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Ma<strong>ch</strong>t und die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Natur<br />

Der Philosoph Bertrand Russell betont zu<br />

Beginn seines Bu<strong>ch</strong>es “Formen der Ma<strong>ch</strong>t“<br />

von 1938, dass es zwis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />

und Tieren einen grossen Unters<strong>ch</strong>ied<br />

gäbe. Sobald das Tier sein Bedürfnis wie<br />

beispielsweise Hunger gestillt hat, erlis<strong>ch</strong>t<br />

dieses für einige Zeit. Wenn hingegen der<br />

Mens<strong>ch</strong> sein Bedürfnis wie beispielsweise<br />

Nahrungsaufnahme befriedigt hat, so wird<br />

er anders als ein Tier ni<strong>ch</strong>t aufhören tätig<br />

zu sein.<br />

Während si<strong>ch</strong> Tiere mit Dasein und Fortpflanzung<br />

zufriedengeben, will der Mens<strong>ch</strong><br />

über sein eigenes Mass hinauswa<strong>ch</strong>sen.<br />

Seine Begierden sind dabei quasi grenzenlos.<br />

Von den unzähligen Begierden zielen,<br />

gemäss Russell, die wesentli<strong>ch</strong>en auf<br />

Ma<strong>ch</strong>t. Für ihn steht fest, dass die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Ma<strong>ch</strong>tliebe daher die Ursa<strong>ch</strong>e der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

relevanten Handlungen ist.<br />

Für ihn ist „Ma<strong>ch</strong>t“ der Fundamentalbegriff<br />

in der gesamten Gesells<strong>ch</strong>aftswissens<strong>ch</strong>aft.<br />

(56) Ma<strong>ch</strong>t wird in dieser Si<strong>ch</strong>tweise auf die<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, das heisst anthropologis<strong>ch</strong>e<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft der „Ma<strong>ch</strong>tliebe“ zurückgeführt.<br />

In der Tat ist es so, dass viele Theorien, die<br />

si<strong>ch</strong> auf die eine oder andere Art mit dem<br />

Phänomen der Ma<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>äftigen, si<strong>ch</strong> auf<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften stützen. Dabei<br />

gehen sie von einer sogenannten „anthropologis<strong>ch</strong>en<br />

Grundannahme“ aus.<br />

So argumentierte in der Antike beispielsweise<br />

der Grie<strong>ch</strong>e Thukydides, dass eine<br />

Grossma<strong>ch</strong>t kleinere Städte beherrs<strong>ch</strong>en<br />

dürfe, weil es der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Natur entspre<strong>ch</strong>e,<br />

dass der Mindere si<strong>ch</strong> dem Mä<strong>ch</strong>tigeren<br />

fügen müsse. Im Folgenden werden<br />

beispielhaft weitere Thesen dargelegt werden,<br />

die si<strong>ch</strong> auf anthropologis<strong>ch</strong>e Annahmen<br />

stützen. (57)<br />

Ma<strong>ch</strong>ttrieb des Mens<strong>ch</strong>en<br />

Mit Blick auf den Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Natur und Ma<strong>ch</strong>t stellt si<strong>ch</strong><br />

die Frage na<strong>ch</strong> einem „Ma<strong>ch</strong>ttrieb“. Dieser<br />

Ma<strong>ch</strong>ttrieb wurde lange Zeit als etwas<br />

S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes betra<strong>ch</strong>tet. Bereits Hobbes<br />

spra<strong>ch</strong> von dem unaufhörli<strong>ch</strong>en und rastlosen<br />

Verlangen von Ma<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>t,<br />

das erst im Tode ein Ende finde. (58)<br />

Der S<strong>ch</strong>weizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt<br />

vertrat die Meinung, dass Ma<strong>ch</strong>t eine<br />

unersättli<strong>ch</strong>e Gier darstelle und immer böse<br />

sei. (59) Er beeinflusste mit dieser Auffassung<br />

den Philosophen Friedri<strong>ch</strong> Nietzs<strong>ch</strong>e,<br />

der im Wintersemester 1870/71 bei Burckhardt<br />

die Vorlesung „Über das Studium<br />

der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te“ an der Universität Basel<br />

besu<strong>ch</strong>te. Au<strong>ch</strong> Nietzs<strong>ch</strong>e ging in seiner<br />

späteren <strong>Philosophie</strong> von einem Ma<strong>ch</strong>ttrieb<br />

aus. „Der Wille zur Ma<strong>ch</strong>t“ war für ihn die<br />

universelle Grundlage der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Existenz. In seinem Bu<strong>ch</strong> „Jenseits von Gut<br />

und Böse“, das 1886 ers<strong>ch</strong>ien, erklärt er<br />

unser gesamtes Triebleben als die Ausgestaltung<br />

und Verzweigung einer Grundform<br />

des Willens: des Willens zur Ma<strong>ch</strong>t. In seiner<br />

späten <strong>Philosophie</strong> verurteilt er diesen<br />

Trieb als das fur<strong>ch</strong>tbarste Verlangen des<br />

Mens<strong>ch</strong>en. (60) Für Sigmund Freud, der zu<br />

Nietzs<strong>ch</strong>e in einer ambivalenten Beziehung<br />

stand, ist der Ma<strong>ch</strong>ttrieb hingegen ein Nebentrieb,<br />

den er mit dem Destruktionstrieb<br />

im selben Atemzug nennt. (61)<br />

Wenn wir davon ausgehen, dass der<br />

Mens<strong>ch</strong> die Eigens<strong>ch</strong>aft besitzt, na<strong>ch</strong> immer<br />

mehr Ma<strong>ch</strong>t zu streben, dann hat dies<br />

häufig eine negative Auswirkung auf das<br />

soziale und politis<strong>ch</strong>e Zusammenleben. In<br />

der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te beoba<strong>ch</strong>tet man oft, wie absolute<br />

Ma<strong>ch</strong>t, beispielsweise bei Diktatoren,<br />

entartete Formen annimmt. Der britis<strong>ch</strong>e<br />

Historiker und Politiker Lord J. E. Acton<br />

s<strong>ch</strong>rieb 1887 diesbezügli<strong>ch</strong> den folgenden,<br />

oft zitierten Satz: „Power tends to corrupt<br />

and absolute power tends to corrupt absolutely.“<br />

Acton ist also der Ansi<strong>ch</strong>t, dass Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit zunehmender Ma<strong>ch</strong>t zunehmend<br />

dazu tendieren zu korrumpieren, das heisst,<br />

moralis<strong>ch</strong> zu verderben.<br />

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