auf dem derzeit boomenden Aktienmarkt des Königreichs<br />
durchzugreifen. Mit der Rückkehr der Investoren<br />
seien auch erneut Unregelmäßigkeiten auf<br />
dem Markt zu verzeichnen. Diese müssten untersucht<br />
und die Schuldigen bestraft werden, entnahm<br />
die Zeitung Al-Sharq aus einem Telegramm des Königs<br />
an den Chef der Behörde. Ausdrücklich forderte<br />
Abdullah demnach, auch gegen betroffene Mitglieder<br />
des Königshauses zu ermitteln – und sie falls nötig<br />
vor Gericht zu bringen.<br />
50 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012
Edition 2012<br />
Research.<br />
Analysis.<br />
Facts.<br />
zenith Edition – The international<br />
compendium for experts<br />
Order<br />
per mail: order@zenithonline.de<br />
per fax: +49 (0)30 39 835 188 5<br />
Online: www.zenithonline.de<br />
ISBN 978-3-943737-00-4, price EUR 49,80<br />
Deutscher Levante Verlag
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Research.<br />
Analysis.<br />
Facts.<br />
zenith Edition – The international<br />
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Online: www.zenithonline.de<br />
ISBN 978-3-943737-00-4, price EUR 49,80<br />
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