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2,50<br />
euro<br />
„ich wollte nicht allein im<br />
Zimmer sitzen und<br />
schreiben wie meine Eltern.”<br />
marina and<br />
the diamonds<br />
Einsamkeit<br />
hat mich geformt<br />
mad-men-ikone<br />
don draper<br />
zeigt stirn<br />
ASmA AL-ASSAd<br />
LUXUS im<br />
FoLtERStAAt<br />
rosamond<br />
bernier<br />
grande dame der<br />
new Yorker Kunstszene<br />
die rückkehr der<br />
geschLechtskrankheiten<br />
ZU BESUCH BEi dER<br />
gEFäHRLiCHStEn FRAU<br />
dES nAHEn oStEnS<br />
ausgabe 05/2012 07/2012<br />
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4 192131 102503 07
Genital-Herpes<br />
die ansteckung mit dem Herpes simplex<br />
Virus Typ 2 erfolgt durch Körperkontakt<br />
(Küssen!), Tröpfchen- und schmierinfektion<br />
- aber nur dann, wenn der partner<br />
gerade selbst einen blühenden genital-<br />
Herpes hat. in deutschland sind 90 % aller<br />
erwachsenen mit dem lippen-Herpes<br />
infiziert, 15 % auch mit dem Genital-Herpes.<br />
die infektion ist latent, das Virus bleibt<br />
lebenslang im Körper und kann weiter<br />
verbreitet werden. symptome sind u.a.<br />
bläschen und geschwüre. Virostatika wie<br />
aciclovir beschleunigen die Heilung.<br />
CHlamydien<br />
eine infektion mit Chlamydien trachomatis<br />
ist eine der häufigsten sexuell übertragbaren<br />
Krankheiten. die bakterien können<br />
bei Männer und Frauen eine Harnröhrenentzündung<br />
auslösen. In Deutschland<br />
sind nach seriösen Schätzungen mehr als<br />
100.000 Frauen durch unbehandelte<br />
Chlamydien-infektionen unfruchtbar geworden,<br />
weil ihre eileiter nicht mehr<br />
durchgängig sind. bei wechselnden sexpartnern<br />
sind jährliche Vorsorgeuntersuchungen<br />
ratsam.<br />
GonorrHoe<br />
auch als „Tripper“ bekannt. ihren namen<br />
verdankt die geschlechtskrankheit dem<br />
niederdeutschen ausdruck trippen =<br />
tropfen. die patienten leiden unter eitrigem<br />
Ausfluss aus Penis, Scheide oder Po und<br />
haben Schmerzen beim Wasserlassen.<br />
Viele Frauen haben zunächst keine<br />
beschwerden, weshalb die gonokokkenbakterien<br />
ungehindert von der Harnröhre<br />
bis in die eileiter hochwandern und diese<br />
verkleben, was zur Unfruchtbarkeit führen<br />
kann. Wenn eine Schwangere sich unbemerkt<br />
mit Tripper infiziert (normalerweise<br />
wird aber gleich bei der ersten Vorsorgeuntersuchung<br />
ein abstrich gemacht), besteht<br />
die Gefahr einer Fehlgeburt. Während<br />
der geburt kann sich das neugeborene anstecken,<br />
dies kann beim Baby zu Blindheit<br />
führen. die Krankheit kann jedoch mit<br />
antibiotika problemlos behandelt<br />
werden. Da der Erreger aber zunehmend<br />
resistent ist, steigt die<br />
Zahl der neuinfektionen.<br />
Humane<br />
papillomaviren<br />
Junge Mädchen werden heutzutage –<br />
möglichst vor dem ersten Mal Sex –<br />
von ihrem Kinder- oder Frauenarzt<br />
gegen Humane papillomaviren (HpV)<br />
geimpft. Die DNA-Viren können zu<br />
Zellveränderungen wie Feigwarzen im<br />
genital- und analbereich oder im<br />
schlimmsten Fall zu Gebärmutterhalskrebs<br />
führen. besonders wichtig ist<br />
deshalb die jährliche Vorsorgeuntersuchung<br />
(„pap-Test“).<br />
sypHilis<br />
auch lues (lat. seuche), „lustseuche“ oder<br />
„Franzosenkrankheit“ genannt. Die<br />
syphilis verläuft in drei stadien: auf<br />
Hautgeschwüre folgen rote Flecken, zum<br />
schluss greift das bakterium Treponema<br />
pallidum das Nervensystem an. Bis zur<br />
Erfindung des Penicillins 1928 galt die<br />
syphilis als geißel der Menschheit. sie<br />
führt zu Blind-, Taubheit (Ludwig van<br />
beethoven) oder geisteskrankheit und<br />
kann während der schwangerschaft oder<br />
geburt von Mutter aufs Kind übertragen<br />
werden. 1000 bis 4000 Kinder weltweit<br />
kommen wegen Syphilis blind zur Welt.<br />
berühmte Todesfälle: u.a. Friedrich<br />
Nietzsche, Heinrich Heine.<br />
triCHomonaden<br />
Die Geißeltierchen zählen zu den Parasiten<br />
und werden per schmierinfektion über<br />
den Urin oder Körpersekrete übertragen.<br />
sie nisten sich in der scheide, in darm<br />
und Harnröhre ein und lösen dort eine<br />
infektion aus. es juckt wie Hölle, der<br />
Ausfluss ist schaumig. Trichomonaden<br />
zählen wie Chlamydien zu den häufigsten<br />
sexuell übertragbaren Krankheiten. ende
maxmara.com<br />
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Liebe Leserinnen und Leser,<br />
es ist Sommer – und statt uns darüber zu freuen, gibt das Wetter wie immer Anlass für Beschwerden.<br />
Es ist zu kalt, zu warm, zu verregnet – Sie kennen das. Aber würden wir Deutschen uns wohl fühlen,<br />
selbst wenn alles perfekt wäre? Sonnenschein, 22 Grad, 365 Tage im Jahr? Wahrscheinlich auch dann<br />
nicht. Gerade laufen die letzten Spiele der Fußball- Europameisterschaft. Vielleicht ist sie schon<br />
vorbei, wenn Sie diese Zeilen lesen. Sicher sein können wir uns: Es gab auch hier eine Menge zu<br />
meckern. Selbst wenn Deutschland Europameister geworden sein sollte, war der Fußball nicht schön<br />
genug oder man hat viel zu oft nur mit Glück gewonnen. Und wenn ich mich über die Deutschen<br />
beschwere, bin ich im Prinzip natürlich ebenfalls: typisch deutsch.<br />
Es liegt in unserem Wesen, dass wir jammern, egal wie gut es uns in Wahrheit geht. Die Beschwerden<br />
werden unglaubwürdiger, je höher das Niveau ist, auf dem wir jammern – und richtig ärgerlich,<br />
wenn man unsere Situation mit anderen Regionen der Welt vergleicht. Da muss man gar nicht erst<br />
nach Syrien schauen, es reicht ein Blick auf Spanien oder Portugal.<br />
Aber vielleicht brauchen wir die Jammerei, denn sie scheint uns anzutreiben. Wo auch immer die<br />
tieferen Gründe liegen mögen, wir sind ein Volk der Miesepeter! Und wahrscheinlich werden einige<br />
von Ihnen dieses Vorwort mit typisch deutscher Skepsis gelesen haben. Gerade deshalb wünsche<br />
ich Ihnen allen das perfekte Wetter, den EM-Titel; aber vor allem, dass Sie Ihr Leben genießen, selbst<br />
wenn es nicht perfekt läuft.<br />
Viel Spaß beim Lesen!<br />
Götz Offergeld<br />
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Illustration: Laura Laakso<br />
Pin-up<br />
Mad-Men-Ikone Don Draper:<br />
der Sexgott im Anzug.<br />
S. 46<br />
Maurizio<br />
Cattelan<br />
Hübsch hässlich: Wie der Kunststar<br />
Lifestyle-Magazine auf den Kopf stellt.<br />
S. 126<br />
Rosamond<br />
bernier<br />
Auch mit 95 ist die Grande Dame der<br />
New Yorker Kunstszene modisch<br />
versiert, humorvoll und blitzgescheit.<br />
S. 50<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
Supersmart, bildhübsch, talentiert und auf der<br />
Bühne eine Autorität: <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> ist auf<br />
dem besten Wege, aus dem Schatten ihrer<br />
Starschriftsteller-Eltern zu treten –<br />
und für uns schon jetzt ein <strong>Fräulein</strong>.<br />
S. 112<br />
Handtaschen<br />
Shopper, Totes und Travelbags<br />
– das Mysterium der Damenhandtasche.<br />
S. 104<br />
ein tag<br />
Berlin<br />
Clubs, Shops und Mädchenschule:<br />
Unsere Empfehlungen für<br />
einen perfekten Tag in Berlin.<br />
S. 54<br />
zitrusfrüchte<br />
Bunt, gesund, Kunst. Von der<br />
Bibel bis zu Baselitz:<br />
Alles, was Sie über Apfelsinen,<br />
Clementinen und Co wissen<br />
sollten<br />
S. 136<br />
Joumana<br />
Haddad<br />
Wütend, radikal und<br />
kompromisslos: die<br />
Journalistin gilt als<br />
die meistgehasste<br />
Frau im Nahen Osten.<br />
Wir haben sie in<br />
Beirut besucht.<br />
S. 130<br />
14<br />
15
contributors<br />
Jan Joswig<br />
unterhielt sich mit<br />
Markus Lupfer über<br />
das Schnittmuster der<br />
Ausgabe: Lighthearted<br />
mit Charakter, wie<br />
Lupfer sagen würde –<br />
und sharp wie immer.<br />
Christina Gransow<br />
zeichnete das Horoskop,<br />
was auch bedeutet:<br />
Sie bebilderte den<br />
Sommer der Liebe<br />
– zumindest was die<br />
Schützen angeht.<br />
Julia Christian<br />
Die <strong>Fräulein</strong>-Geheimwaffe<br />
redete mit Oda Jaune über<br />
den Tod und mit Jing Liu über<br />
das Abenteuer Architektur.<br />
Danke! Aber wo bleibt eigentlich<br />
der Kuchen, Julia?<br />
Katharina Poblotzki<br />
Ihre Fotos stecken voller Leben. Danke<br />
für deine Energie, Katharina.<br />
Katrin Funcke<br />
zeichnete für das<br />
Antifräulein das Böse<br />
als Aquarell, was es<br />
nur noch böser macht.<br />
So soll es sein.<br />
Jean-FranÇois Carly<br />
Dein Einsatz bedeutet uns sehr viel.<br />
Toll, dass du trotz allem fotografiert<br />
hast. Sincères condoléances, Jean-<br />
François.<br />
Lena Bergmann<br />
verdankt uns mit Rosamond<br />
Bernier eine neue Traumgroßmutter,<br />
und wir Lena die besten<br />
Interviews dieser Ausgabe.<br />
Sabine Volz<br />
Ihr skurriles Foto macht<br />
Lust aufs Kochen.<br />
David Torcasso<br />
Bethany Cosentino hat ‚California Dreaming‘ auf den Arm<br />
tätowiert; liest man Davids Text über sie, dann hört man die<br />
Wellen am Strand und Fleetwood Mac aus der Boom Box.<br />
Wäis Kiani<br />
Herzlichen Dank für das kämpferische<br />
Antifräulein, Wäis. Deine Wut tut gut.<br />
Diane Vincent<br />
Wenn in Randall<br />
Bachners kraftvollen<br />
<strong>Sophie</strong>-<strong>Auster</strong>-<br />
Aufnahmen das<br />
fotografische Herz<br />
von <strong>Fräulein</strong> pulsiert,<br />
dann liegt in<br />
Dianes atmosphärisch-verträumten<br />
Stillleben die Seele.<br />
Laura Laakso<br />
Nur die besten<br />
IllustratorInnen<br />
zeichnen bei uns das<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
– solche wie Laura<br />
zum Beispiel.<br />
Adrian Crispin<br />
Seine Fotos passen zu <strong>Fräulein</strong> wie das<br />
Objektiv auf die Kamera. Adrian, du machst<br />
dieses Heft besonders schön. Ann-Kathrin<br />
und Bianca, ihr natürlich auch!<br />
Christian Hagemann<br />
verschönert zum ersten Mal das<br />
<strong>Fräulein</strong> mit seinen Stilllifes,<br />
Pardon, seiner Kunst. Danke<br />
und: Endlich, Christian!<br />
Ariane Hosemann<br />
Für uns der Fels in der<br />
Fotografenbrandung. Keep<br />
on keepin’ on, Ariane!<br />
Mirjam Wählen<br />
fotografierte die wunderbare Ladyhawke.<br />
Danke, Mirjam, wir denken an dich.<br />
David Ramirez Perez<br />
Ein tougher Job: Wie illustriere ich Geschlechtskrankheiten?<br />
Schaut man sich Davids zarte<br />
Zeichnungen an, weiß man nicht mehr, warum<br />
man das mal schwierig gefunden hat. Sorry, dass<br />
wir im letzten Heft bei den tollen Horoskopen<br />
deinen Credit vergessen haben!<br />
Nella Beljan<br />
Wie immer: sensibel und schlau, tolle Frau.<br />
Randall Bachner<br />
Seine Bilder von<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
wurden zur<br />
schönste <strong>Fräulein</strong>-<br />
Strecke, die wir<br />
bislang hatten.<br />
Danke auch für die<br />
Insider-Infos vom<br />
Shoot!<br />
Alexa von Heyden<br />
Von Zitrusfrüchten bis zur<br />
Syphilis: Dein System kennt<br />
keine Grenzen, Alexa.<br />
David Fischer<br />
Diesmal also<br />
Männermode:<br />
Coole Bilder, so cool<br />
wie der Typ, der sie<br />
gemacht hat.<br />
Ruben Donsbach<br />
ist in dieser Ausgabe mal nicht Chefreporter,<br />
sondern Sexperte. Deshalb diesmal Danke<br />
auf französisch: merci beaucoup, Ruben.<br />
Fritz Schaap<br />
fuhr für uns mit Joumana Haddad<br />
durch Beirut. Danke und: geile Story,<br />
Alta. Freuen uns auf die nächste.<br />
17
talent<br />
Foto: Debora Mittelstaedt, Text: Nella Beljan<br />
Channy Leaneagh wird als Sängerin der Band Poliça mit<br />
Lob überschüttet. Auch Bon Ivers Justin Vernon und Jay-Z liegen ihr zu Füßen.<br />
Ihre Mutter empfahl ihr kürzlich: „Untersteh´ Dich zu sagen, Du hättest diesen<br />
Erfolg nicht verdient!“<br />
P<br />
oliça ist die beste Band, die ich<br />
je gehört habe!“ Nicht bloß der<br />
Grammy-Gewinner Justin<br />
Vernon von Bon Iver, sondern<br />
auch Show-Größen wie Jay-Z sind angetan<br />
von der Elektro-R’n’B-Formation aus<br />
Minnesota. Das Erstaunlichste: Die Band<br />
wurde erst vor einem Jahr gegründet.<br />
Von der Sängerin Channy Leaneagh, nach–<br />
dem sie sich von ihrem Mann und der<br />
gemeinsamen Band Roma di Luna getrennnt<br />
hatte.<br />
Als der Produzent Ryan Olson erfuhr, dass<br />
Channy Leaneagh beruflich wie privat<br />
neue Wege gehen wollte, witterte er die<br />
Gelegenheit. Er schickte ihr seine Musik,<br />
sie schrieb die Texte und lieferte den<br />
Gesang dazu. „Eigentlich habe ich nur auf<br />
Zarten zusammen. Nach nur einer Handvoll<br />
Studio-Aufnahmen stand das Album<br />
„Give you the Ghost“.<br />
Am wichtigsten sind Leaneagh die Lyrics<br />
aus dem Song „Amongster“, weil sie ihr<br />
eigenes Leben exakt widerspiegeln: eine<br />
große Zerrissenheit. Überhaupt habe sie<br />
immer schon beschäftigt, warum wir auf<br />
der Welt seien: „Es geht mir nicht um die<br />
schreienden Ungerechtigkeiten wie Hungersnöte<br />
oder verbrecherische Regimes.<br />
Mir geht es um das Ganze auf einem viel<br />
‚niedrigeren’ Level: um Liebeskummer, um<br />
mich als einzelnen Menschen. Ich war<br />
immer fasziniert davon, warum ich dieses<br />
große Bedürfnis danach habe, allein zu<br />
sein und meine Ruhe zu haben von diesem<br />
ganzen Herzschmerz. Aber gleichzeitig<br />
„Ich war immer fasziniert davon, warum ich dieses<br />
große Bedürfnis danach habe, allein zu sein und meine<br />
Ruhe zu haben von diesem ganzen Herzschmerz.<br />
Das sind die Konstanten in meinem Leben: Nähe und<br />
Ferne, jemanden zu mir zu holen und ihn wieder<br />
wegzuschieben.“<br />
Kraft ihres Gesangs – auch ohne zu<br />
wissen, dass ihr Ex-Mann Alexei Moon<br />
Caselle heißt und was die Gründe ihrer<br />
Trennung waren. Noch gleichgültiger<br />
werden solche Details, wenn die zurückhaltende<br />
Leaneagh live vor Publikum<br />
steht, denn dann umgibt sie die hypnotische<br />
Aura eines zukünftigen Superstars.<br />
Die „Huffington Post“ schwärmte nach<br />
einem Konzert: „Der Erfolg dieser Band<br />
wird riesig sein.“<br />
Die Erwartungen an Poliça sind also riesig.<br />
Wie sie eigentlich mit dem Erfolgsdruck<br />
umgehe, darauf antwortet Leaneagh: „Ach,<br />
ich versuche, mich nicht zu doll darüber<br />
zu freuen, sondern einfach meine Arbeit<br />
weiter gut zu machen.“ Ob sie immer so<br />
zurückhaltend und bescheiden sei? Da<br />
erklingt es, ihr herzliches Lachen: „Das hat<br />
meine Mutter mir auch letztens gemeint:<br />
‚Untersteh Dich zu sagen, Du hättest diesen<br />
Erfolg nicht verdient!’ Ja, ich sollte wirklich<br />
besser auf sie hören!“ ende<br />
die Melodien geantwortet, die Ryan mir<br />
gab“, sagt Leaneagh. Arrangiert wurde das<br />
Ganze mit gleich zwei Drums, einem Bass<br />
und – keiner Gitarre. Denn die wird durch<br />
die Stimme Leaneaghs ersetzt, die virtuos<br />
die Melodie führt. Ihr klarer Gesang, durchbrochen<br />
von darüber gelegten Autotunes,<br />
trägt traumsicher durch eine Musik neuer<br />
Innerlichkeit und führt das Raue mit dem<br />
die Nähe von jemand anderem brauche.<br />
Das sind die Konstanten in meinem Leben:<br />
Nähe und Ferne, jemanden zu mir zu holen<br />
und ihn wieder wegzuschieben.“<br />
Diese private Dimension schenkt sie ihren<br />
Hörern und macht sie allgemeiner<br />
zugänglich. Wenn Leaneagh singt „I was<br />
married to the wandering star, now the world<br />
turns without thee“, versteht man die<br />
Channy Leaneagh gründete ihre Band Poliça<br />
zusammen mit Ryan Olson erst vergangenes Jahr.<br />
Im Mai ist ihr Debütalbum „Give You The Ghost“<br />
erschienen.<br />
19
Talent<br />
talent<br />
Text: Lisa Leinen<br />
Maria BlaCK<br />
Karlotta Wilde gehört zu einer neuen<br />
Generation junger Designerinnen, die in Berlin angefangen<br />
haben, aber auch in Paris wahrgenommen werden.<br />
Wer nicht auf den Trend opulente<br />
Glitzerketten und bunte Armbänder<br />
steht, wird vielleicht bei Maria Black<br />
fündig: Die dänische Designerin<br />
versteht es, schlichten und eleganten<br />
Schmuck zu entwerfen, der durch<br />
seine feinen grafischen Strukturen<br />
besticht. Ihre Idee dabei ist, gleich<br />
mehrere Stücke der Kollektion zu<br />
tragen, zum Beispiel zwei oder drei<br />
Ketten. Ins Auge gefasst haben wir vor<br />
allem aber den Ring „Monocle“ mit<br />
eingearbeitetem Kreis dort, wo sonst<br />
der gefasste Edelstein sitzt. Zu<br />
kaufen gibt es alle Stücke bislang<br />
nur unter maria-black.com.<br />
M<br />
it erwartungsvollen Augen öffnet Karlotta Wilde die Tür zu ihrem Hinterhaus-Atelier<br />
in Berlin-Mitte. Eigentlich wartet sie auf eine Stofflieferung,<br />
die irgendwo auf dem Postweg verloren gegangen ist. Ohne die stockt<br />
die Arbeit an ihrer neuen Kollektion. Denn meistens entwirft die gebürtige<br />
Hamburgerin mit den Stoffen in der Hand. Experimentiert, drapiert, näht zusammen.<br />
Vielleicht ist es das, was ihre Kleidung ausmacht. Ungezwungen, locker, im Schnitt klar<br />
und nur im Detail verspielt, am liebsten in schwarz und weiß. Blümchenstoffe? Ein<br />
absolutes Tabu. Karlotta Wilde weiß, was sie will. Nach ihrem Abschluss an der AMD<br />
München absolviert sie Praktika bei Ann-Sofie Back in London, bei Sonia Rykiel in Paris<br />
und dann wieder in London, bei der Tochter von Mohamed Al-Fayed. Dort arbeitet sie<br />
im Harrods-Gebäude, staunt über die steinreiche Kundschaft. Das Label von Al-Fayeds<br />
Tochter gibt es mittlerweile nicht mehr, und Karlotta fügt schnell hinzu: „Geld und Kontakte<br />
sind eben nicht immer alles.“ Daran muss sie von Anfang an geglaubt haben, zum<br />
Beispiel, als sie ihre ersten Kollektionen in ihrer Wohnung auf dem Fußboden zusammengenäht<br />
hat. Die Entwürfe verkauft sie auf Bestellung, meist an Freunde und Familie.<br />
Doch schon bald werden mehr Leute auf sie aufmerksam. Bei der Berliner Fashionweek<br />
hat sie zweimal präsentiert, diesen Sommer wird sie nicht dabei sein. Es war ihre<br />
Entscheidung. Ob es mit der Veranstaltung zu tun hat? „Nein“, antwortet sie bestimmt,<br />
erwähnt aber wenig später, dass sie den Stempel „Berliner Jungdesigner“ nicht immer<br />
gerne aufgedrückt bekommt. Berlin ist ja schließlich nicht die Welt. In Paris dagegen ist<br />
es absolut ok. Sie ist dort in guter Gesellschaft, denn die Agentur, die sie vertritt, hat<br />
auch Perret Schaad und Lala Berlin unter Vertrag . ende<br />
20
Asymmetrischer Rock<br />
27 €<br />
mango.com<br />
jeans<br />
iphone-hülle<br />
stil<br />
ca. 175 €<br />
Desire<br />
stinegoya.com<br />
Gehen immer: Jeanshemden<br />
in allen Waschungen.<br />
Geht nicht immer: lange<br />
Ärmel bei viel zu heißen<br />
Temperaturen. Wer nicht<br />
selbst zur Schere greifen<br />
will, greift zum Halbarm-<br />
Denimhemd von G-Star.<br />
80 €<br />
Nikki Shirt Sleeveless<br />
g-star.com<br />
Schluss mit Schwarz-Weiß-<br />
Denken: Ab jetzt können<br />
wir den smarten Alltagsbegleiter<br />
in unsere Lieblingsfarbe<br />
gehüllt auf den Café-Tisch<br />
legen. Dank Case Scenario, die<br />
zusammen mit dem US-Konzern<br />
Pantone iPhone-Hüllen in<br />
bislang neun leuchtenden<br />
Tönen herausgebracht haben.<br />
Welchen würden Sie wählen?<br />
40 €<br />
Pantone Hülle<br />
urbanoutfitters.com<br />
Foto: Jan Friese<br />
lang<br />
und luftig!<br />
Das Wichtigste ist bedeckt, alles andere<br />
wird nur luftig und geheimnisvoll umhüllt:<br />
Diese Röcke gehören zu unseren Lieblingen<br />
des Sommers, vor allem in solch’ sanften<br />
Pastelltönen wie von Mango und Stine Goya.<br />
vespa<br />
heiligs-blechle.com<br />
strasskette<br />
Wer auf große bunte Klunker steht,<br />
wird Dannijo lieben. Das Label<br />
wurde vor allem durch die<br />
Bloggerwelt bekannt, die<br />
sich vorm Spiegel in Jeans, im<br />
weißen T-Shirt und mit den<br />
Glitzer-Ketten um den Hals<br />
ablichtete. Tun wir ab<br />
jetzt auch.<br />
ring<br />
Large Horse Ring<br />
ca. 160 €<br />
stinegoya.com<br />
ca. 400 €, dannijo.com<br />
Wer das echte Vespa-Gefühl erleben will, der sollte bitte keines<br />
dieser zugegebenermaßen in hübschen Farben lackierten, aber<br />
überteuerten Retro-Modelle kaufen. Nehmen Sie sich lieber die Zeit<br />
und suchen Sie sich in Ruhe eine gebrauchte italienische „Wespe“<br />
in den Kleinanzeigen von eBay und Co. Spätestens wenn man den<br />
Motor antritt und dieser einem wohlklingend dafür dankt, hat<br />
sich das Warten gelohnt. Perfekt für den Sommer in der Stadt.<br />
22<br />
hermÈs<br />
Wenn Sie <strong>Fräulein</strong> regelmäßig und aufmerksam<br />
lesen, werden Sie bereits<br />
festgestellt haben, dass wir große<br />
Fans der französischen Luxusmarke<br />
sind. Dieses Mal<br />
wollen wir Ihnen dieses<br />
klassische Modell aus<br />
braunem Leder ans<br />
Herz legen.<br />
5.250 €<br />
hermes.com<br />
ca. 960 €<br />
mika-amaro.com<br />
puppen<br />
Von Weitem sehen sie aus wie<br />
unbewegliche Models, von<br />
Nahem dann erkennt man ihre<br />
starren Augen und ihre<br />
künstlich glänzende Haut.<br />
Bereits seit vielen vielen<br />
Jahren stehen sie in Auslagen,<br />
präsentieren Kleidung, Schuhe<br />
und Accessoires, locken uns<br />
in Geschäfte: die Schaufensterpuppen.<br />
So oft gesehen, und<br />
mindestens genauso so oft<br />
nicht beachtet, nicht genauer<br />
hingesehen. Schade eigentlich,<br />
ist doch rund um die Schaufensterpuppe<br />
eine regelrechte<br />
Handwerkskunst entstanden.<br />
Sissa Marquardt widmet sich<br />
in ihrem Buch „Girlfriends –<br />
Storefront Beauty and Drama“<br />
genau diesem Thema und<br />
haucht den Dummys mit ihrem<br />
Buch Leben ein.<br />
ca. 30 €<br />
„Girlfriends – Storefront<br />
Beauty and Drama“<br />
BizarR verlag
stil<br />
Foto: Christian Hagemann Text: Jan Joswig<br />
JiMMY Fairly<br />
Die gute Nachricht: Das krampfhaft flotte<br />
Brillengestell des neuen französischen<br />
Präsidenten führt der Pariser Online-<br />
Brillenanbieter Jimmy Fairly – nicht! Die<br />
bessere Nachricht: Die beiden Gründer und<br />
Designer der Firma, Antonin Chartier und<br />
Sacha Bostoni, beherrschen die komplette<br />
Palette an Post-Hipster-Nerd-Rahmen.<br />
Vom großen Kasten über die kleine Runde<br />
bis zur (Weltneuheit auf dem Hipsterplaneten!)<br />
Metallbrille aus unzerbrechlichem<br />
Titanium - die Entwürfe beweisen das<br />
souveräne Händchen von Bewohnern des<br />
ultramondänen Marais-Viertels, die gerne<br />
in David Lynchs Club „Silencio“ tanzen<br />
gehen. Die beste Nachricht: Das Geschäftsmodell<br />
von Jimmy Fairly sieht wohltätigen<br />
Einsatz zu günstigen Preisen vor. Unter<br />
dem Motto „Buy one, give one“ spendet das<br />
Unternehmen für jede verkaufte Brille<br />
(handmade in Italy, dennoch inklusive eingeschliffener<br />
Gläser nur 95 Euro) eine<br />
weitere an bedürftige Fehlsichtige in Asien<br />
und Afrika. Ok, die ist dann made in China,<br />
aber erfüllt auch ihren Zweck: besseres<br />
Sehen. Außerdem werden gemeinnützige<br />
Organisationen vor Ort unterstützt,<br />
die kostenlose Augenuntersuchungen anbieten.<br />
Der Online-Händler Warby Parker<br />
hat es – mit bislang 150.000 Spendenbrillen -<br />
für den US-amerikanischen Brillenmarkt<br />
vorgemacht, Jimmy Fairly hat diese Idee<br />
für Europa adaptiert.<br />
Gerade haben Chartier und Bostoni neben<br />
dem Webstore einen ersten Laden im<br />
Marais-Viertel eingeweiht. Und schon in<br />
diesem Sommer soll eine deutschsprachige<br />
Website folgen – damit sich auch für<br />
Deutsche Kurz- und Weitsichtigkeit zu<br />
wohltätigem Chic wandelt.<br />
jimmyfairly.com
stil<br />
taschen<br />
Talent<br />
sloe<br />
„Marilyn & Me “<br />
750 €<br />
Taschen<br />
taschen.com<br />
Zu Lebzeiten wurde die Schauspielerin und Geliebte von<br />
John F. Kennedy zum Sexsymbol und schillernden Popikone.<br />
Jetzt, 50 Jahre nach ihrem Tod 1962, werden ihr unzählige<br />
Bücher und ein Hollywoodfilm gewidmet: Marylin Monroe,<br />
eine der erotischsten Frauen des 20. Jahrhunderts. Besonders<br />
empfehlen wollen wir Lawrence Schillers Fotoband. Der<br />
damals 25-Jährige fotografierte die Diva am Set ihres letzten<br />
Films „Something’s got to give“. Die Monografie mit noch<br />
nie veröffentlichten Aufnahmen gibt es in einer Auflage von<br />
1962 Exemplaren. MM ist also immer noch begehrenswert –<br />
auch 50 Jahre nach ihrem Tod.<br />
1.060 €<br />
Mulberry<br />
quartier206.com<br />
1.290 €<br />
Chanel<br />
chanel.com<br />
Jedes <strong>Fräulein</strong> sollte sie besitzen:<br />
eine elegante Abendtasche!<br />
Noch ganz geblendet von<br />
goldenen Ketten und funkelnden<br />
Strasssteinen, würden<br />
wir Ihnen diese beiden<br />
Schätze vorschlagen.<br />
SLOE ist das neue Label von Central-<br />
St.-Martins-Absolventin Antonia<br />
Siegmund und Art-Direktor Matthias<br />
Last. Der dazugehörige Onlineshop läuft<br />
seit wenigen Wochen, zu kaufen gibt’s<br />
dort hochwertige pure Taschen aus<br />
feinstem italienischen Leder, hübsch<br />
vernähte Kissen und bald limitierte<br />
Kleidungsstücke. Was sich zuerst etwas<br />
willkürlich anhört, ist in Wahrheit ein<br />
durchdachtes Konzept mit Liebe zu<br />
detailverliebter Manufaktur und sorgfältig<br />
gewählten Materialien. Die Schönheit<br />
liegt in der Simplizität, wie beim<br />
Schlehdorn, auf Englisch: sloe. Damit<br />
wäre dann auch der Name erklärt.<br />
Hybrid Bag, ca. 300 €<br />
sloeberlin.com<br />
nike UND<br />
deR sommer<br />
Die vollständige Liste unserer aktuellen<br />
Nike-Must-Haves ist zu lang, um sie vollständig<br />
abzudrucken, also beschränken wir uns auf<br />
diese beiden Modelle: den ultraleichten und<br />
knallbunten Nike Air Woven, den es in verschieden<br />
Farbkombinationen gibt, und den Nike<br />
Montreal im Vintage-Stil. Catch them if you can.<br />
Nike Air Woven 140 €<br />
Nike Montreal 90 €<br />
nike.com<br />
sandalen<br />
New York Philharmonic Orchestra<br />
3. & 4. Februar 2012, Philharmonie,<br />
Luxemburg<br />
8. Februar 2012, Alte Oper, Frankfurt<br />
Foto: Sabine Volz<br />
27
Talent<br />
stil<br />
Nicholas Kirkwood<br />
hat sich mit seinen kunstvollen Kreationen<br />
innerhalb weniger Jahre in die oberste<br />
Riege der Schuhdesigner katapultiert.<br />
Der junge Brite setzt auf Kitsch<br />
statt Komfort.<br />
W<br />
er in diesem Londoner Store auf der Suche nach<br />
einem schlicht-klassischen High Heel ist, wird<br />
schnell merken, dass er den falschen Ort aufgesucht<br />
hat. Denn so etwas gibt es nicht bei Nicholas<br />
Kirkwood, der von sich selbst behauptet, nur drei Paar Schuhe<br />
zu besitzen und diese zu tragen, bis die Sohle durchgelaufen ist.<br />
Für Fans des smarten Briten sollte das keine Rolle spielen, denn<br />
Kirkwood entwirft einfach traumhaft schöne hohe Schuhe. Ob<br />
farbenfrohe Blumenprints oder Plateaus aus Perlmutt-Perlen –<br />
der 32-Jährige weiß, worauf Frauen gerne laufen. Vor knapp zwei<br />
Monaten eröffnete er seinen zweiten Shop: in New York direkt am<br />
Hudson River im angesagten Meatpacking-District. In Amerika<br />
machten prominente Trägerinnen wie Sarah Jessica Parker,<br />
Julianne Moore oder Beyoncé Knowles seine Designs bekannt.<br />
Den Karrierestart ermöglichte ihm 1999 der Londoner Hutmacher<br />
Philip Treacy, bei dem er nach den Studium am Central St. Martins<br />
ein Praktikum machte, jedoch ständig einschlief.<br />
Viel mehr weiß man über den jungen Designer nicht, nur dass er<br />
beim Zeichnen gerne in englischer Manier Tee trinkt und –<br />
very unbritisch! – vor kurzem öffentlich über das Schuhwerk von<br />
Herzogin Catherine meckerte. Es ist hoffentlich nur noch eine<br />
Frage der Zeit, bis Kirkwood auch in Deutschland einen Store<br />
eröffnet. Alle, die keine gewöhnlichen High Heels suchen, werden<br />
sich dort zuhause fühlen. ende<br />
Céline t-shirt<br />
Print-T-Shirts trägt man nicht mehr? Große Logos<br />
auch nicht? Wir pfeifen drauf.<br />
Céline, nous t’aimons.<br />
ca. 250 €<br />
farfetch.com<br />
RoMY<br />
Schneider<br />
Foto: CAMERA WORK<br />
ca. 370 €<br />
autograph-abp.co.uk<br />
uslu<br />
nagellack<br />
22 €<br />
usluairlines.com<br />
20 Jahre nach Marylin Monroe, 1982,<br />
starb die deutsch-französische Schauspielerin<br />
Romy Schneider nach einem bewegten<br />
Leben an gebrochenem Herzen.<br />
Zum 30-jährigen Todestag erscheint<br />
ein zauberhafter Bildband, zusammengestellt<br />
von ihrer Tochter. Auch CAMERA<br />
WORK Berlin verneigt sich vor der fantastischen<br />
Schauspielerin und verkauft<br />
zur Zeit nicht nur ausgewählte Bücher,<br />
sondern auch Originalaufnahmen renommierter<br />
Fotografen – wie dieses hier<br />
aus den Sixties vom wunderbaren<br />
Will McBride.<br />
Dennis Morris: Growing Up Black<br />
Toller Bildband mit Aufnahmen aus den 1960-er und 70-er<br />
Jahren des englischen Punk-Foto-grafen, der mit Bildern von<br />
Bob Marley und den Sex Pistols bekannt wurde.<br />
28<br />
29
Talent<br />
Foto: Akira Yamada, Text: Julia Christian<br />
Jing Liu<br />
gehört zu den talentiertesten<br />
New Yorker Architektinnen. Zusammen mit<br />
ihrem Mann gründete die gebürtige Chinesin<br />
nicht nur eine Familie, sondern auch das Büro<br />
„SO–IL“, dessen jüngstes großes Projekt der<br />
Messebau für die Frieze Art war. Ihre Entwürfe<br />
stehen für einen experimentellen Minimalismus,<br />
der den Alltag zum Abenteuer macht.<br />
J<br />
ing Liu ist keine Angeberin. Sie zählt nicht zu den Architekten,<br />
die mit jedem Gebäude die Bauwelt neu erfinden<br />
wollen und sich damit eigentlich nur selbst ein Denkmal<br />
setzen. Trotzdem ist alles neu, ja sogar abenteuerlich,<br />
was sich die gebürtige Chinesin und ihr Mann, der Niederländer<br />
Florian Idenburg, in ihrem Brooklyner Büro SO–IL ausdenken.<br />
Wegen ihnen hatte die aus London kommende, erstmals<br />
in New York stattgefundene Kunstmesse Frieze plötzlich Kurven<br />
– SO-LI erdachte eine temporäre Konstruktion, die wie eine<br />
Mischung aus lichtem Riesenzelt und weißer Schlange anmutete.<br />
Jing Liu, Jahrgang 1981, zieht im Alter von 13 Jahren mit ihrer Familie<br />
von China nach Japan. Als sie kurze Zeit später in der Schule<br />
ein Haus entwerfen soll, zeichnet Liu, die bis dato im chinesischen<br />
Sozialismus nur in zugeteiltem Wohnraum lebte, zwei große Kreise.<br />
Einen für sie, einen für ihre Kinder und einen noch größeren<br />
um beide herum, der so etwas wie ein Forschungsraum für beide<br />
Seiten sein sollte. Das Ergebnis: ein besorgter Lehrer, der glaubt,<br />
sie hätte häusliche Probleme. „Ich glaube, es war das erste Mal,<br />
dass ich darüber nachgedacht habe, was Architektur ist und was<br />
man mit ihr erreichen kann - nämlich die Welt gestalten.“<br />
2008 gründen Liu und Idenburg SO–IL, was die Abkürzung für<br />
„Solid Objectives“ ist. Die beiden bezeichnen SO–IL nicht als<br />
Architektur-, sondern als ideenbasiertes Designbüro. „Wir verstehen<br />
Architektur nicht als reine Dienstleistung. Für uns ist sie<br />
ein Mittel, um Ideen auszuprobieren und zu forschen. Deshalb<br />
finden uns viele kompliziert“, erklärt Liu und lacht dabei so leichtherzig,<br />
als wäre das Leben in New York, mit 31 Jahren, zwei<br />
Töchtern und zehn Angestellten ein Kinderspiel.<br />
„Es gibt sicher zwei Dinge, die an mir typisch chinesisch sind,<br />
und je länger ich arbeite, desto klarer wird mir das. Erstens ein<br />
„Man muss als Architekt an<br />
Fortschritt glauben.“<br />
gewisser Pragmatismus: Bei all den Umwälzungen die alle 20 Jahre<br />
in China passierten, lernt man, sich anzupassen und trotzdem<br />
sein eigenes Leben zu leben. Deshalb gehen wir auch bei SO–IL<br />
so selbstbezogen und experimentell mit unseren Projekten um“,<br />
erklärt Liu. „Das zweite ist, positiv zu bleiben. Man muss als<br />
Architekt an Fortschritt glauben.“<br />
Liu glaubt, gute Architektur schafft gute Menschen. Ganz unbewusst.<br />
Egal ob ein Gebäude schön oder hässlich ist, der Mensch<br />
wird von ihm beeinflusst. Wenn das stimmt, wünscht man sich,<br />
SO-IL würden ganze Städte und Landschaften mit ihren Entwürfen<br />
gestalten. Abenteuerlicher würde unser Alltag dann in<br />
jedem Fall. ende<br />
Die günstige 4-fach Flat für dein Smartphone: Special Complete Mobil<br />
• Daten-Flat zum Surfen und E-Mailen • SMS-Flat in alle dt. Netze<br />
• Flat ins Telekom Mobilfunknetz • HotSpot Flat<br />
Flat in ein weiteres dt. Mobilfunknetz oder<br />
100 Freiminuten in alle anderen dt. Netze<br />
Mehr Infos unter www.telekom.de/young oder im Telekom Shop.<br />
Lt. Heft 08/2011<br />
Heft 12/2011<br />
Telekom ist Testsieger<br />
im Test „Deutsche Mobilfunknetze“ 08/2011<br />
mit der Gesamtnote „Gut“.<br />
Note: 2,4<br />
4 Anbieter im Test.<br />
Das Telekom Netz zeigt die beste Netzverfügbarkeit<br />
und die höchsten Datenraten bei<br />
Dateidownloads im Test.<br />
30<br />
Jing Liu ist gebürtige Chinesin. Zusammen mit Florian Idenburg<br />
gründete sie 2008 in New York ihr Büro SO-il. Wir trafen Jing Liu im<br />
Rahmen einer Pressereise zur Kooperation zwischen Volkswagen<br />
und dem MoMa PS1.<br />
* Der Tarif Special Complete Mobil ist bis zum 31.12.2012 buchbar. Einmaliger Bereitstellungspreis 29,95 €. Mtl. Grundpreis 29,95 € (Variante ohne Handy).<br />
Für die ersten 24 Monate gilt für die Variante mit Handy ein mtl. Grundpreis von 34,95 € bzw. 39,95 €. Den für Sie gültigen Preis erfahren Sie in Ihrem<br />
Telekom Shop. Danach ist der mtl. Preis von 44,95 € (Variante mit Handy) zu bezahlen. Inlandsverbindungen außerhalb der Telekom Mobilfunkflat bzw. der<br />
gewählten Alternativ-Option 0,29 €/Minute. Ab einem Datenvolumen von 200 MB wirddie Bandbreite im jeweiligen Monat auf max. 64 kbit/s (Download)<br />
und 16 kbit/s (Upload) beschränkt. VoIP und Instant Messaging sind nicht Gegenstand des Vertrags. Die HotSpot Flatrate gilt nur für die Nutzung an<br />
dt. HotSpots (WLAN) der Deutschen Telekom.
stil<br />
super-seriensoMMer<br />
Was in Amerika und Großbritannien<br />
zurzeit an Serien gezeigt wird, ist wieder<br />
mal ganz großes Kino: „Downtown Abbey“<br />
und „Boardwalk Empire“ sind unsere<br />
momentanen Favoriten für regnerische<br />
Sommerabende. Zwar keine Serie, aber<br />
ein unglaublich toller Film ist „Im Himmel,<br />
unter der Erde“, der Geschichte und<br />
Geschichten des Jüdischen Friedhofs<br />
in Berlin-Weißensee lebendig und<br />
einfühlsam erzählt<br />
Im Himmel, unter der Erde 15 €<br />
Downtown Abbey & Boardwalk Empire<br />
ca.25 €<br />
boys club<br />
Loro Piana –<br />
Sonnenbrille<br />
Eigentlich bekannt als größter<br />
Cashmerehersteller, hat Loro<br />
Piana ganz nebenbei die perfekte<br />
Sonnenbrille entworfen!<br />
875 €<br />
OUTFIT<br />
duftkerze<br />
Manchmal lohnt es sich, in eine Duftkerze<br />
zu investieren. In diese zum<br />
Beispiel: L’Eclaireur aromatisiert laue<br />
Sommernächte.<br />
59 ¤<br />
leclaireur.com<br />
Brogue Boots<br />
ca. 480 €<br />
bbcicecream.eu<br />
Farbenfrohe Sohlen haben wir in den vergangenen Monaten<br />
oft genug gesehen. Mal dezent, mal auffällig, mal stilvoll –<br />
manchmal einfach schlecht kopiert. Als wir dachten, jetzt ist<br />
Schluss damit, landete ein Bild dieses Paars in unserem<br />
E-Mail-Postfach: Feinstes schwarzes Leder mit klassischen<br />
Applikationen, dazu eine bunte Gummisohle, chic, chic. Sie<br />
stammen aus dem Hause Billioniare Boys Club und Ice Cream,<br />
die zwei Edel-Streetwearlabels von Nigo und Sänger Pharrell<br />
Williams. Auf bbcicecream.com kann man Pharrell dank Blog<br />
durch sein dekadentes Leben begleiten. Wichtiger Hinweis:<br />
Es handelt sich hierbei um Männerschuhe! Sie sind somit<br />
erst ab Größe 41 erhältlich.<br />
Foto: Jenny: Van Sommers, Set Design: Rachel Thomas<br />
Converse<br />
Der unzerstörbare<br />
Klassiker: Die neuen Jack<br />
Purcell by Converse<br />
Sneaker in satten Farben<br />
tragen wir bis in alle<br />
Ewigkeit.<br />
110 €<br />
Foto: Sabine Volz<br />
badeanzug<br />
1946 präsentierte Louis Réard erstmals<br />
seinen Bikini im Pariser Nobelbad ‚Molitor’.<br />
Dafür musste er die Nackttänzerin Micheline<br />
Bernardini engagieren, da kein Model sich<br />
traute, die freizügige Badekleidung in der<br />
Öffentlichkeit anzuziehen. Dies sollte sich in<br />
den Folgejahren ändern: Zu sehen war immer<br />
weniger Stoff und immer mehr Haut. Wohin<br />
sind nur all die schönen Badeanzüge? Wir<br />
haben zumindest einen wiedergefunden,<br />
der im Sommer wieder am Strand statt im<br />
Schrank landen sollte.<br />
Eine Hülle wie für die aus<br />
Meerschaum geborene<br />
Aphrodite - macht Sie zur<br />
Liebesgöttin des Sommers!<br />
Preis auf Anfrage<br />
dieselblackgold.com<br />
rimowa<br />
Man braucht nur<br />
einen einzigen Koffer:<br />
diesen hier.<br />
Topas Stealth<br />
799 €<br />
rimowa.de<br />
ca. 350 €<br />
eresparis.com<br />
33
Talent<br />
Foto: Ariane Hosemann, Text: David Torcasso<br />
„Ich teile meine<br />
Geheimnisse mit<br />
der Welt.“<br />
Bethany<br />
Cosentino<br />
will auf der ganzen Welt berühmt<br />
sein. In den USA ist<br />
sie das mit dem rotzigen Surf-<br />
Pop ihrer Band Best Coast<br />
schon. Jetzt hat sie zusammen<br />
mit Urban Outfitters eine<br />
eigene Kollektion entworfen.<br />
Best Coast ist die Band von Sängerin Bethany<br />
Cosentino und Bob Bruno. Gefunden und gegründet<br />
haben sie sich 2009 in Los Angeles, Kalifornien.<br />
Ihr zweites Album ‚The Only Place‘ ist vor kurzem<br />
bei Wichita Recordings erschienen.<br />
B<br />
ethany Cosentino liebt L.A.,<br />
und L.A. liebt Bethany Cosentino.<br />
„Ich mag Surfen und bin<br />
ein Homebuddy, der lieber mit<br />
Freunden Wein trinkt als in Clubs abzustürzen“,<br />
sagt die Sängerin der Band Best<br />
Coast. Davor hat Bethany ein Jahr in New<br />
York gelebt, weil sie genug hatte von<br />
Kalifornien. Um die Kälte an der Ostküste<br />
im Winter zu ertragen, hörte sie in ihrem<br />
kleinen Apartment Beach Boys oder The<br />
Mamas and the Papas – bis sie selbst<br />
solche Musik machen wollte. Um ihre Band<br />
zu gründen, zog Bethany von New York<br />
an ihre „Best Coast“ zurück, wo sie vor 24<br />
Jahren in Los Angeles geboren wurde.<br />
Ihr leidenschaftlicher Surf-Rock ist von<br />
großen Legenden inspiriert, aber gefühlvoller:<br />
„Meine Songs sind ein öffentliches<br />
Tagebuch. Ich teile meine Geheimnisse<br />
mit der Welt.“ In den USA sind Best Coast<br />
in den letzten zwei Jahren durch ihren<br />
„California Dreaming“-Sound ziemlich bekannt<br />
geworden. Das erste Album „Crazy<br />
for you“ wurde wegen seines authentischen<br />
Lo-Fi/60ties/Garage-Rock-Feelings<br />
gelobt. Ihre Musik ist ein Liebesbrief<br />
an Kalifornien und erzählt von sonnigen<br />
Tagen am Strand und komplizierten<br />
Surferboys.<br />
„Es wäre toll, auf der ganzen Welt berühmt<br />
zu sein. Aber nicht so wie Lady Gaga.<br />
Das wäre mir zu anstrengend“, sagt die<br />
24-Jährige. Doch wie Lady Gaga versucht<br />
sich Cosentino nun in Fashion: Für das<br />
amerikanische Label Urban Outfitters hat<br />
die Sängerin eine Minikollektion im Vintagelook<br />
entworfen. Eine Auszeichnung, denn<br />
die einzige Musikerin, die bislang mit dem<br />
Label zusammenarbeitete, war die Grand<br />
Dame des Indie-Rock - Kim Gordon von<br />
Sonic Youth. Während Cosentino bei ihren<br />
Liedern aus den 60-er Jahren schöpft,<br />
rückt sie bei ihrem Modestil knapp zwei<br />
Jahrzehnte in die späten 70-er und frühen<br />
80-er vor. „Stevie Nicks von Fleetwood<br />
Mac war nicht nur eine großartige Sängerin,<br />
sondern hatte auch einen tollen Stil.<br />
Sie ist ein Vorbild für mich und die Kollektion.“<br />
Darüber hinaus inspirieren<br />
Cosentino Filme wie das Groupie-Märchen<br />
„Clueless“.<br />
Bethany kann ohne ihre Lieblingsteile und<br />
Schmuck nicht auf die Bühne gehen. „Vor<br />
einer Tour kaufe ich mir immer viele neue<br />
Klamotten“, lacht sie. Sie mag Ankle Boots,<br />
weite Kleider oder Ballerina-Mode. Für<br />
ihre eigenen Entwürfe hat sie nicht selbst<br />
Hand angelegt. „Ich sagte den Designern,<br />
ich möchte einen Jumpsuit aus Leder oder<br />
eine Jacke mit einer bestimmten Art von<br />
Knöpfen. Sie haben mir ein Beispiel geschneidert,<br />
und ich sagte ja oder nein“,<br />
erzählt Bethany. Ihre Entwürfe sind ein<br />
wilder Mix aus Vintage-Klassikern, versetzt<br />
mit einer modernen Note: Ein Kleid<br />
wird zur Shorts, eine Jeansjacke zu einem<br />
Pullover. Alles ist bunt - genauso wie<br />
die Blumenjeans, die sie zum Interview<br />
trägt. ende<br />
portlandia<br />
Neben „Extras“ gehört „Portlandia“ zu den lustigsten Serien,<br />
die wir seit langem gesehen haben. Der ehemaligen „Saturday<br />
Night Live“-Darsteller Fred Armisen und die brillante Ex-<br />
„Sleater-Kinney“-Sängerin Carrie Brownstein parodieren<br />
so genau die Lebenswelt der Thirtysomethings, dass man<br />
denken könnte, Portland liegt in Berlin oder Hamburg.<br />
Die zweite Staffel ist in Amerika soeben zu Ende gegangen,<br />
bis Januar müssen wir uns gedulden, dann erscheint<br />
die dritte.<br />
35
stil<br />
Foto: Christian Hagemann<br />
Spritzen-beauty<br />
Normalerweise gehören Spritzen nicht ins Gesicht, es sei denn ,<br />
man liegt auf dem Zahnarztstuhl. Bei diesen gläsernen und farbig<br />
gefüllten Spritzen machen wir aber eine Ausnahme: Zur<br />
Basiscreme gibt es verschiedene Ampullen mit verschiedenen<br />
Wirkstoffen, die man individuell wählen kann. Sepai setzt auf<br />
neueste Molekular- und Biotechnologie und bekämpft so<br />
alle Ursachen der Hautalterung. Warum sollte man also noch<br />
zu anderen Spritzen greifen wollen?<br />
sepai.eu
AGenda<br />
Klassik picknickt<br />
Essen und Musik gehören zu<br />
den Genussmitteln, auf die wir<br />
auf keinen Fall jemals verzichten<br />
wollen. Beides kombiniert in<br />
sommerlicher Atmosphäre?<br />
Besonders gerne! Vor der Gläsernen<br />
Manufaktur laden Volkswagen<br />
und die Staatskapelle wieder dazu<br />
ein, mit Klasse und Klassik zu<br />
picknicken. Also Freunde, Decke<br />
und eine Flasche Wein einpacken<br />
und etwa Rachmaninows Klavierkonzert<br />
Nr. 3 in d-Moll beim Open<br />
Air lauschen.<br />
Another<br />
London<br />
Wenn Fotografie-Legenden wie<br />
Elliott Erwitt, Robert Frank und<br />
Irving Penn auf Städtereise gingen,<br />
sahen ihre Urlaubsfotos nicht aus<br />
wie Schnappschüsse, sondern wie<br />
große Kunst. Das Tate widmet solchen<br />
Arbeiten jetzt eine Ausstellung:<br />
In insgesamt 180 Fotografien von<br />
1930 bis 1980 zeigt die Schau besondere<br />
Blickwinkel auf London. Und<br />
jedem Hobby-Knipser, wie es geht.<br />
es gibt...<br />
Der Titel der Gruppenausstellung „Es gibt…“ bezieht sich auf den<br />
Werbespruch eines Baumarkts, „Es gibt immer was zu tun“, sowie auf<br />
Adornos berühmte Sentenz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“<br />
(was viele vergessen: Adorno schrieb das nicht über Politik - sondern<br />
über Inneneinrichtung!). Arbeiten von 36 Künstlern, darunter Martin<br />
Kippenberger, Donald Judd, Jan Muche, Madeleine Boschan oder Albert<br />
Oehlen, setzen sich in Skulpturen und Malerei mit der Einrichtung<br />
der Welt auseinander: Wie leben wir, wie könnten wir leben? sind die<br />
wichtigen Fragen dieser Ausstellung, die auf dem wunderschönen<br />
Gelände des ehemaligen Nato-Munitionslagers bei Montabaur (unweit<br />
von der Documenta-City Kassel) stattfindet.<br />
bis 16. September<br />
b-05 Kunst- und Kulturzentrum Association e.V., Montabaur<br />
Der Eintritt kostet 5 €, mehr Infos<br />
unter staatskapelle-dresden.de<br />
PoliÇa Konzert<br />
Frankfurt, ZOOM, 2. Juli<br />
München, Atomic Café, 6. Juli<br />
Hamburg, Stadtpark, 8. Juli<br />
Köln, Tanzbrunnen, 9. Juli<br />
In der Redaktion lief „Lay Your Cards<br />
Out“ rauf und runter, spätestens wenn bei<br />
Sekunde 25 im ersten Stück der Beat<br />
einsetzt, weiß man: Das wird groß! Wir<br />
vertrauen auf den Musikgeschmack<br />
von Jay-Z und Bon Iver und behaupten,<br />
dass diese junge Frau zu den vielversprechendsten<br />
Newcomern des Jahres gehört.<br />
Und weil wir nicht genug bekommen,<br />
sind wir froh, dass sie auf Deutschlandtour<br />
geht.<br />
27. Juli – 16. September<br />
Tate Britain, London<br />
Frau Tonis Parfum<br />
Der Duft eines Menschen entscheidet, ob<br />
wir ihn sympathisch finden oder nicht.<br />
Frau Tonis steht schon seit 1926 in Berlin<br />
mit Nase und Beratung zur Seite und<br />
kreiert aus zahllosen Ingredienzien ein<br />
ganz individuelles Parfüm. Wem das zu<br />
viel des Guten ist, kann bei Frau Tonis<br />
auch fertige Düfte kaufen, beispielsweise<br />
„Reines Veilchen“, den einstigen Lieblingsduft<br />
von Marlene Dietrich. Männerdüfte<br />
gibt es natürlich auch.<br />
Zimmerstraße 13, 10969 Berlin<br />
frau-tonis-parfum.com<br />
Another London: © Martine Franck / Magnum Photos<br />
Documenta: © Nils Klinger<br />
patti smith<br />
Sie gilt als Godmother of Punk, ihr erstes Album<br />
„Horses“ als eines der wichtigsten der 70er<br />
Jahre. Als junge Frau zog sie zusammen mit dem<br />
Fotografen Robert Mapplethorpe nach New<br />
York, dort ließ sie sich zum Singen ermutigen<br />
und wurde weltberühmt. Zwischendurch tauchte<br />
sie fast 15 Jahre ab, weil sie Mutter wurde,<br />
dann wieder auf und machte nahtlos das weiter,<br />
womit sie aufgehört hatte: gute Musik. Doch<br />
Songtexte reichten Smith nicht, sie schrieb ein<br />
autobiographisches Buch mit dem Titel „Just<br />
Kids“. Es wurde in Amerika zum Bestseller und<br />
auch sonst auf der Welt begeistert verschlungen.<br />
Jetzt hat sie ihr neues Album „Banga“ herausgebracht,<br />
auf dem auch Johnny Depp Gitarre<br />
spielt. Ihre kratzige Stimme hat auch mit 65<br />
Jahren nichts an Kraft verloren. Die Songs<br />
widmet sie unter anderem denen, die gegangen<br />
und verstorben sind. Sie selbst befindet sich<br />
zur Zeit auf großer Welttournee, als wolle sie<br />
sagen: Ich bin die, die das alles überlebt hat,<br />
ich bin immer noch da.<br />
11. Juli Tempodrom, Berlin<br />
documenta<br />
Endlich ist es wieder soweit: Nach<br />
fünf Jahren Pause eröffnete im<br />
Juni die wohl bedeutendste<br />
deutsche Kunstausstellung. 100<br />
Tage lang kann man sich einen<br />
Überblick über die – so zumindest<br />
die Leiterin Carolyn Christov-<br />
Bakargiev – wichtigsten Künstler<br />
der Welt ansehen, kann sich<br />
mitreißen und inspirieren lassen,<br />
um beim Ausgang traurig festzustellen,<br />
dass man jetzt wieder<br />
fünf Jahre warten muss. Christov-<br />
Bakargiev rechnet mit 750.000<br />
Besuchern aus der ganzen Welt.<br />
Wir werden definitiv dabei sein,<br />
Sie mit Sicherheit auch.<br />
bis 16. September, Kassel<br />
38<br />
39
AGenda<br />
Ralph Gibson<br />
Am Ende eines viel<br />
zu kurzen Tages<br />
Beim Lesen haben wir Rotz<br />
und Wasser geheult, jetzt wird<br />
Anthony McCartens 2007<br />
erschienener Roman „Superhero“<br />
endlich verfilmt: Es ist<br />
die Geschichte eines krebskranken<br />
Jungen, dessen Leben<br />
an einem seidenen Faden hängt<br />
und der sich immer wieder<br />
in die Welt eines Superhelds<br />
träumt. Begleitet wird der 14-<br />
Jährige dabei vom Psychologen<br />
Dr. Adrian King. Unbedingt<br />
anschauen – und am besten<br />
vorher das Buch besorgen!<br />
Kinostart: 30. August<br />
Familientreffen<br />
mit Hindernissen<br />
So oft selbst durchstanden, so oft in<br />
Büchern und Filmen thematisiert: Familientreffen.<br />
Dieses findet im Sommer<br />
1979 in der Bretagne statt – an dem Tag<br />
und an dem Ort, für den der Absturz<br />
der US-Raumstation Skylab vorausgesagt<br />
wurde. Wer denkt, damit wäre der<br />
Zusatz „Hindernisse“ bereits abgehandelt,<br />
hat weit gefehlt. Denn neben der<br />
drohenden Weltraum-Katastrophe muss<br />
das Mädchen Albertine das Erwachsenwerden<br />
meistern – unter den Augen<br />
ihrer Familie. Julie Delpy ist dabei nicht<br />
nur die fürsorgliche Mutter, sondern<br />
auch Regisseurin dieser Sommerkomödie.<br />
Kinostart: 9. August<br />
bis 4. August 2012<br />
Camera work, Berlin<br />
Nach seinem Studium arbeitete Ralph Gibson,<br />
heute 73 Jahre, erst als Assistent der Dokumentarfotografin<br />
Dorothea Lange, dann unterstützte<br />
er Robert Frank bei dessen Film „Me<br />
and My Brother“. In den Sixties gründete er<br />
seinen eigenen Verlag. Bekannt ist der New<br />
Yorker, der immer mit Leica arbeitet, vor allem<br />
durch die surreale Schwarz-Weiß-Serie<br />
„Somnambulist“ und seine poetischen Akte<br />
als Silbergelatine-Prints geworden. Eines der<br />
Bilder wählte Peter Saville für die Gestaltung<br />
der Platte „Unknown Pleasures“ von Joy<br />
Division. Da man sich in Sachen Fotografie<br />
immer auf die Galerie CAMERA WORK<br />
verlassen kann, tun wir es auch diesmal.<br />
Ralph Gibson: links: © Ralph Gibson, Leda, 1974 , rechts: © Ralph Gibson, Untitled, 1969<br />
Larry Clark: © Courtesy of Larry Clark, Luhring Augustine, New York, Simon Lee Gallery, London / Gunther Sachs: links: © Keystone, 1965 / rechts: VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />
Highlights aus der Sammlung Gunter sachs<br />
Anfang der 60er wurde<br />
er als Lebemann bekannt<br />
und berüchtigt, umgab sich<br />
mit schönen Frauen wie<br />
Brigitte Bardot, reiste um<br />
die Welt - ein Meister des<br />
Savoir Vivre. Doch Gunter<br />
Sachs machte sich auch<br />
als Fotograf wie als Kunstsammler<br />
einen Namen.<br />
Andy Warhol, Roy Lichtenstein,<br />
Salvador Dalí und<br />
viele mehr zählte der<br />
Industriellenerbe, der sich<br />
vergangenes Jahr das<br />
Leben nahm, zu seinen<br />
Freunden; regelmäßig rief er Kunstausstellungen in der Villa Stuck ins Leben.<br />
Diese zeigt nun eine Auswahl aus Sachs’ beachtlicher Sammlung - als Hommage<br />
an den einzigen deutschen Playboy.<br />
Journey<br />
Wer mit der digitalen Spiele- und<br />
Zockerwelt bislang nichts anfangen<br />
konnte, sollte ihr eine neue Chance<br />
geben. Denn jetzt gibt es „Journey“,<br />
das Spiel, das so einfach wie anspruchsvoll<br />
ist, das poetische Rätsel<br />
aufgibt, irgendwo zwischen Sanddünen<br />
und Felswänden. Man wird eins<br />
mit der vermummten Spielfigur, von<br />
der man nichts weiß und auch nach<br />
langen Spielen nichts erfahren wird.<br />
12 ¤<br />
Ab und an trifft man Weggefährten,<br />
die in Wirklichkeit andere Zocker<br />
sind. Kommunizieren kann man nicht,<br />
stattdessen aber der eigens vom Orchester<br />
eingespielten Musik lauschen.<br />
Irgendwann, so scheint es, vergisst<br />
man die surrende Playstation und<br />
träumt sich davon. Sie haben keine Ahnung,<br />
wovon wir hier reden? Probieren<br />
Sie „Journey“ aus, dann werden<br />
Sie uns verstehen.<br />
bis 12. August<br />
c/o Berlin<br />
LARRY<br />
CLARK<br />
18. Oktober bis 20. Januar 2012<br />
Villa Stuck, münchen<br />
In seinem ersten Fotoband „Tulsa“ dokumentierte<br />
er 1971 die Drogenszene seiner<br />
gleichnamigen Heimatstadt und machte<br />
damit vor, was unzählige Fotografen bis<br />
heute nachahmen. In seinen darauffolgenden<br />
Bildbänden beschäftigte er sich vor<br />
allem mit Teenagern und ihrer Sexualität,<br />
so auch 1995 in seinem ersten Film „Kids“<br />
mit Chloë Sevigny in einer Hauptrolle.<br />
C/O Berlin zeigt derzeit eine umfassende<br />
Werkschau. Unbedingt ansehen.<br />
40<br />
41
AGenda<br />
KONZERTE<br />
Santigold<br />
Köln, Live Music Hall, 11. Juli<br />
München, Backstage Werk, 18. Juli<br />
Berlin, Astra, 20. Juli<br />
Regina Spektor<br />
Paris, Le Trianon, 5. Juli<br />
Wien, Konzerthaus, 18. Juli<br />
Berlin, Tempodrom, 22. Juli<br />
Leonard Cohen<br />
Berlin, Waldbühne, 5. September<br />
Mönchengladbach, Hockeypark,<br />
6. September<br />
SCHAUSPIELhaus HAMBURG<br />
Während die Festivalsaison so<br />
langsam zu Ende geht, sollte man<br />
sich direkt schon wieder Tickets<br />
für die nächsten anstehenden<br />
Konzerte sichern. Santigolds Album<br />
hat alle Erwartungen erfüllt,<br />
„Disparate Youth“ kündigte den<br />
Sommer schon im Frühling an,<br />
ihre Konzerte sollte man also<br />
keinesfalls verpassen. Regina<br />
Spektor meldet sich nach drei<br />
Jahren mit „What We Saw From<br />
The Cheap Seats“ zurück und<br />
feiert das mit einer ausgiebigen<br />
Sommertour. Genau wie Musiklegende<br />
Leonard Cohen: „Old<br />
Ideas, das zwölfte Studioalbum<br />
des schwermütigen Pop-Giganten,<br />
erschien bereits vor sechs<br />
Monaten, das kommende halbe<br />
Jahr wird er auf Tour sein.<br />
Impromptus<br />
Spätestens seit ihrer Choreografie „Allee der Kosmonauten“<br />
kennt man ihren Namen: Sasha Waltz gehört nach Pina<br />
Bausch zu den Größen des deutschen Tanzes. Im Sommer<br />
kehrt sie für einige Aufführungen zurück ins Radialsystem V,<br />
was unter anderem auch Proberaum für sie und ihre Kompanie<br />
ist. Wer sie einmal auf der Bühne hat tanzen sehen weiß,<br />
dass moderner Tanz mehr als nur Schrittabfolgen und schräge<br />
Akrobatik ist. Sasha Waltz steht für eindrucksvollen Ausdruck<br />
und Leidenschaft, für vertanztes Denken.<br />
Ab nach Kassel<br />
Die aktuelle Monopol-Ausgabe zur Documenta.<br />
Jetzt im Handel.<br />
8. - 12. September<br />
Sasha Waltz<br />
Radialsystem V, Berlin<br />
bMW GuGGenheim lab<br />
Theater am Turm, Frankfurt, Royal Court<br />
Theatre, London, Burgtheater, Wien,<br />
Volksbühne, Berlin – ja, die Liste der<br />
Bühnen, auf denen Theaterstar Pollesch<br />
inszenierte, kann sich sehen lassen. Sehen<br />
sollte man aber vor allem sein neustes<br />
Stück - mit <strong>Sophie</strong> Rois in der Hauptrolle -,<br />
das Anfang September Premiere feiert.<br />
Darin geht es um die Liebe und die<br />
Austauschbarkeit des Menschen. Wie<br />
immer lässt Pollesch genial den Zeitgeist<br />
über die Bühne spuken.<br />
René Pollesch<br />
Neues vom Dauerzustand<br />
Premiere: 6. September<br />
Schauspielhaus Hamburg<br />
Es wurde diskutiert, entschieden,<br />
doch wieder<br />
diskutiert – das Kunstprojekt<br />
BMW Guggenheim Lab hatte<br />
keinen leichten Start. Nun<br />
ist es also im Berliner Stadtteil<br />
Prenzlauer Berg stationiert<br />
und versteht sich (wie bereits<br />
bei der ersten Station in<br />
New York) als temporäres Labor<br />
für Konzepte, Ideen und<br />
Designs für das moderne<br />
urbane Leben. Die Liste der<br />
Gastredner liest sich vielversprechend,<br />
auch die angekündigten<br />
Projekte klingen<br />
spannend – einen Eindruck<br />
sollte sich jeder am besten<br />
selbst machen, denn es betrifft<br />
uns ja alle, das Leben<br />
in der Stadt.<br />
bis 29. Juli, Berlin<br />
BMW Guggenheim: © Courtesy Atelier Bow-Wow, Sasha Waltz: © Sebastian Bolesch<br />
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durchbruch<br />
Foto: Mirjam Wählen, Interview: Nella Beljan<br />
Phillipa Brown<br />
hat unter dem Namen<br />
Ladyhawke Millionen Platten verkauft und ist der bekannteste<br />
Pop-Export Neuseelands. Auch Courtney Love und<br />
Kylie Minogue zählen zu ihren Fans. Doch die 33-Jährige<br />
ist nicht nur hypermusikalisch. Vor einigen Jahren wurde bei<br />
ihr das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus,<br />
diagnostiziert. Umso beeindruckender, dass ihr dennoch<br />
eine Weltkarriere gelang.<br />
I<br />
n einem Ihrer Lieder singen Sie ‚<br />
‚I saw you dancing with a girl like me ‘.<br />
Was für eine Art von Mädchen<br />
sind Sie denn?<br />
Phillipa Brown Ich kann das nicht so genau<br />
sagen. Ehrlich gesagt habe ich mir<br />
in dem Lied vorgestellt, wie der Mann mit<br />
mir tanzt. Ich kann mir niemanden sonst<br />
als mich vorstellen. Ich bin halt ich und<br />
weiß nur, wie ich mich fühle. Ich finde das<br />
sehr schwer, mir vorzustellen, wie andere<br />
mich einschätzen.<br />
Und wenn Sie daran denken, wie Ihre<br />
Mutter Sie beschreibt?<br />
P B Als sehr ruhig und schüchtern. Und<br />
besessen von Musik. Meine Mutter ist<br />
ziemlich stolz auf mich.<br />
Es ist auffällig, dass Sie Männerkleidung<br />
tragen. Ich habe mal gelesen, dass Sie das<br />
machen, um die Geschlechtergrenzen<br />
aufzuweichen.<br />
P B Ja, das stimmt. Ich habe immer schon<br />
mehr Jungssachen angehabt. Ich mag diese<br />
Gender-Limitierungen nicht. Diese Einschränkungen<br />
beginnen schon im Kindesalter.<br />
Kinder wollen einfach nur spielen,<br />
ob mit Trucks oder Puppen. Und dann kommen<br />
die Erwachsenen dazwischen und<br />
nehmen ihnen ihr Spielzeug weg, weil<br />
Barbies nichts für Jungs seien oder Autos<br />
nichts für Mädchen. Und stecken sie in<br />
rosa oder hellblaue Sachen. Das ist so<br />
unfair! Ich selbst habe darunter als Kind<br />
ziemlich gelitten. Also ziehe ich mittlerweile<br />
gar keine Frauenkleidung an. Von den<br />
Stiefeln über die Jeans bis hin zum Pulli<br />
trage ich ausschließlich Männersachen. Das<br />
ist mein Protest.<br />
Sie wirken auch in Männerkleidung<br />
ziemlich feminin.<br />
P B Genau darum geht es. Männerkleidung<br />
macht mich nicht weniger weiblich.<br />
Gerade wegen Ihrer Outfits gelten Sie<br />
als modisches Vorbild. Macht Sie das<br />
nicht noch nervöser? Sie sollen ohnehin<br />
ziemliches Lampenfieber haben.<br />
P B Ja, ich bin dann dermaßen aufgeregt,<br />
dass ich mich schlagartig krank fühle. Oft<br />
muss ich mich übergeben, so schlimm ist<br />
das. Ich ertrage vor meinen Auftritten auch<br />
keinen Lärm und überhaupt keine Geräusche<br />
oder Menschen um mich herum.<br />
Manchmal bin ich sogar mitten in einer<br />
Show von der Bühne gerannt.<br />
Was machen Sie, um sich zu beruhigen?<br />
In welchem Moment hört die Nervosität<br />
manchmal auf?<br />
P B Ich trinke Bier. Alkohol beruhigt mich<br />
und lockt mich irgendwann aus meinem<br />
Schneckenhaus hervor. Ich rauche nicht, ich<br />
weiß mit 33 nicht einmal, wie eine<br />
Zigarette schmeckt und habe auch noch<br />
nie andere Drogen probiert. Aber Alkohol<br />
hilft mir. Dann bitte ich alle Leute um mich<br />
herum, mich alleine zu lassen. Und kauere<br />
mich wie ein kleiner Igel zusammen. Damit<br />
schirme ich mich von Lärm und Licht<br />
und Außen ab. So bleibe ich, bis ich auf<br />
die Bühne gehe. Manchmal hört das Lampenfieber<br />
auf, sobald ich vorm Mikro stehe.<br />
Manchmal aber auch nicht. Dann schaue<br />
ich auf den Zettel mit der Songfolge und<br />
denke: ‚Oh, Gott, noch so viele Lieder’ und<br />
kann es kaum erwarten, sie alle hinter<br />
mir zu haben.<br />
Sie haben Bühnenangst, sind äußerst<br />
schüchtern und mögen Blickkontakt<br />
nicht so gern. Schauen Sie dann bei den<br />
Shows überhaupt in die Gesichter im<br />
Publikum?<br />
P B Wenn ich auf der Bühne stehe, sehe<br />
ich meine Fans gar nicht. Das überfordert<br />
mich. Meist schließe ich auch die<br />
Augen, wenn ich meine Songs singe, das<br />
beruhigt mich ebenfalls ungemein. Ich<br />
kommuniziere auf der Bühne höchstens<br />
mit den vorderen, ersten Reihen der<br />
Konzertbesucher, da stehen immer die<br />
Hardcore-Fans. Dass sie meine Musik<br />
und mich sehr mögen, flößt mir Ruhe und<br />
Selbstvertrauen ein, da kann ich ihnen<br />
ins Gesicht blicken.<br />
Vor einigen Jahren wurde bei Ihnen das<br />
Asperger-Syndrom festgestellt, das zum<br />
Autismusspektrum gezählt wird und<br />
auch als Wrong Planet Syndrom bezeichnet<br />
wird (Anm.: Menschen mit Asperger<br />
fühlen sich oft, als seien sie auf dem<br />
falschen Planeten, da sie die Verhaltensweisen<br />
und emotionalen Konventionen<br />
der anderen nicht verstehen). Waren Sie<br />
froh, als Sie einen Namen dafür hatten,<br />
dass Sie sich anders fühlen? Hat sich<br />
damit etwas für Sie verändert?<br />
P B Ja und nein. Auf der einen Seite war ich<br />
irgendwie erleichtert, weil auf einmal klar<br />
war, wieso ich schon als Kind immer so<br />
ruhig, so zurückgezogen war oder mich<br />
stundenlang mit Puzzles beschäftigt habe.<br />
Für meine Mutter und mich gab es viele<br />
Aha-Erlebnisse, wenn wir von den<br />
Symptomen lasen. Aber eigentlich war es<br />
für mich nicht so wichtig. Ich bin halt ich,<br />
und nun habe ich einen Namen für einige<br />
Phänomene an mir, die andere seltsam<br />
finden. Es weisen aber viele Menschen<br />
diese Verhaltensweisen auf. Ganz<br />
bestimmt sehr viel mehr, als in den Statistiken<br />
auftauchen. Ich beobachte das ja<br />
an meinen Freunden und den Leuten um<br />
mich herum und denke: Die haben auch<br />
alle Asperger und sollten zum Arzt gehen.<br />
Und was würde sich dann ändern?<br />
Warum wäre es gut, zum Arzt zu gehen?<br />
P B Stimmt. Sie haben Recht. Die müssen<br />
nicht zum Arzt gehen. Mir haben die<br />
Tourneen und der Job geholfen. Dadurch<br />
treffe ich auf so viele fremde und unterschiedliche<br />
Menschen und habe schon viel<br />
besser gelernt, mit bestimmten Situationen<br />
umzugehen. Mein Leben hat sich, als<br />
bekannt wurde, dass ich Asperger habe,<br />
nämlich ganz schön verändert, das mochte<br />
ich gar nicht. Weil auf einmal diese große<br />
mediale Aufmerksamkeit da war und ich<br />
nur noch auf das Asperger festgelegt<br />
wurde, als sei das und nur das meine Identität.<br />
Es ist aber nur ein Teil.<br />
Das war bestimmt schwer. Und dann<br />
kursieren auch noch falsche, pauschale<br />
oder konträre Annahmen über Asperger.<br />
Früher ging man davon aus, dass<br />
Asperger-Menschen lieber für sich seien.<br />
In einem Ihrer Songs sprechen Sie aber<br />
davon, dass es schrecklich sei, wenn<br />
jemand ginge und dass Sie nicht alleine<br />
sein wollen.<br />
„Ich genieße Nähe. Aber<br />
Umarmungen mag<br />
ich nicht so gerne ... In<br />
Europa umarmt man<br />
sich ständig und verteilt<br />
Küsschen. Das ist<br />
der Horror für mich.“<br />
P B Ja, ich singe ständig davon. Darum<br />
dreht sich mein ganzes Schreiben, alle<br />
meine Lieder sind voll davon, dass ich es<br />
nicht mag, alleine zu sein. Dann bin ich<br />
nämlich allein mit meinen Gedanken und<br />
kreise die ganze Zeit um mich.<br />
Wie funktionieren Partnerschaften bei<br />
Ihnen? Können Sie Nähe zulassen?<br />
P B Ich brauche ziemlich lange, bis ich<br />
mich auf jemanden einlasse. Aber wenn<br />
ich erst einmal vertraue, dann genieße<br />
ich Nähe und möchte gern Zeit mit dem<br />
Menschen verbringen und ihn um mich<br />
herum haben. Das wird mir dann sehr<br />
wichtig. Umarmungen und Gedrücktwerden<br />
mag ich aber auch heute noch<br />
nicht so gern.<br />
Sie waren bestimmt schon in vielen merkwürdigen<br />
Situationen, weil Sie Umarmungen<br />
nicht so mögen, oder?<br />
P B Ja, absolut! Ich habe damit immer<br />
wieder komische Erlebnisse und daran<br />
merke ich ganz besonders, dass ich offenbar<br />
anders bin. Besonders hier in Europa.<br />
Hier umarmt man sich ständig, sogar<br />
zur Begrüßung, auch wenn man sich gar<br />
nicht so gut kennt!<br />
Und Küsschen rechts und links!<br />
P B (lacht) Ja, das ist der Horror für mich!<br />
Ich habe zum Beispiel einmal einen sehr<br />
netten Mann kennen gelernt. Ich glaube, er<br />
war Italiener. Ich sehe ihn das zweite Mal<br />
und er wollte mich mit Küsschen auf die<br />
Wangen begrüßen. Mir war das aber nicht<br />
klar. Ich werde nie vergessen, wie er auf<br />
meine ausgestreckte Hand starrte, als sei<br />
sie ein Alien. (lacht) Er sagte mir dann,<br />
dass man sich bei ihm anders begrüße.<br />
Also musste ich, mittlerweile völlig verstockt,<br />
ihm auch noch Küsschen auf beide<br />
Wangen geben. Das war schrecklich!<br />
Wenn Sie unterwegs sind, haben Sie<br />
immer eine Band dabei. Sie gehen auch<br />
mit den Leuten aus, verbringen Ihre<br />
gesamte Zeit mit ihnen. Wie ist das?<br />
P B Ach, meine Band ist super, wir<br />
verstehen uns sehr gut. Wir lachen über<br />
Situationen wie die mit dem Italiener.<br />
Bei meine Band kann ich sein wie ich bin.<br />
Das ist sehr angenehm. Ich laufe immer<br />
ziemlich schluffig herum, ich trage oft Hüte<br />
und mache mich unsichtbar. Für mein<br />
Team ist das völlig okay. Schlimm wird es<br />
nur, wenn wir Videos drehen. Wenn ich<br />
gefilmt werde, wie ich einfach nur die<br />
Straße entlanglaufe, sieht das fürchterlich<br />
aus. Ich gehe einfach nicht gerade. Und<br />
dann muss eine Szene zwanzig Mal<br />
wiederholt werden. Dabei gebe ich mir<br />
echt Mühe! (lacht) Bis es einigermaßen<br />
telegen wirkt, treibe ich die Leute am<br />
Set fast in den Wahnsinn! Glücklicherweise<br />
müssen wir nicht oft Videos drehen.<br />
Sie sollen ziemlich viele Instrumente<br />
spielen.<br />
p b Haben Sie gelesen, es seien zehn? Das<br />
stimmt nämlich nicht! (lacht) Es sind<br />
schon ein paar Instrumente, die ich spiele,<br />
und auf meinen Alben nehme ich am<br />
liebsten alles alleine auf. Aber ich finde es<br />
auch toll, eine Band zu haben. Auf der<br />
Bühne spiele ich meist Gitarre und singe.<br />
Aber eigentlich sind die Drums mein<br />
Instrument. Manchmal bin ich bei Auftritten<br />
neidisch, weil ich gern am Schlagzeug<br />
sitzen würde und dann richtig<br />
reinhauen könnte. ende<br />
PHILLIPA BROWN wurde 1979 in Masterton, Neuseeland<br />
geboren. International bekannt wurde sie 2008 mit<br />
ihrem Song „Paris is Burning“. Ihr zweites Album<br />
„Anxiety“ ist gerade bei Universal Music erschienen.<br />
45
pin-up<br />
Foto: ZDF, © 2009 Carin Baer /AMC/ Lionsgate, Text: Doris Hardt<br />
Jon Hamm<br />
spielt den New Yorker Werber Don Draper in der gigantisch<br />
erfolgreichen Fernsehserie „Mad Men“. Eigentlich ist es nicht der Schauspieler selbst, der die<br />
Lippen unserer Autorin prall und ihre Bäckchen rot werden lässt. Sondern der verwegene<br />
Charakter und die wuchtigen Anzüge Don Drapers: Ihre Fingerspitzen können sich vorstellen,<br />
wie sich das Gewebe seiner Hose anfühlt und die feste Männermasse darunter.<br />
J<br />
on Hamm ist nicht Don Draper.<br />
Er sieht nicht mal aus wie Don<br />
Draper. Der wirkliche Jon Hamm,<br />
oder zumindest die Version, die<br />
er den Medien preisgibt, hat zum<br />
Beispiel öfter mal diese doofe amerikanische<br />
Freizeitkleidung an. Amerika ist das<br />
einzige Land dieser Welt, wo es so etwas<br />
Doofes wie Freizeitkleidung gibt, und die<br />
lässt wirklich absolut jeden doof aussehen.<br />
Auch Jon Hamm. Jon Hamm trägt schon<br />
mal die Haare in die Stirn gekämmt,<br />
oder eben nicht gekämmt, und mit Haaren<br />
in der Stirn sieht dieser Mann wirklich<br />
nicht gut aus.<br />
(Können wir in einem kurzen Exkurs über<br />
das Phänomen Stirnfransen bei Männern<br />
nachdenken? Es ist ja eine relativ neue<br />
Erscheinung. Als erstes kommt einem jetzt<br />
natürlich Justin Bieber in den Sinn, aber<br />
wahrscheinlich waren die ersten mit<br />
Haaren in der Stirn die Beatles. Davor war<br />
die männliche Stirn frei und windgekühlt<br />
und kühn. Glauben Sie, es ist Zufall, dass<br />
so viele Redensarten, die männliche Standfestigkeit<br />
und Unerschrockenheit zum<br />
Thema haben, mit der Stirn-Metapher<br />
operieren? Und jetzt sitzen wir da und die<br />
Männer haben einen Pony, einen kuscheligen,<br />
warmen Pony, den sie sich ab und zu<br />
wegschütteln oder wegschieben müssen.<br />
Keine Stirn mehr.)<br />
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass<br />
ein Mann, der einen wie Don Draper spielt,<br />
auch mal nicht gut aussehen kann, aber<br />
dieser kann es. Denn Jon Hamm ist nicht<br />
Don Draper. Nur Don Draper ist Don<br />
Draper, und wer auch immer der Kreativdirektor<br />
von der Madison Avenue nun wieder<br />
ist, er ist unfassbar attraktiv. Seit etwa<br />
einem Jahr kennt wirklich jede Frau in<br />
meinem Umfeld Don Draper, und bei jeder<br />
passiert etwas im Gesicht, wenn sie seinen<br />
Namen hört: Durchblutung steigt, Lippen<br />
werden prall, Bäckchen rosig, Augen<br />
glänzen. Don Draper ist ein Pin-up, das<br />
komplett angezogen Frauen so heiß macht,<br />
wie es nur wenige Männer nackt können.<br />
Es sind seine Anzüge, perfekt sitzend, nie<br />
zerknittert, dieser Sixties-Chic. Unsere<br />
Fingerspitzen können sich vorstellen, wie<br />
sich das Gewebe anfühlt und die feste<br />
Männermasse darunter. Unsere Nasen erinnern<br />
sich, wie gestärkte Hemdkragen<br />
riechen und polierte Schuhe. Don Drapers<br />
Anzüge tun exakt das, was man sich<br />
generell von Kleidung erhofft: Sie unterstreichen,<br />
was schön ist an einem Körper,<br />
Don Draper ist ein<br />
Pin-up, das komplett<br />
angezogen Frauen<br />
so heiß macht, wie es<br />
nur wenige Männer<br />
nackt können.<br />
sie sind wie „Stabilo Boss Highlights“ zum<br />
Anziehen – der Mann hat wahnsinnig<br />
breite Schultern, einen starken Rücken,<br />
unter dem Hemd lassen sich Brustmuskeln<br />
erahnen, die Hüfte ist schmal, der Hintern<br />
hoch und die Beine lang. (Ich habe übrigens<br />
grosse Angst davor, dass die Serie in<br />
die 80-er Jahre überführt wird und Don<br />
Draper dann „Miami-Vice“-Anzüge tragen<br />
müsste.) Ich ertappe mich oft dabei, wie<br />
ich auf die Anzughose starre und versuche,<br />
irgendwelche Andeutungen zu Drapers<br />
Penisgröße zu erhaschen – bisher erfolglos.<br />
Aber es ist schlicht unvorstellbar,<br />
dass dieser Mann einen Kleinen hat, nein,<br />
ich gehe absolut davon aus, dass der riesig<br />
ist, ein brutales Ding, zum Fürchten.<br />
mad men buch<br />
Ich weiss gar nicht, wie viel der Charakter<br />
der Figur damit zu tun hat, dass Frauen<br />
so auf Draper fliegen. Natürlich, er ist mysteriös,<br />
dunkel, tief; vielleicht gefällt uns<br />
auch, dass er sein Begehren nie hündischdeutlich<br />
kommunizieren würde, sondern<br />
immer mit einer gewissen Abscheu nimmt,<br />
was er will - was für den Sextraum<br />
tipptopp funktioniert, aber in der Realität<br />
würde keine Frau so einen Mann wollen,<br />
einfach weil das letztlich alles viel zu<br />
anstrengend ist, all die Geheimnisse und<br />
das finster Dreinblicken und der tägliche<br />
emotionale Huch-hab-ich-schon-wiederwas-Falsches-gesagt-Spießrutenlauf.<br />
Nein, ich behaupte, es ist größtenteils das<br />
Aussehen, der Look dieses Mannes, diese<br />
Haltung, dieser Ernst, dieses Männlichkeitspathos<br />
mit der akkurat gescheitelten<br />
Frisur, der freien Sicht auf diese Stirn. Ende<br />
Jon Hamm spielt seit 2007 in der US-Kultserie „Mad Men“<br />
den Protagonisten Don Draper. Diese Rolle brachte ihm<br />
neben dem großen Durchbruch auch einen Golden<br />
Globe und eine Emmy-Nominierung ein. In Deutschland<br />
wird die Serie auf ZDFneo ausgestrahlt.<br />
Der Titel der Fernsehserie „Mad<br />
Men“ ist eine Ableitung von Men<br />
of Madison Avenue, der Straße<br />
in New York, auf der sich in den<br />
60er-Jahren vor allem Werbeagenturen<br />
ansiedelten. Sterling Cooper,<br />
die Agentur, um die sich der Alltag<br />
Don Drapers dreht, ist zwar fiktiv,<br />
der Stil, aber auch die Kampagnen<br />
orientiert sich teilweise an wirklichen<br />
Geschehnissen. Inspiriert von der<br />
Serie versammelt dieser Doppelband<br />
die smartesten und wirkungsmächtigsten<br />
US-Werbungen der 50er und 60er Jahre. Für alle Mad-<br />
Men-Junkies: perfekt geeignet für den Faktencheck.<br />
47
Der Körper<br />
Foto: Katharina Poblotzki, Interview: Lena Bergmann<br />
Helen Walsh nutzte als Teenager ihren Körper als Machtinstrument.<br />
Als Mutter erlebte sie eine postnatale Depression, die sie zum Thema ihres dritten<br />
Romans „Ich will schlafen“ machte. Für unsere Rubrik „Der Körper“ spricht die britische<br />
Kultautorin über die Schmerzen der Geburt, Selbstmordgedanken und wie sie beim<br />
Joggen entspannt.<br />
F<br />
rau Walsh, in Ihrem neuen<br />
autobiographischen Roman<br />
geht es um Schlaflosigkeit<br />
und postnatale Depressionen.<br />
Dieser psychische Zustand hat ja<br />
zunächst wenig mit dem Körper zu tun.<br />
Helen Walsh Das stimmt, zumindest nicht<br />
mit Idealmaßen. Ob man jemals wieder<br />
in die alte Jeans passt, ist wirklich das<br />
Letzte, was einen umtreibt. Es gibt unterschiedliche<br />
Auslöser für postnatale Depressionen.<br />
Bei mir – und meiner Protagonistin<br />
– war es die Tatsache, nicht mehr<br />
schlafen zu können, weil mein Sohn es nicht<br />
tat, sondern dauernd schrie und seine<br />
Milch in hohem Bogen wieder auskotzte.<br />
Das hat vermutlich meine Psychose ausgelöst,<br />
was aber erst viel später festgestellt<br />
wurde. Dass man sein eigenes, sehnsüchtig<br />
erwartetes Kind dann nicht so annehmen<br />
kann, wie man das sollte, dafür<br />
machte ich mir extreme Vorwürfe.<br />
Extrem ist allerdings auch der Übergang<br />
für den Körper, erst die Schwangerschaft,<br />
dann das Stillen ...<br />
h W Ich habe es richtig genossen, schwanger<br />
zu sein und dick zu werden. Außerdem<br />
hatte ich eine sehr intensive emotionale<br />
Beziehung zu dem Wesen in mir aufgebaut,<br />
stärker als zu demselben Wesen außerhalb<br />
von mir. Das Feeling nach der Geburt,<br />
als dieser Ballon leer in sich zusammen<br />
gesackt war und einen verknitterten Körper<br />
zurück gelassen hatte, hat in mir ein<br />
Gefühl des körperlichen Verlusts und<br />
der Trauer ausgelöst.<br />
Stillen kann die Beziehung zwischen<br />
Mutter und Kind fördern, aber auch<br />
negative Gefühle auslösen. Auch wenn<br />
keine „gute Mutter“ das zugeben darf.<br />
h W Ich lag völlig benommen da, hatte<br />
bereits tagelang nicht geschlafen, und fühlte<br />
mich auf meine Brustwarzen reduziert,<br />
auf denen mein Sohn herumkaute. Als<br />
Emanze hätte ich das vielleicht nicht als so<br />
schlimm empfunden, wenn er ein Mädchen<br />
gewesen wäre – ich weiß es nicht. In<br />
meinem damaligen Zustand als depressive<br />
Mutter schien mir das jedenfalls unerhört.<br />
Erniedrigend.<br />
Ihr Buch haben Sie teilweise in diesem<br />
körperlichen Extremzustand des Schlafentzugs<br />
geschrieben, der sich bei Ihnen<br />
über knapp zwei Jahre erstreckte. Als<br />
Leser fühlt man förmlich den Schmerz<br />
hinter Ihren Augen.<br />
h W Natürlich habe ich das Geschriebene<br />
später überarbeitet. Aber ich wollte damals<br />
diese Obsession festhalten, die wilden Gedanken,<br />
die dieser Zustand in mir auslöste,<br />
getrieben von Paranoia, Halluzinationen,<br />
Realitätsverlust. Und natürlich war es auch<br />
körperliche Folter, nicht zum Schlafen zu<br />
kommen. Ich habe nachts im Internet mit<br />
Menschen gechattet, die ebenfalls schlaflos<br />
waren. Manche konnten wegen extremer<br />
Schmerzen nicht schlafen, anderer wegen<br />
psychischer Probleme. Viele, auch ich,<br />
hatten Selbstmordgedanken.<br />
In England haben Ihnen inzwischen viele<br />
Frauen dafür gedankt, dass Sie so ehrlich<br />
über das Thema geschrieben haben.<br />
H W Ja, postnatale Depressionen sind ein<br />
Thema das tabuisiert wird. Auch die<br />
Geburts-wehen werden aus Freude über<br />
das Kind dann nicht einfach vergessen.<br />
Viele Frauen, die mir geschrieben haben,<br />
haben bestätigt, dass Ressentiments gegen<br />
ihr Kind auch durch vorher durchlebte<br />
Schmerzen der Mutter entstehen können.<br />
Ich jedenfalls kann diese Schmerzen niemals<br />
vergessen. Wenn man mich gelassen<br />
hätte, hätte ich mich aus dem Fenster gestürzt,<br />
um ihnen zu entkommen!<br />
Es ging in Ihrem Buch auch um Identitätsfindung.<br />
Die alte Identität und die<br />
neue Mutteridentität müssen sich ja auch<br />
erst aneinander gewöhnen.<br />
„Ich hatte mit 13 Sex mit einem 35-Jährigen. Ich habe<br />
später in der Zeitung über diese Erfahrung geschrieben<br />
und warum ich fand, dass dieser Mann nicht ins<br />
Gefängnis gehört.“<br />
H W Absolut. Und viele Frauen machen<br />
sich für diesen ganz normalen inneren<br />
Konflikt einen Vorwurf. Auf einmal ist da<br />
diese dominante Mutter-Identität. Für<br />
viele Mütter ist die Identitätskrise auch<br />
eine körperliche Krise, weil der Sexdrive<br />
nachlässt oder der Körper nicht mehr so<br />
aussieht wie vorher.<br />
Machen Sie viel für Ihren Körper?<br />
H W Ich war früher sehr athletisch, ich<br />
war ständig schwimmen und joggen. Heute<br />
gehe ich auch wieder joggen, allerdings<br />
für meinen Kopf. Als Entspannungsritual.<br />
Inwiefern hat sich das Verhältnis zu<br />
Ihrem Körper geändert?<br />
H W Ich war immer eine sehr sexuelle<br />
Person, hatte auch mit 28, 29 einen per-<br />
fekten Körper mit perfekten Brüsten. Die<br />
sind nun für immer gealtert, meine<br />
Silhouette wird nie mehr so schlank sein<br />
wie früher. Aber ich bin entspannt.<br />
Wann wurde Ihr Körper Ihnen als junges<br />
Mädchen wichtig?<br />
H W Viele Jahre gar nicht. Ich war ein<br />
Tomboy, ein halber Junge mit kurzen Haaren<br />
und Fußballfreunden. Als ich mit elf<br />
das Stipendium einer Mädchenschule erhielt,<br />
habe ich mich zum ersten Mal nackt<br />
im Spiegel angeschaut. Von da an ging<br />
es schnell mit der Sexualisierung.<br />
Wie hat sich alles verändert?<br />
H W Ich habe mich erforscht. Ich saß auf<br />
dem Rücksitz unseres Autos, und plötzlich<br />
griff meine Mutter nach hinten und zog<br />
meine Hand weg, die zwischen meinen<br />
Beinen lag! Ich wusste gar nicht, was ich da<br />
mache, aber von nun an tat ich es ständig<br />
(lacht): „Mama, ich gehe hoch, ein Buch<br />
lesen...!“<br />
Und irgendwann wussten Sie auch um<br />
die Wirkung Ihrer neuen Attraktivität.<br />
H W Ich ließ mir die Haare wachsen und<br />
hatte plötzlich Brüste. Als ich zwölf wurde,<br />
haben die Menschen mich auf einmal<br />
anders angeschaut. Und das mochte ich<br />
sehr, sehr gerne. Weil ich vorher niemals<br />
positiv angeschaut worden war...<br />
Ist es nicht oft dramatisch, wie Mädchen,<br />
die noch Kinder sind, plötzlich durch ihre<br />
Sexualität ein neues verführerisches<br />
Selbstbewusstsein spüren, dessen Kraft<br />
sie eigentlich überfordert?<br />
H W Oh ja. Ich hatte mit 13 Sex mit einem<br />
35-Jährigen. Ich habe später in der Zeitung<br />
über diese Erfahrung geschrieben – ohne<br />
seinen Namen zu nennen – und warum<br />
ich fand, dass dieser Mann nicht ins Gefängnis<br />
gehört: ICH hatte IHN verführt. Ich<br />
war auf eine sexuell aggressive Weise<br />
vorgegangen, habe ihn mir ausgesucht, ihn<br />
angerufen, ich hatte ein paar Mal mit ihm<br />
Sex, dann wurde er mir langweilig. Ich<br />
habe meine neue Macht sehr genossen. Auf<br />
einmal hatte ich die Wahl und musste<br />
nicht, wie während meiner Kindheit, darauf<br />
warten, bis mich jemand in sein Team<br />
wählt. Später habe ich den Mann sogar<br />
wieder getroffen. Er hat sich fürchterlich<br />
geschämt. Das hat ihn verraten. Ich kam<br />
danach zu einem neuen Fazit: Er war der<br />
Erwachsene, ICH war das Opfer – ich trug<br />
damals eine Zahnspange und hatte kaum<br />
Schambehaarung.<br />
Frühreife Mädchen umgibt immer auch<br />
etwas Tragisches.<br />
H W Eine typische Nachtclubszene: Ein<br />
Mädchen hat sich hinein geschmuggelt und<br />
inszeniert sich als männermordende<br />
Nymphe. Später geht sie nach hause, zieht<br />
ihren Pyjama an, und wenn sie einen<br />
Albtraum hat, legt sie sich rüber zu Mama<br />
und Papa ins Bett. Männer sollten das<br />
durchschauen. Und nicht ausnutzen. Aber<br />
natürlich ist das Verhältnis zwischen<br />
dem „Monster“ und der „Missbrauchten“<br />
niemals nur schwarz und weiß.<br />
Sie denken also nie nostalgisch zurück<br />
an diese Phase? Als Ihr Körper noch<br />
diese Kraft hatte?<br />
H W Überhaupt nicht. Ich bin sehr glücklich<br />
heute. Meine Freundin, eine Schön-<br />
heitschirurgin, überlegt immer, wo sie bei<br />
mir Botox platzieren könnte. Ich hätte<br />
Angst, dass da etwas schief geht. Immerhin<br />
habe ich mir nun zum ersten Mal im Leben<br />
die Nägel machen lassen! Auf einmal<br />
haben mich Frauen auf dem Spielplatz<br />
angesteuert, die vorher noch nie mit mir<br />
gesprochen hatten und geflötet: „Oh, I<br />
love your nails!“ ende<br />
Helen Walsh wurde 1977 in der Nähe von Liverpool,<br />
England, geboren, zog aber mit 13 Jahren nach<br />
Barcelona, weil sie aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit<br />
zur Prostitution gezwungen werden sollte. Ihren ersten<br />
Roman „Millie“ veröffentlichte sie 2004. Ihr neuer ‚Ich<br />
will schlafen!‘ ist bei Kiepenheuer&Witsch erschienen.<br />
48 49
Legende<br />
Text: Lena Bergmann<br />
Rosamond Bernier hätte genügend<br />
Geschichten für drei Leben zu erzählen:<br />
Die heute 95-jährige Grande Dame der New Yorker<br />
Kunstkritik war erst Paris-Korrespondentin der<br />
Vogue, freundete sich mit Matisse an, gründete ein<br />
legendäres Kunstmagazin, wurde berühmt für ihre<br />
Vorträge im MoMA und ist immer noch blitzgescheit.<br />
Dabei hatte sie es nie auf eine Karriere angelegt.<br />
E<br />
ine Warnung vorweg: Für<br />
angestrengte Karrieristinnen<br />
(auch ich fühle mich ertappt)<br />
könnte es beim Weiterlesen hart<br />
werden. Denn wir treffen eine Frau, die<br />
in ihrem Leben niemals eine Bewerbung<br />
formuliert, kein einziges Vorstellungsgespräch<br />
geführt und erst recht keinen Blick<br />
in eine desillusionierende Zeitungsrubrik<br />
wie den „Stellenmarkt“ geworfen hat. Und<br />
trotzdem eine Karriere hingelegte, von<br />
der man heute nur noch träumen kann.<br />
Berufsbild: Moderedakteurin, Kunstkritikerin,<br />
Herausgeberin, Dozentin. Einsatzgebiet:<br />
Paris, London, New York. Ihr erster<br />
Job für die amerikanische Vogue wurde<br />
Rosamond Bernier mit Ende 20 angeboten<br />
– während einer Dinnerparty. Nur zwei<br />
Jahre später, 1947, wurde sie vom Verlag<br />
Condé Nast ins Nachkriegsparis geschickt,<br />
um über die Entwicklungen in der europäischen<br />
Mode- und Kunstszene zu berichten.<br />
In Paris gründete sie dann auch Mitte<br />
der 50er mit ihrem zweiten Ehemann das<br />
Kunstmagazin L‘ŒIL, dessen Ausgaben<br />
mittlerweile Sammlerwert besitzen, sowohl<br />
wegen der Inhalte als auch der prägnanten<br />
Layouts. Ihren letzten beruflichen<br />
Auftritt schließlich erledigte Rosamond<br />
Bernier 2008: Souverän parlierte die<br />
damals 91-Jährige im New Yorker MoMA<br />
über die Renaissance, die die großen<br />
Pariser Couturiers nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
erlebten. Wie immer bei ihren Vorträgen<br />
trug sie eine glamouröse Abendrobe<br />
und redete frei, vor einem<br />
berstend vollen Saal, dessen<br />
Plätze bereits Monate zuvor<br />
ausverkauft gewesen waren.<br />
Nun ist Bernier 95. Ihr Apartment<br />
liegt an der Upper East<br />
Side, „fußläufig zum Whitney<br />
Museum und der Frick<br />
Collection“, wie sie beiläufig<br />
erzählt. Soeben ist sie von einer<br />
Frankreich-Reise zurückgekommen.<br />
Dass sie dabei wegen<br />
einer Fußverletzung im<br />
Rollstuhl sitzen musste und von einer<br />
Freundin geschoben wurde, schmälerte ihr<br />
Vergnügen nicht: „Ich habe die Straßenzüge<br />
und die Architektur von Paris noch einmal<br />
aus der Perspektive eines Kindes gesehen.“<br />
Emails beantwortet Bernier prompt, und am<br />
Telefon klingt sie, als sei sie 50. Höchstens.<br />
Nicht wegen der Stimme, sondern wegen der<br />
Präsenz: eine messerscharfe Mischung<br />
aus Wissen und Charme.<br />
Wie wird man so alt, Frau Bernier? Und<br />
behält dabei so gute Laune? „Indem man sich<br />
seine Neugierde und das Interesse an der<br />
Welt bewahrt! Ich empfinde mich nicht als<br />
außergewöhnliche Erscheinung. Ich hatte<br />
nur außergewöhnliches Glück.“ Ihren<br />
ebenso außergewöhnlichen Lebensweg hat<br />
sie in einer Autobiografie nachgezeichnet,<br />
die im letzten Jahr beim New Yorker Verlag<br />
Farrar, Straus & Giroux erschienen ist.<br />
Am Erscheinungstag des Buches feierte sie<br />
ihren 95. Geburtstag.<br />
„Some of my lives“ ist eine präzise erinnerte<br />
Skizzensammlung. Deren rasante<br />
Szenenwechsel versammeln nicht nur<br />
eine beeindruckende Menge prominenter<br />
Persönlichkeiten aus Musik, Kunst und<br />
Architektur (die meisten von ihnen hat<br />
Bernier inzwischen überlebt), sie lassen<br />
den Leser auch an dem wunderbaren<br />
Gefühl teilhaben, als junge Frau zur richtigen<br />
Zeit am richtigen Ort zu sein. Und<br />
das über mehrere Dekaden hinweg.<br />
Nebenbei gewinnt man Einblicke in ein<br />
goldenes Zeitalter für Magazine, in dem<br />
Verlagshäuser das Geld noch mit vollen<br />
Händen ausgaben – zum Beispiel für<br />
längere Hotelaufenthalte von Korrespondenten<br />
in fernen Metropolen, an die nicht<br />
zwangsläufig auch stramme Deadlines<br />
geknüpft waren, sondern nur der nonchalant-vage<br />
Auftrag, bitte doch „Interessantes<br />
zu berichten.“<br />
Und wer hätte besser beurteilen können,<br />
was interessant war, und sich vor allem<br />
auch Zugang zu den entsprechenden<br />
Kreisen zu verschaffen als die charmante<br />
Anwaltstochter aus Philadelphia? Bis zu<br />
ihrem Aufbruch nach Paris hatte Bernier<br />
nämlich schon einiges erlebt. Als Kind<br />
eines musikbesessenen Mäzens des<br />
Philadelphia Orchestra war sie von Geburt<br />
an regelmäßig von illustren Hausgästen<br />
umgeben. Da ihre Mutter starb, als<br />
Rosamond gerade mal acht Jahre alt war,<br />
wurde sie früh gezwungen, „nicht nostalgisch<br />
zu sein, sondern nur nach vorne<br />
zu blicken.“ Als sie während des College-<br />
Besuchs Urlaub in Mexiko macht, lernte sie<br />
auf einem Konzert Frida Kahlo kennen,<br />
die das junge Mädchen unter ihre Fittiche<br />
nahm und ihr denselben exzentrischen<br />
Look verpasste, den sie selbst zelebrierte.<br />
Noch Jahrzehnte später trug Bernier bei<br />
einem Vortrag über die Künstlerin ein Tuch,<br />
das diese ihr geschenkt hatte.<br />
Schließlich brach sie ihre Studien ab,<br />
um mit ihrem ersten Ehemann ganz nach<br />
Mexiko zu ziehen. Dieser „verschönte“<br />
damals die Küste von Acapulco mit einer<br />
Reihe von Resorts. Bis die Ehe 1945 scheiterte,<br />
verbrachte Bernier dort aufregende<br />
Jahre – sie lernte fließend spanisch, hielt<br />
sich eine Menagerie aus Ozelot, Ameisenbär<br />
und tropischen Vögeln, lernte Flugzeuge<br />
fliegen und bot einer Bekannten mit<br />
Liebeskummer ihr Gästehaus an. Zurück<br />
in New York fädelte ebendiese Dame dann<br />
Bernier freundete sich<br />
mit der Schriftstellerin<br />
Gertrude Stein an<br />
oder mit Henri Matisse,<br />
der sie immer, wenn sie<br />
ihn besuchte, zu fragen<br />
pflegte: „Was hast<br />
Du heute für<br />
die Farbe getan?“<br />
Rosamonds berufliche Entwicklung ein:<br />
die Ehefrau des Condé-Nast-Präsidenten<br />
Iva Patcevitch brachte sie mit Alexander<br />
Liberman, dem Art Director der Vogue,<br />
sowie deren Chefredakteurin Edna Chase<br />
zusammen. Und die empfahl ihr nicht nur,<br />
zu ihrem mexikanischen Rock „an Stelle<br />
einer weißen Bluse eine schwarze“ zu<br />
tragen, sondern fegte Berniers Bedenken,<br />
sie habe die letzten fünf Jahre am Strand<br />
von Acapulco verjubelt und verstehe nichts<br />
von Mode, mit den Worten weg: „Ich<br />
erkenne eine Moderedakteurin, wenn ich<br />
eine sehe.“ Natürlich kam Bernier auch<br />
zugute, dass sie fließend französisch und<br />
spanisch sprach – „ein Grund, warum<br />
man mich damals nach Paris schickte.“<br />
Dort wurde für Bernier kurzerhand eine neue<br />
Stelle als European Features Editor geschaffen.<br />
Ihr wurde ein Illustrator zur Seite gestellt<br />
(„mein Job war in erster Linie, ihn halbwegs<br />
nüchtern zu halten“), und sie machte schnell<br />
Bekanntschaften. Sie freundete sich mit<br />
der Schriftstellerin Gertrude Stein an und mit<br />
Henri Matisse, der sie immer zu fragen<br />
pflegte: „Was hast Du heute für die Farbe<br />
getan?“ (Einmal riet er ihr ganz konkret, zu<br />
einem orangenen Mantel einen gelben<br />
Schal zu tragen.) Zu ihren Bekannten und<br />
Interviewpartnern gehörten Fernand Léger,<br />
Joan Miró, Max Ernst und Alberto Giacometti.<br />
Selbst der schwierige Picasso war nicht<br />
immun gegen Berniers Charme. Später<br />
stellte er für ihr Kunstmagazin unveröffentlichte<br />
Bilder zur Verfügung und signierte<br />
sogar dessen Erstausgabe.<br />
Berniers Taktik als Journalistin war es,<br />
Interesse auszustrahlen, ohne aufdringlich<br />
zu sein. Wenn sie jemanden traf, blieb sie<br />
trotz des Hintergedankens, gerade eine<br />
Geschichte für ihr Magazin zu generieren,<br />
sympathisch unverkrampft. Sie konnte<br />
schweigen und den (meist männlichen)<br />
Egos Raum lassen, und dann im richtigen<br />
Moment mit fundiertem Wissen die<br />
ernstzunehmende Gesprächspartnerin<br />
aus dem Hut zaubern. Kein Wunder also,<br />
dass auch ihre zweite Pariser Unternehmung<br />
glückte, das Magazin L‘ŒIL, das<br />
bis Anfang der 70er ein vielbeachtetes<br />
Nischenprodukt war, für das Bernier namhafte<br />
Kunstkritiker als Autoren gewinnen<br />
konnte.<br />
Nachdem 1971 auch ihre zweite Ehe zerbrochen<br />
war, landete Bernier wieder in<br />
New York. Bevor sie sich aber in eine<br />
Lebenskrise hineinsteigern konnte, bekam<br />
sie das nächste Jobangebot: Sie sollte an<br />
Universitäten und Museen Vorträge über<br />
Kunst halten. Obwohl sie sich zunächst<br />
überfordert fühlte, überwand sie ihre<br />
Bühnenangst und lieferte höchst individuelle<br />
Reden, eine Mischung aus stets frei<br />
vorgetragener kunstkritischer Betrachtung<br />
und persönlich Erlebtem. Diese Vorträge<br />
waren auch deshalb so legendär, weil sie<br />
50
Schmuckdesign<br />
Cartier<br />
Aldo Cipullo:<br />
Armreif „Juste un clou“<br />
5.400 €<br />
Das Talent zum Goldschmied<br />
wurde ihm in die Wiege gelegt, Aldo<br />
Cipullos Vater war ein renommierter<br />
Juwelier. Mit Anfang zwanzig ging der<br />
junge Römer nach seinem Architekturstudium<br />
nach New York an die School<br />
of Visual Arts und stellte sein Können<br />
dann bei Tiffany unter Beweis. Ende der<br />
60-er wechselte er zu Cartier und entwarf<br />
dort das „Love“-Armband, das sich<br />
heute noch verliebte und vermögende<br />
Paare gegenseitig ans Handgelenk schieben.<br />
Der Reif aus Gold oder Platin wird<br />
mit Hilfe eines speziellen Schraubenziehers<br />
geöffnet und am Arm der geliebten<br />
Person wieder verschlossen. Cipullo<br />
gelang es, durch dieses – gewollt an<br />
einen Keuschheitsgürtel erinnernde<br />
– Schmuckstück eine neue Symbolik der<br />
Zusammengehörigkeit zu schaffen. Aufgrund<br />
des Erfolgs seiner Kreation ließ<br />
Cartier fortan dem Designer komplette<br />
künstlerische Freiheit. Cipullo begann,<br />
mit Alltagsgegenständen zu experimentieren,<br />
schaffte es, einem einfachen, vergoldeten<br />
Nagel als Reif Anmut zu geben<br />
und verwandelte ihn in eines der begehrtesten<br />
Schmuckstücke überhaupt. Mehr<br />
als 40 Jahre ist dieser Triumph nun her,<br />
und wäre Aldo Cipullo nicht 1984<br />
gestorben, wer weiß, was er noch zu<br />
Gold gemacht hätte.<br />
meist abends statt fanden und Bernier<br />
in Festgarderobe auftrat, „aus<br />
Höflichkeit dem Publikum gegenüber.“<br />
Karl Lagerfeld war nur einer der<br />
Designer, der ihr für diese Auftritte<br />
regelmäßig Kleider schickte.<br />
Rührend ist, dass sie bei einem so<br />
prallen Leben den Hochzeitstag mit<br />
ihrem dritten Mann als ihren glücklichsten<br />
Tag überhaupt beschreibt.<br />
Denn en passant ist sie beim Karrieremachen<br />
schließlich auch noch ihrer<br />
großen Liebe begegnet. Ihre Verbindung<br />
mit John Russell, profilierter<br />
Kunstkritiker der New York Times,<br />
scheint eine einzigartige Symbiose<br />
gewesen zu sein. Als sich die beiden<br />
trafen, waren sie gleichermaßen<br />
erfolgreiche Intellektuelle im besten<br />
Alter und mit sich überschneidenden<br />
Interessengebieten.<br />
Umrahmt von einem riesigen Bekanntenkreis<br />
aus der New Yorker Kulturszene<br />
pendelte das Paar zwischen der<br />
Stadtwohnung und dem Landhaus in<br />
Connecticut, während sie gemeinsam<br />
ihre Arbeitsrituale pflegten. So schrieb<br />
sie etwa das Vorwort zu seinem Paris-<br />
Führer, er lauschte jedem einzelnen<br />
Vortrag. Jedes Mal fotografierte er sie<br />
vorher hinter der Bühne. Diese große<br />
Liebe der beiden inspirierte wiederum<br />
andere: Rosamonds und Johns<br />
verschlungene Hände wurden von der<br />
Bildhauerin Louise Bourgeois in<br />
Form einer Steinskulptur verewigt.<br />
2002 malte David Hockney das Paar in<br />
Wasserfarbe, inklusive Berniers<br />
goldenen Slippern und Russells typischen<br />
roten Socken. Ein 2007 entstandenes<br />
Doppelportrait von Alex<br />
Katz hängt inzwischen im MoMA.<br />
Als es Russell 2008 schlechter ging (er<br />
starb noch im selben Jahr), beschloss<br />
Bernier, ihren Job als Dozentin an den<br />
Nagel zu hängen. Ihr letzter großer<br />
Auftritt ist als Filmmitschnitt auf der<br />
Internetseite der New York Times<br />
dokumentiert.<br />
Am Ende unseres Gesprächs sagt sie<br />
noch, dass sie sich auf die Ausgabe der<br />
<strong>Fräulein</strong> mit ihrem Portrait darin<br />
freut. Wenn ich im September wieder<br />
in New York bin, werde ich sie ihr<br />
persönlich vorbei bringen; sie hat mich<br />
zum Tee eingeladen. Und da es in<br />
meinen Augen nichts Inspirierenderes<br />
als einen alten Menschen mit viel<br />
Lebensenergie gibt, werde ich mich<br />
auf dieses Treffen wie auf ein Bewerbungsgespräch<br />
vorbereiten. Rosamond<br />
Bernier hat nie eigene Kinder<br />
gehabt – vielleicht hat sie eine Stelle<br />
als Enkelin zu vergeben. ende<br />
Rosamond Bernier wurde vor 95 Jahren in<br />
Philadelphia geboren und arbeitete unter anderem als<br />
Paris-Korrespondentin der Vogue. 1955 gründete sie<br />
das Magazin L‘oeil, bei dem große Künstler wie<br />
Picasso, Matisse und Miró sie unterstützen.<br />
Jahrzehntelang hielt sie Vorträge für das MoMA. Ihre<br />
Autobiografie „Some of My Lives - A Scrapbook<br />
Memoir“ ist bei Farrar, Straus and Giroux erschienen.<br />
INTERESSANTE KOMBINATION.<br />
SEHR INTERESSANTE KOMBINATION.<br />
Der Citroen DS ist das fliegende Auto des legen dären Verbrechers<br />
Fantômas. Nicht minder legendär ist das neue Kombi-Abo der taz:<br />
Sie erhalten das tägliche ePaper optimiert für Ihr Endgerät bereits am<br />
Vorabend per E-Mail oder Download. Die Wochenendausgabe der taz<br />
mit Sonntaz erhalten Sie zusätzlich gedruckt in Ihren Briefkasten.<br />
Das Wochenendabo kostet Sie nur 12,90 Euro/Monat. Die Zubuchung<br />
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www.taz.de/kombiabo I abo@taz.de I T (030) 25 90 25 90
Ein tag<br />
Fotos: Götz Offergeld, Text: Daniel Seetal<br />
Berlin ist im Sommer eine der schönsten Städte<br />
Europas. Weil wir in Berlin arbeiten, leben, essen und<br />
ausgehen, wäre es unmöglich, alle unsere Lieblingsorte<br />
zu empfehlen. Deshalb wollen wir Ihnen hier unsere<br />
Highlights von Berlin-Mitte vorstellen. Die schaffen Sie<br />
locker an einem Tag – zu Fuß oder mit dem Rad.<br />
Den Rest müssen Sie selbst entdecken, erst dann wird<br />
Berlin zum Abenteuer.<br />
C|O Berlin<br />
Die engagierteste Fotogalerie des<br />
Landes, die zurzeit einen Fotografenstar<br />
nach dem anderen zeigt. Aktuell<br />
zum Beispiel Larry Clark.<br />
Firmament<br />
Von Undercover über Visvim,<br />
Acronym bis Supreme: Für<br />
alle, die Streetwear nicht mehr<br />
als Mode, sondern als Religion<br />
sehen, ist das Firmament die<br />
erste Anlaufstelle der Stadt.<br />
Petite BOUTIQUE<br />
Wegen des liebevoll zusammengestellten<br />
Warensortiments bester Kinderladen<br />
von Berlin Mitte. Spezialisiert auf Bekleidung<br />
von 0-10, Spielzeug, Lederschuhe<br />
und Sandalen.<br />
borchardt<br />
Iris Berben beim Schnitzel-essen,<br />
Leonardo di Caprio an der Bar! das<br />
legendäre Berliner Promi-Restaurant<br />
ist nicht so teuer wie man<br />
denkt und das Essen hervorragend.<br />
Kontakte oder Reservierungen sind<br />
abends essentiell.<br />
sabrina dehoff<br />
Edel und entspannt: Das Hauptquartier der bekanntesten<br />
Berliner Schmuckdesignerin liegt fast direkt gegenüber von<br />
Lunettes. Bling-Bling mit Geschmack.<br />
Talmon L’armée<br />
Seinen ersten Laden<br />
eröffnete der gebürtige<br />
Berliner in Paris,<br />
den zweiten in Berlin.<br />
Silber, Gold, Diamanten<br />
und Rubine – handgefertigter<br />
Schmuck<br />
im Vintage-Ambiente.<br />
quartier 206 department store<br />
Von Louis Vuitton bis PRPS, im Quartier<br />
geht es nicht um Street oder Couture, sondern<br />
um das Beste, kurz: um Fashion.<br />
3 minutes sur mer<br />
<strong>Auster</strong>n auf Eis, Kalbstatar<br />
oder Weinbergschnecken in<br />
Burgunder: Französische<br />
Küche im Edel-Bistro-Stil.<br />
schwarzhogerzeil<br />
Kleine feine Boutique in<br />
der Mulackstraße, die –<br />
von Isabelle Marant<br />
bis zu Laurence Doligé<br />
– viele <strong>Fräulein</strong>-Lieblingsmarken<br />
führt.<br />
lunettes<br />
Die schicksten<br />
Brillen von Berlin<br />
gibt es auf der<br />
Torstraße, und zwar<br />
Vintagemodelle und<br />
Eigendesigns.<br />
luigi zuckermann<br />
Neben denen von Mogg &<br />
Melzer die besten Sandwiches<br />
der Stadt.<br />
clärchens ballhaus<br />
Zwischen Schlagerdisco und Kunst-Hotspot:<br />
In Clärchens Ballhaus treffen Welten aufeinander,<br />
was vor allem den Biergarten zum perfekten Ort für<br />
einen lauen Sommerabend macht.<br />
r. s.v.p.<br />
Origami-Papier, liebevoll gestaltete<br />
Notizbücher und natürlich das passende<br />
Brief-Set für das stilvolle<br />
schreiben nach hause.<br />
SO . TO<br />
Am Puls der Zeit, was Männermode<br />
angeht. Perfekte<br />
Mitbringsel für den<br />
Boyfriend.<br />
kunst-werke<br />
Zwischen Publikumsausstellungen<br />
und kryptischer<br />
Konzeptkunst – die<br />
Institution an der Galerienmeile<br />
Auguststraße<br />
ist immer einen<br />
Besuch wert.<br />
Jüdische mädchenschule<br />
Mittlerweile mehr als der neue Hotspot von Berlin Mitte,<br />
sondern eine feste Instanz, was Kunst und Essen angeht.<br />
Besonders zu empfehlen: die Pastrami-Sandwiches bei „Mogg<br />
& Melzer“.<br />
54<br />
55
schnittmuster<br />
Interview: Jan Joswig<br />
playlist &ME<br />
Markus Lupfer<br />
schneidert poppige Mode mit<br />
Humor und Eleganz. Das schätzen nicht nur die Marken<br />
Mulberry oder Topshop, mit denen er seit längerem für Kollektionen<br />
zusammenarbeitet, sondern auch Popstars wie Gwen<br />
Stefani, Florence Welch oder Madonna. Der deutsche Designer<br />
mit Wohnsitz in London hat für diese Ausgabe das Schnittmuster<br />
zur Verfügung gestellt. Natürlich eines mit Lupfer-typischen<br />
Glitzerpailletten – lighthearted, aber mit Charakter.<br />
S<br />
chneiderst du dir ein Markus-<br />
Lupfer-Teil, vergiss die Pailletten<br />
nicht. Der Wahl-Londoner<br />
Markus Lupfer festigt seit fast<br />
15 Jahren seinen Ruf als Spezialist für<br />
luxuriöse Basics mit applizierten glitzernden<br />
Motiven. Von Lara Stones lasziven<br />
Model-Lippen über ein Bananen-Quartett<br />
bis zu Hund und Katze im Eichenkranz<br />
und Comic-Slogans wie „Dynamite!“ oder<br />
„Boom!“ lässt er seinem unbekümmerten<br />
Humor freien Lauf, umgesetzt durch<br />
aufwendige Stickerei. Bloß nicht zu clean<br />
und modern, lautet Markus Lupfers Motto.<br />
Den Hang zum Bunten und Lauten lebt er<br />
auch in den Videos zu seinen Kollektionen<br />
aus, in denen Florence Welch von „Florence<br />
& The Machine“ oder die asiatische<br />
Girlband „No Cars“ in ironischer Übertreibung<br />
pure Lebenslust zelebrieren.<br />
Dass Lupfers Designs dabei nie billig und<br />
reißerisch wirken, sondern trotz der<br />
jungen Motive immer eine hochkünstlerische<br />
Eleganz ausstrahlen, ist das große<br />
Alleinstellungsmerkmal seines Labels.<br />
Bang, Boom, Pop in Kaschmir und Mohair.<br />
Diese Besonderheit wissen Musikerinnen<br />
wie Róisin Murphy, Gwen Stefani und nun<br />
auch Madonna zu schätzen. Labels wie<br />
Mulberry und Cacharel setzen auf seine<br />
Mitarbeit; auch mit Topshop verbindet ihn<br />
56<br />
„Mein Schnittbogen<br />
ergibt zwar ein Jeden-<br />
Tag-Teil. Aber trage<br />
Sie es bitte nur mit High<br />
Heels!“<br />
eine langjährige Kollaboration.<br />
Beim Schnittmuster für <strong>Fräulein</strong> hat<br />
Markus Lupfer genau darauf geachtet,<br />
dass es seine beiden Hauptkriterien<br />
er-füllt: lighthearted mit Charakter<br />
(wie er in seinem charmanten Denglish<br />
zusammenfasst).<br />
Markus Lupfer Aus dem Schnittmuster<br />
lässt sich ein Oberteil mit drapiertem<br />
Ausschnitt schneidern. Der Ausschnitt ist<br />
versetzt, dadurch faltet er sich. Ich würde<br />
leichtes Jersey als Material empfehlen, das<br />
fällt am besten. Pastellfarben liegen super<br />
im Trend, aber ich favorisiere Schwarz.<br />
Schwarzes Jersey sieht sehr elegant aus.<br />
Und Pailletten? Gibt es Tipps, wie man<br />
sich die Stickerei erleichtern kann?<br />
m L Pailletten muss man in Handarbeit<br />
applizieren, viele Tricks gibt es nicht.<br />
Man spannt den Stoff vor dem Zusammennähen<br />
in einen Stickring, dann ist er ein<br />
bisschen einfacher zu handhaben. Sonst<br />
heißt es: mit Geduld und Spucke …<br />
Das Ergebnis wirkt aber sehr mühelos,<br />
fast übermütig.<br />
m L Meine Mode soll leicht und spaßig<br />
sein, auf Englisch heißt es lighthearted.<br />
Auch bei meinen Videos wollte ich weg<br />
vom traditionellen Fashionfilm mit seiner<br />
heilen Luxuswelt. Ich suche immer nach<br />
der Balance zwischen jung und sophisticated.<br />
Es ist mir aber sehr wichtig, dass<br />
etwas Elegantes rüberkommt.<br />
Seit drei Saisons bieten Sie auch eine<br />
Männerkollektion an. Wonach richten<br />
Sie die aus?<br />
m L Die Teile sollen basic bleiben, nicht<br />
zu verrückt. Aber es muss ein Mehr geben,<br />
ein unifarbener V-Pulli geht nicht: Die<br />
Kunden erwarten etwas mit Applikation<br />
von Markus Lupfer.<br />
Sie arbeiten seit langem in London, wohin<br />
entwickelt sich die Mode gerade?<br />
m L Teile, die auf Tradition setzen, werden<br />
weiterhin populär bleiben. Bei Männern<br />
wird der Trend wieder sehr ins Feminine<br />
gehen: feminine Stoffe, die auf Männerschnitte<br />
übersetzt werden. Ein Hemd mit<br />
Spitzeneinsatz, Röcke … Man sieht es<br />
noch nicht so sehr auf der Straße, aber<br />
Marc Jacobs im Comme-des-Garçons-<br />
Kleid auf dem Met Ball, Spitzen-T-Shirts<br />
in der Männerabteilung von Selfridges -<br />
da entsteht doch was.<br />
Wenn die Männer femininer werden,<br />
sollen sich die Frauen dann maskuliner<br />
geben?<br />
m L Mein Schnittbogen ergibt zwar ein<br />
Jeden-Tag-Teil. Aber trage Sie es bitte nur<br />
mit High Heels! ende<br />
Markus Lupfer wurde 1971 in der Nähe von<br />
Ravensburg geboren und studierte zuerst<br />
Modedesign in Augsburg und Trier, bevor er an die<br />
University of Westminster in London wechselte.<br />
1998 gründete er sein eigenes Label.<br />
57<br />
Der Lieblings-DJ dieser Ausgabe<br />
ist der Berliner Frauenschwarm<br />
und die bessere Hälfte von Fetischs<br />
Terranova. Hier spendiert er uns<br />
seine Sommer-Playlist.<br />
1. Seconds<br />
tell Them (Moplen Remix)<br />
Baalsaal Records<br />
2. dahu<br />
Falun<br />
Steyoyoke<br />
3. Juno 6<br />
Pablo<br />
Stretchcat<br />
4. Terranova<br />
make Me Feel (Till Von Sein Remix)<br />
Kompakt<br />
5. Smokin Jo<br />
what’s Going On<br />
Area Remote<br />
6. isaac Johan<br />
under The Bridge<br />
Cómeme<br />
7. Rampa & Re.You<br />
yeah Yeah Yeah feat. Meggy<br />
Cocoon Recordings<br />
8. Cajmere & Gene Farris<br />
donna’s A Flower<br />
Cajual Records<br />
9. alex Niggemann<br />
street Therapy<br />
Poker Flat<br />
10. &ME<br />
Ashes<br />
Saved Records<br />
Mehr unter:<br />
soundcloud.com/andmeandyou<br />
Foto: Alex Flach
schnittmuster<br />
Nr. 7<br />
markus lupfer<br />
Jersey Shirt<br />
Epaulette<br />
cut 2 pairs blockfuse 1 pair<br />
Back<br />
cut 1 self<br />
Front<br />
cut 1 self<br />
Sleeve<br />
cut 1 pair self<br />
Inside collar stand<br />
cut 1 self and fuse<br />
58<br />
59
Kleid und Gürtel Hermès<br />
Großer, weißer Armreif Hermès<br />
Weißer und transparenter Armreif Dior<br />
Kette 1-100 for Alexandre Plokhov<br />
My week with MarylinT<br />
That’s what she does,<br />
she breaks hearts.<br />
She’ll break yours.<br />
Waiting for icarus<br />
Fotos: Jean-Francois Carly, Styling: Sara Dunn @ Clicks and Contacts, Haare: Soichi @ Balcony Jump using Kiehl’s,<br />
Make-up: Jaimee Thomas @ Frank Agency using M.A.C.-Pro, Model: Tessa @ Select Models, Styling-Assistenz: Clinton Sinclair<br />
60
Sonnenschirm als Maske Louis Vuitton<br />
Komplettes Outfit RED Valentino Collection by Valentino
Kleid Chanel<br />
Schmuck 1-100 for Alexandre Plokhov<br />
Schuhe cHanel
Kleid Céline<br />
Top Sonia Rykiel<br />
Bodysuit Sonia Rykiel<br />
Weißer und transparenter Armreif Dior<br />
Schuhe CÉline
Pullover Helmut Lang<br />
Unterwäsche Faster by Mark Fast<br />
Mantel Inbar Spector<br />
Schuhe Camilla SkovgAArd
Kleid Jil Sander<br />
Gürtel Jil Sander<br />
Schuhe Finsk<br />
Armreif 1-100 for Alexandre Plokhov
Top Phoebe English<br />
Skirt Phoebe English<br />
Schuhe Camilla SkovgAArd<br />
Schmuck 1-100 for Alexandre Plokhov<br />
Shot on location in Botany Bay, Margate, UK<br />
Thanks to Sharon Kelley<br />
and Thanet District Council<br />
Komplettes Outfit Dior
Tleslie feist<br />
here’s a limit<br />
to your love<br />
Like a waterfall<br />
in slow motion<br />
graphiC look<br />
Fotos: Randall Bachner<br />
Styling: Bernat Buscato<br />
Haare: Benoit Moeyaert using Bumble and bumble for Art Department<br />
Make-up: Claire Bailey for Chanel @ L'Atelier NYC<br />
Model: Vanusa @ NY Models
Top SALLY LAPOINTE<br />
Gürtel Vintage PHI<br />
Stiefel JIL SANDER<br />
Rock OHNE TITEL
Kleid OHNE TITEL<br />
Schuhe CÉLINE<br />
Kleid JIL SANDER<br />
Gürtel Vintage PHI
Ohrringe und Kleid MARNI<br />
Stiefel JIL SANDER
Plastikkette EMPORIO ARMANI<br />
Shirt und Rock VALENTINO<br />
Schuhe JIL SANDER<br />
Blazer HELMUT LANG<br />
Gürtel Vintage PHI<br />
Stiefel JIL SANDER
Kleid STELLA MCCARTNEY<br />
Top HELMUT LANG<br />
Sunglasses Vintage EMMANUELLE KHANH
Kleid Louis Vuitton<br />
Badeanzug Hermès<br />
Mantel Etro<br />
eels<br />
o many worlds<br />
inside her eyes.<br />
SNo Country for Old Men<br />
Fotos: Adrian Crispin, Styling: Ann-Kathrin Obermeyer, Model: Bianca Heuser<br />
Besonderer Dank an Brigitte, Günter, Hendrik, Louisa und Tom<br />
86
Badeanzug Eres<br />
Schuhe Chanel<br />
Bikini Missoni über Net-A-Porter.com<br />
T-Shirt Stylist´s own
Sweater Starstyling<br />
Badeanzug Chloé<br />
Schuhe Louis Vuitton
Bild oben<br />
Badeanzug We Are Handsome<br />
über Net-A-Porter.com<br />
Kleid Chanel<br />
Schuhe Kerstin Adolphson<br />
Cap Stylist´s own<br />
Bild unten<br />
Kleid Chanel<br />
Schuhe Kerstin Adolphson
WErich Kästner<br />
Wenn einer keine Angst hat,<br />
hat er keine Fantasie.<br />
bastian thiery<br />
Fotos: David Fischer<br />
Styling: Götz Offergeld<br />
Haare/Make-up: Christian Fritzenwanker @ Perfect Props<br />
Model: Bastian Thiery @ Nest Model Management<br />
Produktion: Franziska Giovannini<br />
Foto-Assistenz: Ulijona Odisarija<br />
Besonderen Dank an das Interkulturelle Kinder- und Elternzentrum "Am Tower"<br />
Mantel Valentino
Mantel Emporio Armani<br />
Hose Emporio Armani<br />
Stiefel Hermès<br />
Polohemd Adidas SLVR<br />
Hose Maison Martin Margiela<br />
Schuhe Hermès
Lederjacke VersACe<br />
Hemd Filippa K<br />
Krawatte Boss Selection
Komplettes Outfit Bottega Veneta<br />
Komplettes Outfit bottega veneta<br />
Ledermantel emporio Armani
Lederblouson Maison Martin Margiela<br />
Hose G-Star<br />
Schuhe Y-3
eder geliebte Gegenstand ist<br />
Mittelpunkt eines Paradieses.<br />
JNovalis<br />
DIE tasche<br />
Tasche gelb Mulberry<br />
Tasche himmelblau jil sander<br />
Fotos: Diane Vincent, Kurzgeschichte: Dirk Peitz
Louis vuitton<br />
Was dachtest du denn, was da alles<br />
drin ist?“<br />
„Keine Ahnung. Irgendwas ansatzweise<br />
Anstößiges, Skandalöses, Gefährliches?“<br />
„Pfefferspray? Vibrator?“<br />
„Jesus! Ein Kalender hätte mir auch<br />
schon gereicht. Eben was Persönliches.“<br />
„Also, gehen wir es noch mal durch: Schminktäschchen, eine<br />
Packung Taschentücher, Handcreme, Kontaktlinsenlösung, Handy,<br />
Kaugummis, bisschen Müll, zwei, vier, äh, fünf Tampons.“<br />
„Warum gleich fünf?“<br />
„Zur Sicherheit.“<br />
„Falls du überraschend an den Nordpol musst?“<br />
„Falls ... Keine Ahnung. Warum nicht?“<br />
„Keine Gummis.“<br />
„Wofür Gummis?“<br />
„Weil du vielleicht eines Nachts mal mit einem Typen nach Hause<br />
gehen möchtest, und dann hat er vielleicht keine, es ist fünf Uhr<br />
morgens, und die verpennte Frau in der Notapotheke zeigt euch am<br />
Nachtschalter einen Vogel, als er sagt: ,Ich hätte gern einmal<br />
Kondome, ach ja, und einmal Ibuprofen bitte auch, aber die kleinste<br />
Packung?’“<br />
„Ich fand das witzig. Außerdem hattest du ja doch noch Gummis<br />
unter dem Bett.“<br />
„Zwei.“<br />
„Reichte doch. Einen zum Ausprobieren, einen zum Benutzen.“<br />
„Tut mir leid, dass es erst heute Morgen geklappt hat.“<br />
„Hey, nicht schlimm. Wir kennen uns lange genug.“<br />
„Dass ich unser erstes Mal auch ruhig versauen konnte?“<br />
„Wir waren beide besoffen.“<br />
„Ist das nun eine Entschuldigung für gestern Nacht? Oder bedeutet<br />
der Sex heute Morgen, dass wir auch ausgenüchtert und bei<br />
halbwegs vollem Bewusstsein finden: Das geht zwischen uns?“<br />
„Du willst das jetzt nicht ernsthaft analysieren.“<br />
„Ich will nur sichergehen.“<br />
„Dass du dich nicht umsonst verausgabt hast?“<br />
„Scheiße, nein!“<br />
„Sondern?“<br />
„Ich ... Also ...“<br />
„Du musst jetzt nicht Gefühlsduseliges sagen. Es ist okay.“<br />
„Es ist nicht okay.“<br />
„Mal nicht gleich für alles Worte zu finden, Begründungen,<br />
Einordnungen?“<br />
„Ich hätte ausnahmsweise gerne einmal keine Angst.“<br />
„Entspann´ dich. Lass´ uns das Spiel umdrehen: Ich hab meine<br />
Handtasche ausgeleert, du leerst dein Portemonnaie aus.“<br />
„Da ist Geld drin.“<br />
„Und sonst so?“<br />
„Okay, okay.“<br />
„Also: Geld. Ziemlich viel sogar!“<br />
„Zur Sicherheit. Falls das Finanzamt mal wieder mein Konto<br />
sperrt.“<br />
„Du rechnest damit?“<br />
„Immer. Täglich.“<br />
„EC-Karte, Kreditkarte, Vielfliegerkarte, Krankenkassenkarte, hey,<br />
ein Gummi!“<br />
„Fuck! Hatte ich total vergessen, sorry.“<br />
„Ist ja nicht so, als hätten wir noch dringend ein drittes gebraucht.“<br />
„Ja, bohr´ schön weiter in meiner Wunde.“<br />
„Hehe ... Gut, weiter. Eine Starbucks-Stempelkarte? Pfui, ein<br />
Pfennigfuchser! Und eine Stempelkarte vom ... Nee, nicht dein<br />
Ernst! Waxing? Ha! Von wegen: anstößig!“<br />
106<br />
Tasche Calvin Klein<br />
Clutch Dries van Noten
valentino<br />
louis vuitt0n
Céline<br />
chanel<br />
„Hab ich dir schon mal meine Handtaschentheorie erzählt?“<br />
„Du lenkst ab.“<br />
„Also, meine Handtaschentheorie geht so: Frauen, die eine<br />
Handtasche in der Armbeuge tragen, sind unbedingt zu<br />
meiden. Über die Schulter ist prima, solange die Tasche<br />
nicht direkt unter der Achsel klemmt. Aber Armbeuge,<br />
besonders in Kombination mit Handy-in-der-Hand und<br />
Stiefeln-an-den-Füßen: total stumpf.“<br />
„Wieso?“<br />
„Bin mir nicht sicher, ob das große Armbeugen schon mit<br />
,Sex in the City’ losging. Oder erst mit ,Gossip Girl’. Oder ob<br />
es von den ganzen Hollywood-Paparazzi-Bildern kommt,<br />
vom unironisch ,Gala’-Lesen, wobei ironisch ,Gala’-Lesen<br />
möglicherweise noch schlimmer ist. Handtasche in der<br />
Armebeuge ist jedenfalls ein sicheres Zeichen für Dummheit.<br />
Mindestens dafür, dass eine Frau anstrengend ist.“<br />
„Tussi?“<br />
„Nagelstudiokundin, auf jeden Fall. Schlimmstenfalls<br />
Aufklebenägel mit Strasssternchen.“<br />
„Angesichts der Waxing-Stempelkarte würde ich nicht<br />
so groß tönen.“<br />
„Nur Rücken und, äh: Schultergürtel! Oder wie die das<br />
nennen. Außerdem kann man da super lauschen. Frauengespräche<br />
in den Nebenkabinen. Auf eure Klos kommt<br />
man ja als Mann nicht drauf.“<br />
„Und, was reden die Frauen da so, wenn denen eine andere<br />
Frau, die sie überhaupt nicht kennen, zwischen den Beinen<br />
rumfuhrwerkt?“<br />
„Wo sie als nächstes in Urlaub fahren mit ihrem Boyfriend<br />
zum Beispiel, klar, die sind doch alle wegen der Bikinizone da.<br />
Und irgendwann fällt ein verräterischer Halbsatz. Oder<br />
ihnen verrutscht die Betonung: Wie sie ,Kho Samui’ hinten<br />
langziehen, mit so einem kleinen, genervten Stöhnen.<br />
Man weiß sofort: Deren Typ ist auf Bewährung. Sie haben<br />
sich noch nicht entschieden, ihn endgültig abzuschießen,<br />
aber ihre zwei bis sechs besten Freundinnen haben sie schon<br />
einmal zu oft gefragt, wie es eigentlich so läuft mit dem Typen.“<br />
„Du fantasierst.“<br />
„Nein, ich schärfe meine Sinne.“<br />
„Dir ist aber schon mal in den Sinn gekommen, dass da lauter<br />
Armbeugen-Frauen in den Kabinen neben dir liegen könnten, die sich<br />
danach noch schnell vor dem Abflug Strasssternchen auf ihre<br />
künstlichen Nägel kleben lassen?“<br />
„Da, wo ich hingehe, sind die nicht. Sonst würde ich da ja nicht<br />
hingehen. Da sind eher so junge Mütter, das Kind ist gerade in der<br />
Kita, der Mann bei der Geliebten oder in einer Kundenpräsentation.<br />
Und Kulturwissenschaftsstudentinnen sind da, drittes bis fünftes<br />
Semester.“<br />
„Eigentlich suchst du da also eine Freundin. Oder eine Affäre. Aber<br />
dir ist schon klar, dass die dich alle für schwul halten? Sonst würdest<br />
du ja nicht zum Waxing gehen.“<br />
„Rücken! Und Schultergürtel! Außerdem: Wäre das denn so<br />
schlimm?“<br />
„Das willst du lieber nicht wissen. Als du vorhin gefragt hast, ob ich<br />
dir meine Handtasche zeigen kann, von innen, da hast du also so eine<br />
Art abschließende Feindaufklärung betrieben? Sie hat einen<br />
Lederbeutel: check. Sie trägt ihn über der Schulter: check. Jetzt darf<br />
sie bloß keine ,Gala’ in dem Beutel haben.“<br />
111<br />
„Quatsch.“<br />
„Sondern?“<br />
„Man kann sich doch schon mal fragen, warum eine Frau mit<br />
Handtasche tanzen geht.“<br />
„Man kann sich auch schon mal fragen, warum ein Mann im Sakko<br />
tanzen geht. Was ihr überhaupt mit diesen Sakkos und Anzügen<br />
habt.“<br />
„Anzüge sind für uns vermutlich das, was Handtaschen für euch<br />
sind: Symbole des Erwachsenseins.“<br />
„Nein, eine Handtasche ist eine Verlängerung meines Zuhauses. Da<br />
ist der mobile Teil meines Lebens drin. Was man halt davon so<br />
mitschleppen kann.“<br />
„Aber wäre dein Leben, gemessen am Inhalt deiner Tasche, dann<br />
nicht bisschen, nun ja: gewöhnlich? Bisschen trist? Und wäre der<br />
Widerwillen von Frauen, den Inhalt ihrer Taschen vorzuzeigen, dann<br />
womöglich vor allem dadurch begründet, dass ihre Handtaschen<br />
eben überhaupt kein Geheimnis bergen? Und wäre also die einzige<br />
Furcht der Frauen vorm Taschenausleeren, dass Männer sie ab<br />
diesem Augenblick geheimnislos finden könnten, gewöhnlich?“<br />
„Puh.“<br />
„Sollen wir vielleicht doch mal das Gummi aus meinem Portemonnaie<br />
ausprobieren? Nur eine Idee. Wenn ich dich so anschaue gerade.“ Ende
sophie auster<br />
Ich möchte eine AUTORITät sein<br />
Wenn man ihr zuhört, dann vergisst man schnell, dass <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> gerade erst 25 Jahre alt<br />
geworden ist. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie viel erlebt hat: Ihre erste Filmrolle spielt sie<br />
mit neun im Regiedebüt ihres weltberühmten Schriftstellervaters Paul <strong>Auster</strong>. Ihre erste Platte<br />
erschien, da war sie 16. Sie modelte, spielte die Hauptrolle in zwei Filmen und schloss nebenbei ein<br />
Studium ab. Es liegt vor allem an ihrer sphinxhaften Intelligenz und ihrer energischen Entschlossenheit.<br />
Wenn <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> sagt, sie möchte eine Autorität sein, dann bedeutet das nicht, dass sie<br />
gerne herumkommandiert. Autorität steht hier für die Gabe, mit seinem Talent verführen zu<br />
können. <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong>s oberstes Ziel ist, dass das Publikum an ihren Lippen hängt.<br />
Sicherlich sind auch ihre Eltern Paul <strong>Auster</strong> und die ebenfalls<br />
berühmte Schriftstellerin Siri Hustvedt ein Grund, sich<br />
Jackett ACNE<br />
Bluse vintage COMME DES GARÇons<br />
für <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> zu interessieren. Für manche Promi-<br />
Kette DELFINA DELETTREZ<br />
Kinder werden die berühmten Eltern ein Fluch, für <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> sind sie ein Segen. Denn gelernt hat sie von ihnen<br />
vor allem eines: was die Macht eines Künstlers bedeutet.<br />
Wegen ihres Ehrgeizes, ihrer klaren kraftvollen Stimme,<br />
ihrem stilvollen Auftreten, ihrer liebenswürdigen Zugänglichkeit.<br />
Und weil sie verstanden hat, dass Träume keine<br />
Flucht, sondern der Anfang eines neuen Lebens und der<br />
Anfang der Kunst sein können, hat <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> das Zeug<br />
zum <strong>Fräulein</strong>. Ob sie wirklich eines werden wird, das<br />
sollen ihre Filme zeigen oder ihr neues, diesmal komplett<br />
selbstgeschriebenes Album – die Zukunft also.<br />
Hut PatriCIA UNDERWood<br />
Jackett THEYSKENS’ THEORY<br />
Fotos: Randall Bachner<br />
Styling: Bernat Buscato<br />
Haare: Benoit Moeyaert using Bumble and bumble for Art Department<br />
Make-up: Sandrine Van Slee for CHANEL @ Art Department NYC<br />
Text: Hendrik Lakeberg<br />
113
Jacke vintage HELMUT LANG<br />
T-Shirt und Hose ACNE<br />
Schuhe CÉLINE<br />
Overall ISABEL TOLEDO<br />
Gürtel und Schuhe CÉLINE<br />
Sonnenbrille JEREMY SCOTT
Jacke vintage CLAUDE MONTANA<br />
Lederkleid mit Gürtel Céline<br />
A<br />
ls Kind trägt <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
stets Stifte und Papier bei<br />
sich. Sie zeichnet, wo sie kann,<br />
egal wohin ihre Eltern sie<br />
mitnehmen. An einem Nachmittag sitzt sie<br />
in der New Yorker U-Bahn. Sie ist sieben<br />
Jahre alt. Ihre Mutter, die Schriftstellerin<br />
Siri Hustvedt, wendet sich ihr zu und fragt:<br />
„Du willst später wohl Malerin werden?“<br />
Hustvedt liebt die Malerei; sie wird später<br />
einen klugen Essay-Band über Vermeer,<br />
Goya, Richter und andere veröffentlichen.<br />
Das Kind aber blickt von seinem Block auf<br />
und sagt entschlossen: „Ich möchte auf<br />
keinen Fall den ganzen Tag allein in einem<br />
Zimmer sitzen wie ihr. Ich will vor einem<br />
Publikum stehen und singen und spielen.“<br />
Ob sich diese Szene genau so zugetragen<br />
hat, weiß <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> nicht mehr genau,<br />
aber ihre Mutter erzählt sie immer dann,<br />
wenn sie nach der Berufswahl ihrer<br />
Tochter gefragt wird. „Mir war sehr früh<br />
klar, was ich mit meinem Leben machen<br />
wollte. Und dass das etwas anderes sein<br />
würde als zu schreiben“, sagt <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> an diesem Vormittag in New York,<br />
der Stadt, in der sie aufgewachsen und mit<br />
der sie so eng verbunden ist wie die Bücher<br />
ihres Vaters Paul <strong>Auster</strong>, dessen „New<br />
York Trilogie“ ihm 1987 als Schriftsteller<br />
zum Durchbruch verhalf. „Ich tagträume,<br />
während ich U-Bahn fahre und in einem<br />
Taxi sitze. New York inspiriert mich jeden<br />
Tag aufs neue.“ Ihr Vater hätte über den<br />
Roman „Stadt aus Glas“ einen ähnlichen<br />
Satz sagen können. Er beantwortete die<br />
Frage nach den Thema seiner Bücher mal<br />
mit einer Gegenfrage: „Wo verläuft die<br />
Grenze zwischen Wahnsinn und Kreativität?<br />
Wo verläuft die Grenze zwischen<br />
Wirklichkeit und Fantasie?“<br />
Es gibt zwei Geschichten, die man über die<br />
25-Jährige erzählen kann. Da ist zum einen<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> als Tochter zweier weltberühmter<br />
Schriftsteller. Der Intellekt wird<br />
ihr in die Wiege gelegt, die Kunstkarriere<br />
serviert man ihr auf dem Silbertablett.<br />
Ihre Eltern und deren Umfeld aus Schriftstellern,<br />
Schauspielern und Künstlern<br />
lassen keinen Zweifel daran, dass sie selbst<br />
mal eine von ihnen werden könnte. Auch<br />
wenn sie keine Bücher schreiben würde<br />
wie ihre Eltern, eine berühmte Künstlerin<br />
zu sein, das war immer machbar.<br />
Die andere Geschichte ist die einer selbstbewussten<br />
Frau mit einer starken Vision.<br />
Eine Frau, die ehrgeizig für ihre Ziele<br />
kämpft, die den Traum von einer Schauspiel-<br />
und Gesangskarriere, den wohl jedes<br />
Mädchen während der Kindheit träumt<br />
und meist spätestens dann aufgibt, wenn<br />
es ernst wird mit der Berufswahl, konsequent<br />
und diszipliniert verfolgt. Träume,<br />
oder besser: die Fantasie sind keine Flucht<br />
aus dem Leben, in ihnen fängt für <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> die Kunst und das Leben erst an.<br />
Manchmal sogar im wahrsten Sinne des<br />
Wortes, denn sie trägt den Vornamen einer<br />
Figur aus dem Roman „Hinter verschlossenen<br />
Türen“ ihres Vaters. Traum und<br />
Wirklichkeit, Fiktion und Realität: die Vermischung<br />
dieser beiden scheinbaren<br />
Gegensätze sind ein Motiv in <strong>Sophie</strong>s<br />
<strong>Auster</strong>s Leben, dem man immer wieder<br />
begegnet. In einem Song auf ihrem Debüt-<br />
Album, das sie 2006 mit 16 aufnimmt,<br />
textete ihr Vater für sie „Close your eyes<br />
and look at me. Lock the door and you’ll<br />
be free. Dreams can be reality, If you live<br />
your dream with me.“<br />
116
Hut Jil Sander<br />
Kette Delfina Delettrez<br />
Top Valentino
<strong>Auster</strong> liebte es schon als Kind, verkleidet<br />
durch das Haus der Eltern in Brooklyn zu<br />
laufen und vor dem Spiegel zu posieren.<br />
„Ich hatte eine Federboa und eine Perlenkette<br />
von meiner Großmutter. Sobald ich<br />
nach Hause kam, habe ich mich verkleidet.<br />
Mit fünf oder sechs Jahren besaß ich ein<br />
paar High Heels aus Plastik, die ich auch in<br />
der Schule getragen habe. Damit war ich<br />
definitiv die einzige.“ Mit acht beschließt<br />
sie, Sängerin zu werden, nachdem sie<br />
im Schulchor ein Solo singt. Sie merkt, wie<br />
sehr sie den Moment genießt – und den<br />
Applaus des Publikums im Anschluss. Mit<br />
neun spielt sie ihre erste Rolle in „Lulu on<br />
the bridge“, dem Regiedebüt ihres Vaters.<br />
Spätestens seither ist auch die Schauspielerei<br />
eine ernste Perspektive. Das hat<br />
sich bis heute nicht geändert. <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
„Mir war sehr früh klar, was ich mit meinem Leben<br />
machen wollte. Und dass das etwas anderes sein<br />
würde als zu schreiben“<br />
spielte in zwei Filmen die Hauptrolle,<br />
zuletzt zusammen mit Mick Jaggers Sohn<br />
James in „Stealing Summers“, einem<br />
dramatischen Thriller, der in Buenos Aires<br />
gedreht wurde. Er soll Ende des Jahres in<br />
die Kinos kommen, die Verhandlungen mit<br />
Filmverleihen laufen noch. Luz Gyalui,<br />
der Produzent von „Stealing Summers“,<br />
schreibt über die Zusammenarbeit mit<br />
<strong>Auster</strong>: „<strong>Sophie</strong> hat uns beeindruckt. Bei<br />
einer Szene, der wichtigsten und emotionalsten<br />
im Film, war die ganze Crew still,<br />
nachdem sie sie gespielt hatte. Sie musste<br />
schreien und weinen, dann wieder sanft<br />
sein. Während der Pause im Anschluss<br />
hatte sie sich wieder völlig unter Kontrolle<br />
und fünf Minuten später WAR sie wieder<br />
Alexandra, das junge rebellische Mädchen,<br />
das hin und hergerissen ist zwischen<br />
ihrem Freiheitsbedürfnis und ihrer Sehnsucht<br />
nach Sicherheit. Kein Wunder,<br />
dass <strong>Sophie</strong> nach drei Takes ihre Stimme<br />
verloren hatte.“<br />
Parallel beendet sie ihr Studium an der<br />
Sarah Lawrence Liberal Arts School, einem<br />
Elite-College, an dem auch die Modedesignerin<br />
Vera Wang oder der Regisseur<br />
J.J. Abrahams studiert haben. Sie modelt<br />
gelegentlich, zum Beispiel neben Scarlett<br />
Johansson und Dree Hemingway für<br />
Mango, schreibt Songs und arbeitet an<br />
ihrem Gesang. Zurzeit verfolgt sie vor<br />
allem ihre Musikkarriere so ehrgeizig wie<br />
noch nie. Wenn man mit <strong>Auster</strong> spricht,<br />
vergisst man oft, wie jung sie noch ist. In<br />
den nächsten Monaten bringt sie ihre<br />
zweite Platte „Red Weather“ auf den Markt,<br />
von der sie sagt, dass es eigentlich ihre<br />
erste sei. Diesmal hat sie alle Songs selbst<br />
geschrieben und mit einer Handvoll<br />
Musikern an den Arrangements gearbeitet.<br />
Ihre Eltern haben sie nur mit Rat und<br />
Kritik begleitet.<br />
Bei ihrem ersten Album, das schlicht<br />
„<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong>“ hieß, war das anders. Ihr<br />
Vater machte sie mit der Band One Ring<br />
Zero bekannt. Er schlug ihr vor, dass sie<br />
doch seine englischen Übersetzungen von<br />
französischer Lyrik der Surrealisten<br />
singen könne. Ihr Vater schrieb zwei Texte,<br />
und <strong>Sophie</strong> selbst ebenfalls zwei. Sie<br />
wurde mit dem Album vor allem in Europa<br />
bekannt, wo ihre Eltern am meisten verehrt<br />
werden – in den USA dagegen erschien<br />
es erst gar nicht. In jenem Jahr war<br />
sie ein großes Thema der deutschen<br />
Feuilletons: Eine smarte bildhübsche<br />
Tochter zweier Starschriftsteller, die<br />
französische Gedichte singt, was auch<br />
noch passabel klang. In den Artikeln wirkt<br />
sie wie eine Mischung aus Lolita und<br />
selbstbewusstem Teenager. Aber auch<br />
Fotografen liebten die schöne Intellektuellentochter.<br />
In dieser Zeit entsteht eine<br />
Zusammenarbeit mit Chanel, die bis heute<br />
andauert. <strong>Auster</strong> wird zu Konzerten und<br />
Events eingeladen, die das Label veranstaltet<br />
und mit Kleidung ausgestattet. Jetzt,<br />
wenige Tage nach dem Interview mit<br />
<strong>Fräulein</strong>, reist sie nach Paris, um dort für<br />
ein Magazin ein Gespräch mit Karl<br />
Lagerfeld über Mode und Musik zu führen.<br />
„Ich bin ein bisschen nervös, aber es ist<br />
eine gute Ausrede, ein paar Tage in Paris<br />
zu sein!“ Paris, die Stadt, in der ihr Vater<br />
1968 Samuel Beckett traf, Gedichte<br />
übersetzte, für die „New York Times“<br />
arbeitete und ein paar Jahre lebte.<br />
Wenn man über <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> spricht,<br />
dann kann man also ihre Eltern nicht<br />
ausklammern – und auch nicht den Fluch,<br />
der auf Kindern berühmter Eltern lastet.<br />
Die Skepsis, dass sie das alles gar nicht von<br />
alleine geschafft hätten, dass sie es viel<br />
zu leicht haben, Öffentlichkeit zu finden<br />
und das eigentlich gar nicht verdient hätten<br />
– damit ist <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> immer wieder<br />
konfrontiert worden. Der schnelle, elternbedingte<br />
Ruhm kann wie ein Bumerang<br />
zurückkommen und einen ausknocken,<br />
wenn man ihn nicht geschickt fängt. Lisa<br />
Marie Presley, Peaches Geldorf oder<br />
Guillaume Depardieu leiden unter ihren<br />
berühmten Eltern. Und auch Daniel <strong>Auster</strong>,<br />
<strong>Sophie</strong>s älterer Halbbruder, geriet eine<br />
Zeitlang unter die Räder: Er stahl einem<br />
ermordeten Drogendealer Geld und wurde<br />
1998 zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt.<br />
Mittlerweile scheint er sich<br />
gefangen zu haben, doch die Familie<br />
<strong>Auster</strong> spricht öffentlich kaum über Daniel<br />
– auch <strong>Sophie</strong> nicht. Aber es gibt auch<br />
Beispiele, die das Gegenteil zeigen:<br />
Charlotte Gainsbourg hat sich aus eigener<br />
Kraft und mit starken Rollen aus dem<br />
Schatten ihrer Eltern gespielt. Bei <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> weiß man noch nicht, was die<br />
Zukunft bringen wird. Aber sie nimmt ihre<br />
Rolle als Künstlerin ernst. Das ist eine<br />
gute Voraussetzung.<br />
„Ich sitze im gleichen Boot wie alle anderen<br />
jungen Künstler auch“, entgegnet <strong>Auster</strong><br />
vehement, wenn man sie nach ihren<br />
Privilegien fragt. Das stimmt zwar nicht so<br />
ganz, aber vorwerfen kann man es ihr<br />
sicher nicht: Ihr Vater schickte ihre erste<br />
Demo-CD nach Europa, die daraufhin<br />
prompt veröffentlicht wurde. Er ließ sie in<br />
seinem Film spielen und zog darüber<br />
hinaus im Hintergrund einige Strippen.<br />
Aber was ist Schlechtes an einem liebenden<br />
Vater, der versucht, die Wünsche<br />
seiner Tochter erfüllt? Und auch <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> selbst scheint überhaupt keinen<br />
Grund zu haben, gegen ihre Eltern zu<br />
rebellieren. „Sie sind meine besten Freunde“,<br />
sagt sie. „Ich bewundere meinen Vater<br />
für seine Beharrlichkeit. Sein erstes<br />
Buch wurde von 17 verschiedenen Verlagen<br />
abgelehnt, aber er gab nicht auf, bis es<br />
veröffentlicht wurde. Meine Mutter hat mir<br />
beigebracht, niemals zu tun, was ich<br />
nicht wirklich will, dass ich die Kontrolle<br />
über mein Leben habe. Das hat mir viel<br />
Kraft gegeben“ Vielleicht ist die Erwartung,<br />
dass ein Kind gegen seine Eltern zu<br />
rebellieren habe, auch eine altmodischeindimensionale<br />
Vorstellung, der man aus<br />
einer diffusen Sehnsucht nach Unangepasstheit<br />
nachhängt. Man muss ja nicht<br />
genauso werden wie seine Eltern - aber<br />
man muss auch nicht das Gegenteil von<br />
ihnen sein wollen, um erwachsen zu<br />
werden.<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> will vor allem eines: auf der<br />
Bühne eine Autorität sein. „Ich möchte den<br />
Raum beherrschen“, sagt sie. „Das Publikum<br />
muss glauben, dass, was du machst,<br />
wichtig ist. Die Künstler, die mich am<br />
meisten in den Bann ziehen, sind die, die<br />
keine Kompromisse machen.“ Auf dem<br />
neuen Album befindet sich ein Song mit<br />
dem Namen „Pretend“. Er handelt von einer<br />
Trennung, die <strong>Auster</strong> durchlebt hat, als<br />
sie die Texte für ihre neue Platte schrieb.<br />
Mehr sagt sie dazu nicht. <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> ist<br />
offen (noch nie hat jemand so prompt<br />
und kooperativ auf unsere Anfrage nach<br />
einem Interview und einem Fotoshooting<br />
reagiert). Doch sie zieht eine strikte<br />
Grenzen zwischen Privatleben und ihrer<br />
Arbeit. Sobald es persönlicher wird,<br />
schweigt sie. Das ist einerseits professionell,<br />
andererseits ist es aber auch ein Zeichen<br />
von Stolz und Würde. Ihre Eltern haben ihr<br />
geraten, dass es gut ist, ein Geheimnis um<br />
sich zu machen. Und wen interessiert schon,<br />
wer wen warum verlassen hat. Wichtig ist<br />
für uns Hörer das Ergebnis, eine Ballade, die<br />
zu Tränen rührt, klassisch instrumentiert<br />
mit Streichern, Klavier und Besenschlagzeug.<br />
Die Musik und der samtene Klang ihrer<br />
Stimme treffen durch schlichte und elegante<br />
Bogen mitten ins Herz. Könnte Musik<br />
wie Sterne glitzern, „Pretend“ würde<br />
nicht nur glitzern, sondern glühen. „Stars<br />
are falling from my eyes“, singt <strong>Auster</strong> im<br />
Refrain. Es ist diese klassische Eleganz,<br />
die auch die anderen Stücke auf „Red Weather“<br />
auszeichnen. Musikalisch gesehen ist es ein<br />
konservatives Album, was in diesem Fall<br />
aber absolut positiv gemeint ist. <strong>Sophie</strong><br />
<strong>Auster</strong> ist kein Hipster, auch kein It-Girl,<br />
denn dazu fehlt ihr die oberflächliche<br />
Leichtigkeit. Man findet wenig Augenzwinkern,<br />
kaum die kühle Ironie, die für viele<br />
Bands zurzeit typisch ist. <strong>Auster</strong> macht<br />
konzentrierte, stilvolle Musik, in der sich<br />
hinter einer weichen Melancholie auch mal<br />
düstere Abgründe auftun. Inspiriert wurde<br />
sie von Jazz, klassischen Chansons und<br />
avantgardistischem Folk in der Tradition<br />
Joni Mitchells. Sie gelangt durch ihre kluge<br />
Ausgewogenheit zum Ziel: den Hörer zu<br />
Tränen zu rühren.<br />
Genau das passierte auf einem Konzert am<br />
Abend vor dem Interview: <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
stand in schwarzem Hosenanzug und einer<br />
goldenen Sgt.-Pepper’s-Jacke auf der<br />
Bühne. Freunde kamen nach dem Konzert<br />
zu ihr und gestanden, dass sie weinen<br />
mussten. „Es war das schönste Kompliment,<br />
was man mir machen kann. Ich<br />
weine auch ab und zu auf der Bühne. Das<br />
muss die Schauspielerin in mir sein, die<br />
da zum Vorschein kommt. Das ist Übertragung.<br />
Wenn man jemanden so emotional<br />
auf der Bühne sieht, dann wird auch das<br />
Publikum emotional“, lacht <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong><br />
Sonnenbrille JEREMY SCOTT<br />
Overall ISABEL TOLEDO<br />
Gürtel und Schuhe CÉLINE<br />
und sagt: „Das Publikum formt in ihren<br />
Köpfen, was die Musik in ihnen auslöst.“<br />
Und das Outfit ist dabei ein wichtiger<br />
Teil. Der – wie <strong>Auster</strong> ihn nennt – Lauren-<br />
Bacall-Hosenanzug mit der goldenen<br />
Beatles-Jacke, der klassische Hollywood-<br />
Look versetzt mit ein bisschen Rock’n’Roll,<br />
macht ihren Stil aus. Eine Mischung, die<br />
auch durch ihre Mutter inspiriert ist. „Sie<br />
erinnert mich an einen Filmstar aus den<br />
Forties, an Marlene Dietrich und Katharine<br />
Hepburn.“<br />
120
Lederjacke ACNE<br />
Komplettes Outfit<br />
MARKus LUPFER
Trenchcoat MAISON MARTIN MARGIELA<br />
Shirt vintage COMME DES GARÇons<br />
Only, here and there, an old sailor ,<br />
Drunk and asleep in his boots,<br />
Catches tigers<br />
In red weather .<br />
<strong>Auster</strong> sagt, dass sie sich in der letzten Zeit<br />
oft so gefühlt hatte wie die Stimmung<br />
dieses Gedichts ist. Sie hat eine Trennung<br />
hinter sich, von ihrem Freund – aber auch<br />
von ihrem alten Management. Sie ist mit<br />
ihrer Karriere auf sich gestellt, ihre Eltern<br />
sind nur noch Ratgeber am Rande des<br />
Weges. Ein seltsamer Zwischenzustand, in<br />
dem die Kindheit und Jugend vergeht, aber<br />
das neue Leben, der Erfolg noch in der<br />
Ferne liegt, wie die Abenteuer, von denen<br />
die die Matrosen in Stevens’ Gedicht erzählen.<br />
Wallace Stevens hat mal gesagt,<br />
dass wir in unseren Gedanken leben. Das<br />
Gedicht erzeugt eine Gegenwelt, in der<br />
die Wirklichkeit verwandelt wieder auftaucht.<br />
Stevens glaubte, dass unsere<br />
Gedanken die Welt formen und ein Gedicht<br />
bewusst machen kann, dass wir dazu in<br />
der Lage sind. <strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> hat verstanden,<br />
dass sie mit ihrem Talent die Welt<br />
gestalten kann. Dass Träume, Gedanken<br />
und Fiktion zur Wirklichkeit werden<br />
können. „Ich denke, wenn etwas stark ist<br />
und dich berührt, dann bleibt es bei dir.<br />
Meine Lieblingsmusik, meine liebsten Filme,<br />
Bücher und Kunstwerke sind zu einem<br />
Teil von mir geworden. Sie sind mein<br />
Make-up.“ Jetzt braucht <strong>Auster</strong> nur noch<br />
ein Publikum, das sich von ihr formen<br />
lässt. Sie wird es finden. Ende<br />
Erkannt zu haben, was die Macht eines Künstlers<br />
ausmacht, ist der größte Schatz, den ihr ihre Eltern<br />
mit auf den Weg gegeben haben.<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> ist sehr bewusst, wie sie<br />
wirkt und was man mit einem Publikum<br />
anstellen kann, wie man es bezaubert<br />
und berührt. Erkannt zu haben, was die<br />
Macht eines Künstlers ausmacht, ist der<br />
größte Schatz, den ihr ihre Eltern mit auf<br />
den Weg gegeben haben. Der Albumtitel<br />
„Red Weather“ ist dem 1915 entstandenen,<br />
hypnotischen Gedicht „Disillusionment<br />
of Ten O’clock“ des großen Dichters<br />
Wallace Stevens entnommen. Darin geht<br />
es um Menschen, die nachts durch ein<br />
Haus wandeln, das vor sich hinschläft,<br />
obwohl seine Bewohner noch wach sind.<br />
Ein paar betrunkene Matrosen erzählen<br />
von einem aufregendem Leben jenseits<br />
der Gewöhnlichkeit. Stevens beendet das<br />
Gedicht mit folgenden Zeilen:<br />
<strong>Sophie</strong> <strong>Auster</strong> wurde 1987 in New York geboren, wo<br />
sie auch heute lebt. Sie ist die Tochter der beiden<br />
Schriftsteller Paul <strong>Auster</strong> und Siri Hustvedt. Nach<br />
diversen Filmrollen konzentriert sie sich momentan<br />
vor allem auf ihre Musik. Ihr zweites Album „Red<br />
Weather“ erscheint in Kürze.<br />
124
A<br />
Knallbonbon<br />
aus der hölle<br />
Fotos und Konzept: Pierpaolo Ferrari und Maurizio Cattelan, Text: Hendrik Lakeberg<br />
Eigentlich hatte Maurizio Cattelan Anfang<br />
des Jahres nach einer Blockbuster-<br />
Retrospektive im Guggenheim New York<br />
seinen Rücktritt aus der Kunst verkündet.<br />
Jetzt steckt er seine ganze Energie in das<br />
„Toiletpaper“-Magazin, ein schräges und<br />
morbides Bilderbuch, das die Welt der<br />
Lifestyle-Zeitschriften auf den Kopf stellt.<br />
An sich wollte er aufhören. Nach einer großen Werkschau im<br />
Guggenheim New York, die im Januar diesen Jahres endete,<br />
erklärte Maurizio Cattelan seinen Rücktritt aus der Kunstwelt.<br />
Einfach so – ohne dramatische Begründungen. Doch Cattelan war<br />
immer schon ein Schelm und Scharlatan. Ein Trickster, der von<br />
Anfang an sein Publikum vor den Kopf stieß. Er vermietete etwa<br />
zur Biennale in Venedig seine Ausstellungsfläche an eine Werbeagentur,<br />
die das Plakat eines Parfums zeigte. Man sollte sehr ernst<br />
nehmen, was Cattelan sagt, doch gleichzeitig daran denken, dass in<br />
seinem Werk nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Der<br />
51-Jährige ließ sich nicht auf bestimmte Materialien oder Formen<br />
festlegen; man wusste grundsätzlich nie genau, ob sein Werk auf<br />
brillante Art die Conditio Humana in absurden Szenarien – wie<br />
zum Beispiel einer auf Knien betenden Hitler-Skulptur oder einem<br />
Papst, der von einem Meteoriten erschlagen wird –, festhielt oder<br />
ob der Künstler Publikum, Kritiker und Kuratoren verhöhnte.<br />
Natürlich liegt die Wahrheit dazwischen. Cattelan, der nie auf eine<br />
Kunsthochschule gegangen ist und bei streng religiösen Eltern im<br />
italienischen Padua aufwuchs, ist deshalb ein so interessanter und<br />
erfolgreicher Künstler geworden, weil er es virtuos versteht, mit<br />
seinen Arbeiten ein Spannungsfeld zu erzeugen, in dem sich die<br />
großen Fragen zeitgenössischer Kunst auftun: Was ist Kunst<br />
überhaupt und wann hört sie auf, Kunst zu sein? Was sollte Kunst<br />
dem Betrachter über die Welt, in der er lebt, überhaupt noch<br />
erzählen? Welche Rollen spielen der Künstler und seine Biografie<br />
für das Werk? Ist es nicht grundsätzlich vermessen, sich als<br />
Künstler auszugeben, wenn man im Prinzip alles, also auch einen<br />
leichten Lufthauch wie gerade auf der Documenta ausgestellt, zur<br />
Kunst erklären kann? Muss ein Künstler also qua Beruf spätestens<br />
nach Duchamps Readymades nicht ohnehin immer auch ein<br />
Scharlatan sein? Cattelan beantwortet keine dieser Fragen, aber er<br />
provoziert sie. Um dazu in der Lage zu sein, braucht es ein<br />
feinnerviges Gespür für die Zeit. Hinter dem Krawall und der<br />
provokanten Geste findet man in Cattelans Werk also auch<br />
unzählige sensible Beobachtungen und Selbstzweifel. Das breite<br />
Spektrum der Ausdruckskraft, die Virtuosität, mit der er eine<br />
tiefreichende Indifferenz inszeniert, machen Cattelan zu einem der<br />
klügsten Gegenwartskünstler. Oder müsste man sagen: haben<br />
ihn gemacht?<br />
126<br />
127
Nun stimmt es natürlich nicht, dass Cattelan die Kunst ganz an den<br />
Nagel gehängt hat. Er gestaltet seit rund zwei Jahren zusammen<br />
mit dem Fotografen Pier Paolo Ferrari ein halbjährliches Magazin,<br />
das den irritierenden Titel „Toiletpaper“ trägt. Wenn man das<br />
Heft zum ersten Mal durchblättert, dann kann es passieren, dass<br />
man es schnell verstört wieder zuklappt – denn auf den ersten<br />
Blick treibt Cattelan die Vulgarität, die Produkt-, Foto- und Modeorgien<br />
der unzähligen Lifestyle-Titel auf die Spitze. Auf den Fotos<br />
des Magazins sieht man abgetrennte beringte Kunststofffinger<br />
mit Nagellack vor einem hellblauen Hintergrund. Das Gesicht einer<br />
Frau ist mit einem seltsamen hautähnlichen Kunststoff überzogen,<br />
was Assoziationen entweder an Pornos oder Schönheits-OPs<br />
hervorruft. Die Bilder zeigen ein Tattoo über einer Po-Ritze, gerahmt<br />
durch eine am Hintern herzförmig ausgeschnittene<br />
Hotpants, ein rauchendes Model vor dicken Bierbäuchen, das<br />
herausfordernd in die Kamera schaut oder ein Erdhörnchen, das<br />
sich Kokain durch die Nase ziehen will. Die Farben sind satt und<br />
knallbunt, häufig in seltsamen Pastelltönen gehalten.<br />
Eine Persiflage auf Lifestyle-Magazine sei das auf keinen Fall, sagt<br />
hingegen Cattelan. Er hat die Motive, die wir zeigen, exklusiv für<br />
<strong>Fräulein</strong> als eine Art „Best Of Toiletpaper“ zusammengestellt. Es<br />
gibt auch andere, ernste, aber nicht weniger provokante Bilder.<br />
Zum Beispiel eines von über dem Boden baumelnden Frauenfüßen.<br />
Man weiß nicht, ob die Frau sich aufgehängt hat oder ob sie in die<br />
Luft springt. Alles deutet aber auf das Erstere.<br />
Cattelan lernte Pierpaolo Ferrari bei einem Fototermin für eine<br />
Kunstausgabe des amerikanischen Modemagazins „W“. Das<br />
Shooting lief so gut, dass sie beschlossen, zukünftig häufiger zusammen<br />
zu arbeiten. Nach einer weiteren gemeinsamen Produktion<br />
für die Art- und Fashionzeitschrift „TAR“ beschlossen sie,<br />
„Toiletpaper“ zu gründen. Seit dem sind sie auf dem besten Weg,<br />
zum kleinen schrägen Lifestyle-Imperium zu werden. Cattelan und<br />
Ferrari und suchen die Nähe zu klassischen Publikationen wie<br />
zum Beispiel „Wallpaper“, mit dem sie ein Event zum Mailänder<br />
Möbelmesse ausrichteten oder mit „Vice“, für das Cattelan das<br />
Cover gestaltete – ein Stillleben mit einem Abflusspropfen, einen<br />
Tacker und einem Dildo. Angedacht ist eine Bekleidungslinie,<br />
bestehend aus einer Jacke – und einer Tischdecke. Die Möglichkeit,<br />
in der Pariser Galerie Lafayette mit einem eigenen Stand vertreten<br />
zu sein, besteht bereits. Derzeit hängt das morbide Foto mit den<br />
lackierten abhackten Finger auf einem riesigen Billboard in New<br />
York. Zur Launch-Party des jüngsten Magazinausgabe in New York<br />
stand ein zur Stretchlimousine ausgebauter Hummer-Geländewagen<br />
als Shuttle zur Verfügung; in Berlin ließ sich Cattelan die<br />
Release-Party seiner fünften Ausgabe während des Gallery<br />
Weekends von dem italienischen Likörhersteller Disaronno sponsorn.<br />
Ein Amaretto, der so vulgär und verführerisch süß schmeckt<br />
wie viele Bilder in Cattelans Magazin aussehen. Manchmal sind<br />
es Details, die man weglassen könnte, dann würden Pierpaolo<br />
Ferraris Aufnahmen hübsch und ansehnlich wirken. Doch da ist<br />
immer etwas, dass die Schönheit zerstört. Und selbst wenn ein<br />
Bild mal offenkundig schön sein sollte, dann erwartet einen auf der<br />
nächsten Seite gleich wieder der Abgrund. „Toiletpaper“ kann<br />
ein Höllenritt sein, aber auch ein visuelles Knallbonbon. Hat man<br />
die Bilder einmal gesehen, vergisst man sie erst mal nicht mehr.<br />
Cattelan sagt, er sei von einer Sucht nach Bildern befallen. Manchmal<br />
sind es tausende, die er sich pro Tag im Internet anschaut.<br />
Sein Magazin sei ein Vorwand, um diese Sucht zu befriedigen. Er<br />
Wie schon als Künstler versucht er mit allen<br />
Mitteln ein Metier zu erobern, das er<br />
gleichzeitig untergräbt. Statt der Kunst- ist<br />
es nun die Lifestyle-Welt.<br />
hat schon mal eine Zeitschrift mit dem Titel „Permanent Food“<br />
produziert: Dafür kaufte er spontan am Kiosk alle auffindbaren<br />
Magazine, riss die interessantesten Seiten heraus, klebte sie zu<br />
Collagen zusammen und schickte die in den Druck. „Toiletpaper“<br />
ist eine Weiterentwicklung davon. Die Fotos, die Cattelan und<br />
Ferrari wie gewöhnliche Fashionshoots mit Casting, Make-up etc.<br />
produzieren, zeigen Motive, die in Cattelans Kopf hängen geblieben<br />
sind, nachdem die Bilderflut über ihn hinweg gespült ist.<br />
Die grellen Farben und die meistens drastischen Motive können bei<br />
aller Ironie und morbidem Spaß aber die emotionale Kälte und<br />
den Weltekel nicht verbergen. Eigentlich ist sein Magazin also ein<br />
typisches Werk des Künstlers Cattelan. Wie schon als Künstler versucht<br />
er, mit allen Mitteln ein Metier zu erobern, das er gleichzeitig<br />
untergräbt. Statt der Kunst- ist es nun die Lifestyle-Welt.<br />
Zu der Präsentation des New Yorker Billboards am High Line Park<br />
werben Cattelan und Ferrari mit einem Foto von einem Stück rosa<br />
Seife, in das jemand herzhaft hineingebissen hat. Die Seife ist so<br />
lecker fotografiert, dass sie aussieht wie ein extrasüßes Stück Kuchen.<br />
Vielleicht ist Cattelan im Endeffekt doch einfach zu verstehen<br />
und sein Werk, auch das Magazin, enthält vor allem eine sehr<br />
wahre Erkenntnis: Nichts ist, wie es scheint. Das mag banal<br />
klingen, aber in der Konsequenz ist es ziemlich tragisch. Ende<br />
Maurizio Cattelan wurde 1960 in Padua geboren, lebt<br />
aber in New York. Im November vergangenen Jahres<br />
verabschiedete er sich dort mit einer Ausstellung im<br />
Guggenheim aus der Kunstwelt. Wir trafen ihn dank des<br />
italienischen Likörherstellers DIsaRONNO beim<br />
Launch-Event seines „Toiletpaper“-Magazins in Berlin.<br />
129
mehr<br />
für die welt<br />
wut<br />
Fotos: Kassim Dabaji und Fritz Schaap<br />
Text: Fritz Schaap<br />
Sie wurde mit dem Tode bedroht, Islamisten kündigten an, sie mit Säure zu übergießen:<br />
Joumana Haddad ist die kontroverseste Journalistin des Nahen Ostens – und die mutigste.<br />
Eine Bestsellerautorin, Verlegerin, Kämpferin für Frauenrechte und freie Sexualität. Eine<br />
zornige Optimistin, die sich von einer Kindheit im libanesischen Bürgerkrieg und einer<br />
Gesellschaft, in der die meisten sie hassen, nicht den Mund verbieten lässt.<br />
130
DDie meistgehasste Frau des Libanons<br />
lächelt. Nein, sie hoffe doch nicht, dass es<br />
wirklich so schlimm sei. Sie wolle doch<br />
auch nur geliebt werden. Wie alle. Doch<br />
in dem Lächeln liegt auch ein fast verwegener<br />
Stolz, etwas, das sagt: „ …und wenn<br />
schon, dann sollen sie mich doch hassen!“<br />
Wenn Hass hier die Einheit wäre, in der<br />
ihr Erfolg gemessen wird – dann hat sie<br />
nichts dagegen, noch mehr gehasst zu werden.<br />
„Dann ist es mir egal“, sagt sie lapidar,<br />
während ihre Hand eine fast unmerkliche<br />
Wegwerfbewegung vollführt.<br />
Joumana Haddad steht in einem Buchladen<br />
in Downtown Beirut, zwei Häuser neben<br />
dem Verlagsgebäude von „An-Nahar“, der<br />
Tageszeitung, deren Kulturteil sie leitet.<br />
High Heels, enge Jeans, Seidenbluse, lange<br />
schwarze Locken. Lyrikerin, Schriftstellerin,<br />
Journalistin, Dozentin, Herausgeberin.<br />
41 Jahre, Mutter zweier Kinder, zum<br />
zweiten Mal verheiratet. Sie wühlt in einem<br />
Stapel Grußkarten. Für ihre Studenten,<br />
die morgen ein Italienisch-Examen bei ihr<br />
schreiben. Italienisch hat sie selbst in<br />
jungen Jahren gelernt – und auch unterrichtet,<br />
um ihren ersten Mann zu unterstützen.<br />
Sie braucht den Kontakt zu den jungen<br />
Leuten, sagt sie. Aus dem ersten Stock eilt<br />
der Besitzer des Buchladens herunter. Ein<br />
alter Mann, klein, Glatze. Drei Küsschen<br />
und die Frage: „Wo bleibt das Magazin?“<br />
Ihr Magazin hat sie bekannt gemacht<br />
außerhalb der libanesischen Grenzen, es<br />
hat ihr in der arabischen Welt Todesdrohungen<br />
und Hass eingebracht. Auf diesem<br />
Teil der Erde ist es das erste und einzige<br />
seiner Art. „Jasad“ heißt es, der Körper.<br />
Seit acht Monaten hat es keine neue Ausgabe<br />
mehr gegeben. Niemand traut sich,<br />
darin zu werben – aber ohne Werbung kein<br />
Budget. Trotzdem ist jetzt endlich eine<br />
neue Ausgabe in Planung.<br />
„Jasad“ ist kein Pornomagazin, aber doch<br />
ein intellektuelles, lustvolles Infragestellen<br />
der Tabus, die die arabische Welt um<br />
Sexualität und Körper gemauert hat. Ein<br />
Magazin mit Reportagen über Jungfräulichkeit,<br />
erzwungene Hochzeiten, Polygamie,<br />
Homosexualität, Religion, mit erotischer<br />
Fotografie und erotischer Lyrik.<br />
„Der Körper oder vielmehr Sex ist eines<br />
des größten Probleme der arabischen<br />
Welt“, sagt Haddad, während sie zahlt. Sex<br />
ist einer der drei Eckpunkte, zwischen<br />
denen sich aufspannt, was sie das Bermuda-Dreieck<br />
nennt, die anderen sind<br />
Religion und Politik. Alle drei, so sagt sie,<br />
sind untrennbar miteinander verbunden.<br />
Alle drei sind schwer zu durchdringen.<br />
In der ganzen arabischen Welt ist „Jasad“<br />
verboten, nur im Libanon kann man es<br />
kaufen – in Umschlägen mit dem Aufdruck:<br />
nur für Erwachsene. Den „Playboy“<br />
gibt es ohne Verpackung, der wird nicht<br />
von einer Frau gemacht. „Ich bin auch kein<br />
Hugh Hefner, ich bin viel gefährlicher“,<br />
sagt sie auf dem Weg zur Redaktion. „Ich<br />
betrachte den Körper nicht nur von einem<br />
oberflächlichen Standpunkt. Der Körper ist<br />
hier Politik hier. Wenn Intellektuelle im<br />
Heft über Sex schreiben, dann gleicht das<br />
einer kleinen Revolution. Das ist viel gefährlicher,<br />
als Männern beim Masturbieren<br />
zu helfen.“ Wieder das Lächeln, das zu<br />
sagen scheint: „Na komm, widersprich mir<br />
doch.“ Joumana Haddad mag Widerspruch.<br />
Kurz darauf sitzt sie in ihrem Büro im<br />
fünften Stock des neuen Glasgebäudes der<br />
Zeitung, die man wohl die „Süddeutsche“<br />
des Nahen Ostens nennen könnte. „Ich<br />
werde immer gefragt, warum ich für die<br />
sexuelle Befreiung kämpfe, das könne doch<br />
nicht Priorität sein, andere Rechte seien<br />
wichtiger. Aber wenn ich für die sexuelle<br />
Befreiung kämpfe, kämpfe ich für Säkularisierung,<br />
gegen Religionen, gegen deren<br />
Machtmonopol. Der gleiche Drachen –<br />
mit vielen Köpfen.“<br />
Den fauligen Atem dieses Drachens musste<br />
Haddad schon in frühester Kindheit<br />
spüren. Sie wuchs auf umgeben von Krieg.<br />
Zu Hause stritten ihre streng katholischen<br />
Eltern, draußen auf den Straßen begann<br />
der Bürgerkrieg. Da war Haddad vier Jahre<br />
alt. Milizen banden getötete Gegner an<br />
Autostoßstangen, schleiften die Leichen<br />
durch die Stadt. Das Pfeifen der Granaten<br />
ersetze das Hupen der Autos. So sah der<br />
Alltag in Beirut von 1975 bis 1990 aus.<br />
Haddad flüchtete sich in die Literatur. „Sie<br />
hat mir das Leben gerettet“, sagt sie heute<br />
und bläst Rauch in einer feinen Säule in<br />
den Raum. Dostojewski, Salinger, Balzac,<br />
Miller, Anais Nin – die Bibliothek ihres<br />
Vaters war wie ein Füllhorn voller Klassiker.<br />
Mit zwölf, als sie den gerade ausgelesenen<br />
Balzac wieder in das Bücherzimmer<br />
des Vaters brachte, fand sie auf dem<br />
obersten Regalbrett ein gelb eingeschlagenes<br />
Buch, das ihr Leben verändern sollte:<br />
„Justine“, das bekannteste und sexuell<br />
extrem explizite Buch des französischen<br />
Adligen Marquis de Sade, der 1814 starb<br />
und dessen Name für den Begriff Sadismus<br />
Pate stand. „De Sade griff mich an den<br />
Schultern und sprach: ‚Die Phantasie ist<br />
dein Königreich. Alles ist möglich‘.“<br />
De Sade sollte recht behalten. Für Haddad<br />
schien nach der Lektüre kaum mehr etwas<br />
unmöglich, weniges unschicklich. Zog sie<br />
sich als Mädchen viel und oft zurück, hatte<br />
dies einfache Gründe. Zwei Lieblingsbeschäftigungen<br />
hat sie gehabt, für beide benötigte<br />
sie unbedingte Einsamkeit: Lesen<br />
und Masturbieren. Doch kaum war sie dem<br />
intellektuellen, aber auch strengen Elternhaus<br />
entflohen – sie forcierte die<br />
eigene Hochzeit –, war die Zurückgezogenheit<br />
passé. Den ersten Eklat beschwor sie<br />
herauf, als sie mit 25 ein Gedicht über den<br />
Penis schrieb und veröffentlichte. In<br />
Europa nichts Besonderes, doch für eine<br />
arabische Frau war es ein großer, ein<br />
wichtiger Schritt. Noch immer wirft sie<br />
einem das Wort mit Trotz entgegen. „Ein<br />
Penis ist ein Penis und Titten sind Titten<br />
– warum soll ich das nicht so sagen<br />
dürfen?“<br />
Bald begann sie bei der Zeitung, unterrichtete<br />
Italienisch, schrieb Bücher. Vor ihr<br />
auf dem Schreibtisch liegt eine Ausgabe<br />
ihres letzten: „Wie ich Scheherazade<br />
tötete“. Es steht in der gesamten arabischen<br />
Welt auf dem Index – außer im Libanon. Es<br />
ist eine leidenschaftliche Kampfansage<br />
gegen die Unterdrückung der Frau, gegen<br />
die monotheistischen Religionen, zugleich<br />
ein grimmiger Appell an die arabische<br />
Welt, ein wütende Confessio, eine politische<br />
Streitschrift zur Befreiung der Frau.<br />
Wut – sie ist die treibende Kraft in Haddad.<br />
Wut über die Gleichgültigkeit ihrer Mitmenschen,<br />
über die libanesischen Frauen,<br />
die nicht kämpfen wollen. Die Minirocktragen<br />
und Partymachen schon als Freiheit<br />
betrachten, denen egal ist, dass sie vom<br />
Gesetz nicht gleichberechtigt behandelt<br />
werden. Wut auf die Feministinnen, die<br />
einen Kampf gegen Windmühlen führen,<br />
solange sie nicht die Männer mit ins Boot<br />
nehmen, um gemeinsam für die Gleichberechtigung<br />
der Frau zu kämpfen. Wut auf<br />
die Kirche, Wut auf den Islam, Wut auf alle<br />
monotheistischen Religionen, weil sie<br />
Alle Bilder auf dieser Doppelseite<br />
stammen aus der aktuellen Ausgabe<br />
von Haddads Magazin „Jasad“.<br />
„Der Körper oder vielmehr Sex ist eines der größten<br />
Probleme der arabischen Welt“, sagt Haddad.<br />
mehr als alles andere die Unterdrückung<br />
der Frau in der arabischen Welt legitimieren.<br />
Es ist diese Wut, die sie aus dem Bett<br />
treibt. „Wenn ich morgens aufstehe, fühlt<br />
es sich an, als würde ich in die Schlacht<br />
ziehen. Denn das Leben hier ist immer ein<br />
Kampf.“<br />
Es ist eine schöne Wut, eine reflektierte<br />
Wut, die jetzt über ihre Züge huscht,<br />
während sie redet. Es ist nicht die Wut der<br />
Islamisten, die nach dem ersten Erscheinen<br />
des Magazins „Jasad“ drohten, Haddad<br />
mit Säure zu übergießen; es ist auch nicht<br />
die Wut der Kirche, aus der sie austrat, um<br />
sich fortan öffentlich als Atheistin zu bezeichnen.<br />
Etwas Unerhörtes in der<br />
arabischen Welt. Es ist auch nicht die Wut<br />
einiger Kollegen, die ihr Effekthascherei<br />
vorwerfen. Es ist eine katalysierte Wut,<br />
eine kreative. Und sie wird größer.<br />
Keine zwei Jahre ist es her, dass die Völker<br />
der arabischen Welt begannen, gegen<br />
ihre Despoten aufzubegehren. Anfang 2011<br />
rief Ban Ki Moon, der Generalsekretär<br />
der Vereinten Nationen, die Frauen der<br />
arabischen Welt auf, die Winde der Veränderung<br />
zu nutzen, die durch ihre Länder<br />
wehten. Doch was ist passiert? Joumana<br />
dreht sich eine Zigarette, zündet sie an.<br />
Man spürt ihren Spott in der Geschwindigkeit<br />
des Rauchs, den sie in die Luft bläst,<br />
im Temperament, das in den grünen Augen<br />
funkelt.<br />
Von Anfang an hat sie den Optimismus des<br />
Westens nicht verstanden. Seit März 2011<br />
hat sie Artikel um Artikel geschrieben und<br />
davor gewarnt, dass diese Revolutionen<br />
keine Freiheit bringen würden. Dass man<br />
nur wählen könne zwischen zwei Monstern:<br />
der Diktatur und dem religiösen<br />
Extremismus, der für sie noch schlimmer<br />
ist, weil noch frauenfeindlicher. Aber was<br />
sie am meisten ärgert, ist die Rolle, die<br />
die Frauen selber während der Revolution<br />
eingenommen haben.<br />
„In Ägypten und Tunesien haben wir<br />
anfangs Frauen auf der Straße gesehen.<br />
Aber danach? Als es wichtig wurde? Bei<br />
den Wahlen? Da waren sie fast vollständig<br />
verschwunden. Man könnte meinen, sie<br />
seien nur benutzt worden, um den Revolutionen<br />
Glaubwürdigkeit zu schenken. Um<br />
im Westen Euphorie zu entfachen. Aber<br />
es war alles nur Beschiss. Nach den<br />
Revolutionen blieben die Frauen auf der<br />
Strecke, und das Schlimmste ist: Sie haben<br />
es hingenommen.“ Sie kramt die Packung<br />
Virginia Blend wieder aus ihrer Handtasche<br />
und dreht die nächste. „Was man so<br />
gerne ´Arabischer Frühling´ nennt, das<br />
ist kein Frühling. Das ist höchstens und<br />
hoffentlich ein letzter Winter.“<br />
Sie will die Hoffnung nicht aufgeben, dass<br />
die Phase des religiösen Extremismus’ nur<br />
eine Übergangsphase ist. Eine finale<br />
Hürde, die die arabische Welt überwinden<br />
muss, um endlich wirkliche Veränderung<br />
zu erleben, um Freiheit zu finden. Ein<br />
Kämpfer muss immer auch Optimist sein.<br />
Sie schaut aus dem Fenster. Unter ihr der<br />
Platz der Märtyrer, immer noch von<br />
Bomben planierte Brachfläche, 22 Jahre<br />
nach Ende des Bürgerkrieges. Der Krieg –<br />
wie fast jeder im Libanon ist auch sie von<br />
ihm geprägt worden. „Der Krieg kann zwei<br />
Sachen mit dir machen: All das Blut, der<br />
Tod, die Trümmer, die Angst können dafür<br />
sorgen, dass Du schnell aufgibst, bloß nur<br />
deine Ruhe haben willst. Oder der Krieg<br />
macht einen Kämpfer aus dir.“<br />
Dann muss sie los. Ihr Sohn kocht für sie.<br />
Sie wird erwartet. Sie eilt zu einer jungen<br />
Kollegin. Der einzigen mit Kopftuch, jenem<br />
Kleidungsstück, gegen das sie so vehement<br />
zu Felde zieht. Sie umarmt sie, die beiden<br />
wechseln ein paar Worte, dann verschwindet<br />
sie im Fahrstuhl. „Das arme Mädchen,<br />
so schlau, so offen“, sagt sie, „das Kopftuch<br />
132<br />
133
zwei Zwölfjährige, die sie neulich auf einem<br />
Kindergeburtstag belauschte. Ein<br />
Porsche war vorbeigefahren, und die eine<br />
hatte zur anderen gesagt: „Wenn ich<br />
groß bin, wird mir mein Mann so einen<br />
kaufen.“ Haddad schüttelt den Kopf. „Wie<br />
kann das sein, warum werden diese Mädchen<br />
nicht endlich so erzogen, dass sie<br />
denken: Ich werde Geld machen und mir<br />
selber so einen teuren Wagen kaufen?<br />
Es liegt doch in den Händen der Mütter.<br />
Aber Beirut. Sie lächelt wieder. Natürlich<br />
liebt sie es auch. Man muss diese Stadt<br />
lieben. Das Leben, das noch immer, trotz 15<br />
Jahren Bürgerkriegs, in ihr vibriert, die<br />
Cafés, die Restaurants, die Clubs, die<br />
Strände, die Galerien, die Intellektualität,<br />
die sich hier noch immer ballt. Natürlich<br />
liebt sie all das, bei allem Hass.<br />
Sie erzählt von ihrem Umzug, der ihr bald<br />
bevorsteht. Ein Haus im Norden Beiruts,<br />
Blick aufs Meer, die Zedern im Rücken. Sie<br />
Es sind die kleinen Veränderungen, an<br />
die sie glaubt. Die in den Menschen.<br />
Deswegen hat sie wieder ein Buch geschrieben:<br />
„Superman is an Arab“ heißt<br />
es und wird in Deutschland im nächsten<br />
Jahr erscheinen. Die ersten Zeilen darin<br />
stammen von Henry Miller:<br />
This then? This is not a book, in the<br />
ordinary sense of the word. No, this is a<br />
prolonged insult, a gob of spit, a kick in<br />
the pants to God, Man, Destiny, Time …<br />
Viele Studenten schätzen Haddad für ihre Meinungsstärke<br />
und drücken ihre Bewunderung in Dankesbriefen aus.<br />
zerstört ihr ganzes Leben.“ Sie eilt durch<br />
die Tiefgarage in Richtung ihres grünen<br />
Geländewagens, das Klicken ihre Absätze<br />
hallt von den Wänden zurück. „Ihre<br />
Familie zwingt sie, es zu tragen, und der<br />
einzige Weg, der Familie zu entkommen,<br />
ist es, zu heiraten. Aber mit Kopftuch<br />
findest du nur Männer, die denken wie ihre<br />
Eltern. Es ist ein furchtbarer Kreislauf.“<br />
Und das Tuch einfach ablegen? Sie schaut,<br />
als hätte sie nicht recht verstanden. „Dann<br />
bringen sie sie um“, sagt Haddad dann<br />
nüchtern.<br />
Am nächsten Mittag sitzt sie rauchend in<br />
ihrem Auto und steuert durch Beirut.<br />
Die Hand mit dem Armband aus kleinen<br />
Peace-Zeichen und dem Hurriya-Tattoo<br />
am Handgelenk hält das Steuer, die andere<br />
entweder die Zigarette oder das Handy.<br />
Hurriya ist ein schönes arabisches Wort,<br />
Freiheit bedeutet es. Eine englische<br />
Journalistin hat sie einmal als die Carrie<br />
Bradshaw von Beirut bezeichnet, und<br />
auch wenn sie ein Faible für Maniküre, italienische<br />
Schuhe und Handtaschen nicht<br />
leugnen kann, so drohen einem als<br />
Journalist im Libanon doch schlimmere<br />
Dinge als der Champagner-Kater am<br />
Morgen nach der Vernissage. Zwei<br />
Redaktionskollegen fanden alleine 2005<br />
den Tod durch eine Autobombe. Nein, eine<br />
Carrie Bradshaw ist sie nicht, eher eine<br />
Kämpferin in schicken Schuhen.<br />
Sie fährt auf die Corniche, die Küstenstrasse,<br />
links Luxusappartements, rechts<br />
das Meer. Am Straßenrand: Werbung<br />
für Botox, Werbung für Schönheits-OPs.<br />
„Die Banken hier geben extra Kredite<br />
für Schönheits-Operationen“, sagt sie<br />
und schüttelt den Kopf. „Es ist nicht zu<br />
glauben. Selbst Kühlschränke und Bücher<br />
bewerben sie mit halbnackten Frauen.<br />
Ich bin eine heterosexuelle Frau. Wenn sie<br />
wollen, dass ich was kaufe, dann sollen sie<br />
doch Männerärsche drucken.“ Sie lacht.<br />
Irgendwann zeigt sie landeinwärts. „Hier<br />
war vor ein paar Monaten eine Demo von<br />
Feministinnen. Sie haben demonstriert<br />
und sich alle Schnurbärte angeklebt. Wie<br />
zum Teufel soll ich sowas unterstützen.<br />
Wenn ich für meine Rechte demonstrieren<br />
will, dann mach ich das in meinen High<br />
Heels.“ Nein, die Feministinnen und sie –<br />
das passt nicht. Zu dogmatisch sind sie ihr,<br />
zu stolz auf ihre Weiblichkeit ist sie ihnen.<br />
„Ich feiere gerne meine Weiblichkeit als<br />
eine wichtige Kraft. Das verstehen sie nicht<br />
ganz.“ Haddad bezeichnet sich selbst als<br />
Post-Feministin.<br />
Es ist die Wut, die sie aus dem Bett treibt.<br />
„Wenn ich morgens aufstehe, fühlt es<br />
sich an, als würde ich in die Schlacht ziehen.<br />
Denn das Leben hier ist immer ein Kampf.“<br />
Langsam mäandert der Verkehr durch die<br />
Stadt. Ihre Stadt. Beirut. Ihre Hassliebe.<br />
„Jaja“, sagt sie, als könne sie es nicht mehr<br />
hören, „natürlich sagt man, der Libanon sei<br />
offen und liberal. Aber das ist doch alles<br />
nur Oberfläche, und das ist es, was mich so<br />
ärgert.“ Sie erzählt eine Geschichte über<br />
Aber die Mentalität hier ist korrumpiert.<br />
Die meisten Frauen wählen den einfachen<br />
Weg.“<br />
Aber natürlich sind die Männer nicht<br />
besser. „An der Uni gab es neulich eine Umfrage<br />
unter jungen Studenten. 90 Prozent<br />
habe gesagt, sie würden nur eine Jungfrau<br />
heiraten. Junge Studenten. Gebildete junge<br />
Männer. Ist das normal?“ Sie schaut mit<br />
ernster Trauer auf die Strasse vor sich, zieht<br />
an der Selbstgedrehten und sagt mehr zu<br />
sich selbst, flüstert fast: „Nein, nein, nein.“<br />
Es ist ein trauriges Nein. Es wirkt fast wie<br />
ein Eingeständnis, ein sekundenlanges<br />
Resignieren von einer, die den Optimismus<br />
nicht verlieren darf. Es muss viel Kraft<br />
kosten, hier zu kämpfen. Optimismus ist<br />
ein teures Gut, wenn man fast jeden gegen<br />
sich weiß.<br />
strahlt, wenn sie davon erzählt. Und<br />
wieder mit leichtem Spott im Blick erzählt<br />
sie, wie der Vermieter schriftlich hat<br />
versprechen müssen, keine Mietparteien<br />
aus den Golfstaaten einziehen zu lassen –<br />
was nicht unüblich ist in Beirut, wo 25<br />
Prozent der Immobilien Nichtlibanesen<br />
gehören. Morgens beim Frühstück auf<br />
der Terrasse eine „Burkafrau“ sehen<br />
müssen: nicht mit ihr.<br />
Später nach dem Examen legen zwei ihrer<br />
Studenten fast schüchtern Briefe auf den<br />
Tisch, bevor sie gehen. Dankesbriefe.<br />
Für die Sicherheit, für das Gefühl, das sie<br />
ausstrahlt, dass Freiheit immer erreicht<br />
werden kann. Sie wird rot, als sie die<br />
Schreiben liest. Alleine im Seminarraum.<br />
Sie weiß, dass sie die Welt nicht verändern<br />
können wird, sie will das auch gar nicht.<br />
I am going to sing for you, a little off-key<br />
perhaps, but I will sing ...<br />
In ihren eigenen Worten steht weiter<br />
hinten:<br />
When my book ‘I Killed Scheherazade:<br />
Confessions of an Angry Arab Woman’ was<br />
first published, many people asked me:<br />
‘What makes you the most angry?’ And I<br />
always answered: ‘The fact that there<br />
aren’t enough angry people out there.’ Yes,<br />
the world needs more angry, outraged<br />
men and women.<br />
Joumana Haddad ist wütend – und sie wird<br />
es bleiben. Ende<br />
Joumana Haddad wurde 1979 in Beirut geboren.<br />
Ihr Buch „Wie ich Scheherazade tötete“ erschien bereits<br />
2010, ihr neues Buch mit dem Titel „Superman is an Arab“<br />
wird voraussichtlich nächstes Jahr publiziert.<br />
134<br />
135
paradiesische<br />
früchte<br />
Von der bibel in die Hausapotheke<br />
Fotos: Christian Hagemann<br />
Text: Alexa von Heyden<br />
Sauer macht lustig … und erfinderisch: Zitrusfrüchte beeinflussten nicht nur<br />
internationale Essgewohnheiten, sondern auch Kunst und Architektur, vielleicht<br />
sogar die Religionsgeschichte. Bis heute stehen die Aromabomben wie kein<br />
anderes Lebensmittel für Gesundheit und Frische.<br />
Wenn dir das Leben eine<br />
Zitrone gibt, mach’<br />
Limonade draus“ lautet ein<br />
wenig holperig der<br />
deutsche Titel von Virginia<br />
Euwer Wolffs Jugend-<br />
Kultbuch „Make Lemonade“.<br />
Wenn man bedenkt,<br />
dass es Leute gibt, die<br />
sogar behaupten, Adam<br />
und Eva seien hochkant aus dem Paradies geflogen, weil sie in eine<br />
Zitrone und nicht in einen Apfel bissen, macht dieses inzwischen<br />
geflügelte Wort einmal mehr Sinn. Das gängige Bild vom Apfel als<br />
verbotener Paradiesfrucht geht wohl auf eine falsche Übersetzung<br />
des lateinischen Wortes „malum“ zurück, das sowohl „das<br />
Schlechte“ bedeutet als auch „Apfel“. Tja, die Überlieferung von<br />
Geschichte ist manchmal wie Stille-Post-Spielen: Am Ende der<br />
Leitung kommt totaler Quatsch raus. <br />
Fest steht, dass Zitrusfrüchte die Menschheit schon eine ganze<br />
Weile begleiten. In den Gärten der Hesperiden am Rande der Welt<br />
wuchsen, so die griechische Mythologie, „goldene Äpfel“, die den<br />
Göttern ewiges Leben garantierten. Tatsächlich enthalten Zitrusfrüchte<br />
viel Vitamin C und Mineralstoffe wie Kalium. Insbesondere<br />
die oft verschmähte weiße Haut zwischen Fruchtfleisch und Schale<br />
enthält Stoffe, die Krebs und einem Herzinfarkt vorbeugen können.<br />
Die Mutter aller Zitrusfrüchte ist die Zitronatzitrone (lat. Citrus<br />
medica – Medischer Apfel), die schon im 1. Jahrhundert nach<br />
Christus auf jüdischen Geldstücken abgebildet wurde und deren<br />
Verwandte, die gelbgrüne Sorte Etrog, bis heute eine wichtige Rolle<br />
in der jüdischen Religion spielt, etwa beim Laubhüttenfest. Im<br />
Mittelalter waren die Südfrüchte wie alles Exotische teure<br />
Luxusartikel. In Vanitas-Gemälden sind Zitronen ein Symbol<br />
sowohl für Reichtum als auch für Tugend und Mäßigung, weil man<br />
sie wegen ihrer Säure nicht einfach wie ein Stück Kuchen herunter<br />
schlingen kann. Carl von Linné, der schwedische Naturforscher<br />
und Taufpate der Pflanzen und Tiere (er prägte auch Begriffe wie<br />
„Homo sapiens“ oder „Tyrannosaurus rex“), nannte die Zitrone<br />
„Hesperidium“, womit sich der Kreis zu den goldenen Äpfeln der<br />
griechischen Sagen schließt. In der Barockzeit kam dank Sonnenkönig<br />
Ludwig XIV. das Sammeln von Zitronen- und Orangenbäumen<br />
in Mode – eine sogenannte „Orangerie“ eben. Da die immergrünen<br />
Bäumchen jedoch empfindlich auf die kalten Temperaturen<br />
jenseits der Alpen reagieren, baute man repräsentative Hallen mit<br />
großen Fenstern, sozusagen die Vorgänger der Wintergärten, in<br />
denen die Kübelpflanzen untergebracht wurden. Wer sich keine<br />
echten Früchtchen leisten konnte, ließ sie sich auf Teller malen.<br />
137
Überhaupt, die Kunst! Das „blasse Zitronengold“ der südfranzösischen<br />
Sonne inspirierte Vincent van Gogh zu seinen schönsten<br />
Stillleben. Georg Baselitz malte 1981 seinen „Orangenesser“, und<br />
Joseph Beuys schuf 1985 die Multiple-Installation „Capri-Batterie“,<br />
eine gelbe Glühbirne mit schwarzer Fassung, deren Stecker in<br />
einer Zitrone steckt. <br />
Ursprünglich stammen die Zitrusfrüchte aus Südostasien, worauf<br />
die in Norddeutschland übliche Bezeichnung „Apfelsine“ hinweist<br />
– nämlich „Apfel aus China“. Wer sich schon immer gefragt hat,<br />
warum eines der schönsten Hotels der Welt „Mandarin Oriental“<br />
heißt: Im kaiserlichen China trugen höchste Würdenträger den<br />
Titel „Mandarin“ – und orangefarbene Roben .<br />
Kaufleute brachten Zitrusfrüchte über die Seidenstraße schließlich<br />
nach Südeuropa. Aus deren Saft bereitete man mit Zucker und<br />
Wasser ein erfrischendes Getränk, den Vorläufer der Limonade,<br />
das die Seeleute gegen die Vitamin C-Mangelerkrankung Skorbut<br />
schützte. <br />
Heute sind Zitrusfrüchte ein alltägliches Lebensmittel und wegen<br />
ihrer antibakteriellen, entzündungshemmenden und reinigenden<br />
Eine japanische Studie zeigt, dass<br />
Zitrusduft tatsächlich nicht<br />
nur belebend, sondern auch gegen<br />
Konzentrationsstörungen wirkt.<br />
zusammen, denn wir verbinden die appetitlichen Früchte mit einem<br />
gesunden Lifestyle, man denke nur an frischgepressten O-Saft<br />
zum Frühstück. Eine japanische Studie zeigt, dass Zitrusduft<br />
tatsächlich nicht nur belebend, sondern auch gegen Konzentrationsstörungen<br />
wirkt. Früher trugen im Rheinland und anderswo<br />
die Totengräber Zitronen bei sich, um den Verwesungsgeruch<br />
der Leichen zu überdecken. Anschließend versuchten sie, die<br />
Früchte zu verkaufen – doch die wollte natürlich keiner haben.<br />
Daher kommt die Redensart „mit Zitronen handeln“.<br />
Zitrusfrüchte sind auch in der Hausapotheke unverzichtbar:<br />
1. Capri-Batterie: Josef Beuys<br />
Installation entstand 1985 wärend<br />
einesToskana-Aufenthalts.<br />
Die Zitrone fungiert als Mini-<br />
Kraftwerk.<br />
2. Jüdische Etrog-Münze: Seit<br />
dem 1. Jahrhundert ist ein<br />
Etrog-Strauch auf jüdischen<br />
Geldstücken abgebildet, wo<br />
sie als Paradiesapfel gilt<br />
und fester Bestandteil des<br />
Sukkotfestes ist.<br />
3. Orangenesser: Georg Baselitz<br />
malte das Bild 1982. Statt in<br />
den Mund führt die Hand die<br />
Orange zum Auge. Die Zitrusfrucht<br />
gilt hier als Symbol<br />
des Sündenfalls.<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
Kraft sowie ihres Dufts darüber hinaus Zutat für allerlei Kosmetika,<br />
Grippe- und auch Putzmittel. Zitronenfrisch soll es sein! Köche<br />
wie Jamie Oliver preisen sie als Geschmacksverstärker, deren<br />
Säure den Eigengeschmack von Lebensmitteln herauskitzelt. Der<br />
Brite quetscht in seiner TV-Show Zitronenhälften immer mit<br />
der Hand aus und träufelt den Saft großzügig über Salate, Fisch<br />
und Fleisch. Den Zuschauern läuft dabei das Wasser im Munde<br />
Aufgelegte Scheiben einer Zitrone lindern den Juckreiz nach<br />
Insektenstichen, der Saft hellt sowohl Flecken als auch die Haare<br />
auf und wirkt zusammen mit einem Espresso gegen Kopfschmerzen.<br />
Und ist es überhaupt möglich, eine Erkältung ohne ein<br />
paar Gläser heißer Zitrone zu überstehen? <br />
Früher war Italien das Land der Zitrusfrüchte schlechthin, man<br />
denke nur an Goethes Italiensehnsucht und sein romantisches<br />
MANDARINE<br />
Im kaiserlichen China trugen höchste<br />
Würdenträger den Titel „Mandarin“ – und<br />
orangefarbene Roben. Diesem Brauch<br />
verdankt die Mandarine ihren Namen.<br />
138
Hemd LIMETTE und Jacket Hermès<br />
besonders angesagt ist der aus Australien<br />
Hose<br />
stammende<br />
Prada<br />
Finger-Lime, aus dem der sogenannte<br />
Limettenkaviar gewonnen werden kann.<br />
Grapefruit<br />
Die Kreuzung aus Pampelmuse und Orange<br />
isst man am besten mit einem speziellen<br />
Grapefruitlöffel.<br />
KUMQuat<br />
auch Zwergorange genannt,<br />
stammt ursprünglich aus Asien.<br />
Manche behaupten sogar, dass Adam und<br />
Eva hochkant aus dem Paradies<br />
geflogen sind, weil sie in eine Zitrone und<br />
nicht in einen Apfel bissen.<br />
Gedicht „Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n, Im dunkeln<br />
Laub die Goldorangen glühn“. Berühmt für ihre Haine sind Sizilien<br />
und die Gegend rund um den Gardasee. Heute werden die Zitrusfrüchte<br />
in 100 Ländern angebaut, vor allem in Brasilien, Florida,<br />
Spanien oder Israel. Winterorangen kommen aus Europa, Sommerorangen<br />
aus Übersee. Entsprechend groß ist die Vielfalt: Man<br />
denke an Satsumas, Amalfi-Zitronen oder die angesagten Fingerlimetten<br />
aus Australien. Tatsächlich gibt es aber nur eine Handvoll<br />
Sorten: Zitronen, Orangen, Mandarinen, Pampelmusen und<br />
Limetten sowie die kleinen Kumquats. Clementinen sind eine<br />
häufig kernlose Kreuzung aus Mandarine und Orange und meist<br />
süßer. Die Grapefruit ist eine Hybride aus Pampelmuse und<br />
Orange. Das ätherische Öl der italienischen Bergamotte sorgt dafür,<br />
dass der Earl Grey Tee so komisch schmeckt. Die Navel Orange<br />
heißt so, weil ihr Ende tatsächlich wie ein Bauchnabel (engl. navel)<br />
aussieht. Die Pomeranze (lat. Pomum aurantium – goldener Apfel)<br />
ist eine Kreuzung aus Pampelmuse und Mandarine und wird<br />
von den Briten gerne zu Marmelade verkocht. Die Schale dieser<br />
Bitterorange kandiert man zu Orangeat, aus ihren Blüten wird das<br />
für die Parfümerie wichtige Neroliöl gewonnen. Pomeranzen<br />
werden außerdem zur Herstellung von Likören wie Curacao,<br />
Cointreau und Grand Marnier verwendet. <br />
Wegen des Insektensterbens könnten Zitrone & Co. demnächst<br />
wieder zu Luxusprodukten avancieren. In der Landwirtschaft<br />
werden vermehrt Pestizide eingesetzt und dadurch Insekten-<br />
Lebensräume zerstört. Das Ergebnis: Es gibt weniger Bienen oder<br />
sonstige Viecher, die die Zitronen bestäuben. Gut, dass ein paar<br />
Bäumchen auch in Deutschland wachsen können, zum Beispiel in<br />
Sachsen und im Alten Land bei Buxtehude. ende<br />
141
Das Bild<br />
Interview: Lisa Leinen<br />
Marina Lambrini Diamandis<br />
singt unter dem Künstlernamen Marina and the Diamonds.<br />
Die Halbgriechin spricht mit einem breiten walisischen<br />
Akzent und hat eine Vorliebe für lange Wimpern und den Look<br />
der Fifties. Für <strong>Fräulein</strong> malte die 26-Jährige ein Bild zum<br />
Thema ‚Einsamkeit’ und erzählte uns, wie es sich anfühlt,<br />
nicht dazuzugehören.<br />
W<br />
ie würden Sie den<br />
Unterschied zwischen<br />
Einsamkeit und<br />
Alleinsein beschreiben?<br />
Marina Lambrini Diamandis Ich denke,<br />
dass Alleinsein immer freiwillig ist, ein<br />
Zustand, aus dem man neue Energie und<br />
Kraft schöpfen kann, eine Zeit, in der man<br />
etwas ganz für sich tun kann. Einsamkeit<br />
dagegen ist ein unfreiwilliger Zustand<br />
mit unschönen Begleiterscheinungen.<br />
Manche ziehen sich selbst aus der<br />
Gesellschaft zurück, andere werden, aus<br />
welchen Gründen auch immer, von der<br />
Gesellschaft ausgeschlossen.<br />
Waren Sie schon einmal einsam?<br />
m D Ja, das war ich. Meine ganze Kindheit<br />
lang, denke ich, und wenn ich so darüber<br />
nachdenke, habe ich mich bis letztes Jahr<br />
einsam gefühlt. Einsamkeit hat mich<br />
geformt, mich zu derjenigen gemacht, die<br />
ich jetzt bin. Ich habe mich lange Zeit<br />
missverstanden gefühlt und mich selbst<br />
zur Außenseiterin gemacht. Ich hatte das<br />
Gefühl, mit niemandem auf dem Niveau<br />
reden zu können, das ich mir selbst gesetzt<br />
hatte.<br />
Und heute? Sie sind also nicht mehr<br />
einsam, aber sind Sie gerne alleine?<br />
m D Das bin ich, ja. Sehr gerne sogar! Ich<br />
liebe es, mir Zeit zu nehmen für Dinge,<br />
die mir gut tun. Früher wäre mir beim<br />
Alleinsein noch mehr bewusst geworden,<br />
wie anders ich bin, dass ich keine Freunde<br />
habe. Heute dagegen bin ich froh, wenn<br />
ich bei all dem Trubel um meine Person<br />
mal in Ruhe ein Buch lesen kann oder<br />
Songs schreiben kann.<br />
Fördert Einsamkeit Kreativität?<br />
m D Ich denke ja. Wenn man einsam ist, ist<br />
man emotionaler, man leidet, man sucht<br />
nach einem Weg, die Leere zu füllen. Also<br />
beginnt man zu malen, oder, wie in<br />
meinem Fall, Lieder zu schreiben.<br />
Was haben Sie über Einsamkeit geschrieben?<br />
m D „Feeling like a loser, feeling like a bum,<br />
sitting on the outside, observing the fun“<br />
heißt es in ‚The Outsider’. Ich habe diesen<br />
Song in einer Zeit geschrieben, wo ich das<br />
Gefühl hatte, nicht dazuzugehören. Alle<br />
Menschen schienen mir so falsch. Heutzutage<br />
sehe ich das anders, ich habe tolle<br />
Freunde um mich herum, denen ich vertraue<br />
und die mich akzeptieren.<br />
Woher kam diese Veränderung?<br />
m D Ich glaube, ich habe irgendwann<br />
aufgehört, in schwarz und weiß zu denken,<br />
zu schnell über alles und jeden zu urteilen.<br />
Ich bin weniger kritisch anderen, sondern<br />
mehr mir selbst gegenüber geworden.<br />
Schauen wir doch mal auf Ihr Bild ...<br />
m D Man sieht Vögel am Himmel, die über<br />
dem Ozean kreisen. In der Mitte des<br />
Ozeans gibt es diesen Strudel, der das über<br />
ihm schwebende, gebrochene Herz gleich<br />
mit sich ziehen wird. Ich sollte noch Tränen<br />
malen, denn der Himmel wird traurig sein.<br />
Warum haben Sie zuerst die Vögel<br />
gemalt?<br />
m D Vögel am Himmel sehen für mich<br />
immer einsam aus. Sie fliegen ins Nichts,<br />
trotzdem wirken sie frei. Zudem habe ich<br />
mir eine einsame Situation vorgestellt,<br />
und sofort habe ich Vogelgeschrei gehört.<br />
Wenn alles still und verlassen ist, wenn<br />
man nur dieses Geschrei hört, das kennt<br />
doch jeder, oder?<br />
Wenn man einsam ist,<br />
ist man emotionaler,<br />
man leidet, man sucht<br />
nach einem Ausgleich<br />
für die Leere.<br />
Über dem Herz steht ‚Lonely Hearts<br />
Club’, was bedeutet das für Sie?<br />
m D So heißt meine Tour, den Titel habe<br />
ich selbst gewählt. Ich finde die Vorstellung<br />
schön, dass alle einsamen Menschen einer<br />
Art Club angehören, in dem sie sich finden.<br />
Auf meinen Konzerten vielleicht, wer weiß.<br />
Warum ist das Herz gebrochen?<br />
m D Es geht natürlich um die Liebe. Ein<br />
gebrochenes Herz ist erst einmal auch ein<br />
einsames Herz. Hier scheint es so, als<br />
würde es gleich von dem Strudel verschlungen<br />
werden und damit untergehen.<br />
Aber wer weiß, es gibt ja auch noch die<br />
fliegenden Vögel auf dem Bild. ende<br />
Marina and the Diamonds nahm ihre ersten Lieder<br />
mit dem Apple-Programm GarageBand auf, über<br />
eine Website fand sie schließlich einen Produzenten,<br />
der für 500 Pfund einige Songs mit ihr aufnahm. Ihr<br />
zweites Album ‚Electra Hearts‘ ist bereits bei Warner<br />
Music erschienen, im Sommer wird sie als Vorband<br />
von Coldplay auftreten.<br />
142
Eine Stimme<br />
Protokoll: Ruben Donsbach<br />
Alison Klayman hat den chinesischen Künstler Ai Weiwei über Jahre<br />
hinweg begleitet. Die Journalistin zeichnet in ihrem Film „Ai Weiwei – Never Sorry“<br />
nicht nur das vielschichtiges Porträt eines engagierten Künstlers, sondern legt auch die<br />
Probleme der chinesischen Gesellschaft offen. Doch über die chinesischen Grenzen<br />
hinaus gelten Weiweis Forderungen nach mehr persönlicher und politischer Freiheit für<br />
Klayman überall. Auch in Europa und den USA.<br />
OFFEN und mysteriös: Ai WEIWEI<br />
Als ich dann den Künstler<br />
Ai Weiwei während den Vorbereitungen<br />
für eine kurze<br />
Video-Dokumentation<br />
der Ausstellung mit Fotografien<br />
aus seiner New Yorker Zeit traf,<br />
da wusste ich kaum etwas über Ihn.<br />
Schon gar nicht, dass er als junger Mann,<br />
von 1981 bis 1993, in Amerika gelebt hatte.<br />
Mir fiel aber sofort seine starke Präsenz<br />
auf, mit der er den Raum dominierte und<br />
die ungeteilte Aufmerksamkeit der anderen<br />
Anwesenden auf sich zog. Ich<br />
glaube, die gemeinsame Erfahrung, jung<br />
in ein fremdes Land gegangen zu sein,<br />
verband uns ganz unmittelbar. Weiwei<br />
ist, wenn man das so sagen kann, offen<br />
und mysteriös zugleich. Obwohl wir<br />
innerhalb der ersten Woche viel miteinander<br />
sprachen, blieb er mir ein Rätsel.<br />
Ich wollte herausfinden, was ihn antrieb<br />
und ausmachte. So entstand die Idee,<br />
einen abendfüllenden Dokumentarfilm<br />
zu drehen. Dabei habe ich schnell gemerkt<br />
,wie stark und entschlossen seine<br />
Überzeugungen sind, die ich weder für<br />
westlich noch chinesisch, sondern für allgemeingültig<br />
halte. In seiner Arbeit geht<br />
es um Meinungs- und Ausdrucksfreiheit.<br />
Es geht um den Schutz der Würde des<br />
Einzelnen in der Gemeinschaft vieler. Ich<br />
teile die Überzeugungen, dafür zu<br />
kämpfen. Die Verwandtschaft in Gedanken<br />
gab mir die Kraft, die Dokumentation<br />
zu Ende zu drehen. Das Ergebnis ist<br />
mein Film: Ai Weiwei – Never Sorry.<br />
Die sanktionierten Freiräume<br />
DER chinesischen Gesellschaft<br />
Was mir die Zeit mit<br />
Weiwei am eindringlichsten<br />
gezeigt hat ist, dass<br />
China viele Gesichter hat<br />
und ein extrem großes<br />
Meinungsspektrum in sich vereint. Man<br />
darf die Situation dort nicht vereinfacht<br />
darstellen. Einerseits gibt es also Freiräume<br />
in der chinesischen Gesellschaft, und es<br />
gibt Zuschauer, die nach den Screenings<br />
meines Films zu mir kommen und sagen,<br />
ich habe die Form der Unterdrückung, die<br />
Weiwei beschreibt, selbst nie erlebt!<br />
Andererseits spricht dieser Künstler<br />
keinesfalls für sich alleine. Es gibt viele,<br />
die seine Überzeugungen und Hoffnungen<br />
teilen. Für diese ist er zu einem wichtigen<br />
Symbol geworden.<br />
Denn in China sind die verfügbaren Freiräume<br />
immer auch zugleich sanktioniert<br />
oder zumindest prekär. Es gibt sie, die<br />
Künstler, Blogger und Rechtsanwälte, die<br />
mutig in diese Räume vorstoßen und für<br />
Veränderung werben. Für ihre Überzeugungen<br />
gehen sie allerdings große Risiken<br />
ein, so wie der in meinem Film dargestellte<br />
Umweltaktivist Tan Zuoren, der nach<br />
dem Sichuan-Erdbeben den Tod tausender<br />
Schulkinder durch Pfusch am Bau<br />
kritisierte und 2010 zu fünf Jahren Haft<br />
verurteilt worden ist.<br />
LEUCHTFEUER für BÜRGERRECHTE<br />
China ist ein Land im Wandel,<br />
und viele Menschen<br />
profitieren davon, wie sehr<br />
Ai Weiwei als kritische<br />
Kraft die Grenzen des Denkbaren<br />
verrückt hat. Ich glaube, in einer<br />
idealen Welt sollten Künstler genau dies<br />
tun: den Status Quo neu imaginieren. Ai<br />
Weiwei scheint auf wie ein leuchtendes<br />
Signal. Er macht die Dinge sichtbar, die in<br />
Chinas Gesellschaft zumindest problematisch<br />
verlaufen. Bis er im April 2011 an<br />
einen mir unbekannten Ort verschleppt<br />
wurde, drehte ich also einen Film über<br />
einen Mann, der sich der Staatsmacht entgegen<br />
stellte und trotzdem nicht zum<br />
Schweigen gebracht wurde. Jemand, der<br />
andere inspirierte, Ungerechtigkeiten<br />
beim Namen zu nennen. Mein Glaube an<br />
diese Möglichkeit besteht weiter hin. Sie<br />
wurde - trotz seiner Freilassung - allerdings<br />
auf eine harte Probe gestellt.<br />
Ich selbst wurde während der Dreharbeiten<br />
zu meinem Film kaum behindert,<br />
weil niemand wirklich wusste, was ich<br />
da tat. Doch in der Realität hat China nach<br />
wie vor äußerst streng kontrollierte<br />
Medien. Es gibt eine Armee von staatlichen<br />
Mitarbeitern, die zum einen unliebsame<br />
Berichterstattung zensieren, zum<br />
anderen eine Vielzahl regierungskonformer<br />
Programme produzieren und damit den<br />
Markt überschwemmen. Anders als bei<br />
Für ihre Überzeugungen<br />
gehen viele Regimekritiker<br />
große Risiken ein,<br />
so wie der Umweltaktivist<br />
Tan Zuoren, der nach<br />
dem Sichuan-Erdbeben<br />
den Tod tausender<br />
Schulkinder durch einstürzende<br />
Pfusch- Bauten<br />
kritisierte und 2010 zu<br />
fünf Jahren Haft verurteilt<br />
worden ist.<br />
Weiwei ist es nicht möglich, Kontakt mit<br />
Dissidenten aufzunehmen: wie dem Arzt<br />
Jiang Yanyong, der 2003 die Dimensionen<br />
der SARS-Epidemie aufgedeckt hat, oder<br />
gar dem regimekritischen Schriftsteller<br />
Liu Xiaobo, der 2010 seinen Friedensnobel<br />
nicht entgegennehmen konnte, weil er im<br />
Gefändnis saß und sitzt. Da herrscht eine<br />
große Willkür, auch was die Vertreibung<br />
breiter Bevölkerungsschichten aus ihrem<br />
angestammten Quartieren betrifft.<br />
IDEEN nicht ungedacht machen<br />
Zu sehen, wie im Zuge des außer<br />
Rand und Band geratenen<br />
Baubooms die bestehende Bausubstanz<br />
ohne Rücksicht auf<br />
die Tradition großflächig<br />
niedergerissen wird, ist sehr bewegend<br />
und verstörend. Das wird ein großes<br />
Problem für die kommenden Generationen<br />
in China sein, für die ein Teil ihrer eigenen<br />
Geschichte schlicht nicht mehr da sein<br />
wird. Als ich entsprechende Aufnahmen<br />
meinem Bruder gezeigt habe, dachte er,<br />
das seien Bilder der Verwüstung aus<br />
der Erdbebenregion Sichuan! Doch sie<br />
zeigten einen Teil von Peking gleich um<br />
die Ecke von Weiweis Wohnhaus. Da ist<br />
natürlich viel Korruption im Spiel. Doch<br />
die politischen Skandale der letzten Monate<br />
– wie etwa im März diesen Jahres die<br />
Absetzung des neo-maoistischen Parteichefs<br />
von Chongquing und Mitglieds des<br />
Politbüros – zeigen, dass sich zunehmend<br />
kritische Stimmen über die neuen Medien<br />
durchsetzen. Wenn eine Information erst<br />
einmal den Weg ins Netz gefunden hat,<br />
dann ist sie da. Man kann eine gedachte<br />
Idee nicht ungedacht machen. Die beschleunigte,<br />
virale Natur der Sozialen Netzwerke<br />
kann nicht komplett kontrolliert werden.<br />
Die chinesische Zivilgesellschaft ist also<br />
weitaus agiler als es manchmal von außen<br />
scheint. Ai Weiwei hat sehr früh diese<br />
immens wichtige Bedeutung des Internets<br />
erkannt und es in seine künstlerische<br />
Praxis eingebunden – zunächst in einem<br />
Blog innerhalb der „Großen Firewall“ des<br />
chinesischen Netzes, später dann auf<br />
Twitter unter dem Pseudonym aiww. Diese<br />
Auseinandersetzung mit den neuen Medien<br />
ist somit auch zu einem zentralen<br />
Punkt meines Films geworden. Mir wurde<br />
klar, dass das Internet tatsächlich einen<br />
Unterschied machen kann, wenn es um<br />
gesellschaftliche Emanzipation geht.<br />
WAS kann KUNST?<br />
Die Arbeit an meinem Film hat<br />
mich dazu gebracht, viel<br />
stärker über die Fähigkeit<br />
von Kunst und Kultur nachzudenken,<br />
unsere Gesellschaft<br />
und die sie konstituierenden Vorstellungen<br />
von Fortschritt und sozialer<br />
Gerechtigkeit zu reflektieren. Ein Beispiel:<br />
In der ersten Einstellung meines Films<br />
sieht man, wie eine von Weiweis 40 Katzen<br />
an einer Tür hochspringt, die Klinke<br />
herunter drückt, und hinaus schlendert.<br />
Die anderen 39 können das nicht. Woher<br />
also kommt diese Form der Intelligenz?<br />
Weiwei kommentiert die Szene so: Der<br />
größte Unterschied zwischen Katzen und<br />
Menschen sei, dass Katzen die Tür, durch<br />
die sie gehen, nicht wieder hinter sich<br />
schließen würden. Ich glaube nicht, dass<br />
er das so ausschließlich gemeint hat, aber<br />
für mich ist das eine gute Beschreibung<br />
für Weiwei selbst: für den Typus Künstler,<br />
der weiter denkt als andere, der Türen<br />
öffnet - und sie offen hält für die Nachkommenden.<br />
Die schlaue Katze ist eine großartige<br />
Metapher für den zeitgenössischen<br />
Künstler, wie ich ihn mir wünschen würde.<br />
China ist ein Land im<br />
Wandel, und viele<br />
Menschen profitieren<br />
davon, wie sehr<br />
Ai Weiwei als kritische<br />
Kraft die Grenzen des<br />
Denkbaren verrückt hat.<br />
In einer idealen Welt<br />
sollten Künstler genau<br />
dies tun: den Status Quo<br />
neu imaginieren.<br />
DIE UNWISSENHEIT des WESTENS<br />
Nach meiner Zeit in China fiel es<br />
mir dann sehr schwer, zurück<br />
nach Amerika zu kommen. Das<br />
war geradezu ein Kulturschock!<br />
Nur diesmal anders<br />
herum. China ist trotz seiner Probleme<br />
ein großartiges und vielschichtiges Land,<br />
das mich tief geprägt hat. Mich beunruhigt<br />
die große Unwissenheit hier in den<br />
U.S.A. Die Medien zeigen ein extrem<br />
eindimensionales Bild des Landes als eine<br />
Art fremden und bösen Planeten. Das ist<br />
natürlich völliger Unsinn. Zudem glaube ich<br />
fest daran, dass die Dinge, über die Weiwei<br />
spricht, auch andere Gesellschaften<br />
betreffen, auch unsere betreffen. Weiwei<br />
ist ein besorgter Bürger, der seine Stimme<br />
erhebt, und ich möchte das auch in meinem<br />
Land tun. ende<br />
Alison Klayman ist Journalistin und Dokumentarfilmerin,<br />
lebte von 2006 bis 2010 in China und begleitete den<br />
Künstler Ai Weiwei über drei Jahre lang mit der Kamera.<br />
Als die Dreharbeiten begannen, ahnten beide noch<br />
nichts von der medialen Aufmerksamkeit, die Weiwei im<br />
April letzten Jahres durch seine Festnahme bekam. „Ai<br />
Weiwei: Never Sorry“ ist ihr erster Dokumentrafilm. Seit<br />
Mitte Juni läuft er in den deutschen Kinos.<br />
144<br />
145
So stell‘ ich mir die liebe Vor<br />
Collage: Louise Bourgoin, Protokoll: Christina J. Hoffmann<br />
Louise Bourgoin<br />
hat Kunst studiert, wurde Wetterfee im französischen<br />
Fernsehen und gilt heute als eine der talentiertesten Nachwuchsdarstellerinnen des<br />
französischen Kinos. Für <strong>Fräulein</strong> stellt sie in einer Collage die Liebe dar und erklärt, warum<br />
wir auch ohne Partner glücklich sein können und wahre Liebe selbstlos ist.<br />
Als ich jünger war, hatte ich oft<br />
geglaubt, dass ich verliebt<br />
bin. Aber jetzt weiß ich, dass<br />
das alles Mögliche war – aber<br />
keine Liebe. Ich musste erst ein gewisses<br />
Alter erreichen, um wirklich zu<br />
lieben. Wenn ich jetzt liebe, dann habe<br />
ich das Gefühl, dass mir mein Körper<br />
nicht mehr gehört – und mein Herz auch<br />
nicht. Als ich jünger war, verwechselte<br />
ich Liebe oft mit Drama. Ich dachte<br />
immer, wenn ich wegen eines Mannes<br />
melancholisch war oder sogar verzweifelt:<br />
Das muss Liebe sein. Ich suchte<br />
mir auch gerne jemanden, der mich<br />
eigentlich nicht liebte. Mein großes Leid<br />
missverstand ich als große Liebe. Was<br />
für ein Irrtum! Das war eine sehr unreife<br />
Idee von Liebe, denn eines ist sicher:<br />
Wenn die Liebe zum Duell wird, ist sie<br />
keine Liebe, sondern eine narzisstische<br />
Suche nach sich selbst.<br />
Mittlerweile bin ich davon überzeugt,<br />
dass die Liebe erst kommen kann, wenn<br />
man im Gleichgewicht ist, mit sich selbst<br />
im Reinen und sich wohlfühlt in seiner<br />
Haut. Und nun weiß ich auch, dass<br />
wahrer Liebe etwas Selbstloses innewohnt:<br />
Das Glück des Gegenübers liegt<br />
einem mehr am Herzen als das eigene.<br />
Das findet sich schon in der griechischen<br />
Mythologie: Agape lautet der schöne<br />
Name dafür. Ursprünglich war<br />
damit Gottes reine Liebe gemeint – aber<br />
eben auch eine Liebe, die nur das<br />
Allerbeste will, die selbstlos ist und<br />
altruistisch. Das Wohl des Partners<br />
wiegt in der Agape-Liebe schwerer als<br />
das Eigene. Diese Selbstlosigkeit kann sogar<br />
so weit gehen, dass man auf eine<br />
Beziehung verzichtet, wenn sie nicht zum<br />
Besten des Geliebten ist.<br />
Das ist natürlich ganz anders als Eros.<br />
So heißt in der griechischen Mythologie<br />
die Gottheit, die das Feuer der Liebe<br />
entfacht. Also so etwas wie die klassische<br />
„Liebe auf den ersten Blick“, wo es hauptsächlich<br />
um Leidenschaft geht und um<br />
Die in der Phase des Verliebtseins<br />
ausgeschütteten Endorphine sind wie Drogen.<br />
Sex. Aber das ist ja nicht bloß ein Mythos,<br />
das gibt es ja wirklich – dass es uns<br />
packt und es ist um uns geschehen. Die<br />
Neurobiologie weiß, dass sich, wenn sich<br />
ein Mensch verliebt, ein Feuer aus<br />
Hormonen entfacht. Verschiedene Botenstoffe<br />
bescheren uns Euphorie, Aufregung,<br />
Rausch und Wohlbefinden<br />
zugleich. Die in der Phase des Verliebtseins<br />
ausgeschütteten Endorphine sind<br />
wie Drogen. Sie sorgen dafür, dass<br />
wir euphorisch, aber auch schmerzunempfindlich<br />
werden.<br />
Es gibt aber auch andere Wege zum<br />
Glücklichsein als die Liebe. Endorphine<br />
zum Beispiel bildet unser Körper auch,<br />
wenn wir Sport treiben, das Kuschelhormon<br />
Oxytocin entsteht auch beim<br />
Singen.<br />
Der Schriftsteller Frédéric Begeider sagt<br />
in seinem Buch „Die Liebe währt drei<br />
Jahre“, dass wir in einem Zeitalter des<br />
„erotischen Terrorismus“ leben: überall<br />
diese Liebes-Propaganda! In der<br />
Werbung, im Kino, in Büchern, einfach<br />
überall wird einem eingeredet, ein Leben<br />
ohne partnerschaftliche Liebe sei nicht<br />
komplett. Alles und jeder müsse einen<br />
Ehemann, eine Ehefrau, Kinder und all<br />
das haben – sonst wäre man nichts<br />
wert. Was für ein Quatsch! Man kann ein<br />
sehr kompletter und erfüllter und<br />
glücklicher Mensch sein auch ohne eine<br />
Paarbeziehung: Dafür gibt es ja Kunst,<br />
Literatur, Musik, Freunde. Die Collage<br />
mit dem Herz und der Hand stammt von<br />
mir. Sie ist sehr persönlich und illustriert<br />
meine Idee von Liebe. Was sie bedeutet?<br />
Das liegt wohl – wie die Schönheit<br />
und die Liebe – im Auge des Betrachters.<br />
ende<br />
Louise Bourgoin wurde 1981 in der Bretagne geboren.<br />
Vor ihrer Schauspielkarriere war sie unter anderem<br />
Model sowie Wetterfee beim französischen Sender<br />
Canal+. In der Filmkomödie „Das verflixte 3. Jahr“, die am<br />
19. Juli anläuft, spielt sie eine der Hauptrollen.<br />
146
feierabend<br />
Interview: Ruben Donsbach<br />
Petra Joy<br />
arbeitet seit zwei Jahrzehnten im<br />
Pornogeschäft. Erst bis 2003 als Journalistin bei dem TV-Erotikformat<br />
„Liebe Sünde“, später als Regisseurin und Buchautorin.<br />
Ihr vierter Film „The Female Voyeur“ wurde mit Preisen<br />
ausgezeichnet. Anfang Juli erscheint ihre Autobiografie. Nach<br />
Feierabend haben wir mit Petra Joy über Sexerziehung<br />
durch Pornos, die Prostata als erogene Zone und entspannte<br />
Abende im Whirlpool gesprochen.<br />
S<br />
ie wohnen seit 20 Jahren in der<br />
Nähe von Brighton in England.<br />
Da denkt man gleich an den<br />
Film „Quadrophenia“ und die<br />
Jugendrevolten zwischen Mods und<br />
Rockern. Sie waren früher selbst viel in<br />
Clubs und auf Fetisch-Partys unterwegs.<br />
Sind Sie ruhiger geworden?<br />
Petra Joy Klar bin ich früher mehr<br />
unterwegs gewesen als jetzt. Ich war lange<br />
Zeit England-Korrespondentin des<br />
TV-Formats „Liebe Sünde“. Daher kenne<br />
ich so ziemlich jede Fetisch-Szene der Welt.<br />
Außerdem ist Brighton die Schwulenhochburg<br />
Englands. Es ist sehr bunt und<br />
schräg hier direkt am Meer, aber relaxter<br />
als in London.<br />
Sie geben zurzeit mehrere Interviews<br />
die Woche. Was wollen die Leute von<br />
Ihnen hören?<br />
p J Nun, das Thema Frauen-Porno ist<br />
gerade absolut trendy. Auch an den<br />
Universitäten. Es gibt viele Studentinnen,<br />
die mit mir sprechen wollen.<br />
Gehen junge Frauen heute anders mit<br />
dem Thema um als Ihre Generation in<br />
den 80-er Jahren?<br />
P J Sicher. Für Frauen meines Alters ist<br />
„Feministin“ ein „Badge of Honor“, ein<br />
Ehrentitel. Für einige der jungen Frauen,<br />
die zu mir kommen, ist er geradezu ein<br />
Schimpfwort. Sie verstehen die feministische<br />
Bewegung als verhärmt und lustfeindlich.<br />
Aber das stimmt so nicht. Gerade<br />
die neuere Entwicklung des Feminismus<br />
ist sehr „sex-positiv“, schließt Männer mit<br />
ein, bejaht Heterosexualität und Porno.<br />
Das ist viel aufgeschlossener geworden als<br />
damals.<br />
Worum ging es den Feministinnen<br />
damals?<br />
P J Die meisten waren ganz klar Anti-<br />
Porno. Man war damals in der Pornografie<br />
einer Flut von gewaltverherrlichenden<br />
Bildern ausgesetzt, zu denen es keine<br />
Alternative gab. Für den Feminismus an<br />
sich und für mich als junge Frau war es<br />
wichtig, hier erst einmal eine Grenze zu<br />
ziehen. Klar zu sagen: Das wollen wir so<br />
nicht! Heute bin ich immer noch gegen jede<br />
Gewaltverherrlichung und möchte andere<br />
Bilder schaffen. Es ist sehr wichtig für<br />
Frauen, die eigenen Fantasien auszudrücken<br />
und damit einen realistischen Blick<br />
auf die weibliche Sexualität zu ermöglichen.<br />
Viele junge Menschen erhalten ihre<br />
Sexerziehung durch Pornos und lernen<br />
dadurch viel falsches Zeug. Frauen<br />
scheinen in diesen Filmen alle eine Klitoris<br />
im Hals zu haben und wollen ständig<br />
„deep throaten“, Männer sind ständig hart<br />
und können immer. So ein Unsinn!<br />
In Ihren Filmen läuft das anders ab. Der<br />
Blick der Kamera ist explizit weiblich<br />
oder besser: aus weiblicher Sicht.<br />
P J Die Leute sagen immer: Porno ist<br />
Porno. Aber das stimmt so nicht. Der<br />
weibliche Blick hat mehr mit dem Blick des<br />
schwulen als mit dem des Hetero-Mannes<br />
zu tun. Für mich als heterosexuelle Frau<br />
ist das Sexobjekt der heterosexuelle Mann.<br />
Deswegen gucken viele Frauen gerne<br />
Schwulenpornos, weil man da endlich<br />
einmal gute aussehende Typen sieht und<br />
die Kamera auch mal auf dem Hintern,<br />
den Händen oder dem Gesicht ruht. Das<br />
sieht man im Männerporno nie! Du siehst<br />
immer nur die Nahaufnahme der Penetration<br />
oder die Frau, wie sie ruft: „Ich<br />
komme, ich komme!“ Für mich ist der<br />
größte Unterschied zwischen meiner<br />
Arbeit und herkömmlichen Pornos aber<br />
inhaltlich:<br />
Die Frau soll befriedigt werden. Es gibt ja<br />
diese Theorie, Frauen bräuchten ganz<br />
viel Dialog, Geschichte und Romantik. Das<br />
ist Quatsch. Ich spule da immer vor. Als<br />
Zuschauerin möchte ich zwei Typen sehen,<br />
wie sie eine Frau lecken und befriedigen.<br />
Sie wollen ein anderes Bild von Sexualität<br />
vermitteln. Wie schwierig ist es, damit<br />
erfolgreich zu sein?<br />
P J Das ist unglaublich schwierig, weil uns<br />
die konventionelle Porno-Darstellung<br />
eine Gehirnwäsche verpasst hat: Er steht,<br />
es fängt an mit einem Blowjob, dann anal,<br />
vaginal, er kommt der Frau ins Gesicht.<br />
Das ist immer dasselbe. Wenn man seiner<br />
künstlerischen Freiheit treu bleibt und<br />
dieses Schema unterwandert, dann ist es<br />
sehr schwer, einen Vertrieb für die eigenen<br />
Filme zu finden.<br />
Was sind die größten Tabus?<br />
P J Für viele Frauen ist es ein Tabu, sich<br />
Ich gehe gerne runter<br />
zum Meer. Wenn<br />
ich meinen Blick über<br />
den Horizont schweifen<br />
lasse, kommen<br />
mir die besten Ideen<br />
für meine Filme.<br />
einfach verwöhnen zu lassen. Zudem<br />
wären viele gerne mal Voyeur. Deshalb gibt<br />
es in meinem neuen Film „The Female<br />
Voyeur“ eine Casting-Szene, in der Frauen<br />
Männer bewerten, die strippen, an der<br />
Stange tanzen oder onanieren. Das ist<br />
natürlich alles mit einem Augenzwinkern<br />
zu sehen. Aber wenn man Klischees auf<br />
den Kopf stellt, zeigt man auch, wie absurd<br />
sie sind. Es ist wichtig, dass beide Geschlechter<br />
mit ihren Rollen spielen können.<br />
Dann ist das Leben wie auch der Sex<br />
besser. Zwei andere große Tabus sind<br />
männliche Bi-Sexualität sowie die Prostata<br />
als erogene Zone. Als Mann zu sagen,<br />
„schieb mir da mal einen Finger, einen<br />
Butt-Plug oder deinen Dildo, deinen<br />
Strap-on rein“, ist für viele eine Horrorvorstellung.<br />
Dabei würden viele Frauen gerne<br />
mal ihren Freund mit einem Strap-on<br />
nehmen.<br />
Woher kommen diese Ängste?<br />
P J Es ist so, dass in unserer Gesellschaft<br />
Schwule und Frauen benachteiligt werden.<br />
Da gibt es eine klare Hierarchie mit dem<br />
heterosexuellen Mann an der Spitze.<br />
Männer, die zu ihrer weiblichen Seite<br />
stehen, werden benachteiligt. Jeder<br />
Mensch identifiziert sich erst mal mit der<br />
„herrschenden Klasse“. Es gehört viel<br />
Größe und Persönlichkeit dazu zu sagen,<br />
das ist mir egal.<br />
Sexualität hat also nach wie vor mit<br />
Macht und Herrschaft im gesellschaftlichen<br />
und politischen Sinne zu tun?<br />
P J Sex und Porno sind politisch – insofern<br />
man Politik als das versteht, was Interaktion<br />
oder Veränderung in der Gesellschaft<br />
bewirken kann. Was im Porno und<br />
im Schlafzimmer passiert, reflektiert<br />
bestehende Gesellschaftsverhältnisse und<br />
vice versa. Wenn wir eine Frau filmen,<br />
die mit einem Strap-on einen Mann vögelt,<br />
dann ist das hochpolitisch, weil es<br />
existierende Machtstrukturen in Frage<br />
stellt. Darum bin ich in Sachen Schlafzimmer<br />
immer sehr für Experimente und<br />
Grenzüberschreitungen. Nicht um der<br />
Überschreitung willen, sondern weil ich<br />
Lust darauf habe, und weil es die Verhältnisse<br />
in der Beziehung außerhalb<br />
des Schlafzimmers verändert. Das kann<br />
zu mehr Gleichberechtigung führen.<br />
Wie reagieren Ihr Freund und Ihre<br />
Familie auf diese Filme?<br />
P J Mein Freund ist total cool und macht<br />
bei meinen Filmen meistens die zweite<br />
Kamera. Er ist das perfekte Pendant für<br />
mich: null eifersüchtig und absolut<br />
tolerant. Meine Eltern haben zwar einen<br />
christlichen Hintergrund, aber die kennen<br />
mich gut. Die wissen, was ich mache,<br />
kommt von Herzen. Die wären eher erschüttert<br />
gewesen, wenn es bei mir den<br />
totalen Ausverkauf meiner Ideale gegeben<br />
hätte.<br />
Warum diese Anti-Kommerz-Haltung?<br />
Liegt das an Ihrer Punk-Vergangenheit?<br />
P J Ich war eher New Wave, hatte ein<br />
weißes Gesicht und schwarzen Nagellack,<br />
schwarze Lippen, Korsetts und spitze<br />
Stiefel. Ich hab mich nie gerne angepasst,<br />
ich war nie Teil einer Bewegung. Darum<br />
gehe ich auch nicht mehr viel auf Swingeroder<br />
Fetischpartys. Ich finde den strengen<br />
Dresscode sowie den Fokus auf das<br />
SM-Spiel extrem beschränkend. Sex unter<br />
Männern aber wird zunehmend untersagt.<br />
Warum soll ich denn da überhaupt noch<br />
hingehen? Das ist es doch, was ich sehen<br />
will! Die Szene ist längst keine Untergrundveranstaltung<br />
mehr, sondern kommerziell<br />
geworden. Wenn ich eine Party haben<br />
will, dann mache ich die zuhause mit<br />
Menschen, die ich kenne. Dieses Freidenken<br />
habe ich von meinen Eltern und darum<br />
habe ich ihnen auch mein neues Buch<br />
gewidmet. Wir hatten nie viel Geld, aber<br />
mein Vater ist sich immer treu geblieben<br />
und hat darum karrieremäßig auf vieles<br />
verzichtet.<br />
Wie sieht Ihr „Feierabend“ aus?<br />
P J Da ich von zu Hause arbeite, hört die<br />
Arbeit nie auf. Das ist eben kein Angestelltenjob<br />
mit festen Bürozeiten. In meiner<br />
wenigen Freizeit gehe ich gerne runter zum<br />
Meer. Wenn ich meinen Blick über den<br />
Horizont schweifen lasse, kommen mir<br />
die besten Ideen für meine Filme. Nachts<br />
sitze ich dann mit meinem Freund im<br />
Whirlpool im Garten, trinke ein Glas Sekt<br />
oder ein Bier und schaue mir die Sterne<br />
an. Ende<br />
Petra Joy ist eine deutsche Regisseurin, Filmemacherin,<br />
Autorin und Fotografin. Sie gehört zu den Pionierinnen<br />
der sexpositiven Frauenbewegung. Ihre Arbeit beschreibt<br />
sie als „art-core“ und Pornografie aus weiblicher Sicht.<br />
Von 1992 bis 2003 arbeitete sie als Regisseurin und<br />
Produzentin für die TV-Sendung „Liebe Sünde“, seither<br />
an ihren eigenen Filmen.<br />
148
ezept<br />
Foto: Sabine Volz, Illustration: André M. Wyst, Text: Josephina Haas<br />
Nr. 7<br />
frische bratwurst<br />
mit rübstiel<br />
151
antifräulein<br />
Illustration: Katrin Funcke, Text: Wäis Kiani<br />
Asma al-Assad<br />
Karriere als Bankerin in London. Doch dann heiratete<br />
die Arzttochter Syriens Diktator Baschar al-Assad und entschied sich, eine moderne<br />
Eva Braun zu werden: Sie weicht nicht von der Seite ihres Mannes, während dieser Männer,<br />
Frauen und Kindern schlachten, foltern und vergewaltigen lässt – sondern bestellt<br />
eiskalt Designerklamotten im Internet.<br />
S<br />
tand by your man“ heißt der<br />
Titel eines Welthits aus den<br />
Sixties, nie aus der Mode gekommen<br />
und vielfach gecovert.<br />
Er ist, wie uns scheint, das Motto unseres<br />
diesmaligen Antifräuleins Asma al-Assad,<br />
Ehefrau des syrischen Massenmörders<br />
Baschar al-Assad. Wir konnten Asma verstehen<br />
(die als hochwohlgeborene<br />
Akademikertochter in London aufwuchs,<br />
Informatik und Französisch studierte,<br />
es sogar zu einer Bankerinnen-Karriere<br />
gebracht hatte), dass sie dem Werben eines<br />
der mächtigsten Männer des Nahen<br />
Ostens nicht widerstehen konnte und zu<br />
seiner Ehefrau wurde. Wir haben es begrüßt,<br />
als sie nach ihrer Hochzeit im Jahr<br />
2000 erfolgreich das Bild eines modernen<br />
Syriens verkaufte. Wir freuten uns über<br />
ihre gepflegte und durchaus solide Erscheinung,<br />
ebenso über ihre teuren, wenn<br />
auch nicht unbedingt geschmackvollen<br />
Designer-Outfits.<br />
Wir finden, eine Präsidentengattin hat es<br />
durchaus verdient, teuer angezogen zu<br />
sein, auch wenn nicht jede über den<br />
unvergessenen Stil einer Farah Diba, der<br />
Ex-Kaiserin Persiens, verfügen kann.<br />
Aber die liberale Schabanu auf dem Pfauenthron<br />
hat nicht nur mit ihrer Kleidung<br />
Stil bewiesen, sondern auch in dem<br />
Moment, als das Volk, als islamistische<br />
und maoistische Bewegungen gegen den<br />
Monarchen aufbegehrten. Sie zog einen<br />
eleganten cremefarbenen Cashmeremantel<br />
mit einem breiten Fuchschwanzkragen<br />
an und verließ 1979 mit ihrem<br />
Gatten traurig und gefasst das Land.<br />
Eiskalt zuzusehen, wie ihr Mann Tausende<br />
von Männern, Frauen und Kindern auf<br />
grausamste Art abschlachtet, viele von<br />
ihnen in Gefängnissen foltern und vergewaltigen<br />
oder verschleppen lässt, damit<br />
sie auf ihrem Thron sitzen bleiben und<br />
sich weiterhin an Haute Couture von<br />
Ungaro erfreuen kann, hätte auch nicht zu<br />
ihrem umwerfenden Vogue-Titelbild-<br />
Look gepasst.<br />
Nun, Asma al-Assad kam zwar nie auf<br />
dem Vogue-Titel, aber wurde immerhin in<br />
einem ausführlichen Porträt in der US-<br />
Ausgabe als die frischeste und modernste<br />
aller First Ladies verklärt. Als der Artikel<br />
„Die Rose in der Wüste“ im Februar 2011<br />
erschien, waren die Massaker in Syrien jedoch<br />
schon in vollem Gange.<br />
Mittlerweile wurde Asma in mehreren<br />
internationalen Petitionen aufgefordert,<br />
etwas gegen die Zustände in ihrem Land<br />
zu unternehmen, dem sinnlosen Schlachten<br />
ein Ende zu bereiten oder zumindest<br />
die Kinder zu retten, die wirklich für nichts<br />
etwas können. Mehrere Ehefrauen wichtiger<br />
UN-Botschafter haben sogar ein aufwändiges<br />
Video produziert, in dem Asma<br />
mit Worten und Bildern dazu aufgefordert<br />
wird, endlich gegen das Blutvergießen<br />
anzugehen.<br />
Wir wissen, dass Asmas Wort nicht einflussreich<br />
genug ist, um die Gewalt in<br />
Syrien zu beenden. Aber wir sind uns auch<br />
sicher, dass sie eine Veränderung erreichen<br />
kann - wenn sie es nur versuchen<br />
Wir wissen, dass Asmas Wort nicht einflussreich<br />
genug ist, um die Gewalt in Syrien zu beenden. Aber<br />
wir sind uns auch sicher, dass sie eine Veränderung<br />
erreichen kann - wenn sie es nur versuchen würde.<br />
würde. Aber wir wissen, dass sie es gerade<br />
nicht versucht, weil sie derselben Ansicht<br />
ist wie ihr machtbesessener Mann: Dass<br />
nämlich Störenfriede, die an der Autorität<br />
des Erb-Präsidenten rütteln wollen, wie<br />
lästige Insekten vernichtet werden<br />
müssen. Denn es geht nicht allein um die<br />
Autorität ihres Gatten, sondern auch um<br />
ihren eigenen Status und die Angst vor der<br />
Guillotine. Asma möchte um alles in der<br />
Welt nicht zu der Liga der verschmähten<br />
und vertriebenen Sippschaft von Ex-Diktatoren<br />
gehören, sich mit Frau Gaddafi, Frau<br />
Saddam Hussein und bald Frau Ahmadinejad<br />
in eine Reihe stellen und ihr restliches<br />
Leben verstecken müssen. Denn wer würde<br />
sie dann ansehen, wie sie ihre Net-a-porter-Bestellungen,<br />
die sie unter falschem<br />
Namen bezahlt hat, hochmütig und trotzig<br />
trägt? Niemand. Und das ist die Antwort<br />
auf die Frage, warum sie nichts unternimmt,<br />
sondern es vorzieht, als eine Art<br />
moderne Eva Braun in die Geschichte<br />
einzugehen. Ende<br />
Asma al-Assad wurde 1975 in London geboren und ist seit<br />
2000 mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad<br />
verheiratet. Zuvor studierte sie am King’s College London<br />
Informatik und arbeitete als Finanzanalystin für die<br />
Deutsche Bank und JPMorgan Chase&Co. Mit ihrem Mann<br />
hat sie drei Kinder, der älteste ist zehn Jahre alt. Ihr einstiges<br />
Image als „Lady Di des Ostens“ ist schwer angeschlagen,<br />
weil sie zu Folter und Massakern in Syrien schweigt.<br />
153
horoskop<br />
Illustration: Christina Gransow<br />
Spüren Sie Ihr Glück<br />
Es gibt gute Nachrichten zu verkünden, denn in diesem Sommer sind die Sterne milde<br />
gestimmt. Skorpion, Waage und Zwilling erwartet die Zeit ihres Lebens. Wassermänner<br />
erleben ein sexuelles Erwachen, Löwen erwartet eine Zeit der Reife und Jungfrauen<br />
sollten ihre verworrenen Energieströme auf einen Faustschlag konzentrieren.<br />
Widder<br />
21.03. bis 20.04.<br />
Man kann Ihnen<br />
nur wünschen,<br />
dass dieser Sommer so warm<br />
wird wie die Sauna im Winter.<br />
Denn wenn alle anderen wegen<br />
der gnadenlosen Hitze stöhnen,<br />
fühlen Sie sich pudelwohl: In<br />
den nächsten Monaten sind Sie<br />
so heiß wie die Sonne gar nicht<br />
werden kann. Es wird ein Sommer<br />
der großen Gefühle, der<br />
durchtanzten Nächte und zerwühlten<br />
Betten. Verlieren Sie<br />
in Ihrem Überschwang nur den<br />
Blick für Ihre eher schüchternen<br />
Freunde nicht. Nicht alle<br />
reden in großer Runde so frei<br />
von der Leber weg wie Sie. Auch<br />
beruflich erleben Sie einen<br />
rasanten Aufstieg. Warnen<br />
sollten wir Sie also eigentlich<br />
nur vor einem: Passen Sie auf<br />
Neider auf, die gegen Sie<br />
Intrigen spinnen könnten.<br />
S<br />
tIER<br />
21.04. bis 20.05.<br />
Nicht, dass es katastrophal<br />
für Sie aussieht -<br />
aber rund läuft gerade gar nichts<br />
bei Ihnen. Entschuldigen Sie,<br />
dass wir Ihnen das so direkt<br />
sagen müssen, aber bringen Sie<br />
endlich Ihr Leben unter Kontrolle!<br />
Machen Sie nicht alles so<br />
kompliziert. Lassen Sie die<br />
Finger von ernsten Beziehungen.<br />
Wir wollen Ihnen den Spaß<br />
nicht verderben, den haben Sie<br />
schon irgendwie. Sie sollten<br />
die kommenden Monate nutzen,<br />
um an lange verdrängten<br />
Konflikten zu arbeiten. Treffen<br />
Sie eine wichtige Entscheidung,<br />
die Sie ewig vor sich hergeschoben<br />
haben. Nehmen Sie<br />
sich Zeit, wägen Sie ab und seien<br />
Sie dann mal heroisch. Auch<br />
wenn es Ihnen dadurch erst mal<br />
schlechter gehen kann: Im Endeffekt<br />
zahlt sich Ihr Mut aus.<br />
Werden Sie zum Sieger – besiegen<br />
Sie sich selbst.<br />
Z<br />
willinge<br />
21.05. bis 21.06.<br />
Stellen Sie sich vor,<br />
Sie sitzen im Park mit<br />
guten Freunden. Der Wind<br />
streicht sanft durch die Haare,<br />
die Sonne geht unter, und Ihr<br />
Blick bleibt an einer flauschigen<br />
Feder hängen, die im Gegenlicht<br />
tanzt. Wenn Sie sich nicht total<br />
blöd anstellen, dann wird Ihr<br />
ganzer Sommer so wie dieser<br />
Moment. Sie verlieben sich Hals<br />
über Kopf. Es erwartet Sie:<br />
Inniger Sex, intensive Küsse,<br />
aber auch Gespräche, in denen<br />
Sie sich verstanden fühlen.<br />
Reden wir an dieser Stelle mal<br />
nicht von Arbeit oder Geld,<br />
beides bereitet Ihnen keine<br />
Probleme. Sie brauchen keine<br />
Tipps, einen haben wir trotzdem:<br />
Setzen Sie sich aufs<br />
Fahrrad und fahren Sie ohne<br />
Ziel durch die Stadt. Tragen<br />
Sie dabei ein leichtes Kleid,<br />
fühlen Sie die Sommerluft auf<br />
der Haut – und spüren Sie<br />
Ihr Glück.<br />
K<br />
rebs<br />
22.06. bis 22.07.<br />
Während der Kurs der<br />
Facebook-Aktie nach<br />
unten purzelt, purzeln<br />
Sie in diesem Sommer die<br />
Karriereleiter nach oben. Das<br />
passiert allerdings nur, wenn<br />
Sie sich anstrengen. Der Erfolg<br />
gibt Ihnen als Krebs endlich das<br />
Selbstbewusstsein zurück, das<br />
Ihnen nur allzuoft fehlt. Sie<br />
neigen dazu, skeptisch zu sein<br />
- Ihren Mitmenschen gegenüber,<br />
aber auch gegenüber dem<br />
System und der Arbeitsgesellschaft<br />
mit ihren vermeintlich<br />
falschen Werten. Als begnadeter<br />
Kneipenphilosoph haben Sie<br />
in langen Monologen genug<br />
darüber gejammert. Lassen Sie<br />
die Skepsis mal beiseite und<br />
akzeptieren Sie, dass Karriere<br />
und Geld im Leben sehr wichtig<br />
sind. Nutzen Sie also diesen<br />
Sommer, um bewusst nach<br />
Erfolg zu streben. Und da es in<br />
Sachen Liebe bei Ihnen bestens<br />
läuft, könnte es Ihnen am<br />
Ende des Sommers rundum<br />
gut gehen. Endlich mal.<br />
L<br />
öWE<br />
23.07. bis 23.08.<br />
Nachdem Sie in den<br />
letzten Monaten vom<br />
Leben verwöhnt wurden, kehrt<br />
bei Ihnen nun Ruhe ein.<br />
Nehmen Sie sich die Zeit, um<br />
sich zu pflegen. Kaufen Sie sich<br />
zum Beispiel eine schöne Creme<br />
von Kiehl’s. Sparen Sie nicht<br />
an den Dingen, durch die Sie<br />
sich gut fühlen. Für Sie beginnt<br />
nun eine Zeit der Konzentration.<br />
Lesen Sie Adalbert Stifters<br />
„Nachsommer“, pflegen Sie<br />
die gedankliche Einkehr, kümmern<br />
Sie sich um Ihre Herzensbildung.<br />
Vielleicht führen Sie<br />
ein Tagebuch. Sollten Sie künstlerisch<br />
arbeiten, widmen Sie<br />
sich den besonders persönlichen<br />
Projekten. Genießen Sie<br />
diesen Sommer als eine Zeit<br />
der Reife und sortieren Sie Ihre<br />
Lebenserfahrung. Seien Sie<br />
für Ihre Freunde da. Ein paar<br />
von ihnen werden Sie jetzt<br />
brauchen. Aber das müssen wir<br />
Ihnen eigentlich gar nicht<br />
sagen, denn ein Fels in der<br />
Brandung sind Sie als Löwe ja<br />
sowieso.<br />
Jungfrau<br />
24.08. bis 23.09.<br />
Haben Sie ein Fahrrad, bei<br />
dem Sie längst mal die<br />
Kette ölen sollten? Dann<br />
machen Sie das endlich und<br />
warten Sie nicht, bis sie abspringt.<br />
Sie haben gar kein<br />
Fahrrad? Egal, Sie werden sich<br />
denken können, dass wir das<br />
mit der Kette im übertragenen<br />
Sinne gemeint haben. Sie stolpern<br />
durchs Leben, Ihre<br />
Souveränität ist Ihnen verloren<br />
gegangen. Sie tun sich mit<br />
Entscheidungen entsetzlich<br />
schwer und haben das Gefühl,<br />
vernachlässigt oder gar<br />
ausgenutzt zu werden. Nun,<br />
das Leben ist schwer, und<br />
vielleicht stimmt es, dass man<br />
Sie bei der Arbeit und privat<br />
nicht ernst genug nimmt. Aber<br />
in erster Linie ist es Ihre<br />
Selbstwahrnehmung, die Sie<br />
in den Griff kriegen müssen.<br />
Also: Jammern Sie nicht so viel<br />
und machen Sie Sport. Kein<br />
Yoga, gehen Sie lieber mal zum<br />
Karateunterricht, besser noch<br />
zum Boxen. Das kann Ihnen<br />
nur gut tun, denn es konzentriert<br />
Ihre verworrenen<br />
Energieströme auf ein paar<br />
Faustschläge.<br />
W<br />
aage<br />
24.09. bis 23.10.<br />
Man muss Ihnen<br />
ein großes<br />
Kompliment machen: Sie sind<br />
zäh, Sie haben Durchhaltevermögen.<br />
Wir weisen darauf<br />
hin, weil sich in diesem<br />
Sommer jahrelange Arbeit endlich<br />
auszahlen wird. Sie werden<br />
nicht reich, aber Sie ziehen<br />
das Geld und den Ruhm in den<br />
nächsten Monaten an. Privat<br />
gehören Sie zu den zärtlichsten<br />
unter den Sternzeichen, Sie<br />
lieben es, Ihren Partner und<br />
Ihre Freunde zu verwöhnen.<br />
Genau das sollten Sie gerade<br />
besonders bewusst tun. Kochen<br />
Sie einmal in der Woche richtig<br />
aufwändig. Laden Sie Freunde<br />
ein oder essen Sie zu zweit.<br />
Es werden unvergessliche<br />
Abende werden, die Sie nicht<br />
nur mit Ihren Kochkünsten,<br />
sondern auch mit Ihrer<br />
anmutigen Ausgeglichenheit<br />
bereichern.<br />
S<br />
korpion<br />
24.10. bis 22.11.<br />
Lassen Sie es zu, dass<br />
die Sonne Ihr Leben in<br />
neuem Glanz erstrahlen lässt.<br />
Erfolg? Kommt von ganz alleine.<br />
Geld? Stapelt sich auf Ihrem<br />
Konto. Liebe? Der Traumboy<br />
steht, während Sie dieses lesen,<br />
bereits auf der Straße vor dem<br />
Fenster und singt ‚I will always<br />
love you‘ für Sie. Ihre innere<br />
Ruhe bringt Sie dazu, dass Sie<br />
ihm die schiefen Töne verzeihen<br />
und die Wahl des Songs nicht<br />
nur als herzergreifende Liebeserklärung,<br />
sondern als<br />
Hommage an die große Sängerin<br />
Whitney Houston begreifen.<br />
Es ist sehr gut möglich,<br />
dass Ihre neue Liebe Feminist<br />
ist. Das kann Ihnen nur zugute<br />
kommen. Lassen Sie sich verwöhnen,<br />
seien Sie exzentrisch<br />
und weiblich. Lassen Sie<br />
sich den Champagner an die<br />
Chaiselongue bringen und<br />
genießen Sie das Prickeln im<br />
Mund.<br />
154<br />
155
Verlag<br />
Off Ones Rocker Publishing Ltd.<br />
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Adrian Crispin, Ariane Hosemann, Christian<br />
Hagemann, David Fischer, Debora Mittelstaedt,<br />
Diane Vincent, Jean-Francois Carly, Jan<br />
Friese, Katharina Poblotzki, Mirjam Wählen,<br />
Randall Bachner, Sabine Volz<br />
Idee und Konzept: Götz Offergeld<br />
Pressekontakt<br />
Pauline Hoch<br />
pauline@hochsandersbarduhn.com<br />
Vertrieb<br />
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Römerstr. 90<br />
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DruCKerei<br />
Dierichs Druck+Media GmbH & Co. KG<br />
Frankfurter Str. 168<br />
34121 Kassel<br />
www.ddm.de<br />
Cover<br />
Foto: Randall Bachner<br />
Die nächste<br />
<strong>Fräulein</strong>-Ausgabe<br />
erscheint als umfangreiche<br />
Fashion Issue am 26. September 2012<br />
Nielsen 3a (Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland)<br />
Weipert GmbH<br />
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info@mms-marrenbach.de<br />
S<br />
chütze<br />
23.11. bis 21.12.<br />
Sie haben bestimmt<br />
schon von der zivilen<br />
Raumfahrt gehört, oder? Falls<br />
Sie reich sind, haben Sie das<br />
Ticket in den Weltraum schon<br />
gebucht. Für Sie gilt: The sky is<br />
not the limit. Sie sind ehrgeizig,<br />
Sie wollen hoch hinaus – und<br />
im Moment kommt Ihnen nicht<br />
mal der Gedanke, dass man<br />
dabei auch tief fallen kann.<br />
Genau das ist gut so. Sie sind<br />
erfolgsverwöhnt, das wird in<br />
diesem Sommer auch so<br />
bleiben. Sie sind top of the pops,<br />
stets die Beste unter Ihren<br />
Freundinnen. Wir raten Ihnen,<br />
ab und zu doch mal ein<br />
bisschen Bescheidenheit<br />
vorzutäuschen. Tun Sie so, als<br />
ob es Sie interessiert, was man<br />
Ihnen erzählt. Arbeiten Sie<br />
daran, auch in Sachen Empathie<br />
die Beste zu werden.<br />
S<br />
StEINBOck<br />
22.12. bis 20.01.<br />
Da ist immer Licht am<br />
Ende des Tunnels<br />
– sagen die Optimisten. Sie<br />
werden in diesem Sommer<br />
hoffen, dass das Licht nicht zu<br />
einem Zug gehört, der auf Sie<br />
zurast. Lassen Sie sich von<br />
Ihrem Pessimismus nicht<br />
unterkriegen. Denn eigentlich<br />
erwartet Sie eine schöne Zeit,<br />
die Ihnen sehr viel Gutes<br />
bringen wird. Kümmern Sie<br />
sich um Ihr Aussehen. Sexy<br />
und elegant – das sollten die<br />
entscheidenden Themen Ihrer<br />
Sommergarderobe werden.<br />
Denn wir wissen ja, dass<br />
Kleider Leute machen und man<br />
sich so anziehen sollte, wie<br />
man gerne wäre und nicht, wie<br />
man ist. Machen Sie sich nicht<br />
unnötig Gedanken, die Dinge<br />
stehen besser als Sie denken.<br />
Sorgen Sie dafür, dass nicht<br />
das Leben Sie im Griff hat –<br />
sondern umgekehrt.<br />
W<br />
assermann,<br />
21.01. bis 19.02.<br />
Falls Sie sich<br />
bislang als nicht<br />
unbedingt promiskuitiv<br />
verstanden haben, überlegen<br />
Sie, ob Sie das nicht überdenken<br />
sollten. Denn es könnte für<br />
Sie ein stürmischer Sommer<br />
werden. Probieren Sie sich<br />
sexuell aus, hören Sie auf Ihre<br />
geheimen Wünsche und leben<br />
Sie die endlich mal aus. Falls<br />
Sie sich in einer Beziehung<br />
befinden, halten Sie sich die<br />
Sonntage ganz für das Bett frei.<br />
Wir wollen Sie hier natürlich<br />
nicht zum Seitensprung animieren<br />
– aber wenn sich die<br />
Gelegenheit zu einer unverfänglichen<br />
Affäre bieten sollte, dann<br />
ergreifen Sie ruhig mal die<br />
Chance. Ob es bei Ihnen noch<br />
etwas anderes gibt als Sex? Ja<br />
klar, aber das müssen Sie selber<br />
herausfinden, denn es ist<br />
viel weniger spannend.<br />
F<br />
ische<br />
20.02. bis 20.03.<br />
Sie nehmen kein Blatt<br />
vor den Mund. Das ist<br />
grundsätzlich natürlich absolut<br />
in Ordnung. Denken Sie nur<br />
daran, dass es nicht auf Gegenliebe<br />
trifft, wenn Sie Ihrer<br />
besten Freundin mal wieder<br />
gesagt haben, wie peinlich Sie<br />
deren neues D&G-Kleid finden,<br />
das sie Ihnen stolz präsentiert.<br />
Sie haben Geschmack, und<br />
Ihre Ehrlichkeit zeichnet Sie<br />
aus, aber dosieren Sie beides im<br />
Umgang mit Menschen, die<br />
Ihnen wichtig sind. Machen Sie<br />
sich klar, dass sich die Welt<br />
nicht nur um Sie dreht, sondern<br />
dass andere gute Gründe haben<br />
für das, was sie tun und was<br />
sie anziehen – selbst wenn es<br />
sich dabei um ein geschmackloses<br />
D&G-Kleid handeln sollte.<br />
Für Sie mag das schwer nachvollziehbar<br />
sein, aber die<br />
Macken der Freunde zu akzeptieren<br />
ist ein Zeichen von Respekt.<br />
Daran fehlt es Ihnen.<br />
Akzeptieren Sie also öfter mal<br />
den Lauf der Dinge. Sagen Sie<br />
sich: Alles fließt, und das ist<br />
gut so. Ende<br />
Illustratoren<br />
Christina Gransow, Daniel Ramirez Perez,<br />
Katrin Funcke, Laura Laasko<br />
Autoren<br />
Alexa von Heyden, Christina J. Hoffmann,<br />
David Torcasso, Dirk Peitz, Doris Hardt,<br />
Fritz Schaap, Jan Joswig, Julia Christian,<br />
Josephina Haas, Lena Bergmann, Nella<br />
Beljan, Ruben Donsbach, Wäis Kiani<br />
156<br />
157
RÄTSEL<br />
Illustration: André M. Wyst<br />
20 Eisspezialitäten<br />
für den Sommer. Und 10 Fehler, die zu finden sind!<br />
Acne<br />
Acne Studios<br />
Chr IX’s Gade 1,3tv<br />
1111 Kopenhagen<br />
Dänemark<br />
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Acne Studios<br />
Münzstr. 21<br />
10178 Berlin<br />
Adidas SLVR<br />
Häberlein & Mauerer<br />
AG<br />
Rosenthaler Str. 51<br />
10178 Berlin<br />
Shop:<br />
Adidas SLVR Store<br />
Mulackstr. 31-32<br />
10119 Berlin<br />
Agent Provocateur<br />
154 Clerkenwell Rd<br />
London EC1R 5AB<br />
Großbritannien<br />
Shop:<br />
Galeries Lafayette<br />
Friedrichstr. 76-78<br />
10117 Berlin<br />
Boss Selection<br />
Boss<br />
Network PR<br />
Brahmsallee 9<br />
20144 Hamburg<br />
Shop:<br />
Boss Store<br />
Friedrichstr. 165<br />
10117 Berlin<br />
Bottega Veneta<br />
Loews GmbH<br />
Maximilianstr. 43<br />
80538 München<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Calvin Klein<br />
Loews GmbH<br />
Maximilianstr. 43<br />
80538 München<br />
service@loews.de<br />
Shop:<br />
KaDeWe<br />
Tauentzienstr. 21<br />
10789 Berlin<br />
Camilla Skovgaard<br />
IPR SHOWROOM<br />
The Yard, 89 & ½ Worship<br />
Street<br />
London, EC2A 2BF<br />
England<br />
Shop:<br />
FIRST Frankfurt<br />
Mörfelder Landstr. 106<br />
60598 Frankfurt<br />
Cartier<br />
Richemont Northern<br />
Europe GmbH<br />
Landsberger Str. 302-306<br />
80687 München<br />
Shop:<br />
Cartier<br />
Tauentzienstr. 21-24<br />
10789 Berlin<br />
Céline<br />
Céline Press Department<br />
24 rue François 1er<br />
75008 Paris<br />
Frankreich<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Chanel<br />
Chanel GmbH & Co. KG<br />
Brandstücken 23<br />
22549 Osdorf, Hamburg<br />
Shop:<br />
Chanel<br />
Kurfürstendamm 188<br />
10707 Berlin<br />
Chloé<br />
Chloé International SAS<br />
5 avenue Percier<br />
75008 Paris<br />
Frankreich<br />
Shop: Chloé Boutique<br />
Maximilianstrasse 22<br />
80539 München<br />
Comme des Garcons<br />
16, place Vendôme<br />
75001 Paris<br />
Frankreich<br />
Shop:<br />
Lil Shop<br />
Brunnenstr. 184<br />
10119 Berlin<br />
Converse<br />
Converse<br />
Schröder+Schömbs PR<br />
Torstr.107<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
Converse Berlin<br />
Münzstr. 18<br />
Delfina Delettrez<br />
Piazza di Tor Sanguigna,<br />
13<br />
00186 Rom<br />
Italien<br />
Shop:<br />
Colette<br />
213, Rue Saint-Honore<br />
75001 Paris<br />
Frankreich<br />
Diesel BlaCK Gold<br />
Henri + Frank Public<br />
Relations<br />
Schopenstehl 22<br />
20095 Hamburg<br />
Shop:<br />
Diesel<br />
Neue Schönhause Str. 21<br />
10178 Berlin<br />
Dior<br />
KCD Paris<br />
13 rue du Mail<br />
75002 Paris<br />
Frankreich<br />
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Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Emporio Armani<br />
Maximilianstr. 32<br />
80539 München<br />
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Emporio Armani Berlin<br />
Theatiner Str. 12<br />
80333 München<br />
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3 Rue du Plâtre<br />
75004 Paris<br />
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Potsdamer Str. 81E<br />
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166 Boulevard Voltaire<br />
75011 Paris<br />
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KaDeWe<br />
Tauentzienstr. 21<br />
10789 Berlin<br />
Etro<br />
Schoeller von Rehlingen<br />
Ismaninger Str. 102<br />
81675 München<br />
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Friedrichstr. 76-78<br />
10117 Berlin<br />
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Finch & Partners<br />
35 Hedden Street<br />
London W1B 4BR<br />
England<br />
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Heinrich-Heine-Allee 53<br />
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Münzstr. 13-15<br />
10178 Berlin<br />
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Filippa K<br />
Alte Schönhauser Str. 11<br />
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G-Star<br />
Schoeller von Rehlingen<br />
Ismaninger Str. 102<br />
81675 München<br />
Shop:<br />
G-Star Store<br />
Kasernenstr. 10<br />
40213 Düsseldorf<br />
Helmut Lang<br />
Michele Montagne<br />
184 rue St. Maur<br />
75010 Paris<br />
Frankreich<br />
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Ulf Haines<br />
Rosa-Luxemburg-Str. 9<br />
10178 Berlin<br />
Hermès<br />
Hermès GmbH<br />
Marstallstr. 8<br />
80539 München<br />
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Hermès Store<br />
Kurfürstendamm 58<br />
10707 Berlin<br />
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65 C Wigmorestreet<br />
London W1U 1JT<br />
England<br />
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62 Grand St. - 3rd Floor<br />
New York, NY 10013<br />
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Bleibtreustr. 29-30<br />
10707 Berlin<br />
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80538 München<br />
Shop:<br />
Jil Sander<br />
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10707 Berlin<br />
Jimmy Fairly<br />
Silk Relations GmbH<br />
Rückerstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
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Jimmy Fairly Store<br />
64 Rue Vieille du Temple<br />
75004 Paris<br />
Frankreich<br />
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80539 München<br />
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Amiraplatz 1<br />
80333 München<br />
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Louis Vuitton<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Maison Martin Margiela<br />
Henri + Frank Public<br />
Relations<br />
Schopenstehl 22<br />
20095 Hamburg<br />
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Münzstr. 21, 2. Hof<br />
10178 Berlin<br />
Marni<br />
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8 Avenue du Président<br />
Wilson, 75116 Paris<br />
Frankreich<br />
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Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Markus Lupfer<br />
Silk Relations GmbH<br />
Rückerstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Missoni<br />
PRESS OFFICE<br />
VIA SALVINI 1/A<br />
Mailand<br />
Italien<br />
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Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Mulberry<br />
KCD Paris<br />
13 rue du Mail<br />
75002 Paris<br />
Frankreich<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Nicholas KirKWood<br />
Studio<br />
5B Mount Street<br />
London W1K 3NE<br />
England<br />
Shop:<br />
5B Mount Street<br />
London W1K 3NE<br />
England<br />
Nike<br />
Silk Relations GmbH<br />
Rückerstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
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Nike Town<br />
Tauentzienstr. 7<br />
10789 Berlin<br />
Norama Kamali<br />
11 West 56th Street<br />
New York, NY 10019<br />
USA<br />
Shop:<br />
normakamali.com<br />
Ohne Titel<br />
601 W. 26th St., Suite<br />
M203<br />
New York, NY 10001<br />
USA<br />
Shop:<br />
Printemps<br />
102 Rue de Provence<br />
75009 Paris<br />
Frankreich<br />
Patricia Underwood<br />
499 Seventh Ave<br />
25th Floor South<br />
New York, NY 10018<br />
Shop:<br />
Fenwick<br />
63 New Bond Street<br />
London W1A 3BS<br />
England<br />
Phoebe English<br />
phoebeenglish.com<br />
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Dover Street Market<br />
17-18 Dover Street<br />
London W1S 4LT<br />
England<br />
Sally Lapointe<br />
C&M Media<br />
307 7th Avenue<br />
Suite 1801<br />
New York, NY 10001<br />
USA<br />
Shop:<br />
Sally Lapointe Studio<br />
32-B Thompson St.<br />
New York, NY 10013<br />
USA<br />
Sepai Skincare Technology<br />
sepai.eu<br />
Shop:<br />
Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Sonia Rykiel<br />
175 Boulevard<br />
Saint-Germain<br />
75006 Paris<br />
Frankkreich<br />
Shop:<br />
Galeries Lafayette<br />
Friedrichstr. 76-78<br />
10117 Berlin<br />
Starstyling<br />
Mulackstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
Shop:<br />
Starstyling<br />
Mulackstr. 4<br />
10119 Berlin<br />
Stella McCartney<br />
21A Bruton Place<br />
London W1J 6NB<br />
England<br />
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Theresa<br />
Maffeistr. 3<br />
80333 München<br />
Theysken’s Theory<br />
Theyskens‘ Theory Press<br />
Office<br />
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Mews<br />
London W11 2RU<br />
England<br />
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The Concept Store Cöln<br />
Mittelstr. 3 – 12<br />
50672 Köln<br />
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10119 Berlin<br />
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Departmentstore<br />
Quartier 206<br />
Friedrichstr. 71<br />
10117 Berlin<br />
Valentino<br />
Valentino Press Office<br />
8 Place Vendôme<br />
75001 Paris<br />
Frankreich<br />
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Valentino<br />
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Loews GmbH<br />
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158<br />
159
das trag’ ich für die ewigkeit<br />
Foto: Oda Jaune, Protokoll: Julia Christian<br />
Im Grunde ist das ganze Leben schon von<br />
der Geburt an ein einziger langer Abschied.<br />
Man erlebt nichts zweimal und man kann<br />
nicht zurück.<br />
In einem Sarg stelle ich es mir nicht schön<br />
vor. In einem Kasten ein paar Meter unter<br />
der Erde zu liegen, das ist doch viel zu<br />
dunkel. Ich bevorzuge Wasser, es bedeutet<br />
Licht und Freiheit. Und aus dem Wasser<br />
stammen wir doch. Das Gefühl der Seele<br />
ist so stark und auch die Erinnerung – das<br />
kann sich doch nicht plötzlich in Nichts<br />
auflösen.<br />
Ich glaube, uns erwartet nach dem „Tod“<br />
etwas wahnsinnig Aufregendes. Eine<br />
an dem ich gerade male. Kleidung ist dort<br />
sicher unnötig und Fotos sollen die<br />
behalten, die zurückbleiben. Ich würde das<br />
Bild mitnehmen, damit ich mich nicht<br />
darüber ärgern müsste, dass der Tod mich<br />
unterbrochen hat. So gäbe es auch nie<br />
mein letztes Bild. Man würde glauben, ich<br />
hätte es mitgenommen, es wäre nie<br />
vollendet. Ein schöner Gedanke.<br />
Meine Mutter liebt ihren Garten und ihre<br />
Pflanzen. Mich stört diese ständige<br />
Veränderung in der Natur. Dass etwas<br />
wächst, blüht und vergeht finde ich<br />
unheimlich. Zu sehen, dass eine Pflanze<br />
innerhalb eines Jahres, manchmal sogar<br />
Ich würde ein unfertiges Bild in die Ewigkeit<br />
mitnehmen, damit ich mich nicht darüber ärgern<br />
müsste, dass der Tod mich unterbrochen hat.<br />
Oda Jaune<br />
malt Bilder, an denen sie sich nicht satt<br />
sehen kann. Auch wenn das mancher bei ihrem alptraumhaften<br />
Motiven nicht glauben mag, in Oda Jaunes Innenleben ist es warm<br />
und sehr friedlich. In <strong>Fräulein</strong> erklärt sie, dass wir mit dem Tod<br />
nicht verlorengehen und warum sie bis in alle Ewigkeit malt.<br />
A<br />
ls ich vier Jahre alt war,<br />
dachte ich, mit 30 müsste ich<br />
sterben und fand das<br />
wahnsinnig alt. Inzwischen<br />
bin ich sogar älter. Eigentlich bin ich aber<br />
132 Jahre alt. Ich sehe nur nicht so aus.<br />
Manchmal glaube ich, mein Zeitgefühl ist<br />
anders, weil ich so viel gemacht und so<br />
viel gefühlt habe. Oder weil ich male, denn<br />
dort läuft die Zeit anders. Die Malerei,<br />
die Kunst, ist für mich wie ein anderes Leben.<br />
Das „normale“ Leben fällt mir<br />
schwerer als das Malen. Vielleicht, weil in<br />
der Kunst andere Regeln und Gesetze<br />
herrschen als in der „Realität“. In der Kunst<br />
gibt es keine Angst, es darf gar keine Angst<br />
geben, auch keinen Tod, keine Vergänglichkeit.<br />
Große Kunst hat kein Verfallsdatum, sie ist<br />
unsterblich.<br />
Die Erfahrung, endgültig Abschied zu<br />
nehmen, habe ich noch nie gemacht. Man ist<br />
doch nie fertig mit einem Menschen. Und<br />
wenn es eine echte Verbundenheit gab, trägt<br />
man ihn immer mit sich.<br />
Durch sein Werk lebt ein Mensch für mich<br />
ewig. Wenn ich beispielsweise ein über 100<br />
Jahre altes Buch von Balzac lese, ist er für mich<br />
genauso lebendig wie Michel Houellebecq.<br />
andere Welt mit neuen Möglichkeiten. Wir<br />
wissen davon noch nichts, können unsere<br />
Zeit aber nutzen, uns die wildesten<br />
Vorstellungen darüber auszumalen.<br />
Das Brutale am Tod ist der Schmerz, den<br />
man anderen zufügt, weil man sie verlässt,<br />
weil sie einen lieben, weil sie weiter leben<br />
werden und dich vermissen.<br />
Wenn ich wählen dürfte, würde ich am<br />
liebsten ganz mysteriös verschwinden. Ich<br />
gehe auf eine Weltreise und komme nicht<br />
mehr zurück. Auf diese Weise braucht es<br />
keine Beerdigung, keinen traurigen<br />
Abschied. Alles bleibt offen.<br />
Man sagt, der Tod gehöre zum Leben. Gibt<br />
es einen Satz, der beruhigender sein<br />
könnte? Er gehört dazu, und mit ihm geht<br />
man zurück zur Natur. Dass man überhaupt<br />
am Leben war, ist doch ein Wunder,<br />
eine große Freiheit und gleichzeitig eine<br />
große Einschränkung. Denn als Mensch ist<br />
man Materie und Form. Das bringt viele<br />
Grenzen mit sich, gleichzeitig wird<br />
dadurch vieles erst möglich. Der Mensch<br />
ist für mich das Spannendste am Leben.<br />
Ich besitze kein Bild, in dem kein Mensch<br />
vorkommt. Es gibt nur eine Ausnahme:<br />
Ich habe ein Bild gemalt, auf dem sich eine<br />
spritzende ölig-braune Flüssigkeit auf<br />
der Leinwand verteilt. Als wäre gerade jemand<br />
in sie hinein gesprungen. Auch<br />
dort also die Spur eines Menschen.<br />
Wenn ich etwas mit in die Ewigkeit nehmen<br />
könnte, wären das meine Lieblingspinsel,<br />
Ölfarben und das unfertige Bild,<br />
eines Monats, wieder weg ist, bedrückt<br />
mich. Ich bevorzuge die Leinwand. Dinge,<br />
die Unendlichkeit besitzen. Ich liebe und<br />
bewundere die Skulpturen der Renaissance,<br />
eigentlich jede Art von Kunst. Jedes<br />
gute Kunstwerk ist für die Ewigkeit.<br />
Gemälde, Geschichten genauso wie gute<br />
Musik und Filme vergehen nicht. Stattdessen<br />
kann man von ihnen lernen: Im Lauf<br />
des Lebens vergeht und verändert sich<br />
so vieles, aber die Kunst bleibt eine<br />
Konstante.<br />
Ewigkeit ist noch besser als das Leben<br />
selbst. Für mich hat Ewigkeit etwas<br />
Erhabenes. Sie kennt keine Schwäche,<br />
ist nicht verletzlich, kann nicht krank<br />
machen, hat keine Fehler. Ewigkeit<br />
ist absolut, und das ist eine großartige<br />
Sache. Ende<br />
Oda Jaune wurde 1979 in Sofia als Michaela Danowska<br />
geboren. Ihr Künstlername leitet sich von Oda<br />
(altdeutsch: Schatz) und Jaune (französisch: Gelb) ab. Sie<br />
studierte von 1998 bis 2003 als Meisterschülerin bei Jörg<br />
Immendorff an der Kunstakademie Düsseldorf und lebt<br />
mittlerweile in Paris. Bis 27. Oktober stellt sie in der<br />
Fondation Francès à Senlis bei Paris aus.<br />
160<br />
161
sacheN gibt es<br />
Illustration: Daniel Ramirez Perez, Text: Alexa von Heyden<br />
Geschlechtskrankheiten<br />
Klassische Geschlechtskrankheiten und sexuell übertragbare<br />
Krankheiten sind laut Robert-Koch-Institut und World Health<br />
Organisation (WHO) wieder auf dem Vormarsch. In den<br />
80-er Jahren war die AIDS-Aufklärung mit Kondom-Werbung<br />
durch Ingolf Lück und Hella von Sinnen Kult: „Tina, wat<br />
kosten die Kondome?“. Safer Sex wurde cool und die Zahl der<br />
neuinfektionen mit STI (Sexually transmitted infections) einige<br />
Jahre rückläufig; im Jahr 2000 wurde die Meldepflicht für<br />
Tripper, offiziell Gonorrhoe, vom Gesundheitsamt sogar abgeschafft.<br />
Das neue Problem ist jung: Mit HIV infizierten sich 2011 in<br />
Deutschland zwar weniger Menschen als noch vor einigen<br />
Jahren, doch andere Geschlechtskrankheiten, etwa die zuvor<br />
fast verdrängte Syphilis, haben sich allein von 2001 auf<br />
2006 verdoppelt.<br />
Die meisten Patienten sind laut WHO zwischen 20 und 24 Jahre<br />
alt, danach folgen die 15- bis 19-Jährigen. In Deutschland werden<br />
jedes Jahr rund 3.000 neue Fälle von Syphilis gemeldet,<br />
davon die meisten in Großstädten, insbesondere Berlin, und<br />
bei Männern. Wie kann das sein? Vor allem liegt es wohl daran,<br />
dass die Menschen mehr denn je in der Welt herumreisen<br />
und sorglos bei der Partnerwahl sind. Die junge Generation<br />
glaubt, sexuell übertragbare Krankheiten beträfen nur Randgruppen.<br />
Wer trägt schon noch selbstverständlich stets ein<br />
Kondom im Portemonnaie bei sich?<br />
Doch es kommt nicht darauf an, wie oft man Sex hat, sondern<br />
ob man ungeschützten Sex hat. Wenn Infektionen unbemerkt<br />
und unbehandelt bleiben, spielt man mit den über 30 verschiedenen<br />
Bakterien, Viren und Pilzen, die aktuell im Umlauf sind,<br />
nacht für nacht Ping-Pong. Schlimmer noch: Viele STI können<br />
Unfruchtbarkeit, Gebärmutterhalskrebs oder Geisteskrankheiten<br />
zur Folge haben.<br />
hiv<br />
Das HI-Virus (Human Immunodeficiency<br />
Virus) wird beim Oral-, Anal- oder<br />
Vaginal-Verkehr durch das Sperma, die<br />
Schleimhäute oder (Menstruations-)Blut<br />
übertragen. Wenn das HIV ausbricht,<br />
leidet man an der Krankheit Aids (Acquired<br />
Immunodeficiency Syndrome). In<br />
Deutschland leben laut datenbasierter<br />
Schätzung des Robert-Koch-Instituts<br />
aktuell rund 73.000 Menschen mit HIV/Aids,<br />
etwa 59.000 Männer und 14.000 Frauen.<br />
Vergangenes Jahr infizierten sich 2.250<br />
Männer und 450 Frauen neu mit dem<br />
Virus. Diese Zahl ist höher als die der etwa<br />
500 Todesfälle 2011, weil die Krankheit<br />
inzwischen mit Medikamenten meist gut<br />
behandelbar ist. Heilbar ist eine HIV-Infektion<br />
aber nach wie vor nicht. Den einzigen<br />
Schutz gegen HI-Viren bieten Kondome<br />
oder bei Oral-/Anal-Verkehr ein Lecktuch<br />
(Dental Dam).<br />
FilZläuse<br />
Die sogenannten „Sackratten“ springen<br />
beim Sex von einem Wirt, einem Menschen<br />
auf den anderen. Sie nisten an den Wurzeln<br />
der Schamhaare und sind mit bloßem Auge<br />
als kleine dunkle Flecken zu erkennen.<br />
Ihr Biss löst einen starken Juckreiz aus.<br />
Gegen die Parasiten hilft eine Tinktur. Der<br />
Kahlschlag der Scham- und Achselhaare ist<br />
ratsam, ebenso das professionelle Reinigenlassen<br />
von Kleidung und Bettwäsche.<br />
Genital-Herpes<br />
die ansteckung mit dem Herpes simplex<br />
Virus Typ 2 erfolgt durch Körperkontakt<br />
(Küssen!), Tröpfchen- und schmierinfektion<br />
- aber nur dann, wenn der partner<br />
gerade selbst einen blühenden genital-<br />
Herpes hat. in deutschland sind 90 % aller<br />
erwachsenen mit dem lippen-Herpes<br />
infiziert, 15 % auch mit dem Genital-Herpes.<br />
die infektion ist latent, das Virus bleibt<br />
lebenslang im Körper und kann weiter<br />
verbreitet werden. symptome sind u.a.<br />
bläschen und geschwüre. Virostatika wie<br />
aciclovir beschleunigen die Heilung.<br />
CHlamydien<br />
eine infektion mit Chlamydien trachomatis<br />
ist eine der häufigsten sexuell übertragbaren<br />
Krankheiten. die bakterien können<br />
bei Männer und Frauen eine Harnröhrenentzündung<br />
auslösen. In Deutschland<br />
sind nach seriösen Schätzungen mehr als<br />
100.000 Frauen durch unbehandelte<br />
Chlamydien-infektionen unfruchtbar geworden,<br />
weil ihre eileiter nicht mehr<br />
durchgängig sind. bei wechselnden sexpartnern<br />
sind jährliche Vorsorgeuntersuchungen<br />
ratsam.<br />
GonorrHoe<br />
auch als „Tripper“ bekannt. ihren namen<br />
verdankt die geschlechtskrankheit dem<br />
niederdeutschen ausdruck trippen =<br />
tropfen. die patienten leiden unter eitrigem<br />
Ausfluss aus Penis, Scheide oder Po und<br />
haben Schmerzen beim Wasserlassen.<br />
Viele Frauen haben zunächst keine<br />
beschwerden, weshalb die gonokokkenbakterien<br />
ungehindert von der Harnröhre<br />
bis in die eileiter hochwandern und diese<br />
verkleben, was zur Unfruchtbarkeit führen<br />
kann. Wenn eine Schwangere sich unbemerkt<br />
mit Tripper infiziert (normalerweise<br />
wird aber gleich bei der ersten Vorsorgeuntersuchung<br />
ein abstrich gemacht), besteht<br />
die Gefahr einer Fehlgeburt. Während<br />
der geburt kann sich das neugeborene anstecken,<br />
dies kann beim Baby zu Blindheit<br />
führen. die Krankheit kann jedoch mit<br />
antibiotika problemlos behandelt<br />
werden. Da der Erreger aber zunehmend<br />
resistent ist, steigt die<br />
Zahl der neuinfektionen.<br />
Humane<br />
papillomaviren<br />
Junge Mädchen werden heutzutage –<br />
möglichst vor dem ersten Mal Sex –<br />
von ihrem Kinder- oder Frauenarzt<br />
gegen Humane papillomaviren (HpV)<br />
geimpft. Die DNA-Viren können zu<br />
Zellveränderungen wie Feigwarzen im<br />
genital- und analbereich oder im<br />
schlimmsten Fall zu Gebärmutterhalskrebs<br />
führen. besonders wichtig ist<br />
deshalb die jährliche Vorsorgeuntersuchung<br />
(„pap-Test“).<br />
sypHilis<br />
auch lues (lat. seuche), „lustseuche“ oder<br />
„Franzosenkrankheit“ genannt. Die<br />
syphilis verläuft in drei stadien: auf<br />
Hautgeschwüre folgen rote Flecken, zum<br />
schluss greift das bakterium Treponema<br />
pallidum das Nervensystem an. Bis zur<br />
Erfindung des Penicillins 1928 galt die<br />
syphilis als geißel der Menschheit. sie<br />
führt zu Blind-, Taubheit (Ludwig van<br />
beethoven) oder geisteskrankheit und<br />
kann während der schwangerschaft oder<br />
geburt von Mutter aufs Kind übertragen<br />
werden. 1000 bis 4000 Kinder weltweit<br />
kommen wegen Syphilis blind zur Welt.<br />
berühmte Todesfälle: u.a. Friedrich<br />
Nietzsche, Heinrich Heine.<br />
triCHomonaden<br />
Die Geißeltierchen zählen zu den Parasiten<br />
und werden per schmierinfektion über<br />
den Urin oder Körpersekrete übertragen.<br />
sie nisten sich in der scheide, in darm<br />
und Harnröhre ein und lösen dort eine<br />
infektion aus. es juckt wie Hölle, der<br />
Ausfluss ist schaumig. Trichomonaden<br />
zählen wie Chlamydien zu den häufigsten<br />
sexuell übertragbaren Krankheiten. ende<br />
162
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