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Philosophisches Themendossier - Philosophie.ch

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<strong>Philosophis<strong>ch</strong>es</strong> <strong>Themendossier</strong><br />

“Ein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung?”<br />

Dieses Dossier stellt die Fragen der Migrationsethikdebatte: Gibt es ein Re<strong>ch</strong>t<br />

auf Einwanderung in einem liberalen demokratis<strong>ch</strong>en Staat wie der S<strong>ch</strong>weiz?<br />

Wel<strong>ch</strong>e Argumente spre<strong>ch</strong>en grundsätzli<strong>ch</strong> für oder gegen offene Grenzen?<br />

Was leistet die <strong>Philosophie</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Einwanderungsproblematik?


Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

• Einleitung ................................................................................................................ 3<br />

• Angst vor Einwanderung in der S<strong>ch</strong>weiz................................................................. 4<br />

• Argumente für ges<strong>ch</strong>lossene Grenzen.................................................................... 6<br />

• Argumente für offene Grenzen ................................................................................ 9<br />

• Fazit? .................................................................................................................... 13<br />

• Interview mit Prof. Dr. Martino Mona .................................................................... 14<br />

• Wer darf ins Land und wer ni<strong>ch</strong>t? ......................................................................... 16<br />

• Glossar .................................................................................................................. 18<br />

• Quellen .................................................................................................................. 19<br />

Aufbau des <strong>Themendossier</strong>s<br />

Dieses Heft zeigt die Komplexität und Viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tigkeit<br />

der Einwanderungsproblematik<br />

in der philosophis<strong>ch</strong>en Fa<strong>ch</strong>literatur.<br />

Beginnend mit der Ausgangslage in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz und den vorherrs<strong>ch</strong>enden politis<strong>ch</strong>en<br />

Standpunkten, führt das <strong>Themendossier</strong><br />

ans<strong>ch</strong>liessend die Kernfragen der Pround<br />

Kontraperspektiven zu ges<strong>ch</strong>lossenen<br />

und offenen Grenzen aus. In der Mitte des<br />

Heftes befindet si<strong>ch</strong> zudem ein Kreuzworträtsel<br />

zum Thema Immigration & <strong>Philosophie</strong>.<br />

Das Kapitel „Fazit?“ befasst si<strong>ch</strong> mit<br />

den zusätzli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die si<strong>ch</strong><br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Integration in liberalen demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Staaten wie der S<strong>ch</strong>weiz stellt.<br />

Im ans<strong>ch</strong>liessenden Interview mit Prof. Dr.<br />

Martino Mona wird u.a. der Frage na<strong>ch</strong>gegangen,<br />

ob es ein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung<br />

gibt. Das letzte Kapitel handelt von den Kriterien,<br />

wel<strong>ch</strong>e Personen einwandern dürfen<br />

und wel<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t.<br />

Das <strong>Themendossier</strong> steht online als PDF-<br />

Download auf www.philosophie.<strong>ch</strong>/themendossiers<br />

zur Verfügung.<br />

Der Verein <strong>Philosophie</strong>.<strong>ch</strong><br />

Der Verein <strong>Philosophie</strong>.<strong>ch</strong> erstellt die <strong>Themendossier</strong>s<br />

unter dem Aspekt der Wissens<strong>ch</strong>aftskommunikation.<br />

Mehr Informationen<br />

zu <strong>Philosophie</strong>.<strong>ch</strong> finden Sie auf<br />

www.philosophie.<strong>ch</strong>/about.<br />

Es wird darauf Wert gelegt, die Herzstücke<br />

der philosophis<strong>ch</strong>en Debatten zu umreissen.<br />

Dabei werden z.T. einige Argumentationss<strong>ch</strong>ritte<br />

der einzelnen Theorien ausgelassen;<br />

der Lesers<strong>ch</strong>aft stehen jedo<strong>ch</strong><br />

mittels dem Quellenverzei<strong>ch</strong>nis und den Literaturtipps<br />

(online) beste Mögli<strong>ch</strong>keiten zur<br />

Verfügung, eigene Fragen zu den Theorien<br />

selbstständig weiterzuverfolgen.<br />

Alle im Heft in der Männli<strong>ch</strong>keitsform bezei<strong>ch</strong>neten<br />

Personen, beziehen si<strong>ch</strong> ebenfalls<br />

auf das weibli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t.<br />

Falls Sie einen Sonderdruck des <strong>Themendossier</strong>s<br />

wüns<strong>ch</strong>en, können Sie si<strong>ch</strong> gerne<br />

mit uns in Verbindung setzen (Preis auf Anfrage,<br />

ca. 18 Sfr. pro Stück), unter:<br />

info@philosophie.<strong>ch</strong><br />

2


Einleitung<br />

Das S<strong>ch</strong>weizer Kulturgut ginge verloren, wenn es zu viele Ausländer gibt in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Aber kann die S<strong>ch</strong>weiz als liberaler Staat denn verlangen, dass jemand die S<strong>ch</strong>weizer<br />

Kultur übernimmt? Können wir die S<strong>ch</strong>weizer Kultur überhaupt definieren?<br />

Im vorliegenden Dossier werden die Gründe für offene und ges<strong>ch</strong>lossene Grenzen beleu<strong>ch</strong>tet,<br />

wobei si<strong>ch</strong> herausstellt, dass dabei oft mehr Probleme auftreten, als man im<br />

ersten Moment vermuten würde.<br />

Die Fragen der Einwanderungspolitik haben<br />

viel mit der prinzipiellen Struktur eines<br />

Staates zu tun. Je na<strong>ch</strong>dem, ob es si<strong>ch</strong> um<br />

einen liberalen demokratis<strong>ch</strong>en Staat oder<br />

um eine autoritäre Monar<strong>ch</strong>ie handelt, fallen<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Probleme mit dem Thema<br />

Immigration an. Die S<strong>ch</strong>weiz ist als liberales<br />

demokratis<strong>ch</strong>es Land und Wohlfahrtstaat in<br />

einer ganz anderen Sa<strong>ch</strong>lage, als beispielsweise<br />

Sierra Leone, das zu den ärmsten<br />

Ländern auf der Welt zählt. Da die S<strong>ch</strong>weiz<br />

für Ausländer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> gesehen oftmals<br />

viel attraktiver ist als das eigene Land,<br />

wird in der S<strong>ch</strong>weizer Einwanderungspolitik<br />

immer wieder vor Einwanderungswellen gewarnt,<br />

gegen die si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz zu s<strong>ch</strong>ützen<br />

hätte.<br />

Im vorliegenden philosophis<strong>ch</strong>en <strong>Themendossier</strong><br />

wird genau hingesehen, ob si<strong>ch</strong><br />

eine sol<strong>ch</strong>e Haltung re<strong>ch</strong>tfertigen lässt oder<br />

ob sie den Grundprinzipen eines liberalen<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Staates widerspri<strong>ch</strong>t. Dabei<br />

werden die gewi<strong>ch</strong>tigsten Argumente für<br />

und gegen offene Grenzen beleu<strong>ch</strong>tet: Man<br />

merkt, dass kaum eines der Argumente bis<br />

ins Letzte sti<strong>ch</strong>haltig ist. Die Aufgabe des<br />

Dossiers besteht aber ni<strong>ch</strong>t darin, ein definitives<br />

Fazit zu ziehen und eine klare Vorgehensweise<br />

für die Einwanderungspolitik<br />

vorzus<strong>ch</strong>lagen. Vielmehr kann dur<strong>ch</strong> die<br />

Vielzahl der Argumente und Perspektiven<br />

gezeigt werden, dass bis anhin die als klare<br />

und sti<strong>ch</strong>haltig bekannten Argumente gar<br />

ni<strong>ch</strong>t so klar sind.<br />

Au<strong>ch</strong> der oft dur<strong>ch</strong> die Politik ges<strong>ch</strong>ürten<br />

Angst vor Einwanderern wird hier begegnet:<br />

Eine Kontrolle über kulturelle Veränderungen<br />

besteht beispielsweise ohnehin<br />

ni<strong>ch</strong>t, au<strong>ch</strong> wenn diese für die Politik no<strong>ch</strong> so<br />

nützli<strong>ch</strong> wäre. Das kulturelle Gebilde eines<br />

Landes kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

oder humanitäre Krisen verändern.<br />

Trotzdem könnte eine Überzahl an Personen,<br />

deren eigene Kultur sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

ist zu jener im Einwanderungsland,<br />

eine kulturelle Veränderung bedeuten.<br />

Konsequenterweise dient dieses Argument<br />

also weder für ein Einwanderungsverbot<br />

von kleinen Gruppen aus kulturell sehr<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Herkunftsländern no<strong>ch</strong> um<br />

Einwanderungswillige mit einem ähnli<strong>ch</strong>en<br />

kulturellen Hintergrund abzuweisen. (Verglei<strong>ch</strong>e<br />

Seite 6)<br />

Es stellt si<strong>ch</strong> aber no<strong>ch</strong> eine weitere Frage:<br />

Darf die S<strong>ch</strong>weiz als liberales demokratis<strong>ch</strong>es<br />

Land – wel<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zuletzt um<br />

die (kulturelle) Freiheit seiner Bürger zu bemühen<br />

hat – überhaupt eine kulturelle Anglei<strong>ch</strong>ung<br />

verlangen? Und wenn ja, in wel<strong>ch</strong>em<br />

Masse? Mehr hierzu auf Seite 13ff.<br />

Im Web findet man auf philosophie.<strong>ch</strong>/themendossiers,<br />

Literaturtipps, die Lösung<br />

zum Kreuzworträtsel und interessante Links<br />

zum Thema.<br />

3


Die Angst vor Einwanderung<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

„Einwanderer sind Mens<strong>ch</strong>en mit Zielen,<br />

mutige Mens<strong>ch</strong>en, die ihre eigene Situation<br />

verbessern wollen. Sie haben – um es<br />

vereinfa<strong>ch</strong>t zu sagen – mehr Potenzial als<br />

Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> auf ihren Privilegien<br />

ausruhen können.“ (1) Diesen Standpunkt<br />

bezog Prof. Mona, der au<strong>ch</strong> seine Dissertation<br />

dem Thema Migrationsethik gewidmet<br />

hatte, in einem Interview.<br />

Do<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz herrs<strong>ch</strong>t Angst vor Einwanderung.<br />

In zahlrei<strong>ch</strong>en Zeitungsartikeln<br />

liest man davon, dass den S<strong>ch</strong>weizern die<br />

Jobs weggenommen werden (2) oder, dass<br />

es zu eng wird im Land („A<strong>ch</strong>t Millionen sind<br />

genug“ (3)). Die Frage wäre dementspre<strong>ch</strong>end,<br />

ob diese Ängste faktenmässig bere<strong>ch</strong>tigt<br />

sind und wel<strong>ch</strong>e Geisteshaltung dahinter<br />

steht. Denn je na<strong>ch</strong>dem, ob si<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>weizer und S<strong>ch</strong>weizerinnen als liberal<br />

verstehen oder ni<strong>ch</strong>t, fällt au<strong>ch</strong> deren Urteil<br />

in der politis<strong>ch</strong>en Einwanderungsdebatte jeweils<br />

anders aus. Wenn ein Urteil rational<br />

ausfallen soll, müssen diese zwei Punkte<br />

mit einbezogen werden. Reine polemis<strong>ch</strong>e<br />

Angstma<strong>ch</strong>erei ist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t angebra<strong>ch</strong>t.<br />

Zur Zeit beträgt der Anteil anderer Staatsangehörigen<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz 22.8% (4). Knapp<br />

die Hälfte (47,7%) der ständigen ausländis<strong>ch</strong>en<br />

Wohnbevölkerung in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

kommt aus den EU-Staaten Deuts<strong>ch</strong>land,<br />

Frankrei<strong>ch</strong>, Italien und Portugal. (5)<br />

Die geläufigsten Argumente gegen no<strong>ch</strong><br />

mehr Einwanderer beziehen si<strong>ch</strong> auf folgende<br />

Themen:<br />

• Wirts<strong>ch</strong>aft: Je mehr Ausländer im Land<br />

sind, umso weniger Stellenangebote gibt<br />

es für S<strong>ch</strong>weizer und S<strong>ch</strong>weizerinnen.<br />

• Sozialvorsorge: Die AHV und IV wird<br />

dur<strong>ch</strong> Sozials<strong>ch</strong>marotzer ausgenutzt<br />

und kostet die S<strong>ch</strong>weiz viel Geld.<br />

• Kulturelle Entwicklung: Die S<strong>ch</strong>weizer<br />

Kultur geht verloren, weil zu viele Personen<br />

mit einem anderen kulturellen<br />

Hintergrund in der S<strong>ch</strong>weiz wohnen.<br />

• Integration: Die Integration gelingt nur<br />

bedingt, weshalb im Verhältnis viele Ausländer<br />

kriminelles Verhalten zu Tage legen.<br />

(6)<br />

• Raumplanung: Der Platz in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

ist bes<strong>ch</strong>ränkt. Je mehr Leute hier wohnen,<br />

umso enger wird es.<br />

Die geläufigsten Argumente für die Einwanderung<br />

sind (7):<br />

• Wirts<strong>ch</strong>aft: Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit<br />

ist zahlenmässig ein überwiegender<br />

Grund für die Einwanderung.<br />

Ohne Zuwanderung wäre die positive<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Entwicklung der S<strong>ch</strong>weiz<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Zudem arbeiten Einwanderer<br />

häufiger Vollzeit als Einheimis<strong>ch</strong>e.<br />

Langfristig gewi<strong>ch</strong>tiger als das Kriterium<br />

der Nationalität sind Bildungsniveau und<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t.<br />

• Sozialvorsorge: 26,7% der AHV-Beiträge<br />

stammen von Ausländerinnen und<br />

Ausländern. Diese bezogen aber insgesamt<br />

ledigli<strong>ch</strong> 17,9 Prozent der Leistungen.<br />

• Bevölkerungsstruktur: Es gibt zu wenig<br />

Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s. Während 2009 von 100 Erwerbstätigen<br />

32 Personen über 65 Jahre<br />

alt waren, dürften dies im Jahr 2060 fast<br />

doppelt so viele sein. Dank der Zuwanderung<br />

kann dieser Alterungsprozess etwas<br />

verlangsamt, aber ni<strong>ch</strong>t aufgehalten<br />

werden.<br />

• Kulturelle Entwicklung: Die S<strong>ch</strong>weiz ist<br />

historis<strong>ch</strong> bedingt ein Einwandererland<br />

und hat trotzdem die eigene Kultur ni<strong>ch</strong>t<br />

verloren. Mehr zur Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Immigration,<br />

siehe Literaturtipps.<br />

• Liberaler Re<strong>ch</strong>tsstaat: Wenn si<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>weiz als liberaler Staat versteht, ist<br />

es ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehbar, weshalb in der<br />

Einwanderungspolitik eine Ausnahme<br />

gema<strong>ch</strong>t wird.<br />

An dieser Gegenüberstellung der geläufigsten<br />

politis<strong>ch</strong>en Argumente erkennt man,<br />

dass die Fakten in gewissen Fällen s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tweg<br />

übersehen oder ignoriert werden.<br />

4


Im vorliegenden <strong>Themendossier</strong> wird untersu<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>e Argumente es in der philosophis<strong>ch</strong>en<br />

Debatte über Einwanderung gibt. Diese beziehen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t explizit auf die S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Eine sorgfältige Abwägung der Argumente für und gegen offene Grenzen und das zu<br />

Grunde liegende Staatsverständnis ist hingegen für einen Re<strong>ch</strong>tsstaat relevant. Einige<br />

der genannten politis<strong>ch</strong>en Argumente finden si<strong>ch</strong> in dieser Auseinandersetzung wieder:<br />

Die philosophis<strong>ch</strong>e Auseinandersetzung bewegt si<strong>ch</strong> aber auf einer theoretis<strong>ch</strong>en Ebene,<br />

weshalb kein Raum ist für Befür<strong>ch</strong>tungen und Ängste. Die hervorgebra<strong>ch</strong>ten Argumente<br />

und deren re<strong>ch</strong>tsstaatli<strong>ch</strong>e Legitimität sind zwar diskutabel, können aber stets nur dur<strong>ch</strong><br />

griffige Gegenargumente sti<strong>ch</strong>haltig widerlegt werden.<br />

Auss<strong>ch</strong>laggebend hierbei ist, dass der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Rahmen eine wesentli<strong>ch</strong>e Rolle spielt.<br />

Die Frage, ob oder inwiefern Ein- oder Auswanderungen für die einzelnen Personen nützli<strong>ch</strong><br />

sind oder ni<strong>ch</strong>t, ist derjenigen Frage unterzuordnen, ob es re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> erlaubt ist, in ein<br />

Land einzuwandern und den einzelnen Personen ni<strong>ch</strong>t von vornhinein ein Einreiseverbot<br />

auferlegt werden kann. Wie die einzelnen Staaten auf der Welt mit dieser Frage der persönli<strong>ch</strong>en<br />

Freiheiten und Re<strong>ch</strong>te umgehen, hängt stark vom Selbstverständnis des Staates<br />

ab. Hat der Staat – wie die S<strong>ch</strong>weiz – eine liberale Grundstruktur und dementspre<strong>ch</strong>ende<br />

Gere<strong>ch</strong>tigkeitsprinzipien, besteht seine Hauptaufgabe im S<strong>ch</strong>utz und der Förderung der<br />

individuellen Freiheiten und Re<strong>ch</strong>te seiner Bürger. Um na<strong>ch</strong> diesem Prinzip eine gere<strong>ch</strong>te<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft zu ermögli<strong>ch</strong>en, müssten au<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz die Freiheiten und Bedürfnisse<br />

der Einwanderungswilligen stärker berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. (8)<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz war bis 1848 dur<strong>ch</strong> kantonale Bürgerre<strong>ch</strong>te strukturiert: Wollte ein Thurgauer<br />

na<strong>ch</strong> Züri<strong>ch</strong> umziehen, galt er als „Ausländer“. Der S<strong>ch</strong>weizer Pass wurde erst 1915 eingeführt.<br />

S<strong>ch</strong>aut man selbst auf der eigenen Identitätskarte na<strong>ch</strong>, ist man hö<strong>ch</strong>stwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

selbst – na<strong>ch</strong> diesem alten Bürgerre<strong>ch</strong>t – ein Ausländer rsp. eine Ausländerin. (9)<br />

5


Pro ges<strong>ch</strong>lossene Grenzen<br />

Haben die Staaten ein moralis<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t,<br />

potenziellen Einwanderern die Einreise zu<br />

verbieten? Dies ist die Hauptfrage, mit denen<br />

si<strong>ch</strong> die folgenden Seiten bes<strong>ch</strong>äftigen<br />

und worauf si<strong>ch</strong> die Pro- und Kontraargumente<br />

beziehen.<br />

Die Argumente für ges<strong>ch</strong>lossene Grenzen<br />

lassen si<strong>ch</strong> folgendermassen strukturieren:<br />

1. Erhalt der Landeskultur<br />

2. S<strong>ch</strong>utz der Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

3. Verteilung von staatli<strong>ch</strong>er Unterstützung<br />

4. Herstellung von Si<strong>ch</strong>erheit<br />

5. Politis<strong>ch</strong>e Selbstdefinition<br />

6. Demokratie<br />

7. Indirekter Kosmopolitanismus<br />

In den folgenden Abs<strong>ch</strong>nitten wird darauf<br />

Wert gelegt, einzelne problematis<strong>ch</strong>e<br />

Punkte der Argumente zu beleu<strong>ch</strong>ten. Um<br />

die Argumente für ges<strong>ch</strong>lossene Grenzen<br />

aufre<strong>ch</strong>terhalten zu können, müssten diese<br />

problematis<strong>ch</strong>en Punkte argumentativ gelöst<br />

werden.<br />

1. Erhalt der Landeskultur<br />

Die Kontrolle über die eigene Landeskultur<br />

ist eines der häufigsten Argumente für ges<strong>ch</strong>lossene<br />

Grenzen. Wie David Miller erklärt,<br />

geht es dabei um die Mögli<strong>ch</strong>keit, die<br />

Entwicklung der eigenen Kultur und der ihr<br />

zu Grunde liegenden Werte zu formen. Dabei<br />

können kulturelle Werte au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>e<br />

Gegebenheiten oder dur<strong>ch</strong> andere<br />

Kräfte untergraben werden und entziehen<br />

si<strong>ch</strong> somit der politis<strong>ch</strong>en Kontrolle. (10) Der<br />

Erhalt der Landeskultur hängt in Bezug auf<br />

Einwanderer aber au<strong>ch</strong> von folgenden Fragen<br />

ab: Wie sehr unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die Kultur<br />

der Einwanderer wirkli<strong>ch</strong>? Bspw. ist der<br />

kulturelle Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Deuts<strong>ch</strong>land<br />

und der S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t so gross wie<br />

der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Brasilien und der<br />

S<strong>ch</strong>weiz. Konsequenterweise dürften dann<br />

alle Personen ins Land einreisen, die kulturell<br />

glei<strong>ch</strong> geprägt sind und im Weiteren<br />

folgte au<strong>ch</strong>, dass ni<strong>ch</strong>t alle Personen mit<br />

einem anderen kulturellen Hintergrund ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

werden dürfen. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong><br />

ändert si<strong>ch</strong> die Landeskultur ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die<br />

Einreise von Einzelpersonen. Aber wird damit<br />

klar, weshalb der Erhalt der Landeskultur<br />

(moralis<strong>ch</strong>) wi<strong>ch</strong>tiger ist als beispielsweise<br />

die Flü<strong>ch</strong>tlingshilfe? (11a)<br />

2. S<strong>ch</strong>utz der Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

Meistens wird argumentiert, dass Personen<br />

mit geringem Bildungsstand eine grössere<br />

Konkurrenz auf dem Stellenmarkt erfahren<br />

wegen Einwanderern. Grundsätzli<strong>ch</strong><br />

profitiert die Wirts<strong>ch</strong>aft jedo<strong>ch</strong> meist dur<strong>ch</strong><br />

Einwanderer. Geht man davon aus, dass<br />

ein wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>aden dur<strong>ch</strong> die Einwanderung<br />

entsteht, setzt man voraus,<br />

dass die Wirts<strong>ch</strong>aft nur eine begrenzte<br />

Zahl Personen bes<strong>ch</strong>äftigen kann. Die Realität<br />

zeigt jedo<strong>ch</strong>, dass Firmen einerseits<br />

teilweise niedrigere Löhne zahlen und damit<br />

tiefere Preise am Markt bieten können<br />

und anderseits au<strong>ch</strong> der Konsum dur<strong>ch</strong> die<br />

höhere Bevölkerungszahl steigt. Christopher<br />

Wellman argumentiert, dass dieses<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Argument verfeinert werden<br />

müsse, um sti<strong>ch</strong>haltig zu sein: Solange die<br />

gesamte Bevölkerung und die Immigranten<br />

profitieren, müsste für diejenigen Personen,<br />

die eine grössere Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt<br />

erfahren, ein Re<strong>ch</strong>t auf eine geringe<br />

Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt<br />

bestehen. Es müsste gezeigt werden,<br />

dass für die betroffenen Personen ein moralis<strong>ch</strong>es<br />

Re<strong>ch</strong>t besteht, von den ihnen<br />

entstehenden Kosten (bspw. für Ums<strong>ch</strong>ulungen)<br />

vers<strong>ch</strong>ont zu bleiben. Als Verglei<strong>ch</strong><br />

wären hier diejenigen Kosten zu betra<strong>ch</strong>ten,<br />

die ein Staat investiert, um arbeitslose Textilarbeiter<br />

umzus<strong>ch</strong>ulen, da die Liberalisierung<br />

des Textilmarktes eine Abwanderung<br />

der Firmen ins Ausland ausgelöst hat. (11b)<br />

6


3. Verteilung von staatli<strong>ch</strong>er Unterstützung<br />

Wohlfahrtsstaaten wie die S<strong>ch</strong>weiz, die eine<br />

obligatoris<strong>ch</strong>e Krankenkasse, Sozialhilfe<br />

und Invalidenrenten kennen, drohen bei<br />

offenen Grenzen von Einwanderern regelre<strong>ch</strong>t<br />

übers<strong>ch</strong>wemmt zu werden. Dass die<br />

staatli<strong>ch</strong>en Leistungen zusätzli<strong>ch</strong>e Anreize<br />

für die Migration in die S<strong>ch</strong>weiz bieten, lässt<br />

si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t belegen. (12) Die Situation<br />

ist verglei<strong>ch</strong>bar mit den Inländern: Wer<br />

einen s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t bezahlten Job hat, läuft eher<br />

Gefahr, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.<br />

Denkbar wäre jedo<strong>ch</strong>, um den S<strong>ch</strong>utz des<br />

Wohlfahrtstaates zu gewährleisten, staatli<strong>ch</strong>e<br />

Hilfeleistungen jenen Personen vorzuenthalten,<br />

die ni<strong>ch</strong>t erst seit kurzem im Land<br />

sind. Anspru<strong>ch</strong> auf Leistungen des Staates<br />

könnten verzögert, beispielsweise erst na<strong>ch</strong><br />

drei Jahren Erwerbstätigkeit, zugespro<strong>ch</strong>en<br />

werden. Dieser von Wellman gema<strong>ch</strong>te<br />

Vors<strong>ch</strong>lag zielt darauf ab, dass es andere<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten gebe, um die spezifis<strong>ch</strong>en<br />

Probleme der Wohlfahrtsstaaten zu lösen,<br />

solange si<strong>ch</strong> diese in der Situation der internationalen<br />

Unglei<strong>ch</strong>heit behaupten müssen,<br />

ohne die Einwanderung von vornhinein<br />

begrenzen zu müssen. (13)<br />

4. Herstellung von Si<strong>ch</strong>erheit<br />

Seit den Terrorans<strong>ch</strong>lägen in den USA im<br />

Jahr 2001 wird die Bes<strong>ch</strong>ränkung der Einwanderung<br />

mittels der Herstellung von Si<strong>ch</strong>erheit<br />

gere<strong>ch</strong>tfertigt. Die Wi<strong>ch</strong>tigkeit und<br />

moralis<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t des Staates, seine BürgerInnen<br />

vor terroristis<strong>ch</strong>en Attacken zu<br />

bes<strong>ch</strong>ützen, ist unbestritten. Was jedo<strong>ch</strong><br />

Chandran Kukathas hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

der Einwanderung entgegenbra<strong>ch</strong>te,<br />

ist einleu<strong>ch</strong>tend: Au<strong>ch</strong> wenn eine<br />

limitierte Einwanderung zu weniger illegaler<br />

Immigration führt, kann sie diese ni<strong>ch</strong>t komplett<br />

aufhalten. Wenn nun also ein Terrorist,<br />

der seine terroristis<strong>ch</strong>e Mission fanatis<strong>ch</strong><br />

verfolgt, versu<strong>ch</strong>t in ein Land einzureisen,<br />

um dort den geplanten Terrorakt dur<strong>ch</strong>zuführen,<br />

wird er si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Illegalität seiner<br />

Einwanderung ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>recken lassen.<br />

Hinzu kommt, dass Ausländer au<strong>ch</strong> als<br />

Touristen das Land bereisen können, oder<br />

als Gastarbeiter, Gaststudent oder für eine<br />

Ges<strong>ch</strong>äftsreise. Dies bedeutet, dass sogar<br />

ein Staat, der jegli<strong>ch</strong>e Einwanderung verhindert,<br />

die Gefahr von Terrorakten ni<strong>ch</strong>t stillt;<br />

Es sei denn, es werden au<strong>ch</strong> für temporäre<br />

Gäste s<strong>ch</strong>arfe Restriktionen eingeführt. (14)<br />

5. Politis<strong>ch</strong>e Selbstdefinition<br />

Eine weitere Mögli<strong>ch</strong>keit, eine begrenzte<br />

Einwanderung zu re<strong>ch</strong>tfertigen, liegt darin,<br />

dem Staat das grundsätzli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t<br />

einzuräumen, si<strong>ch</strong> so zu definieren wie er<br />

mö<strong>ch</strong>te. Hervorgehoben wird hierbei, dass<br />

ein legitimes Re<strong>ch</strong>t in der Freiheit der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

darin besteht zu wählen, ob Einwanderung<br />

zugelassen ist oder ni<strong>ch</strong>t. So<br />

wie dies Wellman vertrat, werden hier drei<br />

Prämissen vorausgesetzt:<br />

Erstens, dass legitimierte Staaten ein Re<strong>ch</strong>t<br />

zur politis<strong>ch</strong>en Selbstdefinition haben. Zweitens,<br />

dass die Freiheit der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

eine essentielle Komponente dieser Selbstdefinition<br />

ist und drittens, dass die Freiheit<br />

der Gemeins<strong>ch</strong>aft dazu bere<strong>ch</strong>tigt, jemandem<br />

den Umgang mit anderen zu verbieten.<br />

Do<strong>ch</strong> solange die Gemeins<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t völlige<br />

Einsi<strong>ch</strong>t hat darin, wen sie ins Land lassen<br />

will und wenn ni<strong>ch</strong>t, kann unter diesen<br />

Prämissen keine völlige Selbstdefinition<br />

stattfinden. (15)<br />

7


6. Demokratie<br />

Im Zusammenhang mit der politis<strong>ch</strong>en<br />

Selbstdefinition steht das Bedürfnis, Personen<br />

in politis<strong>ch</strong>e (und ortsgebundene)<br />

Gruppen einzuteilen. Die Idee dabei liegt<br />

im demokratis<strong>ch</strong>en System, wel<strong>ch</strong>es dur<strong>ch</strong><br />

dieselben Mens<strong>ch</strong>en getragen werden<br />

muss, die au<strong>ch</strong> von den erstellten Regeln<br />

und Gesetzen betroffen sind. Wenn nun die<br />

Mitglieds<strong>ch</strong>aft in dieser Demokratie ständig<br />

ändert, könnte keine Selbstdefinition stattfinden,<br />

da es andere Mens<strong>ch</strong>en waren, die<br />

die Gesetze aufstellten, als diejenigen, die<br />

von den erstellten Gesetzen betroffen sind.<br />

(16) Bei diesem Argument hat Philip Cole<br />

zwei problematis<strong>ch</strong>e Punkte hervorgehoben:<br />

• Sogar wenn es stimmt, dass eine Demokratie<br />

mit einer si<strong>ch</strong> ändernden Mitglieds<strong>ch</strong>aft<br />

ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong> funktionieren<br />

kann, folgt daraus ni<strong>ch</strong>t, dass eine Demokratie<br />

ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> regional organisiert<br />

werden könnte. Cole: “[It] seems clear<br />

that democratic rights can be confined<br />

to a region, with people entering and<br />

leaving that region freely and exercising<br />

the local democratic rights during their<br />

residency.” (17) (Es s<strong>ch</strong>eint klar, dass<br />

demokratis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te regional abgegrenzt<br />

werden, mit Personen, die diese<br />

Region frei betreten und verlassen und<br />

deren Re<strong>ch</strong>te ausüben, solange sie dort<br />

wohnen.)<br />

• Wenn si<strong>ch</strong> eine Demokratie dur<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>e<br />

Institutionen mit Zwangsmitteln<br />

zusammensetzt, müssen diese vorangehend<br />

dur<strong>ch</strong> die Betroffenen legitimiert<br />

werden. Wenn dem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> so ist,<br />

müssten diejenigen Personen, die si<strong>ch</strong><br />

um die Aufnahme in der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

(dem Land) bemühen, ebenso ein Mitspra<strong>ch</strong>ere<strong>ch</strong>t<br />

in Bezug auf die Einwanderungsgesetze<br />

haben.<br />

7. Indirekter Kosmopolitanismus<br />

Kosmopoliten werten alle Personen glei<strong>ch</strong>,<br />

weshalb sie si<strong>ch</strong> oft für offene(re) Grenzen<br />

ausspre<strong>ch</strong>en. Wenn man beispielsweise<br />

annimmt, dass das Leben eines Westeuropäers<br />

glei<strong>ch</strong>viel wert ist wie dasjenige<br />

eines Afrikaners aus der Sub-Sahara, ist es<br />

s<strong>ch</strong>wierig zu re<strong>ch</strong>tfertigen, weshalb einige<br />

Personen in ihrem Land bleiben müssen<br />

– ohne ein annehmbares Leben führen zu<br />

können – nur wegen dem (moralis<strong>ch</strong> gesehen<br />

willkürli<strong>ch</strong>en) Kriterium, wo sie geboren<br />

sind. Indirekte Kosmopoliten vertreten hingegen,<br />

dass es wohlhabenden, liberalen<br />

und demokratis<strong>ch</strong>en Staaten erlaubt sein<br />

muss, Ausländer ni<strong>ch</strong>t einwandern zu lassen,<br />

um besser internationale Institutionen<br />

hervorbringen zu können, wel<strong>ch</strong>e die Armut<br />

im Ausland bekämpfen, um dort ein annehmbares<br />

Leben zu ermögli<strong>ch</strong>en. (18)<br />

Dieses Argument stützt si<strong>ch</strong> auf einer<br />

Vielzahl von kontroversen Prämissen ab,<br />

wel<strong>ch</strong>es die besten und realistis<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

sind, um einen Ausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

den ärmsten und den rei<strong>ch</strong>sten Ländern<br />

auf der Welt herbeizuführen.<br />

Plausiblerweise ist es so, dass rei<strong>ch</strong>e Länder<br />

eher die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, internationale<br />

Institutionen zu erstellen als arme Länder.<br />

Solange si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> in einem grossen<br />

geopolitis<strong>ch</strong>en Kontext die Situation der<br />

armen Länder ni<strong>ch</strong>t dramatis<strong>ch</strong> verbessert,<br />

ist anzunehmen, dass die Armut, Korruption<br />

und Verletzli<strong>ch</strong>keit der Bevölkerung anhält.<br />

Das die Wohlfahrtsstaaten sol<strong>ch</strong>e internationalen<br />

Organisationen nur dann kreieren<br />

oder reformieren, solange sie keine ständige<br />

Sorge um massive, ungewollte Einwanderung<br />

haben müssen, ers<strong>ch</strong>eint ebenso<br />

plausibel.<br />

Unter diesem Aspekt und um die besten<br />

langfristigen Chancen zu eröffnen, dass si<strong>ch</strong><br />

die Situation der ärmsten Länder verbessert,<br />

liesse si<strong>ch</strong> der indirekte Kosmopolitanismus<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen. Wi<strong>ch</strong>tig zu bea<strong>ch</strong>ten ist aber,<br />

dass dies ni<strong>ch</strong>t komplett dem Gedanken der<br />

Befürwortern von ges<strong>ch</strong>lossenen Grenzen<br />

entspri<strong>ch</strong>t. Dies hat folgenden Grund: Es<br />

folgt daraus, dass sobald si<strong>ch</strong> die geopolitis<strong>ch</strong>e<br />

Situation verbessert hat, kein Grund<br />

mehr besteht um die Grenzen weiterhin ges<strong>ch</strong>lossen<br />

zu halten. Die Befürworter von<br />

ges<strong>ch</strong>lossenen Grenzen werden diese Position<br />

daher nur bedingt befürworten. (19)<br />

8


Pro offene Grenzen<br />

Die Argumente für offene Grenzen teilen<br />

si<strong>ch</strong> in fünf vers<strong>ch</strong>iedene Positionen auf, die<br />

auf den folgenden Seiten vorgestellt werden:<br />

1. Kosmopolitis<strong>ch</strong>er Egalitarismus<br />

2. Libertarianismus<br />

3. Liberalismus<br />

4. Demokratie<br />

5. Utilitarismus<br />

Kosmopolitis<strong>ch</strong>er Egalitarismus<br />

Der Kern dieser Position bildet die Auffassung,<br />

dass alle Mens<strong>ch</strong>en – egal, ob Inoder<br />

Ausländer – moralis<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>wertig<br />

sind. Dies trifft au<strong>ch</strong> dann zu, wenn bedingt<br />

dur<strong>ch</strong> die Staatsbürgers<strong>ch</strong>aft massive Unters<strong>ch</strong>iede<br />

in den Lebensaussi<strong>ch</strong>ten vorliegen.<br />

So wie man s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t Glück gehabt hat,<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz geboren worden zu sein, so<br />

hat jemand, der in Sierra Leone geboren<br />

wurde, au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts fals<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t oder hat<br />

es sonst irgendwie verdient, in einem der<br />

ärmsten Länder der Welt zu leben. Wel<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung sollen die S<strong>ch</strong>weizer also<br />

haben, wenn Waffen an den Landesgrenzen<br />

aufgestellt werden, um Einwanderer<br />

aus Sierra Leona davon abzuhalten, au<strong>ch</strong><br />

in einem sozial, politis<strong>ch</strong> und ökonomis<strong>ch</strong><br />

bevorzugbarem Land zu wohnen? Gemäss<br />

dem kosmopolitis<strong>ch</strong>en Egalitarimus gibt es<br />

keine sol<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tfertigung.<br />

Joseph Carens vergli<strong>ch</strong> die Privilegien der<br />

Westeuropäer mit den früheren königli<strong>ch</strong>en<br />

Privilegien, da diese ebenso bessere Lebens<strong>ch</strong>ancen<br />

eröffneten: “Citizenship in<br />

Western liberal democracies is the modern<br />

equivalent to feudal privilege – an inherited<br />

status that greatly enhances one‘s life<br />

<strong>ch</strong>ances. Like feudal birthrights privileges,<br />

restrictive citizenship is hard to justify when<br />

one thinks about it closely.” (20)<br />

Dies bedeutet, dass die Egalitaristen offene<br />

Grenzen als unerlässli<strong>ch</strong>e Antwort auf die<br />

grossen ökonomis<strong>ch</strong>en Unglei<strong>ch</strong>heiten zwis<strong>ch</strong>en<br />

der S<strong>ch</strong>weiz und Sierra Leone begreifen.<br />

Do<strong>ch</strong> sogar wenn man alle moralis<strong>ch</strong>en Prämissen<br />

des kosmopolitis<strong>ch</strong>en Egalitarismus<br />

akzteptiert, ist ni<strong>ch</strong>t klar, ob das gewüns<strong>ch</strong>te<br />

Ergebnis der offenen Grenzen folgt. Denn,<br />

au<strong>ch</strong> wenn die S<strong>ch</strong>weiz anspru<strong>ch</strong>svolle<br />

Pfli<strong>ch</strong>ten hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>er Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

gegenüber Sierra Leone<br />

hätte, warum könnte die S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong><br />

das Geld zahlen, bevor die Grenzen<br />

geöffnet werden? Als Beispiel gesagt: Au<strong>ch</strong><br />

vom rei<strong>ch</strong>sten Mens<strong>ch</strong>en auf dieser Welt,<br />

demgegenüber viele Ansprü<strong>ch</strong>e bestehen,<br />

sein Vermögen den ökonomis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />

Gestellten zu Gute kommen zu lassen, kann<br />

ni<strong>ch</strong>t alles erwartet werden. So käme man<br />

ni<strong>ch</strong>t auf die Idee, ihn dazu zu verpfli<strong>ch</strong>ten,<br />

jemanden zu heiraten, zu adoptieren oder<br />

sonst irgendwie seine Familie gegenüber einer<br />

armen Person zu öffnen.<br />

Man kann somit die Frage stellen: Weshalb<br />

sollte die S<strong>ch</strong>weiz denn arme Einwanderer<br />

im Land aufnehmen? (21)<br />

9


Libertarianismus<br />

Individuelle Re<strong>ch</strong>te können mit den staatli<strong>ch</strong>en Kontrollen der Einwanderung in Konflikt<br />

geraten. Wenn man si<strong>ch</strong> vorstellt, dass ein Bauer 30 Gastarbeiter aus Tunesien ins Land<br />

holen mö<strong>ch</strong>te, da er diese auf seinem Hof anstellen mö<strong>ch</strong>te, der Staat ihm dies aber ni<strong>ch</strong>t<br />

gestattet, trifft genau dies zu. Dabei sind ni<strong>ch</strong>t nur die Re<strong>ch</strong>te des Bauern bes<strong>ch</strong>nitten, auf<br />

seinem Hof anzustellen, wen immer er mö<strong>ch</strong>te. Au<strong>ch</strong> die tunesis<strong>ch</strong>en Gastarbeiter werden<br />

in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Die staatli<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>ränkungen können auf diese<br />

Weise respektlos mit den individuellen Re<strong>ch</strong>ten umgehen.<br />

Die libertarianistis<strong>ch</strong>e Position bemängelt zu Re<strong>ch</strong>t, dass damit die staatli<strong>ch</strong>e Aufgabe,<br />

die Freiheiten und Re<strong>ch</strong>te des Einzelnen zu s<strong>ch</strong>ützen, ni<strong>ch</strong>t nur ni<strong>ch</strong>t erfüllt wird, sondern<br />

genau das Gegenteil ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

Problematis<strong>ch</strong> hierbei ist aber zu begründen, weshalb die individuellen Re<strong>ch</strong>te immer Vorrang<br />

haben müssen. Ein beliebtes Gegenbeispiel zur libertarianistis<strong>ch</strong>en Position ist Folgendes:<br />

Nur weil eine Person an si<strong>ch</strong> frei ist, dorthin zu gehen, wohin sie mö<strong>ch</strong>te, bedeutet<br />

dies no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t, dass sie au<strong>ch</strong> in mein Haus kommen darf, ohne dazu meine Erlaubnis<br />

zu haben. Warum also sollte der Staat jemanden erlauben, ins Land zu kommen, ohne<br />

vorher die Erlaubnis zu erteilen? Ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit dem Beispiel des Bauern: So<br />

wenig wie der Bauer auf seinem eigenen Land die polizeili<strong>ch</strong>e Gewalt ersetzen darf oder<br />

sonst eine Form von Selbstjustiz pflegen soll, darf er au<strong>ch</strong> keine Personen in seinen Heimatstaat<br />

holen, ohne dass der Staat dies erlaubt hat. (22)<br />

Liberalismus<br />

Folgt man der Konzeption des Liberalismus na<strong>ch</strong> John Rawls, können die Re<strong>ch</strong>te und Freiheiten<br />

aller nur gewährleistet werden, wenn öffentli<strong>ch</strong>e Ordnung und Si<strong>ch</strong>erheit herrs<strong>ch</strong>t.<br />

(23) Dies bedeutet, dass das Re<strong>ch</strong>t auf ungehinderte Immigration einges<strong>ch</strong>ränkt werden<br />

darf, wenn dadur<strong>ch</strong> eine Gefahr für die Freiheit aller besteht. Denn ni<strong>ch</strong>t nur Inländer,<br />

sondern au<strong>ch</strong> Immigranten haben ein Interesse daran, Si<strong>ch</strong>erheit und öffentli<strong>ch</strong>e Ordnung<br />

anzutreffen. Do<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> plausibel ma<strong>ch</strong>en, dass diese gefährdet wäre, würde<br />

man die Grenzen öffnen? „Eins<strong>ch</strong>ränkungen des Immigrationsre<strong>ch</strong>tes sind nur gere<strong>ch</strong>tfertigt,<br />

wenn man aus unvoreingenommener Perspektive, frei von Intoleranz oder Rassendiskriminierung,<br />

zeigen kann, dass sie dur<strong>ch</strong>gesetzt werden müssen, um den Zusammenbru<strong>ch</strong><br />

der öffentli<strong>ch</strong>en Ordnung zu verhindern und au<strong>ch</strong> dann nur im dafür nötigen Mass“,<br />

sagt Martino Mona, in Analogie zu einem Beispiel der Religionsfreiheit bei Rawls. (24)<br />

Inwiefern können wir diese Position nun zu den Argumenten Pro offene Grenzen zählen?<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> geht es ja darum, unter wel<strong>ch</strong>en Voraussetzungen die Einwanderung bes<strong>ch</strong>ränkt<br />

werden darf. Die liberalistis<strong>ch</strong>e Position kann daher zu den Argumenten für offene<br />

Grenzen gezählt werden, da die Bes<strong>ch</strong>ränkung der Einwanderung nur im nötigsten – und<br />

das heisst nur im mögli<strong>ch</strong>st kleinen – Rahmen gere<strong>ch</strong>tfertigt werden kann.<br />

Ob man eine genügende Faktenlage zusammentragen kann, um zu belegen, dass ein Zusammenbru<strong>ch</strong><br />

der öffentli<strong>ch</strong>en Ordnung stattfinden würde, wären die Grenzen der S<strong>ch</strong>weiz<br />

offen, sei an diesem Punkt dahingestellt.<br />

10


Demokratie<br />

Wie wir auf Seite 8 gesehen haben, gibt es<br />

Gründe in Frage zu stellen, ob eine Demokratie<br />

nur mit ges<strong>ch</strong>lossenen Grenzen funktionieren<br />

kann. Arash Abizadeh argumentierte<br />

dafür, dass si<strong>ch</strong> die demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Prinzipien eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t damit vereinbaren<br />

lassen, mit dem staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t unilateral<br />

Einwanderer auszus<strong>ch</strong>liessen. Dabei stützt<br />

er seinen Standpunkt auf folgende Prämisse:<br />

Die Zwangsgewalt des Staates ist erst<br />

dann legitimiert, wenn diese demokratis<strong>ch</strong><br />

von allen Beteiligten bestimmt wurde. Ohne<br />

also den potentiellen Einwanderern die<br />

Chance zu geben, die Einwanderungsgesetze<br />

mitzugestalten, kann die Zwangsgewalt,<br />

die Einwanderer ni<strong>ch</strong>t ins Land zu lassen,<br />

ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt werden. (25)<br />

Ein Gegenbeispiel hierzu illustriert folgenden<br />

Fall: Wenn zwei Einbre<strong>ch</strong>er ins<br />

Haus des Lehrers eindringen, um die korrigierten<br />

Prüfungen seiner S<strong>ch</strong>üler zu stehlen,<br />

müsste der Lehrer dann wirkli<strong>ch</strong> eine<br />

demokratis<strong>ch</strong>e Abstimmung mit den zwei<br />

Einbre<strong>ch</strong>ern abhalten, ob diese das dürfen?<br />

Kreuzworträtsel<br />

Zahlen = Waagre<strong>ch</strong>t, Bu<strong>ch</strong>staben = Senkre<strong>ch</strong>t<br />

Finde die glei<strong>ch</strong>bedeutenden Wörter!<br />

Intuitiv verneint man diesen Vors<strong>ch</strong>lag. Do<strong>ch</strong><br />

kann man wirkli<strong>ch</strong> eine Analogie zwis<strong>ch</strong>en<br />

einer Privatwohnung und dem Staatsgebiet<br />

herstellen? Hat der Staat denn dieselbe<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft über das Territorium wie ein Privateigentümer<br />

über seine Wohnung? Wie<br />

weit müsste der Personenkreis von einwanderungswilligen<br />

Personen sein, um ein demokratis<strong>ch</strong>es<br />

Abstimmungsergebnis zu errei<strong>ch</strong>en?<br />

All diese Fragen, stellen si<strong>ch</strong> dann,<br />

wenn man davon ausgeht, dass Abizadeh<br />

re<strong>ch</strong>t hat und der Staat kein moralis<strong>ch</strong>es<br />

Re<strong>ch</strong>t hat, unilateral zu bestimmen, wer ins<br />

Land einwandern darf oder ni<strong>ch</strong>t.<br />

1. Wo ist der Zoll?<br />

2. Wanderung<br />

3. Andere Abkürzung für i.O.<br />

4. Jede/r wird in einem in einem „...“<br />

geboren.<br />

5. Sitte<br />

6. Was droht si<strong>ch</strong> zu verändern dur<strong>ch</strong><br />

Einwanderung?<br />

7. Was ist die S<strong>ch</strong>weiz?<br />

8. Bezei<strong>ch</strong>net die Mögli<strong>ch</strong>keit, ohne<br />

Zwang zwis<strong>ch</strong>en vers<strong>ch</strong>iedenen Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

auswählen und ents<strong>ch</strong>eiden<br />

zu können.<br />

A. „...“ ist die Lehre von den Staatszwecken<br />

und den besten Mitteln zu<br />

ihrer Verwirkli<strong>ch</strong>ung.<br />

B. Vertreter des angeführten Gegenargumentes<br />

zum Utilitarismus<br />

C. Um was geht es für die Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

beim Utilitarismus-Argument<br />

D. Englis<strong>ch</strong>es Wort für „mehr“<br />

E. Vertreter des Liberalismus<br />

F. Na<strong>ch</strong>name des Editors der Stanford<br />

Encyclopedia of Philosophy<br />

G. Teilgebiet der <strong>Philosophie</strong>, das si<strong>ch</strong><br />

mit Moral befasst<br />

H. Wie ist die S<strong>ch</strong>weiz?<br />

I. Na<strong>ch</strong>name des Interviewpartners<br />

J. Bezei<strong>ch</strong>nung für das Handeln eines<br />

Staates ohne Rücksi<strong>ch</strong>tnahme auf<br />

andere.<br />

K. Politis<strong>ch</strong>es System der S<strong>ch</strong>weiz<br />

11


Utilitarismus<br />

Die Utilitaristen betonen, dass ges<strong>ch</strong>lossene<br />

Grenzen und die Begrenzung der<br />

Bewegungsfreiheit ineffizient und deshalb<br />

unzulässig sind. Die grösste Sorge gilt hierbei<br />

der ökonomis<strong>ch</strong>en Ineffizienz. Es ma<strong>ch</strong>t<br />

keinen Sinn, beispielsweise Mexikaner<br />

daran zu hindern, ihre Fähigkeiten voll zu<br />

entwickeln, daraus Kapital zu s<strong>ch</strong>lagen und<br />

somit ihre Talente in die Wirts<strong>ch</strong>aft der Vereinigten<br />

Staaten zu investieren.<br />

In anderen Worten: Ein geopolitis<strong>ch</strong>es<br />

System, wel<strong>ch</strong>es den Staaten ermögli<strong>ch</strong>t,<br />

Ausländer auszus<strong>ch</strong>liessen, lässt die Staaten<br />

bedauerli<strong>ch</strong>erweise versäumen, ihre<br />

Wirts<strong>ch</strong>aften mit den Talenten und dem Arbeitsethos<br />

der Ausländer zu kapitalisieren.<br />

Bejaht man dies, folgt der S<strong>ch</strong>luss, dass<br />

es den Mens<strong>ch</strong>en im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt besser<br />

ginge ohne die Einwanderungsbes<strong>ch</strong>ränkungen.<br />

(26)<br />

Diesem Argument kann man einerseits mit<br />

moralis<strong>ch</strong>en und andererseits mit empiris<strong>ch</strong>en<br />

Gründen entgegentreten.<br />

David Miller bra<strong>ch</strong>te hervor, dass Einwanderungsbes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

den Ländern eine<br />

bessere Kontrolle über das Bevölkerungswa<strong>ch</strong>stum<br />

ermögli<strong>ch</strong>en. Wenn nämli<strong>ch</strong><br />

Länder mit stark wa<strong>ch</strong>senden Bevölkerungen<br />

wie Indien, die relativ unpopuläre<br />

Gesetze zur Bes<strong>ch</strong>ränkung des Bevölkerungswa<strong>ch</strong>stumes<br />

dur<strong>ch</strong>setzen, ihre Grenzen<br />

öffnen würden, müssten diese Gesetze<br />

no<strong>ch</strong> restriktiver umgesetzt werden. Wenn<br />

der Bevölkerungszuwa<strong>ch</strong>s in einem Land<br />

explodiert, entstehen Kosten, die hö<strong>ch</strong>stwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den Zuwa<strong>ch</strong>s an<br />

Talenten gedeckt werden können.<br />

Wenn nun eine explodierende Bevölkerung<br />

eines Landes frei wäre, überall auf der Welt<br />

hinzugehen, müssten dort die viel stärker<br />

umstrittenen Gesetze der Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

des Bevölkerungswa<strong>ch</strong>stumes ebenfalls<br />

dur<strong>ch</strong>gesetzt werden. Wenn Miller re<strong>ch</strong>t<br />

hat, bestehen grosse Vorteile hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Kosten dur<strong>ch</strong> die Begrenzung der Einwanderung.<br />

(27)<br />

Das andere Argument betrifft Folgendes:<br />

Sogar wenn offene Grenzen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

ökonomis<strong>ch</strong>e Vorteile für ein Land hätten,<br />

so müsste stets no<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />

werden, weshalb si<strong>ch</strong> ein Land ni<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> suboptimal organisieren darf.<br />

Indem wir das Wohl<br />

anderer erstreben,<br />

fördern wir unser<br />

eigenes.<br />

(Plato,<br />

ca. 428 v. Chr.<br />

bis 348 v. Chr.)<br />

12


Fazit?<br />

Na<strong>ch</strong> all diesen vers<strong>ch</strong>iedenen Standpunkten,<br />

Argumenten und Gegenargumenten<br />

fragt si<strong>ch</strong>, ob es ein Fazit gibt.<br />

Die S<strong>ch</strong>wierigkeit hierbei liegt aber ni<strong>ch</strong>t nur<br />

in der Komplexität der Thematik, sondern<br />

au<strong>ch</strong> darin, dass eine ausführli<strong>ch</strong>e Auseinandersetzung<br />

mit jedem einzelnen Argument<br />

viel differenzierter ges<strong>ch</strong>ehen müsste,<br />

als dies hier mögli<strong>ch</strong> ist. Trotzdem konnte<br />

die Diskussion der philosophis<strong>ch</strong>en Ansätze<br />

hoffentli<strong>ch</strong> zeigen, dass weit mehr Probleme<br />

bestehen, als dies im ersten Moment<br />

ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist. Meist s<strong>ch</strong>eint intuitiv ein Argument<br />

sehr einleu<strong>ch</strong>tend, bis man bemerkt,<br />

dass das Gegenargument mindestens genauso<br />

na<strong>ch</strong>vollziehbar ist und korrekt zu<br />

sein s<strong>ch</strong>eint. Die Aufgabe der <strong>Philosophie</strong><br />

besteht ni<strong>ch</strong>t zuletzt darin, die weiterführenden<br />

Probleme aufzuzeigen, diese zu vertiefen<br />

und mögli<strong>ch</strong>e Lösungen zu finden. Na<strong>ch</strong><br />

den vorangegangenen Ausführungen liegt<br />

jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf der Hand, dass ein eindeutiges<br />

Fazit ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t oder vors<strong>ch</strong>nell<br />

zu ziehen ist. Da si<strong>ch</strong> die herangezogenen<br />

Standpunkte ni<strong>ch</strong>t explizit auf die S<strong>ch</strong>weiz<br />

beziehen, stehen weitere S<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

an, die spezifis<strong>ch</strong>e Probleme der S<strong>ch</strong>weiz<br />

beleu<strong>ch</strong>ten würden: Denn ni<strong>ch</strong>t alle Staaten<br />

sind glei<strong>ch</strong> organisiert!<br />

Die S<strong>ch</strong>weiz ist ein liberaler demokratis<strong>ch</strong>er<br />

Staat, dem si<strong>ch</strong> andere (moralis<strong>ch</strong>e) Probleme<br />

stellen, als bspw. einer autoritären<br />

Monar<strong>ch</strong>ie. Als Beispiel soll hier no<strong>ch</strong>mals<br />

auf das Problem der kulturellen Entwicklung<br />

eingegangen werden. Ein Staat dessen<br />

König autoritär ents<strong>ch</strong>eiden kann, ob<br />

der Staat beispielsweise auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die<br />

Werteordnung des Christentums als Grundlage<br />

des Zusammenlebens kennt, ist vom<br />

folgenden Fall, wie ihn die S<strong>ch</strong>weiz betrifft<br />

ni<strong>ch</strong>t berührt:<br />

Die Angst, dass Einwanderer eine Gefahr<br />

für die kulturelle Entwicklung des Landes<br />

darstellen, da eine zu grosse kulturelle<br />

Differenz vorliegt, ist in einem liberalen<br />

Staat hö<strong>ch</strong>st problematis<strong>ch</strong>. Martino Mona<br />

s<strong>ch</strong>reibt hierzu: „Zweifellos trägt die Immigration<br />

zur Veränderung der ethnis<strong>ch</strong>en, kulturellen,<br />

religiösen und politis<strong>ch</strong>en Zusammensetzung<br />

in einem liberalen Staate bei.<br />

Die liberalen Gesells<strong>ch</strong>aften werden trotz<br />

einer, die eigenen Prinzipien negierenden,<br />

restriktiven Immigrationspolitik immer multikultureller<br />

und pluralistis<strong>ch</strong>er. (...) Die Frage<br />

ist nun aber ni<strong>ch</strong>t, ob Immigranten tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

die kulturellen Eigens<strong>ch</strong>aften und Wertvorstellungen,<br />

die religiöse und ethnis<strong>ch</strong>e<br />

Zusammensetzung im aufnehmenden Staat<br />

verändern, sondern ob und in wel<strong>ch</strong>em<br />

Masse ein liberaler, wertepluralistis<strong>ch</strong>er<br />

Staat dies legitimerweise verhindern darf.“<br />

(28) Der zentrale Punkt liegt also darin, wie<br />

ein Staat organisiert ist. Hierzu no<strong>ch</strong>mals<br />

Mona: „Gegen einen Zwang zur kulturellen<br />

Assimilation spre<strong>ch</strong>en die liberalen Grundsätze,<br />

die im Berei<strong>ch</strong> der Kultur, der Religion<br />

und der allgemeinen Lebensform Toleranz<br />

verlangen. Die liberale Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

erlaubt den Individuen, die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

und kulturellen Werte zu kritisieren<br />

und abzulehnen und im Rahmen der Gewährleistung<br />

der Freiheit des anderen eigene<br />

Werte und Lebensformen zu bestimmen<br />

und na<strong>ch</strong> eigenen Präferenzen zu leben.<br />

Die Prinzipien der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und<br />

der Toleranz sind die Voraussetzung für diese<br />

Freiheit.“ (29) Da die S<strong>ch</strong>weiz als liberaler<br />

Staat organisiert ist, müsste – neben<br />

allen S<strong>ch</strong>wierigkeiten, die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

kulturelle Lebensform eindeutig zu definieren<br />

– daher die Integration zum Ziel haben,<br />

die Toleranz gegenüber den pluralistis<strong>ch</strong>en<br />

Lebensformen zu fördern.<br />

Hieran bemerkt man, dass die S<strong>ch</strong>weiz<br />

ganz andere Voraussetzungen hat in der<br />

Einwanderungsdebatte als dies beispielsweise<br />

Swasiland hat. Eine öffentli<strong>ch</strong>e philosophis<strong>ch</strong>e<br />

Diskussion hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der<br />

S<strong>ch</strong>weizer Einwanderungsproblematik würde<br />

daher si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> eine analytis<strong>ch</strong>e Vorgehensweise<br />

in der Einwanderungspolitik fördern.<br />

13


Interview mit<br />

Prof. Dr. Martino Mona<br />

Prof. Dr. Martino Mona hat seit 2012 den Lehrstuhl für Strafre<strong>ch</strong>t und Re<strong>ch</strong>tsphilosophie,<br />

Re<strong>ch</strong>tstheorie, Re<strong>ch</strong>tssoziologie an der Universität Bern inne. In seiner Dissertation aus<br />

dem Jahr 2007 mit dem Titel „Das Re<strong>ch</strong>t auf Immigration. Re<strong>ch</strong>tsphilosophis<strong>ch</strong>e Begründung<br />

eines originären Re<strong>ch</strong>ts auf Immigration im liberalen Staat“ befasste er si<strong>ch</strong><br />

ausführli<strong>ch</strong> mit dem Thema Einwanderung.<br />

Gibt es ein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung?<br />

Nein, ein allgemeines Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung<br />

gibt es zurzeit ni<strong>ch</strong>t. Dies ist aber ein<br />

willkürli<strong>ch</strong>er Zustand, der historis<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet<br />

eher eine Eigenheit darstellt: Die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft<br />

kam bis zum Ende des 19.<br />

Jahrhunderts weitgehend ohne Einwanderungsrestriktionen<br />

aus, obs<strong>ch</strong>on der Anteil<br />

an Migranten an der Gesamtbevölkerung<br />

damals höher war. Dass Gesells<strong>ch</strong>aften<br />

nur dank einer drastis<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

der Einwanderung funktionieren können, ist<br />

entgegen dem heutigen politis<strong>ch</strong>en mainstream<br />

ni<strong>ch</strong>t anzunehmen. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

zeigt vielmehr, dass freie Migration den Prozess<br />

des Wirts<strong>ch</strong>aftswa<strong>ch</strong>stums gestärkt,<br />

zur Entstehung von erfolgrei<strong>ch</strong>en Staaten<br />

beigetragen und Kulturen und Zivilisationen<br />

berei<strong>ch</strong>ert hat. Migranten, die den Mut hatten,<br />

si<strong>ch</strong> über die Grenzen ihres Landes hinauszuwagen,<br />

um in fremden Ländern na<strong>ch</strong><br />

neuen Lebens<strong>ch</strong>ancen zu su<strong>ch</strong>en, haben<br />

si<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong> – sofern man sie ni<strong>ch</strong>t<br />

daran hinderte – zum erhebli<strong>ch</strong>en Vorteil<br />

des aufnehmenden Landes als tatkräftige<br />

Mitglieder der Gesells<strong>ch</strong>aft erwiesen. Die<br />

heutige Situation bildet diese Erkenntnis offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t ab. An vielen Fronten wird<br />

auf eine Restriktion der Einwanderung hin<br />

gearbeitet und damit faktis<strong>ch</strong> auf die Verteidigung<br />

unserer Privilegien. Dies muss geändert<br />

werden. Es ist nur eine Frage der Zeit,<br />

bis kommende Generationen dazu gelangen,<br />

ein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung anzuerkennen;<br />

sie werden auf unsere Zeit s<strong>ch</strong>auen<br />

und diese genauso kritis<strong>ch</strong> beurteilen,<br />

wie wir die Zeiten der Leibeigens<strong>ch</strong>aft, des<br />

Feudalismus, der systematis<strong>ch</strong>en Unterdrückung<br />

von Frauen und Kindern oder der<br />

Diskriminierung von Behinderten beurteilen.<br />

Die Errungens<strong>ch</strong>aften in diesen Berei<strong>ch</strong>en<br />

müssen selbstverständli<strong>ch</strong> weitere ausgebaut<br />

werden und sind immer wieder vor Angriffen<br />

zu s<strong>ch</strong>ützen. Um wirkli<strong>ch</strong>e Gere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

s<strong>ch</strong>affen zu können, müssen aber au<strong>ch</strong><br />

die Bedürfnisse und Interessen der Ausländer<br />

und Immigranten stärker gewi<strong>ch</strong>tet und<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ützt werden. Dazu ist aber<br />

in der Tat eine besondere Leistung der Perspektivenübernahme<br />

erforderli<strong>ch</strong>, da „Ausländer“<br />

diejenige Kategorie von Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist, zu der i<strong>ch</strong> in meinem Land mit Si<strong>ch</strong>erheit<br />

nie gehören werde.<br />

Die Migrationspolitik der S<strong>ch</strong>weiz ist<br />

ein ständiges Thema in den Medien.<br />

Wel<strong>ch</strong>es ist Ihrer Ansi<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> die<br />

grösste S<strong>ch</strong>wierigkeit, der si<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>weiz zu stellen hat?<br />

Die grösste S<strong>ch</strong>wierigkeit ergibt si<strong>ch</strong> aus<br />

dem eben Gesagten. Während es weitgehend<br />

gelungen ist, ein Gefühl der Solidarität<br />

oder des Gemeinsinns zu s<strong>ch</strong>affen im Hinblick<br />

auf die Sorgen und Bedürfnisse von<br />

einheimis<strong>ch</strong>en Gruppen oder Minderheiten,<br />

wird die Migrationspolitik dominiert von der<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung in „Wir“ und „Andere“. Das<br />

Resultat ist eine selektive Gesetzgebung,<br />

die jegli<strong>ch</strong>es Mass verloren hat, weil sie<br />

eben ni<strong>ch</strong>t „uns“ betrifft, sondern nur andere<br />

Mens<strong>ch</strong>en, zu denen wir kaum einen<br />

Bezug haben. Mens<strong>ch</strong>en, die zwar ähnli<strong>ch</strong>e<br />

Bedürfnisse na<strong>ch</strong> Freiheit, Wohlstand und<br />

14


Frieden haben wie wir, die wir aber immer<br />

als eine von uns klar unters<strong>ch</strong>eidbare Gruppe<br />

bestimmen können, ers<strong>ch</strong>einen sodann<br />

als Ruhestörer oder gar als Feinde. Weil<br />

nur die anderen und niemals wir selber Einbussen<br />

in Freiheiten und Re<strong>ch</strong>te erleiden,<br />

weil wir wie Lord Angelo in Shakespeares<br />

„Mass für Mass“ Gesetze ni<strong>ch</strong>t auf uns selber<br />

anwenden müssen, entfällt die natürli<strong>ch</strong>e<br />

Übermasskontrolle; die berü<strong>ch</strong>tigte<br />

S<strong>ch</strong>raube kann – vor allem im Asylwesen<br />

– hemmungslos angezogen werden. So<br />

kommt es, um nur wenige Beispiele zu nennen,<br />

dass wegen „herumlungernden“ Asylbewerbern<br />

diese in ges<strong>ch</strong>lossenen Zentren<br />

interniert werden, obs<strong>ch</strong>on das Problem<br />

dur<strong>ch</strong> das Arbeitsverbot für Asylbewerber<br />

weitegehend selbstvers<strong>ch</strong>uldet ist. Oder es<br />

geistert die skurrile Idee herum, man könne<br />

das „Asylproblem“ in den Griff bekommen,<br />

indem man die S<strong>ch</strong>weiz weniger attraktiv<br />

ma<strong>ch</strong>t, vergisst aber, dass Mens<strong>ch</strong>en ohnehin<br />

einwandern werden, da die Hoffnung<br />

auf Freiheit und Wohlstand immer die grössere<br />

Anziehungskraft hat. Es erstaunt au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t, dass es in diesem Klima ges<strong>ch</strong>ehen<br />

kann, dass Journalisten einer Tageszeitung<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> meinen, ihre Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, 60 Prozent<br />

der Asylbewerber seien HIV-positiv,<br />

könne ri<strong>ch</strong>tig sein. Das sind Symptome des<br />

Zerfalls eines für ein Gemeinwesen notwendigen<br />

Minimums an Mitgefühl für alle<br />

Mens<strong>ch</strong>en. Dieser Zerfall ist die grösste<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeit und Gefahr, der wir uns stellen<br />

müssen.<br />

Was sollte Ihrer Meinung na<strong>ch</strong> heute in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz besser gema<strong>ch</strong>t werden<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Einwanderungsproblematik?<br />

Die Unterminierung dieses fundamentalen<br />

Mitgefühls für den „Anderen“, ni<strong>ch</strong>t zuletzt<br />

aus politis<strong>ch</strong>em Kalkül, ist ein Spiel mit dem<br />

Feuer, weil diese staatserhaltende Fähigkeit,<br />

für andere fühlen und si<strong>ch</strong> in ihre Situation<br />

versetzen zu können, keine naturgegebene<br />

Gabe ist, sondern im Gegenteil<br />

etwas ist, was immer von neuem errungen<br />

werden muss. Es rei<strong>ch</strong>t aber ni<strong>ch</strong>t, glei<strong>ch</strong>sam<br />

aus Mens<strong>ch</strong>enliebe Empathie zu erlernen,<br />

da diese zu sehr von tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gegebenheiten<br />

abgängig ist. Vielmehr muss<br />

aufgrund einer Perspektivenübernahme objektiv<br />

festgestellt werden, dass Ausländern<br />

und Immigranten grundsätzli<strong>ch</strong> die glei<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>te zustehen wie uns. Wir haben genauso<br />

wenig ein legitimes Vorre<strong>ch</strong>t auf den<br />

Boden der S<strong>ch</strong>weiz, nur weil wir zufälligerweise<br />

hier geboren wurde, wie ein Feudalherr<br />

ein legitimes Anre<strong>ch</strong>t auf seine Ländereien<br />

und seine Leibeigenen hatte, nur<br />

weil er zufälligerweise als Sohn des Fürsten<br />

geboren wurde. Die Folge sol<strong>ch</strong>er Überlegungen<br />

ist freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, dass si<strong>ch</strong> ein Re<strong>ch</strong>t<br />

auf Einwanderung unmittelbar dur<strong>ch</strong>zusetzen<br />

vermag. Es kann si<strong>ch</strong> aber als Ideal in<br />

unseren Köpfen festsetzen. Dies müssen<br />

wir besser ma<strong>ch</strong>en. Die te<strong>ch</strong>nokratis<strong>ch</strong>en<br />

Versu<strong>ch</strong>e, Einwanderung einzus<strong>ch</strong>ränken,<br />

zu steuern oder zu manipulieren, sind zum<br />

S<strong>ch</strong>eitern verurteilt. Faktis<strong>ch</strong> wird die Umsetzung<br />

dieses Ideals ni<strong>ch</strong>ts anderes als<br />

eine Beweislastumkehr bewirken: Während<br />

heute kein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung besteht<br />

und der „Bittsteller“ beweisen muss, dass<br />

ihm die Einwanderung ausnahmsweise<br />

zusteht, soll in Zukunft der aufnehmende<br />

Staat beweisen müssen, warum im Einzelfall<br />

ausnahmsweise die Anerkennung des<br />

Re<strong>ch</strong>ts auf Einwanderung ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

Damit wären wir bei dem Verfahren, das wir<br />

für unsere Re<strong>ch</strong>te und Freiheiten als selbstverständli<strong>ch</strong><br />

era<strong>ch</strong>ten. So wie die Re<strong>ch</strong>tsphilosophie<br />

diese Forts<strong>ch</strong>ritte für unsere<br />

Re<strong>ch</strong>te geförderte hat, wirkt sie au<strong>ch</strong> heute<br />

tatkräftig bei der Ausweitung der Re<strong>ch</strong>te<br />

auf andere Mens<strong>ch</strong>en mit. Die momentanen<br />

Blockaden und Rückfälle sind als unnötiger<br />

Aufs<strong>ch</strong>ub des letztli<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> stattfindenden<br />

Forts<strong>ch</strong>ritts zwar unerfreuli<strong>ch</strong>, sollten uns<br />

aber ni<strong>ch</strong>t entmutigen: Jede Form von Ungere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

hat ein Verfalldatum.<br />

15


Wer darf ins Land und wer ni<strong>ch</strong>t?<br />

Eines der komplexesten und äusserst kontrovers<br />

diskutierten Themas in der Literatur<br />

sind die Kriterien, wel<strong>ch</strong>e angesetzt werden,<br />

wer ins Land einwandern darf und wer ni<strong>ch</strong>t.<br />

Einige Länder verwenden Lotterien oder<br />

gehen s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tweg der Reihe na<strong>ch</strong> vor. Andere<br />

Länder klassieren die Anwärter na<strong>ch</strong><br />

Spra<strong>ch</strong>e, Kultur oder Fähigkeiten, um herauszufinden,<br />

wer si<strong>ch</strong> am lei<strong>ch</strong>testen an<br />

die politis<strong>ch</strong>e Kultur anpassen kann oder<br />

der Wirts<strong>ch</strong>aft nützli<strong>ch</strong> sein könnte.<br />

Was ist aber, wenn ein Land die Kriterien<br />

auf Religion, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Hautfarbe oder<br />

Herkunftsland bezieht? Oder wenn ein Land<br />

bes<strong>ch</strong>liesst, eine ganze Gruppe, bspw. Asiaten,<br />

prinzipiell ni<strong>ch</strong>t als Einwanderer ins<br />

Land zu lassen? (30)<br />

Australien führte zwis<strong>ch</strong>en 1901 und 1950<br />

ein Immigrationsgesetz, wel<strong>ch</strong>es Ni<strong>ch</strong>t-<br />

Weisse Einwanderer prinzipiell abwies (sog.<br />

„White-Australian-Policy“). (31)<br />

Walzer s<strong>ch</strong>rieb hierzu, dass Australien nur<br />

zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten hatte: Entweder es<br />

teilte das im Überfluss vorhandene viele<br />

Land zu Gunsten der Heterogenität der Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />

oder, um das Land behalten zu<br />

können, würde eine kleine und homogene<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft akzeptiert. (32) Walzer betonte<br />

damit, dass Australien eine Pfli<strong>ch</strong>t gehabt<br />

hat, das grosse Land mit denjenigen zu teilen,<br />

die es gebrau<strong>ch</strong>t haben. Was er jedo<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t genügend hervorgehoben hat, war der<br />

australis<strong>ch</strong>e Rassismus hinter diesem Gesetz.<br />

Denn, wenn Australien ni<strong>ch</strong>t so viel<br />

Land gehabt hätte, gibt Walzers Erklärung<br />

keinen Grund an, weshalb die „White-Australian-Policy“<br />

moralis<strong>ch</strong> (hö<strong>ch</strong>st) verwerfli<strong>ch</strong><br />

ist. David Miller hat hierauf eine Antwort<br />

verfasst, die zwar mit Walzers Si<strong>ch</strong>t soweit<br />

übereinstimmt, dass Staaten grundsätzli<strong>ch</strong><br />

selbst ents<strong>ch</strong>eiden können, wie ihre Migrationsgesetze<br />

aussehen, aber ni<strong>ch</strong>t darin,<br />

dass die Staaten aus egal wel<strong>ch</strong>en Gründen<br />

Einwanderer auss<strong>ch</strong>liessen dürfen. Er<br />

s<strong>ch</strong>rieb hierzu: „I have tried to hold a balance<br />

between the interest that migrants have<br />

in entering the country they want to live in,<br />

and the interest that political communities<br />

having in determining their own <strong>ch</strong>aracter.<br />

Although the first of these interests is not<br />

strong enough to justify a right of migration,<br />

it is still substantial, and so the immigrants<br />

who are refused entry are owed an explanation.<br />

To be told that they belong to the<br />

wrong race, or sex (or have the wrong color)<br />

is insulting, given that these features do<br />

not connect to anything of real significance<br />

to the society they want to join. Even tennis<br />

clubs are not entitled to discriminate among<br />

applicants on grounds su<strong>ch</strong> as these.“ (33)<br />

Der wesentli<strong>ch</strong>e Punkt den Miller hierbei<br />

vertritt, bezieht si<strong>ch</strong> darauf, dass den Einwanderern<br />

ein na<strong>ch</strong>vollziehbarer Grund<br />

angegeben werden muss, wenn ihr Einwanderungsgesu<strong>ch</strong><br />

abgewiesen wird. Rassistis<strong>ch</strong>e<br />

Gründe, sind keine guten Gründe.<br />

Wellman entgegnet hieraufhin, dass trotzdem<br />

ni<strong>ch</strong>t klar wird, weshalb ein Staat keine<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungen auf Grund der Hautfarbe<br />

treffen darf, da Privatpersonen und private<br />

Clubs s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bestimmen und<br />

auswählen dürfen, wer Mitglied vom Club<br />

ist und wer ni<strong>ch</strong>t.<br />

Eine Antwort zu diesem Punkt findet man<br />

bei Joseph Carens. Er argumentiert, dass<br />

es eine starke Spannung zwis<strong>ch</strong>en Vereinigungsfreiheit<br />

und Glei<strong>ch</strong>behandlung gibt,<br />

letztere aber Vorrang hat, im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Berei<strong>ch</strong>. Eine unfaire Behandlung im privaten<br />

Berei<strong>ch</strong> sagt ni<strong>ch</strong>ts aus hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

den fairen, na<strong>ch</strong>vollziehbaren und angemessenen<br />

Einwanderungskriterien, die ein<br />

Staat haben muss. (34)<br />

Eine no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>ere Antwort findet man<br />

aber bei Mi<strong>ch</strong>ael Blake: Wenn Australien<br />

beispielsweise allen Asiaten verbietet ins<br />

Land einzuwandern, so ist dies ein Affront<br />

gegen alle australis<strong>ch</strong>en Asiaten, da sie als<br />

Bürger zweiter Klasse hingestellt werden.<br />

Also im Sinne von „Eu<strong>ch</strong> wollen wir hier<br />

ni<strong>ch</strong>t“ behandelt werden. (35)<br />

16


Der Staat hat also die Aufgabe, die Einwanderungswilligen<br />

fair und glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt zu<br />

behandeln, ni<strong>ch</strong>t zuletzt, weil er sonst Inländer<br />

mit demselben oder ähnli<strong>ch</strong>en Migrationshintergrund<br />

als minderwertige Bürger<br />

darstellt.<br />

Rekrutierung von Einwanderern<br />

Ein weiteres Thema, wie es beispielsweise<br />

au<strong>ch</strong> die Frage um die Gastarbeiter wäre,<br />

stellt si<strong>ch</strong> bei der Rekrutierung von Einwanderern.<br />

Gillian Brock fasste 2009 folgende<br />

Situation gut zusammen: Das primäre Problem<br />

auf der Welt ist ni<strong>ch</strong>t die Anzahl von<br />

professionellen Ärzten auf der Welt, sondern<br />

deren Verteilung. Nordamerika und<br />

Europa bilden 21% der Weltbevölkerung,<br />

denen aber 45% der weltweit vorhandenen<br />

Ärzte zur Verfügung stehen. Afrika hingegen<br />

weist 13% der Weltbevölkerung auf, verfügt<br />

aber nur über 3% der Ärzte. (36)<br />

Neben si<strong>ch</strong> aufdrängenden humanitären<br />

Fragen in dieser Situation fragt es si<strong>ch</strong>,<br />

wel<strong>ch</strong>e Bere<strong>ch</strong>tigung die europäis<strong>ch</strong>en und<br />

nordamerikanis<strong>ch</strong>en Staaten haben, ihr<br />

medizinis<strong>ch</strong>es Personal au<strong>ch</strong> in Entwicklungsstaaten<br />

zu rekrutieren. Ein Vors<strong>ch</strong>lag,<br />

den Brock 2009 hervorbra<strong>ch</strong>te, empfiehlt<br />

den Wohlfahrtsstaaten, dass sie für jeden<br />

im Land aufgenommenen fa<strong>ch</strong>männis<strong>ch</strong>en<br />

Einwanderer aus Ländern, wo kaum Fa<strong>ch</strong>kräfte<br />

vorhanden sind, zumindest Ersatzleistungen<br />

erbringen. Auf diesem Wege<br />

könnte zumindest si<strong>ch</strong>ergestellt werden,<br />

dass die armen Länder über die Ressourcen<br />

verfügen, eine nä<strong>ch</strong>ste Generation sol<strong>ch</strong>er<br />

Fa<strong>ch</strong>kräfte auszubilden.<br />

Ob dieser Vors<strong>ch</strong>lag tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die Situation<br />

verbessern würde oder es ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

andere und wirkungsvollere Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

geben würde, bleibt an dieser Stelle offen.<br />

Das Beispiel konnte jedo<strong>ch</strong> klar zeigen, dass<br />

den Staaten bezügli<strong>ch</strong> der Rekrutierung von<br />

Fa<strong>ch</strong>personal in der Einwanderungsdebatte<br />

hö<strong>ch</strong>stwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> mehr Pfli<strong>ch</strong>ten zukämen<br />

als bisher angenommen wurde und<br />

ges<strong>ch</strong>weige denn gesetzli<strong>ch</strong> verankert sind.<br />

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17


Glossar<br />

• Analogie<br />

(von grie<strong>ch</strong>. ἀναλογία „Verhältnis“) bezei<strong>ch</strong>net in der<br />

<strong>Philosophie</strong> eine Form der Übereinstimmung von<br />

Gegenständen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gewisser Merkmale.<br />

• Assimilation<br />

(von lateinis<strong>ch</strong> assimilare: ähnli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en), bedeutet<br />

allgemeine Anglei<strong>ch</strong>ung oder Anpassung. Als soziologis<strong>ch</strong>er<br />

Begriff der Prozess, in dessen Verlauf<br />

Individuen oder Gruppen die dominante Kultur einer<br />

anderen Gruppe übernehmen und in deren Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

integriert werden.<br />

• Immigration<br />

Übers<strong>ch</strong>reiten Mens<strong>ch</strong>en im Zuge ihrer Migration<br />

Ländergrenzen, werden sie aus der Perspektive<br />

des Landes, das sie betreten, Einwanderer oder<br />

Immigranten (von lat.: migrare, wandern) genannt.<br />

(Aus der Perspektive des Landes, das sie verlassen,<br />

heißen sie Auswanderer oder Emigranten.)<br />

• Ineffizienz<br />

unwirksam, ni<strong>ch</strong>t leistungsfähig; unwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

• Inkohärent<br />

Man bezei<strong>ch</strong>net damit den inneren oder äußeren<br />

fehlenden Zusammenhang oder Ni<strong>ch</strong>tzusammenhalt<br />

von etwas. Inkohärent kann somit mit den<br />

Worten „zusammenhanglos“ oder „unzusammenhängend“<br />

glei<strong>ch</strong>gesetzt werden. Eine Behauptung<br />

ist beispielsweise dann inkohärent, wenn sie ni<strong>ch</strong>ts<br />

mit dem vorangegangenen Gesagten zu tun hat.<br />

• Liberalismus<br />

Der Liberalismus ist eine Ideologie, die primär eine<br />

mögli<strong>ch</strong>st freie Entfaltung der Bürger eines Staates<br />

fordert. Der Staat soll ni<strong>ch</strong>t in das frei zu wählende<br />

Leben seiner Bürger eingreifen oder dies nur dort<br />

tun, wo die Wahrnehmung der Freiheit eines Einzelnen<br />

dazu führen kann, dass ein anderer in der Auslebung<br />

seiner Freiheit bes<strong>ch</strong>ränkt wird. Der Staat<br />

hat somit die Si<strong>ch</strong>erheit seiner Bürger und deren<br />

Freiheit zu garantieren. Diese Ideologie entwickelte<br />

si<strong>ch</strong> im 19. Jahrhundert als Folge der Aufklärung,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Freiheit des Einzelnen als wesentli<strong>ch</strong>e<br />

Forderung postuliert hatte. Besonders in wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t entwickelte si<strong>ch</strong> der Liberalismus<br />

zu einer einflussrei<strong>ch</strong>en Theorie. Das Postulat,<br />

dass der Staat si<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>st aus den Handlungen<br />

seiner Bürger heraus zu halten habe, wurde von<br />

liberalen Ökonomen au<strong>ch</strong> auf de Berei<strong>ch</strong> der Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

angewandt. Der Begriff des „freien Marktes“<br />

steht somit eng in Verbindung zum wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Liberalismus. Die Idee dahinter ist, das Güter ohne<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkungen (bspw. Zölle) zwis<strong>ch</strong>en Ländern<br />

gehandelt werden sollen. Diese Idee war vor allem<br />

in der ersten Phase eines globalisierten Weltmarktes<br />

von 1850-1880 sehr populär, wurde dann<br />

aber von nationalistis<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aftsmodellen in<br />

den Zeiten der beiden Weltkriege wieder verdrängt.<br />

Eine Renaissance erlebte der Liberalismus seit den<br />

1970er Jahren. Friederic<br />

h August von Hayek, Milton Friedmann und Karl<br />

Popper sind die bekanntesten Theoretiker dieser<br />

Wiederentdeckung des Liberalismus, die gemeinhin<br />

als Neoliberalismus bes<strong>ch</strong>rieben wird. Politis<strong>ch</strong><br />

verfolgt der Neoliberalismus vor allem drei Ziele:<br />

1. Rückführung der Staatsquote<br />

2. Privatisierung ehemals staatli<strong>ch</strong>er Aufgaben<br />

3. Deregulierung des Kapitalverkehrs<br />

Einher damit ging in der politis<strong>ch</strong>en Realisierung<br />

dieser Ziele eine starke Bekämpfung der Gewerks<strong>ch</strong>aften,<br />

besonders in England unter Margret<br />

That<strong>ch</strong>er in den 1980er-Jahren. Kritiker ma<strong>ch</strong>en<br />

den Neoliberalismus als wesentli<strong>ch</strong>en Ursprung der<br />

derzeitigen Finanz- und Wirts<strong>ch</strong>aftskrise aus.<br />

• unilateral<br />

(von lat. unus: „einer, einzig“; latus: „Seite“) bedeutet<br />

„einseitig“. In der Politik, speziell der Diplomatie,<br />

wird der Begriff für das Handeln eines Staates ohne<br />

Rücksi<strong>ch</strong>tnahme auf andere verwendet. Dieses<br />

Verhalten bedeutet, dass eine Nation keinerlei<br />

diplomatis<strong>ch</strong>e Verständigungs- und Konfliktbewältigungsversu<strong>ch</strong>e<br />

unternimmt.<br />

18


Quellen<br />

(1) Aus dem Interview “Es gibt keinen Grund, Angst zu haben” von<br />

S. Winter mit Prof. M. Mona, 02.06.2011, WOZ. Online unter:<br />

http://www.woz.<strong>ch</strong>/1122/re<strong>ch</strong>t-auf-einwanderung/es-gibt-keinengrund-angst-zu-haben<br />

(2) Mindestlohn könnte Zahl der Zuwanderer weiter erhöhen von P.<br />

Feuz, 17.01.2013, Der Bund. Online unter: http://www.derbund.<br />

<strong>ch</strong>/s<strong>ch</strong>weiz/standard/Mindestlohn-koennte-Zahl-der-Zuwandererweiter-erhoehen-/story/25757612<br />

(3) “SVP: Jeder Region ihr Raumplanungsre<strong>ch</strong>t”, zitiert wird Toni<br />

Brunner, 20.08.2012, Der Bund. Online unter: http://www.<br />

derbund.<strong>ch</strong>/s<strong>ch</strong>weiz/standard/SVP-Jeder-Region-ihr-Raumplanungsre<strong>ch</strong>t/story/10592204<br />

(4) Bundesamt für Statistik, Bevölkerung na<strong>ch</strong> Alter und Staatsangehörigkeit:<br />

Ständige Wohnbevölkerung na<strong>ch</strong> Alter und Staatsangehörigkeit.<br />

Datenstand per Jahresende 2011. Online unter:<br />

http://www.bfs.admin.<strong>ch</strong>/bfs/portal/de/index/themen/01/02/blank/<br />

key/alter/na<strong>ch</strong>_staatsangehoerigkeit.html<br />

(5) Bundesamt für Statistik, Internationale Wanderungen na<strong>ch</strong><br />

Staatsangehörigkeit: Ein- und Auswanderung der ständigen<br />

Wohnbevölkerung na<strong>ch</strong> Staatsangehörigkeit. Datenstand per<br />

Ende 2011. Online unter: http://www.bfs.admin.<strong>ch</strong>/bfs/portal/de/<br />

index/themen/01/07/blank/key/02/01.html<br />

(6) Bundesamt für Statistik, Ausländer und Strafre<strong>ch</strong>t: Strafverfolgung<br />

und Strafvollzug na<strong>ch</strong> Nationalität. Online unter: http://<br />

www.bfs.admin.<strong>ch</strong>/bfs/portal/de/index/themen/19/04/05/01/02.<br />

Document.137752.xls<br />

(7) Gesamter Abs<strong>ch</strong>nitt vgl. Caritas: «Migration: ein Plus für die<br />

S<strong>ch</strong>weiz. Die Positionierung von Caritas zum Verhältnis Migration<br />

und Sozialstaat», Caritas Positionspapier März 2011. Online<br />

unter: http://www.sev-online.<strong>ch</strong>/downloads/pdf_de/2011/PP_Migration_und_Sozialstaat_D.pdf<br />

(8) Aus dem Interview “Es gibt keinen Grund, Angst zu haben” von<br />

S. Winter mit Prof. M. Mona, 02.06.2011, WOZ. Online unter:<br />

http://www.woz.<strong>ch</strong>/1122/re<strong>ch</strong>t-auf-einwanderung/es-gibt-keinengrund-angst-zu-haben<br />

(9) Gewerks<strong>ch</strong>aft des Verkehrpersonals, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Immigration<br />

in die S<strong>ch</strong>weiz, Online auf: http://www.sev-online.<strong>ch</strong>/de/ohneuns/ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.php<br />

(10) Vgl. Miller, D., 2005, “Immigration: The Case for Limits,” in Contemporary<br />

Debates in Applied Ethics, A. Cohen and C. Wellman<br />

(eds.), Malden, MA: Blackwell Publishing, S. 200<br />

(11) (a & b) Vgl. Wellman, Christopher Heath, “Immigration”, The<br />

Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition),<br />

Edward N. Zalta (ed.), Online auf: .<br />

(12) «Migration: ein Plus für die S<strong>ch</strong>weiz. Die Positionierung von<br />

Caritas zum Verhältnis Migration und Sozialstaat», Caritas Positionspapier<br />

März 2011, S. 5 Online unter: http://www.sev-online.<br />

<strong>ch</strong>/downloads/pdf_de/2011/PP_Migration_und_Sozialstaat_D.pdf<br />

(13) Vgl. Wellman, Christopher Heath, “Immigration”, The Stanford<br />

Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition), Edward N.<br />

Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 1.2. Online auf: .<br />

(14) Vgl. Chandran Kukathas, “The Case for Open Immigration,” in<br />

Contemporary Debates in Applied Ethics, A. Cohen and C. Wellman<br />

(eds.), Malden, MA: Blackwell Publishing, 2005, S. 207–220<br />

(15) Wellman, C., 2008, “Immigration and Freedom of Association,”<br />

Ethics, 119: 109–141<br />

(16) Vgl. Whelan, F., 1998, “Citizenship and Freedom of Movement:<br />

An Open Admissions Policy?” in Open Borders? Closed Societies?<br />

The Ethical and Political Issues, M. Gibney (ed.), London:<br />

Greenwood Press, 1988, Seite 28<br />

(17) Cole, P., <strong>Philosophie</strong>s of Exclusion: Liberal Political Theory & Immigration,<br />

Edinburgh: Edinburgh University Press, 2000, S.184<br />

(18) Vgl. Christiano, T., “Immigration, Political Community and<br />

Cosmopolitanism,” San Diego Law Review, 2008, 45: S.<br />

933–961.<br />

(19) Vgl. Wellman, Christopher Heath, “Immigration”, The Stanford<br />

Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition), Edward N.<br />

Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 1.9. Online auf: .<br />

(20) Carens, J., “Aliens and Citizens: The Case for Open Borders,”<br />

Review of Politics, 1987, 49: S. 252<br />

(21) Vgl. Wellman, Christopher Heath, “Immigration”, The Stanford<br />

Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition), Edward N.<br />

Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 2.1 Online auf: .<br />

(22) Gesamter Abs<strong>ch</strong>nitt, vgl. Wellman, Christopher Heath, “Immigration”,<br />

The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012<br />

Edition), Edward N. Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 2.2 Online auf: .<br />

(23) Vgl. Mona, M. “Die liberale Gesells<strong>ch</strong>aft und ihre Fremden”, in:<br />

“Minderheiten, Migranten und die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft. Wer hat<br />

wel<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te?”, Gerhard Seel (Hrsg.), Peter Lang AG, Bern<br />

2006, ISBN 3-03910-647-3, S. 192<br />

(24) Zitat von Prof. Mona, ebenda, S. 193. Bezug auf Rawls: Eine<br />

Theorie der Gere<strong>ch</strong>tigkeit, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1979.<br />

Originaltitel: A Theory of Justice, 1971, S. 215<br />

(25) Abizadeh, A., “Democratic Theory and Border Coercion: No<br />

Right to Unilaterally Control Your Own Borders,” Political Theory,<br />

2008, 36: Seite 37 ff.<br />

(26) Vgl. Gesamter Abs<strong>ch</strong>nitt, vgl. Wellman, Christopher Heath,<br />

“Immigration”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter<br />

2012 Edition), Edward N. Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 2.4 Online auf:<br />

.<br />

(27) Miller, D., “Immigration: The Case for Limits,” in Contemporary<br />

Debates in Applied Ethics, A. Cohen and C. Wellman (eds.),<br />

Malden, MA: Blackwell Publishing, 2005, Seite 193ff.<br />

(28) Mona, M. “Die liberale Gesells<strong>ch</strong>aft und ihre Fremden”, in:<br />

“Minderheiten, Migranten und die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft. Wer hat<br />

wel<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te?”, Gerhard Seel (Hrsg.), Peter Lang AG, Bern<br />

2006, ISBN 3-03910-647-3, S. 194 - 195<br />

(29) Mona, M. “Die liberale Gesells<strong>ch</strong>aft und ihre Fremden”, in:<br />

“Minderheiten, Migranten und die Staatengemeins<strong>ch</strong>aft. Wer hat<br />

wel<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te?”, Gerhard Seel (Hrsg.), Peter Lang AG, Bern<br />

2006, ISBN 3-03910-647-3, S. 196<br />

(30) Vgl. Gesamter Abs<strong>ch</strong>nitt, vgl. Wellman, Christopher Heath,<br />

„Immigration“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter<br />

2012 Edition), Edward N. Zalta (ed.), Abs<strong>ch</strong>nitt 3.4 Online auf:<br />

.<br />

(31) Australian Government, Abolition of the ‚White Australia‘ Policy,<br />

Online auf: http://www.immi.gov.au/media/fact-sheets/08abolition.<br />

htm<br />

(32) Vgl. Walzer, M., 1983, Spheres of Justice, New York: Basic<br />

Books, 1983, S. 47<br />

(33) Miller, D., “Immigration: The Case for Limits,” in Contemporary<br />

Debates in Applied Ethics, A. Cohen and C. Wellman (eds.),<br />

Malden, MA: Blackwell Publishing, 2005, S. 204<br />

(34) Carens, J., , “Aliens and Citizens: The Case for Open Borders,”<br />

Review of Politics, 1987, 49: Seite 267 ff.<br />

(35) Blake, M., 2003, “Immigration,” in A Companion to Applied<br />

Ethics, R. Frey and C. Wellman (eds.), Malden, MA: Blackwell<br />

Publishing, Seite 232ff.<br />

(36) Vgl. Brock, G., Global Justice, Oxford: Oxford University Press,<br />

2009, Seite 200<br />

19


Impressum<br />

<strong>Philosophie</strong>.<strong>ch</strong><br />

Turnweg 6<br />

CH-3013 Bern<br />

Verfasst von Anja Leser<br />

info@philosophie.<strong>ch</strong><br />

Projektleitung: Dr. Philipp Keller<br />

© <strong>Philosophie</strong>.<strong>ch</strong>, 2013<br />

6. <strong>Themendossier</strong>, Februar 2013<br />

ISSN 1662937X Vol. 102<br />

Cartoon: Max Nöthiger<br />

Fotos: Martina Walder<br />

Zitiervors<strong>ch</strong>lag:<br />

„Ein Re<strong>ch</strong>t auf Einwanderung? -<br />

<strong>Philosophis<strong>ch</strong>es</strong> <strong>Themendossier</strong>“,<br />

Swiss Philosophical Preprint Series<br />

#102, 27.02.2013, ISSN 1662937X

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