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Museumszeitung, Ausgabe 45 vom 12. März 2013

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04 Museen der Stadt Nürnberg<br />

Nr. <strong>45</strong> | <strong>12.</strong> <strong>März</strong> <strong>2013</strong><br />

WortGewalt. Vom rechten Lesestoff<br />

Ausstellung zur nationalsozialistischen Literatur im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />

Oben: Das Buch Der<br />

Mythus des 20. Jahrhunderts<br />

des NSDAP-<br />

Chefideologen Alfred<br />

Rosenberg erreichte<br />

bis 1944 eine Auflage<br />

von rund 2,3 Millionen<br />

Exemplaren und war neben<br />

Hitlers Mein Kampf<br />

eines der einflussreichsten<br />

Werke.<br />

Rechts: Fast 2000 Bücher<br />

umfasst die (An-) Sammlung<br />

rechten Lesestoffs<br />

im Dokumentationszentrum<br />

derzeit, darunter<br />

viele der im Dritten<br />

Reich bekannten Titel.<br />

Fotos: Museen der Stadt<br />

Nürnberg<br />

Zum achtzigsten Mal jähren<br />

sich im Mai <strong>2013</strong> die von den<br />

Nationalsozialisten initiierten Bücherverbrennungen.<br />

Das eigens<br />

eingerichtete „Hauptamt für Presse<br />

und Propaganda der Reichsstudentenführung”<br />

startete am 13.<br />

April 1933 zunächst mit reichsweit<br />

geklebten Plakaten eine vierwöchige<br />

„Aktion wider den undeutschen<br />

Geist,“ planmäßig unterstützt von<br />

staatlichen und vor allem den Parteiorganisationen.<br />

Sie erreichte ihren Höhepunkt<br />

mit den an 93 Orten gleichzeitig inszenierten<br />

Bücherverbrennungen, flammenden Fanalen zum<br />

Auftakt der Verfolgung Andersdenkender und zur<br />

geistigen Gleichschaltung der „Volksgemeinschaft.“<br />

Unzählige Werke deutscher und ausländischer Autoren<br />

wurden verboten, die deutschen Urheber in<br />

der Folgezeit ins Exil oder die innere Emigration<br />

gezwungen. Manche wählten in Hoffnungslosigkeit<br />

und Verzweiflung den Freitod. Damit gingen dem<br />

deutschen Kulturleben unschätzbare Geisteskräfte<br />

verloren – Denkarten, Vielfalt, Humor, Ideen und<br />

Perspektiven, die im besten Falle anderswo zur Entfaltung<br />

kamen, in vielen anderen Fällen aber ohne<br />

Nachhall erloschen.<br />

Womit aber gedachte man, diese Leerräume kulturellen<br />

Wirkens zu füllen? Was sollte nun „deutsche<br />

Literatur“ sein, was anstelle freischaffender Kunst<br />

als Maxime, als Aufgabe an den verwaisten Stellen<br />

gelten, die, wie Kurt Tucholsky früh und feinsinnig<br />

bemerkte, nur allzu schnell von regimefreundlichen<br />

und karrieresüchtigen Schreiberlingen besetzt wurden?<br />

Von Schriftstellern, die schon seit Langem mit<br />

den völkisch-nationalen Parametern zielsicher umzugehen<br />

verstanden und, wie Propagandaminister<br />

Goebbels sich bei der Bücherverbrennung in Berlin<br />

ausdrückte, „nach dem Ende eines Zeitalters des<br />

überspitzten jüdischen Intellektualismus nun dem<br />

deutschen Wesen die Gasse frei machen“ sollten.<br />

Den „undeutschen Geist“ wollte man unter<br />

anderem durch eine Literatur ersetzen, die Bauerntum<br />

und Volksgemeinschaft, Blut- und Bodenideologie<br />

sowie Krieg und soldatisches Heldentum<br />

idealisierte. Die Nationalsozialisten konnten<br />

hier auf viele vor 1933 bekannte Schriftsteller<br />

zurückgreifen, deren Werke sich mit dem nationalsozialistischen<br />

Weltbild im Einklang befanden:<br />

Die NS-Literatur stand 1933 schon in großem<br />

Umfang bereit. Völkisches Deutschtum, Heldenverehrung<br />

und das Führerprinzip hatten sich – zusammen<br />

mit einer antisemitischen Rassenidee –<br />

bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu Leitbildern<br />

für weite Teile einer bürgerlichen Gesellschaft<br />

entwickelt, die sich angesichts eines im Fortschritt<br />

instabil gewordenen Lebensgefühls nach Harmonie<br />

sehnte.<br />

Tradierte Bilder aufgegriffen<br />

Die Nationalsozialisten griffen in Politik und Kultur<br />

alle tradierten Bilder auf – ob Hermann der Cherusker<br />

oder armer Poet, ob Befreiungskrieg oder<br />

Zweites Reich, um den Sehnsüchten der „Volksgemeinschaft“<br />

zu entsprechen. Das heißt, eine eigenständige<br />

NS-Literatur gab es eigentlich nicht;<br />

es reichte, wenn bestimmte Elemente vorhanden<br />

waren, die sich mit der Botschaft von Ideologie<br />

und Propaganda deckten. Und selbst die Klassiker<br />

konnte man „gleichschalten“, wie das Vorwort<br />

zur Goethe-Feldausgabe von 1940 zeigt: „In diesem<br />

Kampf, der nicht nur mit Waffen, sondern vor allem<br />

auch mit dem Herzen bestanden werden muß, soll<br />

den deutschen Soldaten der edle und tapfere Geist<br />

Goethes begleiten. (...) Die Auswahl zeigt Goethes<br />

Ganzheit – die Ganzheit eines Menschen, der (...) immer<br />

und zuerst ein Deutscher, bei aller Reinheit und<br />

Zartheit des Gefühls immer und allezeit ein Kämpfer<br />

gewesen ist.“<br />

Endstation Dokuzentrum<br />

Den ungeheuren kulturellen Verlusten der nationalsozialistischen<br />

Geistesaustreibung stand nur ein<br />

dürftiger Ersatz gegenüber, wie diese kleine Werkausstellung<br />

zeigen soll. Sie präsentiert eine Auswahl<br />

des literarischen Strandguts einer zwölfjährigen<br />

Epoche bürgerlich-konservativen Größenwahns,<br />

das auf verschiedenste Weise und aus unterschiedlichsten<br />

Gründen im Dokumentationszentrum<br />

anlandet. Bei Haushaltsauflösungen oder der Ordnung<br />

von Nachlässen kommen häufig Bücher und<br />

Objekte zum Vorschein, die ihre Nachbesitzer nicht<br />

mehr unbedingt zu Hause haben möchten. Für<br />

viele kommt ein Weiterverkauf nicht in Frage, um<br />

Missbrauch zu vermeiden. So entwickelte sich das<br />

Dokumentationszentrum auch zu einer Art Entsorgungsstelle<br />

für diverse Hinterlassenschaften aus<br />

der NS-Zeit mit einer zwar noch überschaubaren,<br />

doch unaufhaltsam wachsenden Sammlung. Die<br />

Bücher zunächst einmal nur als Quintessenz des<br />

nationalsozialistischen Literaturbetriebs zu zeigen,<br />

ist das eng gesteckte Ziel dieser Präsentation. Denn<br />

sie sind nicht nur einfach da. Sie werfen bei näherer<br />

Betrachtung eine Menge Fragen auf, nachdem es,<br />

von einigen Ansätzen abgesehen, bislang keine Gesamtschau<br />

der Literatur im Dritten Reich gibt: Wes<br />

Geistes Kinder waren die Autoren? Welches<br />

Weltbild stand hinter ihren Werken?<br />

Wer las sie? Formten die Titel eine<br />

nationalsozialistische Literatur? Was soll<br />

davon überliefert werden? Hilft die Beschäftigung<br />

mit diesen Büchern, das<br />

„deutsche Wesen“ der Jahre 1933–<strong>45</strong><br />

zu verstehen? Es sind, nicht nur wegen<br />

der zum Teil heute unlesbar anmutenden<br />

Bücher, unbequeme Fragen,<br />

die allesamt noch auf Antworten warten.<br />

Hans-Christian Täubrich<br />

WortGewalt. Vom rechten Lesestoff<br />

Bücher aus der (An-) Sammlung des Dokumentationszentrums,<br />

Ausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />

9.5.–29.9.<strong>2013</strong><br />

Überlebensgroße<br />

Skulpturen von Manfred<br />

G. Dinnes – hier zwei Objekte<br />

der Reihe „Eidos“ –<br />

werden im Außengelände<br />

des Tucherschlosses<br />

zu sehen sein.<br />

Fotomontage:<br />

Martin Küchle<br />

Mythische Skulpturen im Tucherschloss<br />

„Pantha rhei – alles fließt, nichts bleibt gleich.“:<br />

Dieser auf den griechischen Philosophen Heraklit<br />

zurückgeführte Aphorismus war einer der Leitsätze<br />

von Manfred Dinnes. Der Regensburger Künstler<br />

und Kunstprofessor (1950–2012) verstand darunter<br />

insbesondere die Wandelbarkeit des menschlichen<br />

Denkens in seiner Umwelt.<br />

Zweimal besuchte Manfred Dinnes im vergangenen<br />

Jahr das Tucherschloss, um gemeinsam ein Konzept<br />

für eine mögliche Ausstellung auf dem Freigelände<br />

und im Schloss zu entwickeln. Bei unserem letzten<br />

Treffen Ende August freute er sich enthusiastisch<br />

und sprudelte vor Ideen, als wir die Pläne konkretisierten<br />

und dem gemeinsamen Projekt den Namen<br />

„Daidalos“ gaben. Zwei Tage nach dem Treffen die<br />

erschütternde Nachricht: Manfred Dinnes hatte sich<br />

das Leben genommen. Wenig später folgte ihm seine<br />

Ehefrau in den Tod nach – eine unfassbare Tragödie.<br />

Schnell war jedoch in Absprache mit der Tochter<br />

des Künstlers sowie Sybille Gruber und Karin Koschkar<br />

<strong>vom</strong> PSG kunstevent München klar: Die Ausstellung<br />

im Tucherschloss sollte wie geplant stattfinden<br />

– als erste Retrospektive des Künstlers. Damit wird<br />

der Renaissancegarten des Tucherschlosses nach<br />

fünfjähriger Pause in diesem Frühling wieder zum<br />

Spielort für zeitgenössische Kunst.<br />

Universal gebildeter Künstlerhumanist<br />

Die Verbindung unterschiedlicher künstlerischer<br />

Ausdrucksformen und das Interesse an existenziellen<br />

Fragen stehen im Zentrum des Œvres des universal<br />

(aus)gebildeten Künstlers. Manfred Dinnes war ein<br />

Forscher und Humanist mit profunder klassischer<br />

Bildung. Er betätigte sich u.a. als Autor, Regisseur,<br />

Dramaturg, Galerist und Menschenrechtsaktivist. Als<br />

gelernter Kirchenmaler, Restaurator, Glasmaler und<br />

Glasbläser studierte er Malerei an der Nürnberger<br />

Akademie der Bildenden Künste und wurde Meisterschüler<br />

von Gerhard Wendland. Hier erhielt er zwei<br />

Akademiepreise, es folgte der Kulturförderpreis der<br />

Stadt Regensburg.<br />

Manfred Dinnes lebte und arbeitete aus der Erfahrung<br />

des Kulturaustausches, Reisen gehörten immer<br />

zu seiner Künstlerexistenz. Ergebnis waren große<br />

Gemäldezyklen: „Malen bedeutet Hinterfragung von<br />

Dinghaftigkeit, hinter der man keine Fragestellung<br />

mehr vermutet. Ich male meine Antworten dem Leben<br />

entgegen.“<br />

Niemals trennte Dinnes in seinem Schaffen das<br />

Schöpferische und das Intellektuelle. Unermüdlich<br />

suchte er nach den Grundlagen der Kunst, beschäftigte<br />

sich mit alten Kulturen als Ausdruck einer zu<br />

ergründenden Geistigkeit. Resultate waren seine<br />

künstlerischen Umsetzungen klassischer literarischer<br />

Stoffe: die Gesänge des Orpheus, Ovids „Metamorphosen“,<br />

Dantes „Göttliche Komödie“.<br />

„Daidalos“ im Tucherschloss<br />

Seine überlebensgroßen Skulpturen aus bemaltem<br />

Stahl (technische Umsetzung: Armin Karl), die<br />

im Außenbereich aufgestellt werden, verweisen<br />

auf die enge Verbindung von Kunst und Natur. Ihre<br />

organischen Formen und besonderen Farbklänge<br />

schwingen in den Bildwerken, die in den historischen<br />

Innenräumen des Schlosses malerische Facetten des<br />

Schaffens zeigen, weiter.<br />

Die Ausstellung „Daidalos“ soll den Betrachter auf<br />

eine Reise in (sagenhafte) Vergangenheit und (eigene)<br />

Zukunft entführen und ihn mit auch heute noch<br />

aktuellen Fragen konfrontieren. Dinnes war fasziniert<br />

von der Figur des mythologischen Erfinders und<br />

Bildhauers Daidalos, der sich und seinen Sohn Ikarus<br />

aus der Gefangenschaft befreit, indem er Flügel konstruiert<br />

und wie ein Vogel in den Himmel entfliegt.<br />

Diese Vermessenheit bezahlt der sagenhafte Künstler<br />

teuer mit dem Tod seines einzigen Kindes. In seinen<br />

teils kinetischen Skulpturen und Bildwerken hat<br />

Manfred Dinnes sein Wissen um diesen Mythos von<br />

menschlicher Zerrissenheit und kurzem Glück, von<br />

Ausweglosigkeit und Flucht, Gelingen und Scheitern,<br />

Hybris und Fall abstrahierend verrätselt. Auch hier<br />

galt ihm: Zwischen Kunst und Leben ist nicht zu trennen,<br />

beides ist immer in Bewegung – „panta rhei“.<br />

„Dante, Tod und Teufel“<br />

Noch gemeinsam mit dem Künstler haben Professor<br />

Martin Gruber von der Berliner Hochschule für<br />

Schauspielkunst „Ernst Busch“ und die Kulturmanagerin<br />

Susanne Gösse eigens für das <strong>vom</strong> Wagner-Jahr<br />

<strong>2013</strong> inspirierte Thema der Blauen Nacht – „Himmelsstürmer“<br />

– eine hochkarätige Inszenierung zur<br />

Ausstellung konzipiert. Textgrundlage des interaktiven<br />

Schauspiels „Dante, Tod und Teufel“ sind<br />

modern interpretierte Passagen aus der „Göttlichen<br />

Komödie“ des italienischen Dichters Dante Alighieri<br />

(1265–1321). Ausgehend von den mittelalterlich-derben<br />

Szenen Dantes und der Tradition der Burleske,<br />

interagieren bekannte Schauspieler kostümiert im<br />

Hof und im Garten des Tucherschlosses spontan mit<br />

dem Publikum.<br />

Die Skulpturen von Manfred Dinnes bilden dabei<br />

zum einen das Bühnenbild der Aufführung, zum anderen<br />

stellen sie inhaltlich die visuellen Verdichtungen<br />

Dantesker Vorstellungen aus der persönlichen<br />

Sicht des bildenden Künstlers dar. Als Bindeglied<br />

zum Thema „Himmelsstürmer“ sah Dinnes selbst die<br />

„Dante-Symphonie“ von Franz Liszt, Schwiegervater<br />

Richard Wagners, die diesen vermutlich zu seinem<br />

„Parsifal“ inspirierte.<br />

„Dante, Tod und Teufel“, ermöglicht durch die<br />

freundliche Unterstützung der STAEDTLER Stiftung,<br />

stellt das bislang spektakulärste Blaue Nacht-Programm<br />

im Tucherschloss dar.<br />

Ulrike Berninger<br />

Daidalos. Skulpturen und Bildwerke von Manfred G.<br />

Dinnes. Eine Retrospektive<br />

Ausstellung im Museum Tucherschloss, 25.4.–29.7.<strong>2013</strong><br />

Dante, Tod und Teufel<br />

Interaktives Schauspiel zu Dantes „Göttlicher Komödie“,<br />

4. Mai <strong>2013</strong>: 20, 21, 22 und 23 Uhr

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