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Ma<strong>ch</strong>t in zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Beziehungen<br />
Ma<strong>ch</strong>t ist in sozialen Beziehungen ein allgegenwärtiges<br />
Phänomen, das in der <strong>Philosophie</strong><br />
häufig in einer Untersu<strong>ch</strong>ung gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Strukturen mündet. Eine<br />
der geläufigsten und naheliegenden Definitionen<br />
von Ma<strong>ch</strong>t in Beziehungen stammt<br />
vom Soziologen Max Weber (1864-1920).<br />
Wie bereits im Kapitel „Ma<strong>ch</strong>t in der Politik“<br />
angedeutet wurde, bedeutet Ma<strong>ch</strong>t ihm<br />
zufolge „jede Chance, innerhalb einer sozialen<br />
Beziehung den eigenen Willen au<strong>ch</strong><br />
gegen Widerstreben dur<strong>ch</strong>zusetzen, glei<strong>ch</strong>viel<br />
worauf dies Chance beruht“. (67) Das<br />
heisst, Ma<strong>ch</strong>t ist immer Ma<strong>ch</strong>t über etwas<br />
und zwar die Ma<strong>ch</strong>t von Mens<strong>ch</strong>en über<br />
unterlegene Akteure. (68) Sieht man si<strong>ch</strong><br />
diese Definition genauer an, können vier<br />
Elemente hervorgehoben werden. Mit dem<br />
Begriff der „Chance“ verweist Weber auf die<br />
Potentialität der Ma<strong>ch</strong>t, die „soziale Beziehung“<br />
weist auf den personalen Charakter<br />
der Ma<strong>ch</strong>tbeziehung hin, „der Wille“ deutet<br />
die Abhängigkeit der Ma<strong>ch</strong>t von unserem<br />
Willen an und s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> verweist Webers<br />
Definition auf ein mögli<strong>ch</strong>es „Widerstreben“<br />
des Ma<strong>ch</strong>tunterworfenen. Weber zufolge<br />
entsteht Ma<strong>ch</strong>t aus Handeln und ist an Handeln<br />
gebunden. Sein Ma<strong>ch</strong>tbegriff ist auf<br />
die konkrete Handlungssituation bezogen,<br />
das heisst, auf die jeweilige soziale Beziehung,<br />
in wel<strong>ch</strong>er der eine seinen Willen<br />
gegenüber einem anderen dur<strong>ch</strong>zusetzten<br />
vermag. Problematis<strong>ch</strong>erweise erklärt Weber<br />
ni<strong>ch</strong>t näher, worauf die Chance, seinen<br />
Willen dur<strong>ch</strong>zusetzen, genau beruht – au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t im Bezug auf zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Beziehungen. Ist es <strong>ch</strong>arismatis<strong>ch</strong>e Autorität?<br />
Rationale Überzeugungskraft? S<strong>ch</strong>mei<strong>ch</strong>eleien<br />
oder Drohgebärden? Beste<strong>ch</strong>ung<br />
oder Gewaltanwendung? (69)<br />
Ein etwas ausdifferenzierterer Ansatz findet<br />
si<strong>ch</strong> bei Niklas Luhmann (1927-1998). Dieser<br />
ordnungsliebende Systemtheoretiker<br />
entwickelte sein Ma<strong>ch</strong>tverständnis im Rahmen<br />
einer allgemeinen Systemtheorie. Seiner<br />
Meinung na<strong>ch</strong> gilt es, Ma<strong>ch</strong>t primär als<br />
ein Kommunikationsmedium aufzufassen,<br />
wel<strong>ch</strong>es in erster Linie steuernde und stabilisierende<br />
Wirkung besitzt. Ohne Ma<strong>ch</strong>t<br />
und deren steuernde Wirkung wäre, so<br />
Luhmann, politis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aftsbildung<br />
ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. (70)<br />
In seinem Aufsatz über „Gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Grundlagen der Ma<strong>ch</strong>t“ knüpft er an Max<br />
Webers Definition an, do<strong>ch</strong> gibt er ihr eine<br />
ganz neue Ri<strong>ch</strong>tung. Ma<strong>ch</strong>t sei „eine soziale<br />
Beziehung, in der auf beiden Seiten anders<br />
gehandelt werden könnte“. (71) Das bedeutet,<br />
dass sowohl der Ma<strong>ch</strong>thabende als au<strong>ch</strong><br />
der Ma<strong>ch</strong>tunterworfene in einer derartigen<br />
Beziehung stehen müssen, dass beide anders<br />
handeln können. Für Luhmann handelt<br />
es si<strong>ch</strong> bei der Ma<strong>ch</strong>tbeziehung also ni<strong>ch</strong>t<br />
um ein asymmetris<strong>ch</strong>es Verhältnis, in dem<br />
der eine dem andern unterliegt. Er kritisiert,<br />
dass die Unterordnung eines Willens unter<br />
den Willen eines Anderen bei Weber bloss<br />
festgestellt wird, aber ni<strong>ch</strong>ts über das Motiv<br />
der Unterordnung gesagt wird. (72)<br />
Luhmann bemerkt, dass eines der häufig<br />
angeführten Motive, nämli<strong>ch</strong> Gewalt, keine<br />
Anwendung von Ma<strong>ch</strong>t ist, sondern Ausdruck<br />
ihres S<strong>ch</strong>eiterns. Obs<strong>ch</strong>on er zugibt,<br />
dass physis<strong>ch</strong>e Gewalt in gewisser Weise<br />
allen andern Ma<strong>ch</strong>tmitteln überlegen sei,<br />
ist sie für ihn ni<strong>ch</strong>t das ents<strong>ch</strong>eidende Charakteristikum<br />
von Ma<strong>ch</strong>t. Gemäss Luhmann<br />
sind Verhaltensverursa<strong>ch</strong>ungen nie voraussetzungslos<br />
mögli<strong>ch</strong>, sondern beruhen auf<br />
auswählenden Prozessen. Ma<strong>ch</strong>t als Kommunikationsmedium<br />
hat einen Einfluss auf<br />
diese Auswahl, das heisst, auf die Wahl der<br />
Handlungen, die wir in Beziehungen zu anderen<br />
ausführen. (73)<br />
Wie für Weber und au<strong>ch</strong> für Foucault kann<br />
man Ma<strong>ch</strong>t gemäss Luhmann ni<strong>ch</strong>t besitzen.<br />
Sie ist für Luhmann keine Eigens<strong>ch</strong>aft<br />
der Beziehungspartner, sondern ein komplexer<br />
Code, der die Kommunikation zwis<strong>ch</strong>en<br />
ihnen steuert. Die Zus<strong>ch</strong>reibung von<br />
Ma<strong>ch</strong>t an einen Ma<strong>ch</strong>thaber erfolgt dem-<br />
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