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Mai/Juni 2012<br />

<strong>BusinessReport</strong><br />

Afrika, Naher Osten und Zentralasien<br />

Der Araberund<br />

Bauernstaat<br />

Wie Katar<br />

die Wüste urbar<br />

machen will<br />

Schweizer Konten<br />

WAS AUS DEN VERMÖGEN MUBARAKS UND BEN ALIS WIRD<br />

Notfälle aus Libyen<br />

DAS GESCHÄFT MIT DEN VERWUNDETEN<br />

Schlacht um Prepaid-Kunden<br />

MOBILFUNK-MARKT WESTAFRIKA<br />

ISSN 2193-0333 CHF 8,50 I USD 8,50 I GBP 5,20 I AED 32,00 I TRY 16,00 I KZT 1.400,00 I Euro 5,80<br />

IRAKS MINISTER<br />

FÜR GESUNDHEIT<br />

JAMEEL<br />

IM INTERVIEW<br />

»Herz-OP<br />

für<br />

40 Cent«


EDITORIAL<br />

Titelillustration: Lesprenger<br />

Sicherheit ist ein Dauerthema im Nahen Osten. Kaum ist die Revolution in<br />

Libyen etwas tiefer gerutscht auf der internationalen Agenda, hat auch schon<br />

Syrien den Spitzenplatz abonniert. Doch für die Staaten der Region hat Sicherheit<br />

noch ganz andere Dimensionen. Eine davon ist der Zugang zu Nahrungsmitteln,<br />

den nicht zuletzt Wüstenstaaten als keineswegs gesichert betrachten. Damit ihr<br />

Wohlstand trotzdem nicht auf Sand gebaut ist, scheuen sie keine Mühen, um diesen<br />

Mangel zu beheben. Welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gilt, erläutert<br />

der Leiter von Katars Nationalem Programm für Nahrungsmittelsicherheit im großen<br />

zenith-Interview (Seite 14).<br />

Dass für viele Libyer der eigentlich beendete Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei<br />

ist, überrascht kaum angesichts der Gewalt, von der die letzten Zuckungen des Gaddafi-Regimes<br />

begleitet waren. Am schwersten tragen diejenigen, die in den Kämpfen<br />

verletzt wurden. Doch vielen bereiten nicht nur körperliche Verletzungen Pein.<br />

Die Behandlung im Ausland, die ihnen eigentlich schnelle und professionelle medizinische<br />

Betreuung sichern sollte, endete für manche der Verletzten im organisatorischen<br />

Chaos. Wer daran wie viel verdient hat, ist schwer zu durchschauen. Ein<br />

zenith-Reporter hat eine Schneise in das Dickicht des Millionengeschäfts geschlagen<br />

(Seite 28).<br />

Auch in Tunesien sind die Folgen der Revolution noch nicht ausgestanden. Korruption<br />

und Günstlingswirtschaft des alten Regimes werden die Justiz noch eine<br />

ganze Weile beschäftigen – wenn die Regierung nicht vorher die Notbremse zieht.<br />

Denn mittlerweile werden Forderungen laut, einen Schlussstrich unter die noch laufenden<br />

Verfahren gegen viele Unternehmer zu ziehen, um eine wirtschaftliche Lähmung<br />

des Landes zu verhindern (Seite 20).<br />

Im Irak ist das alte Regime zwar schon länger Vergangenheit, aber der Wiederaufbau<br />

ist weiterhin eine Hauptaufgabe. Im Gesundheitswesen etwa sind die Folgen von<br />

Diktatur und Krieg noch unübersehbar. Im zenith-Interview skizziert Gesundheitsminister<br />

Majeed Hamad Amin Jameel, wie er das System neu aufbauen will (Seite 32).<br />

Die Energiewende ist nicht nur in Deutschland ein Streitthema. Auch Israel hat<br />

hochfliegende Pläne – und wird ihnen in der Realität nicht gerecht, findet unsere<br />

Kommentatorin (Seite 41). Wir erklären, warum es in Liberia trotz des erhofften Erdöl-Booms<br />

an allen Ecken und Enden an der Energieversorgung mangelt (Seite 44).<br />

Und wie die arabische Welt ganz ohne Megaprojekte erneuerbaren Energieträgern<br />

zum Durchbruch verhelfen könnte, zeigen wir künftig regelmäßig in unserer Kolumne<br />

»Almanach der Energien« auf – in der ersten Folge: Solarkocher, Wasserentsalzung<br />

mit Sonnenkraft und Selbstbau-Tageslichtsysteme (Seite 43).<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 03


INHALT<br />

IMPRESSUM<br />

Deutscher Levante Verlag GmbH<br />

Chausseestraße 11<br />

10115 Berlin<br />

Telefon: +49.30.3983.5188-0<br />

E-Mail: info@levante-verlag.de<br />

Online: www.zenithonline.de<br />

CHEFREDAKTEUR:<br />

Daniel Gerlach<br />

REDAKTIONSLEITUNG:<br />

Christoph Dreyer<br />

CHEF VOM DIENST:<br />

Marcus Mohr<br />

REDAKTION:<br />

Robert Chatterjee, Nils Metzger<br />

AUTOREN UND KORRESPONDENTEN:<br />

Sven Hirschler, Achmed A.W. Khammas,<br />

Mohamed Khodeir, Tafline Laylin,<br />

Simona Pfister, Frederik Richter,<br />

Romy Rösner, Sara Winter Sayilir,<br />

Björn Zimprich<br />

ILLUSTRATIONEN:<br />

Lesprenger<br />

LAYOUT:<br />

Lesprenger<br />

ARTDIREKTION:<br />

Lesprenger, Berlin<br />

DRUCK:<br />

GCC GmbH & Co. KG<br />

KONTAKT FÜR ANZEIGEN UND VERTRIEB:<br />

anzeigen@zenithonline.de<br />

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE:<br />

Nr. 3 vom 1. Januar 2012<br />

COPYRIGHT:<br />

Deutscher Levante Verlag GmbH.<br />

Zitat nur mit Quellenangabe.<br />

Nachdruck nur mit Genehmigung.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel<br />

geben die Meinung der Autoren<br />

wieder, nicht aber unbedingt die<br />

der Redaktion.<br />

ISSN 2193-0333<br />

PROFIL<br />

06 Mister 20 Prozent<br />

Der Unternehmensberater Michael Liebreich bringt<br />

erneuerbare Energien an die Börse<br />

QUARTALSBERICHT<br />

08 Irakische Milch und teurer Zement<br />

Neuigkeiten zwischen Investitionschancen<br />

und geplatzten Träumen<br />

TITELTHEMA<br />

10 Ein Schock und ein Traum<br />

Warum die Golfstaaten um ihre Nahrungsmittel-<br />

Sicherheit bangen<br />

12 Eine Frage der Sichtweise<br />

Nahrungsmittelsicherheit und Landkauf<br />

14 »Eine Mondlandung für Wüstenstaaten«<br />

Ein Interview mit Fahad Al-Attiya,<br />

dem Leiter von Katars Nationalem Programm<br />

für Nahrungsmittelsicherheit<br />

GELD UND MACHT<br />

20 Wir sind jung und brauchen das Geld<br />

Die ehrgeizig begonnene Aufarbeitung der<br />

Korruption in Tunesien gerät ins Stocken<br />

24 Das Erbe der Sparfüchse<br />

Die Probleme der Schweiz der Rückführung<br />

der Vermögen Mubaraks und Ben Alis<br />

RECHT<br />

26 Konkurs darf kein Tabu sein<br />

Katars Insolvenzrecht muss den Praxistest<br />

noch bestehen<br />

GESUNDHEIT<br />

28 Der Preis des schlechten Gewissens<br />

Libysche Kriegsverletzte erlebten in Deutschland<br />

Chaos und undurchsichtige Geschäfte<br />

32 »2015 werden wir mehr ausgeben<br />

als Saudi-Arabien«<br />

Iraks Gesundheitsminister Madschid Hamad<br />

Amin Dschamil über seine Ressortpläne<br />

PLANEN UND BAUEN<br />

34 Der Dreh- und Angelpunkt<br />

Ein Alleskönner-Terminal<br />

für den Flughafen Abu Dhabi<br />

38 Eine Ölstadt soll sich neu erfinden<br />

Neubauten und Megaprojekte<br />

geben Baku ein neues Gesicht<br />

ENERGIE<br />

41 Im Tal von Elah<br />

Wie Israel seine führende Position bei den<br />

Erneuerbaren aufs Spiel setzt<br />

43 Ein Liter Licht<br />

Kolumne: Almanach der Energien<br />

44 Kautschukschnitzel für Vattenfall<br />

In Liberia kommt der Aufbau der Energie-<br />

Infrastruktur nur mühsam voran<br />

KONSUM<br />

46 Nicht ohne mein Nokia<br />

Afrikas boomende Mobilfunk-Märkte werden<br />

von heimischen Anbietern dominiert – noch<br />

LUXUS<br />

48 Ist das Kunst oder kann das weg<br />

Die Sharjah-Biennale ringt um einen Neuanfang<br />

50 DER SEKRETÄR<br />

Letzte Meldungen und wichtige Termine<br />

aus der Karawanserei<br />

Illustration: Kohn Pedersen Fox Associates<br />

04 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


PROFIL<br />

ERNEUERBARE ENERGIEN<br />

illustration: Hadinugroho<br />

Mister<br />

20 Prozent<br />

Der Unternehmensberater Michael Liebreich<br />

bringt Erneuerbare Energien an die Börse<br />

und versucht, einer Branche im Nahen Osten<br />

Konturen zu verleihen, die bisher fast nur in<br />

Planspielen existiert<br />

Von Robert Chatterjee<br />

»Am Anfang ignorieren sie<br />

Dich«, lautet der Titel eines<br />

kurzen Videoclips über den<br />

globalen Siegeszug regenerativer Energien.<br />

Michael Liebreich hat den Film im<br />

vergangenen Jahr produziert. Er ist eine<br />

Art Fazit, Anleitung – und auch ein wenig<br />

Ausdruck von Genugtuung. Denn<br />

heute werden Liebreich und seine 2004<br />

gegründete Beratungsfirma New Energy<br />

Finance nicht mehr ignoriert: Binnen weniger<br />

Jahre hat sich der 48-jährige US-<br />

Amerikaner zu einem der innovativsten<br />

und effektivsten Architekten nachhaltiger<br />

Energiestrategien entwickelt.<br />

Das ist keine Selbstverständlichkeit in<br />

einer momentan verunsicherten Branche,<br />

deren Potenzial viel gelobt und zuweilen<br />

eifrig gefördert wird, die aber auf Jungunternehmer<br />

trotzdem eine eher mittelmäßige<br />

Anziehungskraft ausübt. Auch<br />

Liebreich hatte nach seinem Abschluss an<br />

der Harvard Business School bei Accenture<br />

und McKinsey erst einmal eine Karriere<br />

im vergleichsweise sicheren Feld der<br />

Unternehmensberatungen gewählt. Doch<br />

dann scherte er aus und gründete ein Spezial-Beratungsunternehmen<br />

für die Erneuerbare-Energien-Branche.<br />

Bald wurde<br />

New Energy Finance so erfolgreich,<br />

dass der Finanzinformationskonzern<br />

Bloomberg sich 2009 zur Übernahme entschloss<br />

– und Liebreich als Chef der neuen<br />

Tochter auf seinem Posten beließ.<br />

Seitdem arbeitet der Manager daran,<br />

erneuerbare Energien in großem Maßstab<br />

ins Gespräch zu bringen – und setzt<br />

dabei auf einen regionalspezifischen An-<br />

06 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


PROFIL<br />

Foto: Vestas Wind Systems A/S<br />

Mit Windrädern auf Börsenkurs:<br />

Liebreich spielt mit den Großen, wie<br />

dem Marktführer für Windenergie,<br />

Vestas aus Dänemark.<br />

satz. Auf dem World Future Energy Summit<br />

in Abu Dhabi gründete er eine Regionalsektion<br />

des Clean Energy Business<br />

Council – den ersten Unternehmerverband<br />

der Saubere-Energien-Branche für<br />

den Nahen und Mittleren Osten. »Viele<br />

globale Unternehmen unterhalten nur Satellitenbüros<br />

für saubere Energien in der<br />

Region und warten lieber ab, bis sich der<br />

Markt ausreichend entwickelt hat, bevor<br />

sie mehr Mittel zur Verfügung zu stellen«,<br />

kritisierte er bei dieser Gelegenheit. »Die<br />

Industrie ist noch nicht überzeugt, dass<br />

sich die großen Erwartungen in der Region<br />

auch erfüllen werden.«<br />

Eine Woche zuvor waren New Energy<br />

Finance und die New Yorker Börse eine<br />

strategische Partnerschaft eingegangen.<br />

Im Kern geht es dabei um den Start dreier<br />

»Viele globale<br />

Unternehmen warten<br />

lieber ab, bis sich<br />

der Markt ausreichend<br />

entwickelt hat«<br />

regionaler Indizes für erneuerbare Energien;<br />

einer davon umfasst Europa, den<br />

Nahen Osten und Nordafrika.<br />

Ein Jahr später präsentierte Liebreich<br />

wiederum beim Energie-Gipfel in Abu<br />

Dhabi ein weiteres Großprojekt: das Konsortium<br />

für Digitale Energie (CoDE), das<br />

sich die internationale Durchsetzung intelligenter<br />

Stromnetze auf die Fahnen<br />

schrieb, um auf diese Weise den erneuerbaren<br />

Energien den Boden zu bereiten. Für<br />

die branchenübergreifende Initiative brachte<br />

er eine Reihe von Industrie-Schwergewichten<br />

zusammen, darunter Größen wie<br />

Philips, Intel und Vodafone. »Solange wir<br />

nicht die Art und Weise, wie wir in der<br />

Wirtschaft Energie übertragen und kontrollieren,<br />

komplett umkrempeln, wird es<br />

niemals möglich sein, bis 2020 einen Anteil<br />

von 20 Prozent Erneuerbarer Energien<br />

oder bis 2050 eine Kohlendioxid-Einsparung<br />

von 50 Prozent zu erreichen«, mahnte<br />

Liebreich bei dieser Gelegenheit. Diese<br />

Botschaft dürfte nicht zuletzt auf seine<br />

Gastgeber in der Golfregion zielen, die sich<br />

bezüglich der Nutzung erneuerbarer Energien<br />

zwar gerne ambitioniert zeigen, aber<br />

in der Praxis immer mehr konventionell<br />

erzeugte Energie verschlingen.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 07


QUARTALSBERICHT<br />

Illustration: Lesprenger<br />

Der Zögling<br />

Kuwaits neuer Zentralbankchef<br />

tritt in große Fußstapfen<br />

Mohammed Al-Hashel vereint<br />

gleich mehrere Superlative auf<br />

sich: jüngster Zentralbankchef<br />

der Golfregion, erster Amtsinhaber außerhalb<br />

des Königshauses und erste Neubesetzung<br />

des Postens seit 25 Jahren. Vor<br />

allem letzteres Attribut macht deutlich,<br />

welche Bürde auf den Schultern des 38-<br />

4,2 Mrd.<br />

Dollar Schadenersatz<br />

... verlangt der Mobilfunkanbieter Turkcell<br />

von seinem südafrikanischen Konkurrenten<br />

MTN. Das türkische Unternehmen wirft<br />

MTN vor, es habe seine iranische Mobilfunklizenz<br />

2005 durch Korruptionszahlungen<br />

an südafrikanische und iranische Beamte<br />

erhalten. MTN ist mit 49 Prozent an<br />

dem erfolgreichen Anbieter Irancell beteiligt.<br />

Die ursprüngliche Ausschreibung hatte<br />

Turkcell 2004 gewonnen, sich dann aber<br />

nach Reuters-Informationen mit der iranischen<br />

Seite über Detailfragen zerstritten –<br />

was Turkcell jedoch verneint. Nach Angaben<br />

eines Turkcell-Juristen soll MTN als<br />

Gegenleistung für eine Einigung mit dem<br />

Iran auch südafrikanische UN-Stimmen<br />

Jährigen lastet. Hashel muss die übergroßen<br />

Fußstapfen von Salem Abdul-Aziz Al-<br />

Sabah ausfüllen, der im Februar nach einem<br />

Vierteljahrhundert an der Spitze der<br />

kuwaitischen Zentralbank zurücktrat.. Damit<br />

protestierte der langjährige Amtsinhaber<br />

gegen eine freigiebige Ausgabenpolitik<br />

der Regierung. Diese drohe die<br />

Zentralbank an der Erfüllung ihrer gesetzlichen<br />

Aufgaben zu hindern, warnte<br />

er – ein kaum verhüllter Hinweis auf steigende<br />

Inflationsgefahren.<br />

Seit dem vergangenen Jahr hatte es<br />

wiederholt große Streiks im öffentlichen<br />

Dienst Kuwaits gegeben. Die Regierung<br />

beschloss daraufhin Gehaltssteigerungen<br />

von bis zu 25 Prozent – und spekuliert<br />

damit auf anhaltend hohe Ölpreise.<br />

Salem hatte sich einen Ruf als Reformer<br />

erarbeitet. Unter anderem galt er als treibende<br />

Kraft hinter der Entscheidung von<br />

2007, den kuwaitischen Dinar als erste Währung<br />

der Golfregion aus der Dollar-Bindung<br />

zu lösen. Der neue Spitzenmann Hashel<br />

gilt als Zögling des Zurückgetretenen,<br />

dessen Stellvertreter er drei Jahre lang war.<br />

Nun muss er zeigen, ob er die Stabilitätspolitik<br />

seines Mentors fortsetzen kann.<br />

und Waffenlieferungen versprochen haben.<br />

Die Nachrichtenagentur Bloomberg<br />

zitierte aus MTN-Dokumenten, die Hinweise<br />

auf mehrere Schmiergeldzahlungen<br />

in sechsstelliger Höhe gäben, sowie aus<br />

Vermerken, in denen von »rüstungsbezogenen<br />

Versprechen« die Rede sei. MTN-<br />

Chef Sifiso Dabengwa hat alle Anschuldigungen<br />

scharf zurückgewiesen.<br />

Vor Gericht zog Turkcell nun in den USA<br />

und unter Berufung auf ein Gesetz, das in<br />

bestimmten Fällen Schadenersatzklagen<br />

von Ausländern zulässt. Allerdings will das<br />

Oberste Gericht in Washington im Sommer<br />

anhand eines anderen Falls über die<br />

Frage entscheiden, inwieweit diese Regelung<br />

überhaupt auf Rechtsstreitigkeiten<br />

außerhalb des US-Territoriums anwendbar<br />

ist. Der Turkcell-Klage könnte das die juristische<br />

Grundlage entziehen.<br />

Glückliche<br />

Kühe in<br />

Nadschaf<br />

Irak will<br />

sich von Milchimporten<br />

unabhängig<br />

machen<br />

In der irakischen Provinz Nadschaf<br />

sollen bald Kühe weiden: Nach dem<br />

Willen der Landwirtschaftsbehörden<br />

könnten Rinderfarmen dort einen<br />

Großteil des irakischen Milch- und<br />

Joghurtbedarfs decken. Noch importiert<br />

Irak diese Produkte aus der Türkei,<br />

Iran und sogar aus dem kaum für<br />

saftige Almen bekannten Saudi-Arabien.<br />

Das ist teuer für die Iraker, da die<br />

Nachbarn geringe Milchüberschüsse<br />

erwirtschaften und nur exportieren,<br />

wenn sie dafür einen besseren Preis<br />

bekommen als auf dem heimischen<br />

Markt. »Der Boden in der Region Nadschaf<br />

ist hingegen fruchtbar, es wären<br />

drei Ernten pro Jahr für Viehfutter<br />

denkbar«, sagte ein deutscher Ingenieur,<br />

der den Behörden kürzlich einen<br />

Projektplan vorgelegt hat, im Gespräch<br />

mit zenith.<br />

Die Bewässerung sei über Brunnen<br />

möglich: Das Grundwasser sei ab 50<br />

Metern Tiefe nicht mehr versalzen und<br />

daher nutzbar. Deutsche Unternehmen<br />

könnten die Planung von Rinderfarmen<br />

übernehmen und die Technologie<br />

für Melk- und Abfüllanlagen<br />

übernehmen. »Man fängt hier bei null<br />

an, die Erwartungen der lokalen Partner<br />

und Behörden sind allerdings sehr<br />

hoch«, sagte der Ingenieur. Die Iraker<br />

planten, schon Ende 2013 die ersten<br />

Euter zu melken; die eigentliche<br />

Produktion könne aber frühestens in<br />

zweieinhalb Jahren beginnen.<br />

08 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


QUARTALSBERICHT<br />

Zementkrise<br />

in Mekka<br />

Nach Protesten gegen Preisanstieg<br />

greift die Regierung ein<br />

Steigende Rohstoffpreise verzögern<br />

zahlreiche Bauprojekte in Mekka<br />

und Umgebung. Nachdem besonders<br />

der Zementpreis kräftig anzog,<br />

protestierten Bauunternehmer gegen zunehmenden<br />

Kostendruck, für den sie auch<br />

illegale Preisabsprachen unter Großhändlern<br />

verantwortlich machen. Inzwischen<br />

versucht die saudi-arabische Regierung,<br />

den Markt mit Zwangsmaßnahmen zu beruhigen.<br />

Nach einem kurzfristigen Zement-Exportverbot<br />

legte das Handelsministerium<br />

Anfang April einen Fixpreis von<br />

240 Rial pro Tonne fest.<br />

Obwohl die landesweite Zementproduktion<br />

vergangenes Jahr um knapp 13 Prozent<br />

auf 48 Millionen Tonnen stieg, kommt<br />

es durch die umfangreichen Bauvorhaben<br />

an den Heiligen Stätten in Mekka zu lokalen<br />

Versorgungsengpässen. Für das laufende<br />

Jahr rechnet die Zementbranche mit einer<br />

weiteren Produktionssteigerung um bis<br />

zu 13 Prozent. 2011 verzeichneten die saudischen<br />

Hersteller erstmals seit der Weltfinanzkrise<br />

wieder Wachstum: Dem kuwaitischen<br />

Gulf Investment House zufolge erzielten<br />

sie im Durchschnitt ein Umsatzplus<br />

von 22,5 Prozent.<br />

22,5%<br />

Umsatzplus erzielten<br />

die saudischen Zementhersteller<br />

im vergangenen Jahr im Schnitt<br />

Ausgekreuzt nach einer Saison<br />

Abu Dhabis erster Luxusliner hätte der Beginn einer Erfolgsgeschichte<br />

werden sollen. Nun dampft er schnell wieder ab<br />

Abu Dhabis Ambitionen, sich als<br />

Zentrum des Kreuzfahrt-Tourismus<br />

zu etablieren, haben einen<br />

herben Dämpfer erhalten. Nur eine<br />

Saison, nachdem die italienische MSC<br />

Cruises als erster Veranstalter die Hauptstadt<br />

der Vereinigten Arabischen Emirate<br />

(VAE) zum Heimathafen eines Luxusliners<br />

erklärte, hat sie die mit hohen<br />

Erwartungen verbundene Kooperation<br />

fürs Erste schon wieder beendet. Anstatt<br />

wie geplant bald ein noch größeres Schiff<br />

in Abu Dhabi zu stationieren, schickt sie<br />

die dafür vorgesehene MSC »Opera« nun<br />

ins südafrikanische Durban.<br />

Die VAE hätten zwar großes Potenzial<br />

als Kreuzfahrt-Destination, erklärte das<br />

Unternehmen. »Aber für den langfristigen<br />

Erfolg des Kreuzfahrt-Tourismus in<br />

der Region des Golfkooperationsrats<br />

müssen neue Anlaufhäfen entwickelt und<br />

die Terminals nachgerüstet werden.«<br />

Auch müssten mehr Kunden aus der Region<br />

selbst gewonnen werden.<br />

Noch im Herbst war die Kooperation<br />

zwischen MSC Cruises und der Tourismusbehörde<br />

Abu Dhabis (ADTA) als<br />

Meilenstein für die Pläne des Emirats gefeiert<br />

worden, das Kreuzfahrtgeschäft zu<br />

einer Säule der strategisch wichtigen Reisebranche<br />

aufzubauen. Allein von der Stationierung<br />

des ersten Schiffs hatte sich<br />

ADTA Umsätze von 22 Millionen US-<br />

Dollar für die heimische Wirtschaft versprochen.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 09


TITELTHEMA<br />

Illustration: Lesprenger<br />

GOLFSTAATEN: NAHRUNGMITTELSICHERHEIT<br />

Ein Schock<br />

und ein Traum<br />

Die weitgehende Abhängigkeit von<br />

Nahrungsmittel-Importen ist eine Achillesferse<br />

der Öl- und Gasstaaten am Golf. Die weltweite<br />

Preiskrise von 2007/2008 hat das schmerzlich<br />

ins Bewusstsein gerufen und eine neue Runde<br />

von Gegenmaßnahmen ausgelöst<br />

Von Christoph Dreyer<br />

10 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


TITELTHEMA<br />

Als der Weltmarktpreis für Reis im Frühjahr<br />

2008 binnen zwei Wochen um die Hälfte<br />

emporschoss, war das nur der erste Höhepunkt<br />

einer seit Jahren schleichend eskalierenden<br />

Entwicklung. Seit dem Frühjahr 2007 war Mais um<br />

31 Prozent teurer geworden, Soja um 87 Prozent<br />

und Weizen um 130 Prozent. Weltweit kam es zu<br />

Panikkäufen, mancherorts wurde der Export beschränkt.<br />

In Ägypten gingen Tausende Arbeiter gegen<br />

gestiegene Brotpreise auf die Straße, im Jemen<br />

errichteten Demonstranten Straßensperren. Insgesamt<br />

soll der massive Preisanstieg für Grundnahrungsmittel<br />

in fast 40 Ländern zu Unruhen beigetragen<br />

haben.<br />

In den ölreichen, aber von Nahrungsmittelimporten<br />

abhängigen Golfstaaten löste die Krise von<br />

2007/2008 zwar keine Massendemonstrationen aus,<br />

aber dafür eine schockartige politische Erkenntnis:<br />

Wenn die Kapriolen der Weltmärkte zu so starken<br />

Preisausschlägen führen können, dass Lieferländer<br />

den Export von Grundnahrungsmitteln einschränken,<br />

wären bei künftigen Krisen im schlimmsten<br />

Fall auch die größten Erdöleinnahmen nutzlos,<br />

weil es schlicht keinen Reis oder Weizen mehr<br />

zu kaufen gäbe.<br />

Dass die Nahrungsmittelsicherheit eine Achillesferse<br />

ihres rasanten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums<br />

ist, ist den Regierungen der Golfstaaten<br />

schon länger bewusst. Saudi-Arabien etwa<br />

versuchte seit den 1970er-Jahren einige Zeit lang,<br />

im eigenen Land genug Nahrungsmittel für den eigenen<br />

Bedarf zu produzieren. Doch irgendwann<br />

wurde klar: Eine immer größere Bevölkerung lässt<br />

sich bei steigendem Lebensstandard und entsprechenden<br />

Essgewohnheiten (mehr Fleisch, weniger<br />

Getreide) nicht vom Agrarertrag eines Landes ernähren,<br />

dessen Wasserverbrauch längst die natürlichen<br />

Vorkommen übersteigt. Ähnliches gilt auch<br />

für die anderen Staaten des Golfkooperationsrats<br />

(GCC), von deren Landfläche nur 1,7 Prozent landwirtschaftlich<br />

nutzbar sind.<br />

Wohl auch deshalb gehören die Golfstaaten zur<br />

Speerspitze eines Trends, für den »Landnahme«<br />

noch eine der freundlicheren Bezeichnungen ist:<br />

Reiche Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und Kuwait,<br />

aber auch Südkorea und die Schweiz kaufen<br />

weltweit Ländereien, um auf fremdem Territorium<br />

1,7%<br />

der Fläche der<br />

GCC-Staaten sind<br />

landwirtschaftlich<br />

nutzbar<br />

Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf zu produzieren<br />

– und sich so für den Krisenfall vom Weltmarkt<br />

unabhängig zu machen. Kritiker sehen darin<br />

eine Art Neokolonialismus, der zulasten der Menschen<br />

in den betroffenen Ländern gehe und dort die<br />

Nahrungsmittelsicherheit gefährde. Von den Landkäufen<br />

sind allerdings nicht nur unterentwickelte<br />

Staaten etwa in Afrika und Asien betroffen, sondern<br />

auch reiche Länder wie Australien.<br />

Mittlerweile bemühen sich die Vereinten Nationen,<br />

die Landkäufe in geregelte Bahnen zu lenken.<br />

Mitte Mai sollen bei einem<br />

Sondertreffen der Welternährungsorganisation<br />

die »Freiwilligen<br />

Leitlinien zur verantwortungsvollen<br />

Verwaltung von Boden-<br />

und Landnutzungsrechten,<br />

Fischgründen und Wäldern« verabschiedet<br />

werden. Sie empfehlen<br />

den Staaten Schutzmaßnahmen<br />

wie etwa Obergrenzen für den Landverkauf<br />

und Genehmigungsverfahren für größere Geschäfte.<br />

Doch auch wenn die Landkäufe die meisten<br />

Schlagzeilen machen: Das Thema Nahrungsmittelsicherheit<br />

ist weit komplexer. So erwägt die Arabische<br />

Behörde für Agrarinvestitionen und -entwicklung,<br />

eine gemeinsame Getreidereserve für die<br />

GCC-Staaten aufzubauen. Besonders ehrgeizig geht<br />

der kleine Golfstaat Katar das Thema an. Er hat ein<br />

eigenes, direkt dem Emir unterstelltes Programm<br />

eingerichtet, um bis zum Jahr 2024 das strategische<br />

Ziel der Nahrungsmittelsicherheit zu verwirklichen.<br />

»Landnahme«<br />

ist eine der<br />

freundlicheren<br />

Bezeichnungen<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 11


TITELTHEMA<br />

NAHER OSTEN UND NORDAFRIKA: NAHRUNGSMITTELSICHERHEIT<br />

Eine Frage der<br />

Sichtweise<br />

Nahrungsmittelsicherheit ist auch eine Frage<br />

der Definition. Die arabischen Golfstaaten betrachten<br />

ihre eigene Versorgung als höchst prekär,<br />

weil ihre extremen klimatischen Bedingungen<br />

nur wenig Agrarproduktion ermöglichen<br />

und sie von Importen abhängig machen –<br />

Grund genug, sich durch den Kauf fruchtbarer<br />

Flächen im Ausland vor künftigen Krisen zu<br />

wappnen.<br />

Im bislang größten Deal dieser Art kaufte<br />

2009 ein Konzern aus den Vereinigten Arabischen<br />

Emiraten 1,5 Millionen Hektar im Sudan<br />

– eine Fläche fast so groß wie Schleswig-Holstein.<br />

Weltweit sind die VAE der viertgrößte<br />

Agrarland-Käufer nach Großbritannien, den<br />

USA und China.<br />

Von außen betrachtet, relativieren sich die<br />

Argumente für den Landerwerb: Wer über<br />

verlässliche Erdöl-Einnahmen oder andere<br />

Exporterlöse verfügt, braucht sich um den<br />

Zugang zu Lebensmitteln auf dem Weltmarkt<br />

kaum zu sorgen. Für die Menschen in ärmeren<br />

Ländern stellt sich die Frage ohnehin anders –<br />

für sie geht es oft um blanke Unterernährung.<br />

Die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas<br />

lassen sich nach dem Risiko ihrer »Nahrungsmittel-Unsicherheit«<br />

kategorisieren.<br />

Risiko von Nahrungsmittel-Unsicherheit 1) ...<br />

niedrig<br />

mittel<br />

ernsthaft<br />

alarmierend<br />

extrem alarmierend<br />

... und landwirtschaftlich nutzbare Fläche in<br />

Prozent der gesamten Landesfläche (2009)<br />

1) Berücksichtigt auf Makroebene, wie leicht es einer Volkswirtschaft<br />

fällt, Nahrungsmittelimporte durch Exporterlöse und Überweisungen<br />

im Ausland lebender Bürger zu finanzieren; sowie die Häufigkeit<br />

von Unterernährung bei Kindern als Indikator, inwieweit auf<br />

Mikroebene der Zugang zu Nahrungsmitteln gesichert ist.<br />

Quellen: International Food Policy Research Institute, Weltbank<br />

MAURETANIEN<br />

0,38<br />

MAROKKO<br />

18,05<br />

Agrarlandkäufe der GCC-Staaten 2)<br />

ALGERIEN<br />

3,15<br />

TUNESIEN<br />

17,42<br />

Anbaufläche 3) Bahrain Katar Kuwait Oman VAE Saudi- Deutschld.<br />

in ha<br />

Arabien<br />

heimische 4.000 6.000 7.000 59.000 255.000 1.214.000 11.909.600<br />

Ägypten - - - - 68.500 73.000<br />

Äthiopien - - - - - 140.000<br />

Algerien - - - - 31.000 -<br />

Argentinien - - - - - 212.300<br />

Ghana - 50.000 - - 10.000 -<br />

Indonesien - - - - 100.000 -<br />

Laos - - 200.000 - - -<br />

Marokko - - - - 700.000 -<br />

Mauretanien - - - - - 52.000<br />

Nigeria - - - - - 1.000<br />

Pakistan - - - 369.100 202.400<br />

Philippinen 10.000 100.000 20.000 10.000 - 50.000<br />

Rumänien - - - - 50.000 -<br />

Sambia - - - - - 5.000<br />

Senegal - - - - - 5.000<br />

Spanien - - - - 5.100 -<br />

Sudan - 100.000 - - 1.643.100 177.200<br />

Südsudan - - - - - 105.000<br />

Tansania - - - - 50.000 -<br />

nichtheimische<br />

gesamt 10.000 250.000 220.000 10.000 3.026.800 1.022.900 430.200<br />

Einwohner 1,2 Mio. 1,9 Mio. 2,7 Mio. 3,1 Mio. 5,3 Mio. 26,5 Mio. 81,3 Mio.<br />

2) seit 2006 abgeschlossene Verträge und laufende Projekte; Stand: Dezember 2011<br />

3) nur landwirtschaftliche Anbauflächen, keine Weideflächen<br />

Quellen: GRAIN, Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, CIA World Factbook<br />

12 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


TITELTHEMA<br />

TÜRKEI<br />

27,74<br />

LIBANON<br />

14,17<br />

SYRIEN<br />

25,43<br />

PALÄSTINENSISCHE<br />

AUTONOMIEGEBIETE<br />

16,61<br />

ISRAEL<br />

14,05<br />

IRAK<br />

10,36<br />

IRAN<br />

10,56<br />

JORDANIEN<br />

2,25<br />

KUWAIT<br />

0,62<br />

LIBYEN<br />

0,99<br />

ÄGYPTEN<br />

2,9<br />

SAUDI-ARABIEN<br />

1,49<br />

BAHRAIN<br />

1,32<br />

KATAR<br />

1,04<br />

VAE<br />

0,77<br />

OMAN<br />

0,32<br />

JEMEN<br />

2,22<br />

SUDAN<br />

8,48<br />

DJIBOUTI<br />

0,09<br />

DEUTSCHLAND<br />

34,26<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 13


TITELTHEMA<br />

KATAR: ERNÄHRUNG<br />

Illustration: Lesprenger<br />

»Eine Mondlandung<br />

für Wüstenstaaten«<br />

Katar will immun werden gegen globale<br />

Nahrungsmittelkrisen – der Wüste zum Trotz<br />

und auf umweltverträgliche Weise.<br />

Im zenith-Interview erläutert der Leiter des<br />

Nationalen Programms für Nahrungsmittelsicherheit,<br />

Fahad Al-Attiya, wie das Land<br />

dazu umgebaut werden muss und was er sich<br />

von ausländischen Investoren erhofft<br />

Interview: Christoph Dreyer<br />

zenith: Wie definiert Katar Nahrungsmittelsicherheit,<br />

und wie wollen Sie dieses Ziel erreichen<br />

Fahad Al-Attiya: Der Nationale Masterplan wird<br />

hoffentlich bis Ende 2014 fertiggestellt sein, und<br />

seine Umsetzung dürfte zehn Jahre in Anspruch<br />

nehmen. 2024 sollte das System also komplett funktionieren.<br />

Dann wird unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln<br />

hoffentlich durch drei Elemente gesichert<br />

sein: Oberste Priorität hat die Inlandsproduktion;<br />

an zweiter Stelle kommt der Handel und<br />

an dritter eine strategische Reserve.<br />

Mit Inlandsproduktion meinen wir, dass wir daran<br />

arbeiten sollten, die natürlichen Einschränkungen<br />

zu überwinden, denen die Nahrungsmittelerzeugung<br />

unter erschwerten Bedingungen wie Wasserknappheit<br />

und einem extremen Klima unterliegt.<br />

Das heißt nicht, dass Katar versuchen würde, autark<br />

zu werden und seine gesamten Nahrungsmittel selbst<br />

zu erzeugen. Aber wir wollen unsere Abhängigkeit<br />

von Importen in diesem Bereich so weit verringern,<br />

dass die Lage im Land ziemlich stabil bleibt, falls es<br />

zu einer globalen Krise kommen sollte.<br />

Und was bedeuten die anderen beiden<br />

Elemente des Masterplans praktisch<br />

Als zweites Element wollen wir in Katar einen Handelsplatz<br />

schaffen, auf dem Nahrungsmittel für größere<br />

Märkte umgeschlagen werden. Da wir ein kleines<br />

Land mit einer kleinen Bevölkerung sind, profitieren<br />

wir nicht von Skaleneffekten, sodass die<br />

Nahrungsmittelpreise hier extrem schwanken. Das<br />

belastet unsere Wirtschaft. Also lautet der Ansatz,<br />

dieses Problem durch Sicherungsgeschäfte zu lösen<br />

und indem wir Geschäftschancen für Unternehmen<br />

der Ernährungsindustrie und der Lebensmittellogistik<br />

schaffen, sodass diese Katar als bevorzugten<br />

Zugang zu ihren Märkten nutzen und auf<br />

diese Weise Volumen generieren. In der Folge soll-<br />

14 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


TITELTHEMA<br />

Fahad Bin Mohammed Al-Attiya<br />

leitet seit November 2008 Katars Nationales<br />

Programm für Nahrungsmittelsicherheit (QNFSP).<br />

Er besuchte die britische Militärakademie Sandhurst<br />

und studierte Jura, arbeitete später in der Rechtsabteilung<br />

der katarischen Streitkräfte. Seit 2007 ist<br />

er Rechtsberater im Büro von Thronfolger Scheich<br />

Tamim Bin Hamad Al-Thani. Unter Al-Attiyas<br />

Leitung soll das QNFSP bis Ende 2014 einen Masterplan<br />

für Nahrungsmittelsicherheit entwickeln.<br />

ten wir hoffentlich Größenordnungen erreichen,<br />

die es uns erlauben, Lebensmittel zu angemessenen<br />

Preisen zu kaufen.<br />

Das dritte Element ist eine strategische Nahrungsmittel-Reserve,<br />

also der Aufbau von Lagerbeständen<br />

für ein bis drei Jahre – je nachdem, was<br />

vernünftigerweise erreichbar ist. Das ist natürlich<br />

das letzte Mittel, auf das wir hoffentlich niemals<br />

zurückgreifen müssen.<br />

Was Sie nicht erwähnt haben, ist der Kauf von<br />

Agrarland in anderen Teilen der Welt, wie ihn<br />

einige andere Länder praktizieren. Warum nicht<br />

Der Grund ist Nahrungsmittel-Souveränität. Es ist<br />

kein Problem, Agrarland im Ausland zu kaufen. In<br />

Afrika, in Asien, in Südamerika gibt es riesige Landstriche,<br />

die überhaupt nicht erschlossen sind. Dieses<br />

Land zu bewirtschaften, ist im Grundsatz gut<br />

für die gesamte Welt. Aber es sichert nicht unbedingt<br />

die Versorgung des Investors. Denn wenn man sich<br />

auf den schlimmsten Fall einstellt, dann gehört dazu,<br />

dass dieser in allen Ländern eintritt. In der Vergangenheit<br />

haben viele Staaten in solchen Situationen<br />

den Export eingeschränkt. Warum sollten sie also<br />

in Zukunft nicht auch so handeln<br />

Ich sage das nicht, weil wir Angst hätten, dass<br />

irgendjemand Katar als solches ins Visier nimmt.<br />

Aber der Aufstieg der Mittelschicht in China und<br />

Indien, die Folgen der Erderwärmung für die<br />

Niederschlagsmengen, die Umwidmung von Agrarland<br />

für Biokraftstoff und so weiter – alle diese<br />

Faktoren werden eines Tages zusammenkommen<br />

und wieder eine Krise auslösen. Die Frage ist, wie<br />

man diese Krise entschärfen kann. In Agrarland im<br />

Ausland zu investieren ist gut, aber es führt nicht<br />

zu nationaler Sicherheit, weil dieses<br />

Ausland seine eigene Souveränität<br />

hat. Heißt das, man sollte<br />

nicht investieren Nein, verstehen<br />

Sie mich nicht falsch. Investieren<br />

Sie! Aber das entbindet nicht von<br />

der Verantwortung, sich zu bemühen,<br />

die Versorgung mit Nahrungsmitteln<br />

aus heimischen<br />

Quellen zu sichern – was Investitionen<br />

in Wissenschaft und Forschung<br />

bedeutet, die Anwendung<br />

der jeweils besten Verfahren, die<br />

Anpassung von Technologien. Das Ziel einer nationalen<br />

Landwirtschaft kann also zu Innovationen,<br />

Ideen und Lösungen führen, von denen nicht<br />

nur Katar profitieren könnte, sondern alle Wüstenstaaten.<br />

Dennoch wirkt die große Bedeutung der Inlandsproduktion<br />

in Ihrem Konzept überraschend,<br />

wenn man sich die klimatischen Bedingungen<br />

Katars vor Augen hält. Wenn das Ziel schon<br />

nicht Autarkie lautet, wie weit können Sie gehen<br />

Wer bin ich, eine willkürliche Zahl zu nennen<br />

Überlassen wir das den Wissenschaftlern, lassen<br />

wir die Landwirte zu ihrer Zahl kommen. Wenn<br />

wir bei 60 oder 70 Prozent landen – großartig!<br />

Wenn uns die Wissenschaft sagt, dass auch 80 Prozent<br />

erreichbar sind – perfekt! Oder wir kommen<br />

sogar noch weiter. Wir erlauben es der Wissenschaft,<br />

die Gegebenheiten ständig aufs Neue infra-<br />

»Agrarland im<br />

Ausland zu kaufen,<br />

sichert nicht<br />

unbedingt die<br />

Versorgung<br />

des Investors«<br />

>><br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 15


TITELTHEMA<br />

»Wir müssen<br />

letztlich Energie<br />

als Rohstoff für<br />

Wasser einsetzen«<br />

ge zu stellen, ohne dass wir eine willkürliche Zielmarke<br />

vorgeben. Aufgrund unserer ersten Schätzungen<br />

und Forschungsergebnisse kann ich mit<br />

Zuversicht sagen, dass dieses Land 60 Prozent der<br />

benötigten Nahrungsmittel im Inland herstellen<br />

kann – natürlich unter der Bedingung, dass nichts<br />

davon exportiert wird. Denn dann wird für die eigenen<br />

Bedürfnisse produziert und nicht für den<br />

Weltmarkt. Der Hunger der globalen Märkte ist<br />

unbegrenzt, sie würden das System sprengen.<br />

Wie sinnvoll ist es angesichts der dafür nötigen<br />

großen Menge an Ressourcen, eine einheimische<br />

Viehwirtschaft in Ihren Masterplan aufzunehmen<br />

Für uns sind Nutztiere wichtig, weil wir unsere Artenvielfalt<br />

schützen müssen und der Import von<br />

Vieh die Artenvielfalt dieses Landes bedroht. Zudem<br />

wurde entschieden, dass wir unsere Eiweißquellen<br />

im Inland herstellen müssen. Aber wir können Futter<br />

im Ausland zukaufen. Man kann sogar große<br />

Mengen Futtermittel für lange Zeit lagern und den<br />

Rest durch inländische Produktion decken. Man<br />

muss aber auch überlegen, wie man die Fischerei<br />

stärkt, weil sie eine sehr gute Proteinquelle ist.<br />

Warum ist die Energieerzeugung<br />

ein integraler Teil der Strategie für<br />

die Nahrungsmittelsicherheit<br />

Im Westen braucht man keine Energie, um an Wasser<br />

zu kommen. Man hat die Energie also für alles<br />

übrige zur Verfügung – für Industrialisierung,<br />

Wachstum und andere Dinge.<br />

60%<br />

seiner Nahrungsmittel<br />

könnte Katar laut Al-Attiya<br />

selbst produzieren<br />

Aber in unseren Volkswirtschaften<br />

müssen wir letztlich Energie als<br />

Rohstoff für Wasser einsetzen. Das<br />

ist etwas historisch wirklich Neues,<br />

denn Städte sind seit Anbeginn<br />

der Menschheit immer am Wasser<br />

entstanden. Es ist also ein Novum,<br />

dass sich die Länder des<br />

Golf-Kooperationsrates (GCC) an der trockensten<br />

Stelle der Erde entwickeln. Die Frage ist: Wie kann<br />

der GCC bestehen und den Reichtum bewahren,<br />

den wir geschaffen haben Das Programm zur Nahrungsmittelsicherheit<br />

wird darauf bis 2024 hoffentlich<br />

eine Antwort geben: durch Meerwasser-<br />

Entsalzung mittels Solarenergie; indem wir das<br />

Wasser über spezielle Verteilungsnetze an die Landwirte<br />

verteilen; indem wir altertümliche Landwirtschaftsmethoden<br />

durch wassersparende Technologien<br />

des 21. Jahrhunderts ablösen; indem wir<br />

unsere nationalen Reichtümer wie Grundwasserschichten<br />

und Wasserspeicher schützen und zu strategischen<br />

Reserven machen, weil wir sie nicht mehr<br />

ausbeuten müssen, wenn wir erst einmal mithilfe<br />

der Solarenergie Meerwasser entsalzen.<br />

Wie groß wird die Rolle von Solarenergie<br />

und anderen erneuerbaren Energien sein<br />

Wir werden 1.800 Megawatt Solarstrom erzeugen<br />

und damit eine Entsalzungsanlage mit einer Kapazität<br />

von 3,5 Millionen Kubikmetern pro Tag betreiben.<br />

Das gesamte Wasser, das wir für landwirtschaftliche<br />

Zwecke benötigen, wird also hoffentlich<br />

mit erneuerbaren Energiequellen gewonnen.<br />

Wenn das gelingt, ist es ein riesiger Durchbruch –<br />

von ähnlicher Bedeutung, wie einen Menschen auf<br />

den Mond zu schicken. Das wird riesige Wellen<br />

schlagen. Wir werden mutmaßlich der erste Wüstenstaat<br />

der Welt sein, der mit erneuerbaren Energiequellen<br />

einen gewissen Grad an Nahrungsmittelsicherheit<br />

erreicht. Das Modell könnte also in<br />

andere Länder exportierbar sein, die ähnliche Gegebenheiten<br />

wie wir haben. Weltweit leben etwa<br />

zwei Milliarden Menschen in Wüstengegenden. Das<br />

Problem, ihre Ernährung zu sichern, wird also größer<br />

werden, und wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen<br />

und Lösungsansätze mit anderen Ländern<br />

zu teilen.<br />

16 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


TITELTHEMA<br />

Wie viele der Technologien, die für die<br />

Verwirklichung des Masterplans nötig sind,<br />

müssen erst noch entwickelt werden<br />

Sehr wenige. Die meisten Technologien, von denen<br />

wir sprechen, gibt es schon. Sie müssen nur noch<br />

an unsere Gegebenheiten angepasst werden, und<br />

das ist, soweit wir es überblicken, nicht sehr kompliziert.<br />

Zum Beispiel werden Solaranlagen schon<br />

jetzt in vielen Wüsten verwendet, sodass bereits an<br />

Lösungen für die Effizienzverluste durch Staub und<br />

andere Probleme gearbeitet wird. Auch andere Systeme<br />

sind sehr gut für unsere klimatischen Bedingungen<br />

geeignet.<br />

Forschung wird nach meiner Einschätzung vor<br />

allem im Bereich der Landwirtschaft eine Rolle spielen,<br />

etwa was die Entwicklung von Saatgut angeht,<br />

Ertragssteigerungen, die Entwicklung von Nutzpflanzen,<br />

die mit weniger Wasser auskommen, hitzeunempfindlich<br />

sind und so weiter. Und wenn es<br />

in diesem Bereich größere Durchbrüche gibt, sind<br />

die auch für alle anderen Wüstenstaaten anwendbar.<br />

Wann und wie werden Sie entscheiden,<br />

welche Technologien Sie im Einzelnen einsetzen,<br />

zum Beispiel für Ihre Solaranlagen<br />

Das überlassen wir den Entwicklern. Denn der<br />

Schwerpunkt beim Aufbau des Programms zur<br />

Nahrungsmittelsicherheit liegt<br />

stark beim privaten Sektor. Die<br />

Regierung wird nur für die Rahmenbedingungen<br />

und Anschubinvestitionen<br />

sorgen, seien es die<br />

Entwicklung des Rahmenplans,<br />

der Aufbau von Bildungs- und<br />

Forschungseinrichtungen, Garantien<br />

oder Absicherungen oder Gewährleistungen<br />

oder sogar Finanzierungsmöglichkeiten und<br />

auch technologische Unterstützung. Aber was wir<br />

erreichen wollen, ist, dass der Privatsektor das ganze<br />

System bereitstellt und der öffentliche Sektor<br />

dies nur ermöglicht und natürlich reguliert.<br />

Welche Rolle wird ausländischen Investoren<br />

dabei zukommen<br />

Für sie wird es eine Vielzahl von Möglichkeiten geben,<br />

besonders was die Technologien angeht. Wir<br />

versuchen, Anreize für Direktinvestitionen ausländischer<br />

Firmen in diese Sektoren zu schaffen – die<br />

Energiebranche, die Wasserbranche. Aber wir bemühen<br />

uns auch, sie zu Industrieinvestitionen im<br />

Technologiebereich zu bewegen, besonders im Zusammenhang<br />

mit erneuerbaren Energien, Wasser,<br />

Landwirtschaft und Nahrungsmitteln. Deutsche,<br />

europäische und andere Firmen werden wir also<br />

»Nicht nur Katar<br />

kann profitieren,<br />

sondern alle<br />

Wüstenstaaten«<br />

>><br />

Ursachen der Nahrungsmittelkrise 2007/2008<br />

Im Zuge der weltweiten Nahrungsmittelkrise von<br />

2007/2008 verteuerte sich Reis von 350 auf fast<br />

1.000 Dollar pro Tonne. Auch die Preise für andere<br />

Grundnahrungsmittel zogen sprunghaft an. Ähnliche<br />

Steigerungen gab es auch im Frühjahr 2011,<br />

als Weizen 60 Prozent und Mais 93 Prozent teurer<br />

gehandelt wurden als ein Jahr zuvor.<br />

Über die Gründe solcher extremen Schwankungen<br />

ist seitdem viel spekuliert worden. Für die Krise<br />

von 2007/2008 identifizierte das »Internationale<br />

Institut für Nahrungsmittelforschung« in Washington<br />

in einer Studie unter anderem folgende<br />

Ursachen:<br />

Hohe Energiepreise, durch die Biokraftstoffe<br />

wettbewerbsfähiger wurden und die Nachfrage<br />

nach ihnen wuchs<br />

Preiserhöhungen für Mais und Sojabohnen<br />

durch eine gestiegene Nachfrage nach Biokraftstoffen<br />

Wechselkursschwankungen<br />

Exportbeschränkungen und Panikkäufe vor<br />

allem für Reis<br />

Schlechtes Wetter<br />

Keine Rolle spielte der Studie zufolge dagegen die<br />

steigende Nachfrage Indiens und Chinas nach Nahrungsmitteln.<br />

>><br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 17


TITELTHEMA<br />

»Wer ab 2014<br />

dabei sein und<br />

etwas aufbauen<br />

will, muss jetzt<br />

herkommen«<br />

mit Sicherheit ermutigen, Katar<br />

als ihr industrielles Zentrum für<br />

solche Technologien in Betracht<br />

zu ziehen. Viele dieser Technologien<br />

werden hier sicherlich Vergünstigungen<br />

erhalten, wenn sie<br />

in Katar produziert werden, und<br />

wir werden ihre Verbreitung auch<br />

außerhalb Katars unterstützen, da<br />

wir auf diese Weise eine einheimische industrielle<br />

Basis stärken. Somit können Unternehmen in<br />

Deutschland von diesen Anreizen profitieren.<br />

Häufig braucht man in dieser Weltgegend einen<br />

einheimischen Partner, dem dann 51 Prozent des<br />

Unternehmens gehören, das man hier aufbaut. Wird<br />

das auch für diese Art von Investitionen gelten<br />

Ich glaube nicht, dass diese Frage innerhalb der<br />

nächsten paar Monate behandelt wird. Denn man<br />

könnte eine Art Freihandelszone schaffen oder die<br />

Möglichkeit, dass Unternehmen zu 100 Prozent in<br />

ausländischer Hand liegen, wenn ihre Branchen<br />

vom Staat als strategisch eingestuft werden und<br />

entwickelt werden müssen. Wir haben bereits Ausnahmeregelungen<br />

in vier Bereichen: Gesundheit,<br />

Bildung, Industrie und Tourismus. Man kann also<br />

als Ausländer Industriebetriebe in Katar zu 100<br />

Prozent besitzen, ohne einheimischen Partner. Deswegen<br />

würde ich sagen, dass auch keine einheimischen<br />

Partner für diese Hightech-Branchen nötig<br />

sein werden.<br />

Wann sollten ausländische Investoren beginnen,<br />

Ausschau nach Geschäftschancen im Zusammenhang<br />

mit Ihrem Programm zu halten<br />

Darum, auf den Markt zu gehen und mit der Umsetzung<br />

zu beginnen, wird es ab 2014 gehen. Aber<br />

damit jemand ab 2014 dabei sein und etwas aufbauen<br />

kann, muss er jetzt herkommen und etwas<br />

über den Markt lernen.<br />

Manche ihrer Ziele erfordern nicht nur<br />

technische Lösungen, sondern auch eine informierte<br />

Bevölkerung, die sich beteiligt und in ihrem<br />

täglichen Leben zur Umsetzung beiträgt. Was<br />

haben Sie in dieser Hinsicht vor, auch im Hinblick<br />

auf den großen und stark fluktuierenden<br />

Ausländeranteil<br />

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Bevölkerung<br />

an Bord zu bekommen, und an erster Stelle stehen<br />

dabei Maßnahmen auf freiwilliger Basis. Wir<br />

wollen eine Bevölkerung, die informiert ist und<br />

die Risiken versteht, mit denen das Land lebt. Dabei<br />

geht es nicht darum, Angst oder Verunsicherung<br />

zu schüren, sondern die Menschen dazu zu<br />

bewegen, verantwortungsvoller mit sehr knappen<br />

Ressourcen umzugehen. Das kann geschehen, indem<br />

man Jugendlichen und Kindern diese Werte<br />

im Schulalter vermittelt und auch ihre Eltern<br />

mit einbezieht.<br />

Wie sieht es mit Maßnahmen aus,<br />

die nicht auf Freiwilligkeit beruhen<br />

Dabei geht es in erster Linie um die Regulierung von<br />

bestimmtem Abfall und um Steuern. Wir werden dem<br />

folgen, was einige Industriestaaten in der Frage der Abfallbeseitigung<br />

und -besteuerung unternommen haben.<br />

Man belegt ja nicht gerade Lebensmittel oder<br />

das, was die Menschen konsumieren, mit Steuern<br />

oder Abgaben. Sondern man konzentriert sich auf<br />

den Abfall und sagt, wenn jemand übermäßig viel<br />

Müll produziert, muss er dafür Verantwortung übernehmen<br />

und vielleicht etwas mehr bezahlen. Dazu<br />

denken wir über Maßnahmen nach, die Verbraucher<br />

mit übermäßigem Abfall mit Sicherheit dazu bewegen<br />

werden, daran etwas zu ändern.<br />

Wenn man sich die heutige Situation<br />

in Katar ansieht, zum Beispiel was Energieverschwendung<br />

oder die überragende Rolle<br />

von Autos angeht: Wie lang wird der Weg noch<br />

sein, um die Menschen so weit zu bekommen<br />

Die Autofahrer können nicht für die Planung einer<br />

Stadt verantwortlich gemacht werden, die sie zwingt,<br />

Autos zu benutzen. Was kann ein Einzelner denn<br />

tun Soll er nicht zur Arbeit gehen, weil er Energie<br />

sparen will Soll er seinen Sohn nicht zur Schule<br />

bringen Soll er nicht zum Supermarkt fahren, weil<br />

er dabei schon wieder Energie verbrennt, um seine<br />

täglichen Bedürfnisse zu decken Die Stadt ist für<br />

Autos gebaut.<br />

Deshalb bin ich dafür, unsere Städte so umzubauen,<br />

dass der Einsatz von Autos gedrosselt wird<br />

und natürlich auch die Energie, die für die täglichen<br />

Wege verbraucht wird, was im Prinzip die<br />

Energieverschwendung verringern wird. Zudem<br />

18 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


TITELTHEMA<br />

wird es positive Auswirkungen auf die Gesundheit,<br />

auf die soziale und wirtschaftliche Situation des<br />

Einzelnen haben. Vieles von dem verschwenderischen<br />

Verhalten liegt also nicht in der Entscheidung<br />

Einzelner, sondern außerhalb ihres Willens.<br />

Wie viel Geld steht Ihnen für diesen<br />

riesigen Umbau zur Verfügung<br />

Es wird ein substanzieller Betrag sein. Sobald wir<br />

wissen, wie das gesamte System aussieht, werden wir<br />

die Kosten für die Umsetzung abschätzen können.<br />

Aber die werden mit Sicherheit zwischen dem Privatsektor<br />

und dem Staat aufgeteilt.<br />

Könnte Ihr Ehrgeiz, die Versorgung<br />

mit Nahrungsmitteln zu sichern, die Landwirtschaft<br />

aufzubauen und dabei auch noch<br />

umweltverträglich vorzugehen,<br />

dem Bevölkerungswachstum Katars<br />

irgendwann eine Grenze setzen<br />

Für die Nahrungsmittelsicherheit muss in jedem<br />

Land das Bevölkerungswachstum berücksichtigt<br />

werden. Denn was ich für eine Million Menschen<br />

sicherstellen kann, ist womöglich nicht ausreichend<br />

für zwei Millionen oder für drei oder fünf. Bei unserem<br />

Programm haben wir einkalkuliert, dass die<br />

Bevölkerung doppelt so groß sein wird wie heute.<br />

Wenn sie stärker wächst, müssen wir sehen, wie das<br />

System das bewältigt, ob es weiter verbessert werden<br />

muss und ob Wissenschaft und Technik uns dafür<br />

hoffentlich die Antworten liefern können. Das<br />

sind Fragen, die offenbleiben werden, aber sie werden<br />

natürlich sorgfältig beobachtet, und von Zeit<br />

zu Zeit muss man sie von Neuem stellen.<br />

<strong>BusinessReport</strong><br />

Afrika, Naher Osten und Zentralasien<br />

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GELD UND MACHT<br />

TUNESIEN: KORRUPTIONSBEKÄMPFUNG<br />

Wir sind jung und<br />

brauchen das Geld!<br />

Foto: Frederik Richter<br />

Die nach der Revolution ehrgeizig begonnene Aufarbeitung<br />

der Korruption gerät ins Stocken. Die schwebenden Verfahren<br />

gegen wichtige Geschäftsleute verunsichern Investoren.<br />

Die Regierung betrachtet inzwischen die Wiederbelebung<br />

der Wirtschaft als vorrangig<br />

Von Frederik Richter<br />

Blau strahlt das Mittelmeer. Sanft<br />

fallen die Hügel zur Bucht von Tunis<br />

ab, grüne Pinien säumen die<br />

Küste. Der Minister aus dem letzten Kabinett<br />

des gestürzten Machthabers hat die<br />

Terrasse eines Luxushotels in der antiken<br />

Hauptstadt Karthago ausgesucht, um aus<br />

der Zeit unter dem Regime zu erzählen.<br />

Von dem Ministerkollegen etwa, der eines<br />

Tages eine Mitteilung aus dem nahen<br />

Präsidentenpalast erhielt, unterschrieben<br />

von Zine el-Abidine Ben Ali persönlich:<br />

Der Bildungsminister möge bitte eine bestimmte<br />

Studentin in die Universität einschreiben.<br />

»Selbst um so etwas hat sich Ben Ali<br />

gekümmert. Wir haben Regeln für die Einschreibung<br />

von Studenten, sind von der<br />

Unesco für unser System ausgezeichnet<br />

worden«, sagt der Minister, der nicht namentlich<br />

genannt werden will. »Doch Ben<br />

Ali hat das alles umgangen.«<br />

Ein paar Kilometer weiter nördlich sieht<br />

es selbst an der Küste so ärmlich aus wie<br />

im Landesinneren mit seiner hohen Arbeitslosigkeit,<br />

wo der Arabische Frühling<br />

Ende 2010 begann. Vor kleinen Läden mit<br />

Lebensmitteln oder Baumaterial warten<br />

die Händler auf Kunden. Die Wirtschaft<br />

ist kleinteilig, auf das Dorf beschränkt.<br />

Häuser stehen zum Verkauf, bevor sie fertig<br />

gebaut sind.<br />

»Wir sollten<br />

nicht auf jegliche<br />

good governance<br />

verzichten«<br />

Hier, in dem 10.000-Einwohner-Nest Raoued,<br />

sollte Tunesien zum Finanzzentrum<br />

Nordafrikas gemacht werden. Auf mehreren<br />

Hundert Hektar Land direkt am<br />

Meer wollte die bahrainische Investmentbank<br />

Gulf Finance House (GFH) ein Bankenzentrum<br />

bauen, das aus Tunesien die<br />

bevorzugte Adresse in der Region für ausländische<br />

Finanzunternehmen machen<br />

sollte. GFH versprach, Investitionen in<br />

Höhe von drei Milliarden Dollar für das<br />

Projekt anzulocken.<br />

Noch heute weiden Schafe auf dem Gelände,<br />

der Wind treibt leere Plastiktüten<br />

über die Pfützen aufs Meer zu. Hat die<br />

Regierung das Land zurückgefordert Wie<br />

viel Geld hat sie überhaupt für das Land<br />

bekommen Hatte GFH lokale Partner mit<br />

Verbindungen zum Regime an Bord Warum<br />

wurde das Projekt nie gebaut Wer in<br />

Tunis Spitzenbeamte aus der heutigen und<br />

der früheren Regierung befragt, erhält darauf<br />

keine Antworten. Sie beteuern immer<br />

noch, das Projekt werde gebaut. Dabei<br />

liegt GFH längst am Boden, zermalmt vom<br />

Immobiliencrash am Golf und den intransparenten<br />

Geschäften, die die Finanzfirma<br />

mit Regierungen in fast einem<br />

Dutzend Ländern betrieben hat.<br />

Nach der Revolution arbeitete Tunesien<br />

die Günstlingswirtschaft und Kor-<br />

20 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


GELD UND MACHT<br />

»Aus Sicht der Investoren<br />

sind zu viele Fragen ungeklärt«<br />

Gut 400 Geschäftsleute stehen unter<br />

Reiseverbot. »Das ist ein Handicap«, sagt<br />

Tunesiens Finanzminister Houcine Dimassi.<br />

ruption unter Ben Ali zunächst intensiv<br />

auf. Ein Antikorruptionsministerium wurde<br />

eingerichtet, eine Kommission veröffentlichte<br />

einen Bericht zur Korruption<br />

in allen Bereichen der Wirtschaft. Doch bei<br />

dem Projekt in Raoued ist die Aufarbeitung<br />

noch nicht ankommen, und vielleicht<br />

wird sie das auch niemals tun.<br />

Die Schlagzeilen zur Korruptionsbekämpfung<br />

gelten den in Frankreich und<br />

der Schweiz beschlagnahmten Häusern<br />

und Bankkonten, auf denen Ben Ali seine<br />

Reichtümer geparkt haben soll. Die<br />

neue Regierung bemüht sich intensiv darum,<br />

die im Ausland vermuteten Milliarden<br />

Euro nach Hause zu holen. Die tunesische<br />

Zentralbank hat den Schweizer Anwalt<br />

Enrico Monfrini, der schon die<br />

beiseitegeschafften Gelder des nigerianischen<br />

Diktators Sani Abacha wieder auftrieb,<br />

mit der Jagd nach dem Geld beauftragt.<br />

In Frankreich hat Transparency<br />

International gegen den Widerstand einer<br />

politisch gesteuerten Staatsanwaltschaft<br />

die Beschlagnahme von Vermögenswerten<br />

erwirkt.<br />

Auch in Tunesien hat die Regierung<br />

Unternehmensanteile beschlagnahmt.<br />

Doch deren ungeklärter rechtlicher Status<br />

belastet zunehmend die ohnehin schwächelnde<br />

Wirtschaft. Wie kaum ein anderer<br />

arabischer Autokrat hat Ben Ali zusammen<br />

mit der Familie seiner Frau Leila<br />

Trabelsi über erzwungene Beteiligungen<br />

die tunesische Wirtschaft kontrolliert.<br />

»Habt Ihr einen Kontakt im Präsidentenpalast«<br />

war die erste Frage, die tunesische<br />

Unternehmer von potenziellen ausländischen<br />

Geschäftspartnern gestellt bekamen.<br />

Über im Palast angesiedelte<br />

Gremien wie die »Höhere Kommission<br />

für Großprojekte« oder die »Höhere Kommission<br />

für öffentliche Aufträge« konnte<br />

Ben Ali an der Ministerialbürokratie vorbei<br />

direkt auf Verträge und Projekte zugreifen.<br />

Mehr als hundert Menschen aus<br />

dem Dunstkreis des alten Regimes sind<br />

inzwischen wegen Korruption verurteilt<br />

worden.<br />

Weitere gut 400 Beschuldigte stehen<br />

unter Reiseverbot; ihre Vermögen und<br />

Unternehmensanteile sind eingefroren.<br />

Ihre ausländischen Geschäftspartner sind<br />

verunsichert. »Das ist ein wirtschaftliches<br />

Handicap, denn unter ihnen sind die<br />

wichtigsten Geschäftsleute des Landes«,<br />

sagt Finanzminister Houcine Dimassi.<br />

Die Regierung sieht als ihre wesentlichen<br />

Aufgaben inzwischen die Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit und die Wiederbelebung<br />

der Wirtschaft an, die 2011 um<br />

1,8 Prozent geschrumpft ist. Denn die<br />

ständigen Proteste jugendlicher Arbeitsloser<br />

belasten den politischen Neubeginn.<br />

»Ich denke, es ist Zeit, sich zu entscheiden«,<br />

argumentiert Dimassi deshalb mit<br />

Blick auf die noch laufenden Verfahren<br />

gegen Korruptionsverdächtige. »Entweder<br />

man verurteilt sie anhand von Beweisen,<br />

oder man einigt sich gütlich, indem<br />

sie zum Beispiel etwas in den Haushalt<br />

einzahlen – der kann das gebrauchen.«<br />

Die Regierung verwaltet treuhänderisch<br />

die eingefrorenen Unternehmensanteile,<br />

darunter die Mehrheit am Telekomanbieter<br />

Orange Tunisie sowie komplette Banken.<br />

Der Verkauf allein der Anteile, deren<br />

Beschlagnahme juristisch schon abgeschlossen<br />

ist, könnte der Staatskasse laut<br />

Dimassi ein bis zwei Milliarden Euro einbringen.<br />

Doch in der von Ben Ali kultivierten<br />

Günstlingswirtschaft sind viele<br />

Fälle verworren: Wo endet die legitime<br />

Geschäftsbeziehung, und wo beginnt das<br />

Profitieren von der Nähe zum Präsidentenpalast<br />

Auch Dimassi räumt ein, dass die juristische<br />

Differenzierung dauern wird. Doch<br />

der politische Umbruch hat keine Zeit. In<br />

den ärmlichen Regionen in der Landesmitte<br />

protestieren arbeitslose Jugendliche<br />

>><br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 21


GELD UND MACHT<br />

immer noch fast täglich. Vor allem im sogenannten<br />

Minenbecken um Gafsa blockieren<br />

sie oft Straßen und Eisenbahnstrecken,<br />

auf denen die wichtige Phosphat-<br />

und Chemieindustrie ihre Produkte<br />

zur Küste transportiert. In diesen strukturschwachen<br />

Regionen ist die Hälfte aller<br />

Jugendlichen arbeitslos. Durch den<br />

Einbruch des Tourismus im vergangenen<br />

Jahr – aus Deutschland etwa kamen 40<br />

Prozent weniger Touristen – sind auch die<br />

besser entwickelten Küstenregionen von<br />

der Wirtschaftskrise betroffen.<br />

»Man schafft mehr Wachstum<br />

im Land, wenn man die Korruption<br />

bekämpft«<br />

Neben neuen Touristen braucht das Land<br />

Investoren, doch aus deren Sicht sind zu<br />

viele Fragen ungeklärt. »Es besteht noch<br />

ganz viel Unsicherheit, politisch und in<br />

sozialer Hinsicht«, sagt Slim Feriani, der<br />

tunesische Chef des rund 750 Millionen<br />

Euro schweren Vermögensverwalters Advance<br />

Emerging Capital. Der Fonds hat<br />

seine Investitionen in Tunesien während<br />

der Revolution von fünf auf ein Prozent<br />

seines Portfolios in der Region reduziert<br />

und will erst einmal weiter abwarten.<br />

»Es gibt eine große Auseinandersetzung<br />

über die zukünftige Richtung des Landes«,<br />

sagt Feriani. »Die oberste Priorität<br />

sollte es jetzt sein, endlich schnell und<br />

pragmatisch die Verfassung abzuhaken<br />

und sich nicht in ideologischen Fragen zu<br />

verlieren.« Vor allem die Vorstellungen der<br />

islamistischen Ennahda-Partei – der derzeit<br />

stärksten politischen Kraft im Land –<br />

von einer Islamisierung seien wenig verheißungsvoll<br />

und könnten speziell den<br />

Tourismus treffen, an dem fast die Hälfte<br />

aller Arbeitsplätze in Tunesien hängt.<br />

Doch viele Tunesier wollen trotz der<br />

wirtschaftlichen Probleme nicht einfach<br />

zur Tagesordnung übergehen. Auf Facebook<br />

attackieren Aktivisten den Gouverneur<br />

der Zentralbank, der noch aus der<br />

Ben-Ali-Ära stamme und deswegen nicht<br />

gegen die Financiers des alten Regimes<br />

vorgehe.<br />

»Es hat sich nichts verändert«, sagt<br />

auch Sofiane Reguigui von der tunesischen<br />

Vereinigung für Transparenz im<br />

Energie- und Minensektor. »Wegen der<br />

Pressefreiheit diskutieren wir jetzt ständig<br />

über Korruptionsfälle, aber viele Geschäftsleute<br />

aus der Ben-Ali-Ära sind<br />

noch da.« Reguigui fürchtet, die Islamisten<br />

wollten die Aufarbeitung der Korruption<br />

abkürzen, um es sich nicht mit<br />

der nach wie vor mächtigen Wirtschaftselite<br />

des Landes zu verscherzen.<br />

Ebenso wie vielen anderen Tunesiern<br />

bereitet es ihm Unbehagen, dass nach<br />

der Revolution zwar das Geld aus anderen<br />

Quellen kommt, aber die Intransparenz<br />

die gleiche geblieben ist. So verweist<br />

Reguigui darauf, dass die Regierung ein<br />

zwei Milliarden Dollar teures Raffinerieprojekt<br />

ohne Ausschreibung an eine<br />

Staatsfirma aus Katar vergeben wolle.<br />

Der reiche Golfstaat hat im Arabischen<br />

Frühling auf die Aufstandsbewegungen<br />

in der Region gesetzt und pumpt jetzt<br />

über mehrere Projekte Geld ins Land,<br />

um seine neu erworbene Stellung als Regionalmacht<br />

zu festigen.<br />

»Wir brauchen dringend das Geld«, sagt<br />

Reguigui. »Aber das heißt nicht, dass wir<br />

auf jegliche good governance verzichten<br />

sollten.« Seine Vereinigung setzt sich vor<br />

allem dafür ein, dass sich Tunesien wie<br />

schon mehr als 30 andere Staaten um die<br />

Aufnahme in die Transparenzinitiative der<br />

Rohstoffwirtschaft bemüht.<br />

Die Verwaltung, die mit Ausnahme des<br />

Zolls weitgehend vom alten Regime übernommen<br />

wurde, weist jede Schuld an der<br />

Korruption von sich. Auch der Ex-Minister<br />

auf der Hotel-Terrasse in Karthago<br />

wurde nach der Revolution nach seiner<br />

Rolle in der Günstlingswirtschaft befragt.<br />

»Es ging um Zuteilungen von Land, keine<br />

große Summen. Doch die Minister haben<br />

auf schriftlichen Befehl von Ben Ali<br />

gehandelt, sie hatten keine Wahl«, sagt er.<br />

Neben den Verflechtungen der Wirtschaft<br />

mit dem Präsidentenpalast Ben Alis<br />

plagt sich Finanzminister Dimassi noch<br />

mit einem weiteren Erbe des alten Regimes.<br />

Der Wirtschaftsexperte, der als politisch<br />

Unabhängiger an den Parlamentswahlen<br />

teilnahm, sorgt sich vor allem um<br />

die hohen Ölpreise. Ebenso wie andere<br />

arabische Autokraten hatte sich Ben Ali<br />

die Bevölkerung mit massiven Subventionen<br />

von Benzin und Lebensmitteln gewogen<br />

gemacht. Doch das kann sich Tunesien<br />

immer weniger leisten in Zeiten,<br />

in denen seine Devisenreserven nicht einmal<br />

mehr reichen, um die Importe für<br />

vier Monate zu decken.<br />

»Vom rein finanziellen und wirtschaftlichen<br />

Standpunkt her müssen wir vor allem<br />

die Benzinpreise korrigieren«, sagt<br />

Dimassi in seinem Palast im Regierungsviertel<br />

von Tunis. Eine Kürzung der Subventionen<br />

dürfte jedoch weitere soziale<br />

Proteste zur Folge haben – und damit den<br />

Spielraum der Regierung, sich mit der Vergangenheit<br />

statt mit der Zukunft zu beschäftigen,<br />

weiter einengen.<br />

Fondsmanager Feriani warnt bei allem<br />

Pragmatismus dennoch davor, die Aufarbeitung<br />

der Korruption zu vernachlässigen.<br />

Die grassiere vor allem im öffentlichen<br />

Sektor Tunesiens auch nach dem<br />

Ende des Ben-Ali-Regimes noch immer.<br />

»Die Priorität sollte jetzt auf Wachstum<br />

liegen, aber das heißt nicht, dass sie nur<br />

das tun und für die nächsten beiden Jahre<br />

die Korruption ignorieren sollten«, betont<br />

Feriani. »Beides gehört zusammen.<br />

Man schafft mehr Wachstum im Land,<br />

wenn man die Korruption bekämpft, denn<br />

Korruption kostet die Wirtschaft sehr viel<br />

Geld.«<br />

22 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


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GELD UND MACHT<br />

SCHWEIZ: POTENTATENGELDER<br />

Das Erbe der<br />

Sparfüchse<br />

Nach dem Sturz der autoritären<br />

Machthaber in Nordafrika sperrte die<br />

Schweiz mehr als eine Milliarde Franken.<br />

Die libyschen Gelder sind schrittweise<br />

freigegeben worden, doch die Vermögen<br />

aus Tunesien und Ägypten warten noch<br />

auf ihre Rückgabe<br />

Von Simona Pfister<br />

Endlich heile Welt sein: Die Regierung<br />

will den Ruf der Schweiz als Gelddepot<br />

für Diktatoren loswerden.<br />

Die arabischen Umstürze des vergangenen<br />

Jahres haben auch in<br />

der Schweiz politisch etwas in<br />

Bewegung gebracht. Am 19. Januar 2011<br />

– wenige Tage nach dem Rücktritt des tunesischen<br />

Machthabers Zine el-Abidine<br />

Ben Ali – sperrte der Bundesrat, die<br />

Schweizer Regierung, rund 60 Millionen<br />

Schweizer Franken des gestürzten Präsidenten<br />

und seiner Entourage. Auf gleiche<br />

Weise wurde drei Wochen später, am 11.<br />

Februar, gleich nach dem Sturz Hosni Mubaraks<br />

verfahren. Um mit Bezug auf Ägypten<br />

die Veruntreuung in der Schweiz deponierter<br />

staatlicher Gelder zu verhindern,<br />

ließ der Bundesrat 410 Millionen<br />

Franken blockieren, die von dem ehemaligen<br />

Präsidenten und seinem engsten privaten<br />

und politischen Umfeld stammten.<br />

Banken, die Vermögenswerte der Betroffenen<br />

hielten oder verwalteten, mussten<br />

die Gelder damit wie auch im Fall Tunesiens<br />

dem Außenministerium in Bern<br />

melden, das für den Vollzug dieser Verordnungen<br />

zuständig ist. Außerdem waren<br />

sie verpflichtet, die Vermögenswerte<br />

für sämtliche Transaktionen zu sperren.<br />

Beide Blockadeanweisungen gelten für<br />

drei Jahre, um den neuen Regierungen der<br />

Revolutionsländer Zeit zu geben, Rechtshilfegesuche<br />

mit dem Ziel der Rückerstattung<br />

der Gelder zu stellen. Denn die<br />

Beweisschuld, die unrechtmäßige Herkunft<br />

der blockierten Vermögenswerte in<br />

24 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


GELD UND MACHT<br />

»Es ist schwierig zu evaluieren,<br />

wie lange die Rückführung an<br />

die Herkunftsländer dauern wird«<br />

einem Strafverfahren nachzuweisen und<br />

damit deren Rückführung zu ermöglichen,<br />

liegt bei den betroffenen Staaten.<br />

Allerdings können sich die neuen Regierungen<br />

dabei auf Auskünfte der<br />

Schweizer Behörden stützen, wenn sie entsprechende<br />

Rechtshilfegesuche einreichen.<br />

Sowohl Ägypten als auch Tunesien haben<br />

von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.<br />

Am 17. August stellte Ägypten ein<br />

entsprechendes Gesuch, am 18. Oktober<br />

folgte Tunesien. Seitdem ermittelt die<br />

Bundesanwaltschaft, um die Herkunft der<br />

Gelder zu klären. Im Dezember sei zudem<br />

ein zweites Rechtshilfegesuch aus Ägypten<br />

zum Vollzug an die Schweizer Ermittlungsbehörde<br />

delegiert worden, erklärt<br />

deren Sprecherin Jeanette Balmer.<br />

Neben diesem Weg verfügt die Schweiz<br />

mit dem Geldwäschegesetz auch über ein<br />

nationales Instrument, um gegen die Anlage<br />

unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte<br />

vorzugehen. Es verpflichtet die<br />

Finanzinstitute, beim Eingang von Geldern<br />

politisch exponierter Persönlichkeiten<br />

eine Reihe von Fragen zu Herkunft<br />

und Verwendung der Mittel zu stellen. So<br />

müssen die Banken Herkunft und Ursprung<br />

des Vermögens, Hintergründe und<br />

Plausibilität größerer Zahlungseingänge<br />

sowie den Verwendungszweck abgezogener<br />

Gelder abklären. Ergibt sich dabei ein<br />

Verdacht auf eine Unregelmäßigkeit, müssen<br />

die Institute die Meldestelle für Geldwäsche<br />

einschalten.<br />

Sowohl zu tunesischen als auch zu<br />

ägyptischen Geldern gingen dort im Januar<br />

und Februar 2011 entsprechende<br />

Mitteilungen von Banken ein. Deshalb ermittelt<br />

die Bundesanwaltschaft nun nicht<br />

nur aufgrund der Rechtshilfegesuche, sondern<br />

auch im Rahmen nationaler Gesetze<br />

gegen Verdächtige aus dem Umfeld Ben<br />

Alis und Mubaraks. Mittlerweile wurden<br />

diese Ermittlungen in beiden Fällen von<br />

der Geldwäsche auf den Tatbestand der<br />

Unterstützung einer kriminellen Organisation<br />

ausgeweitet. Beschuldigte aus beiden<br />

betroffenen Ländern haben beim<br />

Bundesverwaltungsgericht in Bellinzona<br />

Beschwerde gegen die Untersuchungen<br />

eingereicht. Um wen es sich dabei handelt<br />

und welchen genauen Inhalt die Ermittlungen<br />

haben, lässt die Bundesanwaltschaft<br />

unbeantwortet.<br />

Auch infolge der Einsprüche konnten<br />

die Strafermittlungen noch nicht abgeschlossen<br />

werden. Ebenso ist über die<br />

Rechtshilfegesuche aus den beiden Ländern<br />

noch nicht entschieden worden. Bis<br />

heute konnte deshalb kein Geld an Ägypten<br />

oder Tunesien zurückerstattet werden.<br />

»Es ist schwierig zu evaluieren, wie lange<br />

die Rückführung von unrechtmäßig erworbenen<br />

Vermögenswerten an die Herkunftsländer<br />

dauern wird«, sagt dazu<br />

Außenamtssprecherin Carole Wälti. »Dies<br />

wird in erster Linie davon abhängen, wie<br />

schnell die unrechtmäßige Herkunft von<br />

den Ursprungsländern nachgewiesen werden<br />

kann.« Um solche Prozesse in Zukunft<br />

zu beschleunigen, werde die Schweiz<br />

an tragfähigen Rechtshilfebeziehungen arbeiten<br />

und habe dabei seit dem vergangenen<br />

Jahr schon wichtige Fortschritte erzielt.<br />

Zudem hat die Schweiz als erster Staat<br />

der Welt ein Gesetz über die Rückerstattung<br />

unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte<br />

verabschiedet. Diese Regelung<br />

ermöglicht eine Rückerstattung selbst<br />

dann, wenn die Rechtshilfegesuche der<br />

Ursprungsländer wegen Versagens der<br />

staatlichen Strukturen zu keinem Ergebnis<br />

führen. Auf politischer Ebene gibt man<br />

sich also Mühe, dem Bankenplatz Schweiz<br />

nicht den Ruf eines Gelddepots für Diktatoren<br />

anhaften zu lassen. Ungeklärt<br />

bleibt allerdings, ob die Banken nicht<br />

schon vor den Umstürzen genug Anlass<br />

gehabt hätten, Meldungen im Rahmen des<br />

Geldwäschegesetzes zu erstatten.<br />

Ganz anders stellt sich die Lage hinsichtlich<br />

der Gelder aus Libyen dar. Zwar<br />

sperrte der Bundesrat im Februar 2011<br />

auch libysche Vermögenswerte, aber er ersetzte<br />

diese Verordnung bald darauf durch<br />

eine neue, um die vom UN-Sicherheitsrat<br />

beschlossenen Finanzsanktionen gegen Libyen<br />

umzusetzen. Grundlage dieses neuen<br />

Beschlusses war das Embargogesetz,<br />

weshalb er in die Zuständigkeit des Staatssekretariats<br />

für Wirtschaft (SECO) fällt.<br />

Zudem betraf die Sperrung anders als in<br />

den Fällen Ägypten und Tunesien vor allem<br />

Gelder staatlicher Organisationen; sie<br />

summierten sich zunächst auf 650 Millionen<br />

Schweizer Franken.<br />

Im Zuge der Anpassungen des UN-Sanktionsregimes<br />

an die Entwicklung in Libyen<br />

lockerte auch der Bundesrat seine Verordnung<br />

wiederholt und gab mehrfach Vermögenswerte<br />

frei, so am 23. Dezember rund<br />

165 Millionen Schweizer Franken der libyschen<br />

Zentral- und Auslandsbank. Damit<br />

befinden sich diese Gelder wieder unter voller<br />

Verfügungsgewalt der jeweiligen Unternehmen<br />

– einschließlich der Möglichkeit<br />

eines erneuten Missbrauchs. Aus Libyen<br />

seien nun nur noch rund 100 Millionen<br />

Schweizer Franken eingefroren, ließ SECO-<br />

Sprecherin Antje Baertschi wissen.<br />

Auch aus Syrien liegen noch gesperrte<br />

Vermögenswerte auf Schweizer Bankkonten,<br />

die ebenfalls im Rahmen des Embargogesetzes<br />

nach Maßgabe der UN-Sanktionen<br />

blockiert wurden. Was mit diesen<br />

Geldern geschieht, ist einstweilen ebenso<br />

offen wie der Ausgang der Proteste gegen<br />

Baschar al-Assad.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 25


RECHT<br />

KATAR: INSOLVENZEN<br />

Konkurs darf<br />

kein Tabu sein<br />

Um Investoren Sicherheit zu geben, braucht<br />

Katars boomende Wirtschaft klare Regeln<br />

für Firmen, die in Schieflage geraten oder<br />

scheitern. Das bestehende Insolvenzrecht<br />

muss sich noch in der Praxis bewähren<br />

Von Mohamed Khodeir<br />

Katars rasante wirtschaftliche Entwicklung<br />

hat hohe Markterwartungen<br />

geweckt. Aber wo es<br />

Wachstum gibt, muss es natürlich auch<br />

Mittel zur Regulierung von Fällen geben,<br />

in denen Firmen in wirtschaftliche Schieflage<br />

geraten oder scheitern. Im rechtlichen<br />

Rahmen geschieht dies durch Konkursregelungen.<br />

Angesichts ihrer Bedeutung für<br />

die Investitionssicherheit können Insolvenz-<br />

oder Umschuldungsbestimmungen<br />

deshalb nicht länger ein »Tabu« bleiben.<br />

Geschäftsklima-Rankings und andere<br />

globale Umfragen deuten durchweg darauf<br />

hin, dass Insolvenzregelungen unmittelbaren<br />

Einfluss darauf haben, wie die Entwicklung<br />

einer Wirtschaft eingeschätzt wird.<br />

Einfach ausgedrückt werden die Investoren<br />

umso mehr davon überzeugt sein, in<br />

der jeweiligen Gerichtsbarkeit zu investieren,<br />

je mehr Gewissheit sie haben, was dort<br />

im Falle einer Schieflage oder beim Scheitern<br />

eines Unternehmens unternommen<br />

werden kann.<br />

Anders als oft behauptet, gibt es in Katar<br />

bereits ein Insolvenzgesetz und ziemlich<br />

genaue Vorschriften, die zu den detailliertesten<br />

Abschnitten des katarischen<br />

Wirtschaftsrechts zählen dürften. Die Regeln<br />

und Verfahrensweisen für Insolvenzen<br />

finden sich in Kapitel 6 des Katarischen<br />

Handelsgesetzbuchs (Qatari Commercial<br />

Code, QCC), das mit dem Gesetz Nr.<br />

27/2006 verabschiedet wurde. Das QCC<br />

umfasst die Verfahren sowohl für die Privat-<br />

und Firmeninsolvenz als auch für den<br />

vorbeugenden Vergleich (al-sulh al-waqi),<br />

eine Form der Umschuldung, die gegebenenfalls<br />

eine Insolvenz verhindern soll.<br />

Die meisten Vorschriften<br />

wurden mehr mit Blick auf<br />

die Insolvenz gestaltet als<br />

darauf, diese abzuwenden<br />

Der QCC enthält keine konkrete Definition<br />

von »Insolvenz«, sondern zeigt nur<br />

die Umstände auf, unter denen ein Unternehmen<br />

als insolvent erachtet wird. Artikel<br />

606 des QCC bestimmt, dass »ein<br />

Unternehmen für insolvent erklärt werden<br />

möge, wenn es die Zahlung seiner Bankschulden<br />

zum Fälligkeitsdatum infolge finanzieller<br />

Unsicherheit oder aus Mangel<br />

an verfügbarem Kredit aussetzt«.<br />

Diesbezüglich ist eine sorgfältige Analyse<br />

des Textes wichtig, da der Wortlaut die<br />

Umstände einer Geschäftsinsolvenz darlegt,<br />

nämlich a) den Zahlungsausfall auf Bankschulden<br />

zum Fälligkeitstermin, was den<br />

Weg für Nicht-Bankschulden und für die<br />

Stundung von Schulden eröffnet; und b)<br />

dass dieser Zahlungsausfall das Ergebnis sowohl<br />

finanzieller Unsicherheit als auch einer<br />

instabilen Kreditwürdigkeit sein kann.<br />

Das QCC legt nicht im Einzelnen dar,<br />

wann davon ausgegangen wird, dass ein<br />

Unternehmen seine Schuldenzahlungen<br />

ausgesetzt hat. Der oben genannte Artikel<br />

schlägt jedoch eine Insolvenzüberprüfung<br />

in Form eines Cashflow-Tests vor. Dieser<br />

ist anwendbar, sobald eine Bankschuld<br />

unter den genannten Bedingungen nicht<br />

zur Fälligkeit beglichen wird. Auch sind<br />

die obigen Kriterien interpretationsbedürftig,<br />

und es mangelt an Präzedenzfällen.<br />

Dennoch bietet der erwähnte Test eine<br />

allgemeine Orientierung, um zu beurteilen,<br />

wann ein Zahlungsausfall als<br />

eingetreten betrachtet werden kann.<br />

Das Verfahren, mit dem die Insolvenz<br />

eines Unternehmens erklärt wird, muss<br />

den zuständigen Gerichten vorgelegt werden<br />

und kann entweder freiwillig oder auf<br />

Antrag von Gläubigern eingeleitet werden.<br />

Die beiden allgemeinen Prinzipien<br />

des Verfahrens sind, dass<br />

kein Gläubiger Klage gegen einen<br />

Schuldner erheben darf, nachdem die<br />

Insolvenz erklärt worden ist, wenngleich<br />

dies nicht die Rechte abgesicherter<br />

Gläubiger berührt, ihre Garantien<br />

geltend zu machen;<br />

Insolvenzverfahren eingestellt werden<br />

können, (1) wenn alle Gläubiger ausbezahlt<br />

wurden, (2) im Zuge eines richterlichen<br />

Vergleichs oder (3) indem das<br />

Unternehmen alle seine Vermögenswerte<br />

zugunsten seiner Schuldner abtritt.<br />

26 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


RECHT<br />

Insolvenzregelungen<br />

haben unmittelbaren<br />

Einfluss darauf,<br />

wie die Entwicklung<br />

einer Volkswirtschaft<br />

eingeschätzt wird<br />

Als weitere wichtige Aspekte verdienen<br />

Erwähnung:<br />

Kapitalgesellschaften, die in Qatar<br />

nach dem Kapitalgesellschaftsgesetz<br />

gegründet wurden, werden als Unternehmen<br />

behandelt.<br />

Insolvenzen müssen per Gerichtsbeschluss<br />

erklärt werden.<br />

Das Datum des Zahlungsausfalls ist<br />

ausschlaggebend für die Bestimmung<br />

der Positionen und der Durchsetzbarkeit<br />

von Transaktionen, die vor oder<br />

nach diesem Datum abgeschlossen<br />

wurden, sowie dafür, wann die Insolvenz<br />

vom zuständigen Gericht verkündet<br />

wird.<br />

Ein katarisches Unternehmen kann die<br />

katarischen Gerichte anrufen, um eine Einigung<br />

mit seinen Gläubigern zu erzielen,<br />

entweder wenn seine Finanzlage so<br />

stark beeinträchtigt ist, dass ein Zahlungsausfall<br />

droht, oder binnen zwanzig<br />

Tagen nach dem Zahlungsausfall (und<br />

vorausgesetzt, das Unternehmen befindet<br />

sich noch nicht im Konkursverfahren).<br />

Was Kapitalgesellschaften angeht, darf<br />

die Geschäftsleitung diese Form des Vergleichs<br />

bei offenen Handelsgesellschaften<br />

nur mit Zustimmung der Mehrheit der<br />

Teilhaber beantragen und bei anderen<br />

Unternehmensformen nur mit Zustimmung<br />

einer außerordentlichen Hauptversammlung.<br />

Zur Deckung der Verfahrenskosten<br />

muss die Gesellschaft bei<br />

Gericht eine bestimmte (vom Gericht<br />

angeordnete) Summe zur treuhänderischen<br />

Verwaltung hinterlegen. Die Bewerbung<br />

ist an das Insolvenzgericht zu<br />

richten. Der Staatsanwalt kann sich dem<br />

Antrag anschließen, und im Handelsregister<br />

sollte die Eröffnung der Insolvenz<br />

der Gesellschaft eingetragen werden.<br />

Der wichtigste Nachteil der gegenwärtigen<br />

Insolvenzregelungen ist, dass<br />

die meisten Vorschriften von Kapitel 6<br />

des QCC mehr mit Blick auf die Insolvenz<br />

gestaltet wurden als darauf, diese<br />

abzuwenden. Dennoch erlauben die Regelungen<br />

zum vorsorglichen Vergleich<br />

durchaus einen Weg zur Umschuldung,<br />

auch wenn die Anwendungsmechanismen<br />

in der Praxis recht komplex sein<br />

können, vor allem was eine fehlende Koordination<br />

der Gläubiger und der informellen<br />

gemeinsamen Entscheidungsfindung<br />

angeht.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />

dass Katar sehr wohl ein, recht umfassendes,<br />

Insolvenzrecht hat, das Umschuldungen<br />

ermöglicht. Angesichts des<br />

boomenden Markts in Katar, der noch<br />

keine nennenswerten Fälle von Zahlungsausfall<br />

ausgelöst hat, steht der Praxistest<br />

für dieses Recht allerdings aus.<br />

Da Insolvenzregelungen wesentlich sind,<br />

um die Investitionsfreundlichkeit eines<br />

Rechtsraums abzuschätzen, sollte man<br />

Nachbesserungen des derzeitigen Insolvenzrechts<br />

– und nicht unbedingt ein<br />

völlig neues – prüfen, um flexiblere Anwendungsmechanismen<br />

eines Systems<br />

zu ermöglichen, das noch kaum vor Gericht<br />

erprobt ist.<br />

Mohamed Khodeir ist Partner der<br />

Anwaltsfirma Al Tamimi & Company<br />

und leitet deren Büro in Katar.<br />

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<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 27


GESUNDHEIT<br />

LIBYEN: KRIEGSVERLETZTE<br />

Der Preis des<br />

schlechten Gewissens<br />

Hunderte Opfer des Bürgerkrieges in Libyen sind zur<br />

Behandlung nach Deutschland geflogen worden. Der<br />

libysche Staat bezahlte dafür Millionenbeträge. Vielen<br />

der Patienten rettete er so das Leben, doch manche<br />

erlebten auch Chaos und undurchsichtige Geschäfte<br />

Von Nils Metzger<br />

Am12. Oktober, Muammar al-Gaddafi war<br />

noch nicht gefasst, stand Philipp Rösler als<br />

Büßer auf dem Rollfeld des Flughafens von<br />

Tripolis. Der Bundeswirtschaftsminister besuchte<br />

Libyen als Vertreter jenes westlichen Landes, das<br />

sich den Rebellen bei der entscheidenden Abstimmung<br />

im UN-Sicherheitsrat verweigert hatte. Als<br />

Wiedergutmachung hatte der Deutsche ein versöhnliches<br />

Angebot im Gepäck: Visa für libysche<br />

Kriegsverletzte.<br />

Schon knapp eine Woche später, am Nachmittag<br />

des 18. Oktober, landete eine aus dem tunesischen<br />

Sfax kommende Transportmaschine der Bundeswehr<br />

auf dem Flughafen Köln-Bonn. An Bord hatte sie 39<br />

verletzte Libyer, die auf fünf Militärkrankenhäuser<br />

verteilt wurden. Am Flughafen erwartete die Verletzten<br />

auch Stefan Kottmair, der Chef des Münchner<br />

Medizindienstleisters Almeda. Die Tochter des<br />

Rückversicherers Munich Re bietet Krankenrücktransporte<br />

aus dem Ausland und IT-Systeme zur Behandlungsabrechnung<br />

an und erzielte damit 2010<br />

einen Umsatz von 23 Millionen Euro. Mehr als 50<br />

Millionen Euro an Behandlungs- und Transportkosten<br />

wickelt das Unternehmen jährlich im Auftrag<br />

von Versicherungen und Krankenhäusern ab.<br />

Kottmair konnte sich glücklich schätzen: Almeda<br />

wurde vom Global Healthcare Programme, mit<br />

dem Libyen im Zuge der Revolution Kriegsverletzte<br />

zur Behandlung ins Ausland verschickte, mit Aufträgen<br />

im Volumen von 60 Millionen Dollar betraut,<br />

wie aus den jüngsten Zahlen des Programms<br />

hervorgeht. Für einige der verletzten Libyer sowie<br />

manche der beteiligten Krankenhäuser sollte sich die<br />

Kooperation als weniger glücklich erweisen.<br />

Die Vorgeschichte des Geschäfts beginnt am 1.<br />

Oktober. An jenem Samstag wendet sich der Temporary<br />

Financing Mechanism (TFM), die inzwischen<br />

aufgelöste Treuhandgesellschaft der libyschen Übergangsregierung<br />

für die Auslandsgelder des Gaddafi-Regimes,<br />

an die Munich-Re-Tochter Daman Health<br />

in Abu Dhabi: Man wolle davon wegkommen,<br />

die Auslandsbehandlungen der Kriegsopfer direkt<br />

zu verwalten und »mit Krankenhäusern stattdessen<br />

über eine Drittpartei in Kontakt treten«, lässt der<br />

TFM, der auch hinter dem Global Healthcare Programme<br />

steht, in einem Schreiben an Daman<br />

Health wissen. Auch sei man daran interessiert, alle<br />

Dienstleistungen durch ein einziges Unternehmen<br />

abwickeln zu lassen – mit Schwerpunkt in Deutschland,<br />

einen Kredit durch die Förderbank KfW vorausgesetzt.<br />

Daman Health reicht den Auftrag weiter<br />

an das Schwesterunternehmen Almeda.<br />

Dieses wird schnell einig mit den Libyern. Am<br />

13. Oktober unterzeichnen beide Seiten den Vertrag,<br />

28 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


GESUNDHEIT<br />

tags darauf versendet Almeda einen Kostenvoranschlag<br />

über 12,4 Millionen Euro für die Behandlung<br />

300 libyscher Patienten. In einer E-Mail an das<br />

Unternehmen wundert sich Dietrich Becker, Ständiger<br />

Vertreter an der deutschen Botschaft in Tripolis,<br />

der damalige TFM-Direktor Mazin Ramadan<br />

habe sich aus eigener Initiative an ihn gewandt<br />

und auf Eile gedrungen: »Normalerweise muss sich<br />

die Botschaft für deutsche Firmen verwenden. Diesmal<br />

ist es erstaunlicherweise umgekehrt.«<br />

Die Vereinbarungen zwischen Almeda und dem<br />

TFM sind wenige Seiten lang: Patienten, die in Tunesien<br />

nicht behandelt werden können, sollen ausgeflogen<br />

werden; Almeda bündelt die Rechnungen<br />

und Patientenakten und reicht sie dem TFM weiter;<br />

in Deutschland werde man die Verletzten mit<br />

kulturell geschultem, arabischsprachigem Personal<br />

betreuen, so die Vertragsbestimmungen. Pro Patient<br />

veranschlagt das Unternehmen bei drei bis<br />

sechs Wochen Aufenthalt zunächst Kosten von<br />

35.000 Euro, 7.000 Euro Flugkosten nicht eingerechnet.<br />

Grundlage für die Abrechnung sind den<br />

Vereinbarungen zufolge die deutschen Fallpauschalen,<br />

die genau festschreiben, wie viel ein Krankenhaus<br />

für jede Dienstleistung verlangen darf. Almeda<br />

selbst erhält nach Angaben des ehemaligen<br />

TFM-Vizechefs Shihab Elborai rund 500 Euro monatlich<br />

pro Patient für seinen Verwaltungsaufwand.<br />

Am 19. Oktober fliegt ein Ärzteteam nach Tunesien,<br />

um geeignete Patienten auszuwählen. Innerhalb<br />

von weniger als 24 Stunden erklären sich die<br />

ersten deutschen Krankenhäuser bereit, Libyer aufzunehmen.<br />

Inzwischen fragen sich manche davon,<br />

ob sie nicht besser abgelehnt hätten.<br />

»Das waren stundenlange Operationen in den<br />

ersten Tagen – Menschen mit nur notdürftig behandelten<br />

Schusswunden, schwerste Hirnverletzungen«,<br />

berichtet ein Mitarbeiter des Asklepios-<br />

Klinikverbunds in Hamburg. »Wenn die Hütten<br />

hier voll sind, muss man sich fragen, ob man sich<br />

so etwas Aufwendiges leisten kann.« Große Mehrbelastungen<br />

seien den Kliniken etwa dadurch entstanden,<br />

dass fast alle libyschen Patienten mit antibiotikaresistenten<br />

Keimen belastet gewesen seien –<br />

ein enormer Kostenfaktor. »Wir wussten am Anfang<br />

nicht, dass eine Keimbelastung vorlag«, sagt der<br />

Asklepios-Mitarbeiter. Positiver bewertet das Universitätsklinikum<br />

Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel<br />

und Lübeck die Zusammenarbeit mit Almeda. Zwar<br />

seien mehrmals Patienten in anderer Zahl und mit<br />

anderen Diagnosen als angekündigt eingeliefert<br />

worden, aber unter den besonderen Umständen sei<br />

dies zu erwarten gewesen, sagt Pressesprecher Oliver<br />

Grieve. Für seine Klinik, die infolge des Ehec-<br />

Ausbruchs im vergangenen Jahr ein millionenschweres<br />

Defizit einfuhr, hätten sich die Behandlungen<br />

ausgezahlt: »Wir rechnen das so ab, dass<br />

am Ende die eine oder andere Mark übrig bleibt.«<br />

Für manche der libyschen Patienten verlängerte<br />

sich der Aufenthalt am UKSH allerdings um Wochen,<br />

weil keine angemessenen Reha-Angebote zu<br />

finden waren. »Manche Kliniken haben uns Plätze<br />

für 4.000 Euro am Tag vorgeschlagen«, berichtet<br />

Grieve – ein selbst für den deutschen Gesundheitsmarkt<br />

unverhältnismäßig teures Angebot.<br />

Vor allem aber ignorieren solche Preise die deutsche<br />

Rechtslage. »Die Behandlungspauschale gilt<br />

auch für Ausländer«, betont Ortwin Schulte, der<br />

im Bundesgesundheitsministerium die Außenwirtschaftsförderung<br />

koordiniert.<br />

Auch Barbara Walsh-Hanratty, Leiterin der Auslandsabteilung<br />

des Städtischen Klinikums München,<br />

erläutert, Aufschläge für interkulturelle<br />

»Wenn die Hütten hier voll sind,<br />

muss man sich fragen, ob man sich<br />

so etwas Aufwendiges leisten kann«<br />

Sonderleistungen, Übersetzer und besonderes Essen<br />

dürften in den veranschlagten Sätzen nicht<br />

vorkommen.<br />

Almeda stellte dem TFM dennoch von Anfang<br />

an den 1,8-fachen Kostensatz in Rechnung, wie aus<br />

einer zenith vorliegenden Kostenabrechnung hervorgeht.<br />

Zudem boten die Münchner einzelnen<br />

Krankenhäusern Ende Oktober an, auch zum 2,5-<br />

fachen Tarif behandeln zu dürfen. Dies sei mit dem<br />

libyschen Partner abgesprochen gewesen, erklärt<br />

Almeda gegenüber zenith: »Die Vergütungen wurden<br />

mit den Kliniken individuell ausgehandelt.«<br />

>><br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 29


GESUNDHEIT<br />

Almeda stellte von Anfang an<br />

die 1,8-fachen Kosten in Rechnung<br />

Viele Betroffene beklagen, die im Gegenzug erhaltene<br />

Betreuung sei keineswegs erstklassig gewesen.<br />

Vor allem im November, als die meisten Patienten<br />

in Deutschland eintrafen, häuften sich in einem<br />

Kriegsverletzten-Forum auf Facebook die Beschwerden.<br />

»Es ist den Patienten überhaupt nicht<br />

klar, wofür Almeda zuständig ist«, kritisierte dort<br />

eine Angehörige eines Betroffenen. Auch zahle das<br />

Unternehmen den ihnen zustehenden Taschengeldsatz<br />

nicht aus. »Wir sollten sicherstellen, dass<br />

Almeda auf keinen Fall weitere Patienten erhält«,<br />

verlangte eine Frau, die in Hamburg Verletzte besucht<br />

hatte. Im gleichen Monat hatte Almeda jedoch<br />

schon einen Folgevertrag über die Betreuung weiterer<br />

300 Patienten unterzeichnet, finanziert aus<br />

einem KfW-Darlehen an den TFM in Höhe von<br />

insgesamt 100 Millionen Euro.<br />

Die Kritik der Patienten drang auch zum TFM<br />

durch, der am 16. November mit einer Stellungnahme<br />

auf seiner Internetseite reagierte, um die<br />

Vorwürfe zu entkräften. Jeder Patient solle in<br />

Deutschland von nun an 500 Euro Begrüßungsgeld<br />

erhalten, und das Taschengeld werde auf 60 Euro<br />

pro Tag angehoben. Der Münchner Rechtsanwalt<br />

Armin Ritter erhebt dennoch schwere Vorwürfe gegen<br />

Almeda. So seien Behandlungen vorzeitig abgebrochen<br />

worden: »Ein Patient erhielt von seinem<br />

Arzt die schriftliche Auskunft, dass er noch Wochen<br />

in Behandlung verbleiben muss – tags darauf<br />

checkte ihn Almeda ohne Rücksprache aus dem<br />

Hotel aus«, berichtet er. zenith vorliegende Dokumente<br />

bestätigen dies.<br />

Mustafa Erhebi ist der Patient, dem Almeda am<br />

19. Februar die Behandlung strich. Zurzeit nächtigt<br />

er auf der Couch seines Übersetzers in München.<br />

Schon vor seiner Ankunft in Deutschland seien<br />

Fehler gemacht worden, beklagt Erhebi. Bei seiner<br />

Ankunft hätten den Münchner Isar Kliniken keine<br />

Informationen über sein Krankheitsbild vorgelegen,<br />

bis zur Behandlung durch einen Neurochirurgen<br />

seien Wochen vergangen.<br />

Daneben vertritt Rechtsanwalt Ritter einen Patientenbetreuer,<br />

der Almeda beschuldigt, ihn für<br />

mehr als zweimonatige Fahr- und Dolmetscherdienste<br />

für neun libysche Patienten nicht entlohnt<br />

zu haben. »Man nutzt die Gutmütigkeit meines<br />

Mandanten aus, der sich auf mündliche Zusagen<br />

verlassen hatte«, sagt Ritter. Almeda betont dagegen,<br />

der Mann habe gar keinen Auftrag gehabt.<br />

Eine für internationale Patienten zuständige Mitarbeiterin<br />

des Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt<br />

wirft Almeda gar versuchte Unterschlagung im<br />

Zusammenhang mit den Fallpauschalen vor: »Die<br />

Krankenhäuser bekommen den 1,8-fachen Satz ausgezahlt,<br />

während Almeda den 2,5-fachen aus Libyen<br />

erhält. Man betreibt ein Monopoly mit Patienten.«<br />

Ihre Klinik habe deshalb die Verhandlungen<br />

mit Almeda abgebrochen. Almeda wies die<br />

Anschuldigungen auf zenith-Anfrage zurück: »Almeda<br />

stellt dem Auftraggeber sämtliche Originalrechnungen<br />

zur Verfügung.«<br />

Viele der Patienten legten infolge von Kriegstraumata<br />

ein aggressives Verhalten an den Tag und<br />

hätten einen erhöhtem Pflegebedarf, erklärte das<br />

Unternehmen weiter. Dies sei auch der Grund, warum<br />

die veranschlagten Kosten von zunächst 12,4<br />

Millionen Euro für 300 Patienten auf 60 Millionen<br />

Dollar bei 600 Patienten gestiegen seien. Tatsächlich<br />

hob Almeda zenith vorliegenden Dokumenten<br />

zufolge die Kostenübernahme je Patient zuletzt auf<br />

bis zu 60.000 Euro an – ein Betrag, der im konkreten<br />

Fall von der beteiligten Klinik bis auf den letzten<br />

Euro ausgereizt wurde.<br />

Während TFM-Vizechef Elborai diesen Anstieg<br />

für gerechtfertigt hält, äußerte sich der libysche Botschafter<br />

in Deutschland zurückhaltender. »Ja, wir<br />

haben gemerkt, dass die Rechnungen immer weiter<br />

ansteigen«, sagte Masednah al-Kotany, der selbst als<br />

Arzt tätig war, bevor er vergangenes Jahr in die Diplomatie<br />

wechselte. Die Botschaft stehe wegen der<br />

gestiegenen Kosten mit vielen Kliniken im Dialog.<br />

Dass die Behandlung libyscher Kriegsverletzter<br />

für Unternehmer zu einem Fiasko werden kann,<br />

zeigt ein Fall aus Hamburg, der sich jenseits der<br />

offiziellen TFM-Almeda-Kooperation abspielte. Am<br />

28. November landete eine Chartermaschine mit<br />

rund 60 leichtverletzten Libyern auf dem Flughafen<br />

der Hansestadt, ohne dass Krankenhäuser oder<br />

örtliche Gesundheitsbehörden vorab informiert gewesen<br />

wären. Bei ihrer Ankunft strandeten sie zu-<br />

30 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


GESUNDHEIT<br />

nächst auf dem Airport; ihre Unterbringung musste<br />

das Hamburger Gesundheitsamt kurzfristig organisieren.<br />

Bei der Organisation des Fluges war<br />

nach Darstellung der Behörde das Beratungsunternehmen<br />

German Health Management & Consult<br />

(GHMC) eingebunden.<br />

GHMC-Chefin Leonore Boscher streitet dagegen<br />

jede organisatorische Tätigkeit in diesem Zusammenhang<br />

ab. »Ich habe mit der Frage, wie die<br />

Patienten hierher kamen, nichts zu tun», sagte sie<br />

zenith. »Ich habe mit meiner Erfahrung kurzfristig<br />

die Verteilung dieser Patienten organisiert, ohne<br />

irgendwelche Bezahlung und von Anfang an mit<br />

der dringenden Ansage an die Libysche Botschaft,<br />

dass ich hierfür einen Auftrag benötige.« Nun versuche<br />

sie – bislang vergeblich – eine Bezahlung ihrer<br />

Dienste durch die libysche Botschaft auszuhandeln,<br />

sagt Boscher.<br />

Zwei Versäumnisse führten nach Darstellung Boschers<br />

zu dem Chaos am Hamburger Flughafen:<br />

die Weigerung libyscher Ministerien, mit der Botschaft<br />

in Berlin zusammenzuarbeiten – lediglich<br />

der Botschafter, nicht aber die meisten Angestellten<br />

wurden nach der Revolution ausgetauscht –<br />

und die deutsche Visapolitik. »Es gibt klare Regeln<br />

für medizinische Visa«, sagte die GHMC-Chefin. Im<br />

Einzelfall fehle es aber oft an aussagekräftigen Dokumenten.<br />

»Aufgrund des Zeitdrucks sind vermeintlich<br />

pragmatische Lösungen vom Auswärtigen<br />

Amt gesucht worden.«<br />

Im Berliner Außenamt will man selbst hinter vorgehaltener<br />

Hand die an dem Hamburger Fiasko beteiligten<br />

Unternehmen nicht namentlich nennen.<br />

»Wir stellen uns wirtschaftlicher Kooperation nicht<br />

in den Weg«, sagt ein Diplomat. Eine Sprecherin des<br />

Ministeriums teilt lediglich mit, der deutschen Botschaft<br />

in Tripolis habe für alle betroffenen Patienten<br />

eine Behandlungszusage und Kostenübernahmeerklärung<br />

eines Krankenhauses vorgelegen.<br />

Letztlich nahm unter anderem das UKSH die Libyer<br />

auf – und blieb bislang auf den Kosten sitzen,<br />

wie Pressesprecher Grieve betont. Das Klinikum sei<br />

aber »zuversichtlich, dass die libysche Botschaft uns<br />

da entgegenkommt«. Auch mehrere Vermittlungsagenturen<br />

und andere Krankenhäuser versuchen<br />

mittlerweile, Gelder zu bekommen, die ihnen von<br />

angeblichen und tatsächlichen Kontaktpersonen der<br />

libyschen Regierung zugesagt wurden.<br />

Einer dieser Unzufriedenen ist Olaf Haase, Chef der<br />

Vermittlungsagentur Premier Healthcare in Hamburg,<br />

die nach eigenen Angaben intensiv mit den Asklepios-Kliniken<br />

zusammenarbeitet. Im Fall der<br />

nordafrikanischen Kriegsverletzten hatte das Unternehmen<br />

mit verschiedenen libyschen Stellen zu tun.<br />

Mit wechselndem Erfolg. Ein großer Teil der Verletzten<br />

sei über die Organisation Wounded Libyan<br />

Evacuation Team (WLET) mit Sitz in den Niederlanden<br />

gekommen. »Unter diesen Umständen haben<br />

die das gut hinbekommen«, sagt Haase.<br />

In anderen Fällen hätten sich Partner in Libyen<br />

nicht an Absprachen gehalten oder eine willkürliche<br />

Zahl an Patienten geschickt. »Wir hatten zu viele Patienten,<br />

nicht alle waren auf Deutschland vorbereitet«,<br />

sagt Haase. Teils seien die Verwundeten direkt<br />

nach der Visavergabe ins Flugzeug gesetzt worden.<br />

Nach Angaben von WLET sitzen die Asklepios-<br />

Kliniken noch immer auf unbezahlten Behandlungskosten<br />

von rund 800.000 Euro. Von WLET ist<br />

auch zu erfahren, dass die Ausstellung eines deutschen<br />

Visums in Tripolis nur wenige Stunden dauere.<br />

Die eingereichten Unterlagen bestünden meist<br />

aus nur drei Sätzen, von denen zwei die Qualität des<br />

behandelnden Arztes priesen.<br />

Almeda überlegt einer Branchenkennerin zufolge,<br />

»Ja, wir haben gemerkt, dass die<br />

Rechnungen immer weiter ansteigen«<br />

sich aus der Betreuung libyscher Kriegspatienten zurückzuziehen.<br />

Der Vertrag mit TFM sollte im April<br />

auslaufen. »Aus Libyen liegen Anfragen zur Fortsetzung<br />

nicht vor«, erklärte Almeda. Die libysche Botschaft<br />

in Berlin zog Konsequenzen aus dem Chaos.<br />

Sie unterzeichnete Ende Februar einen Kooperationsvertrag<br />

mit dem Berliner Klinikbetreiber Vivantes,<br />

der auch Richtlinien zur interkulturellen Betreuung<br />

libyscher Patienten festschreibt. Bundesgesundheitsminister<br />

Daniel Bahr wiederum vereinbarte<br />

bei einem Libyen-Besuch im April die Einsetzung einer<br />

gemeinsamen Kommission, »die sich der optimierten<br />

administrativen Abwicklung der Behandlungsfälle<br />

widmen soll«, wie sein Ministerium mitteilte.<br />

Als Rahmen dafür solle ein Deutsch-Libysches<br />

Gesundheitsabkommen geschlossen werden.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 31


GESUNDHEIT<br />

IRAK: MEDIZIN<br />

Foto: Philipp Spalek<br />

»2015 werden wir<br />

mehr ausgeben als<br />

Saudi-Arabien«<br />

Iraks Gesundheitsminister Majeed Hamad<br />

Amin Jameel im zenith-Interview<br />

über Investitionsgarantien, das künftige<br />

Krankenversicherungssystem und<br />

den Wettlauf der Provinzen um die beste<br />

medizinische Versorgung<br />

Interview: Daniel Gerlach und Philipp Spalek<br />

Ausländische Unternehmen – nicht<br />

nur deutsche – verlangen Garantien,<br />

bevor sie in die irakische Gesundheitsinfrastruktur<br />

investieren. Verspricht<br />

Ihre Regierung staatliche Garantien<br />

Oder würden Sie die deutsche Regierung<br />

bitten, mit Hermes-Exportbürgschaften<br />

einzuspringen<br />

Momentan sind etwa drei- oder vierhundert<br />

internationale Unternehmen in Irak<br />

aktiv. Die haben allesamt Garantien – vom<br />

irakischen Finanzministerium und von<br />

der Irakischen Handelsbank, die als weltweit<br />

tätiges Geldhaus allen Investoren Garantien<br />

zur Verfügung stellt. Die deutschen<br />

Unternehmen, die in Irak arbeiten, könzenith:<br />

Doktor Jameel, Sie haben im Irak<br />

ein veraltetes, heruntergewirtschaftetes<br />

Gesundheitswesen geerbt. Ist das System<br />

noch reformierbar oder müssen Sie es<br />

völlig neu aufbauen<br />

Majeed Hamad Amin Jameel: Unser Gesundheitssystem<br />

hat seine Grenzen und ist<br />

ungeeignet für die heutigen Anforderungen.<br />

Bislang hat die Regierung alles kontrolliert.<br />

Zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation<br />

arbeiten wir jetzt daran,<br />

dieses System zu ändern. Und es gibt Fortschritte.<br />

Experten der Universität Oxford<br />

prüfen derzeit mögliche Reformschritte.<br />

Das Gesundheitsministerium folgt einer<br />

zweigleisigen Strategie: Einerseits fördern<br />

und verbessern wir, was bereits vorhanden<br />

ist, und ergänzen es um weitere Dienstleistungen;<br />

andererseits bemühen wir uns,<br />

das alte System abzulösen.<br />

Noch vor ein paar Jahrzehnten galt<br />

die Gesundheitsversorgung in Irak<br />

als eine der besten des Nahen Ostens.<br />

Nach Jahren des Kriegs und der<br />

Unruhe wird es nicht einfach sein,<br />

das System zu sanieren.<br />

Das System war adäquat, als Irak noch acht<br />

Millionen Einwohner hatte und die Menschen<br />

vergleichsweise geringe Ansprüche<br />

stellten. Heute leidet die irakische Bevölkerung<br />

unter neuen Krankheiten; es gibt<br />

viele Fälle von Krebs, Herzleiden sind so<br />

weit verbreitet wie in Europa. Früher gab<br />

es hier keine Herzkrankheiten, kein Diabetes,<br />

keine Probleme mit Bluthochdruck,<br />

keinen Krebs, keine Nierenleiden. Früher<br />

litten die Menschen an Infektionskrankheiten.<br />

Die sind nicht mehr das Thema.<br />

Und die neuen Krankheiten sind teuer. Die<br />

Gesundheitskosten steigen täglich – und<br />

Sie in Deutschland kennen ja die Belastungen<br />

durch hohe Gesundheitskosten.<br />

Irak war einmal ein großzügiges Land: Ich<br />

erinnere mich, dass Irak 1971 rund 300<br />

Millionen Dollar allein für Medikamente<br />

ausgab. Und das war in den Siebzigern!<br />

Und heute Unsere Pharmafabriken sind<br />

inzwischen sehr alt und nicht mehr zur<br />

Medikamentenherstellung geeignet. Medikamente<br />

aus Irak sind von minderer Qualität<br />

und sehr einfach: Beruhigungsmittel,<br />

Antibiotika – und die meisten Antibiotika<br />

fallen bei Tests durch. Irak importiert 94<br />

Prozent seines medizinischen Bedarfs.<br />

Was das für die nationale Sicherheit und<br />

die Sicherheit der Medikamentenversorgung<br />

bedeutet Wir modernisieren unsere<br />

bestehenden Produktionsstätten – die<br />

Werke Samarra, Niniveh und Akai – die<br />

auch von internationalen Unternehmen<br />

genutzt werden können. Zum Zweiten halten<br />

wir nach Investitionen in neue Fabriken<br />

Ausschau, um Mittel gegen Krebs herzustellen,<br />

Anästhetika, Notfallmedikamente<br />

und Mittel gegen chronische Leiden.<br />

Irak hat das zweitgrößte Gesundheitsbudget<br />

in der arabischen Welt, gleich nach Saudi-Arabien.<br />

Und wir gehen davon aus, dass<br />

wir bis 2015 das größte haben werden.<br />

32 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


GESUNDHEIT<br />

»Wenn ein Iraker heute eine Herz-OP<br />

braucht, kostet ihn das 40 Cent«<br />

Majeed Hamad Amin Jameel ist<br />

irakisch-kurdischer Arzt und wurde 2010<br />

Gesundheitsminister Iraks. Zuvor war er<br />

Minister für »Märtyrerangelegenheiten«<br />

in der kurdischen Regionalregierung.<br />

Jameel ist Mitglied der Patriotischen<br />

Union Kurdistan, der Partei des irakischen<br />

Präsidenten Jalal Talabani.<br />

Im April 2012 überlebte er einen<br />

Bombenanschlag in Bagdad.<br />

nen das bezeugen. Bis jetzt hat es keine<br />

Zahlungsprobleme gegeben.<br />

Und die Sicherheiten im Gesundheitssektor<br />

gelten sowohl für medizinische<br />

Ausrüstung als auch für Bauvorhaben<br />

Ja. Wir investieren gerade rund drei Milliarden<br />

Dollar in den Bau neuer Krankenhäuser.<br />

Die wichtigste Sicherheit wird<br />

ein Kooperationsabkommen zwischen<br />

Deutschland und Irak sein, wir haben gerade<br />

eine Absichtserklärung mit dem deutschen<br />

Gesundheitsministerium unterzeichnet.<br />

Das Abkommen erlaubt es deutschen<br />

Firmen, sicher in Irak zu arbeiten.<br />

Natürlich sind wir zu allem bereit, um<br />

deutschen Unternehmen den Weg zu ebnen.<br />

Der gute Ruf deutscher Unternehmen<br />

erreicht Irak schon, bevor sie überhaupt<br />

beginnen, für sich zu werben.<br />

Irak ist ein Bundesstaat. Wer wird<br />

die wichtigen Entscheidungen im<br />

Gesundheitswesen treffen: die Zentralregierung<br />

oder die Provinzen<br />

Irak ist ein föderales Staatswesen mit zwei<br />

Arten der Verwaltung. Die erste ist regional<br />

– wie in der Region Kurdistan mit ihren<br />

spezifischen Bedingungen und völliger<br />

Selbständigkeit in allen Ressorts außer<br />

Sicherheit, Finanzen und Öl. Die Provinzen<br />

machen ihre eigene Politik, doch im<br />

Gesundheitswesen formuliert die Bundesregierung<br />

die Strategien, setzt sie aber<br />

nicht selbst um. Das ist Aufgabe der lokalen<br />

Behörden.<br />

Die großen Vorgaben kommen von uns,<br />

und die Provinzen und Regionen kümmern<br />

sich um die Details. In diesem Jahr<br />

reicht unser Budget für den Bau von 26<br />

Krankenhäusern im ganzen Land. Aber<br />

womöglich hat die Region Kurdistan dazu<br />

ganz eigene Ansichten und baut weitere<br />

Krankenhäuser. Die reichen Provinzen<br />

wie Basra oder Kirkuk bauen vier neue<br />

Fachkliniken auf. Das Gleiche geschieht<br />

in Nadschaf und Mosul.<br />

Wie planen Sie im Einzelnen:<br />

große, multifunktionale Krankenhäuser<br />

und medizinische Zentren oder<br />

ein dezentralisiertes Netzwerk kleiner<br />

ambulanter Kliniken<br />

In allen Provinzen wird es große Polikliniken<br />

geben. Bislang haben alle Städte in<br />

Irak ein Allgemeinkrankenhaus, eine pädiatrische<br />

sowie eine gynäkologische oder<br />

Geburtshilfeklinik. Jetzt haben wir begonnen,<br />

weitere zu bauen. Sämtliche medizinischen<br />

Leistungen, die in Bagdad zur Verfügung<br />

stehen, wird es auch in allen Provinzen<br />

geben. Natürlich wird ein Patient<br />

für bestimmte Spezialbehandlungen wie<br />

eine Netzhauttransplantation nach Bagdad<br />

kommen müssen. Aber in Nasirija, Er-<br />

bil, Sulaimanija, Nadschaf und Kirkuk wird<br />

bereits Herzchirurgie angeboten.<br />

Lokale und Provinzregierungen liefern<br />

sich mittlerweile einen Wettlauf um die bessere<br />

Gesundheitsversorgung: Nadschaf hat<br />

eine 100-Betten-Klinik für Herzkrankheiten<br />

und Chirurgie errichtet, Nasirija und<br />

Mosul bauen onkologische Zentren.<br />

Gewiss benötigen die Iraker ein neues<br />

Versicherungssystem. Ihre Nachbarstaaten<br />

am Golf gewähren ihren Bürgern<br />

freie Gesundheitsversorgung, stellen nun<br />

aber fest, dass das so nicht mehr funktioniert.<br />

Welches Versicherungssystem wird<br />

sich in Irak durchsetzen: ein privates, ein<br />

staatliches oder eine Kombination aus<br />

beiden<br />

Gemäß der Verfassung hat der Staat alle<br />

Iraker zu versorgen. Faktisch macht das<br />

die irakische Regierung zur größten Versicherung.<br />

Das ist nicht gut, denn es ist<br />

zu teuer. Wenn ein Iraker heute eine Herzoperation<br />

benötigt, kostet ihn das 40 Cent.<br />

Es gibt gar kein echtes Versicherungsunternehmen<br />

in Irak. Aber zusammen mit<br />

der neuen Strategie und dem neuen Gesundheitssystem<br />

baut die Regierung neue<br />

Versicherungsunternehmen auf. Ich als<br />

Gesundheitsminister glaube, dass wir ein<br />

spezielles Armen-Ministerium in Irak benötigen.<br />

Menschen, die mehr als drei Millionen<br />

Dinar im Monat verdienen ...<br />

... also rund 3.000 Euro ...<br />

... sollten sich privat versichern und in privaten<br />

Krankenhäusern behandelt werden.<br />

Für öffentliche Angestellte sollte der Staat<br />

die Krankenversicherungsbeiträge übernehmen,<br />

als Teil ihres Gehalts wie in Europa.<br />

Aber das braucht viel Zeit. In den<br />

kommenden zwei bis vier Jahren ist das<br />

nicht zu schaffen, aber auf dieses Ziel arbeiten<br />

wir hin.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 33


PLANEN UND BAUEN<br />

VAE: ARCHITEKTUR<br />

Der Dreh- und<br />

Angelpunkt<br />

Der Flughafen Abu Dhabis lässt sich für fast<br />

sieben Milliarden Dollar ein neues Terminal bauen.<br />

Das soll als Katalysator für das Wirtschaftswachstum<br />

des ganzen Emirats dienen und selbstverständlich<br />

auch architektonisch glänzen<br />

34 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


PLANEN UND BAUEN<br />

Illustration: Kohn Pedersen Fox Associates<br />

Als künftiges Tor zur Stadt soll der Bau Offenheit signalisieren.<br />

Das Terminal soll das größte<br />

Gebäude im Emirat werden<br />

Der neue, zwischen den beiden Startbahnen<br />

gelegene Terminalkomplex soll den<br />

nötigen Platz für das geplante Wachstum<br />

des Flughafenbetriebs schaffen: von derzeit 12,4<br />

Millionen Reisenden auf 20 Millionen im Jahr 2017<br />

und längerfristig bis zu 40 Millionen Passagiere pro<br />

Jahr. Der Neubau ist eng verknüpft mit dem Ausbau<br />

des Flughafens zum internationalen Luftdrehkreuz<br />

und der Expansion des nationalen Carriers<br />

Etihad Airways. Die Planer nennen das Terminal<br />

deshalb in einem Atemzug mit Prestigeprojekten<br />

wie dem Kulturdistrikt Saadiyat Island als integralen<br />

Bestandteil des Plans Abu Dhabi 2030, der Strategie<br />

des Emirats für den Ausbau von Wirtschaft<br />

und Tourismus. Rund elf Milliarden Dollar an wirtschaftlichem<br />

Ausstrahlungseffekt verspricht sich<br />

die Flughafengesellschaft Abu Dhabi Airports Company<br />

in der letzten Ausbaustufe allein von dem neuen<br />

Terminal.<br />

Bei solchen Dimensionen dürfen auch architektonisch<br />

die landestypischen Superlative nicht fehlen.<br />

Das vom Architekturbüro Kohn Pedersen Fox<br />

Associates entworfene Gebäude soll das größte<br />

im ganzen Emirat werden, die zentrale Halle drei<br />

Fußballfelder fassen und von einer gewagten, bis<br />

>><br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 35


PLANEN UND BAUEN<br />

Eine bis zu 52 Meter hohe Bogenkonstruktion wird die zentrale<br />

Halle des Terminals überspannen.<br />

Die Architekten versprechen<br />

ein Gebäude mit »Sinnstiftenden<br />

Verbindungen«<br />

zu 52 Meter hohen Bogenkonstruktion überspannt<br />

werden. Die Architekten versprechen ein Gebäude,<br />

dessen Offenheit »sinnstiftende Verbindungen«<br />

zwischen dem Inneren und der Umgebung schaffen<br />

werde.<br />

Zumindest innen wird der Sinn vor allem im<br />

Konsum bestehen: Mit bis zu 25.000 Quadratmetern<br />

Fläche für Einzelhandel und Gastromie wird<br />

sich der Komplex locker mit den Malls der Region<br />

messen können. Daneben ist ein 8.400 Quadratmeter<br />

großer überdachter Park mit mediterranen<br />

Pflanzen und Wüstenlandschaften geplant. Die Inbetriebnahme<br />

ist für die erste Jahreshälfte 2017<br />

angepeilt.<br />

36 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


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PLANEN UND BAUEN<br />

ASERBAIDSCHAN: BAUWIRTSCHAFT<br />

Foto: Nargiz Gasimli<br />

Wer Baku zuletzt vor fünf Jahren<br />

besucht hat und heute zurückkehrt,<br />

kann sich nur wundern,<br />

wie rasant sich das Stadtbild der aserbaidschanischen<br />

Metropole am Kaspischen<br />

Meer verändert hat. Die Innenstadt<br />

wurde saniert, ebenso die Gründerzeitfassaden;<br />

sowjetische Plattenbauten entlang<br />

den Hauptverkehrsadern (den häufigsten<br />

Fahrtrouten des Präsidenten)<br />

erhielten neue Fassaden. In den Wohnvierteln<br />

schossen massenweise pastellfarbene<br />

Hochhäuser in die Höhe, ganze<br />

Stadtteile mit alter Bausubstanz wurden<br />

ohne Rücksicht auf Denkmalschutz oder<br />

architektonische Konsistenz abgerissen<br />

und neu bebaut.<br />

Nun greift der Bauboom auf private<br />

Investorenprojekte über. »Jede aserbaidschanische<br />

Firma oder Bank will<br />

Die »Flame Towers« – hier einer<br />

der drei Türme im Bau – sollen<br />

zu neuen Wahrzeichen Bakus werden.<br />

38 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


PLANEN UND BAUEN<br />

Eine Ölstadt<br />

soll sich neu erfinden<br />

Baku hat sich in den vergangenen fünf<br />

Jahren massiv verändert. Neubauten, aufwendige<br />

Restaurierungen und Megaprojekte prägen<br />

das neue Gesicht der Stadt. Deutsche und türkische<br />

Firmen mischen kräftig mit, die einheimische<br />

Industrie schaut unbeteiligt zu<br />

Von Sara Winter Sayilir<br />

sich jetzt eine neue Verwaltungszentrale<br />

bauen«, sagt Thomas Winterstetter<br />

vom Stuttgarter Ingenieur- und Planungsbüro<br />

Werner Sobek. Die Erneuerungsmaßnahmen<br />

hätten Bakus Innenstadt<br />

lebenswerter gemacht, findet er –<br />

hier gebe es jetzt alles, was das Herz begehre:<br />

Restaurants, Boutiquen, sogar einen<br />

McDonald’s.<br />

Auch die staatlich orchestrierte Umbauphase<br />

ist bei weitem nicht abgeschlossen.<br />

Das größte Neubauvorhaben<br />

nennt sich »Baku White City«. Wo früher<br />

die Wohnstadt der Ölarbeiter stand, die<br />

sogenannte »Schwarze Stadt«, soll nun ein<br />

edel anmutendes Neubauviertel ganz in<br />

Weiß entstehen. Neben zahlreichen Wohnund<br />

Bürogebäuden ist ein architektonisch<br />

anspruchsvoller Kern von Wolkenkratzern<br />

und Bürogebäuden vorgesehen, der den<br />

Eindruck genuiner Urbanität vermitteln<br />

soll. Derzeit macht die Regierung das ehrgeizige<br />

Projekt auf internationalen Immobilienmessen<br />

bekannt, um Investoren<br />

anzuwerben. Bei einer Verwirklichung<br />

werde es »sicher genug Arbeit geben für<br />

die nächsten 20 bis 30 Jahre«, glaubt Winterstetter.<br />

Seit 2007 ist der Stuttgarter Ingenieur<br />

als Projektleiter für Fassade und Tragwerk<br />

zweier Megaprojekte zuständig: der Flame<br />

Towers und des Hejdar-Alijew-Kulturzentrums.<br />

Die markanten Gebäudekomplexe<br />

bilden neben dem Ausbau des internationalen<br />

Flughafens das Kernstück der<br />

Neugestaltung von Baku. »Die Idee hinter<br />

diesen Prunkstücken ist es, city icons zu<br />

schaffen – so etwas wie das Opernhaus<br />

von Sidney«, sagt Winterstetter. Die Regierung<br />

wolle den Ruf der Stadt als verseuchte,<br />

dreckige Ölproduktionsmetropole<br />

loswerden.<br />

Ein Blick auf die fast fertigen Megaprojekte<br />

macht deutlich, was Winterstetter<br />

meint: Dominant ragen die Flame Towers,<br />

entworfen vom größten US-Architekturbüro<br />

HOK, aus der Mitte der<br />

terrassenartig ansteigenden städtischen<br />

Bebauung Bakus hervor. Die drei flammenartig<br />

geformten Glastürme spielen auf<br />

>><br />

»Jede Firma will<br />

sich eine neue<br />

Verwaltungszentrale<br />

bauen«<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 39


PLANEN UND BAUEN<br />

die zoroastrische Vergangenheit der Region<br />

an. In einigem Abstand entsteht das<br />

weiß-glänzende Hejdar-Alijew-Kulturzentrum,<br />

benannt nach dem früheren Präsidenten<br />

der jungen Republik und Vater<br />

des heutigen Staatschefs. Der vom Büro<br />

der Stararchitektin Zaha Hadid entworfene<br />

Bau soll einmal ein multifunktionales<br />

Veranstaltungszentrum, ein Museum<br />

und ein Opernhaus beherbergen.<br />

Gebaut werden die beiden Megaprojekte<br />

von der türkisch-aserbaidschanischen<br />

DIA Holding, die 2007 eigens zu<br />

diesem Zweck gegründet wurde; Winterstetters<br />

Arbeitgeber Sobek ist als Subunternehmer<br />

für sie tätig. »Damals, 2007,<br />

gab es nur vier Personen, die Architekten<br />

und mich«, erinnert sich Winterstetter.<br />

Was DIA seitdem aus dem Boden gestampft<br />

habe, sei eine Meisterleistung.<br />

Der aserbaidschanische Baumarkt gebe<br />

die Materialien für derart anspruchsvolle<br />

Projekte gar nicht her; auch an qualifiziertem<br />

Fachpersonal mangele es. Alles<br />

müsse importiert werden – aus den Vereinigten<br />

Arabischen Emiraten, aus Europa<br />

und der Türkei. »Wir haben da eine<br />

Menge Erklärungsarbeit investiert und<br />

teilweise Detailentwicklung bis hin zur<br />

letzten Schraube geleistet«, sagt der Deutsche<br />

über die Zusammenarbeit mit den<br />

Zulieferern in Istanbul.<br />

Fertigstellung von Gebäuden in Aserbaidschan<br />

Ganze Stadtteile mit<br />

alter Bausubstanz<br />

wurden abgerissen<br />

und neu bebaut<br />

In Aserbaidschan selbst scheint nur wenig<br />

von dem transferierten Know-how zu bleiben.<br />

Die Stadt und ihre Bewohner profitierten<br />

dennoch, findet Winterstetter, weil<br />

der Umbau der Metropole auch die Renovierung<br />

ganzer Stadtteile und den Ausbau<br />

der Infrastruktur umfasse. »Baku hat sich<br />

in einem beispiellosen Kraftakt von einer<br />

heruntergekommenen sozialistischen Bettenburg-Stadt<br />

zu einer lebenswerten Großstadt<br />

gewandelt, in der man sich manchmal<br />

fühlt wie in Wien oder Paris.«<br />

Während viele Einwohner Bakus den<br />

Umbau mit Skepsis und Unwohlsein betrachten,<br />

sieht der Stuttgarter den gut umgesetzten<br />

Masterplan dahinter. Begünstigt<br />

werde dessen Verwirklichung gerade durch<br />

die geringe Zahl an Entscheidern in der<br />

aserbaidschanischen Regierung: Lähmende<br />

demokratische Legitimierungsprozesse<br />

wie in Europa fielen einfach weg. »Das<br />

ist wie in China, wenn einmal das Go<br />

kommt, geht alles sehr schnell«, sagt Winterstetter.<br />

Und im Unterschied etwa zum<br />

2006 2007 2008 2009 2010<br />

Fertigstellung von Wohneinheiten 13.900 14.700 17.100 13.500 17.600<br />

Fertigstellung von Wohngebäuden (Anzahl) 9.470 11.967 11.396 9530 11.808<br />

Fertigstellung von Wohngebäuden (1.000 qm) 1.583 1.616 1.845 1.501 2.049<br />

Fertigstellung von öffentlichen Gebäuden (1.000 qm) 146 236 243 139 311<br />

Fertigstellung von privaten Gebäuden (1.000 qm) 1.437 1.380 1.602 1.362 1.738<br />

Anteil des öffentlichen Baus (in Prozent) 9,2 14,6 13,1 9,3 15,2<br />

Quelle: GTAI / Staatliches Statistisches Komitee der Republik Aserbaidschan (2011)<br />

Bauboom in Dubai stünden in Aserbaidschan<br />

Milliardeneinnahmen aus dem Ölund<br />

Gassektor als sichere Finanzierung<br />

hinter den Plänen.<br />

Das ehemals sagenhafte aserbaidschanische<br />

Wirtschaftswachstum, das in den<br />

Jahren ab 2004 zunächst durchschnittlich<br />

21 Prozent erreichte, hat sich zwar aufgrund<br />

der Krise nach 2008 deutlich verlangsamt;<br />

2010 lag es nur noch bei 3,7<br />

Prozent. Dennoch hat das Land in den<br />

fetten Jahren ausreichend Geld- und Goldreserven<br />

aufgebaut, um die Folgen der<br />

Krise abfedern zu können.<br />

Nun ist eine Diversifizierung der heimischen<br />

Wirtschaft das Gebot der Stunde:<br />

Möglichst rasch will sich Aserbaidschan<br />

von der einseitigen Abhängigkeit vom Erdöl-<br />

und Gassektor befreien. 2010/11 entfielen<br />

immerhin schon sieben bis zehn Prozent<br />

des BIP auf die Baubranche. Zwar sind<br />

die ausländischen Investitionen in der<br />

Branche seit 2002 stark rückläufig, doch<br />

dafür steigen die inländischen stetig an.<br />

Nur muss die einheimische Industrie noch<br />

lernen, einen größeren Teil der Arbeit selbst<br />

zu übernehmen.<br />

Zu den ambitionierten Großprojekten<br />

in Baku gehört auch die Chrystal Hall, der<br />

Veranstaltungsort des Eurovision Song<br />

Contest in diesem Mai. Gebaut worden<br />

ist die wabenartig gestaltete Halle direkt<br />

am Ufer des Kaspischen Meeres von Alpine<br />

Bau Deutschland. Die aserbaidschanische<br />

Regierung stellte dafür 212,5 Millionen<br />

Manat (203 Millionen Euro) zur Verfügung.<br />

Allerdings führten die mit dem<br />

Projekt einhergehenden Abriss- und Umsiedlungsmaßnahmen<br />

in der Umgebung<br />

zu Protesten im In- und Ausland. Und ein<br />

Teil des Geldes für den Bau kommt aus<br />

staatlichen Töpfen, die ursprünglich für<br />

die Sanierung der Wasser- und Kanalisationssysteme<br />

in den ländlichen Regionen<br />

Aserbaidschans vorgesehen waren. Schlagerwettbewerb<br />

statt Trinkwasser – ob diese<br />

Rechnung aufgeht<br />

40 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


ENERGIE<br />

ISRAEL: FÖRDERPOLITIK<br />

Im Tal von Elah<br />

Israels Regierung hat zwar hochfliegende Pläne zur Reduzierung der<br />

Treibhausgas-Emissionen. Doch mit ihrer Energiepolitik riskiert sie die<br />

führende Position des Landes bei der Nutzung erneuerbarer Energien<br />

Ein Kommentar von Tafline Laylin<br />

Israel hat alles, was nötig wäre, um<br />

die Levante in eine sonnige Zukunft<br />

voller erneuerbarer Energie zu führen<br />

– nur nicht den politischen Willen.<br />

Die Sonneneinstrahlungswerte gehören<br />

besonders in der Negev-Wüste zu den<br />

höchsten weltweit. Und während sich<br />

Länder mit reichhaltigen Rohstoffvorkommen<br />

auf ihren Reserven an fossilen<br />

Brennstoffen ausgeruht haben, mussten<br />

sich die Israelis bis vor kurzem auf ihren<br />

Erfindungsreichtum verlassen, um ihre<br />

Wohnungen >> zu heizen. Das galt umso<br />

mehr während des arabischen Ölembargos<br />

von 1973, als die Energieknappheit<br />

Israels »Vater der Solarenergie« Harry Zvi<br />

Tabor anspornte, den Solar-Warmwasserbereiter<br />

zu entwickeln, der heute fast<br />

jedes Dach im Land ziert.<br />

Die Ölkrise spornte zwar in allen betroffenen<br />

Ländern die Erschließung erneuerbarer<br />

Energiequellen an, doch sobald<br />

der Ölpreis wieder sank und sich stabilisierte,<br />

zog in vielen Staaten wieder die<br />

Bequemlichkeit ein. Nicht so in Israel. Luz<br />

International (heute BrightSource), gegründet<br />

von den Israelis Arnold Goldman<br />

und Israel Kroizer, entwickelte die ersten<br />

kommerziell tragfähigen Solarkraftwerke,<br />

die in Kalifornien bis heute Strom liefern.<br />

Lucien Bronicki machte die Verwendung<br />

von organischen, bei niedrigen Temperaturen<br />

siedenden Stoffen in Dampfturbinen<br />

kommerziell nutzbar und baute darauf<br />

Ormat Technologies auf, inzwischen einer<br />

der anerkanntesten Anbieter erneuerbarer<br />

Energien weltweit.<br />

Israelische Firmen<br />

zählen zu den<br />

weltweit führenden<br />

Anbietern sauberer<br />

Technologien<br />

So geht es weiter bis in die Gegenwart.<br />

Israelische Firmen werden regelmäßig<br />

zu den sieben oder acht weltweit führenden<br />

Anbietern sauberer Technologien<br />

gezählt. Sowohl das israelische Technologie-Institut<br />

»Technion« in Haifa als<br />

auch das Weizmann-Institut in Rehovot<br />

haben Nobelpreisträger hervorgebracht.<br />

Israel beteiligt sich an einschlägigen<br />

internationalen Forschungskooperationen<br />

etwa mit dem US-Energieministerium.<br />

An vielen Stellen hat sich Israel als<br />

führend hervorgetan, doch im Ergebnis<br />

muss man feststellen: Das Land verfügt<br />

zwar innerhalb und außerhalb seiner<br />

Grenzen über mehr als genug Humankapital,<br />

um sich von den Fesseln fossiler<br />

Energieträger zu befreien, doch es dekkt<br />

nur 0,1 Prozent seines Energiebedarfs<br />

aus erneuerbaren Quellen.<br />

Das mutet absurd an. Obwohl Israels<br />

staatlicher Versorger seine vormals großzügigen<br />

Einspeisevergütungen auf nur<br />

noch 0,20 Euro pro Kilowattstunde Solarstrom<br />

und magere 0,08 Euro für Strom<br />

aus Windkraft zusammengestrichen hat,<br />

hätte die Vielzahl von Steuervergünstigungen,<br />

Ausnahmeregelungen und Investitionsbeihilfen<br />

den Investoren eine gewisse<br />

Zuversicht vermitteln können. Oder<br />

ist vielleicht das veraltete Stromnetz abschreckend,<br />

das nur bis zu 20 Prozent der<br />

aus erneuerbaren Quellen erzeugten Energie<br />

aufnehmen kann, weil es nicht mit den<br />

Schwankungen zurechtkommt, die mit<br />

der Wind- und Solarstromerzeugung einhergehen<br />

Doch selbst das erklärt nicht<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 41


ENERGIE<br />

0,1%<br />

seines Energiebedarfs<br />

deckt Israel aus<br />

erneuerbaren Quellen<br />

hinreichend, warum so wenig erneuerbare<br />

Energie erzeugt wird. Denn wenn Israels<br />

Regierung sich einem Ziel ernsthaft verschreibt<br />

– zum Beispiel dem Schutz seiner<br />

Bürger vor dem sogenannten Terrorismus<br />

– verfolgt sie es mitunter ziemlich rücksichtslos.<br />

Um besser zu verstehen, warum Israel<br />

sich auf die Investition von fünf Milliarden<br />

Dollar beschränkt, um bis zum Jahr<br />

2020 zehn Prozent seines Energiebedarfs<br />

aus alternativen Quellen zu decken, während<br />

das an finanziellen und geistigen<br />

Ressourcen viel ärmere Algerien bis 2030<br />

mehr als viermal so viel ausgeben will,<br />

müssen wir uns der Geopolitik zuwenden.<br />

Israel ist umgeben von arabischen<br />

Ländern, mit denen es nicht klarkommt<br />

– was seit der Staatsgründung 1948 für<br />

ein starkes Gefühl der Unsicherheit sorgt.<br />

Diese Verletzbarkeit verfolgt das Land bis<br />

heute und führt oft zu unbesonnenem<br />

Handeln.<br />

Nichts verdeutlicht dies besser als die<br />

fortdauernde Anwendung des israelischen<br />

Ölgesetzes von 1952. Seit 1932 in Bahrain<br />

Erdöl entdeckt worden war, füllten sich<br />

arabische Staaten wie Saudi-Arabien die<br />

Taschen mit den Gewinnen aus den Förderkonzessionen.<br />

Um nicht leer auszugehen<br />

und sich eine Zukunft mit mehr Energiesicherheit<br />

zu sichern, verabschiedete<br />

Israels Regierung ein Gesetz, das jedem<br />

einen roten Teppich auslegte, der<br />

innerhalb der israelischen Grenzen<br />

nach Vorkommen an fossilen Energieträgern<br />

suchen wollte. Das Ölgesetz<br />

beseitigt praktisch alle rechtsstaatlichen<br />

Verfahren, Umweltfolgeabschätzungen<br />

und anderen<br />

bürokratischen Hürden, sobald es<br />

selbst um kleinste Mengen potenzieller<br />

Energieträger geht – einschließlich<br />

Ölschiefer.<br />

Und obwohl die Entdeckung des<br />

»Leviathan«-Feldes mit seinen 450<br />

Milliarden Kubikmetern Erdgas vor<br />

der Küste bei Haifa und einem Einnahmepotenzial<br />

von Milliarden Dollar sowie<br />

der Fund von vier weiteren bedeutenden<br />

Gasfeldern im Mittelmeer dem Land endlich<br />

die langersehnte Energiesicherheit<br />

Ein roter Teppich für jeden,<br />

der nach Vorkommen an fossilen<br />

Energieträgern sucht<br />

schenken könnten, unterstützt das Infrastrukturministerium<br />

daneben noch immer<br />

die ökologisch riskante Erkundung<br />

von Ölschiefer.<br />

2008 erhielt das Unternehmen Israel<br />

Energy Initiatives (IEI) die Genehmigung,<br />

aus Ölschiefer im Tal von Elah Gas und<br />

flüssigen Brennstoff zu produzieren. Die<br />

Lizenz wird es IEI gestatten, mehrere Hundert<br />

Meter tief zu bohren, den Boden auf<br />

bis zu 350 Grad Celsius zu erhitzen und<br />

die dabei freigesetzten Gase und organischen<br />

Stoffe an die Oberfläche zu pumpen,<br />

um sie zu Ölprodukten zu raffinieren. Dadurch<br />

wird diese historisch und landwirtschaftlich<br />

wichtige Region Umweltgefahren<br />

wie schwerer Wasserverschmutzung<br />

und der Freisetzung von noch mehr<br />

Treibhausgasen ausgesetzt.<br />

Das potenziell verheerende Vorhaben,<br />

hinter dem die Investoren Jacob Rothschild<br />

und Rupert Murdoch mit Anteilen<br />

von elf Milliarden Dollar an der 89-prozentigen<br />

IEI-Mutter Genie Oil and Gas<br />

stehen, hat den vollen Segen der Regierung.<br />

Das antiquierte israelische Ölgesetz<br />

von 1952 hat IEI eine Blanko-Vollmacht<br />

für eine Art von Ölförderung gegeben,<br />

um die die USA sorgfältig einen<br />

Bogen machen. Damit überlasse das Infrastrukturministerium<br />

einem Privatunternehmen<br />

die Region um das Tal von<br />

Elah quasi als »Versuchskaninchen zur<br />

Erprobung einer neuen, aggressiven Technologie«,<br />

kritisiert Amit Bracha, Geschäftsführer<br />

des israelischen Bundes zur<br />

Verteidigung der Umwelt.<br />

Unterdessen präsentierte Israel im November<br />

2010 einen nationalen Plan, wie<br />

innerhalb eines Jahrzehnts für 446 Millionen<br />

Euro die Treibhausemissionen um 22<br />

Millionen Tonnen Kohlendioxid gesenkt<br />

werden sollen. Aber die praktische Energiepolitik<br />

wirft einen dunklen Schatten auf<br />

diese angebliche Zusage. Vergangenes Jahr<br />

gewann Israel 43 Prozent seiner Energie aus<br />

Kohle und 37 Prozent aus Erdgas. Ungeachtet<br />

seines enormen Potenzials an sauberen<br />

Technologien und trotz seiner für die<br />

Entwicklung erneuerbarer Energien geeigneten<br />

Umweltbedingungen geht das Land<br />

fröhlich einer Zukunft aus Umweltverschmutzung,<br />

Boden- und Wasservergiftung<br />

entgegen – alles im Namen der Sicherheit.<br />

Die Rettung könnte in den Bürgern liegen.<br />

Aufgeklärte Israelis gehören zu den<br />

tüchtigsten Menschen der Welt, die trotz<br />

der Torheit ihrer Regierung an einem relativ<br />

vernünftigen Lebenswandel festhalten.<br />

Dank ihres starken Umweltbewusstseins<br />

ist zu erwarten, dass die Erzeugung<br />

erneuerbarer Energien in kleinem Maßstab<br />

weiter zunehmen wird. Aber die umfassende<br />

Einbeziehung der Erneuerbaren,<br />

die zur Abwehr der schlimmsten wirtschaftlichen,<br />

ökologischen und sozialen<br />

Folgen des Klimawandels nötig wäre, wird<br />

wohl ein frommer Wunsch bleiben.<br />

42 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


ENERGIE<br />

ALMANACH DER ENERGIEN<br />

Ein Liter Licht<br />

Es müssen nicht immer Solar-Großkraftwerke<br />

sein. Unser Kolumnist lenkt den Blick<br />

auf dezentrale nachhaltige Energielösungen<br />

Illustration: Matthias Töpfer<br />

Von Achmed A.W. Khammas<br />

Ein dezentraler<br />

Einsatz könnte<br />

die rein staatlichen<br />

Projekte schnell<br />

überflügeln<br />

Wenn von neuen oder nachhaltigen<br />

Energien in der arabischen<br />

Welt die Rede ist, denkt<br />

man meist nur an Solartechnik. Aufgrund<br />

der klimatischen Verhältnisse ist das verständlich.<br />

Doch es wäre kurzsichtig, den<br />

Blick ausschließlich auf Großprojekte wie<br />

die Pläne des Desertec-Konsortiums oder<br />

zentrale Solarthermie-Anlagen wie das<br />

jüngst eröffnete Kraftwerk Kuraymat in<br />

Ägypten zu richten. Denn ein dezentraler<br />

Einsatz vieler unterschiedlicher Technologien<br />

könnte in der Summe die rein staatlichen<br />

oder kommerziellen Projekte<br />

schnell und nachhaltig überflügeln.<br />

Solarkocher zum Beispiel können fast<br />

überall in Eigenregie hergestellt werden,<br />

und der Einwand, dass sie nur tagsüber<br />

funktionierten, ist längst obsolet. Sogenannte<br />

Scheffler-Reflektoren werden seit<br />

vielen Jahren in Verbindung mit Wärmespeichern<br />

aus Stein oder Metall eingesetzt,<br />

ohne dass die arabische Welt bislang davon<br />

erfahren hat. In der größten Solarküche<br />

der Welt im indischen Rajastan<br />

können täglich mehr als 35.000 Mahlzeiten<br />

für die Besucher eines Yoga-Zentrums<br />

gekocht werden, auch am Abend. Diese<br />

Technologie lässt sich ebenso im Kleinen<br />

einsetzen. Zudem schafft die lokale Herstellung<br />

Arbeitsplätze, senkt den Brennstoff-Bedarf<br />

und ist im Gegensatz zu anderen<br />

Kochmethoden rauch- und rückstandfrei.<br />

Ähnlich verhält es sich mit der solaren<br />

Wasserentsalzung. Auch für sie gibt es neben<br />

Systemen im Industriemaßstab eine<br />

Vielzahl von Klein- und Kleinsttechnologien,<br />

die eine dezentrale Versorgung von<br />

Familien oder Dorfgemeinschaften mit<br />

sauberem Süßwasser erlauben. Ein Beispiel<br />

ist der Watercone des Münchner Designers<br />

Stephan Augustin, eine Mini-Solardestille<br />

mit einem Durchmesser von 80<br />

Zentimetern, einer Lebensdauer von fünf<br />

Jahren und einem Ertrag von rund 1,5 Litern<br />

Trinkwasser pro Tag. Bei Messungen<br />

der GIZ hat sie einen Wirkungsgrad von<br />

40 Prozent erreicht. Bei einem Pilotprojekt<br />

im Jemen, in dessen Rahmen zehn<br />

Familien in einem Fischerdorf mit jeweils<br />

zehn Watercones ausgestattet wurden, entsprach<br />

die Wasserqualität den Normen<br />

der Weltgesundheitsorganisation. Nach<br />

Meinung der Nutzer schmeckte das solar<br />

aufbereitete Wasser sogar besser als in Flaschen<br />

gekauftes Trinkwasser.<br />

Zudem kommt die Technik ohne lange<br />

Transportwege für das Trinkwasser,<br />

ohne Müll in Form von Kunststoffflaschen<br />

und völlig ohne fossile Brennstoffe<br />

aus, die bislang fast überall die Energie<br />

für industrielle Wasserentsalzungsanlagen<br />

liefern.<br />

Apropos Kunststoffflaschen: Sie eignen<br />

sich gut als Selbstbau-Tageslichtsysteme<br />

für einfache Wohnhütten. Die Idee, die<br />

auf den brasilianischen Elektroingenieur<br />

Clivenor de Araujo Filho zurückgeht, ist<br />

unter dem Namen Liter of Light bekannt<br />

geworden. Dabei werden die transparenten<br />

Flaschen mit frischem Wasser und etwas<br />

Bleichmittel befüllt (um dem Algenwachstum<br />

im Inneren vorzubeugen), gut<br />

verschlossen und in Löcher in den Hüttendächern<br />

eingesetzt. Außen zur Hälfte<br />

dem Sonnenlicht ausgesetzt, geben sie so<br />

viel Licht wie eine 50-Watt-Glühbirne in<br />

den Raum ab, ohne Hitze mitzutransportieren.<br />

Im Laufe dieses Jahres will die<br />

MyShelter Foundation auf den Philippinen<br />

bis zu einer Million Hütten mit diesem<br />

fast kostenlosen Solarsystem ausrüsten,<br />

das völlig ohne Hochleistungsphotovoltaikzellen<br />

auskommt.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 43


ENERGIE<br />

LIBERIA: INVESTITIONSBEDARF<br />

Ein Vertreter eines Energieunternehmens<br />

war nicht dabei, als Anfang<br />

März eine deutsche Unternehmerdelegation<br />

nach Liberia reiste.<br />

Bedauerlicherweise, denn er hätte in dem<br />

westafrikanischen Land einiges an Investitionsbedarf<br />

entdecken können. In der<br />

Hauptstadt Monrovia sind nur 4.000<br />

Haushalte an das Stromnetz angeschlossen.<br />

Die übrigen Einwohner der Millionenstadt<br />

säßen abends im Dunkeln oder<br />

müssten sich mit Generatoren behelfen,<br />

deren Brummen überall in der Stadt zu<br />

hören sei, berichtet Lena Schwoerer vom<br />

Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft,<br />

die diese Reise organisierte. Der ärmere<br />

Teil der Bevölkerung deckt seinen Energiebedarf<br />

größtenteils mit Holzkohle.<br />

Noch unzureichender ist die Stromversorgung<br />

außerhalb Monrovias.<br />

Auf der Straße nach Buchanan, einer<br />

Küstenstadt mit Containerhafen, in welcher<br />

der Stahlkonzern Arcelor Mittal ein<br />

Containerterminal für seine Eisenerzexporte<br />

betreibt, gibt es für die Delegation<br />

vor allem unberührte Natur und ein paar<br />

Lehmhütten zu sehen, außerdem die kürzlich<br />

von den Chinesen neu geteerte Straßen.<br />

Ansonsten ist keine Infrastruktur vorhanden.<br />

Buchanan selbst bietet dagegen<br />

großes Potenzial.<br />

Neben Arcelor Mittal lagert das Unternehmen<br />

Buchanan Renewables seine Exportware<br />

dort. Gegründet 2007 und mittlerweile<br />

von dem Schweizer Investor Pamoja<br />

Capital übernommen, verarbeitet<br />

Buchanan alte oder im Krieg zerstörte<br />

Kautschukbäume zu Holzschnitzeln, die es<br />

als Biomasse zum Verfeuern vermarktet.<br />

In Deutschland erregte 2010 die Mittei-<br />

Infrastruktur mit Ausbaubedarf: Liberias Hauptstadt Monrovia.<br />

Kautschuk-<br />

Schnitzel für<br />

Vattenfall<br />

Liberia hofft auf einen ähnlichen Erdöl-<br />

Boom wie andere Länder in Westafrika.<br />

Der dringend benötigte Aufbau der Energie-<br />

Infrastruktur kann darauf nicht warten,<br />

doch er kommt nur schleppend voran<br />

Von Romy Rösner<br />

Foto: Erik Hersman / lizensiert gemäß Creative Commons Attribution 2.0 Generic<br />

44 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


ENERGIE<br />

Bis der Staudamm wieder Strom<br />

liefert, könnte es noch viele Jahre dauern<br />

lung des Versorgers Vattenfall Aufsehen,<br />

die Schnitzel aus Liberia für seine Kraftwerke<br />

in Europa zu importieren: Liberianisches<br />

Holz als Beitrag zur deutschen<br />

Energiewende, so warben die Schweden.<br />

Umweltschützer kritisierten das Vorhaben<br />

als absurd. Doch der Vertrag steht, so<br />

dass Vattenfall nun Mitinvestor bei Buchanan<br />

Renewables ist.<br />

Für die Liberianer hat das einen negativen<br />

Nebeneffekt: Holzkohle für die eigene<br />

Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren<br />

massiv teurer geworden, weil viele der alten<br />

Kautschukbäume exportiert werden.<br />

Dennoch räumten selbst Energieexperten<br />

der Umweltschutzorganisation<br />

BUND in einer Stellungnahme ein, die<br />

Holzausfuhr könne »für das bürgerkriegsgeschädigte<br />

Liberia eine Chance darstellen«.<br />

Die Exporte brächten dem Land<br />

wichtige Einnahmen für seine wirtschaftliche<br />

Entwicklung. Außerdem habe für Liberia<br />

erklärtermaßen die Entwicklung einer<br />

»nachhaltigen energetischen Nutzung<br />

alter Kautschukbäume im eigenen Land<br />

Priorität«.<br />

Zu diesem Zweck schloss Buchanan Renewables<br />

mit der Regierung in Monrovia<br />

ein Abkommen über den Bau zweier<br />

Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt<br />

36 Megawatt. Die liberianische Zeitung<br />

Daily Observer kritisierte allerdings<br />

im Februar, der Bau habe noch immer<br />

nicht begonnen – obwohl der erste Strom<br />

schon 2010 hätte produziert werden sollen.<br />

In der Presse wird Buchanan Renewables<br />

vorgeworfen, die insgesamt 149<br />

Millionen Dollar teuren Kraftwerke überhaupt<br />

nicht bauen zu wollen. Die deutschen<br />

Besucher zumindest sahen bei ihrem<br />

Rundgang auf dem Gelände am Hafen,<br />

auf dem auch das Kraftwerk entstehen<br />

soll, nur die Holzschnitzel für den Export,<br />

aber keine Anzeichen für einen baldigen<br />

Baubeginn.<br />

Als weiteres wichtiges Energieprojekt<br />

ist die Wiederbelebung des Mount-Coffee-<br />

Staudamms geplant. Die Kosten für die<br />

Restaurierung des in den 1960er Jahren<br />

gebauten Damms werden auf mehr als<br />

300 Millionen Dollar geschätzt. Bis 1990<br />

hatte er 64 Megawatt Strom geliefert, im<br />

Bürgerkrieg wurden jedoch alle Generatoren<br />

zerstört. Die Aufträge sollen bald<br />

ausgeschrieben werden.<br />

Bis der Staudamm wieder Strom in die<br />

Städte liefern könne, werde es aber noch<br />

viele Jahre dauern, meint ein westlicher<br />

Diplomat in Monrovia. Schließlich müssten<br />

sämtliche Maschinen, Baustoffe und<br />

auch die nötigen Kenntnisse für die<br />

Wiederinbetriebnahme des Staudamms<br />

sowie den Bau neuer Stromleitungen erst<br />

importiert werden – was angesichts einer<br />

behäbigen Bürokratie ein langer Prozess<br />

werden dürfte. Auch die Ausbildung neuer<br />

Techniker für Betrieb und Wartung der<br />

Anlagen sei nicht kurzfristig zu gewährleisten.<br />

Vor einem Jahr reihte sich Ghana in die<br />

Riege der Erdöl produzierenden Länder<br />

Westafrikas ein. Nun hofft auch Liberia<br />

auf einen Ölboom und die damit einhergehenden<br />

Milliardeneinnahmen. Im Land<br />

aktive Unternehmen wie African Petro-<br />

leum und Chevron prophezeien große Vorkommen<br />

bester Qualität. »Wir wissen<br />

noch nicht, wie viel Öl sich auf unserem<br />

Staatsgebiet befindet, aber wir sind optimistisch«,<br />

sagt Randolph McClain, der<br />

Chef der nationalen Ölgesellschaft Nocal.<br />

Erste Bohrungen des US-Konkurrenten<br />

Anadarko verliefen allerdings so enttäuschend,<br />

dass das Unternehmen seine Erkundungen<br />

mittlerweile vor die Küste<br />

Sierra Leones verlagerte.<br />

Die liberianische Regierung ist sich der<br />

Bedeutung des Themas für die wirtschaftliche<br />

Entwicklung des Landes bewusst.<br />

Wenn sich das Land nachhaltig<br />

entwickeln wolle, müsse die Energie-Infrastruktur<br />

ausgebaut werden, betonte<br />

der ehemalige Vize-Industrieminister Frederick<br />

B. Norkeh im Gespräch mit den<br />

Deutschen. Potenzial habe das kleine<br />

Land mit den reichen Rohstoffvorkommen.<br />

Tatsächlich bietet Liberia neben<br />

fruchtbaren, landwirtschaftlich gut nutzbaren<br />

Böden und Kautschukplantagen<br />

große Mengen Eisenerz, aber auch Gold,<br />

Diamanten, Mangan und Columbit in<br />

wirtschaftlich abbauwürdigen Mengen.<br />

Investitionschancen gibt es auch beim<br />

Wiederaufbau von Verkehrsinfrastruktur,<br />

Gesundheitswesen und Telekommunikation.<br />

Und unter der im Herbst<br />

wiedergewählten »Eisernen Lady Afrikas«,<br />

Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf,<br />

bietet es Investoren nach langer Zeit auch<br />

wieder politische Stabilität.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 45


KONSUM<br />

WESTAFRIKA: TELEKOMMUNIKATION<br />

Nicht ohne mein Nokia<br />

Afrika ist der am schnellsten wachsende<br />

Mobilfunk-Markt der Welt. Heimische und<br />

regionale Anbieter dominieren den Wettbewerb –<br />

und wecken den Appetit der globalen Player<br />

Von Björn Zimprich<br />

Issatou Sisse hat mit ihren 73 Jahren<br />

schon einiges an Modeerscheinungen<br />

kommen und gehen sehen in ihrer<br />

Heimat Basse, einer kleinen Provinzstadt<br />

am Gambia-Fluss. Zu den Dingen,<br />

auf die Sisse auf ihre alten Tage nicht mehr<br />

verzichten möchte, gehört ihr Nokia 1100.<br />

Einfach, robust und völlig ausreichend<br />

zum Telefonieren, hat es das seit 2003 erhältliche<br />

Modell nicht zuletzt dank seiner<br />

Beliebtheit in Entwicklungsländern zum<br />

meistverkauften Handy der Welt gebracht.<br />

Auch ist ein funktionsfähiges Mobilfunkgerät<br />

im ländlichen Afrika ein Statussymbol.<br />

Sisse trägt ihres immer stolz in<br />

der Hand. Sie hat es von ihrem Sohn bekommen,<br />

der sie täglich aus der Hauptstadt<br />

Banjul anruft.<br />

Die Mobilfunkrevolution hat die Weiten<br />

des afrikanischen Kontinents erreicht.<br />

Ein flächendeckendes<br />

Festnetz<br />

gibt es in weiten<br />

Teilen Afrikas nicht<br />

Die Netze reichen bis in entlegene Kleinstädte<br />

wie das gambische Basse. Vergangenen<br />

September überholte die Zahl der<br />

Handynutzer in Afrika diejenige in Südamerika.<br />

Mittlerweile gibt es mehr als 620<br />

Millionen Mobilfunkanschlüsse. Afrika ist<br />

damit hinter Asien der zweitgrößte Mobilfunkmarkt<br />

der Welt – und der am<br />

schnellsten wachsende.<br />

Dabei sind die meisten Länder Afrikas<br />

sonst nicht gerade für ihre funktionierende<br />

Infrastruktur bekannt. Ein funktionierendes<br />

Postsystem: Fehlanzeige.<br />

Strom: nur in größeren Städten. Sauberes<br />

Trinkwasser: Mangelware. Doch gerade<br />

dieser Nachholbedarf erklärt den Mobilfunkboom.<br />

Denn ein flächendeckendes<br />

Telefonfestnetz gibt es in weiten Teilen<br />

Afrikas nicht, und aufgrund der hohen<br />

Investitionen, die für den Aufbau der entsprechenden<br />

Infrastruktur nötig wären,<br />

ist auch künftig nicht damit zu rechnen.<br />

Mobilfunk-Sendemasten dagegen lassen<br />

sich mit wenig Aufwand in jeder Kleinstadt<br />

aufstellen; die benötigte Stromversorgung<br />

sichert im Zweifelsfall eine kleine<br />

Photovoltaikanlage. Deshalb überspringt<br />

die technische Entwicklung im<br />

ländlichen Afrika gleich mehrere Schritte.<br />

Es klingelt, summt und simst am laufenden<br />

Band südlich der Sahara.<br />

Fatim Badjie von der Universität Manchester<br />

hat 2010 die Mobilfunk-Nutzung<br />

in Gambia genauer unter die Lupe genommen.<br />

Demnach verwenden 39 Prozent<br />

der Menschen dort ihr Handy 50<br />

Mal oder öfter am Tag. 2009 kamen in<br />

Gambia laut Schätzung der Internationalen<br />

Fernmeldeunion 84 Mobilfunkverträge<br />

auf 100 Einwohner; seitdem<br />

dürfte diese Zahl weiter gestiegen sein.<br />

Mit 1,7 Millionen Einwohnern ist der<br />

Markt zwar insgesamt überschaubar,<br />

aber offensichtlich attraktiv genug, um<br />

den Wettbewerb anzuziehen. Vier Anbieter<br />

wetteifern um die Gunst der Kunden<br />

am Gambia-Fluss: die halbstaatliche<br />

Gesellschaft Gamcell, der private heimische<br />

Konkurrent Q-Cell sowie Africell<br />

und Comium, deren jeweilige Muttergesellschaften<br />

Lintel Holding und Comium<br />

Group im Libanon sitzen.<br />

Von den privaten Anbietern ist Africell<br />

am längsten etabliert. Seit 2001 ist das<br />

Unternehmen in Gambia aktiv und erreichte<br />

Ende des vergangenen Jahres nach<br />

46 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


KONSUM<br />

Bildquelle: Sixième Sens / http://agence6sens.fr (4.4.2012)<br />

Mobilfunk für alle: Werbekampagne des Anbieters Comium<br />

für das frankophone Westafrika.<br />

eigenen Angaben 60 Prozent Marktanteil.<br />

Stolz präsentiert Marketing-Managerin<br />

Fatima Deeb die Wachstumskurven: »Seit<br />

Mitte 2006 sind wir Marktführer und haben<br />

heute 800.000 aktive Nutzer. Zwischen<br />

2006 und 2008 haben wir unseren Kundenstamm<br />

jährlich verdoppelt.« Mit seinem<br />

frühen Start hat das Unternehmen es<br />

geschafft, die Boomjahre von 2006 bis<br />

2010 mitzunehmen, in denen der afrikanische<br />

Mobilfunkmarkt von 201 Millionen<br />

auf 552 Millionen Anschlüsse wuchs.<br />

Mit einer Mischung aus günstigen Einstiegsangeboten,<br />

guten Beziehungen zu<br />

den Zwischenhändlern, flächendeckender<br />

Werbung und sozialem Engagement versucht<br />

Africell, auf den Märkten Afrikas zu<br />

bestehen. »Man muss nah am Kunden<br />

sein«, sagt Deeb. »Wir engagieren uns seit<br />

Jahren im Sport, sponsern Fußball in<br />

Gambia. Das schätzen die Menschen.«<br />

Aber die Konkurrenz schläft nicht. Seit<br />

2007 kamen mit Comium und Q-Cell<br />

gleich zwei neue private Anbieter auf den<br />

Markt, die nun aggressiv um Marktanteile<br />

kämpfen. Q-Cell etwa geht mit kostenlosen<br />

Anrufen am Wochenende auf Kundenfang.<br />

Comium rühmt sich, als erster<br />

Kräftige<br />

Wachstumsraten<br />

stehen einer<br />

sehr begrenzten<br />

Kaufkraft<br />

gegenüber<br />

Anbieter für jedermann erschwingliche<br />

Prepaid-Karten angeboten zu haben. Die<br />

günstigsten kosten 25 Dalasi, also rund<br />

0,60 Euro-Cent. Solche Angebote sind<br />

ganz auf die Konsumenten in Afrika zugeschnitten,<br />

wo 95 Prozent aller Handys<br />

mit den im Voraus bezahlten Guthabenkarten<br />

betrieben werden.<br />

Die kämpferischen Angebote zeigen jedoch<br />

auch, wo die Herausforderungen des<br />

afrikanischen Marktes liegen. Eine riesige<br />

Zahl potenzieller Kunden und kräftige<br />

Wachstumsraten während der Markterschließung<br />

stehen einer sehr begrenzten<br />

Kaufkraft gegenüber. Die Minutenpreise<br />

liegen zwischen zwei und drei Dalasi, also<br />

bei fünf bis sieben Cent. Eine 25-Da-<br />

lasi-Karte reicht folglich für gerade einmal<br />

zehn Minuten: Bei einem Pro-Kopf-Einkommen<br />

von 320 Dollar im Jahr etwa in<br />

Gambia sind der Kaufkraft klare Grenzen<br />

gesetzt.<br />

Dennoch sind die afrikanischen Kunden<br />

anspruchsvoll. Moniert wird insbesondere<br />

der schlechte Empfang in abgelegenen<br />

Gebieten. So gaben in der Studie<br />

der Universität Manchester 42 Prozent der<br />

Befragten an, in abgelegenen Gebieten<br />

überhaupt kein Netz zu haben. Zudem sei<br />

selbst an zentralen Orten das Signal nicht<br />

durchgängig gewährleistet. Entsprechend<br />

wird jede neu installierte Funkantenne<br />

von den Anbietern werbewirksam gefeiert.<br />

Längst haben auch die globalen Mobilfunk-Konzerne<br />

Afrika im Visier. So<br />

kaufte Vodafone 2008 von der Regierung<br />

Ghanas für 900 Millionen Dollar einen<br />

70-Prozent-Anteil der Ghana Telecom.Anfang<br />

2011 hatte das Unternehmen, das<br />

nun als Vodafone Ghana firmiert, schon<br />

drei Millionen Mobilfunkkunden. Im selben<br />

Geschäftsjahr wuchs der Vorsteuergewinn<br />

dort um 21 Prozent.<br />

Von einer flächendeckenden Präsenz<br />

westlicher Konzerne kann in Westafrika<br />

allerdings noch keine Rede sein. Zu klein<br />

sind die meisten Märkte, um für Manager<br />

in New York oder London wirklich<br />

interessant zu sein. Zudem werden immer<br />

wieder Intransparenz der Regulierungsbehörden,<br />

aber auch Vorteilsnahme, unklare<br />

Regeln für ausländische Beteiligungen<br />

und eine ineffiziente Verwaltung<br />

als Hindernisse für ausländische Investoren<br />

beklagt.<br />

Auch in Basse am Gambia-Fluss ist<br />

noch nichts über Pläne von Vodafone und<br />

Co bekannt, eigene Sendemasten zu errichten;<br />

Issatou Sisse hat die Namen solcher<br />

globalen Mobilfunkkonzern noch nie<br />

gehört. Ihre Freude am Handy trübt das<br />

nicht. Die regionalen Anbieter reißen sich<br />

ja jetzt schon um Kunden wie sie.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 47


LUXUS<br />

Die Kunststiftungspräsidentin arbeitet auch selbst als<br />

Künstlerin, ihre Bilder sind in einer Düsseldorfer Galerie zu sehen.<br />

Hier: Hoor al-Qasimi: Untitled 1 / 2010.<br />

VAE: KUNSTMARKT<br />

Ist das Kunst oder<br />

kann das weg<br />

Mit Geschick hat Hoor al-Qasimi das<br />

konservative Emirat Sharjah zur Bühne für<br />

zeitgenössische Kunst gemacht. Nun<br />

hat sie ein Problem<br />

Von Sven Hirschler<br />

Blut klebt auf den Treppen des Bait<br />

Al Serkal. Es fließt in den Innenhof<br />

des ehemaligen Krankenhauses<br />

und verläuft sich über den abgetretenen<br />

Pflastersteinen, bildet filigrane Muster,<br />

Blüten und Blattwerk, verschwindet im<br />

Gully in der Hofmitte. Kinder spielen im<br />

Hof, Frauen sitzen auf den Stufen, die<br />

Sonnenbrille hält das Haar zurück. Männer<br />

in knöchellangen weißen Baumwollgewändern<br />

stehen plaudernd in kleinen<br />

Gruppen herum.<br />

Willkommen bei der Sharjah-Biennale<br />

für zeitgenössische Kunst, dem Tor des Nahen<br />

Ostens zur künstlerischen Moderne,<br />

weltweit anerkannt und gefeiert. Im März<br />

2011 wird »Blessings upon the Land of my<br />

Love«, die aus Kunstblut gestaltete großflächige<br />

Installation des Pakistaners Imram<br />

Qureshi, als Gewinnerin der Kunstschau<br />

ausgezeichnet. Doch da dominiert längst<br />

die plötzliche Entlassung des langjährigen<br />

Biennale-Direktors Jack Persekian die internationalen<br />

Kulturschlagzeilen. Ein Proteststurm<br />

erhebt sich im Internet, Kunstmagazine<br />

boykottieren die Schau. Gut ein Jahr<br />

später bleibt abzuwarten, ob sie ihre bislang<br />

größte Krise überwunden hat.<br />

Die zehnte Sharjah-Biennale im vergangenen<br />

Frühjahr hätte ein genialer,<br />

wenn auch ungeplanter Mediencoup werden<br />

können: Während ringsherum der<br />

Arabische Frühling Potentaten hinwegfegte,<br />

untermauerte das sonst wenig beachtete<br />

Nachbaremirat Dubais seinen Ruf<br />

als feste Größe im globalen Kulturbetrieb,<br />

als Hort der Kunstfreiheit und des Experimentierens.<br />

Sharjah, das »Schaufenster<br />

der internationalen Kunst« (arte), die »bedeutendste<br />

Kunstschau im Nahen Osten«<br />

(New York Times). Das Magazin Art Review<br />

hat Scheicha Hoor al-Qasimi, die Tochter<br />

48 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


LUXUS<br />

»Ich war inspiriert von<br />

der documenta 11«<br />

des Emirs von Sharjah und Präsidentin<br />

der ausrichtenden Sharjah Art Foundation,<br />

schon einmal auf die Liste der hundert<br />

einflussreichsten Menschen im Kunstgeschäft<br />

gesetzt.<br />

Doch anstatt in Ruhe die Früchte jahrelanger<br />

Arbeit zu genießen, muss Qasimi<br />

Krisenmanagement betreiben und sich<br />

die Negativschlagzeilen mit Persekian teilen,<br />

den sie noch während der Biennale<br />

vor die Tür gesetzt hat. Persekian hatte<br />

ein Werk des Algeriers Mustafa Bendofil<br />

zugelassen, das »sexuell explizite Sprache<br />

auf offene und provokative Art mit religiösen<br />

Bezügen verband«, wie die Stiftungspräsidentin<br />

es ausdrückte.<br />

Nun musste sich Qasimi den Vorwurf<br />

der Zensur gefallen lassen – denkbar<br />

schlechte Presse in Zeiten, in denen der<br />

weltweite Kunstmarkt nach der Krise von<br />

2009 um 36 Prozent auf 46 Milliarden Euro<br />

angezogen hat, die wachsende Zahl von<br />

Kunsttouristen nicht eingerechnet. Am<br />

Ende könnte Sharjah deshalb auch wirtschaftlich<br />

der eigentliche Verlierer sein.<br />

Denn zwischen den einzelnen Emiraten<br />

ist ein Wettrennen um einen guten Platz<br />

auf diesem weltweiten Markt entbrannt.<br />

Kaum eine internationale Galerie kommt<br />

noch ohne Niederlassung in Dubai aus.<br />

Abu Dhabi lässt sich von Stararchitekten<br />

Ableger der berühmtesten Museen in den<br />

Wüstensand bauen.<br />

Sharjah ging bislang eigene Wege. 1993<br />

rief es seine Biennale ins Leben, 1998 war<br />

Sharjah-Stadt Unesco-Kulturhauptstadt<br />

der arabischen Welt. Als einziges der sieben<br />

Vereinigten Arabischen Emirate baute<br />

Sharjah ein Museum für islamische<br />

Kunst. Während Abu Dhabi wahrscheinlich<br />

mehr als eine Milliarde Dollar für seine<br />

Louvre-Filiale ausgibt, fördert Hoor al-<br />

Qasimi einheimische Nachwuchstalente<br />

und verschafft ihnen internationale Aufmerksamkeit.<br />

Für Sharjah gehöre<br />

es zum guten Ton, Museen zu<br />

stiften, die behutsam den Spagat<br />

zwischen Tradition und Moderne<br />

versuchten, sagt die Kuratorin einer<br />

Kunstmesse.<br />

Niemand verkörpert diesen Spagat besser<br />

als Qasimi selbst. 2002 übernahm sie<br />

die Leitung der Biennale und wagte den<br />

Schritt von der bis dahin dominierenden<br />

figurativen Malerei zur zeitgenössischen,<br />

kritischen Kunst. »Mein Vater hatte als<br />

Vorbild die Biennale Kairo. Ich war inspiriert<br />

von der documenta 11 in Kassel«,<br />

beschrieb die 1980 geborene Herrschertochter,<br />

die in London Kunst studiert hat,<br />

einmal ihr Selbstverständnis. Ihre Fotografien<br />

hängen in einer Düsseldorfer Galerie.<br />

»Ausländer denken oft, dass die Araber<br />

am Golf moderne Kunst mögen, weil<br />

sie prestigeträchtig mit dem Rest der Welt<br />

verbunden sei, nicht weil sie diese verstehen«,<br />

sagt Abdal Hakim Murad von der<br />

Universität Cambridge. »Die Emiratis sind<br />

nicht so naiv. Viele von ihnen finden moderne<br />

Kunst interessant, weil sie ein Fenster<br />

zur Seele des Westens ist, mit dem sie<br />

sich arrangieren müssen.«<br />

Elf Monate nach dem Skandal um die<br />

Entlassung Persekians stellte Qasimi beim<br />

diesjährigen März-Treffen, dem jährlichen<br />

Kongress der Sharjah Art Foundation, die<br />

mittlerweile als dessen Nachfolgerin benannte<br />

Yoko Hasegawa der heimischen Öffentlichkeit<br />

vor. Mit der Direktorin des<br />

Museums für Zeitgenössische Kunst in Tokio<br />

hat die Prinzessin eine konservative<br />

Kuratorin für die nächste Biennale gewählt.<br />

In sorgfältig gestreuten Interviews betonte<br />

Hasegawa, wie sehr sie die Traditionen<br />

Sharjahs respektiere. Ihr Konzept für die<br />

Sharjah-Biennale im März 2013 stellt die<br />

Kritik am Eurozentrismus in den Mittelpunkt.<br />

Glaubwürdigkeit und Authentizität<br />

– zentrale Werte, ohne die eine international<br />

anerkannte Museums- und Kunstlandschaft<br />

in den Vereinigten Arabischen<br />

Emiraten nicht funktionieren wird.<br />

<strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012 49


DER SEKRETÄR<br />

Foto: DP World<br />

LETZTE MELDUNGEN<br />

Keine zivile Einmischung<br />

VORSCHAU AUF DAS NÄCHSTE HEFT<br />

Handeln über Bande<br />

Geschäfte trotz Iran-Sanktionen<br />

IHRE TERMINE<br />

Qatar Transport<br />

28. bis 31. Mai, Doha, Katar<br />

»Zeit, dass sich was dreht« war die<br />

nicht sehr erfolgreiche Hymne zur<br />

Fußball-WM 2006 in Deutschland.<br />

Besser passt der Grönemeyer-Song<br />

zur geplanten Weltmeisterschaft<br />

2022 in Katar, schließlich soll dort<br />

bis dahin ein milliardenschweres<br />

Eisenbahn- und Metronetz gebaut<br />

werden. Wie viel sich schon dreht,<br />

erfahren Sie auf dieser Messe.<br />

www.qatartransportconference.com<br />

Iraq Medicare<br />

29. bis 31. Mai, Erbil, Irak<br />

Immer wieder Erbil. Während Geschäftsreisenden<br />

für die Strecke<br />

Flughafen Bagdad–Grüne Zone noch<br />

immer gepanzerte Wagen empfohlen<br />

werden, bietet die Provinz Nordirak<br />

schon ein zivileres Umfeld. Damit will<br />

der Irak nun zum dritten Mal internationale<br />

Medizintechniker und Krankenhausbetreiber<br />

anziehen.<br />

www.iraqmedicare.com<br />

Project Lebanon<br />

5. bis 8. Juni, Beirut, Libanon<br />

Schwaben können dank dieser Baumesse<br />

nicht nur Berlin, sondern auch<br />

Beirut gentrifizieren. Helfen Sie dem<br />

Hariri-Familienunternehmen Solidere,<br />

die alte Bausubstanz der libanesischen<br />

Hauptstadt in glitzernde Wolkenkratzer<br />

zu verwandeln. Auch die nahen Hänge<br />

des Libanon-Gebirges laden zum Planen<br />

ein; Zedern stehen dort schließlich<br />

schon lange nicht mehr.<br />

www.projectlebanon.com<br />

Power-Gen Europe<br />

12. bis 14. Juni, Köln<br />

In diesem Jahr öffnet die Energie-<br />

Wandermesse ihre Türen in Köln –<br />

einschließlich einer zeitgleichen<br />

Partnerveranstaltung einzig zur Kernenergie.<br />

Hier darf Siemens sogar<br />

offen zugeben, wie gerne man –<br />

Areva-Ausstieg hin oder her – beim<br />

saudischen Atomprogramm mitmischen<br />

würde. Daneben gibt es die<br />

neuesten Trends für Turbinentechnik<br />

und intelligente Stromnetze.<br />

www.powergeneurope.com<br />

Wirtschaftstag Naher<br />

und Mittlerer Osten<br />

11. Juli, Düsseldorf<br />

Die Fachtagung des Nah- und Mittelostvereins<br />

geht in eine neue Staffel.<br />

Aber warum spricht der Einladungstext<br />

von »positiven Aussichten fur 2011«<br />

Die Jahreszahlen sind nach dem arabischen<br />

Frühling wohl alles andere als<br />

austauschbar. Aber man geht dennoch<br />

gerne hin – die Gastgeberin gilt<br />

schließlich als besonders taktvoll und<br />

charmant.<br />

www.numov.org<br />

DAG-Sommerfest<br />

3. bis 5. August, Düsseldorf<br />

Die Deutsch-Arabische Gesellschaft<br />

lädt – im Nachdenkmonat Ramadan –<br />

zu alljährlichem Networking und Strategieplanung<br />

an den Rhein. Saudische<br />

Prinzen, libysche Revolutionäre und<br />

DAG-Präsident Scholl-Latour sind mit<br />

von der Partie.<br />

www.d-a-g.org<br />

!<br />

Normalerweise hält sich die ägyptische Armee bedeckt,<br />

was ihre unternehmerischen Aktivitäten angeht.<br />

Nachdem jedoch nicht nur Aktivisten, sondern<br />

auch Parlamentsabgeordnete immer lauter forderten,<br />

die Eigentumsverhältnisse der Militärfirmen<br />

offenzulegen und diese in zivile Hände zu übergeben,<br />

platzte Vize-Verteidigungsminister Mahmoud<br />

Nasr nun der Kragen.<br />

»Wir werden niemandem eine Einmischung in<br />

die geschäftlichen Angelegenheiten der Streitkräfte<br />

erlauben«, kündigte er an und betonte, seit Anfang<br />

2011 habe die Armee den ägyptischen Staat<br />

mit zwei Milliarden Dollar unterstützt.<br />

Nach Mumbai mit der Bahn<br />

Die Deutsche Bahn will den indischen Markt erobern.<br />

Ein Vorvertrag zwischen DB und Indian Railways<br />

stehe kurz vor der Unterzeichnung, erklärte<br />

die Regierung in Neu-Delhi nach einem Besuch von<br />

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Man wolle<br />

die Kooperation auf allen Ebenen ausweiten. Ramsauers<br />

Ministerium und die Bahn-Logistiktochter<br />

DB Schenker halten sich noch bedeckt: »Kein Kommentar.«<br />

Anders die indische Botschaft: Es sei nur<br />

noch etwas Feintuning auf deutscher Seite nötig –<br />

alles eine Frage von Wochen. Ob es sich um große<br />

Investitionen handle »Ja.«<br />

Royals inklusive<br />

Der saudische König Abdullah hat die Finanzmarktaufsicht<br />

angewiesen, gegen Manipulationen<br />

auf dem derzeit boomenden Aktienmarkt des Königreichs<br />

durchzugreifen. Mit der Rückkehr der Investoren<br />

seien auch erneut Unregelmäßigkeiten auf<br />

dem Markt zu verzeichnen. Diese müssten untersucht<br />

und die Schuldigen bestraft werden, entnahm<br />

die Zeitung Al-Sharq aus einem Telegramm des Königs<br />

an den Chef der Behörde. Ausdrücklich forderte<br />

Abdullah demnach, auch gegen betroffene Mitglieder<br />

des Königshauses zu ermitteln – und sie falls nötig<br />

vor Gericht zu bringen.<br />

50 <strong>BusinessReport</strong> Mai/Juni 2012


Edition 2012<br />

Research.<br />

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zenith Edition – The international<br />

compendium for experts<br />

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per mail: order@zenithonline.de<br />

per fax: +49 (0)30 39 835 188 5<br />

Online: www.zenithonline.de<br />

ISBN 978-3-943737-00-4, price EUR 49,80<br />

Deutscher Levante Verlag


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