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5/2013 September | Oktober €5,50 A: € 6,30 CH: sFr 11,00 BeNeLux: € 6,50 SK, I: € 7,45 S: SKR 75 N: NOK 79 FIN: € 8,10<br />
Clausewitz<br />
Clausewitz<br />
Das Magazin für Militärgeschichte<br />
Leichte<br />
105-mm-<br />
Haubitze<br />
der US-<br />
Army<br />
Militärtechnik<br />
im<br />
Detail<br />
<strong>1940</strong>: <strong>Hitlers</strong> „verschenkter <strong>Sieg“</strong><br />
<strong>Dünkirchen</strong><br />
Sechstagekrieg<br />
1967: Israel kämpft<br />
um seine Existenz<br />
George S. Patton<br />
Genial, erfolgreich,<br />
umstritten<br />
Die Adelsburg<br />
als Wehrbau<br />
Verteidigungsanlagen<br />
des Mittelalters<br />
MILITÄR & TECHNIK:<br />
Transportmaschinen von<br />
Bundeswehr und NVA<br />
Transall C-160<br />
Antonow An-26
Aus Liebe<br />
zum Detail<br />
Das neue<br />
Heft ist da.<br />
Jetzt am<br />
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Editorial<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
mit der französischen Hafenstadt<br />
<strong>Dünkirchen</strong> (Dunkerque) verbinden vor<br />
allem viele Briten das „Wunder“ des<br />
Jahres <strong>1940</strong> – die nicht für möglich<br />
gehaltene Evakuierung des militärisch<br />
geschlagenen Britischen Expeditionskorps<br />
aus Frankreich. In diesem Zusammenhang<br />
wird noch heute besonders<br />
eine Frage kontrovers diskutiert:<br />
Warum bekräftigte Hitler während des<br />
Vormarsches in Nordfrankreich den<br />
Befehl des Heeresgruppenchefs von<br />
Rundstedt, die nach <strong>Dünkirchen</strong> vorstoßenden<br />
Panzerverbände<br />
zu stoppen?<br />
Mehr als<br />
350.0000 alliierte<br />
Soldaten<br />
wären den Verbänden<br />
der<br />
Wehrmacht im<br />
Falle des weiteren<br />
Vordringens<br />
der Deutschen beinahe schutzlos<br />
ausgeliefert gewesen.<br />
Über den folgenreichen „Halt-Befehl“<br />
vom 24. Mai <strong>1940</strong> wurden in<br />
den vergangenen 73 Jahren verschiedene<br />
Thesen aufgestellt.<br />
Hitler selbst waren die verlustreichen<br />
Kämpfe in Frankreich durch seine<br />
Teilnahme an der ersten Flandernschlacht<br />
des Krieges von 1914–1918<br />
noch in Erinnerung. Damals hatten<br />
sich die Engländer und Franzosen für<br />
die Deutschen als hartnäckiger Gegner<br />
erwiesen, den man nicht niederringen<br />
konnte. Hatte Hitler zu viel<br />
Respekt vor den Ende Mai <strong>1940</strong> noch<br />
nicht vollständig besiegten Alliierten?<br />
Warum griff der deutsche Diktator in<br />
die operative Kriegführung ein?<br />
In unserer Titelgeschichte „Das<br />
Wunder von <strong>Dünkirchen</strong>“ erfahren Sie<br />
ab Seite 10 alles Wissenswerte zum<br />
überraschenden Verlauf der Kämpfe<br />
in Nordfrankreich und zur dramatischen<br />
Evakuierungsaktion der Alliierten.<br />
Selbstverständlich beschäftigen<br />
wir uns auch mit der Frage nach den<br />
Motiven für <strong>Hitlers</strong> „Halt-Befehl“, der<br />
nach Meinung vieler Militärexperten<br />
erhebliche Auswirkungen auf den weiteren<br />
Kriegsverlauf hatte.<br />
Eine erkenntnisreiche Lektüre<br />
wünscht Ihnen<br />
Dr. Tammo Luther<br />
Verantwortlicher Redakteur<br />
NEUE SERIE<br />
4. Folge<br />
Krieger, Söldner & Soldaten<br />
Vorstoß ins Hinterland<br />
Revolutionäre Idee: Deutsche Sturmbataillone schlagen im Stoßtruppverfahren<br />
eine Bresche in feindliche Verteidigungsanlagen<br />
Als der Bewegungskrieg an der Westfront erstarrt,<br />
kommt die deutsche Führung 1915<br />
zu dem Schluss, dass der taktische Einsatz der<br />
Infanterie grundlegend verändert werden muss.<br />
Sturmbataillone werden als gemischte Formationen<br />
unter Einbeziehung von Granat- und<br />
Minenwerfern, leichten Maschinengewehren<br />
und Flammenwerfern aufgestellt. Beispielgebend<br />
ist das Sturmbataillon „Rohr“, welches<br />
aus dem Niederschlesischen Pionier-Bataillon<br />
Nr. 5 hervorgegangen ist. Nun bildet man in<br />
fast allen deutschen Armeen je ein eigenes<br />
Sturmbataillon, deren Mannschaften ausschließlich<br />
aus Freiwilligen bestehen. Vor jedem<br />
Einsatz sollen die Sturmabteilungen die<br />
gegnerischen Stellungen gründlich auskundschaften<br />
und dann mit der Grabeninfanterie<br />
des Abschnitts den Angriff durchführen. Beim<br />
Vorstoß gehen die Sturmsoldaten in kleinen,<br />
gut aufeinander eingespielten Trupps vor, die<br />
Stoßkraft des gesamten Bataillons soll nach<br />
Möglichkeit nicht verbraucht werden. Der<br />
Sturmsoldat trägt einen mit Tarnfarben<br />
versehenen Stahlhelm<br />
sowie spezielle<br />
Hosen, die an<br />
Knien und Gesäß mit<br />
Leder verstärkt sind.<br />
1916 werden Sturmsoldaten<br />
erstmals bei Verdun<br />
eingesetzt. Ihr Auftrag<br />
lautet vor allem, weit ins<br />
feindliche Hinterland vorzustoßen<br />
und dort Verwirrung<br />
zu stiften.<br />
Gut ausgerüstet: Dieser<br />
Sturmsoldat trägt einen<br />
Stahlhelm mit Tarnmuster,<br />
zusätzliche Stielhandgranaten<br />
und einen Karabiner<br />
ohne aufgepflanztes<br />
Bajonett.<br />
Illustration: Johnny Shumate<br />
Insgesamt werden 17 Sturmbataillone und zwei<br />
selbstständige Kompanien aufgestellt. Bei den<br />
laufenden Einsätzen der Sturmabteilungen<br />
geht es aber auch um die Einbringung von Gefangenen,<br />
um die Stärke der gegenüberliegenden<br />
Truppen festzustellen. Öfters kommt es<br />
vor, dass Sturmsoldaten in gegnerischen Unterständen<br />
Alkoholbestände vorfinden, die es bei<br />
den deutschen Truppen schon lange nicht mehr<br />
gibt. Häufig vermindert sich die Disziplin nach<br />
den Funden von Champagner und Whisky. Die<br />
Unternehmungen der Deutschen verlaufen<br />
meistens erfolgreich, aber nach und nach verstehen<br />
es Briten und Franzosen, sich der neuen<br />
Angriffstaktik anzupassen.<br />
FAKTEN<br />
Zeit: 1916–1918<br />
Uniform: Feldbluse M. 1915 (in der Regel),<br />
graue Hosen, Gebirgsschuhe und<br />
Wickelgamaschen<br />
Hauptwaffe: 7,9-mm-Karabiner<br />
98 und Bajonett 84/98<br />
Ausrüstung: geschwärztes Koppel,<br />
Handgranatenbeutel, Gasmaske<br />
in Behälter und Schaufel<br />
mit langem Stiel<br />
Wichtige Schlachten: Verdun,<br />
Somme<br />
Sturmbataillone im<br />
Film: Der blaue Max<br />
(1966)<br />
Clausewitz 5/2013
Inhalt<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Foto: ullstein bild<br />
Titelthema<br />
Das „Wunder von <strong>Dünkirchen</strong>“ ..............................................................................10<br />
Die Kämpfe in Nordfrankreich <strong>1940</strong>.<br />
Titelgeschichte<br />
Nordfrankreich <strong>1940</strong><br />
Das „Wunder von <strong>Dünkirchen</strong>“<br />
24. Mai <strong>1940</strong>: Die Wehrmacht ist unerwartet schnell bis zur Kanalküste vorgestoßen.<br />
Als den bei Du?nkirchen eingekesselten Alliierten die Vernichtung droht, trifft Hitler mit<br />
seinem „Halt-Befehl“ eine folgenschwere Entscheidung.<br />
Von Tammo Luther<br />
Mit dem Rücken zum Meer ..........................................................................................24<br />
Die alliierte Evakuierungsaktion.<br />
Der „Motor als Waffe“ ................................................................................................................28<br />
Deutsche und alliierte Panzer in Frankreich <strong>1940</strong>.<br />
UNTER BESCHUSS:<br />
Hunderttausende von britischen und französischen<br />
Soldaten harren entlang der Kanalküste bei<br />
<strong>Dünkirchen</strong> aus und hoffen auf ihre baldige Evakuierung.<br />
Dabei sind sie immer wieder Störfeuer<br />
ausgesetzt.<br />
10<br />
11<br />
Martialisch: Als „Glorreicher Rückzug“ untertitelte<br />
Propagandazeichnung aus der Publikation<br />
„Die Wehrmacht“, herausgegeben vom OKW,<br />
Berlin <strong>1940</strong>.<br />
Abb.: Archiv <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
Magazin<br />
Neues zur Militärgeschichte, Ausstellungen und Bücher. .....................6<br />
Militär und Technik<br />
Burgen des Mittelalters .............................................................................................32<br />
Die Adelsburg als Wehrbau.<br />
Der Zeitzeuge<br />
Feldpost eines Badischen Leibgrenadiers .....................38<br />
Zeitgenössische Berichte von den Schlachtfeldern<br />
des Ersten Weltkriegs.<br />
Militärtechnik im Detail<br />
„Arbeitspferd“ ...................................................................................................................................42<br />
Amerikanische M2A1 105-Millimeter-Haubitze.<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
„Plattenseeoffensive“ 1945 ............................................................................44<br />
<strong>Hitlers</strong> Fehlschlag am Balaton.<br />
Militär und Technik<br />
Zwei „ungleiche Schwestern“ .......................................................................52<br />
Die Transportmaschinen Transall C-160 und<br />
Antonow An-26.<br />
Titelbild: Fotomontage: Britische und französische Soldaten am<br />
Strand von <strong>Dünkirchen</strong> im Juni <strong>1940</strong>.<br />
4
Foto: picture-alliance/Bildagentur-online/TIPS-Images<br />
Foto: Archiv LTG 62<br />
Zeichnung: Andrea Modesti<br />
Foto:ISAF Public Affairs<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Abb.: Lehmann’s<br />
kulturhistorische Bilder<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Foto: Autor<br />
Foto: Autor<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Foto: National Archives<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Foto: National Archives<br />
<strong>CLAUSEWITZ</strong> dankt dem „World War II magazine“<br />
sowie der Weider History Group für die Zurverfügungstellung<br />
der Grafiken. Mehr Informationen<br />
unter www.HistoryNet.com.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Militär und Technik<br />
Militärtechnik im Detail<br />
NEUE SERIE<br />
POPULÄRE DARSTELLUNG: Ein Ritter in voller<br />
Rüstung mit einer „Ritterburg“ im Hintergrund.<br />
Burgen des Mittelalters<br />
Die Adelsburg<br />
18./19. Jahrhundert:<br />
Der Begriff „Ritterburg“ entstammt<br />
dem verklärten Mittelalterbild<br />
der Romantik. nennt man oft fälschlich „Wallburg” oder (lat. curtis) im Tal.<br />
Im 8. bis 11. Jahrhundert erbaute Burgen hen erbauter Großburgen einen Herrenhof<br />
Die heutige Burgenforschung „Ringwall”, weil verfallene Ringmauern wie Entgegen früherer Ansicht sind wenige<br />
Wälle wirken. Zwar gibt es Befestigungen frühmittelalterliche Burgen Refugien, die<br />
sagt „Adelsburg“ und meint aus geschichteter Erde, doch häufig sind nur bei Gefahr aufgesucht werden. Die meisten<br />
sind dauerhaft besiedelt und auf Initiati-<br />
damit einen wehrhaften, Umwallungen im Frühmittelalter durch<br />
Holzpfosten und Steinkonstruktionen stabilisiert.<br />
Vermittelt durch die Franken und ihstanden,<br />
insbesondere im Grenzgebiet zu<br />
ve oder mit Genehmigung der Könige ent-<br />
repräsentativen Adelswohnsitz<br />
des 11. bis 15. Jahrhunderts.<br />
Von Michael Losse Schutz der Tore haben diese teils überlap-<br />
vielfach ihnen anvertraute Burgen für eigene<br />
re Kenntnis antiker Bauten setzt sich die den feindlichen Sachsen. Gegen Ende des<br />
Technik des Mörtelmauerwerks durch. Zum Frühmittelalters nutzen Dynastenfamilien<br />
pende Mauerenden, oft mit Holzaufbauten. Zwecke.<br />
Häufig in karolingischer (800–911) und ottonischer<br />
Zeit (919–1024) sind Zangentore mit telgroße Bauten und bald darauf erste kleine<br />
Im 8. Jahrhundert entstehen einzelne mit-<br />
s existieren Sonderformen, die eher viertelkreisförmig nach innen abbiegenden Höhenburgen, die mit Ringmauer und<br />
„Militärbauten” sind als Adelsburgen, Mauern. Flankierende Wehrplattformen Wohnturm schon Eigenschaften hochmittelalterlicher<br />
Adelsburgen zeigen.<br />
zum Beispiel Kreuzfahrer-, Trutz- und kommen ab dem 10. Jahrhundert vereinzelt<br />
Belagerungsburgen. Die Adelsburgen selbst vor. Innenbebauungen bestehen aus eingeschossigen<br />
Holzbauten, Pfosten- und Gru-<br />
Turmburg und Motte<br />
sind Wohnsitze von Familien, deren Herrschaftsbasis<br />
Grundbesitz und Lehen bilden. benhäusern – neben Wohn- und Speicherbauten<br />
auch Handwerks- und Handelsbau-<br />
Noch im 10./11. Jahrhundert wohnen die<br />
(9. bis 11. Jahrhundert)<br />
Die Burg ist Zentrum ihrer Politik und Verwaltung,<br />
sie „besetzt” das Umland optisch ten. Großburgen sind Wehr-, Schutz- und meisten Adeligen auf Herrenhöfen. Umgeben<br />
von Palisaden stehen dort eingeschossi-<br />
und zeigt, wer herrscht. Die Burgenkunde Verwaltungsbauten, Handels- und Wirtschaftszentren,<br />
Produktions- und auch ge, ein- bis zweiräumige Holz- oder<br />
des 19. Jahrhunderts sieht Burgen als oft umkämpfte<br />
Wehrbauten, die ihr Umland militärisch<br />
„beherrschen”. Im Zentrum heute stesammlung<br />
und kirchlichen Organisation. gen. Schwäche der königlichen Zen-<br />
Münzstätten, Orte der Rechtsprechung, Ver-<br />
Steinhäuser mit ebenerdigen Eingänhen<br />
vielmehr die symbolische Funktion der Mancherorts findet man in der Nähe auf Hötralgewalt,<br />
Unsicherheit im Reich<br />
Bauten sowie ihre Bedeutung im jeweiligen<br />
und wachsender Repräsentationswille<br />
führen dazu, dass um 900<br />
geographisch-historischen Umfeld.<br />
VOLLER KLISCHEES: Dieses Schulbild<br />
(19. Jahrhundert) einer „Ritterburg im XIII.<br />
Dynasten verstärkt Wohnsitze auf<br />
Burgen im Frühmittelalter<br />
Jahrhundert“ vereinigt spätmittelalterliche<br />
Höhen bauen. Aus der Wende<br />
(8. bis 11. Jahrhundert)<br />
(15. Jhd.) und<br />
vom 9. zum 10. Jahrhundert stammen<br />
älteste erforschte adelige Hö-<br />
Schon vor den Adelsburgen gibt es Burgen: romantische (19. Jhd.)<br />
Für das 8. bis 10. Jahrhundert sind über 1.000 Elemente.<br />
henburgen. Um 1000 existieren<br />
Großburgen (1–5 ha und mehr) in Deutschland<br />
bezeugt. Sie entstehen aufgrund von<br />
präsentativ-wehrhafte<br />
viele Adelsburgen als re-<br />
Thronstreitigkeiten, Adelsaufständen, Fehden<br />
und Invasionen (Normannen, Sachsen,<br />
sind Höhenburgen<br />
Wohnsitze. Anfangs<br />
Slawen, Ungarn). Spätestens ab der Karolingerzeit<br />
steht das Recht, Burgen und Befestisetzte<br />
Herrenhöfe, wie<br />
S.32<br />
quasi auf Höhen vergungen<br />
zu bauen oder zu genehmigen dem<br />
Burg Salbüel/CH, deren<br />
hölzerne Gebäude<br />
König zu. Karl der Kahle befiehlt 864 für sein<br />
Westfrankenreich, illegal erbaute Burgen abzureißen.<br />
Letztlich haben die Könige aber<br />
12. Jahrhundert<br />
dem späten 10. bis<br />
kaum Mittel, den Adel zu kontrollieren. Das<br />
entstammen: Eine<br />
Palisade umgibt<br />
Burgbaurecht übertragen Könige an Herzöge<br />
und Markgrafen.<br />
oval ein Hallenhaus,<br />
E<br />
als Wehrbau<br />
„Arbeitspferd“<br />
Amerikanische M2A1<br />
105-Millimeter-Haubitze<br />
Illustration: Jim Laurier<br />
ie M2A1 105-Millimeter-Haubitze war in die Lage, die Haubitze defensiv in Hinterhangstellung<br />
oder geschützt durch andere<br />
Ddas leichte Standardfeldgeschütz amerikanischer<br />
Artillerieeinheiten sowohl auf dem natürliche Deckungen zu positionieren und<br />
europäischen als auch auf dem pazifischen von dort die Geschosse mit einer steilen<br />
Kriegsschauplatz. Bei 1941 beginnender Produktion<br />
war die M2A1-Haubitze ein gewaltern,<br />
wenn erforderlich auch auf nicht ein-<br />
Schussbahn auf Ziele in acht bis elf Kilometiger<br />
Schritt nach vorn im Vergleich zur 75- sehbare Hinterhangstellungen, abzufeuern.<br />
Millimeter-Haubitze, die im Ersten Weltkrieg Um die 10.200 M2A1 wurden produziert.<br />
eingesetzt wurde. Die M2A1 war mobiler, Nach dem Krieg wurde die M2A1 dann als<br />
vielseitiger und zuverlässiger als die 75-Millimeter-Haubitze.<br />
Sie war doppelt so leisrend<br />
des Korea- als auch des Vietnamkrieges<br />
M101A1 bekannt und wurde sowohl wähtungsfähig,<br />
verschoss knapp 15 Kilogramm eingesetzt. Inzwischen schied dieses Arbeitspferd<br />
als Feldartilleriegeschütz bei der U.S.<br />
schwere Geschosse mit einer Reichweite von<br />
circa 11.100 Metern. Ein schwerer Lkw konnte<br />
die 2.260 Kilogramm schwere M2A1 beina-<br />
weiterhin im Einsatz steht.<br />
Army aus, obwohl es in anderen Ländern<br />
he überall hin bewegen. Auch war der mögliche<br />
steile Schusswinkel ein bedeutender<br />
Vorteil der Haubitze. Er versetzte Einheiten<br />
Zieloptik<br />
Optisches Festbrennweitensystem<br />
mit vierfacher Vergrößerung,<br />
10 Grad<br />
Sichtfeld, mechanischem<br />
Zählwerk zur<br />
Unterstützung des<br />
Richtschützen.<br />
Geschützrohr<br />
105 Millimeter Durchmesser; es<br />
lagerte auf einem hydropneumatischen<br />
Rückstoßmechanismus, der ähnlich<br />
einem Stoßdämpfer funktionierte.<br />
Doppelschild<br />
Gedacht, um Soldaten zu schützen,<br />
wenn die Haubitze als Nahunterstützungswaffe<br />
eingesetzt wurde.<br />
Höhenrichtrad<br />
Hiermit konnte das Rohr von minus zehn<br />
(wenn man beispielsweise von erhöhter<br />
Position nach unten schießen musste) bis zu<br />
plus 65 Grad Rohrerhöhung gerichtet werden.<br />
Seitenrichtrad<br />
Mit diesem ließ sich<br />
das Rohr links oder<br />
Ebenso wurde die M2A1 in Panzerdivisionen auf Selbstfahrlafetten<br />
verwendet. Im Bild sieht man die Selbstfahrlafette<br />
Spreizholm<br />
rechts maximal 46 Grad Manuell bedienter<br />
Abzugvorrichtung<br />
Linker und rechter Holm wurden in Feuerstellung schwenken.<br />
Schubkurbelverschluss<br />
Durch Ziehen an diesem Seil wurde<br />
M7 mit 105-Millimeter-Haubitze auf Sizilien. Diese basierte<br />
auseinander gezogen und im Boden verankert.<br />
Der Verschluss erlaubte aufgrund<br />
seiner nur hüfthohen<br />
ten dieses Gefährt „Priest“(Priester) aufgrund der kanze-<br />
der Schuss ausgelöst.<br />
auf dem Chassis des M4 Sherman-Panzers. Die Briten tauf-<br />
Dabei dienten die beiden Endsporne dazu, die<br />
Rückstoßkräfte aufzufangen, indem sie diese in den<br />
Position schnelles Nachladen.<br />
lähnlichen Drehringlafette für das Maschinengewehr an der<br />
Boden ableiteten. In Transportstellung wurden die<br />
rechten vorderen Fahrzeugseite.<br />
Holme dann wieder zusammengeführt.<br />
DIE KONKURRENTEN:<br />
Zugöse<br />
122 Millimeter M1938 (M-30)<br />
In dieser Serie bereits erschienen:<br />
Die Bedienung des Geschützes<br />
bestand aus Zugfahrzeuge zum Transport angehängt.<br />
Mit dieser wurde die Haubitze an<br />
Typ 11 100 Millimeter<br />
Reichweite: ca. 11.800 Meter;<br />
Kampfpanzer Sherman M4 (2/2013)<br />
Reichweite: ca. 10.750 Meter;<br />
entwickelt 1938. Die M1938<br />
Flugzeugträger Independent-Klasse (3/2013)<br />
auf einem französischen<br />
acht Mann; dazu gehörten<br />
der Lade- und Richt-<br />
Standarddivisionsartillerie bis 1960.<br />
Maschinengewehr (MG)42 (4/2013)<br />
diente der Roten Armee als<br />
Deutsches Schnellboot Typ S-100 (3/2013)<br />
Entwurf basierend war diese leichte<br />
Feldhaubitze effektiv, aber lediglich 1.100<br />
schütze sowie der Geschützführer<br />
und der für<br />
Geschütz QF 25-Pfünder<br />
wurden seit 1931 gebaut, so dass nie Demnächst:<br />
Reichweite: ca. 12.250 Meter;<br />
genügend Geschütze im Bestand waren, „Swordfish“ Torpedobomber (6/2013)<br />
die Munition verantwortliche<br />
Kanonier. Die 105-<br />
des Zweiten Weltkriegs. Es verfügte über<br />
wohl das beste Artilleriegeschütz<br />
alle japanischen Divisionen mit ihm<br />
auszustatten.<br />
Millimeter-Haubitze verschoss<br />
eine große Muni-<br />
acht Schuss pro Minute und diente in<br />
Leichte Feldhaubitze 18<br />
eine Feuergeschwindigkeit von sechs bis<br />
S.42<br />
tionsvielfalt wie etwa<br />
der Britischen Armee bis in die 1960er. Reichweite: ca. 12.300 Meter;<br />
hochexplosive, panzerbrechende<br />
oder Brand-<br />
Haubitze 105/14 Modell 18<br />
(1928/29) war sie eigentlich<br />
entwickelt von Rheinmetall<br />
munition. Die maximale<br />
Reichweite ca. 8.150 Meter;<br />
eine verlängerte Version eines<br />
entwickelt aus einem WKI-Design.<br />
Feuergeschwindigkeit<br />
Entwurfs von 1916. Die mit der<br />
Es existierten sowohl bespannte als<br />
10,5-Zentimeter Leichten Feldhaubitze<br />
18M eingeführte Mün-<br />
betrug zehn Schuss pro<br />
auch Kraftzugvarianten. Nach Italiens<br />
Minute und bei Dauerfeuer<br />
drei Schuss je Minute.<br />
wurden einige Stücke erbeutet und von weite deutlich.<br />
Kapitulation im September 1943<br />
dungsbremse erhöhte die Reich-<br />
den Deutschen weiterverwendet.<br />
42 43<br />
Militär und Technik<br />
Schlachten der Weltgeschichte | Sechstagekrieg<br />
WELTWEIT: C-160 der Luftwaffe<br />
verrichten überall ihren Dienst.<br />
Hier im Landeanflug auf die Heimatbasis<br />
des Einsatzgeschwaders<br />
Mazar-e Sharif im Norden<br />
Afghanistans.<br />
ÜBUNGSFLUG: Eine<br />
Maschine vom Typ<br />
Antonow AN-26 in der<br />
Nähe von Dresden.<br />
Transportmaschinen Transall C-160 und Antonow AN-26<br />
Zwei „ungleiche Schwestern“<br />
1980er-Jahre: Bei Hilfseinsätzen in Afrika treffen die Transall C-160 der Luftwaffe und<br />
die AN-26 der NVA-Luftstreitkräfte aufeinander. Von 1990 bis 1994 fliegen sie dann<br />
Seite an Seite in der „Armee der Einheit“. Von Hans-Werner Ahrens und Mathias Brandt<br />
A<br />
ls man ab 1957 insgesamt 187 Transportflugzeuge<br />
des Typs ND 2501D „Norat-<br />
Beteiligt sind die Firmen „Weser Flugzeugter-Allianz“<br />
leitet sich der Name „Transall“<br />
Gemeinschaftsprojekt – die Transall C-160. Aus der deutsch-französischen „Transporlas“<br />
in die noch junge Luftwaffe der bau“ – später VFW in Lemwerder –, Hamburger<br />
Flugzeugbau (HFB) in Finkenwerder, einem „C“ für „Cargo“ und die „160“ aus den<br />
ab. Die Kurzbezeichnung C-160 setzt sich aus<br />
Bundeswehr einführt, ist bereits klar, dass diese<br />
den schnell steigenden Anforderungen im Prof. Dipl. Ing. W. Blume in Duisburg-Ruhrort,<br />
Nord-Aviation in Châtil-<br />
Nach Überwindung etlicher Hürden startet<br />
160 m² der beiden Tragflächen zusammen.<br />
militärischen Lufttransport nicht lange gerecht<br />
würden. So beginnen noch im selben Jahr erste<br />
Projektstudien für ein deutsch-französisches Hurel-Dubois.<br />
lun-Villaroche zu seinem Erstflug.<br />
lon und Süd-Aviation in<br />
der erste Prototyp am 25. Februar 1963 in Me-<br />
Produktion der Transall<br />
Ab März 1967 werden insgesamt 204 Transall<br />
gebaut, dabei die erste Serie von 1967 bis<br />
1971. Der Hersteller legt von 1981 bis 1989 eine<br />
zweite Serie (C-160NG) auf, aber nur für<br />
Frankreich und Indonesien. Auch die aufgrund<br />
fehlender Austauschteile durch die<br />
BESTAUNT: Transall-Versuchsmuster<br />
französische Luftwaffe eingeführten Kunststoffpropeller<br />
kommen in den deutschen<br />
V 3 auf dem Fliegerhorst<br />
Ahlhorn Transall nicht zum Einbau.<br />
DATEN Transall C-160<br />
Rolle:<br />
(Taktisches) Transportflugzeug<br />
im Jahr 1968. Mit der Produktion der Transall wird die<br />
Ursprungsland: Deutschland (D), Frankreich (F)<br />
Erfahrungen aus Grundlage für eine eigene deutsche, auch zivile<br />
Luftfahrtindustrie (heute Airbus) ge-<br />
Hersteller:<br />
„Transporter-Allianz“ (D/F)<br />
dem Truppenversuch<br />
flossen in die schaffen. Die Transall rollen aus den vier<br />
Erstflug:<br />
25. Februar 1963 (Melun-Villaroche)<br />
Indienststellung: 26. April 1968 (Übergabe in Ahlhorn)<br />
Serienproduktion: 1. Serie: 1967–1972 (D/F)<br />
Fertigung der Serienmaschinen<br />
ein. werder, Bourges und Toulouse, die dann au-<br />
Endmontagewerken in Lemwerder, Finken-<br />
2. Serie: 1981–1988 (F/Indonesien)<br />
Hauptbetreiber: Deutschland und Frankreich, Türkei (TUR),<br />
ßer in Deutschland und Frankreich auch in<br />
Südafrika<br />
der Türkei sowie (zeitweilig) auch in Südafrika,<br />
Indonesien und Gabun ihren Dienst<br />
Gebaute Stückzahlen: 1. Serie: (C-160 D/F): 90 D, 50 F, 20 TUR<br />
2. Serie (C-160 NG): 35 (Frankreich, Indonesien)<br />
verrichten.<br />
52<br />
Die Transall, die heute immer noch fliegen,<br />
sind verändert gegenüber jenen, die bis rem durch Einbau einer modernen Navigati-<br />
fortan die Umschulung und Ausbildung der<br />
Modernisierung des Cockpits, unter ande-<br />
Flugzeugführerschule „S“. Diese übernimmt<br />
Ende 1971 die Werkshallen verließen. Die onsanlage mit „Flight Management System“ Besatzungen aller drei Transall-Geschwader.<br />
einst nur für die Startphase vorgesehenen und Satellitennavigation (GPS), eines neuen Das am 1. April 1968 in Köln-Wahn aufgestellte<br />
und 1971 nach Münster verlegte Luft-<br />
zwei zusätzlichen Strahltriebwerke am äußeren<br />
Drittel der Tragflächen haben sich samten Kabelbäume macht die Transallflottransportkommando<br />
führt bis zu seiner Auf-<br />
Autopiloten sowie der Austausch der ge-<br />
schon in der Erprobungsphase nicht bewährt.<br />
Heute hängen an deren Befestigun-<br />
mit Transall aufgefüllten Lufttransportgete<br />
fit für das neue Jahrtausend.<br />
lösung im Jahr 2010 die bis 1972 komplett<br />
gen die Behälter für die Hitze-Täuschkörper Übergabe an die Bundeswehr schwader 61 und 63, die FFS „S und das 1986<br />
der für den Einsatz in Krisenregionen mit Drei Jahrzehnte zuvor: Am 26. April 1968 neu aufgestellte LTG 62, Wunstorf „aus einer<br />
Selbstschutzausrüstung (ESS) nachgerüsteten<br />
Transall.<br />
maligen Heimat des Lufttransportgeschwa-<br />
Deutschland, Frankreich, Belgien, den Nie-<br />
wird auf dem Fliegerhorst Ahlhorn, der da-<br />
Hand“. Ab Ende 2010 übernimmt das von<br />
Im Jahr 1986 beginnen die strukturellen ders (LTG) 62, durch den Inspekteur der derlanden und Luxemburg in Eindhoven<br />
Lebensdauer-Verlängerungsmaßnahmen, Luftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff,<br />
das jeweils erste Serienflugzeug der Command) die Planung und Führung von<br />
aufgestellte EATC (European Air Transport<br />
kurz LEDA I bis LEDA III genannt. Diese<br />
führen zu einer Erweiterung der bis dahin Transall C-160 an die beiden Luftwaffen Lufttransporteinsätzen und MEDEVAC.<br />
nur auf rund 6.000 Flugstunden ausgelegten übergeben. Zu diesem Zeitpunkt sitzt das Mit der Einführung der Transall ist man<br />
Rumpf- und Tragflächenstruktur der Transall<br />
auf eine Lebensdauer von 15.000 Flug-<br />
südfranzösischen Mont de Marsan bereits bis dahin ungewohnten Höhen und teilwei-<br />
zukünftige Führungs- und Lehrpersonal im in der Lage, neue, weiter entfernte Ziele in<br />
stunden. PUNIB (Periodische Untersuchung auf der Schulbank. Noch im gleichen Jahr se über schlechtem Wetter anzufliegen, länbislang<br />
nicht inspizierter Bereiche), auch LE- werden die ersten Flugzeuge an das LTG 63<br />
DA III genannt, dient der Erkennung und in Hohn zur Aufnahme der Ausbildung und BEWÄHRT: Die robuste Konstruktion wird<br />
Reparatur korrosionsgeschädigter Teile. Die des weltweiten Einsatzes ausgeliefert. 1969 noch bei den russischen Luftstreitkräften<br />
1992 begonnene und im Jahr 2000 beendete landet in Wunstorf die erste Transall für die eingesetzt. Foto: Igor Dvurekov<br />
DATEN Antonow AN-26 (NATO-Bezeichnung „Curl“)<br />
S.52<br />
Rolle:<br />
Taktischer Kampfzonentransporter<br />
Ursprungsland: Sowjetunion<br />
Hersteller:<br />
O.K. Antonow<br />
Erstflug: 25. Mai 1969<br />
Indienststellung: ab 1980 in die NVA-LSK<br />
Serienproduktion: 1969 bis 1986<br />
Hauptbetreiber: Russland, Ukraine, Vietnam, Usbekistan<br />
Gebaute Stückzahlen: 1.403<br />
53<br />
Sechs „Tage des Feuers“<br />
Der dritte arabisch- israelische Krieg<br />
Israel<br />
Truppenstärke<br />
Soldaten: 264.000<br />
Panzer: 800<br />
Flugzeuge: 400<br />
Verluste<br />
Tote: 776<br />
Verwundete: 4.517<br />
Panzer: 122 (Sinai), 112 (Westjordanland),<br />
160 (Golanhöhen)<br />
Flugzeuge: 46 (circa 20%), davon<br />
12 im Luftkampf<br />
Hauptgegner Israels (ohne Saudi-Arabien, Irak und Libanon)<br />
Truppenstärke<br />
Soldaten: 240.000 (Ägypten), 105.000 (Syrien), 58.000 (Jordanien)<br />
Panzer: 1.180 (Ägypten), 550 (Syrien), 200 (Jordanien)<br />
Flugzeuge: 450 (Ägypten), 120 (Syrien), 30 (Jordanien)<br />
Verluste<br />
Die angegebenen Verlustzahlen der arabischen Staaten weichen<br />
stark voneinander ab, liegen aber weit über denen der Israelis.<br />
Ägypten allein hat 10 bis 15.000 Tote zu beklagen und verlor 700<br />
Panzer. Die Toten der Syrer (2.500) und Jordanier (6.000) belegen<br />
ebenfalls einen extrem hohen Blutzoll dieser Länder.<br />
Sommer 1967: Für Israel steht die Existenz auf dem Spiel. Der kleine<br />
Staat ist auf drei Seiten von Feinden bedrängt und steht mit dem<br />
Rücken zum Meer. Mit einem gewagten Präventivschlag versucht das<br />
Land die drohende Niederlage abzuwenden… Von Frederick Feulner<br />
S.58<br />
IN STELLUNG: Jordanische Truppen<br />
verschanzen sich an der Grenze zu<br />
Israel. Jordanien gehört zusammen mit<br />
Ägypten und Syrien zu den<br />
Hauptgegnern Israels während des<br />
Sechstagekriegs. Foto: picture-alliance/dpa<br />
33<br />
Spurensuche<br />
Feldherren<br />
Maginot-Linie in Frankreich<br />
Bollwerk gegen<br />
Deutschland<br />
1920: Nach Ende des Ersten Weltkriegs<br />
gibt die französische Regierung Pläne für<br />
den Bau eines großangelegten Verteidigungssystems<br />
entlang der Grenze zum<br />
Deutschen Reich in Auftrag. Ziel ist es,<br />
einen erneuten deutschen Einmarsch zu<br />
verhindern.<br />
Von Jörg Fuhrmeister<br />
George S. Patton<br />
Feldherr mit zweifelhaften<br />
Ansichten<br />
1941–1945: Ohne Frage ist General Patton eine der facettenreichsten Persönlichkeiten<br />
des Zweiten Weltkrieges. Bis heute ist er ein Mythos, der sich nicht allein auf seine Leistungen<br />
als Kommandeur gründet, sondern vielmehr auf seine Sympathie für den deutschen<br />
Gegner.<br />
Von Michael Solka<br />
SEHENSWERT: Das Festungswerk Fermont<br />
(A2) der Maginot-Linie kann besichtigt werden.<br />
66<br />
A<br />
ls Elsass-Lothringen nach dem<br />
deutsch-französischen Krieg 1870/71<br />
an das neu gegründete Deutsche Reich<br />
fällt, beginnt Frankreich seine neuen Landesgrenzen<br />
unter dem Festungsbaumeister Séré<br />
de Rivières gegen mögliche Angriffe des östlichen<br />
Nachbarn zu schützen.<br />
Im Jahr 1919, nach Beendigung des Ersten<br />
Weltkriegs, rückt die französische Grenze zu<br />
Deutschland wieder nach Osten, jetzt liegen<br />
die errichteten Befestigungsanlagen zu weit<br />
weg von der Grenze. Vor allem das Ungleichgewicht<br />
in der Einwohnerzahl Frankreichs<br />
zu Deutschlands (etwa 42 zu 68 Millionen)<br />
erfordert aus Sicht der Franzosen eine<br />
neue Befestigung als „Schild und Schwert“<br />
der „Grande Nation“ gegen einen Angriff<br />
von Massenheeren.<br />
Bereits im Jahr 1920 beginnen Experten<br />
mit der Ausarbeitung von Plänen. 1926 wird<br />
eine Kommission zur Verteidigung der<br />
Grenzen gegründet. Dort werden die technischen<br />
Details, Gliederungen und Kosten<br />
festgelegt.<br />
EINGENOMMEN: Werkgruppe Hochwald,<br />
Bunker 16 für drei 7,5-cm-Kanonen, Foto<br />
vom August <strong>1940</strong>.<br />
UNBESCHÄDIGT: Viele Bunkeranlagen<br />
der Maginot-Linie fallen <strong>1940</strong> kampflos<br />
in deutsche Hand.<br />
Pläne zum Ausbau<br />
Im Januar 1929 – nach mehrfacher Überarbeitung<br />
– wird schließlich ein Konzept vorgelegt,<br />
nach dem lediglich zwei Festungsgebiete<br />
ausgebaut werden sollen:<br />
- Metz (von Longuyon bis St. Avold)<br />
- Lauter (von der Saar bis zum Rhein)<br />
Zudem soll anschließend das Rheinufer<br />
von Lauterburg bis Basel befestigt werden.<br />
Auch in den Alpen werden Befestigungsanlagen<br />
gebaut. Selbst auf der Mittelmeerinsel<br />
Korsika werden Bauwerke der Maginot-Linie<br />
errichtet.<br />
Der Ausbau in Frankreich endet zunächst<br />
an der Grenze zu Belgien, da man der Meinung<br />
war, dass der Verbündete im Norden<br />
selbst über eine moderne Landesbefestigung<br />
verfügt. Erst später kommen kompakte<br />
Kampfbunker, mit Pak und MG’s ausgestattet,<br />
als „verlängerte“ Maginot-Linie in Nordfrankreich<br />
hinzu.<br />
Verschiedene Bauperioden<br />
Die Errichtung des nach dem französischen<br />
Kriegsminister André<br />
S.66<br />
Maginot (1877–1932)<br />
benannten Verteidigungsgürtels lässt sich<br />
grob in drei Bauperioden einteilen:<br />
1. Von 1925 bis 1929 werden Versuchs- und<br />
Erprobungsanlagen erbaut.<br />
2. Die sogenannte CORF-Bauperiode von<br />
1930–1935 umfasst den Bau der großen Artillerie-<br />
und Infanteriewerke, der Kasematten<br />
für die Zwischenräume, Unter-<br />
67<br />
DEN FEIND IM AUGE: George Patton mit Feldstecher<br />
im Schützengraben. Nach der Landung<br />
der alliierten Truppen in Nordafrika („Operation<br />
Torch“) im November 1942 beobachtet „Old<br />
Blood and Guts“ die Stellungen des Gegners.<br />
72<br />
G<br />
eorge S. Patton entstammt einer Patrizierfamilie<br />
englischer und schottischirischer<br />
Herkunft. Sein Vater war mit<br />
John S. Mosby befreundet, einem bekannten<br />
Kavallerieoffizier und berüchtigtem Guerillaführer<br />
der Konföderierten. Der junge Patton<br />
will unbedingt Soldat werden und besucht<br />
1903/04 das virginische Militärinstitut. Anschließend<br />
wechselt er nach West Point. Dort<br />
zeichnet sich Patton als einer der besten Fechter<br />
aus.<br />
Am 11. Juni 1909 wird er zum Leutnant<br />
der Kavallerie ernannt und dient beim 15.<br />
Kavallerieregiment in Fort Sheridan, Illinois.<br />
Patton ehelicht 1910 Beatrice Banning Ayer,<br />
die Tochter eines Textilindustriellen, und<br />
leistet ein Jahr später seinen Dienst in Fort<br />
Myer, Virginia, ab. Aufgrund seiner guten<br />
sportlichen Leistungen darf Patton 1912 an<br />
DATEN George S. Patton<br />
1885 Geburt in San Gabriel,<br />
Kalifornien (11. November)<br />
1904 Kadett in West Point<br />
1909 Leutnant der Kavallerie<br />
1910 Heirat von Beatrice Banning Ayer<br />
1916 Motorisierter Angriff auf die<br />
Anhänger Pancho Villas<br />
1917 Ernennung zum Captain<br />
1918 Beförderung zum Oberstleutnant<br />
1941 Ernennung zum Generalmajor<br />
1943 Befehlshaber der 7. US-Armee<br />
1944 Kommandeur der 3. US-Armee<br />
1945 Beförderung zum General<br />
1945 Militärgouverneur von Bayern<br />
1945 Tod in Heidelberg (21. Dezember)<br />
den Olympischen Spielen in Stockholm teilnehmen.<br />
Er wird Fünfter im Modernen Fünfkampf.<br />
Dabei löst er eine Kontroverse wegen<br />
seiner Schießkünste aus: Patton schießt mit<br />
einer großkalibrigen Pistole und behauptete,<br />
einige seiner Treffer wären doppelt zu zählen,<br />
da er zweimal genau den gleichen Punkt<br />
getroffen habe.<br />
Der „Banditenkiller“<br />
1915 wird Patton mit Kompanie A des 8. Kavallerieregiments<br />
zum Patrouillendienst an<br />
der mexikanischen Grenze versetzt. Als im<br />
März 1916 mexikanische Aufständische die<br />
Grenzstadt Columbus im Bundesstaat<br />
New Mexico überfallen, wobei mehrere<br />
Amerikaner ums Leben kommen, nimmt<br />
Patton als Adjutant von John J. Pershing an<br />
der Strafexpedition gegen Pancho Villa teil.<br />
Im April erhält er die Erlaubnis, mit Trupp C<br />
des 13. Kavallerieregiments Jagd auf den Rebellenführer<br />
Villa zu machen. Seine erste<br />
Kampferfahrung macht er am 14. Mai 1916.<br />
Mit drei Dodge-Brother-Wagen überraschen<br />
Patton und zehn Soldaten mehrere von Villas<br />
Männern, der Anführer von Villas Leibgarde,<br />
Julio Cárdenas, und zwei weitere Mexikaner<br />
kommen ums Leben. Wenig später<br />
wird Patton von der Presse als „Banditenkiller“<br />
gefeiert. Die Strafexpedition wird aber<br />
PATTON UND PANZER: Während des Ersten<br />
Weltkriegs beginnt Patton sich für die neue<br />
Panzerwaffe zu interessieren.<br />
Das Foto zeigt ihn als Ausbilder<br />
in der Tankkorps-<br />
Schule der US-Armee in<br />
Langres im Juli 1918.<br />
S.72<br />
73<br />
Schlachten der Weltgeschichte<br />
Sechstagekrieg 1967 ....................................................................................................58<br />
Israels Kampf gegen Ägypten, Syrien und Jordanien.<br />
Buchvorstellung<br />
Kampfpanzer „Tiger“ ........................................................................................................64<br />
Die Analyse einer Legende.<br />
Spurensuche<br />
Bollwerk gegen Deutschland ........................................................................66<br />
Was brachte die Maginot-Linie wirklich?<br />
Feldherren<br />
George S. Patton .......................................................................................................................72<br />
Leben und Wirken des amerikanischen Panzergenerals.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Museen & Militärakademien<br />
Militärtechnik und Militärtheorie .........................................................78<br />
Die umfangreichen Bestände der Wehrtechnischen Studiensammlung<br />
(WTS) in Koblenz.<br />
Ein Bild erzählt Geschichte<br />
Callots Galgenbaum ..........................................................................................................80<br />
Eindringliche Illustration zum Dreißigjährigen Krieg.<br />
<strong>Vorschau</strong>/Impressum ...........................................................................................................................82<br />
Titelfotos: picture-alliance/akg-images; H. Ringlstetter; Hist. Dep. of US Milit. Accd.;<br />
WEIDER History GROUP; picture-alliance/dpa; picture-alliance/akg-images; picture-alliance,<br />
R. Harding World Imagery; TS24; Archiv LTG 62<br />
5
Magazin<br />
Zu besichtigen: U-995, ebenso wie das<br />
nun aufgespürte U-Boot-Wrack ein Boot<br />
der Klasse VII C, liegt heute bei Laboe<br />
als Museumsschiff.<br />
Foto: picture-alliance/Arco Images GmbH<br />
Wrack von U-580 entdeckt<br />
1941 gesunkenes U-Boot vor der Küste Litauens aufgespürt<br />
Ende des Jahres 1941 kollidierte ein deutsches<br />
U-Boot vor dem Hafen von Memel<br />
(Lit.: Klaipeda) mit einem Zielschiff.<br />
Zwölf Besatzungsmitglieder kamen damals<br />
ums Leben. Kürzlich entdeckten Taucher<br />
das bislang verschollene Wrack.<br />
Das Unglück ereignete sich im November<br />
1941: Oberleutnant zur See Hans-Günther<br />
Kuhlmann war mit U-580 auf Übungsfahrt<br />
in der Ostsee unterwegs. Aufgabe der<br />
Besatzung war es, einen Angriff auf das<br />
Zielschiff „Angelburg“ zu simulieren, einen<br />
ehemaligen Frachter, der als Hilfsschiff der<br />
U-Boot-Flotte der Kriegsmarine eingesetzt<br />
wurde.<br />
Unweit der Hafenstadt Memel kollidierte<br />
U-580 mit dem Zielschiff. Zwölf Besatzungsmitglieder<br />
kamen dabei ums Leben,<br />
32 konnten sich retten, darunter auch Kuhlmann.<br />
Mehr als 70 Jahre nach der Katastrophe<br />
haben Taucher vor dem litauischen<br />
Klaipeda den etwa 67 Meter langen Schiffskörper<br />
von U-580 in einer Tiefe von fast<br />
40 Metern entdeckt.<br />
Bei U-580 handelt es sich um ein Unterseeboot<br />
der in großen Stückzahlen gebauten<br />
Klasse VII C. Ein erhalten gebliebenes Exemplar,<br />
U-995, steht als Museumsschiff nahe<br />
des Marine-Ehrenmals Laboe bei Kiel und<br />
kann besichtigt werden.<br />
Sensationsfund im Ärmelkanal<br />
Bomber vom Typ Dornier Do 17 geborgen<br />
Ein deutsches Kampfflugzeug<br />
aus dem Zweiten Weltkrieg ist<br />
nach mehreren fehlgeschlagenen<br />
Versuchen im Juni 2013 in einer<br />
großen Bergungsaktion von Mitarbeitern<br />
einer Spezialfirma aus<br />
dem Ärmelkanal geborgen worden.<br />
Die Aktion war rund drei Jahre<br />
geplant worden und kostet nach<br />
Angaben des britischen Senders<br />
BBC insgesamt etwa 700.000 Euro.<br />
Bei der Maschine vom Typ<br />
Dornier Do 17 handelt es sich<br />
vermutlich um die einzige ihres<br />
Typs, die noch existiert. Das<br />
Flugzeug der Luftwaffe war vor<br />
mehr als 70 Jahren vor der Küste<br />
von Kent abgeschossen worden<br />
und lag seither in rund 15 Metern<br />
Tiefe auf dem Grund des Ärmelkanals<br />
in der Straße von<br />
Dover. Es war bereits im Jahr<br />
2008 von Tauchern entdeckt worden.<br />
Nach Abschluss der Konservierungsmaßnahmen<br />
und der<br />
anschließenden Restaurierungsarbeiten<br />
soll die Maschine künftig<br />
im Royal Air Force Museum<br />
in London zu sehen sein (s. a.<br />
FLUGZEUG CLASSIC 9/2013).<br />
Der Generaldirektor des Museums,<br />
Peter Dye, sagte, das<br />
Wrack befinde sich in einem<br />
guten Zustand. „Die Entdeckung<br />
und Bergung der Dornier ist von<br />
Kompliziert: Experten<br />
einer Spezialfirma<br />
bergen mithilfe eines<br />
Wasserkrans und einer<br />
eigens entwickelten<br />
Konstruktion das Wrack<br />
der Do 17.<br />
Foto: picture-alliance/empics<br />
nationaler und internationaler<br />
Bedeutung“, so Dye. Es sei ein<br />
einzigartiges Erinnerungsstück.<br />
6
Foto: Jan Thorbecke Verlag<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
BUCHEMPFEHLUNG ENGLISCHSPRACHIGES<br />
Schlacht auf dem Lechfeld<br />
Umfassende Darstellung zu den Ereignissen des Jahres 955<br />
Der Sieg Ottos I. über die ins<br />
Reich einfallenden Magyaren<br />
war epochemachend. Den Ablauf<br />
und die militärischen Hintergründe<br />
dieser Entscheidungsschlacht<br />
interpretiert der Amerikaner<br />
Charles Bowlus in seinem Buch in<br />
einigen Punkten neu. In insgesamt<br />
sieben Kapiteln erfährt der Leser<br />
Wissenswertes unter anderem<br />
über die ungarische Kriegführung<br />
(z.B. über die Kunst des Bogenschießens)<br />
und die Militärreformen<br />
Heinrichs I. (Verteidigung<br />
durch gestaffelte Wehranlagen).<br />
Die militärhistorische Analyse<br />
zeigt die Schwächen der nomadischen<br />
Strategie und Taktik auf:<br />
logistische Probleme aufgrund<br />
der vielen mitgeführten Pferde<br />
sowie das Versagen des Bogenkampfes<br />
bei schlechtem Wetter.<br />
Bowlus verortet die Schlacht vom<br />
10. August allerdings nicht auf<br />
dem Lechfeld selbst sondern<br />
nahe des Rauhen Forstes. Der<br />
durchschlagende Erfolg ergab<br />
sich dann aber erst in den darauffolgenden<br />
Tagen – ottonische<br />
Verbände aus den tief gestaffelten<br />
Verteidigungsanlagen attackierten<br />
die fliehenden Ungarn immer<br />
wieder und rieben deren Streit-<br />
Interessante Rundumschau: Hintergründe,<br />
Verlauf und Auswirkung der Schlacht<br />
sind in dem aktuellen Werk detailliert<br />
beschrieben und beinhalten einige neue<br />
Thesen.<br />
macht völlig auf. Die anhaltenden<br />
Regenfälle machten den Reflexbogen<br />
der Reiterkrieger wirkungslos<br />
und über die Ufer<br />
tretende Flüsse behinderten den<br />
Rückzug zusätzlich.<br />
Wer mehr über die interessanten<br />
Thesen zu einer der wichtigsten<br />
militärischen Auseinandersetzungen<br />
in der deutschen<br />
Geschichte erfahren möchte, dem<br />
sei das Buch von Charles Bowlus<br />
empfohlen.<br />
Charles R. Bowlus: Die Schlacht auf<br />
dem Lechfeld. Ostfildern 2012. 280<br />
Seiten, 8 Karten. 26,99 EUR.<br />
42<br />
Zentimeter maß das Kaliber der „Dicken Bertha“ (auch: „Dicke Berta“).<br />
Dabei handelte es sich um 42-cm-Mörser, die vom Rüstungskonzern Krupp entwickelt<br />
und gebaut wurden. Die Geschütztypen des Ersten Weltkriegs<br />
wurden aus Tarnungsgründen als „Kurze Marine-Kanone“ bezeichnet,<br />
obwohl sie für den Einsatz an Land zur Bekämpfung von Festungsanlagen<br />
vorgesehen waren.<br />
Commando-Comics aus England<br />
Seit über 50 Jahren Action und Abenteuer<br />
In England sind die Hefte aus<br />
dem DC Thomson Verlag eine<br />
Institution. Jede Woche erscheint<br />
ein neues Abenteuer im Taschenbuchformat<br />
– und das seit<br />
1961. Inzwischen sind es fast<br />
5.000. Jede Geschichte ist in<br />
der Regel in sich abgeschlossen<br />
und besteht aus<br />
68 Seiten mit atmosphärischen<br />
Schwarz-Weiß-<br />
Zeichnungen und einem<br />
farbigen Cover. Die Handlung<br />
und die Charaktere<br />
sind zwar fiktiv, doch der<br />
historische Hintergrund,<br />
die Uniformen, Geräte und<br />
Waffen sind solide recherchiert.<br />
Der Zweite Weltkrieg<br />
dominiert als Thema,<br />
doch grundsätzlich werden<br />
alle Epochen behandelt:<br />
Von römischen Legionären<br />
über die Schlachtfelder<br />
der Napoleonischen<br />
Kriege und Vietnam bis<br />
hin zum Golfkrieg. Ein großer<br />
Pool an Autoren sorgt für Abwechslung<br />
und dafür, dass nach<br />
Tausenden von Heften immer<br />
noch überraschende und neue<br />
Abenteuer in die Hände der Leser<br />
geraten. Das „Personal“ einer<br />
jeden Geschichte könnte unterschiedlicher<br />
nicht sein:<br />
Es gibt die Tapferen und die<br />
Ängstlichen, die Mitfühlenden<br />
und die Grausamen – im Zentrum<br />
steht aber immer ein Charakter,<br />
der als moralisches Vorbild<br />
taugt. In den Weltkriegs-<br />
Geschichten wird natürlich<br />
meist der Blickwinkel der alliierten<br />
Soldaten eingenommen.<br />
Doch es gibt auch Hefte mit<br />
Deutschen, Italienern oder Japanern<br />
als Hauptakteure. Es geht<br />
um Verrat, Betrug, Rache und<br />
Heldentum. Schauplätze sind<br />
die Tiefen des Ozeans, die grüne<br />
Hölle des burmesischen<br />
Dschungels, die heißen Wüsten<br />
Afrikas oder der Himmel während<br />
der Luftschlacht um England<br />
– überall, wo einst gekämpft<br />
wurde. Heute<br />
Langlebig: 2017 wird Nummer 5.000<br />
veröffentlicht werden. Seit 2007 gibt<br />
es auch Neuauflagen alter Hefte.<br />
bekommen die Hefte natürlich<br />
Konkurrenz von DVDs und<br />
Computerspielen. Die hohen<br />
Druckauflagen der 1960er- und<br />
1970er-Jahre gehören der Vergangenheit<br />
an.<br />
Aber Commando hat überlebt<br />
und dies wohl nicht zuletzt<br />
wegen der anhaltend guten und<br />
einfach zu lesenden Geschichten.<br />
Eine spannende Lektüre –<br />
oder wie die Engländer sagen:<br />
„A cracking good read!“<br />
Commando-Comics sind weltweit<br />
als Abo zu beziehen. Außerdem<br />
gibt es eine digitale Variante als<br />
Download. Mehr Informationen<br />
auf der hervorragenden Internetseite<br />
www.commandocomics.com<br />
Die Redaktion und der Verlag sind stets<br />
auf der Suche nach kompetenten Autoren und Bildgebern zu militärhistorischen<br />
Themen. Sind Sie Kenner der Nationalen Volksarmee? Könnten<br />
Sie sich vorstellen, zu diesem Themenspektrum etwas zu veröffentlichen?<br />
Dann freuen wir uns über eine unverbindliche Kontaktaufnahme!<br />
Bitte schreiben Sie an lektorat@geramond.de unter dem Betreff »NVA«.<br />
Abb.: D. C. Thompson & Co. Ltd<br />
Clausewitz 5/2013<br />
7
Clausewitz<br />
Magazin<br />
„Königreich Pfalz“<br />
Sonderausstellung des Historischen Museums der Pfalz<br />
Bis zum 27. Oktober 2013 ist im Historischen<br />
Museum der Pfalz in<br />
Speyer die Ausstellung „Königreich<br />
Pfalz“ zu sehen.<br />
Nach Napoleons Niedergang wurden<br />
Grenzen und Staaten Europas<br />
durch den Wiener Kongress des Jahres<br />
1815 neu definiert und die Region<br />
der heutigen Pfalz fiel an Bayern.<br />
Damit regierten zwischen 1816 und<br />
1918 die bayerischen Könige auch<br />
über die linksrheinische Pfalz. Maximilian<br />
I. Joseph, der erste dieser Herrscher,<br />
stammte aus der Zweibrücker<br />
Linie des Adelsgeschlechts der Wittelsbacher,<br />
die nachfolgenden Könige<br />
und Regenten des bayerischen Königsreichs<br />
waren ausnahmslos seine<br />
Nachkommen. Unter und mit den<br />
Wittelsbacher Königen formte sich<br />
das Land zu dem, was es heute ist.<br />
Mit der Ausstellung „Königreich<br />
Pfalz“ erzählt das Historische Museum<br />
der Pfalz vom 3. März bis 27. Oktober<br />
2013 auf 900 Quadratmetern<br />
Ausstellungsfläche Geschichte(n) aus<br />
der Pfalz: von Kämpfern für die Freiheit,<br />
visionären Wissenschaftlern und<br />
Entdeckern, Sportlern von Weltrang,<br />
königstreuen Bürgerinnen und Bürgern,<br />
armen Schustern und reichen<br />
Weinbaronen.<br />
Mehr als 300 Objekte aus pfälzischen<br />
und bayerischen Museen gewähren<br />
einen einzigartigen Überblick<br />
über die Geschichte der Pfalz, als sie<br />
bayerisch war.<br />
Kontakt:<br />
Historisches Museum der Pfalz<br />
Domplatz 4, 67346 Speyer<br />
Info-Telefon: 06232/1325-0<br />
www.museum.speyer.de<br />
Berühmt: Ludwig I. von Bayern.<br />
Das Repräsentationsgemälde<br />
zeigt Ludwig I. im Jahr seiner<br />
Krönung 1825 im Krönungsornat<br />
und mit<br />
den Kroninsignien<br />
Krone, Zepter und<br />
Schwert.<br />
Foto: Historisches Museum<br />
der Pfalz/Peter Haag-<br />
Kirchner<br />
ZEITSCHICHTEN<br />
Die Fotocollage des russischen<br />
Fotografen Sergey Larenkov stellt<br />
eindrucksvoll visualisiert einen<br />
Brückenschlag zwischen Vergangenheit<br />
und Gegenwart her.<br />
www.sergey-larenkov.livejournal.com<br />
Damals: Nach der Niederlage des „Großdeutschen<br />
Reiches“ 1945 wird Österreich vorläufig<br />
in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Wien befindet<br />
sich als Viersektorenstadt in der sowjetischen<br />
Zone. Rotarmisten ziehen nach dem<br />
sowjetischen Sieg am Südostflügel der Wiener<br />
Hofburg vorbei. Das Eingangsportal zeugt noch<br />
von den Luftangriffen und Kämpfen 1944/45.<br />
Heute: Insgesamt hat die Wiener Hofburg den<br />
Krieg substantiell gut überstanden. Der Gebäudekomplex<br />
ist im Laufe von Jahrhunderten<br />
gewachsen und ein architektonisches<br />
Zeugnis habsburgischer Geschichte. Heute ist<br />
die Hofburg Amtssitz des Bundespräsidenten<br />
und beherbergt auch die Nationalbibliothek<br />
und mehrere Museen.<br />
www.sergey-larenkov.livejournal.com<br />
8
4/2013 Juli<br />
seiner Zeit<br />
Foto: Ch. Links Verlag<br />
Herzlichen Glückwunsch!<br />
Wir bedanken uns bei den vielen Teilnehmern<br />
am Gewinnspiel in <strong>CLAUSEWITZ</strong><br />
3/2013. Hier die Gewinner der Hauptund<br />
Sonderpreise:<br />
1. Preis: Junkers Chronograph<br />
Ervin Havic, Berlin<br />
2.-5. Preis: Buchpaket: Große Feldherren;<br />
50 Schlachten der Weltgeschichte, Der Krieg,<br />
Kampfpanzer Tiger<br />
Nicole Winkler, Brettin<br />
Wolf-Teja von Rabenau, Koblenz<br />
Jörg Reuter, Sankt Augustin<br />
Uwe Knoll, Berlin<br />
6.-8. Preis: Buchpaket: Kampfpanzer Tiger;<br />
Flieger-Asse und Kanonenfutter; Clausewitz<br />
Spezial Stalingrad<br />
Evelyne Marchsteiner, Wien<br />
Andreas Wischer, Potsdam<br />
Horst Pötschke, Leipzig<br />
9.-10. Preis: Flieger-Asse und Kanonenfutter;<br />
Clausewitz Spezial Stalingrad<br />
Dr. Gerd Zimmer, Salzburg<br />
Ingrid Lubetzky, Köln<br />
BUCHTIPP<br />
<strong>Hitlers</strong> Tor zum<br />
Atlantik<br />
Die deutschen Marinestützpunkte<br />
in Frankreich <strong>1940</strong>–1945<br />
Nachdem die Deutsche<br />
Wehrmacht im<br />
Mai/ Juni<strong>1940</strong> Frankreich<br />
militärisch besiegt<br />
hatte, erhielt die<br />
deutsche Kriegsmarine<br />
den lang ersehnten<br />
Zugang zum Atlantik.<br />
In Brest, Lorient,<br />
St. Nazaire, La Pallice<br />
und Bordeaux baute sie die bestehenden<br />
Häfen zu Stützpunkten aus. 45.000<br />
Arbeiter der Organisation Todt ließen<br />
dort gewaltige Bunkeranlagen entstehen,<br />
in denen bis zu 20 U-Boote gleichzeitig<br />
gewartet und repariert werden<br />
konnten.<br />
Der Marinehistoriker Lars Hellwinkel<br />
schildert die Geschichte dieser<br />
Stützpunkte von ihrer Entstehung <strong>1940</strong><br />
bis zu ihrem Untergang 1944/45 und<br />
auch ihre Nachnutzung. Dabei thematisiert<br />
er zugleich das ambivalente Verhältnis<br />
der französischen Bevölkerung<br />
zu den deutschen Besatzern.<br />
224 Seiten, 153 Abb. s/w, 9 Karten,<br />
Ch. Links Verlag, Berlin 2012<br />
Preis: 34,90 EUR<br />
Die Überreste der „Varusschlacht“<br />
Neue Erkenntnisse zum Umgang der Germanen mit der Kriegsbeute<br />
Briefe an die Redaktion<br />
Zu „Deutschlands einziger<br />
,Tiger’“ in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 4/2013:<br />
Deutschlands einziger Tiger – das<br />
ist so nicht richtig!<br />
Es gibt sehr wahrscheinlich noch einen<br />
Zweiten – allerdings nicht auf,<br />
sondern in der Erde.<br />
Beim Rückzug (oder Flucht) vor<br />
den Alliierten hatte sich 1945 in<br />
Memmelsdorf bei Bamberg eine<br />
deutsche Einheit „aufgelöst“. Alles<br />
an Ausrüstung was nicht gebraucht<br />
wurde, oder für das kein Treibstoff<br />
mehr vorhanden war, blieb stehen.<br />
Die Dorfbewohner befürchteten<br />
natürlich Repressalien der vorrückenden<br />
Alliierten und ließen die Geräte<br />
verschwinden: Der eine nahm<br />
den Kübelwagen, der nächste Lkw<br />
und FlaK usw. Nur der „Tiger“ bereitete<br />
ernsthafte Sorgen. In einer gemeinschaftlichen<br />
„Blitzaktion“ vergruben<br />
die Bewohner das Teil.<br />
Im Laufe der Zeit gerieten die Ereignisse<br />
immer mehr in Vergessenheit,<br />
so dass man schließlich sogar<br />
ein landwirtschaftliches Gebäude<br />
auf diesem „Grab“ errichtete.<br />
Jahrzehnte später stand eines<br />
dieser Fahrzeuge zum Verkauf. Der<br />
Käufer kam aus größerer Entfernung<br />
angereist und blieb daher über<br />
Nacht in diesem Ort. Abends kam er<br />
mit dem Verkäufer und anderen älteren<br />
Leuten aus dem Dorf ins Gespräch<br />
und erfuhr obige Geschichte.<br />
Den Mann, von dem ich diese Geschichte<br />
gehört habe, halte ich persönlich<br />
für sehr glaubhaft, zumal er<br />
bei seiner Tätigkeit – dem Restaurieren<br />
von Oldtimern aller Art – des<br />
Öfteren mit ungewöhnlichen Geschichten<br />
konfrontiert wird.<br />
Allerdings war er sich nicht mehr<br />
sicher, ob es sich in Memmelsdorf<br />
selber oder in einer der angrenzenden<br />
kleinen Ortschaften ereignete<br />
(...). Klaus Welzhofer, per E-Mail<br />
Zu „Feldmarschall Radetzky –<br />
Österreichs erfolgreicher Heerführer“<br />
in <strong>CLAUSEWITZ</strong> 4/2013:<br />
In der Ausgabe 4/2013 ist ein Artikel<br />
über den öserreichischen Heerführer<br />
Sie ging als Schlacht im Teutoburger Wald<br />
in die Geschichte ein, die sogenannte Varusschlacht,<br />
in der im Jahre 9 n. Chr. ein römisches<br />
Heer einem Bündnis germanischer<br />
Stämme unterlag. Seit nunmehr 25 Jahren<br />
wird in Kalkriese nördlich von Osnabrück<br />
ein ausgedehntes Kampfareal archäologisch<br />
erforscht, das sehr wahrscheinlich als Ort<br />
dieser militärischen Auseinandersetzung<br />
identifiziert werden kann. Erstmals bietet<br />
sich hier die Chance, eine antike Feldschlacht<br />
mit modernen Methoden zu untersuchen<br />
und damit Grundlagen für die neue archäologische<br />
Forschungsrichtung der Schlachtfeld-<br />
bzw. Konfliktarchäologie zu erarbeiten.<br />
Die Universität Osnabrück und die „Varusschlacht<br />
im Osnabrücker Land GmbH“<br />
legen nun erstmals eine Gesamtbewertung<br />
des Kalkrieser Fundmaterials unter diesen<br />
Gesichtspunkten vor.<br />
Aufschlussreich ist vor allem die sehr<br />
unterschiedliche Verteilung der verschiedenen<br />
Arten römischer Militaria. So lässt die<br />
Konzentration von Bruchstücken römischer<br />
Wurflanzen verstärkte Angriffe der Römer<br />
mit Fernwaffen gegen den östlichen Abschnitt<br />
der germanischen Wallanlage vermuten.<br />
Fragmente von Schienen- und Kettenpanzern<br />
kennzeichnen Plätze, an denen<br />
Gefallene nach den Kämpfen ihrer Ausrüstung<br />
beraubt wurden.<br />
Diese und weitere neue Forschungsansätze<br />
werden von den Archäologen Achim<br />
Rost und Susanne Wilbers-Rost in der Publikation<br />
„Kalkriese 6. Die Verteilung der<br />
Kleinfunde auf dem Oberesch in Kalkriese –<br />
Kartierung und Interpretation der<br />
römischen Militaria unter Einbeziehung der<br />
Befunde, (= Römisch Germanische Forschungen<br />
Band 70), Darmstadt/Mainz<br />
2012“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<br />
Das Magazin für Militärgeschichte<br />
Schreiben Sie an:<br />
redaktion@clausewitz-magazin.de oder<br />
<strong>CLAUSEWITZ</strong>, Postfach 40 02 09, 80702 München<br />
Clausewitz<br />
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MILITÄR & TECHNIK:<br />
Radetzky. Darin ist auf Seite 77 zu<br />
lesen, dass Radetzky am 2. März<br />
1831 fast 65-jährig von Kaiser Franz<br />
Joseph I. zum Generalkommandanten<br />
ernannt wird. Kaiser Franz Joseph<br />
I. ist 1830 erst geboren und<br />
war von 1848 bis 1916 Kaiser von<br />
Österreich.<br />
Michael Stöter, per E-Mail<br />
Anm. d. Red.: Der Leser hat Recht: Es<br />
muss Kaiser Franz I. und nicht Kaiser<br />
Franz Joseph I. heißen. Ersterer war<br />
Kaiser von Österreich bis 1835. Wir<br />
bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.<br />
Leserbriefe spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Die Redaktion<br />
behält sich vor, Leserbriefe aus Gründen der Darstellung eines möglichst umfassenden<br />
Meinungsspektrums sinnwahrend zu kürzen.<br />
Clausewitz<br />
Das modernste<br />
Kamp flugzeug<br />
Messerschmitt<br />
Me 262<br />
Charkow 1943<br />
Letzter Ostfronterfolg<br />
der Wehrmacht<br />
Radetzky<br />
Österreichs<br />
legendärer<br />
Heerführer<br />
„Obersalzberg“<br />
Wohin Hitler vor der<br />
Realität floh<br />
„Völkerschlacht“ 1813<br />
Triumph über<br />
Napoleon<br />
Bergepanzer 2 der<br />
Bundeswehr<br />
Starke „Alleskönner“:<br />
Pionier- und Bergepanzer T-55T der NVA<br />
Die Universität<br />
Osnabrück legt<br />
erstmals eine<br />
Gesamtbewertung<br />
des Kalkrieser<br />
Fundmaterials zur<br />
Varusschlacht vor.<br />
Foto: Pressestelle<br />
Universität Osnabrück<br />
Generalfeldmarscha l Blücher:<br />
Energischster Gegner Napoleons<br />
Clausewitz 5/2013<br />
9
Titelgeschichte<br />
Nordfrankreich <strong>1940</strong><br />
Das „Wunder von<br />
24. Mai <strong>1940</strong>: Die Wehrmacht ist unerwartet schnell bis zur Kanalküste vorgestoßen.<br />
Als den bei Du?nkirchen eingekesselten Alliierten die Vernichtung droht, trifft Hitler mit<br />
seinem „Halt-Befehl“ eine folgenschwere Entscheidung.<br />
Von Tammo Luther<br />
10
<strong>Dünkirchen</strong>“<br />
UNTER BESCHUSS:<br />
Hunderttausende von britischen und französischen<br />
Soldaten harren entlang der Kanalküste bei<br />
<strong>Dünkirchen</strong> aus und hoffen auf ihre baldige Evakuierung.<br />
Dabei sind sie immer wieder Störfeuer<br />
ausgesetzt.<br />
Foto: ullstein bild<br />
Clausewitz 5/2013<br />
11
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
ERFOLGREICHER VORSTOß:<br />
Zurückgelassenes Kriegsgerät der Alliierten im<br />
belgischen Küstenort De Panne. Auf ihrem Rückzug<br />
vor der unablässig nachstoßenden Wehrmacht<br />
müssen die Briten und Franzosen nahezu ihr<br />
gesamtes Kriegsgerät zurücklassen.<br />
Foto: ullstein bild – Heinrich Hoffmann<br />
12
Durchbruch zur Kanalküste<br />
FAKTEN<br />
Deutsches Reich<br />
Strategische und taktische Zielsetzungen<br />
Einschließung des in und um <strong>Dünkirchen</strong> zusammengezogenen<br />
Britischen Expeditionskorps und der französischen 1. Armee;<br />
Einnahme der Hafenstadt an der Kanalküste, um die Evakuierung<br />
der Alliierten nach England zu verhindern.<br />
Befehlshaber<br />
Generaloberst Gerd von Rundstedt (Oberbefehlshaber HGr. A)<br />
Generaloberst Fedor von Bock (Oberbefehlshaber HGr. B)<br />
Clausewitz 5/2013<br />
13
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
FAKTEN<br />
Alliierte<br />
Strategische und taktische Zielsetzungen<br />
Abwehr des deutschen Vorstoßes auf <strong>Dünkirchen</strong><br />
und Verteidigung der Hafenstadt bis<br />
zum Abschluss der Evakuierung der britischen<br />
und französischen Soldaten über die<br />
Straße von Dover/Calais nach England.<br />
Befehlshaber<br />
Field Marshal Lord John Gort (Befehlshaber<br />
British Expeditionary Force; später Generalmajor<br />
Harold Alexander)<br />
General Maxime Weygand (Oberkommandierender<br />
der alliierten Streitkräfte in<br />
Frankreich)<br />
Admiral Jean-Marie Abrial (Stadtkommandant<br />
von <strong>Dünkirchen</strong>)<br />
Vice Admiral Bertram Ramsay<br />
(Hafenkommandant von<br />
Dover; Verantwortlicher für<br />
die Operation „Dynamo“)<br />
14
Flucht nach England<br />
DRAMATISCHE SZENEN:<br />
Die an der französischen Kanalküste bei <strong>Dünkirchen</strong><br />
zusammengedrängten Alliierten versuchen,<br />
den Widerstand so lange wir möglich aufrechtzuerhalten<br />
und über den Kanal nach England zu<br />
entkommen. Foto: ullstein bild – The Granger Collection<br />
Clausewitz 5/2013<br />
15
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
Ursprünglich wollte Hitler im Westen<br />
bereits Ende 1939 eine großangelegte<br />
Offensive starten, um nach Polen auch<br />
Frankreich in einem militärischen Feldzug<br />
niederzuwerfen und die britische Regierung<br />
zum Friedensschluss zu bewegen.<br />
Doch der Angriffstermin muss schließlich<br />
aus verschiedenen Gründen wiederholt verschoben<br />
werden, sodass die deutsche Offensive<br />
im Westen („Fall Gelb“) erst am 10. Mai<br />
<strong>1940</strong> – nach einem monatelangen „Sitzkrieg“<br />
ohne größere Kampfhandlungen – beginnen<br />
kann.<br />
„Fall Gelb“ basiert auf einem von Generalleutnant<br />
Erich von Manstein entworfenen<br />
Operationsplan und sieht einen Angriff der<br />
Heeresgruppe (HGr.) B unter Generaloberst<br />
Fedor von Bock auf die neutralen Staaten<br />
Belgien und Niederlande und einen Vorstoß<br />
der HGr. A unter Generaloberst Gerd von<br />
Rundstedt durch die Ardennen auf die französische<br />
Kanalküste vor. Die weiter südlich<br />
gegenüber der im wesentlichen bis 1936 er-<br />
GUT MOTORISIERT:<br />
Deutsche Panzer stoßen<br />
binnen weniger<br />
Tage weit ins Innere<br />
Frankreichs hinein<br />
und erreichen bereits<br />
am 20. Mai die Kanalküste.<br />
Die Panzerwaffe<br />
ist ein wichtiger<br />
Garant für den aus<br />
deutscher Sicht erfolgreichen<br />
Ausgang<br />
des „Westfeldzuges“.<br />
Foto: picture-alliance/Mary<br />
Evans Picture Library/Robert<br />
Hunt Collection<br />
richteten und stark befestigten Maginot-Linie<br />
stehende HGr. C soll vor allem Feindkräfte<br />
binden. Ziel ist es, die nördlich der<br />
Somme stehenden britischen und französischen<br />
Truppen vom übrigen Frankreich abzuschneiden<br />
(„Sichelschnittplan“).<br />
Abschnürung des Gegners<br />
Das strategische Ziel der Offensive wird in<br />
der Aufmarschanweisung für „Fall Gelb“,<br />
die in Form eines Befehls des Oberkommandos<br />
des Heeres überliefert ist, wie folgt beschrieben:<br />
„Der Angriff ,Gelb’ bezweckt,<br />
durch rasche Besetzung Hollands das niederländische<br />
Hoheitsgebiet dem Zugriff<br />
Englands zu entziehen, durch Angriff über<br />
belgisches und luxemburgisches Gebiet<br />
möglichst starke Teile des französisch-englischen<br />
Heeres zu schlagen und damit die Vernichtung<br />
der militärischen Machtmittel des<br />
Feindes anzubahnen.“<br />
Tatsächlich gelingt es den Panzerverbänden<br />
der HGr. A, mittels eines überraschenden<br />
HOFFEN AUF RETTUNG: Scheinbar endlose<br />
Schlangen von Soldaten bilden sich an den<br />
Küstenabschnitten um <strong>Dünkirchen</strong>. Hunderttausende<br />
warten auf die rettenden Schiffe<br />
aus England. Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture<br />
Library/Robert Hunt Collection<br />
Vorstoßes nördlich der Maginot-Linie durch<br />
Luxemburg und die Ardennen sowie des erfolgreichen<br />
Durchbruchs in der Schlacht von<br />
Sedan (13. bis 15. Mai), den Gegner in schwere<br />
Bedrängnis zu bringen. Die Heeresgruppen-Verbände<br />
überqueren hier mit dem<br />
XIX. Armeekorps (1., 2. und 10. Pz.Div.) unter<br />
General der Panzertruppe Heinz Guderian<br />
die Maas mit der Absicht, von einem sicheren<br />
Maasübergang aus tief nach Nordwesten<br />
in Richtung Kanalküste anzugreifen.<br />
Ihr Ziel ist es, in den Rücken der gemäß dem<br />
alliierten „Dyle-Plan“ nach Belgien vorgerückten<br />
britisch-französischen Truppen vorzustoßen.<br />
Die Schlacht bildete den wichtigsten Baustein<br />
des deutschen Plans zur Einkreisung<br />
und Abschnürung der alliierten Armeen in<br />
Belgien und im Nordosten Frankreichs.<br />
Mitte Mai treiben die Deutschen die Einschnürung<br />
der alliierten Verbände voran.<br />
Auch die nördlich operierende HGr. B erzielt<br />
mit der Einnahme wichtiger strategischer<br />
Punkte entlang des Albert-Kanals und der<br />
Maas sowie mit dem Durchbruch durch die<br />
Dyle-Stellung große militärische Erfolge.<br />
Bereits wenige Tage nach Beginn der<br />
Großoffensive im Westen hat die Wehrmacht<br />
– unterstützt durch mehrere waghalsige<br />
Luftlandeunternehmen – die „Festung Holland“<br />
erstürmt und die Niederlande unter<br />
ihrem Oberbefehlshaber General Henri Winkelman<br />
am 15. Mai zur Kapitulation gezwungen.<br />
Auch Belgien ist militärisch hoffnungslos<br />
unterlegen und steht trotz örtlich<br />
erbitterten Kampfes schnell am Rand einer<br />
Niederlage.<br />
16
Überraschende Wucht des Angriffs<br />
MIT ERHOBENEN HÄNDEN: Britische Soldaten<br />
des Expeditionskorps ergeben sich.<br />
Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library/<br />
Robert Hunt Collection<br />
Nicht nur die Alliierten, sondern auch die<br />
Generale der Wehrmacht selbst sind von der<br />
Wucht und Schnelligkeit des deutschen Angriffs,<br />
der sich stark auf die Luftwaffe und<br />
motorisierte Verbände stützt, überrascht.<br />
Während im Ersten Weltkrieg im Jahr<br />
1916 an der Somme in einem Stellungskrieg<br />
um jeden Meter Boden gerungen wurde und<br />
diese grausame Schlacht Hunderttausende<br />
von Opfern auf beiden Seiten forderte, erreichen<br />
die Spitzen der 2. Panzerdivision des<br />
XIX. Armeekorps (A.K.) unter General der<br />
Panzertruppe Heinz Guderian nur zehn Tage<br />
nach Beginn des Feldzuges, am 20. Mai<br />
<strong>1940</strong>, die Atlantikküste bei Noyelles unweit<br />
Abbéville.<br />
Vormarsch der Panzertruppe<br />
Allerdings können die Alliierten mit einem<br />
Gegenangriff bei Arras verhindern, dass die<br />
wichtigen Kanalhäfen Calais und <strong>Dünkirchen</strong><br />
vorzeitig von der Wehrmacht erobert<br />
werden. Dennoch verschlechtert sich die Lage<br />
der Verbündeten auch unter dem neuen<br />
Oberbefehlshaber General Maxime Weygand,<br />
der auf den glücklosen Maurice Gamelin<br />
folgt, zusehends. Denn die britische Expeditionsarmee<br />
unter Lord Gort sowie starke<br />
französische Kräfte stehen entlang der<br />
Kanalküste bei <strong>Dünkirchen</strong>. Für sie besteht<br />
die Gefahr, dem massiven Druck der HGr. B<br />
im Norden und der HGr. A im Süden nicht<br />
standhalten zu können. Die Ausschaltung<br />
beziehungsweise Vernichtung von Hunderttausenden<br />
alliierter Soldaten droht.<br />
Am 22. Mai starten die Panzer Guderians,<br />
die bereits während des Feldzuges gegen Polen<br />
durch schnelle Vorstöße wichtige Erfolge<br />
erzielten, den Angriff in Richtung Calais und<br />
stehen am 24. Mai weniger als 20 Kilometer<br />
vor <strong>Dünkirchen</strong>.<br />
BIOGRAPHIE<br />
Hermann Recknagel – „Eroberer von <strong>Dünkirchen</strong>“<br />
Im Jahr 1892 geboren, tritt Recknagel 1913 als<br />
Offiziersanwärter in das Infanterie-Regiment<br />
„von Wittich“ (3. Kurhessisches) Nr. 83 ein. Am<br />
6. August 1914 zum Leutnant befördert, kämpft<br />
er anschließend mit seinem Regiment an der<br />
Westfront, später dann auch im Osten.<br />
Nach seiner mit dem Kriegsende bedingten<br />
Entlassung tritt Recknagel in das Freikorps Maercker<br />
ein. 1920 übernimmt man ihn in die Reichswehr,<br />
in der er 1921 Adjutant im 12. Infanterie-Regiment<br />
wird. Als Chef der 14. Kompanie bringt er<br />
es am 1. Oktober 1926 zum Hauptmann. Bei<br />
gleichzeitiger Beförderung zum Major ernennt<br />
man ihn am 1. Oktober 1934 zum Kommandeur<br />
des II. Bataillons des Infanterie-Regiments 54 in<br />
Glogau. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wird<br />
Recknagel schließlich Kommandeur des Regiments,<br />
das er zunächst während des Polenfeldzuges<br />
befehligt. Recknagel, mittlerweile Oberst,<br />
führt sein Regiment ab Mai <strong>1940</strong> im Westfeldzug.<br />
Für die Eroberung der Stadt <strong>Dünkirchen</strong> durch die<br />
Soldaten seines Infanterie-Regiments 54 erhält er<br />
am 5. August <strong>1940</strong> das „Ritterkreuz des Eisernen<br />
Kreuzes“.<br />
Recknagel kämpft anschließend im Rahmen<br />
des „Unternehmens Barbarossa“ seit 1941 an<br />
der Ostfront, unter anderem seit 1942 als Kommandeur<br />
der 111. I.D. und 1944 als Kommandierender<br />
General des XXXXII. A.K. Er stirbt Anfang<br />
1945 bei Kämpfen in Polen.<br />
HOCHDEKORIERT: Hermann Recknagel erhält als<br />
Kommandeur des Infanterie-Regiments 54 für die<br />
Eroberung der Stadt <strong>Dünkirchen</strong> das „Ritterkreuz“.<br />
Foto: ullstein bild – Heinrich Hoffmann<br />
Clausewitz 5/2013<br />
17
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
Doch ein Befehl von höchster Stelle auf<br />
deutscher Seite sorgt dafür, dass die in erhebliche<br />
Bedrängnis geratenen Franzosen,<br />
Engländer und am Kampf bei <strong>Dünkirchen</strong><br />
beteiligten Belgier Zeit zum Durchatmen erhalten.<br />
Denn am 24. Mai <strong>1940</strong> trifft Hitler eine<br />
Entscheidung, die den weiteren Verlauf<br />
des Kampfes im Westen und vielleicht sogar<br />
des Zweiten Weltkrieges maßgeblich beeinflussen<br />
sollte.<br />
Hitler greift ein<br />
Während Guderian und das Oberkommando<br />
des Heeres unter Generaloberst Walther<br />
von Brauchitsch und seinem Stabschef General<br />
der Artillerie Franz Halder sich eindeutig<br />
für eine Fortsetzung des Vorstoßes auf <strong>Dünkirchen</strong><br />
aussprechen, entscheidet Hitler anders:<br />
Er folgt der Einschätzung Rundstedts,<br />
der sich für ein Anhalten der schnellen Truppe<br />
an der erreichten Kanallinie nordwestlich<br />
von Arras ausspricht, um den von der HGr. B<br />
gedrängten Feind als eine Art „Amboss“ aufzufangen.<br />
Diese Vorgehensweise würde es<br />
dem Oberkommando der HGr. A zudem ermöglichen,<br />
die Verbände neu zu ordnen und<br />
die nachrückenden Infanterieeinheiten zu<br />
den weit vorgerückten Panzerspitzen aufschließen<br />
zu lassen.<br />
Darüber hinaus hat der Oberbefehlshaber<br />
der Luftwaffe, Hermann Göring, noch am<br />
23. Mai in einem Ferngespräch mit Hitler gewohnt<br />
großspurig angekündigt, die deutsche<br />
Luftwaffe werde die in Nordfrankreich<br />
TRÜMMERLANDSCHAFT: Zwei Messerschmitt Bf 110 der Luftwaffe über dem zerstörten<br />
Zentrum von <strong>Dünkirchen</strong>.<br />
Foto: ullstein bild<br />
versammelte britisch-französische Armee<br />
zerschlagen.<br />
Der „Führer“ gibt schließlich am 24. Mai<br />
<strong>1940</strong> um 12:45 Uhr den folgenreichen Befehl,<br />
den Vormarsch auf <strong>Dünkirchen</strong> anzuhalten<br />
und die Linie Lens – Béthune – Aire – St.<br />
Omer – Gravelines nicht zu überschreiten.<br />
Was <strong>Hitlers</strong> Motiv für den sogenannten<br />
„Halt-Befehl“ vom 24. Mai betrifft, hat die<br />
ANGETRETEN: Morgenappell einer deutschen Einheit<br />
an der Wegekreuzung Lille/<strong>Dünkirchen</strong>. Im Hintergrund<br />
ist ein Flak-Beobachtungsstand zu erkennen.<br />
Foto: picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter<br />
Historikerzunft auch fast sieben Jahrzehnte<br />
nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch<br />
keine eindeutige Erklärung gefunden.<br />
Folgenreicher „Halt-Befehl“<br />
Fürchteten Hitler und der Oberbefehlshaber<br />
der HGr. A Generaloberst von Rundstedt,<br />
dessen Verbände die Hauptlast des Angriffs<br />
trugen, eine Abschnürung der vorausgeeilten<br />
Panzerspitzen durch eine koordinierte<br />
Aktion des Gegners? Sahen sie die Gefahr,<br />
sich in einer Vernichtungsschlacht im sumpfigen<br />
Flachland von Flandern zu verzetteln,<br />
bevor die französische Hauptstreitmacht im<br />
18
EXKLUSIV<br />
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Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
VOLLTREFFER: Ein durch deutsche Sturzkampfbomber<br />
zerstörtes Schiff am Strand bei<br />
<strong>Dünkirchen</strong>. Obwohl die Luftwaffe zahlreiche<br />
Seefahrzeuge der Alliierten vernichten kann,<br />
erreichen viele Hundert Schiffe ihr Ziel an<br />
Englands Südküste. Foto: picture-alliance/akg-images<br />
Süden des Landes vollständig niedergerungen<br />
war? Wollte Hitler sich eine mögliche<br />
Verständigung mit Großbritannien durch eine<br />
Vernichtung des britischen Expeditionskorps<br />
nicht verbauen bzw. die eingeschlossene<br />
Expeditionsarmee als Unterpfand für<br />
Friedensverhandlungen einsetzen? Der Militärexperte<br />
Karl-Heinz Frieser spricht in diesem<br />
Zusammenhang von einer „Rebellion<br />
der Generäle im Oberkommando des Heeres<br />
gegen Hitler“. Seiner Ansicht nach ging es<br />
darum, wer bei operativen Entscheidungen<br />
das Sagen habe: der Generalstab oder Hitler.<br />
Der Diktator demonstrierte seinen hochrangigen<br />
Offizieren mit seiner Entscheidung seine<br />
Macht und griff – was sich auf deutscher<br />
Seite im weiteren Kriegsverlauf vielfach verhängnisvoll<br />
auswirken sollte – in die operative<br />
Kriegführung ein.<br />
Vieles spricht jedoch auch dafür, dass Hitler<br />
die Panzerkräfte für die eigentliche<br />
„Schlacht um Frankreich“ schonen wollte.<br />
Eine im Zusammenhang mit dem „Halt-<br />
Befehl“ aufkeimende „Vertrauenskrise“ –<br />
ausgelöst durch eine weder an Hitler noch<br />
an das Oberkommando der Wehrmacht<br />
(OKW) übermittelte, vom Oberkommando<br />
des Heeres (OKH) vorgenommene Änderung<br />
im Unterstellungsverhältnis der eingesetzten<br />
Panzerverbände – wird schließlich<br />
mit einer Anordnung des „Führers“ beendet.<br />
„Die Flotte brachte auf nahezu tausend Fahrzeugen<br />
aller Art über 335.000 Mann, Franzosen und Engländer,<br />
die sie dem Rachen des Todes und der Schande<br />
entrissen, herüber in ihr Heimatland...“<br />
Winston Churchill in seinen Erinnerungen über die Rettungsaktion von <strong>Dünkirchen</strong>.<br />
Ein Tagebucheintrag des Chefs des Wehrmachtführungsstabes<br />
im OKW, Generalmajor<br />
Alfred Jodl, mit Datum vom 24. Mai <strong>1940</strong><br />
belegt dies anschaulich.<br />
DOKUMENT<br />
„Um 11:30 Uhr trifft der Führer ein und<br />
lässt sich durch den O.B. [Oberbefehlshaber]<br />
der Heeresgruppe über die Lage unterrichten.<br />
Der Auffassung, dass ostwärts Arras<br />
von der Infanterie angegriffen werden<br />
müsse, die schnellen Truppen dagegen an<br />
der erreichten Linie – Lens – Bethune – Aire<br />
– St. Omer – Gravelines angehalten werden<br />
können, um den von Heeresgruppe B<br />
Darin heißt es unter anderem:<br />
„Führer fliegt mit mir und Schmundt [Oberst<br />
Rudolf Schmundt, Chefadjutant des Heeres<br />
beim ,Führer und Obersten Befehlshaber der<br />
Wehrmacht’] zur HGr. A nach Charleville. Ist<br />
sehr erfreut über die Maßnahme der HGr., die<br />
sich ganz mit seinen Gedanken decken. Er erfährt<br />
zu seiner Überraschung, dass OKH, ohne<br />
dem Führer und dem OKW Kenntnis zu<br />
geben, die 4. Armee und eine Reihe rückwärts<br />
folgender Divisionen der HGr. B unterstellt.<br />
Führer ist sehr unwillig und hält diese Regelung<br />
nicht nur militärisch, sondern auch psychologisch<br />
für falsch.“<br />
Allen Vermutungen und Querelen zum<br />
Trotz: Fest steht, dass der „Halt-Befehl“ den<br />
Briten und den Franzosen Ende Mai <strong>1940</strong><br />
wertvolle Zeit gibt, um einen wirksamen<br />
Verteidigungsring um <strong>Dünkirchen</strong> zu errichten<br />
und groß angelegte Maßnahmen zur Einschiffung<br />
ihrer Truppen zu ergreifen. Und<br />
tatsächlich bestätigt die Aufklärung der<br />
KTB-Eintrag (Auszug) HGr. A vom 24. Mai <strong>1940</strong><br />
gedrängten Feind ,aufzufangen’ stimmt er<br />
voll und ganz zu. Er unterstreicht sie durch<br />
die Betonung, dass es überhaupt notwendig<br />
sei, die Panzerkräfte für die kommenden<br />
Operationen zu schonen, und dass eine<br />
weitere Einengung des Einschließungsraumes<br />
nur eine höchst unerwünschte<br />
Einschränkung der Tätigkeit der Luftwaffe<br />
zur Folge haben würde.“<br />
20
Streit zwischen den Alliierten<br />
Luftwaffe, dass sich feindliche Kriegsschiffe<br />
im Hafen von <strong>Dünkirchen</strong> befinden, sodass<br />
die deutsche Seite von einer Einschiffungsaktion<br />
ausgehen muss.<br />
Der Vormarsch geht weiter<br />
Daraufhin erteilt Hitler am 26. Mai den Befehl<br />
zum weiteren Vorgehen, um – so von<br />
Brauchitsch nach einer Unterredung beim<br />
„Führer“ – „den Abtransport des Feindes“<br />
zu stoppen.<br />
Der Kampf um die Stadt <strong>Dünkirchen</strong> dauert<br />
vom 27. Mai bis zum 4. Juni an.<br />
Während der durch den „Halt-Befehl“ bedingten<br />
„Atempause“ errichteten die Alliierten<br />
ein tief gestaffeltes Verteidigungssystem,<br />
das das Vordringen der deutschen Verbände<br />
erheblich erschweren sollte. Churchill befiehlt<br />
dem neu ernannten Oberbefehlshaber<br />
des Britischen Expeditionskorps, Generalmajor<br />
Harold Alexander, den Verteidigungsring<br />
um <strong>Dünkirchen</strong> solange wie möglich zu<br />
halten, um die angelaufene Evakuierungsaktion<br />
„Dynamo“ fortführen zu können. Gemeinsam<br />
mit dem französischen Stadtkommandanten<br />
von <strong>Dünkirchen</strong>, Admiral Jean-<br />
Marie Abrial, versuchen Alexander und<br />
seine Soldaten – trotz aufkeimender ernsthafter<br />
Meinungsverschiedenheiten zwischen<br />
der französischen und britischen Militärführung<br />
über Dauer und Umfang der<br />
Evakuierung –, dem Druck standzuhalten<br />
und die Einschiffung voranzutreiben.<br />
Als erschwerend für die Angreifer erweist<br />
sich, dass der Endkampf um den Kessel von<br />
<strong>Dünkirchen</strong> auf deutscher Seite offensichtlich<br />
unzureichend koordiniert ist und die<br />
Panzerverbände für die anstehenden Kämpfe<br />
im Süden Frankreichs abgezogen werden.<br />
Dennoch gelingt es der deutschen Artillerie<br />
von den mittlerweile eroberten Kleinstädten<br />
Gravelines und Nieuwpoort aus, die Hafeneinfahrt<br />
von <strong>Dünkirchen</strong> und die Schiffsrouten<br />
der alliierten Evakuierungsaktion mit<br />
Störfeuer zu belegen.<br />
Der Einschließungsring zieht sich immer<br />
stärker zu. Dies führt dazu, dass sich Briten<br />
und Franzosen auf einen mittlerweile nur<br />
KARTE<br />
noch wenige Kilometer breiten Streifen entlang<br />
des Kanals zurückziehen müssen. Die<br />
letzte Phase des Kampfes um <strong>Dünkirchen</strong><br />
hat begonnen.<br />
Die Schlinge zieht sich zu<br />
Zu diesem Zeitpunkt, am 2. Juni <strong>1940</strong>, gibt<br />
das OKW bekannt: „In hartem Kampf wurde<br />
der von den Engländern auch gestern zäh<br />
Kampf um <strong>Dünkirchen</strong> Mai/Juni <strong>1940</strong><br />
ABGESCHNITTEN: Die britisch-französischen Truppen werden am Küstenabschnitt um<br />
<strong>Dünkirchen</strong> eingekesselt. Ihnen bleibt nur die Flucht über den Seeweg.<br />
GESCHLAGEN:<br />
Der französische<br />
Oberbefehlshaber,<br />
General Maxime<br />
Weygand, muss sich<br />
dem Druck des<br />
Gegners beugen.<br />
Foto: picture-alliance/<br />
akg-images<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
21
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
Sie können auf Hunderten von Seefahrzeugen<br />
unterschiedlichster Art zwischen<br />
dem 26. Mai und dem 4. Juni <strong>1940</strong> immerhin<br />
fast 340.000 Mann, davon etwa ein Drittel<br />
Franzosen, über den Kanal auf die Britischen<br />
Inseln retten und ihr angeschlagenes Heer<br />
im Anschluss wieder aufbauen. Görings<br />
vollmundige Ankündigung als Oberbefehlshaber<br />
der Luftwaffe, „den Gegner im flandrischen<br />
Kessel mit seiner Luftwaffe zu vernichten“,<br />
bleiben hingegen leere Worte.<br />
DICHT GEDRÄNGT: Britische Soldaten während der Operation „Dynamo“, der Evakuierung<br />
der Alliierten.<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
verteidigte Küstenstreifen beiderseits <strong>Dünkirchen</strong><br />
von Osten her weiter eingedrückt.<br />
(...) Die Gefangenen- und Beutezahlen stiegen<br />
auch gestern erheblich. Allein bei einer<br />
Armee wurden 200 Geschütze aller Kaliber<br />
erbeutet.“<br />
Erfolgreiche Evakuierung<br />
Bis zur Einnahme der Stadt durch Soldaten<br />
des Infanterie-Regiments 54 (18. Infanteriedivision)<br />
vergehen noch weitere zwei Tage.<br />
Heeresgeneralstabschef Halder notiert am<br />
4. Juni <strong>1940</strong> in sein Kriegstagebuch: „Stadt<br />
und Küste in unserer Hand. Engländer/<br />
Franzosen sind weg.“<br />
Während die Evakuierung des Britischen<br />
Expeditionskorps und französischer Einheiten<br />
in der NS-Propaganda als „Glorreicher<br />
Rückzug“ und „Englands Flucht vom Kontinent“<br />
verspottet wird, feiern vor allem die<br />
Briten das Ergebnis der Operation „Dynamo“<br />
als „Wunder von <strong>Dünkirchen</strong>“.<br />
Großbritannien kämpft weiter<br />
Zwar kann die Wehrmacht rund zwei Wochen<br />
später den „Blitzkrieg“ gegen Frankreich<br />
siegreich beenden, doch insbesondere<br />
England erweist sich unter seinem unnachgiebigen<br />
Premierminister Winston Churchill<br />
als kampfbereiter und ernstzunehmender<br />
Gegner für das „Dritte Reich“. <strong>Hitlers</strong> Annahme,<br />
Großbritannien sei nach der Niederlage<br />
Frankreichs zu einem „Kompromissfrieden“<br />
mit Deutschland bereit, bewahrheitet<br />
sich nicht. Winston Churchill ist nicht bereit,<br />
einzulenken und die 1939/40 „erkämpfte“<br />
deutsche Weltmachtstellung so ohne weiteres<br />
hinzunehmen. Auf deutscher Seite wer-<br />
Literaturtipps<br />
Hans-Adolf Jacobsen: <strong>Dünkirchen</strong>. Ein Beitrag<br />
zur Geschichte des Westfeldzuges <strong>1940</strong>, Neckargemünd<br />
1958.<br />
Hans Umbreit: Der Kampf um die Vormachtstellung<br />
in Westeuropa, in: Das Deutsche Reich und<br />
der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, hrsg. v. MGFA, Stuttgart<br />
1979, S. 235–327.<br />
22
Geplante Landungsoperation<br />
VOR ORT: Großadmiral Erich Raeder (im<br />
Ledermantel) macht sich in <strong>Dünkirchen</strong> ein<br />
Bild vom Ausmaß der Zerstörungen.<br />
Foto: picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter<br />
den daher die bereits in das Jahr 1939 zurückreichenden<br />
Planungen für eine Invasion<br />
Englands wiederaufgenommen und<br />
nach dem Waffenstillstand mit Frankreich<br />
Ende Juni <strong>1940</strong> intensiviert. Schnell stellt<br />
sich heraus: Konkrete Pläne für eine über<br />
den Sieg im Westen hinausreichende Kriegführung<br />
existieren nicht.<br />
Am 27. Juni legt die Luftwaffenführung<br />
Hitler eine Studie über eine mögliche Luftlandeoperation<br />
in Südengland vor, die der<br />
„Führer“ jedoch verwirft. Noch immer hofft<br />
er auf eine politische Lösung des Konfliktes<br />
mit England.<br />
„Operation Seelöwe“<br />
Als sich immer stärker abzuzeichnen beginnt,<br />
dass eine friedliche Lösung unwahrscheinlich<br />
ist, lässt Hitler konkretere Pläne<br />
zu einer möglichen Landung auf den Britischen<br />
Inseln ausarbeiten.<br />
„Unter bestimmten Voraussetzungen,<br />
deren wichtigste ist, die Luftüberlegenheit<br />
zu erringen, kann eine Landung in England<br />
in Frage kommen. Der Zeitpunkt bleibt<br />
AUSGEBRANNT: Eine zerstörte alliierte<br />
Fahrzeugkolonne in einer von der Wehrmacht<br />
eroberten Ortschaft im Nordwesten Frankreichs.<br />
Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo<br />
„Stadt und Küste in unserer Hand.<br />
Franzosen/Engländer sind weg.“<br />
Eintrag im Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabs des Heeres,<br />
General Franz Halder, vom 4. Juni <strong>1940</strong>.<br />
demnach völlig offen. Vorbereitungen für<br />
die Durchführung zu einem möglichst frühen<br />
Zeitpunkt sind einzuleiten“, heißt es in<br />
einer Geheimen Kommandosache des<br />
OKW vom 2. Juli <strong>1940</strong> „Betr.: Kriegführung<br />
gegen England“.<br />
Zwei Wochen später erteilt Hitler die<br />
„Weisung Nr. 16 über die Vorbereitungen einer<br />
Landungsoperation gegen England“.<br />
Darin heißt es unter anderem:<br />
„Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen<br />
Lage, noch keine Anzeichen einer<br />
Verständigungsbereitschaft zu erkennen<br />
gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation<br />
gegen England vorzubereiten<br />
und, wenn nötig, durchzuführen.<br />
Zweck dieser Operation ist es, das englische<br />
Mutterland als Basis für die Fortführung<br />
des Krieges gegen Deutschland auszuschalten<br />
und, wenn es erforderlich sein sollte,<br />
in vollem Umfang zu besetzen.“<br />
Dass Hitler keine große Begeisterung für<br />
eine Landung in England (Tarnname: „Operation<br />
Seelöwe“) entwickelt, wird aus der<br />
Formulierung deutlich, eine Landungsoperation<br />
nur „wenn nötig“ durchzuführen.<br />
Auch Großadmiral Erich Raeder als Oberbefehlshaber<br />
der Kriegsmarine verweist immer<br />
wieder auf die mit einer möglichen Landung<br />
verbundenen Schwierigkeiten.<br />
Invasionspläne auf Eis gelegt<br />
Als Hitler am 19. Juli <strong>1940</strong> in seiner Reichstagsrede<br />
in Berlin ein „Friedensangebot“ an<br />
London – einen „Appell an die Vernunft in<br />
England“ – richtet und die britische Regierung<br />
darauf nicht eingeht, erteilt Hitler Anfang<br />
August <strong>1940</strong> die „Weisung Nr. 17 für die<br />
Führung des Luft- und Seekrieges gegen<br />
England“. Darin befiehlt er der deutschen<br />
Fliegertruppe, „mit allen zur Verfügung stehenden<br />
Kräften die englische Luftwaffe<br />
möglichst bald niederzukämpfen“.<br />
Doch diese von allen führenden Militärs<br />
formulierte Grundvoraussetzung für die<br />
Durchführung einer Landungsoperation<br />
lässt sich im Herbst des Jahres <strong>1940</strong> nicht erfüllen.<br />
Eine deutsche Luftüberlegenheit über<br />
dem Ärmelkanal ist illusorisch.<br />
Während der bereits stattfindenden<br />
„Luftschlacht über England“ muss sich die<br />
Luftwaffe der Royal Air Force geschlagen geben.<br />
Hitler entscheidet sich schließlich dafür,<br />
bis zur „weiteren Klärung der Gesamtlage“<br />
abzuwarten. Diese lässt eine Invasion Englands<br />
– auch infolge des „Wunders von <strong>Dünkirchen</strong>“<br />
– schließlich nicht mehr zu.<br />
Dr. Tammo Luther, Jg. 1972, Verantwortlicher<br />
Redakteur von <strong>CLAUSEWITZ</strong>, freier Autor und Lektor<br />
in Schwerin mit Schwerpunkt „Deutsche Militärgeschichte<br />
des 19. und 20. Jahrhunderts“.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
23
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
ZUVERSICHTLICH:<br />
Britische Soldaten warten<br />
auf einem aus Fahrzeugen<br />
provisorisch errichteten<br />
Pier am Strand von <strong>Dünkirchen</strong><br />
auf ihre Einschiffung.<br />
Foto: Ullstein bild – TopFoto<br />
24
Evakuierung der Alliierten nach England<br />
Mit dem Rücken<br />
zum Meer<br />
Ende Mai <strong>1940</strong>: Fast 400.000 britische und französische Soldaten harren bei <strong>Dünkirchen</strong><br />
an der Kanalküste aus und hoffen inständig auf ihre Evakuierung. Unterdessen zieht sich<br />
der deutsche Einschließungsring seit dem 27. Mai immer enger zu. Von Tammo Luther<br />
Zur gleichen Zeit auf der anderen Seite<br />
des Kanals: Der aus dem Ruhestand reaktivierte<br />
Bertram Ramsay, nun Hafenkommandant<br />
von Dover, leitet die Aktion,<br />
die das Gros der British Expeditionary Force<br />
(BEF) nach England holen und vor dem Zugriff<br />
der Deutschen retten soll.<br />
Zur Evakuierung im Rahmen der Operation<br />
„Dynamo“ werden alle verfügbaren<br />
Seefahrzeuge – vom Kriegsschiff über den<br />
Fischkutter bis zum Rettungsboot – eingesetzt.<br />
Insgesamt etwa 850 Schiffe, Boote, Fähren<br />
und andere Wasserfahrzeuge schickt<br />
Ramsay nach Frankreich, um Briten und<br />
auch Franzosen vor dem Tod, der Verwundung<br />
oder der Kriegsgefangenschaft zu bewahren.<br />
Die Ausgangslage für die auf engem<br />
Raum um die Hafenstadt <strong>Dünkirchen</strong> zusammengedrängten<br />
alliierten Soldaten ist alles<br />
andere als günstig: Denn als am 27. Mai<br />
heftige deutsche Luftangriffe auf den Hafen<br />
und die Stadt einsetzen, werden mehrere alliierte<br />
Schiffe versenkt. Schließlich müssen<br />
die auf ihre Evakuierung wartenden britisch-französischen<br />
Truppen das schwer getroffene<br />
Hafengebiet räumen.<br />
qualmenden Trümmerlandschaft des Hafens<br />
von <strong>Dünkirchen</strong> und der tief hängenden<br />
Wolken für die deutsche Luftwaffe erheblich<br />
beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass sich die<br />
Flieger der Royal Air Force (RAF) als unbequemer<br />
Gegner für Görings Luftwaffe erweisen,<br />
die die groß angelegte Evakuierungsaktion<br />
der Alliierten nicht wirksam unterbinden<br />
kann.<br />
Insgesamt fallen nun nur wenige Bomben<br />
auf das Hafengebiet von <strong>Dünkirchen</strong>, dessen<br />
Ostmole sich offensichtlich doch als An- und<br />
Ablegestelle für Kriegsschiffe eignet.<br />
Schätzungsweise fast 18.000 Soldaten<br />
können dadurch bis zum Abend des 28. Mai<br />
<strong>1940</strong> über die Straße von Calais in Richtung<br />
Britische Inseln transportiert werden, davon<br />
fast 12.000 Soldaten vom Hafen <strong>Dünkirchen</strong><br />
aus.<br />
In den folgenden Tagen bis zum 1. Juni<br />
<strong>1940</strong> gelingt es den Briten, die Zahl der Evakuierungen<br />
weiter zu steigern. Da das anhaltend<br />
schlechte Wetter keine größeren<br />
Luftangriffe zulässt, kommen die deutschen<br />
Heeresverbände gegen die trotz ihrer bedrängten<br />
Lage gut organisierten Verteidiger<br />
nur langsam voran. Zwar gelingt den Angreifern<br />
die Gefangennahme von mehreren<br />
Zehntausend vorwiegend französischen Soldaten,<br />
doch allein am 31. Mai sind es fast<br />
70.000 Briten und Franzosen, die sich dem<br />
deutschen Zugriff über den Seeweg entziehen<br />
können.<br />
Verluste der Royal Navy<br />
Diese Erfolge müssen jedoch mit zum Teil<br />
hohen Verlusten erkauft werden: Als die<br />
Royal Navy allein am 1. Juni vier Zerstörer<br />
und mehrere weitere Schiffe verliert, gibt Vice<br />
Admiral Bertram Ramsay den Befehl,<br />
<strong>Dünkirchen</strong> nur noch im Schutz der nächtlichen<br />
Dunkelheit anzulaufen.<br />
Dennoch: Drei Tage später, am 4. Juni<br />
meldet der britische Radiosender BBC:<br />
Riskante Evakuierungsaktion<br />
Auf britischer Seite sieht man nun keine<br />
Möglichkeit mehr, über die schwer beschädigten<br />
Hafenkais die Soldaten an Bord der<br />
Schiffe zu holen. Man entscheidet sich daher<br />
für eine Einschiffung über den Strandabschnitt<br />
zwischen <strong>Dünkirchen</strong> und dem Badeort<br />
De Panne im äußersten Westen Belgiens.<br />
Fehlende Landebrücken und Verladeeinrichtungen<br />
erschweren die Rettungsaktion<br />
erheblich, sodass bis in die Abendstunden<br />
des 27. Mai weniger als zehntausend Mann<br />
an Bord geholt werden können. Am 28. Mai<br />
sind die Sichtverhältnisse aufgrund der<br />
ZURÜCKGELASSEN: Fahrzeuge der alliierten Truppen am Strand von <strong>Dünkirchen</strong> nach dem<br />
Ende der Kämpfe Anfang Juni <strong>1940</strong>.<br />
Foto: picture-alliance/Mary Evans/Robert Hunt Collection<br />
Clausewitz 5/2013<br />
25
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
ZUSAMMENGEDRÄNGT: Im Rücken der Feind, vor ihnen das Meer, harrten die Eingekesselten<br />
ihrer Rettung.<br />
Foto: picture-alliance/Mary Evans/Robert Hunt Collection<br />
„Generalmajor Harold Alexander [neuer<br />
Oberbefehlshaber der BEF] vergewisserte<br />
sich heute morgen persönlich beim Strand<br />
von <strong>Dünkirchen</strong> von einem Motorboot aus,<br />
dass niemand am Strand zurückgelassen<br />
wurde, bevor er das letzte Schiff nach Großbritannien<br />
bestieg.“<br />
Misstöne zwischen den Alliierten<br />
Zu diesem Zeitpunkt befinden sich mittlerweile<br />
mehr als 300.000 Alliierte in Sicherheit.<br />
Der Erfolg der Rettungsaktion wird jedoch<br />
belastet durch Misstöne zwischen Briten<br />
und Franzosen: So sollen britische Soldaten<br />
ihren französischen Waffenbrüdern<br />
den Zugang zu den an der Operation „Dynamo“<br />
beteiligten Schiffen verweigert haben.<br />
Dieses heiklen Themas nimmt sich in<br />
den 1960er-Jahren auch der französisch-italienische<br />
Film „<strong>Dünkirchen</strong>, 2. Juni <strong>1940</strong>“<br />
(Originaltitel: Week-end à Zuydcoote) an,<br />
VERFILMT: Szene aus dem Film „<strong>Dünkirchen</strong>,<br />
2. Juni <strong>1940</strong>“ mit Jean-Paul Belmondo<br />
als Sergeant Julien Maillat.<br />
Foto: ullstein bild/United Archives/90061<br />
in dem Jean-Paul Belmondo die Hauptrolle<br />
spielt.<br />
Der Film handelt von Ereignissen während<br />
der Schlacht um <strong>Dünkirchen</strong> Anfang<br />
Juni <strong>1940</strong>. Auf ihrem Rückzug vor den Deutschen<br />
sammeln sich versprengte britische<br />
und französische Truppen rund um die Stadt<br />
<strong>Dünkirchen</strong>. Während die Briten von den<br />
umliegenden Strandabschnitten aus nach<br />
England eingeschifft werden, wird den französischen<br />
Soldaten der Zugang zu den Evakuierungsschiffen<br />
verwehrt.<br />
Moralischer Sieg der Alliierten<br />
Doch trotz dieser und ähnlicher Vorkommnisse<br />
werden immerhin insgesamt weit mehr<br />
als 100.000 französische Soldaten evakuiert,<br />
von denen sich viele im weiteren Verlauf des<br />
Krieges den neu formierten Freien Französischen<br />
Streitkräften unter ihrem Oberbefehlshaber<br />
Charles de Gaulle anschließen .<br />
Wenngleich die britischen Streitkräfte im<br />
Mai/Juni <strong>1940</strong> enorme Verluste an Kriegsmaterial<br />
hinnehmen müssen und nahezu ihre<br />
gesamten verbliebenen schweren Waffen<br />
an der französischen Kanalküste zurücklassen<br />
müssen, gelingt ihnen die in diesem Umfang<br />
nicht für möglich gehaltene Rettung des<br />
Großteils ihres Expeditionskorps.<br />
„Britische Soldaten! Schaut auf diese Karte:<br />
sie spiegelt Eure wahre Situation wider!<br />
Eure Truppen sind vollständig umzingelt – stellt den<br />
Kampf ein! Legt Eure Waffen nieder!“<br />
Text eines an die britischen Soldaten gerichteten deutschen Flugblatts<br />
(Übersetzung), abgeworfen über <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
Literaturtipp<br />
Winston S. Churchill: Reden in Zeiten des Kriegs,<br />
a. d. Engl. v. Walther Weibel, Hamburg 2002.<br />
GESCHAFFT: Britische und französische<br />
Soldaten auf einem Schiff, das sie in<br />
Sicherheit gebracht hat. Foto: ullstein bild<br />
Die Evakuierung dieser Soldaten wird in<br />
der britischen Öffentlichkeit als moralischer<br />
Sieg gefeiert und sollte in der Folgezeit die<br />
Reorganisation der scheinbar geschlagenen<br />
britischen Armee ermöglichen. Darüber hinaus<br />
wirkt sich das „Wunder von <strong>Dünkirchen</strong>“<br />
entscheidend auf den Durchhaltewillen<br />
Englands im Kampf gegen das nationalsozialistische<br />
Deutschland aus.<br />
Am 4. Juni <strong>1940</strong>, dem letzten Tag der Operation<br />
„Dynamo“, hält Premierminister<br />
Winston Churchill vor dem Unterhaus seine<br />
in England noch heute populäre Rede („We<br />
shall fight on the beaches“), die – so bekannte<br />
anschließend ein Labourabgeordneter –<br />
„soviel wert gewesen“ sei „wie tausend Kanonen<br />
und die Reden von tausend Jahren.“<br />
Darin bekräftigt Churchill in beschwörenden<br />
Worten, dass Großbritannien den Kampf<br />
gegen „Hitler-Deutschland“ unter keinen<br />
Umständen aufgeben werde. Mit dieser Aussage<br />
sollte er trotz der alliierten Niederlage<br />
in Frankreich recht behalten.<br />
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George S. Patton<br />
Genial, erfolgreich,<br />
umstritten<br />
Die Adelsburg<br />
als Wehrbau<br />
Verteidigungsanlagen<br />
des Mittelalters<br />
<strong>Dünkirchen</strong><br />
<strong>1940</strong>: <strong>Hitlers</strong> „verschenkter <strong>Sieg“</strong><br />
MILITÄR & TECHNIK:<br />
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Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
Deutsche und alliierte Panzer in Frankreich <strong>1940</strong><br />
Der „Motor als Waffe“<br />
Mai <strong>1940</strong>: Als die deutschen<br />
Truppen die Grenzen zu<br />
Frankreich überschreiten,<br />
stehen dort den 4.200<br />
alliierten Panzern nur 2.500<br />
deutsche Kampfwagen gegenüber.<br />
Doch vor allem den<br />
deutschen Panzerverbänden<br />
gelingt der schnelle Vorstoß<br />
bis zur Kanalküste.<br />
Von Thomas Anderson<br />
Von den rund 2.500 deutschen Panzern<br />
sind sogar mehr als ein Drittel schwach<br />
bewaffnet. So trägt der Panzerkampfwagen<br />
(PzKpfw) I zwei MG, der PzKpfw II<br />
eine 2-cm-Kampfwagenkanone (KwK) und<br />
ein MG. Diese sind zur Bekämpfung der<br />
deutlich schwerer gepanzerten französischen<br />
Kampfwagen nicht oder nur bedingt geeignet.<br />
Der PzKpfw III, der die Hauptlast der<br />
Kämpfe tragen soll, ist mit einer 3,7-cm-Ka-<br />
none auch eher schwach bestückt. Die Panzerung<br />
der deutschen Panzer ist 1939 konzeptionsbedingt<br />
lediglich gegen SmK-Beschuss<br />
(Spitzgeschoss mit Kern, panzerbrechende<br />
Infanteriemunition mit Hartkern, Kaliber 7,92<br />
x 57 mm) sicher, nur der Hauptkampfpanzer,<br />
der PzKpfw III, zeigt 30 mm Frontalschutz.<br />
Eine der Erfahrungen des im Oktober 1939<br />
von der Wehrmacht beendeten Polenfeldzuges<br />
war, dass ein Mindestmaß an Beschuss-<br />
Alliierte und deutsche Panzer (Auswahl)<br />
GUT GERÜSTET: Der 1938 eingeführte Infantry<br />
Tank, Mk II, besser bekannt als Mathilda<br />
II, ist mit einem größeren Turm und vier<br />
Mann Besatzung ausgerüstet. Seine Panzerung<br />
von maximal 80 mm macht ihn sicher<br />
gegen alle deutschen Panzerkanonen. Das<br />
2-pdr-Geschütz (40 mm) ist eine durchaus<br />
schlagkräftige Waffe, kann jedoch keine Explosivgeschosse<br />
verfeuern. Foto: Slg. Anderson<br />
GERINGER KAMPFWERT: Die britischen<br />
Streitkräfte nutzen bis ins Jahr 1942 hinein<br />
noch Einsatzgrundsätze, die durch die Lage<br />
überholt sind. Zur direkten Unterstützung<br />
der Infanterie wird noch 1934 der Infantry<br />
Tank, Mk I entwickelt. Dieser 2-Mann-Panzer<br />
ist mit maximal 60 mm sehr stark gepanzert,<br />
seine aus einem MG bestehende Ausrüstung<br />
jedoch unzureichend. Foto: Slg. Anderson<br />
MIT SCHWÄCHEN: Der Somua S-35 zeigt<br />
einen hohen Panzerschutz bei guter Bewaffnung.<br />
Im Jahr <strong>1940</strong> gibt es keinen deutschen<br />
Panzer, der ihm auf mittlere Entfernungen<br />
gewachsen ist. Trotzdem ist der<br />
Panzer aufgrund seiner Konzeption wenig<br />
fortschrittlich. Besonders der Einmann-<br />
Turm schränkt den Gefechtswert beträchtlich<br />
ein.<br />
Foto: Sammlung Anderson<br />
28
Ernsthafte Gefahr für deutsche Panzer<br />
AUSGESCHALTET: Hier rauscht ein PzKpfw III<br />
an einem abgeschossenen Cruiser Tank Mk IV<br />
vorbei. Der deutsche Panzer ist als Gesamtsystem<br />
deutlich überlegen, seine<br />
Besatzung von fünf Mann und die Funkanlage<br />
machen eine sehr effektive Führung<br />
möglich, sowohl operativ als auch im Panzer<br />
selbst. Spätere Versionen sollen eine<br />
5-cm-KwK erhalten.<br />
Foto: Anderson<br />
PZ.KPFW. III AUSF. F<br />
2 MG im Turm<br />
Funkausstattung in jedem<br />
deutschen Panzer<br />
3,7 cm KwK, stellt sich als<br />
zu schwach heraus<br />
Drei-Mann-Turm, ideale<br />
Aufgabenverteilung<br />
Leistungsfähiges<br />
Laufwerk bringt hohe<br />
Beweglichkeit<br />
festigkeit gegeben sein muss. Doch in bewaffneten<br />
Konflikten beginnt eine verhängnisvolle<br />
Spirale. Jede neue Waffe (oder jede Kampfwertsteigerung)<br />
wird eine Gegenmaßnahme<br />
hervorrufen. Die mit Verbesserungen oder<br />
Nachrüstungen verbundene Zunahme des<br />
Gewichts kann die Grenzen der Belastbarkeit<br />
eines Panzerfahrzeugs überschreiten.<br />
Technische Fortschritte<br />
Nichtsdestotrotz: Vor Beginn des Frankreich-<br />
Feldzuges beginnen Bestrebungen, die<br />
Frontpanzerung vor allem des PzKpfw II<br />
durch Zusatzplatten von 14,5 auf 34,5 mm<br />
zu verstärken. Die aktuelle Variante des<br />
PzKpfw IV, die Ausf D, zeigt statt des ursprünglichen<br />
14,5-mm-Frontpanzers eine<br />
verstärkte organische Panzerung von 30 mm,<br />
weitere Verbesserungen befinden sich in<br />
der Planung.<br />
Die vorhandenen Kampfpanzer tschechischer<br />
Herkunft sind mit ihrem frontalen<br />
Panzerschutz von 25 mm ebenfalls nur gegen<br />
Beschuss aus 2-cm-Waffen sicher – immer<br />
abhängig von der Schussentfernung.<br />
Frankreich wie auch Großbritannien hatten<br />
nach dem Ersten Weltkrieg ihre Rüstung<br />
weiter vorantreiben können. Zwar verfügen<br />
die Franzosen <strong>1940</strong> noch über viele veraltete<br />
Bug-MG für Funker<br />
zur Verteidigung<br />
Frontpanzerung von 30 mm<br />
ist nicht ausreichend<br />
Panzer aus der Zeit des „Großen Krieges“.<br />
Der technische Fortschritt führt in den<br />
1930er-Jahren jedoch zu mehreren Neukonstruktionen,<br />
von denen die Deutschen zum<br />
Teil überrascht werden.<br />
Die leichten Aufklärungspanzer vom Typ<br />
AMR sind ihrem taktischen Auftrag gemäß<br />
nur schwach bewaffnet und gepanzert. Stärker<br />
ins Gewicht fallen die mehr als 1.700<br />
leichten Panzer Renault R-35 und Hotchkiss<br />
H-39, deren Wanne und Turm in Stahlgussbauweise<br />
hergestellt werden. Die Fahrzeuge<br />
zeigen rundum eine starke Panzerung von<br />
bis zu 45 mm. Ihre 37-mm-Bewaffnung hingegen<br />
ist nicht sehr wirkungsvoll. Beide Panzer<br />
sind nur wenig beweglich. Ihr taktischer<br />
Auftrag ist die direkte Unterstützung der Infanterie,<br />
was dem Einsatz und der Aufgabe<br />
der Panzer im Ersten Weltkrieg entspricht.<br />
Sehr hohe<br />
Geschwindigkeit<br />
dank Maybach<br />
Variorex-Getriebe<br />
Die 300 Somua S-35 stellen hingegen eine<br />
ernsthafte Gefahr für die deutschen Panzer<br />
dar: Ähnlich gepanzert wie die R-35 und<br />
H-39, haben sie rundum einen hohen Panzerschutz,<br />
der für die Panzer des Gegners<br />
auf nahe bis mittlere Entfernungen nur<br />
schwer zu bekämpfen ist.<br />
Fehlende Funkausstattung<br />
Der Char B1 bis, von dem knapp 300 Fahrzeuge<br />
zur Verfügung stehen, ist noch schwerer<br />
gepanzert. Er führt wie der S-35 eine wirkungsvolle<br />
47-mm-Kanone im Turm und<br />
zusätzlich ein 7,5-cm-Geschütz in der Wannenfront.<br />
Das macht den B1 vielseitig einsetzbar.<br />
B1 und S-35 sind von ausreichender Beweglichkeit.<br />
Ihr tatsächlicher Kampfwert<br />
wird durch die bei den meisten französischen<br />
Foto: Sammlung Anderson<br />
„LEICHTGEWICHT“: Der Vickers Light<br />
Tank, hier ein Mk VI, wurde ursprünglich<br />
als Aufklärungsfahrzeug entwickelt. Werden<br />
diese leicht gepanzerten und schwach<br />
bewaffneten Fahrzeuge in der Rolle eines<br />
Kampfpanzers eingesetzt, so enden diese<br />
Einsätze zumeist mit großen Verlusten.<br />
Auch dieser Vickers Light Tank wurde vom<br />
Gegner ausgeschaltet. Foto: Sammlung Anderson<br />
GELÄNDETAUGLICH: Ein PzKpfw 38 (t)<br />
neben einem PzKpfw II (links). Diese beiden<br />
leichten Panzer sollen den durchschlagenden<br />
Erfolg von Rommels 7. Panzerdivision<br />
<strong>1940</strong> ermöglichen. Besonders der aus<br />
tschechischer Produktion stammende 38 (t)<br />
zeigt ein überragendes Laufwerk. Die Konstruktion<br />
ist wesentlich robuster als die der<br />
meisten anderen Panzer.<br />
Foto: NARA<br />
AUSDAUERND: Der PzKpfw 38 (t) war für<br />
einen leichten Panzer ausreichend bewaffnet.<br />
Das Fahrwerk stellte sich als sehr belastbar<br />
und ausdauernd heraus. Aufgrund<br />
der genieteten Bauweise und des spröden<br />
Stahls war die Panzerung eher schwach.<br />
Das Fahrwerk sollte bis Kriegsende als Basis<br />
für verschiedene Selbstfahrlafetten dienen.<br />
Foto: Sammlung Anderson<br />
Clausewitz 5/2013<br />
29
Titelgeschichte | <strong>Dünkirchen</strong> <strong>1940</strong><br />
OPERATIV EINSETZBAR: Der Cruiser Tank<br />
Mk I CS verfügt über ein langsam laufendes<br />
Fahrwerk (Höchstgeschwindigkeit um<br />
25 km/h), die Variante Mk I ist zudem mit<br />
15 mm sehr schwach gepanzert. Das Suffix<br />
„CS“ steht für „close support“ und beschreibt<br />
die 95-mm-Haubitze, die zur direkten<br />
Feuerunterstützung der mit 40-mm-Kanonen<br />
ausgerüsteten Mehrzahl der britischen<br />
Panzer eingebaut wird. Der Wagen verfügt<br />
vorne über zwei kleine Drehtürme mit je<br />
einem MG.<br />
Foto: Anderson<br />
Panzern fehlende Funkausstattung (zum<br />
Vergleich – jeder deutsche Panzer verfügt<br />
über ein Funkgerät) und die antiquierten<br />
Weltkriegs-Einsatzgrundsätze beschränkt.<br />
Auch die Tatsache, dass der Turm nur Platz<br />
für einen Mann bietet, sollte sich negativ<br />
auswirken: Der Kommandant muss den<br />
Panzer taktisch führen und die Kanone allein<br />
bedienen.<br />
Erfolgreiche Panzerwaffe<br />
Obwohl S-35 und B1 hinsichtlich ihrer technischen<br />
Eckdaten den deutschen Panzern<br />
überlegen sind, können sie den massiert angreifenden<br />
deutschen Panzern nicht standhalten.<br />
Englands Panzerwaffe fährt zweigleisig.<br />
Die sogenannten Cruiser Tanks vom Typ A13<br />
(und in geringerem Maße auch die A9 und<br />
A10) sind schnelle Fahrzeuge mit schwacher<br />
Panzerung, die aufgrund ihrer hohen Beweglichkeit<br />
zu raschen Geländegewinnen<br />
fähig sind. Die langsam laufenden Infantry<br />
Tanks hingegen verlassen sich auf ihre äußerst<br />
starke Panzerung. Der A12, besser bekannt<br />
als „Mathilda“, zeigt mit einer Panzerung<br />
von bis zu 80 mm wahre „Nehmerqualitäten“.<br />
Die britischen Panzer sind wahlweise mit<br />
einer 40-mm-Kanone zur Bekämpfung gepanzerter<br />
Ziele, oder einer 95-mm-Haubitze<br />
zur Feuerunterstützung ausgestattet. Dabei<br />
handelt es sich um eine eher ungeschickte<br />
Aufgabenverteilung.<br />
Immerhin: Anders als die französischen<br />
Panzer können die englischen Fahrzeuge<br />
aufgrund ihrer technischen Auslegung stetig<br />
weiterentwickelt werden.<br />
Der Feldzug gegen Frankreich verläuft<br />
für die deutsche Panzerwaffe erfolgreich.<br />
Die 29. Infanteriedivision bemängelt allerdings<br />
Defizite in der Ausrüstung und merkt<br />
in ihrem Erfahrungsbericht an:<br />
„Das Fehlen von Sturmgeschützen auf<br />
Selbstfahrlafette machte sich bei Angriff und<br />
Verteidigung bemerkbar...“<br />
Die wenigen während des Frankreichfeldzuges<br />
verfügbaren Sturmgeschütze werden<br />
ständig an Brennpunkten eingesetzt,<br />
noch ist ihre Zahl zu gering (30 im Frankreichfeldzug).<br />
Erfahrungsbericht der 1. Pz.Div.<br />
Auch die 1. Pz.Div. lässt nach dem beendeten<br />
Feldzug einen Erfahrungsbericht zur Qualität<br />
der feindlichen Panzer erstellen:<br />
„Im Kampf Panzer gegen Panzer zeigte<br />
sich die Überlegenheit der feindlichen Panzerung,<br />
der gegenüber unsere panzerbrechende<br />
3,7-cm-Kanone ebenso versagte wie<br />
die 2-cm-KwK. Die Feindpanzer unterlagen<br />
jedoch schließlich im Kampf unserem Masseneinsatz<br />
auch einzeln unterlegener Abwehrmittel.<br />
Gegen schwere Feindpanzer waren<br />
auch die 7,5-cm-Kanonen einzeln wirkungslos.<br />
Der geringe Angriffsgeist der<br />
Franzosen und die Verzettelung im Ansatz<br />
der Feindpanzer glichen diesen Mangel unsererseits<br />
völlig aus. Die 8,8-cm-FlaK hat sich<br />
zur Abwehr von Feindpanzern hervorragend<br />
bewährt (...).<br />
Bei dem Kampf Panzer gegen Panzer waren<br />
die hierzu eingesetzten eigenen Panzer<br />
dem Feind nach kurzem Feuergefecht stets<br />
überlegen. Dies ist auf folgende Gründe zurückzuführen:<br />
1. Unsere Waffen haben eine sehr hohe Treffsicherheit,<br />
auch auf mittlere Entfernungen.<br />
INFO<br />
Technische Daten<br />
PzKpfw II Ausf. A PzKpfw III Ausf. E PzKpfw IV Ausf. D PzKpfw 38 (t) Renault R-35 Somua S-35<br />
Gewicht 8,9 t 19,5 t 20 t 9,7 t 9,8 t 20 t<br />
Motorleistung Otto 140 PS Otto 265 PS Otto 265 PS Otto 125 PS Otto 82 PS Otto 190 PS<br />
Leistungsgewicht 16 PS/t 13,6 PS/t 13,2 PS/t 12,8 PS/t 8,4 PS/t 9,5 PS/t PzKp<br />
Besatzung 3 5 5 4 2 3 Aus<br />
Bodenfreiheit 0,35 m 0,38 m 0,40 m 0,40 m 0,32 m 0,42 m PzKpf<br />
Bodendruck 0,73 kg/cm² 0,92 kg/cm² 0,83 kg/cm² 0,57 kg/cm² 0,86 kg/cm² 0,85 kg/cm² Aus<br />
Höchstgeschwindigkeit 39,5 km/h 67,1 km/h 42 km/h 42 km/h 19 km/h 37 km/h PzKpf<br />
Max. Panzerung Front 35 mm 30 mm 30 mm 25 mm 32 mm, Turm 45 mm 35 mm, Turm 55 mm Ausf<br />
Hauptbewaffnung 2 cm 3,7 cm L/45 7,5 cm L/24 3,7 cm L/48.7 37 mm L/21 47 mm L/32<br />
PzKpf<br />
Max. Durchschlag 500 m 20-25 mm 64 mm mit PzGr 40 38 mm 64 mm 19 mm 33 mm (t<br />
Max. Durchschlag 1000 m 0 31 mm mit PzGr 40 35 mm 33 mm 0 26 mm Renau<br />
30
„Glu?cksgriff“ tschechische Panzer<br />
Foto: Sammlung Anderson<br />
CHAR B1 bis<br />
47-mm-Kanone im<br />
Turm zur Panzerbekämpfung<br />
75-mm-Kanone im Bug<br />
zur Feuerunterstützung<br />
Starker 60 mm<br />
Frontpanzer<br />
Mobilität ausreichend dank breiter Ketten<br />
Kommandant ist überfordert,<br />
da allein im Turm<br />
Turm in Gussbauweise,<br />
45 bis 55 mm<br />
Panzerung<br />
Seite und Heck 55 mm stark gepanzert,<br />
sehr gutes Schutzniveau<br />
2. Unsere Waffen haben eine sehr hohe Feuergeschwindigkeit.<br />
3. Der Einsatz der PzKpfw III und IV hatte<br />
selbst bei Feindpanzern, die nicht durchschlagen<br />
wurden, durch die dauernden<br />
Treffer solche moralische Wirkung, dass<br />
die Feindbesatzungen erschüttert meistens<br />
die weiße Flagge hissten.<br />
4. Die Führung und die Kampfmoral der eigenen<br />
Besatzungen war der der Feindpanzer-Besatzungen<br />
weit überlegen.<br />
5. Die Geschwindigkeit und Wendigkeit der<br />
eigenen Panzer war größer als die der<br />
feindlichen.<br />
Nachteilig wirkte sich die zu schwache Panzerung<br />
unserer Kampfwagen und die zu geringe<br />
Durchschlagskraft der 3,7- und 7,5-cm-<br />
Granate aus. Abhilfe: Einführung einer 5-cm-<br />
Waffe mit Sondermunition für Panzer III und<br />
einer Sondermunition für Panzer IV (...).<br />
Die feindlichen Panzerabwehr-Waffen erwiesen<br />
sich als äußerst wirkungsvoll. Die<br />
2,5-cm-PaK durchschlug auf Entfernungen<br />
unter 300 m alle deutschen Panzer, ebenso<br />
die seltener auftretende 4,7-cm-PaK, die jedoch<br />
schon auf weitere Entfernungen panzerbrechend<br />
wirkte...“<br />
Rommels 7. Panzerdivision war, wie auch<br />
die 6. und 8., mit tschechischem Gerät ausgerüstet.<br />
Da der Ausstoß an diesen Panzern<br />
nicht ausreichte, führt die Division <strong>1940</strong> neben<br />
91 PzKpfw 38 (t) als Hauptkampfpanzer<br />
noch 34 PzKpfw I, 68 PzKpfw II und zudem<br />
24 PzKw IV.<br />
Bewährter Panzer aus Tschechien<br />
Zum Erfolg des PzKpfw 38 (t) merkt die<br />
Division in einem Erfahrungsbericht vom<br />
14. Juli <strong>1940</strong> an:<br />
„Der deutsche Panzerwagen verfügt über<br />
gute Bewaffnung und gute Optik. Er scheint<br />
in dieser Beziehung sowohl dem französischen<br />
wie dem englischen Panzerwagen<br />
überlegen zu sein. Die Division hat auch den<br />
Eindruck, dass der deutsche Wagen schneller<br />
als der französische oder englische ist.<br />
Vielleicht wird aber dieser Schluss nur daraus<br />
gezogen, dass die Panzerangriffe bei<br />
der Division nur mit höchstmöglicher Geschwindigkeit<br />
gefahren wurden (...).“<br />
Diese Panzer aus tschechischer Produktion<br />
sind ein „Glücksgriff“ für die Deutschen.<br />
Und auch für Rommel, dessen betont schneidiger<br />
Angriffsstil nicht nur den Gegner wiederholt<br />
zur Verzweiflung treibt, sondern ihm<br />
auch harschen Tadel von den beteiligten Infanterieverbänden<br />
einbringt, die seinem<br />
Tempo nicht folgen können.<br />
Die 9. Pz.Div. fasst in ihrem Bericht zum<br />
Frankreich-Feldzug am 27. Juli <strong>1940</strong> zusammen:<br />
„Die feindlichen Panzer haben sich wegen<br />
ihrer geringen Geschwindigkeiten,<br />
schlechten Richtmitteln und der damit verbundenen<br />
mangelnden Treffgenauigkeit<br />
nicht als überlegen gezeigt.“<br />
Diese Einschätzung seitens des Siegers ist<br />
sicherlich nachvollziehbar, jedoch kennen<br />
die verantwortlichen Militärs die Realitäten.<br />
Die deutsche Panzerwaffe ist <strong>1940</strong> noch weit<br />
von den von ihnen gestellten Forderungen<br />
hinsichtlich der Stückzahlen und der Qualität<br />
der Ausrüstung entfernt.<br />
Die Leistungsdaten der alliierten schweren<br />
Panzer, aber auch der Panzerabwehrkanonen<br />
erweisen sich im Kampf mit den deutschen<br />
Panzern in einzelnen Bereichen als<br />
besser.<br />
Es zeigt sich aber auch, dass der menschliche<br />
Faktor nicht hoch genug eingeschätzt<br />
werden kann. Kampfgeist und Ausbildung<br />
und vor allem die Qualität der Führung auf<br />
allen Ebenen erweisen sich auf deutscher<br />
Seite als klar überlegen.<br />
Auch die zielführende Organisation der<br />
Panzertruppe und aller beteiligten Teileinheiten<br />
ist beim deutschen Vorstoß durch<br />
Frankreich bis nach <strong>Dünkirchen</strong> der des<br />
Gegners eindeutig überlegen.<br />
Thomas Anderson, Thomas Anderson, Jg. 1958, ist<br />
als freier Autor tätig und arbeitet für verschiedene<br />
Zeitschriften und Verlage im In- und Ausland.<br />
Außerdem unterstützt er namhafte Modellbau-Hersteller<br />
als Fachberater.<br />
Char B1 bis Cruiser Mk II A Cruiser Mk III Infantry Tank Mk II<br />
32 t 14,5 t 14,2 t 26 t<br />
Otto 300 PS Otto 150 PS Otto 340 PS 2 x 94 PS<br />
fw II 9,4 PS/t 10,3 PS/t 24 PS/t 7,2 PS/t<br />
f. A 4 5 4 4<br />
w III 0,45 m 0,44 m 0,44 m 0,48 m<br />
f. E 0,85 kg/cm² 0,94 kg/cm² 0,94 kg/cm² 1,12 kg/cm²<br />
w IV 28 km/h 28,7 km/h 48,3 km/h 24,1 km/h<br />
. D 60 mm, Turm 55 mm 30 mm 14 mm 78 mm<br />
w 38<br />
75 mm L/17 Wanne<br />
47mm L/32 Turm<br />
40 mm L/52 dto. dto.<br />
) dto., 7,5 cm unbek. 57 mm dto. dto.<br />
lt R- dto., 7,5 cm unbek. 40 mm dto. dto.<br />
GETROFFEN: Der R-35 ist ein leichter, jedoch gut gepanzerter<br />
Kampfwagen. Dieser R-35 erhielt einen Treffer am Turm.<br />
Im Hintergrund steht ein R-40, erkennbar am modifizierten<br />
Laufwerk und der längeren 37-mm-Kanone. Foto: Anderson<br />
Clausewitz 5/2013<br />
31
Militär und Technik<br />
POPULÄRE DARSTELLUNG:<br />
Ein Ritter in voller Rüstung<br />
mit einer „Ritterburg“ im<br />
Hintergrund.<br />
Zeichnung: Andrea Modesti<br />
32
Burgen des Mittelalters<br />
Die Adelsburg<br />
18./19. Jahrhundert:<br />
Der Begriff „Ritterburg“ entstammt<br />
dem verklärten Mittelalterbild<br />
der Romantik.<br />
Die heutige Burgenforschung<br />
sagt „Adelsburg“ und meint<br />
damit einen wehrhaften,<br />
repräsentativen Adelswohnsitz<br />
des 11. bis 15. Jahrhunderts.<br />
Von Michael Losse<br />
Es existieren Sonderformen, die eher<br />
„Militärbauten” sind als Adelsburgen,<br />
zum Beispiel Kreuzfahrer-, Trutz- und<br />
Belagerungsburgen. Die Adelsburgen selbst<br />
sind Wohnsitze von Familien, deren Herrschaftsbasis<br />
Grundbesitz und Lehen bilden.<br />
Die Burg ist Zentrum ihrer Politik und Verwaltung,<br />
sie „besetzt” das Umland optisch<br />
und zeigt, wer herrscht. Die Burgenkunde<br />
des 19. Jahrhunderts sieht Burgen als oft umkämpfte<br />
Wehrbauten, die ihr Umland militärisch<br />
„beherrschen”. Im Zentrum heute stehen<br />
vielmehr die symbolische Funktion der<br />
Bauten sowie ihre Bedeutung im jeweiligen<br />
geographisch-historischen Umfeld.<br />
Burgen im Frühmittelalter<br />
(8. bis 11. Jahrhundert)<br />
Schon vor den Adelsburgen gibt es Burgen:<br />
Für das 8. bis 10. Jahrhundert sind über 1.000<br />
Großburgen (ein bis fünf Hektar und mehr)<br />
in Deutschland bezeugt. Sie entstehen aufgrund<br />
von Thronstreitigkeiten, Adelsaufständen,<br />
Fehden und Invasionen (Normannen,<br />
Sachsen, Slawen, Ungarn). Spätestens<br />
ab der Karolingerzeit steht das Recht, Burgen<br />
und Befestigungen zu bauen oder zu genehmigen<br />
dem König zu. Karl der Kahle befiehlt<br />
864 für sein Westfrankenreich, illegal<br />
erbaute Burgen abzureißen. Letztlich haben<br />
die Könige aber kaum Mittel, den Adel zu<br />
kontrollieren. Das Burgbaurecht übertragen<br />
Könige an Herzöge und Markgrafen.<br />
als Wehrbau<br />
VOLLER KLISCHEES: Dieses Schulbild<br />
(19. Jahrhundert) einer „Ritterburg im XIII.<br />
Jahrhundert“ vereinigt spätmittelalterliche<br />
(15. Jhd.) und<br />
romantische (19. Jhd.)<br />
Elemente.<br />
Abb.: Lehmann’s<br />
kulturhistorische Bilder<br />
Im 8. bis 11. Jahrhundert erbaute Burgen<br />
nennt man oft fälschlich „Wallburg” oder<br />
„Ringwall”, weil verfallene Ringmauern wie<br />
Wälle wirken. Zwar gibt es Befestigungen<br />
aus geschichteter Erde, doch häufig sind<br />
Umwallungen im Frühmittelalter durch<br />
Holzpfosten und Steinkonstruktionen stabilisiert.<br />
Vermittelt durch die Franken und ihre<br />
Kenntnis antiker Bauten setzt sich die<br />
Technik des Mörtelmauerwerks durch. Zum<br />
Schutz der Tore haben diese teils überlappende<br />
Mauerenden, oft mit Holzaufbauten.<br />
Häufig in karolingischer (800–911) und ottonischer<br />
Zeit (919–1024) sind Zangentore mit<br />
viertelkreisförmig nach innen abbiegenden<br />
Mauern. Flankierende Wehrplattformen<br />
kommen ab dem 10. Jahrhundert vereinzelt<br />
vor. Innenbebauungen bestehen aus eingeschossigen<br />
Holzbauten, Pfosten- und Grubenhäusern<br />
– neben Wohn- und Speicherbauten<br />
auch Handwerks- und Handelsbauten.<br />
Großburgen sind Wehr-, Schutz- und<br />
Verwaltungsbauten, Handels- und Wirtschaftszentren,<br />
Produktions- und auch<br />
Münzstätten, Orte der Rechtsprechung, Versammlung<br />
und kirchlichen Organisation.<br />
Mancherorts findet man in der Nähe auf Höhen<br />
erbauter Großburgen einen Herrenhof<br />
(lat. curtis) im Tal.<br />
Entgegen früherer Ansicht sind wenige<br />
frühmittelalterliche Burgen Refugien, die<br />
nur bei Gefahr aufgesucht werden. Die meisten<br />
sind dauerhaft besiedelt und auf Initiative<br />
oder mit Genehmigung der Könige entstanden,<br />
insbesondere im Grenzgebiet zu<br />
den feindlichen Sachsen. Gegen Ende des<br />
Frühmittelalters nutzen Dynastenfamilien<br />
vielfach ihnen anvertraute Burgen für eigene<br />
Zwecke.<br />
Im 8. Jahrhundert entstehen einzelne mittelgroße<br />
Bauten und bald darauf erste kleine<br />
Höhenburgen, die mit Ringmauer und<br />
Wohnturm schon Eigenschaften hochmittelalterlicher<br />
Adelsburgen zeigen.<br />
Turmburg und Motte<br />
(9. bis 11. Jahrhundert)<br />
Noch im 10./11. Jahrhundert wohnen die<br />
meisten Adeligen auf Herrenhöfen. Umgeben<br />
von Palisaden stehen dort eingeschossige,<br />
ein- bis zweiräumige Holz- oder<br />
Steinhäuser mit ebenerdigen Eingängen.<br />
Schwäche der königlichen Zentralgewalt,<br />
Unsicherheit im Reich<br />
und wachsender Repräsentationswille<br />
führen dazu, dass um 900<br />
Dynasten verstärkt Wohnsitze auf<br />
Höhen bauen. Aus der Wende<br />
vom 9. zum 10. Jahrhundert stammen<br />
älteste erforschte adelige Höhenburgen.<br />
Um 1000 existieren<br />
viele Adelsburgen als repräsentativ-wehrhafte<br />
Wohnsitze. Anfangs<br />
sind Höhenburgen<br />
quasi auf Höhen versetzte<br />
Herrenhöfe, wie<br />
Burg Salbüel/CH, deren<br />
hölzerne Gebäude<br />
dem späten 10. bis<br />
12. Jahrhundert<br />
entstammen: Eine<br />
Palisade umgibt<br />
oval ein Hallenhaus,<br />
Clausewitz 5/2013<br />
33
Militär und Technik | Burgen des Mittelalters<br />
IMPOSANTER HAUPTTURM: Dieser Bergfried mit Hocheingang gehört<br />
zur Niederburg in Manderscheid (Rheinland-Pfalz). Foto: Michael Loose<br />
MASSIV: Dieser Wohnturm gehört zur Burg Lehmer Hof (Mosel) und<br />
stammt aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Foto: Michael Loose<br />
ein Grubenhaus und Nebengebäude. Um<br />
1000 entstehen Burgen mit steinernem<br />
Wohnturm, der einen Hocheingang im ersten<br />
Obergeschoss besitzt. Die meist quadratischen<br />
Türme (teils über zwölf Meter Seitenlänge,<br />
zwei bis drei Meter Mauerstärke) werden<br />
zu Symbolen adeligen Wohn- und<br />
Wehrbaus im salischen Zeitalter (1024–1125).<br />
Den Wohnturm und weitere Bauten umgibt<br />
eine polygonale Ringmauer. Etwa zeitgleich<br />
wie die Turmburg verbreitet sich die Motte<br />
(frz. la motte: Hügel). Den künstlich aufgeworfenen<br />
Hügel, der einen Wohnturm aus<br />
Holz, geschützt durch Palisaden, trägt, umgibt<br />
ein Wassergraben. Wahrscheinlich verbreitet<br />
sich die Motte von Frankreich ab dem<br />
10./11. Jahrhundert in Teilen Europas. Motte<br />
und Turmburg verfügen über eine Vorburg<br />
mit Wirtschaftsbauten. Das Grundmodell<br />
der Adelsburg ist ausgeprägt.<br />
Burgen im Hochmittelalter<br />
(11. bis 13. Jahrhundert)<br />
Neben dem Hochadel sind ab dem 11. Jahrhundert<br />
Edelfreie, Niederadelige und Ministeriale<br />
die Bauherren: Der Ritterstand zeigt<br />
seinen gesellschaftlichen Rang durch eine<br />
Burg als Statussymbol. Bauten aufstrebender<br />
Ministerialen der Stauferzeit gleichen teils<br />
Grafenburgen. Bauplätze sind Berggipfel<br />
oder -sporne; im Flachland entstehen Wasserburgen.<br />
Burgberge sind meist baumlos:<br />
Bewuchs erleichtert feindliche Annäherung<br />
und beeinträchtigt die Fernwirkung des<br />
HINTERGRUND<br />
Der Adel ist Hauptträger des Burgenbaues. Im<br />
Fränkischen Reich haben Grafen zivile und militärische<br />
Aufgaben. Als „Beamte” setzt sie<br />
der König in ihr Amt ein, das dann vererbt werden<br />
kann. Als das karolingische Königtum an<br />
Macht verliert, gelingt es einigen Hochadelsfamilien,<br />
das Grafenamt über Generationen zu<br />
behaupten.<br />
Bis zum 11. Jahrhundert entwickelt sich aus<br />
den Edelfreien der Reichsadel, den der König<br />
zu Diensten heranzieht. Mit Inanspruchnahme<br />
von Hoheitsrechten und ihrer Weitergabe in einer<br />
Familie entsteht eine kleine Gruppe von<br />
Dynastengeschlechtern, deren Angehörige princeps<br />
(Fürst) genannt werden. Ab etwa 1180<br />
existiert ein Reichsfürstenstand. Um 1250 gibt<br />
es 38 Fürsten. Kaiser Friedrich II. erlässt die<br />
Fürstengesetze (1220, 1231), die den Verzicht<br />
des Königtums auf wichtige Hoheitsrechte<br />
(Geleit-, Münz-, Zollregal) zugunsten kirchlicher<br />
Bauwerks. Für letztere ist die Farbigkeit der<br />
Gebäude bedeutend. Wenige hochmittelalterliche<br />
Burgen zeigen noch die Gesamtstruktur<br />
der Bauzeit. Oft lässt der Grundriss<br />
der Kernburg die Entstehung im Hochmittelalter<br />
erkennen: oval oder polygonal.<br />
Prägnantes Herrschaftssymbol ist der<br />
Bergfried, der dominierende Hauptturm; er<br />
löst den Wohnturm ab. Erste Bergfriede entstehen<br />
in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Daneben<br />
ist der Wohnbau oder Palas Bestandteil<br />
der Adelsburg; letzterer enthält Wohnräume<br />
und einen Saal. Eine Ringmauer beziehungsweise<br />
die einzelnen Gebäude verbindende<br />
Wehrmauern umschließen die<br />
Burg. Ein Mauertor, ein mehr oder weniger<br />
wehrhafter, repräsentativer Torbau oder ein<br />
Torturm mit Kapelle über der Durchfahrt bilden<br />
den Zugang. Äußere Gräben sichern die<br />
Burg zusätzlich, mancherorts zudem das Gebück,<br />
ein Hindernis aus verflochtenen (Dornen-)Hecken.<br />
Selten erlaubt das Baugelände<br />
Wer baut Adelsburgen?<br />
und weltlicher Reichsfürsten bringen. Das Befestigungsrecht<br />
mit Burgen- und Städtebau<br />
geht de jure vom König auf die Fürsten über.<br />
Wichtige Träger ritterlich-höfischer Kultur in<br />
Deutschland sind Ministeriale – ursprünglich<br />
meist Unfreie –, die im Verwaltungs-, Kriegsund<br />
Hofdienst höherrangiger Herren stehen<br />
und später teils in den Adel aufsteigen. Nachdem<br />
in Urkunden Edelfreie (nobiles) und Ministerialen<br />
(ministeriales) unterschieden werden,<br />
findet sich ab dem 13. Jahrhundert zunehmend<br />
der Begriff miles (Ritter, Krieger) für beide.<br />
Die Grenzen verschwimmen, da Edelfreie<br />
in die Ministerialität eines Grafen oder Reichsfürsten<br />
eintreten und ihnen der Dienst für den<br />
Dynasten größere soziale Sicherheit bringt.<br />
Mit dem Zerfall der königlichen Zentralgewalt<br />
beginnt im 10./11. Jahrhundert die eigentliche<br />
Phase der Adelsburg, die zwischen dem<br />
14. und 16. Jahrhundert endet.<br />
34
Verfall vieler Burgen im Spätmittelalter<br />
WEHRHAFT: Der Pulverturm in Andernach entsteht Ende des 15. Jahrhunderts<br />
und dient als Verstärkung der Stadtmauer. Foto: Michael Loose<br />
GIGANTISCH: Blick auf den Bergfried der Godesburg. Bergfriede<br />
sind weithin sichtbare Symbole der Herrschaft. Foto: Michael Loose<br />
„Burgen sind Natur und Geschichte in einem. Ihre<br />
Anwesenheit steigert die Landschaft und verwandelt<br />
sie zur Szenerie. Die Synthese von Natur und<br />
Menschenwerk wird immer die heimliche Liebe aller<br />
jener Seelen haben, die nicht in einem engen<br />
Rationalismus erstarrt sind.”<br />
José Ortega y Gasset, 1883–1955, spanischer Philosoph, Soziologe, Essayist<br />
bei Höhenburgen eine symmetrische Struktur;<br />
meist ist der Grundriss dem Gelände angepasst.<br />
Der größte Teil der Burgbauten ab dem<br />
12. Jahrhundert resultiert aus der zunehmenden<br />
Bedeutung der Burgenpolitik als Mittel<br />
zum Ausbau der Territorien weltlicher und<br />
geistlicher Reichsfürsten. Was eine Burg sei,<br />
definierten Rechtsbücher, schriftlich fixierte<br />
Sammlungen älterer Gesetze (Sachsen- und<br />
Schwabenspiegel). In ihnen ist festgelegt,<br />
wie tief beispielsweise ein Graben, wie hoch<br />
eine Ringmauer sein darf.<br />
Burgen im Spätmittelalter<br />
(13. bis 15. Jahrhundert)<br />
Bis Anfang des 15. Jahrhundert baut der<br />
Hochadel Burgen, um seine territoriale Herrschaft<br />
zu festigen. Burgen dienen nicht mehr<br />
dem Reich, sie sind Stützpunkte aufstrebender<br />
Partikulargewalten. Nach Konsolidierung<br />
der Territorien besteht kaum noch die<br />
Notwendigkeit zum Burgenbau. In der Silhouette<br />
prägen höhere Türme nun die Burg.<br />
Der Ringmauer werden Zwinger hinzugefügt,<br />
die eine zusätzliche Verteidigungslinie<br />
bilden. Zu den Zwingern gehören vielfach<br />
Flankierungstürme.<br />
In manchen Regionen entstehen nun wieder<br />
markante Wohntürme.<br />
FRANKREICHEXPORT:<br />
Dieses Schema einer Motte<br />
ist einer Darstellung auf<br />
dem Wandteppich von<br />
Bayeux (spätes 11. Jhd.)<br />
entnommen.<br />
Abb.: Piper<br />
Ein prägendes Element mancher Burg ist<br />
die Schildmauer, die bei Hanglage Schutz<br />
gegen Beschuss mit Wurfmaschinen von der<br />
Berg- oder Angriffsseite bietet. Separat stehend<br />
oder in die Ringmauer eingebunden,<br />
unterscheidet sie sich von jener durch Höhe<br />
und Stärke. Sie bietet anfangs nur Deckung<br />
und einen Wehrgang; erst ab dem 14. Jahrhundert<br />
wird sie verstärkt ein Defensivbau,<br />
indem sie Schießkammern erhält und sich<br />
mit Verbreitung der Feuerwaffen zur Geschützschildmauer<br />
wandelt. Manche Burgen<br />
kombinieren Schildmauer und Bergfried.<br />
Im 14./15. Jahrhundert beginnt das Burgensterben;<br />
rund 50 Prozent der um 1300<br />
bestehenden Burgen werden endgültig aufgegeben.<br />
Ursachen sind wirtschaftlicher<br />
Niedergang der Ritter nebst baulicher Vernachlässigung<br />
und politischer Druck expandierender<br />
Territorialherren. Zudem verliert<br />
die Burg als standesgemäße Behausung des<br />
Adels ab dem 15. Jahrhundert an Bedeutung<br />
gegenüber den Schlössern mit höherem<br />
Wohnkomfort. Auch tragen Zerstörungen<br />
von Burgen in Krieg und Fehde zum<br />
Burgensterben bei, so der Feldzug<br />
schwäbischer Städte gegen Adelige<br />
im Hegau 1441/42, der Schweizerkrieg<br />
1499 und der Bauernkrieg<br />
1524/25. Man muss<br />
hierbei unterscheiden, ob<br />
Angreifer die Absicht<br />
hatten Wehrbauten<br />
auszuschalten oder<br />
Clausewitz 5/2013<br />
35
Militär und Technik | Burgen des Mittelalters<br />
HINTERGRUND<br />
Kastellburgen französischen Typs (13./14. Jh.)<br />
VERTEIDIGUNGSTECHNIK: Über dem Tor<br />
sind Wurferker angebracht um es gegen heranstürmende<br />
Feinde besser schützen zu<br />
können.<br />
Foto: Michael Loose<br />
lediglich Machtsymbole zerstören wollten,<br />
um dem Selbstverständnis des Gegners einen<br />
Schlag zu versetzen.<br />
Viele Burgen sind Anfang des 16. Jahrhunderts<br />
baufällig oder Ruinen, doch bleiben<br />
einstige Burgstandorte – Burgstall genannt<br />
– wichtig, da Einkünfte, Rechte und<br />
Privilegien weiterhin daran gebunden sind.<br />
Angriff, Belagerung,<br />
Verteidigung<br />
Berichte über Burgbelagerungen liegen aus<br />
dem 10./11. Jahrhundert vor; sie sind auch<br />
auf dem Wandteppich von Bayeux (11. Jh.)<br />
dargestellt, der Englands Eroberung durch<br />
die Normannen zeigt. Seit dem späteren<br />
11. Jahrhundert gibt es zunehmend Berichte<br />
über Belagerungen. Zahlreich sind sie im<br />
Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen<br />
Neuzeit.<br />
Psychologische Faktoren gehören zu<br />
wichtigen Aspekten jeder Belagerung: Oft ergeben<br />
sich Belagerte, obwohl Waffen und<br />
Proviant vorhanden sind. Ungewissheit über<br />
Angriffe oder die Angst, ausgehungert zu<br />
werden, sind Gründe dafür. Stark variiert die<br />
Dauer von Belagerungen. Die Verteidiger der<br />
Die Grundrisse früh- und hochmittelalterlicher<br />
Burgen sind dem Gelände angepasst,<br />
im Spätmittelalter gibt es die Tendenz zu<br />
kompakten Burgen. Ein neuer architektonischer<br />
Typ ist die Repräsentation und Wehrhaftigkeit<br />
kombinierende Kastellburg: Mit<br />
runden Flankierungstürmen wird sie zur Zeit<br />
König Philippes II. Auguste von Frankreich<br />
(1180–1224) ein königlicher Burgentyp, den<br />
der Adel kopiert. Bedeutende Beispiele sind<br />
Kastellburgen Friedrichs II. (1212–1250) in<br />
Süditalien und Sizilien und englische Königsburgen<br />
in Wales (letztes Viertel 13. Jh.).<br />
In Deutschland sind Lahr (1218/25) und<br />
Neuleiningen (1238/41) frühe Kastellburgen.<br />
Ende des 15. Jahrhundert entstehen<br />
frühe Festungen als steinerne rechteckige<br />
Kastelle mit runden Ecktürmen.<br />
REKONSTRUKTIONSVERSUCH: Diese<br />
Zeichnung der Wasserburg Lahr zeigt eine<br />
Kastellburg der Stauferzeit. Abb.: List<br />
EFFEKTIVE WAFFE:<br />
Einsatz einer Blide<br />
beim Kampf um eine<br />
Burg. Umzeichnung<br />
einer hochmittelalterlichen<br />
Darstellung.<br />
Abb.: Piper<br />
Burg Nannstein übergeben jene 1523 nach<br />
neun Tagen; die Besatzung der Burg Rheinsberg<br />
hält sich 1279/80 fast ein Jahr, die der<br />
Burg Thurant 1246–48 fast zwei Jahre.<br />
Mittelalterliche Burgbelagerungen lassen<br />
sich mit neuzeitlichem Strategiedenken nicht<br />
erklären. Zwar sind Okkupations- und Garnisonsburgen<br />
ebenso wie befestigte Städte Militärstützpunkte.<br />
Anders die Adelsburg: Beim<br />
Angriff gilt es weniger, sie als Stützpunkt zu<br />
gewinnen, als vielmehr an sie gebundene<br />
Rechte zu erlangen oder Herrschaftsstrukturen<br />
der Gegner auszuschalten. Symbolwert<br />
hat das Burgenbrechen: Die Burgruine im<br />
Landschaftsbild ist Zeichen für die Macht der<br />
Sieger, etwa als Eidgenossen im Schweizerkrieg<br />
1499 das Burgenbrennen praktizieren.<br />
Bei einer Belagerung kommen, je nach<br />
Größe und Bedeutung der Burg sowie Stärke<br />
und Ausstattung der Angreifer, verschiedenste<br />
Geräte zum Einsatz. Neben Armbrust<br />
und Bogen (mit Brandpfeilen), Sturmleitern<br />
und Brandsätzen gibt es Antwerk genannte<br />
Belagerungsgeräte, darunter Katzen (fahrbare<br />
Holzhütten zur gedeckten Annäherung,<br />
durch feuchte Häute oder Bleche gegen<br />
Brandgeschosse der Verteidiger geschützt).<br />
Im Schutz der Katze kann die Burgmauer beschädigt<br />
oder zerstört werden. Ist der Graben<br />
überwunden, kommt Stoßzeug zum<br />
Einsatz, etwa der Rammbock (Widder) mit<br />
einem waagerecht aufgehängten, an der<br />
Spitze eisenbeschlagenen Balken, der gegen<br />
ABGESICHERT: Die Nürburg umgeben<br />
mehrere Verteidigungswälle<br />
und schützen sie somit gut gegen<br />
Angreifer. Foto: Michael Loose<br />
36
Mit Eisenkugeln gegen Steinmauern<br />
TRUTZBURG: Blick von der Burg Eltz auf die<br />
Burg Trutzeltz, die während der Belagerung<br />
in den 1330er-Jahren erbaut wird.<br />
Foto: Michael Klehm<br />
ABGEBRANNT: Von der einstmals prächtigen<br />
Höhenburg Küssaburg ist nur noch eine Ruine<br />
erhalten. Die Ostseite (Bild) ist aber immer<br />
noch sehr beeindruckend. Foto: Michael Loose<br />
ALLES IM BLICK: Eine gute Aussicht auf das<br />
Umland bietet sich vom Doppelturm der Kasselburg.<br />
Zinnen gewähren dem Verteidiger<br />
Schutz gegen Fernwaffen. Foto: Michael Loose<br />
die Mauer geschwungen wird. Zur Mauerzerstörung<br />
wird Wurfzeug (Blide, triboc)<br />
eingesetzt, das 25–75 Kilogramm schwere<br />
Steinkugeln 300–500 Meter weit schleudert.<br />
Außer Steinen verschießt man Bienenkörbe,<br />
Aas, Leichen oder Abfälle, um Krankheiten<br />
zu verursachen und die Verteidiger zu demoralisieren.<br />
Bei der Belagerung von Karlstein<br />
1422 bringen Hussiten Kloakenkot aus<br />
Prag und schleudern ihn in die Burg. Mit ungelöschtem<br />
Kalk wird versucht, die Infektionsgefahr<br />
zu reduzieren. Bisweilen werden<br />
Bergleute zum Bau von Belagerungsstollen<br />
eingesetzt: Hohlräume, von außen unter die<br />
Burg getrieben, bringt man zum Einsturz,<br />
um Mauern und Gebäude zu zerstören.<br />
In Mitteleuropa selten sind hölzerne, fahrbare<br />
Belagerungstürme. Sie kommen bei großen<br />
Belagerungen zum Einsatz, um Verteidiger<br />
aus überhöhter Stellung zu bekämpfen.<br />
Bei langen Belagerungen erbauen Angreifer<br />
in Sicht- und Schussweite Trutzburgen aus<br />
Holz und Erde (Thurant/Mosel 1246–1248)<br />
oder als Steinburg (Trutzeltz vor Burg Eltz<br />
1331–1336). Aus Belagerungsburgen können<br />
belagerte Burgen beschossen werden, etwa<br />
mit Bliden, wie Namen belegen (Bleidenberg<br />
bei Thurant/Mosel; Blideneck bei Rheinberg).<br />
Erste Belege für Feuerwaffen in Europa<br />
stammen aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts;<br />
1331–1336 wird Burg Eltz mit<br />
Literaturtipps<br />
Deutsche Burgenvereinigung (Hg.): Burgen in<br />
Mitteleuropa. Stuttgart 1999.<br />
Großmann, G. Ulrich (Hg.): Mythos Burg.<br />
Dresden 2010.<br />
Losse, Michael: Kleine Burgenkunde.<br />
Euskirchen 2011.<br />
Reclam – Wörterbuch der Burgen, Schlösser<br />
und Festungen. Stuttgart 2004.<br />
Zeune, Joachim: Burgen. Symbole der Macht.<br />
Regensburg 1996.<br />
HART UMKÄMPFT: Während des Dreißigjährigen Krieges wird die Festung Hohentwiel 1641<br />
belagert und beschossen. Kupferstich von 1643.<br />
Abb.: Merian<br />
Pfeilbüchsen beschossen. 1334 übersteht<br />
Meersburg eine vierzehnwöchige Belagerung.<br />
Größer als die Sachschäden ist die psychologische<br />
Wirkung der kaiserlichen Geschütze:<br />
Eine Chronik berichtet, es „vilent<br />
von dem harten Ton vil menschen halbtod<br />
und onmächtig um“. 1378 werden neben<br />
Wurfmaschinen große Steinbüchsen gegen<br />
Burg Mägdeberg eingesetzt. 1399 wird Burg<br />
Tannenberg mit Artillerie zerstört. Eisenkugeln<br />
kommen um 1415 auf. Die Möglichkeit,<br />
mit Kanonen schwere Kugeln mit bis dahin<br />
unbekannter Kraft und Zielgenauigkeit zu<br />
verschießen, befähigt Angreifer nun, Mauern<br />
zu zerstören. Es wird versucht, Burgen<br />
anzupassen, oft mit improvisierten Anlagen<br />
zur Verteidigung mit und gegen Feuerwaffen<br />
(Plattformen, Erker). Schlitzscharten<br />
(Schießscharten für Bogen und Armbrust)<br />
werden zu Schlüsselscharten für Büchsen<br />
umgestaltet. In der zweiten Hälfte des 15.<br />
Jahrhundert entstehen Geschütztürme. Um<br />
sich gegen Beschuss zu sichern, werden die<br />
Gräben verbreitert. Stärkere Mauern sind Reaktionen<br />
auf mauerbrechende Feuerwaffen.<br />
Eine wichtige Verteidigungswaffe bleiben<br />
bis ins 17. Jahrhundert Wurfsteine. Auch<br />
Dachziegel, Balken et cetera sind bei entsprechender<br />
Abwurfhöhe tödliche Geschosse.<br />
Dr. Michael Losse, Jg. 1960, ist Historiker, Kunsthistoriker,<br />
Burgen- und Festungsforscher. 1987–1997 im<br />
Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte,<br />
Universität Marburg; 1997–1999 Lehrstuhlvertreter<br />
an der Universität Kaiserslautern;<br />
1997–2006 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft<br />
für Festungsforschung. Freier Dozent, Gutachter, Publizist.<br />
Mitglied mehrerer Wissenschaftlicher Beiräte (u.a.<br />
Deutsche Burgenvereinigung; EUROPA NOSTRA Scientific<br />
Council). Autor zahlreicher Fachbücher und Artikel<br />
über Burgen, Schlösser, Festungen.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
37
Der Zeitzeuge<br />
ERSTE GASANGRIFFE:<br />
Hermann Föller (stehend,<br />
2. v. links), 1915.<br />
In den kleinen Taschen<br />
an der linken Schulter<br />
befinden sich präparierte<br />
Tücher, die bei Gasangriffen<br />
zum Schutz über<br />
Nase und Mund gezogen<br />
werden. Später erhalten<br />
die Soldaten recht<br />
schnell Gasmasken.<br />
Feldpost eines Badischen Leib-Grenadiers 1914–1917<br />
31 Monate Front.<br />
919 Tage im Graben.<br />
360 Feldpostbriefe.<br />
1914–1917: Ein junger Mann, draußen auf dem mörderischen Schlachtfeld, hält Verbindung<br />
zur Familie. Am Ende holt ihn der Tod. Was bleibt sind zahlreiche Briefe und Feldpostkarten.<br />
Von Susanne Asoronye<br />
38
Alle Fotos: Susanne Asoronye<br />
Die Auseinandersetzung mit der jüngeren<br />
Vergangenheit – Hitler und dem<br />
Holocaust – ließ dem kollektiven Gedächtnis<br />
nur wenig Raum für die „Urkatastrophe<br />
des beginnenden 20. Jahrhunderts“.<br />
Der Erste Weltkrieg – das bedeutete Gemetzel,<br />
Grauen und Tod im Graben und bescherte<br />
unvorstellbares Leid. Fast 70 Millionen Soldaten<br />
wurden in den Kampf geschickt und<br />
rund neun Millionen starben – viele missbraucht<br />
als Kanonenfutter in einem sinnlosen<br />
Stellungskrieg.<br />
Hermann Friedrich Föller wird 1894 in<br />
Königsbach/Baden geboren. Im Oktober<br />
1914 nimmt der knapp 20-Jährige pflichtbewusst,<br />
jedoch ohne Begeisterung seinen<br />
Dienst im 1. Badischen Leib-Grenadier-Regiment<br />
Nr. 109 auf. Während der Ausbildung<br />
in der Karlsruher Kaserne beschreibt er das<br />
Kasernenleben als Theaterstück: „Ach, wenn<br />
ich dran kam, waren die ganzen Herren Offiziere<br />
mit auf der Reitbahn und die haben<br />
sich alle amüsiert. Sie sagten, das wäre schöner<br />
wie im Zirkus. Mir haben sie nämlich ein<br />
zu kurzes Pferd gegeben, das hinten immer<br />
so schnell aus war. Und das klappte nicht,<br />
denn ich saß immer hinter dem Pferd. Von<br />
vorn habe ich mein Pferd überhaupt nicht<br />
kennengelernt. Ich glaube, das Luder hat gar<br />
keinen Kopp gehabt.“<br />
Schockerlebnis Front<br />
Mitte Januar 1915 kommt Hermann an die<br />
Westfront. Dort tobt die Loretto-Schlacht,<br />
eine der für den Ersten Weltkrieg typischen<br />
ergebnislosen Schlachten. Der junge Soldat<br />
ist offensichtlich geschockt über das Fronterleben,<br />
in das er so unvermittelt geraten<br />
ist. Er schreibt seinen Eltern: „Nun meine<br />
Lieben, bis jetzt bin ich noch gesund und<br />
Ihr hoffentlich auch. Seid nur froh, daß Ihr<br />
keine Ahnung vom Krieg habt, denn wie es<br />
hier im Feindesland aussieht davon macht<br />
Ihr Euch auch nicht im Entferntesten ein<br />
Bild. Gerade diese Woche haben die Franzosen<br />
ein Dorf in unserer Nähe in Brand geschossen<br />
und lichterloh stand alles in Flammen<br />
und leuchtete uns zu<br />
unserer Schanzarbeit. […]<br />
Wie das Feld aussieht, durchzogen<br />
von Schützengräben<br />
und Brandruine an Brandruine.<br />
Dazu die Hungersnot der<br />
Bewohner. O weh, wenn sich<br />
der Krieg auf deutschem Boden<br />
abgespielt hätte.“ Als im<br />
Juni 1915 die Offensive auf der<br />
Loretto-Höhe eingestellt wird,<br />
wird das Regiment in die<br />
Champagne verlegt. Diese be-<br />
BRIEF AN DIE ELTERN: Dieses<br />
Schreiben stammt vom Dezember<br />
1914. Hermann bittet darin<br />
um die Reinigung und Rücksendung<br />
von Wäsche und fragt nach<br />
seinem Weihnachtsgeschenk.<br />
schreibt Hermann folgendermaßen:<br />
„Was die Gegend hier anbetrifft, mag<br />
es wohl in Friedenszeit sehr schön gewesen<br />
sein. Aber jetzt! Die wenigen<br />
Dörfer in unserem Bereich sind bereits<br />
vom Erdboden verschwunden.<br />
Wir hausen in Baracken, die an Bergabhängen<br />
gebaut sind. Der Boden ist<br />
allenthalben aufgeweicht und wo wir<br />
auch unseren Fuß hinsetzen, überall<br />
versinken wir im Schlamm und<br />
Dreck, man kommt kaum vorwärts.<br />
Es ist nicht zu schildern.“<br />
In der Somme-Schlacht<br />
Bis Mitte August 1916 verbleiben die<br />
Grenadiere in der Champagne, danach<br />
werden sie an der Somme eingesetzt.<br />
Mit über einer Million getöteten, verwundeten<br />
und vermissten Soldaten ist die<br />
Somme-Schlacht die verlustreichste Schlacht<br />
des Ersten Weltkriegs und führt das deutsche<br />
Heer an den Rand der Erschöpfung.<br />
Hermann beschreibt nun immer mehr den<br />
Kriegsalltag: „Allerdings bin ich auch noch<br />
im schönsten Feuerbereich und ab und zu<br />
TRAGISCHES ENDE: Wie so<br />
viele seiner Generation kehrt<br />
Hermann Föller nicht von den<br />
Schlachtfeldern des Krieges<br />
nach Hause zurück. Das<br />
Schicksal des Grenadiers Föller<br />
beschert persönliche und<br />
tiefe Einblicke in den Frontalltag<br />
des Ersten Weltkriegs.<br />
EIN STÜCK GESCHICHTE:<br />
Feldpostkarte des Grenadiers<br />
Föller in die Heimat<br />
nach Königsbach. Links<br />
mit Vordruck zur korrekten<br />
Absenderangabe.<br />
geht es nachts vom Bett in den Keller, denn<br />
die Franzmänner machen fast täglich einige<br />
Häuser dem Erdboden gleich und wenn<br />
man nachts im schönsten Schlaf liegt und<br />
die Granaten pfeifen und heulen so übers<br />
Dach, so ist das doch ein anderes Gefühl als<br />
wenn ich in einem gewissen Eckhaus in Königsbach<br />
auf dem Sofa sitze. Wenn gar die<br />
Granaten in der Nähe einschlagen geht es<br />
eben schleunigst in den Keller. Oft die Hosen<br />
auf dem Arme, wenn man nicht vorzieht<br />
sich überhaupt nicht auszuziehen.<br />
Nun, man ist das so ziemlich gewöhnt. Es<br />
geht übrigens hier eben sehr brenzlich her.“<br />
Hunger und Verdruss<br />
Ende des Jahres 1916 wird die vorherige<br />
Stellung in der Champagne eingenommen.<br />
Hier erhält Hermann Föller das Eiserne<br />
Kreuz 2. Klasse für seinen Einsatz als Essenholer<br />
an der Somme. Ende 1916/Anfang<br />
Clausewitz 5/2013<br />
39
Der Zeitzeuge<br />
DAS LETZTE BILD: Hermann (ganz links) bei einem Maschinengewehr-Kurs im April 1917.<br />
Kurze Zeit später wird er verwundet und stirbt an seinen Verletzungen.<br />
UNPERSÖNLICH: Einlieferungsbenachrichtigung<br />
aus dem Feldlazarett No. 262 an Hermanns<br />
Eltern. Die Anzahl verwundeter Soldaten<br />
ist so groß, dass die Benachrichtigung<br />
der Angehörigen durch vorgedruckte und<br />
schnell auszufüllende Karten stattfindet.<br />
1917 bemerkt man in den Briefen die starke<br />
Sehnsucht nach dem Kriegsende. Er bemängelt<br />
das karge Essen und die Ungerechtigkeit<br />
bei der Urlaubsverteilung. Im Februar<br />
1917 schreibt er aus Ones bei Verdun:<br />
„Hauptsächlich das Paketchen mit dem<br />
Schinkenbrot kam mir sehr gelegen, denn<br />
ich habe Euch ja bereits geschildert wie’s<br />
mit dem Essen gegenwärtig aussieht, gerade<br />
heute Mittag war es wieder sehr minimal.<br />
Es sollte nämlich Sauerkraut sein, war<br />
aber in Wirklichkeit nur Brühe. Da kann<br />
man sich herausessen?? An Arbeit fehlt es<br />
aber dafür nicht. Ich kann nur sagen, daß es<br />
unter diesen Umständen bald aufhören<br />
möchte. Wenn Ihr mich so, wie ich jetzt im<br />
Loch sitze, sehen würdet, würdet<br />
Ihr mich wahrscheinlich<br />
nicht kennen. Ich habe nämlich<br />
heute Mittag Essen geholt. Das<br />
ist hier auch so eine Sache denn<br />
da wir seit acht Tagen Tauwetter<br />
haben, herrscht eine Schweinerei<br />
und man bleibt im Dreck fast stecken.<br />
Dazu Granaten, manchmal<br />
fast mehr wie Nudeln in der Nudelsuppe.<br />
[…] Wie es nun im Graben<br />
aussieht? Ich glaube kaum,<br />
daß Ihr es Euch vorstellen könnt. Wasser,<br />
Wasser u. nochmals Wasser und der dazugehörige<br />
Dreck fehlt natürlich auch nicht.<br />
Die Stiefel am Fuße bilden einen unförmigen<br />
Klumpen. Hosen und Mantel kann<br />
man bequem in die Ecke stellen. Die sichtbaren<br />
blanken Teile am Körper wie Gesicht<br />
und Hände sind oxidiert und zwar<br />
schwarz. Wie meine Füße oder erst noch<br />
meine Socken aussehen wenn ich mal wieder<br />
die Stiefel ausziehe – ich habe sie „erst“<br />
seit acht Tagen am Fuße.“<br />
Das bittere Ende<br />
Mitte 1917 wird der eingereichte Urlaub<br />
wieder einmal verschoben. In seiner letzten<br />
Karte vom 16. Juli 1917 macht sich Hermann<br />
Luft: „Ihr werdet bereits aus meinem<br />
Brief vom 12. erfahren haben, daß ich nicht<br />
kommen kann. Das ist der Dank für das<br />
ganze Kopfhinhalten!“ Am 20. Juli 1917<br />
wird Hermann von einer aus eigenen Reihen<br />
zu kurz geworfenen Miene verwundet.<br />
Die Wunden an Oberarm und Leistengegend<br />
stellen sich als nicht lebensgefährlich<br />
heraus. Sein Unteroffizier schreibt: „Nach<br />
einigen Tagen wird Hermann froh sein, daß<br />
er so davongekommen ist, was uns noch<br />
LESEN SIE DIE GANZE<br />
GESCHICHTE<br />
Feldpost eines Badischen<br />
Leib-Grenadiers von Susanne<br />
Asoronye, Format DIN A5,<br />
388 Seiten, Hardcover mit<br />
Fadenheftung, ca. 500 historische<br />
Fotos, Preis: 34,80<br />
Euro, zu bestellen auf<br />
www.feldpostbuch.de<br />
blüht, wissen wir nicht. Es ist jeder froh, lebend<br />
aus diesem Getöse zu kommen.“<br />
Doch Hermann fiebert, bekommt Schmerzen,<br />
und stirbt am 22. Juli 1917. Zurück bleiben<br />
verzweifelte Eltern, trauernde Geschwister<br />
und eine Verlobte, die ihrem Hermann<br />
zeitlebens die Treue hält.<br />
Das Buch<br />
25 Jahre lang liegen die Feldpostbriefe und<br />
-karten im Schrank von Susanne Asoronye<br />
– im Schuhkarton mit altem „Gruscht“, den<br />
sie von ihrer Großmutter Lydia vor deren<br />
Tod bekommen hat. Vor fast vier Jahren<br />
sichtet die geschichtsinteressierte Grafikerin<br />
die Briefe und erkennt, dass diese nicht<br />
wieder in der Versenkung verschwinden<br />
dürfen. Ihr Großonkel Hermann Föller war<br />
intelligent, sein Schreibstil einzigartig und<br />
seinen Humor und Wortwitz bewahrte er<br />
fast bis in das letzte Kriegsjahr. Susanne<br />
Asoronye veröffentlicht in dem Buch „Feldpost“<br />
nicht nur die interessantesten Briefe,<br />
sondern setzt sie in den geschichtlichen<br />
Kontext. Der Leser erfährt in zeitlich abgestimmten<br />
Zusammenfassungen, was Hermanns<br />
Bataillon der Badischen 109er im<br />
Krieg erlebte, während er die Briefe schrieb.<br />
Auch Beschreibungen des Frontalltags wie<br />
die Funktion der Feldbäckerei und der<br />
Feldpost oder die Truppenversorgung, die<br />
Entstehung des „Champagne-Kamerad“<br />
sowie die Situation zu Hause kommen<br />
nicht zu kurz. Das Buch ist mit zahlreichen<br />
Fotos versehen, solide recherchiert und<br />
hochwertig produziert. Die Autorin wurde<br />
dafür beim Landespreis für Heimatforschung<br />
Baden-Württemberg mit einer Anerkennungsurkunde<br />
für herausragende<br />
Leistungen ausgezeichnet.<br />
40
Legenden<br />
der Lüfte<br />
Jeden Monat<br />
neu am Kiosk!
Militärtechnik im Detail<br />
NEUE SERIE<br />
„Arbeitspferd“<br />
Amerikanische M2A1<br />
105-Millimeter-Haubitze<br />
Die M2A1 105-Millimeter-Haubitze war<br />
das leichte Standardfeldgeschütz amerikanischer<br />
Artillerieeinheiten sowohl auf<br />
dem europäischen als auch auf dem pazifischen<br />
Kriegsschauplatz. Die ab 1941 produzierte<br />
M2A1-Haubitze stellte einen gewaltigen<br />
Schritt nach vorn dar im Vergleich zur<br />
75-Millimeter-Haubitze, die im Ersten Weltkrieg<br />
eingesetzt wurde. Mobiler, vielseitiger<br />
und zuverlässiger als die 75-Millimeter-Haubitze,<br />
war die M2A1 doppelt so leistungsfähig,<br />
verschoss knapp 15 Kilogramm schwere<br />
Geschosse mit einer Reichweite von circa<br />
11.100 Metern. Ein schwerer Lkw konnte die<br />
2.260 Kilogramm schwere M2A1 beinahe<br />
überall hin bewegen. Auch der mögliche steile<br />
Schusswinkel stellte sich als äußerst vorteilhaft<br />
heraus. Er versetzte Einheiten in die<br />
Lage, die Haubitze defensiv in Hinterhangstellung<br />
oder geschützt durch andere natürliche<br />
Deckungen zu positionieren und von<br />
dort die Geschosse mit einer steilen Schussbahn<br />
auf Ziele in acht bis elf Kilometern,<br />
wenn erforderlich auch auf nicht einsehbare<br />
Hinterhangstellungen, abzufeuern.<br />
Um die 10.200 M2A1 wurden produziert.<br />
Nach dem Krieg wurde sie als M101A1 bekannt<br />
und man setzte sie sowohl während<br />
des Korea- als auch während des Vietnamkrieges<br />
ein. Inzwischen schied dieses Arbeitspferd<br />
als Feldartilleriegeschütz bei der<br />
U.S. Army aus, obwohl es in anderen Ländern<br />
weiterhin im Einsatz steht.<br />
Zieloptik<br />
Optisches Festbrennweitensystem<br />
mit vierfacher<br />
Vergrößerung, 10 Grad<br />
Sichtfeld, mechanischem<br />
Zählwerk zur<br />
Unterstützung des<br />
Richtschützen.<br />
Spreizholm<br />
Linker und rechter Holm wurden in Feuerstellung<br />
auseinander gezogen und im Boden verankert.<br />
Dabei dienten die beiden Endsporne dazu, die<br />
Rückstoßkräfte aufzufangen, indem sie diese in den<br />
Boden ableiteten. In Transportstellung wurden die<br />
Holme dann wieder zusammengeführt.<br />
Seitenrichtrad<br />
Mit diesem ließ sich<br />
das Rohr links oder<br />
rechts maximal 46 Grad<br />
schwenken.<br />
Manuell bedienter<br />
Schubkurbelverschluss<br />
Der Verschluss erlaubte aufgrund<br />
seiner nur hüfthohen<br />
Position schnelles Nachladen.<br />
Illustration: Jim Laurier<br />
Die Bedienung des Geschützes<br />
bestand aus<br />
acht Mann; dazu gehörten<br />
der Lade- und Richtschütze<br />
sowie der Geschützführer<br />
und der für<br />
die Munition verantwortliche<br />
Kanonier. Die 105-<br />
Millimeter-Haubitze verschoss<br />
eine große Munitionsvielfalt<br />
wie etwa<br />
hochexplosive, panzerbrechende<br />
oder Brandmunition.<br />
Die maximale<br />
Feuergeschwindigkeit<br />
betrug zehn Schuss pro<br />
Minute und bei Dauerfeuer<br />
drei Schuss je Minute.<br />
Foto: National Archives<br />
Zugöse<br />
Mit dieser wurde die Haubitze an<br />
Zugfahrzeuge zum Transport angehängt.<br />
42
Doppelschild<br />
Gedacht, um Soldaten zu schützen,<br />
wenn die Haubitze als Nahunterstützungswaffe<br />
eingesetzt wurde.<br />
Geschützrohr<br />
105 Millimeter Durchmesser; es<br />
lagerte auf einem hydropneumatischen<br />
Rückstoßmechanismus, der ähnlich<br />
einem Stoßdämpfer funktionierte.<br />
Höhenrichtrad<br />
Hiermit konnte das Rohr von minus zehn<br />
(wenn man beispielsweise von erhöhter<br />
Position nach unten schießen musste) bis zu<br />
plus 65 Grad Rohrerhöhung gerichtet werden.<br />
Abzugvorrichtung<br />
Durch Ziehen an diesem Seil wurde<br />
der Schuss ausgelöst.<br />
Ebenso wurde die M2A1 in Panzerdivisionen auf Selbstfahrlafetten<br />
verwendet. Im Bild sieht man die Selbstfahrlafette<br />
M7 mit 105-Millimeter-Haubitze auf Sizilien. Diese basierte<br />
auf dem Chassis des M4 Sherman-Panzers. Die Briten tauften<br />
dieses Gefährt „Priest“(Priester) aufgrund der kanzelähnlichen<br />
Drehringlafette für das Maschinengewehr an der<br />
rechten vorderen Fahrzeugseite.<br />
Foto: National Archives<br />
DIE KONKURRENTEN:<br />
122 Millimeter M1938 (M-30)<br />
Reichweite: ca. 11.800 Meter;<br />
entwickelt 1938. Die M1938<br />
diente der Roten Armee als<br />
Standard-Divisionsartillerie bis 1960.<br />
Geschütz QF 25-Pfünder<br />
Reichweite: ca. 12.250 Meter;<br />
wohl das beste Artilleriegeschütz<br />
des Zweiten Weltkriegs. Es verfügte über<br />
eine Feuergeschwindigkeit von sechs bis<br />
acht Schuss pro Minute und diente in der<br />
Britischen Armee bis in die 1960er-Jahre.<br />
Haubitze 105/14 Modell 18<br />
Reichweite ca. 8.150 Meter;<br />
entwickelt aus einem WKI-Design.<br />
Es existierten sowohl bespannte als<br />
auch Kraftzugvarianten. Nach Italiens<br />
Kapitulation im September 1943<br />
wurden einige Stücke erbeutet und von<br />
den Deutschen weiterverwendet.<br />
Typ 11 100 Millimeter<br />
Reichweite: ca. 10.750 Meter;<br />
auf einem französischen<br />
Entwurf basierend war diese leichte<br />
Feldhaubitze effektiv, aber lediglich 1.100<br />
wurden seit 1931 gebaut, so dass nie<br />
genügend Geschütze im Bestand waren,<br />
um alle japanischen Divisionen mit ihm<br />
auszustatten.<br />
Leichte Feldhaubitze 18<br />
Reichweite: ca. 12.300 Meter;<br />
entwickelt von Rheinmetall<br />
(1928/29) war sie eigentlich<br />
eine verlängerte Version eines<br />
Entwurfs von 1916. Die mit der<br />
10,5-Zentimeter Leichten Feldhaubitze<br />
18M eingeführte Mündungsbremse<br />
erhöhte die Reichweite<br />
deutlich.<br />
In dieser Serie bereits erschienen:<br />
Kampfpanzer Sherman M4 (2/2013)<br />
Flugzeugträger Independent-Klasse (3/2013)<br />
Deutsches Schnellboot Typ S-100 (3/2013)<br />
Maschinengewehr (MG)42 (4/2013)<br />
Demnächst:<br />
„Swordfish“ Torpedobomber (6/2013)<br />
<strong>CLAUSEWITZ</strong> dankt dem „World War II magazine“<br />
sowie der Weider History Group für die Zurverfügungstellung<br />
der Grafiken. Mehr Informationen<br />
unter www.HistoryNet.com.<br />
Clausewitz 5/2013 43
Schlachten der Weltgeschichte<br />
VERSTÄRKUNG: Kampfpanzer vom Typ<br />
„Panther“ rollen an die Front.<br />
Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl<br />
44
„Plattenseeoffensive“ in Ungarn, 1945<br />
<strong>Hitlers</strong><br />
Fehlschlag am<br />
Balaton<br />
6. März 1945: Die Heeresgruppe Süd tritt am ungarischen Plattensee (Balaton)<br />
zur Großoffensive an. <strong>Hitlers</strong> Ziel ist es, die sowjetischen Linien zu durchbrechen, die<br />
Ölversorgung sicherzustellen und den Donauraum zurückzuerobern. Von Lukas Grawe<br />
Die deutsche Wehrmacht befindet sich<br />
zu Beginn des Jahres 1945 nach zahlreichen<br />
Rückschlägen und Niederlagen<br />
an der Ostfront längst auf dem Rückzug. In<br />
Ungarn ist es der Roten Armee gelungen,<br />
die Donau zu überqueren und dort Brückenköpfe<br />
zu bilden. Budapest ist mittlerweile in<br />
sowjetischer Hand.<br />
Zwar kann die Wehrmacht das weitere<br />
Vorstoßen der Roten Armee auf Wien durch<br />
Entlastungsangriffe verhindern, doch wird<br />
ein großer Teil des transdanubischen Raums<br />
von sowjetischen Verbänden gehalten.<br />
Nach dem Scheitern der Ardennenoffensive<br />
im Westen will Hitler entgegen den<br />
Wünschen seiner Generäle die freigewordenen<br />
Truppen in Ungarn einsetzen, um zumindest<br />
den gesamten Raum westlich der<br />
FAKTEN<br />
Ziel<br />
Oberbefehl<br />
Einsatzverbände<br />
Truppenstärke<br />
6. März 1945<br />
Verluste<br />
Die Kriegsparteien im Überblick<br />
Wehrmacht<br />
Rückeroberung Ungarns; Sicherstellung<br />
der Ölversorgung; Verteidigung<br />
Wiens<br />
Maximilian von Weichs (Oberbefehlshaber<br />
Südost), Otto Wöhler (HGr. Süd),<br />
Alexander Löhr (HGr. E)<br />
6. Armee (Balck), 2. Panzerarmee (de<br />
Angelis), 6. SS-Panzerarmee (Dietrich),<br />
HGr. E (XV. Gebirgs-Armeekorps, XXXIV.<br />
und LXXXXI. Armeekorps)<br />
circa 300.000 Soldaten<br />
(25 Divisionen)<br />
circa 12.400 Gefallene, Vermisste<br />
und Verwundete, 31 Panzer<br />
Rote Armee<br />
Aufhalten der deutschen Offensive;<br />
anschließend Gegenoffensive bis zur<br />
Eroberung Österreichs<br />
Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin<br />
(3. Ukrainische Front)<br />
1. bulgarische Armee, 26. Armee,<br />
27. Armee, 57. Armee, 4. Gardearmee;<br />
ab 16. März auch 9. Gardearmee,<br />
6. Gardepanzerarmee<br />
circa 465.000 Soldaten<br />
(55 Divisionen); ab 15. März circa<br />
1.000.000 Soldaten<br />
circa 8.500 Tote und 24.500 Verwundete,<br />
etwa 150 Panzer und<br />
415 Panzerabwehrkanonen<br />
Clausewitz 5/2013<br />
45
Schlachten der Weltgeschichte | „Plattenseeoffensive“<br />
ZERSTÖRT: Ein deutscher<br />
Panzer vom Typ „Panther“<br />
passiert das Wrack eines<br />
während der Kämpfe in Ungarn<br />
im Frühjahr 1945 abgeschossenen<br />
sowjetischen<br />
Kampfpanzers.<br />
Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo<br />
Donau von sowjetischen Truppen zu „säubern“<br />
und die Rohölversorgung des Deutschen<br />
Reichs aufrecht zu erhalten.<br />
HINTERGRUND<br />
Sicherung der Ölreserven<br />
In Ungarn befinden sich die letzten Ölquellen<br />
und Raffinerien, auf die das „Dritte Reich“<br />
noch Zugriff hat. Ohne sie kann Deutschland<br />
den Krieg nicht weiterführen. Da die dort stationierte<br />
deutsche Heeresgruppe Süd unter<br />
ihrem Befehlshaber General der Infanterie Otto<br />
Wöhler vollständig aus ungarischen Erdölvorkommen<br />
versorgt werden kann, fällt Hitler<br />
die Entscheidung für eine Offensive am<br />
Südflügel der Ostfront leicht. Dabei schweben<br />
ihm bereits feste Ziele für einen Angriff<br />
vor: Die Rückeroberung Budapests stellt für<br />
den Diktator das Minimum dessen dar, was<br />
mit einem massiven Kräfteansatz erreicht<br />
werden soll. In einer größeren Lösung hat<br />
Hitler sogar den Vorstoß über die Donau ins<br />
Auge gefasst. Für diese Vorhaben ist es jedoch<br />
zuvor unumgänglich, den Raum zwischen<br />
Drau, Donau und Plattensee zu sichern.<br />
Der deutsche Verbündete Ungarn<br />
Unter starkem deutschem Druck tritt Ungarn<br />
im November <strong>1940</strong> dem Dreimächtepakt<br />
zwischen Japan, dem Deutschen Reich und<br />
Italien bei und ist somit fortan zu militärischem<br />
Beistand verpflichtet. Ungarn beteiligt<br />
sich an der Besetzung Jugoslawiens und<br />
nimmt nur wenige Tage nach der deutschen<br />
Kriegserklärung an die Sowjetunion im Juni<br />
1941 mit Truppenkontingenten am Unternehmen<br />
„Barbarossa“ teil.<br />
Entsendet die ungarische Regierung anfangs<br />
nur wenige Truppen, so stellt sie später<br />
mit der 2. Ungarischen Armee einen<br />
200.000 Mann starken Verband. Nach den<br />
deutschen Niederlagen an der Ostfront versucht<br />
die ungarische Staatsführung, Kontakt<br />
zu den Westalliierten aufzunehmen und<br />
aus dem Krieg auszusteigen. Daraufhin besetzen<br />
deutsche Truppen im März 1944 das<br />
Land an der Donau, das Deutsche Reich<br />
richtet eine Marionettenregierung ein. Ungarn<br />
wird gezwungen, den Kampf mit verstärkten<br />
Kräften weiterzuführen. Viele Ungarn<br />
schließen sich daher der Roten Armee<br />
an, die im Oktober 1944 ihren Sturm auf <strong>Hitlers</strong><br />
Bündnispartner beginnt.<br />
Anfang 1945 ersucht die ungarische Gegenregierung<br />
um Waffenstillstand mit der<br />
Sowjetunion, der am 20. Januar 1945 in<br />
Moskau unterzeichnet wird. Erst Anfang<br />
April 1945 enden schließlich die letzten<br />
Kampfhandlungen auf ungarischem Boden.<br />
Die Planungen für einen deutschen Vorstoß<br />
in Ungarn reichen in den Februar 1945<br />
zurück. Die deutsche Militärführung hält ein<br />
Vorgehen nördlich und südlich des Plattensees<br />
für den wirksamsten Ansatzpunkt.<br />
Nördlich des Sees sollen die 6. Panzerarmee<br />
unter ihrem kommandierenden General SS-<br />
Oberstgruppenführer Josef Dietrich und die<br />
6. Armee unter ihrem Befehlshaber General<br />
der Panzertruppe Hermann Balck vorgehen,<br />
im Süden soll die 2. Panzerarmee unter dem<br />
österreichischen General der Artillerie Maximilian<br />
de Angelis den anderen Arm der Zange<br />
bilden. Beide Stoßrichtungen sollen sich<br />
östlich des Sees vereinigen und auf diese Weise<br />
mehrere sowjetische Armeen der 3. Ukrainischen<br />
Front einkesseln und vernichten.<br />
Weitreichende Pläne<br />
Während Dietrichs Vorgehen den Decknamen<br />
„Frühlingserwachen“ erhält und die Hauptlast<br />
des Angriffs zu tragen hat, erhält das Vorhaben<br />
der 2. Panzerarmee den Tarnnamen<br />
„Eisbrecher“. Zusätzlich zu diesen beiden<br />
Operationen soll südlich des Flusses Drau die<br />
Heeresgruppe E unter ihrem Befehlshaber<br />
Generaloberst Alexander Löhr nach Norden<br />
vorstoßen und sich mit der Heeresgruppe<br />
Süd vereinigen. Für das unter dem Namen<br />
„Waldteufel“ laufende Vorhaben sind jedoch<br />
nur geringe Kräfte veranschlagt.<br />
46
Witterungsbedingte Schwierigkeiten<br />
Nach erfolgreichem Verlauf des Angriffs<br />
sollen anschließend die sowjetischen Verbände<br />
vor Budapest zerschlagen werden.<br />
Hatte man auf deutscher Seite anfangs daran<br />
gedacht, beide Schritte gleichzeitig auszuführen,<br />
müssen diese Gedanken recht<br />
schnell aufgrund fehlender Kräfte verworfen<br />
werden. Die 6. Panzerarmee muss daher<br />
bei ihrem Vorgehen mit einer Bedrohung an<br />
ihrer linken Flanke durch die sowjetischen<br />
Truppen vor Budapest klarkommen. Trotz<br />
dieser Lage glaubt Hitler an einen Erfolg.<br />
Gegenüber Wöhler erklärt der Diktator, beim<br />
Erfolg der Offensive seien „große Brückenköpfe<br />
über die Donau zu bilden, um gegebenenfalls<br />
ostwärts der Donau auf Budapest<br />
zu stoßen.“ Mit einem „Führerbefehl“ gehen<br />
die endgültigen Anweisungen über die<br />
„Operation in Ungarn“ am 25. Februar an<br />
die ausführenden Armeen.<br />
KARTE<br />
Die Kampfhandlungen im Überblick<br />
OFFENSIVE- UND GEGENOFFENSIVE: Den deutschen Vorstößen in der 1. Märzhälfte<br />
1945 folgt wenig später der sowjetische Gegenschlag der 2. und 3. Ukrainischen Front.<br />
Fehlendes Überraschungsmoment<br />
In den Tagen vor dem angesetzten Angriffstermin<br />
haben massive Regenfälle die Wege<br />
und Straßen nahezu unpassierbar werden<br />
lassen. Die einsetzende Schneeschmelze verstärkt<br />
die witterungsbedingten Schwierigkeiten<br />
zusätzlich. Auf den wenigen Aufmarschstraßen,<br />
die von der Wehrmacht genutzt<br />
werden können, stauen sich die Fahrzeuge.<br />
Dies macht es der sowjetischen Luftaufklärung<br />
leicht, die Stoßrichtungen des deutschen<br />
Angriffs zu melden. Im sowjetischen<br />
IM NAHKAMPF: Soldaten der Roten Armee<br />
nehmen den Gegner während des<br />
Häuserkampfes in einer ungarischen Ortschaft<br />
unter Beschuss und geben sich<br />
Feuerschutz.<br />
Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
Clausewitz 5/2013<br />
47
Schlachten der Weltgeschichte | „Plattenseeoffensive“<br />
MOTORISIERT: Eine Artillerie-Batterie bahnt<br />
sich auf einer mit Matsch und Schlamm<br />
bedeckten Landstraße ihren Weg.<br />
Foto: ullstein bild – Heinrich Hoffmann<br />
Hauptquartier ist man schon längst umfassend<br />
über das deutsche Vorhaben informiert.<br />
Die im Januar und Februar durchgeführten<br />
deutschen Entlastungsangriffe lassen keinen<br />
anderen Schluss zu, als dass der deutsche<br />
Schlag in Ungarn stattfinden wird.<br />
Der Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen<br />
Front, Marschall Fjodor Iwanowitsch<br />
Tolbuchin, erhält daher bereits im Februar<br />
MUSS SICH GESCHLAGEN GEBEN:<br />
SS-Oberstgruppenführer und Generaloberst<br />
der Waffen-SS Josef<br />
Dietrich, Oberbefehlshaber<br />
der 6. SS-Panzerarmee,<br />
wird<br />
zum Rückzug<br />
aus Ungarn<br />
gezwungen.<br />
Foto: picture-alliance/akg-images<br />
von Stalin den Befehl, Verteidigungsstellungen<br />
zu errichten und den deutschen Angriff<br />
abzuwehren. Erst danach sieht das sowjetische<br />
Oberkommando wieder eine Offensive<br />
in Richtung Wien vor.<br />
Ungünstige Wetterverhältnisse<br />
Die schlechten Wetterverhältnisse und das<br />
fehlende Überraschungsmoment lassen die<br />
Erfolgsaussichten des deutschen Vorhabens<br />
von Anfang an zweifelhaft erscheinen. Hinzu<br />
kommt die dramatische Unterlegenheit<br />
der Angreifer im Bereich der Artillerie. Auch<br />
die ungarischen Verbündeten raten den<br />
Kommandeur des Hauptschlags:<br />
Josef „Sepp“ Dietrich<br />
deutschen Truppen von einem Angriff ab, da<br />
sie mit dem schlammigen und von unzähligen<br />
Kanälen durchzogenen Gebiet vertraut<br />
sind. Doch Hitler, immer wieder auf die Abhängigkeit<br />
des Reiches von den riesigen Erdölvorkommen<br />
Ungarns verweisend, hält an<br />
der geplanten Offensive fest.<br />
Am 6. März beginnen um 1:00 Uhr nachts<br />
die Unternehmen „Waldteufel“ und „Eisbrecher“<br />
mit relativ bescheidenen Kräften. Drei<br />
Stunden später schlagen die Hauptkräfte<br />
zwischen Plattensee und Velece-See los. Elf<br />
Panzerdivisionen und sechs Infanteriedivisionen<br />
beginnen alleine im nördlichen An-<br />
Der 1892 geborene Josef Dietrich macht bereits im Ersten Weltkrieg als Mitglied einer Sturmpanzerwagen-Abteilung<br />
auf sich aufmerksam. Nach Kriegsende schließt er sich schon bald den Nationalsozialisten<br />
um Adolf Hitler an und nimmt auch am gescheiterten Putschversuch <strong>Hitlers</strong> und Ludendorffs<br />
1923 in München teil. In den folgenden Jahren betreibt er maßgeblich den Aufbau der SS. Zudem<br />
ist er als dessen „persönlicher Begleiter“ für die Sicherheit <strong>Hitlers</strong> zuständig. 1934 beteiligt<br />
er sich am „Röhm-Putsch“ und ist für die Erschießung einiger hochrangiger SA-Führer<br />
verantwortlich.<br />
Im Zweiten Weltkrieg befehligt Dietrich zuerst die zu einer Division ausgebaute „Leibstandarte“<br />
und wird für seine Führung des Verbandes mehrmals ausgezeichnet. Im<br />
Herbst 1944 übernimmt er den Oberbefehl über die 6. SS-Panzerarmee, die im Westen<br />
1944/45 an der Ardennenoffensive beteiligt ist. Zu Beginn der Offensiven in Ungarn<br />
wird die 6. SS-Panzerarmee an die Ostfront verlegt und nimmt gegen Ende des Krieges<br />
am Kampf um Wien teil. Dietrich gerät in amerikanische Gefangenschaft und wird zu lebenslanger<br />
Haft verurteilt, aus der er 1955 vorzeitig entlassen wird. Er stirbt 1966.<br />
48
Stalins Machtwort<br />
Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front:<br />
Fjodor I. Tolbuchin<br />
Als einfacher Sohn eines Bauern 1894 geboren,<br />
schließt sich Tolbuchin bereits früh der Armee des<br />
Zaren an. 1918 tritt er der Roten Armee bei und<br />
dient als Stabschef einer Division. Der spätere<br />
„Marschall der Sowjetunion“ erhält 1942 das Kommando<br />
über die 57. Armee, nachdem er zuvor als<br />
Chef des Stabes der Transkaukasus- und der Krimfront<br />
Erfahrungen sammeln konnte. Mit der 57. Armee<br />
nimmt Tolbuchin an der Schlacht um Stalingrad<br />
teil und empfiehlt sich mit seiner entschlossenen<br />
Führung für höhere Aufgaben.<br />
Ab August 1943 erhält er das Kommando über<br />
die Südfront und ist somit maßgeblich an der Rückeroberung<br />
der Halbinsel Krim beteiligt. Bis Kriegsende<br />
wird Tolbuchin schließlich die Führung über die<br />
3. Ukrainische Front anvertraut, mit der er in der<br />
Operation Jassy-Kischinew die Heeresgruppe Süd<br />
entscheidend schwächt und anschließend nach Jugoslawien<br />
vorstößt. Im Anschluss an seinen Einsatz<br />
in Ungarn zieht Tolbuchin am 13. April in Wien ein<br />
und trifft am 8. Mai in Niederösterreich auf amerikanische<br />
Truppen. Nach dem Krieg wird er Kommandeur<br />
des Transkaukasischen Militärbezirks und Mitglied<br />
des Obersten Sowjet der UdSSR.<br />
Er stirbt 1949.<br />
griffsabschnitt mit dem Sturm auf die sowjetischen<br />
Linien.<br />
Der 6. Panzerarmee sind die Hauptkräfte<br />
der eingesetzten Panzer unterstellt, um ihrem<br />
Angriff die größte Wirkung zu verleihen.<br />
Darunter befinden sich auch einige<br />
Kontingente der beinahe fabrikneuen und<br />
besonders kampfkräftigen „Königstiger“.<br />
Dieser scheinbare Vorteil erweist sich bei den<br />
vorherrschenden Wetterbedingungen jedoch<br />
als schwerer Nachteil. Obwohl die Wehrmacht<br />
für die „Plattenseeoffensive“ beinahe<br />
ein Drittel aller vorhandenen Panzer verfügbar<br />
macht, verhindern die Schlammmassen<br />
ihren wirkungsvollen Einsatz. Allen angreifenden<br />
deutschen Verbänden gelingen<br />
höchstens geringe Geländegewinne, sodass<br />
sich bereits am ersten Angriffstag der Misserfolg<br />
des Unternehmens abzeichnet. Neben<br />
die witterungsbedingten Probleme gesellen<br />
sich Aufmarschprobleme. So greift Dietrichs<br />
6. Panzerarmee ohne das II. SS-Panzerkorps<br />
in den Kampf ein, da letzteres am 6. März<br />
BEHÄLT DIE OBERHAND: Der<br />
Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen<br />
Front Fjodor Tolbuchin vereitelt<br />
die deutschen Pläne in Ungarn<br />
und holt im März/April<br />
1945 zur erfolgreichen Gegenoffensive<br />
aus. Foto: ullstein bild – rps<br />
noch nicht vollständig versammelt ist. Erst<br />
am Abend des 7. März tritt auch dieses<br />
Korps zum Angriff an. Dies ändert jedoch<br />
nichts am nur langsamen Vordringen der<br />
Angreifer.<br />
„Gen. d. Pz. Tr. Balck zeigt in der Beurteilung<br />
der Lage den bekannten Optimismus auch dort,<br />
wo er nicht am Platze ist.“<br />
Oberbefehlshaber der HGr. Süd, Wöhler,<br />
über den Kommandeur der 6. Armee, Balck, am 15. März 1945<br />
EINSATZBESPRECHUNG: Soldaten der<br />
6. SS-Panzerarmee beim Studium einer Karte<br />
vor dem Beginn der Kampfhandlungen.<br />
Auch in den folgenden Tagen kommen<br />
die deutschen Offensivkräfte kaum voran.<br />
Die sowjetischen Verteidigungsstellungen<br />
erweisen sich als nahezu unüberwindbar.<br />
Stellenweise haben die sowjetischen Pioniere<br />
2.500 bis 3.000 Panzerminen pro Frontkilometer<br />
vergraben, die Rote Armee kann bis<br />
zu 65 Geschütze und Granatwerfer sowie 28<br />
Panzerabwehrkanonen pro Kilometer einsetzen.<br />
Zudem verwendet die Rote Armee<br />
elektrischen Stacheldraht gegen die angreifende<br />
Infanterie. Bis zum 10. März kann der<br />
südliche deutsche Angriff der 2. Panzerarmee<br />
zwar einigen Boden gut machen, ein<br />
Vormarsch bis zu Donau bleibt jedoch außerhalb<br />
des Möglichen.<br />
Tolbuchin schwankt<br />
Trotz des nur geringen deutschen Raumgewinns<br />
beginnt aber auch die sowjetische Seite<br />
nervös zu werden. Tolbuchin schätzt die<br />
angreifenden Verbände, vor allem die 6. Panzerarmee<br />
mit ihren fünf Panzerdivisionen,<br />
wesentlich stärker ein als sie tatsächlich sind.<br />
Schon am 9. März bittet der Marschall daher<br />
das Hauptquartier, die 9. Gardearmee, die<br />
bisher noch als Reserve östlich von Budapest<br />
zurückgehalten wird, zur Verteidigung einsetzen<br />
zu dürfen. Sogar eine Rücknahme seiner<br />
Verbände über die Donau wird von Tolbuchin<br />
erwogen. Dieses Ansinnen stößt bei Stalin<br />
auf heftigen Widerspruch, zumal die 3.<br />
Ukrainische Front noch über ausreichende Reserven<br />
verfügt. Entschlossen weist der sowjetische<br />
Diktator den schwankenden Marschall<br />
auf die Tragweite seines Vorhabens hin: „Genosse<br />
Tolbuchin, wenn Sie denken, den Krieg<br />
noch um fünf bis sechs Monate zu verzögern,<br />
dann beordern sie doch ihre Truppen zurück.<br />
Dort wird es zweifelsohne ruhiger sein. Aber<br />
ich bezweifle, dass Sie das wollen. Deshalb ist<br />
es notwendig, sich am linken Ufer der Donau<br />
zu verteidigen […].“<br />
Stalins Beharrlichkeit erweist sich als richtig.<br />
Den deutschen Verbänden gelingt es<br />
Clausewitz 5/2013<br />
Foto: ullstein bild –<br />
Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl<br />
49
Schlachten der Weltgeschichte | „Plattenseeoffensive“<br />
gen vornehmen, um den kommenden sowjetischen<br />
Sturm abwehren zu können.<br />
Doch Hitler erlaubt diese Maßnahmen<br />
erst am 15. März, zu spät, um der Gefahr am<br />
linken Flügel begegnen zu können. Einen<br />
Tag später schlagen die 2. und die 3. Ukrainische<br />
Front mit einer zwölffachen artilleristischen<br />
Überlegenheit und mit mehr als<br />
1.000.000 Soldaten los. Schon am ersten Tag<br />
gelingt es der Roten Armee, tiefe Einbrüche<br />
am linken Flügel der Heeresgruppe Süd zu<br />
erzielen. Auch Balcks 6. Armee gerät in große<br />
Bedrängnis, doch verkennt ihr Kommandeur<br />
vollkommen den Ernst der Lage. Wöhler<br />
vermerkt über die realitätsferne Haltung<br />
seines Armeeführers sarkastisch: „Gen. d.<br />
Pz. Tr. Balck zeigt in der Beurteilung der Lage<br />
den bekannten Optimismus auch dort,<br />
wo er nicht am Platze ist.“<br />
GEFÜRCHTET: Ein mittlerer Panzerkampfwagen vom Typ „Panther“ während der Frühjahrsoffensive<br />
in Ungarn.<br />
Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo<br />
verfügt somit in den folgenden Wochen<br />
über einen Brückenkopf für die nächste Offensive.<br />
Während die deutsche Offensive in den<br />
letzten Zügen liegt, bereitet das sowjetische<br />
Hauptquartier den eigenen Gegenschlag gegen<br />
den deutschen Südflügel vor. Unter<br />
strengster Geheimhaltung gruppieren sich<br />
vier Armeen östlich von Budapest, um den<br />
deutschen Verbänden, vor allem der 6. Armee<br />
und der 6. Panzerarmee, in die linke<br />
Flanke fallen zu können. Das IV. SS-Panzerkorps<br />
meldet bereits am 14. März eine beunruhigende<br />
Aktivität auf sowjetischer Seite,<br />
die auf eine bevorstehende Offensive hindeutet.<br />
Die Heeresgruppe Süd will aufgrund<br />
dessen den ohnehin erfolglos verlaufenen<br />
Angriff beenden und einige Umgruppierunnicht,<br />
die sowjetischen Verteidiger zur Donau<br />
zu drängen, geschweige denn einzukesseln.<br />
An wenigen Stellen beträgt die Tiefe des<br />
Vordringens maximal 40 Kilometer, bis zur<br />
Donau sind noch 20 Kilometer zurückzulegen.<br />
Die Truppen Tolbuchins stehen vielerorts<br />
noch in der zweiten Verteidigungslinie,<br />
die deutsche Offensive ist gescheitert.<br />
957 Schützenpanzern gelangen nur wenige<br />
zum Einsatz.<br />
Zwar fallen die sowjetischen Verluste mit<br />
32.000 Gefallenen, Verwundeten und Vermissten<br />
sowie 152 verlorenen Panzern wesentlich<br />
höher aus, doch kann die Rote Armee<br />
das Westufer der Donau halten und<br />
Sowjetischer Gegenschlag<br />
Trotz der bedrohlichen Lage verbietet Hitler<br />
Truppenrochaden von der 2. Panzerarmee<br />
an die bedrohte linke Flanke. Tolbuchins<br />
3. Ukrainische Front versucht in den folgenden<br />
Tagen, die 6. Panzerarmee einzukesseln<br />
und vollkommen aufzureiben. Dem deutschen<br />
Verband sind durch das Gelände nur<br />
wenige Ausweichmöglichkeiten gegeben,<br />
welche jedoch ab dem 20. März zögerlich genutzt<br />
werden können. Der deutsche Rückzug<br />
aus dem sich schließenden Kessel verläuft allerdings<br />
äußerst ungeordnet, sodass ein<br />
Großteil der schweren Waffen aufgegeben<br />
Verheerende Bilanz<br />
Trotz des hohen Aufwands fällt die Bilanz<br />
für die deutschen Angreifer somit verheerend<br />
aus. Die Heeresgruppe Süd verliert in<br />
der ersten Angriffswoche 12.400 Mann an<br />
Gefallenen, Verwundeten und Vermissten.<br />
Die geringen Verluste an Panzern – lediglich<br />
31 gehen verloren – beweisen, dass diese<br />
Waffe aufgrund der schlammigen Straßen<br />
kaum wirkungsvoll eingesetzt werden kann.<br />
Der Plan, mit massierten Panzerkräften<br />
mitten in der Tauwetterperiode durch die<br />
sowjetischen Linien zu brechen, krankt bereits<br />
an der Basis. Zudem sind von den nominell<br />
1.796 Panzern, über die die Heeresgruppe<br />
Süd am 15. März verfügt, nur 772<br />
einsatzbereit. Auch von den immerhin<br />
Literaturtipps<br />
Ungváry, Krisztián: Kriegsschauplatz Ungarn, in:<br />
Karl-Heinz Frieser (Hg.), Das Deutsche Reich<br />
und der Zweite Weltkrieg. Bd. 8: Die Ostfront:<br />
Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten,<br />
München 2007, S. 849–960.<br />
„Der Führer ist schon ungehalten, weil der<br />
Angriff der 6. Panzerarmee keine besseren<br />
Ergebnisse gebracht hat.“<br />
General der Infanterie Hans Krebs, Leiter der Operationsabteilung<br />
im Generalstab des Heeres, zu den Kämpfen in Ungarn Ende März 1945<br />
werden muss. Auch wenn die 6. Panzerarmee<br />
der völligen Vernichtung entgehen<br />
kann, ist ihre Kampfkraft doch zerschlagen.<br />
Große Teile der Heeresgruppe Süd befinden<br />
sich nun auf dem Rückzug in Richtung Wien.<br />
Im „Führerhauptquartier“ ist man zutiefst<br />
enttäuscht. Man macht die eigenen Armeeführer<br />
für die fehlgeschlagene Operation<br />
verantwortlich. An keiner Stelle der Ostfront<br />
sei das Kräfteverhältnis derart günstig<br />
gewesen wie im Abschnitt der Heeresgruppe<br />
Süd. Dass dieses vermeintlich so günstige<br />
Verhältnis dennoch nicht zu Erfolgen<br />
führt, verdeutlicht die aussichtslose Lage der<br />
Wehrmacht im Frühjahr des Jahres 1945.<br />
Lukas Grawe, M.A., Jg. 1985, Historiker aus Münster.<br />
50
Legende und Meilenstein der deutschen Panzerwaff e<br />
TIGER II<br />
Panzerkampfwagen VI / Sd. Kfz. 182<br />
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Höhepunkt deutscher Panzerentwicklung<br />
Der Pz. Kpfw. „Tiger“ Ausf. B - für gewöhnlich mit „Tiger II“<br />
bezeichnet - ist eine Weiterentwicklung des „Tiger I“ unter<br />
nochmaliger Erhöhung des Panzerschutzes sowie Integration der<br />
leistungsstärksten deutschen Panzerkanone 8,8 cm KwK 43. Der<br />
„Tiger II“ steht bis heute für eine überlegene Panzertechnik.<br />
Doch der überschwere Kampfpanzer stand nicht mehr für das<br />
ursprüngliche Credo der deutschen Panzerwaffe im 2. Weltkrieg<br />
und das ihres Erfinders Heinz Guderian. Sein Grundsatz der<br />
Ausgewogenheit von Panzerung, Kanone und Schnelligkeit fand<br />
bei der Konstruktion des „Tiger II“ keine Anwendung mehr.<br />
Dokumentation der Extraklasse<br />
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Militär und Technik<br />
WELTWEIT: C-160 der Luftwaffe<br />
verrichten überall ihren Dienst.<br />
Hier im Landeanflug auf die Heimatbasis<br />
des Einsatzgeschwaders<br />
Mazar-e Sharif im Norden<br />
Afghanistans. Foto: ISAF Public Affairs<br />
Transportmaschinen Transall C-160 und Antonow An-26<br />
Zwei „ungleiche<br />
1980er-Jahre: Bei Hilfseinsätzen in Afrika treffen die Transall C-160 der Luftwaffe und<br />
die An-26 der NVA-Luftstreitkräfte aufeinander. Von 1990 bis 1994 fliegen sie dann<br />
Seite an Seite in der „Armee der Einheit“. Von Hans-Werner Ahrens und Mathias Brandt<br />
Als man ab 1957 insgesamt 187 Transportflugzeuge<br />
des Typs ND 2501D<br />
„Noratlas“ in die noch junge Luftwaffe<br />
der Bundeswehr einführt, ist bereits klar,<br />
dass diese den schnell steigenden Anforderungen<br />
im militärischen Lufttransport nicht<br />
lange gerecht würden. So beginnen noch im<br />
selben Jahr erste Studien für ein deutsch-fran-<br />
zösisches Gemeinschaftsprojekt – die Transall<br />
C-160. Beteiligt sind die Firmen „Weser<br />
Flugzeugbau“ – später VFW in Lemwerder<br />
–, Hamburger Flugzeugbau (HFB) in Finkenwerder,<br />
Prof. Dipl. Ing. W. Blume in Duisburg-Ruhrort,<br />
Nord-Aviation<br />
in Châtillon und Süd-Aviation<br />
in Hurel-Dubois.<br />
Aus der deutsch-französischen „Transporter-Allianz“<br />
leitet sich der Name „Transall“<br />
ab. Die Kurzbezeichnung C-160 setzt sich<br />
aus einem „C“ für „Cargo“ und die „160“ aus<br />
den 160 Quadratmeter der beiden Tragflächen<br />
zusammen. Nachdem viele Hürden<br />
überwunden sind, startet der erste Prototyp<br />
am 25. Februar 1963 in Melun-Villaroche zu<br />
seinem Erstflug.<br />
DATEN Transall C-160<br />
Rolle:<br />
Ursprungsland:<br />
Hersteller:<br />
Erstflug:<br />
Indienststellung:<br />
Serienproduktion:<br />
Hauptbetreiber:<br />
(Taktisches) Transportflugzeug<br />
Deutschland (D), Frankreich (F)<br />
„Transporter-Allianz“ (D/F)<br />
25. Februar 1963 (Melun-Villaroche)<br />
26. April 1968 (Übergabe in Ahlhorn)<br />
1. Serie: 1967–1972 (D/F)<br />
2. Serie: 1981–1988 (F/Indonesien)<br />
Deutschland und Frankreich, Türkei (TUR),<br />
Südafrika<br />
Gebaute Stückzahlen: 1. Serie: (C-160 D/F): 90 D, 50 F, 20 TUR<br />
2. Serie (C-160 NG): 35 (Frankreich, Indonesien)<br />
BESTAUNT: Transall-Versuchsmuster<br />
V 3 auf dem Fliegerhorst<br />
Ahlhorn<br />
im Jahr 1968.<br />
Erfahrungen aus<br />
dem Truppenversuch<br />
flossen in die<br />
Fertigung der Serienmaschinen<br />
ein.<br />
Foto: Archiv LTG 62<br />
Produktion der Transall<br />
Ab März 1967 werden insgesamt 204 Transall<br />
gebaut, die erste Serie von 1967 bis 1971.<br />
Der Hersteller legt von 1981 bis 1989 eine<br />
zweite Serie (C-160NG) auf, aber nur für<br />
Frankreich und Indonesien. Auch die aufgrund<br />
fehlender Austauschteile durch die<br />
französische Luftwaffe eingeführten Kunststoffpropeller<br />
kommen in den deutschen<br />
Transall nicht zum Einbau.<br />
Mit der Produktion der Transall wird die<br />
Grundlage für eine eigene deutsche, auch zivile<br />
Luftfahrtindustrie (heute Airbus) geschaffen.<br />
Die Transall rollen aus den vier Endmontagewerken<br />
in Lemwerder, Finkenwerder,<br />
Bourges und Toulouse, die dann außer in<br />
Deutschland und Frankreich auch in der Türkei<br />
sowie (zeitweilig) auch in Südafrika, Indonesien<br />
und Gabun ihren Dienst verrichten.<br />
52
ÜBUNGSFLUG: Eine<br />
Maschine vom Typ<br />
Antonow An-26 in der<br />
Nähe von Dresden.<br />
Foto: picture-alliance/ZB<br />
Schwestern“<br />
Die Transall, die heute immer noch fliegen,<br />
sind verändert gegenüber jenen, die bis<br />
Ende 1971 die Werkshallen verließen. Die<br />
einst nur für die Startphase vorgesehenen<br />
zwei zusätzlichen Strahltriebwerke am äußeren<br />
Drittel der Tragflächen haben sich<br />
schon in der Erprobungsphase nicht bewährt.<br />
Heute hängen an deren Befestigungen<br />
die Behälter für die Hitze-Täuschkörper<br />
der für den Einsatz in Krisenregionen mit<br />
Selbstschutzausrüstung (ESS) nachgerüsteten<br />
Transall.<br />
Im Jahr 1986 beginnen die strukturellen<br />
Lebensdauer-Verlängerungsmaßnahmen,<br />
kurz LEDA I bis LEDA III genannt. Diese<br />
führen zu einer Erweiterung der bis dahin<br />
nur auf rund 6.000 Flugstunden ausgelegten<br />
Rumpf- und Tragflächenstruktur der Transall<br />
auf eine Lebensdauer von 15.000 Flugstunden.<br />
PUNIB (Periodische Untersuchung<br />
bislang nicht inspizierter Bereiche), auch LE-<br />
DA III genannt, dient dazu, korrosionsgeschädigte<br />
Teile zu erkennen und zu reparieren.<br />
Die 1992 begonnene und im Jahr 2000<br />
beendete Modernisierung des Cockpits, unter<br />
anderem durch Einbau einer modernen<br />
Navigationsanlage mit „Flight Management<br />
System“ und Satellitennavigation (GPS), eines<br />
neuen Autopiloten sowie der Austausch<br />
der gesamten Kabelbäume macht die Transallflotte<br />
fit für das neue Jahrtausend.<br />
Übergabe an die Bundeswehr<br />
Drei Jahrzehnte zuvor: Am 26. April 1968<br />
wird auf dem Fliegerhorst Ahlhorn, der damaligen<br />
Heimat des Lufttransportgeschwaders<br />
(LTG) 62, durch den Inspekteur der<br />
Luftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff,<br />
das jeweils erste Serienflugzeug der<br />
Transall C-160 an die beiden Luftwaffen<br />
übergeben. Zu diesem Zeitpunkt sitzt das<br />
zukünftige Führungs- und Lehrpersonal im<br />
südfranzösischen Mont de Marsan bereits<br />
auf der Schulbank. Noch im gleichen Jahr<br />
werden die ersten Flugzeuge an das LTG 63<br />
in Hohn ausgeliefert, um mit der Ausbildung<br />
zu beginnen und sie weltweit einzusetzen.<br />
1969 landet in Wunstorf die erste Transall<br />
für die Flugzeugführerschule „S“. Diese<br />
schult fortan die Besatzungen aller drei<br />
Transall-Geschwader um und bildet sie aus.<br />
Das am 1. April 1968 in Köln-Wahn aufgestellte<br />
und 1971 nach Münster verlegte Lufttransportkommando<br />
führt bis zu seiner Auflösung<br />
im Jahr 2010 die bis 1972 komplett<br />
mit Transall aufgefüllten Lufttransportgeschwader<br />
61 und 63, die FFS „S und das 1986<br />
neu aufgestellte LTG 62, Wunstorf „aus einer<br />
Hand“. Ab Ende 2010 übernimmt das von<br />
Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden<br />
und Luxemburg in Eindhoven<br />
aufgestellte EATC (European Air Transport<br />
Command) die Planung und Führung von<br />
Lufttransporteinsätzen und MEDEVAC.<br />
Mit der Einführung der Transall ist man<br />
in der Lage, neue, weiter entfernte Ziele in<br />
bis dahin ungewohnten Höhen und teilweise<br />
über schlechtem Wetter anzufliegen,<br />
BEWÄHRT: Die robuste Konstruktion wird<br />
heute noch bei den russischen Luftstreitkräften<br />
eingesetzt. Foto: Igor Dvurekov<br />
DATEN Antonow An-26 (NATO-Bezeichnung „Curl“)<br />
Rolle:<br />
Taktischer Kampfzonentransporter<br />
Ursprungsland: Sowjetunion<br />
Hersteller:<br />
O.K. Antonow<br />
Erstflug: 25. Mai 1969<br />
Indienststellung: ab 1980 in die NVA-LSK<br />
Serienproduktion: 1969 bis 1986<br />
Hauptbetreiber: Russland, Ukraine, Vietnam, Usbekistan<br />
Gebaute Stückzahlen: 1.403<br />
Clausewitz 5/2013<br />
53
Militär und Technik | Transportmaschinen<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Transall C-160<br />
Länge<br />
32,40 m<br />
Flügelspannweite<br />
40,00 m<br />
Flügelfläche 160 m²<br />
Höhe<br />
12,36 m<br />
Leergewicht<br />
28.946 kg<br />
Max. Startgewicht<br />
49.150 kg<br />
Startgewicht (Behelfsbahn)<br />
44.200 kg<br />
Nutzlast (normal)<br />
8.000 kg<br />
Nutzlast (max.)<br />
15.000 bis 16.000 kg<br />
Kraftstoff (max.)<br />
ca. 13.000 kg<br />
Triebwerke 2 x PTL RR Tyne 20 Mk 22<br />
Leistung<br />
2 x 5.665 PS<br />
Propeller 2 x de Havilland - 4 Blatt /<br />
Ratier Forest<br />
Durchmesser<br />
5,50 m<br />
Reisegeschwindigkeit (max.)<br />
536 km/h<br />
Dienstgipfelhöhe<br />
8.500 m<br />
Ladefläche (ohne Rampe) 42,55 m²<br />
Ladefläche (mit Rampe) 54,20 m²<br />
Laderaum-Volumen (ohne Rampe) 115,30 m³<br />
Laderaum-Volumen (mit Rampe) 139,90 m³<br />
Passagiere (max.) 91<br />
Fallschirmspringer<br />
61 (mit Ausrüstung)<br />
MEDEVAC (Intensiv) 3 PTE (Patienten Transport Einheit)<br />
Besatzung 4–5 Mann (Pilot, Co-Pilot, Bordtechniker,<br />
Ladungsmeister, ggf. Taktischer<br />
System-Offizier, einst BNF.)<br />
SCHALTZENTRALE: Blick ins Cockpit einer C-160F (frz.).<br />
Foto: Archiv R. Korth<br />
längere Strecken schneller zurückzulegen<br />
und wesentlich größere Lasten und mehr<br />
Personen zu befördern.<br />
Eine Vorserienmaschine fliegt bereits 1968<br />
mit zivilen Besatzungen aus der Schweiz<br />
Hilfseinsätze zwischen Kamerun und dem<br />
sich von Nigeria zeitweilig abgespalteten<br />
Biafra. Dem folgen erste Hilfsflüge der Luftwaffe<br />
mit der Transall für Erdbebenopfer im<br />
Iran. Dann geht es Schlag auf Schlag: Somalia,<br />
die Türkei, der Sudan, Äthiopien. Flüge<br />
zur Weltausstellung in Osaka/Japan und mit<br />
„Leopard I“-Motoren nach Australien, oder<br />
der Europarakete nach Woomera schließen<br />
sich an.<br />
„Engel der Lüfte“<br />
Die Einsatzliste ist lang und führt schließlich<br />
dazu, dass man der Transall die liebevolle Bezeichnung<br />
„Engel der Lüfte“ verleiht. Kein<br />
Kontinent bleibt bis heute ausgespart. Vor allem<br />
die Hilfseinsätze und Routentransporte<br />
nach Afrika, Europa, USA und Kanada sollten<br />
das unruhige Transportfliegerleben prägen.<br />
Nicht zu vergessen ist die taktische Fliegerei<br />
im jährlichen TCTP (Tactical Combat Training<br />
Program), mit dem Absetzen von Fallschirmspringern<br />
und Lasten, Abwerfen von<br />
Jutesäcken aus extrem niedriger Höhe, Treffpunktaufgaben,<br />
Zweier- oder Dreier-Formationen,<br />
auch als enger Verbandsflug, Landung<br />
auf unbefestigten Behelfsflugplätzen<br />
(Sand, Schotter, Gras), Bekämpfung von<br />
Bränden aus der Luft, medizinische Evakuierung<br />
(MEDEVAC). Hinzu kommen unter<br />
anderem Transporte von Lufthansa-Trieb-<br />
ERFINDER UND NAMENSGEBER: Der russische<br />
Flugzeugkonstrukteur Oleg Antonow<br />
(1906–1984). Foto: ullstein bild – Novosti<br />
VERSORGUNG AUS DER LUFT: Eine Transall beim Abwurf von Hilfsgütern mit dem über<br />
Bosnien bewährten CDS-Verfahren (Container Delivery System). Der Bremsschirm stabilisiert<br />
die Last bis zum Auftreffen am Boden. Foto: Archiv LTG 62<br />
54
Ständige Weiterentwicklung<br />
„Tagtäglich lösen Transportflieger ein,<br />
was moralische Pflicht ist und wofür deutsche Politik<br />
steht – Verantwortung wahrnehmen und helfen,<br />
wenn Menschen in Not sind.“<br />
Tagesbefehl des (damaligen) Bundesministers der Verteidigung Volker Rühe vom<br />
7. Januar 1996 zum Ende der Luftbrücke nach Sarajevo<br />
werken, des Adenauer-Mercedes und von<br />
Kindernahrung nach Iwanowo in Russland.<br />
Die Tiefflüge sowohl im portugiesischen Beja<br />
als auch im kanadischen Goose Bay machen<br />
die Crews fit für Einsätze im Kalten<br />
Krieg, einst simuliert durch die Taktischen<br />
Überprüfungen (TacEVAL) am Heimatplatz.<br />
Bei reinen Hilfseinsätzen sollte es für die<br />
Transall nicht bleiben. Nach der logistischen<br />
Unterstützung der alliierten Streitkräfte im<br />
1. Golfkrieg ab 1991 folgt alsbald der Bürgerkrieg<br />
in Ex-Jugoslawien. Wieder sind auch die<br />
deutschen Transall dabei, als 1992 die internationale<br />
Luftbrücke vom kroatischen Zagreb,<br />
später vom italienischen Falconara aus in das<br />
eingekesselte Sarajevo anläuft und bis zum<br />
Januar 1996 mit vielen Unterbrechungen und<br />
Zwischenfällen andauert. Mit einer für Beschaffungsverfahren<br />
der Bundeswehr geradezu<br />
unglaublichen Geschwindigkeit und in<br />
direkter Zusammenarbeit zwischen Industrie<br />
und der Technik im Geschwader rüstet man<br />
einige Transall mit einer elektronischen<br />
Selbstschutzausstattung zur Abwehr von Boden-Luft-Raketen<br />
aus. Diese fortlaufend angepasste<br />
Ausrüstung macht die Transall gegenwärtig<br />
zu einem gut geschützten Transportflugzeug<br />
im weltweiten Einsatz.<br />
Seit 2001 vom Stützpunkt Termez in Usbekistan,<br />
danach aus Mazar-e-Sharif in<br />
Nord-Afghanistan heraus, versorgen bis<br />
heute – leider nur selten erwähnt – sechs bis<br />
acht Maschinen und Besatzungen die eigenen<br />
und NATO-Truppen im Rahmen der<br />
Operation ISAF. Darin enthalten ist eine als<br />
fliegende Intensivstation (MEDEVAC) ausgerüstete<br />
Transall, die sich in ständiger Bereitschaft<br />
befindet, um schwerstverletzte Patienten<br />
transportieren zu können.<br />
Bei tragischen Abstürzen der Transall auf<br />
Kreta, bei Lohr am Main und auf den Azoren<br />
verloren in den 50 Jahren nach dem Erstflug<br />
59 Angehörige der Bundeswehr während<br />
des Einsatzes ihr Leben.<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
IM INNERN: Blick ins Cockpit einer<br />
An-26.<br />
Foto: TS24<br />
AUFGESETZT: Im Rahmen der mulinationalen<br />
Übung Volant Rodeo im Juni 1985 landet<br />
eine C-160D auf einer unbefestigten Piste.<br />
Foto: USAF<br />
Antonow An-26<br />
Die Antonow An-26<br />
Die Konstruktion der Antonow An-26 basiert<br />
auf der bewährten Antonow An-24<br />
(„Coke“), deren Entwicklung ins Jahr 1956<br />
zurückreicht. Die größtenteils übernommene<br />
Flugzeugzelle erhält eine Laderampe, die<br />
man ähnlich der Laderampe der Transall<br />
zum Be- und Entladen von sperrigen Gütern<br />
auf den Boden herunterlässt. Alternativ<br />
kann man sie im Flug unter den Rumpf fahren,<br />
um Fallschirmspringer oder Lasten abzusetzen.<br />
Zur Kompensation des höheren<br />
Gewichtes baut man in die rechte Triebwerksgondel<br />
ein zusätzliches Strahltriebwerk<br />
(Ru-19A-300) mit 7,85 kN Schub ein.<br />
Dies verkürzte einerseits die Startstrecken<br />
und verbesserte andererseits die Steigleistung.<br />
Ein Deckenkran, ein Transportband im<br />
Laderaum und eine Ladewinde ermöglichen<br />
das feldmäßige Be- und Entladen ohne externe<br />
Hilfsmittel. An den Seitenwänden des<br />
Rumpfes befinden sich Klappsitze für bis zu<br />
Länge<br />
23,80 m<br />
Flügelspannweite<br />
29,20 m<br />
Flügelfläche 75 m²<br />
Höhe<br />
8,32 m<br />
Leergewicht<br />
15.020 kg<br />
(je nach Ausrüstung)<br />
Max. Startgewicht 24.000 kg<br />
Landegewicht<br />
24.000 kg<br />
Nutzlast (normal)<br />
5.500 kg<br />
Nutzlast (max.)<br />
6.300 kg<br />
Kraftstoff (max.)<br />
5.500 kg<br />
Triebwerke 2 x PTL Iwtschenko AI-24WT<br />
1 Turbojet Tumanski<br />
RU-19A-300<br />
Leistung<br />
2 x 2.860 PS<br />
1x 7,85 kN<br />
Propeller 2 x AW 72-T<br />
Durchmesser<br />
3,90 m<br />
Reisegeschwindigkeit 440 km/h<br />
Dienstgipfelhöhe<br />
8.400 m<br />
Laderaum-Volumen<br />
60 m³<br />
(mit Rampe)<br />
Passagiere (max.) 39<br />
Fallschirmspringer 30 (mit Ausrüstung)<br />
Besatzung 4-5 Mann (Pilot, Co-Pilot,<br />
Bordtechniker, Steuermann)<br />
Clausewitz 5/2013<br />
55
Militär und Technik | Transportmaschinen<br />
39 Passagiere. Der mögliche Einbau von bis<br />
zu 24 Krankentragen dient der Evakuierung<br />
von Verwundeten oder Verletzten.<br />
Die Luftstreitkräfte (LSK) der Nationalen<br />
Volksarmee (NVA) beschaffen von 1980 bis<br />
1986 zwölf An-26 und setzen diese in der<br />
Transportfliegerstaffel 24 in Dresden-Klotzsche<br />
ein, zuweilen auch bei Hilfseinsätzen in<br />
Äthiopien und Mosambik. Die Crews werden<br />
in der Ukraine ausgebildet.<br />
Die Maschinen dienen als Ersatz für die<br />
1979 bis 1982 außer Dienst gestellten, von je<br />
zwei Sternmotoren angetriebenen IL-14<br />
(„Crate“). Man zieht wohl damals durchaus<br />
auch andere Flugzeuge sowjetischer Bauart,<br />
PRÄSENTIERT: Flugtage<br />
oder Pressetermine<br />
boten immer wieder<br />
Gelegenheit, die Transall<br />
eindrucksvoll in Szene<br />
zu setzen. Foto:LTG 61<br />
von der An-72 bis zur IL-76, in Betracht, aber<br />
es sprachen wohl politische und finanzielle<br />
Gründe dagegen.<br />
Sondermaschinen der An-26<br />
Das Besatzungskonzept der An-26 ähnelt<br />
dem der Transall. Auffällig ist jedoch, dass<br />
man im Gegensatz zur Luftwaffe auf den<br />
Einsatz eines Ladungsmeisters verzichtet.<br />
Seine Aufgaben übernehmen der Bordtechniker<br />
und der Copilot, vergleichbar mit der<br />
„Noratlas“. Auch der vom Hersteller vorgesehene<br />
und im sowjetischen Besatzungskonzept<br />
eingeplante Arbeitsplatz des Bordfunkers<br />
bleibt unbesetzt, die Aufgaben werden<br />
vom „Steuermann“ (NVA-Bezeichnung für<br />
den Navigator) und Bordtechniker mit übernommen.<br />
Der Steuermann ist nicht der verantwortliche<br />
Kommandant an Bord, auch<br />
wenn er über deutlich mehr Kompetenzen<br />
und andere Aufgaben innerhalb der Besatzung<br />
verfügt, als seine „westlichen“ Kollegen.<br />
Die Verantwortung und Entscheidungsgewalt<br />
liegt auch bei der An-26 beim vorne<br />
links sitzenden „Besatzungskommandanten“;<br />
dieser ist auch im „normalen“ Dienstbetrieb<br />
Vorgesetzter seiner Besatzung.<br />
Unter den zwölf An-26 erfüllen während<br />
des Kalten Krieges drei Maschinen und ihre<br />
Besatzungen spezielle Aufgaben. Ein Luftfahrzeug,<br />
mit entsprechen Sensoren ausgestattet,<br />
dient für Flüge zur elektronischen<br />
Aufklärung entlang der innerdeutschen<br />
Grenze. Die hierfür erforderliche Ausrüstung<br />
kommt in den Anfangsjahren im Wechsel<br />
in mehreren Maschinen zum Einsatz, ehe<br />
man sie fest in die extra hierfür beschaffte<br />
„373“ einrüstet. Die zweite „Sondermaschine“<br />
war die „369“, eine An-26SM. Dieses<br />
Flugzeug dient zur Flugvermessung militärischer<br />
Flugnavigationsanlagen bis hin zum<br />
ILS (Instrument-Landing-System). Sie steht<br />
heute im Luftwaffenmuseum Berlin-Gatow.<br />
Von den restlichen Flugzeugen verfügen<br />
einige über eine „Salonvariante“. Darin sind<br />
im Vorderteil des Laderaums zwölf quer zur<br />
Flugrichtung angeordnete Sitze und Tische<br />
eingebaut – nur durch eine Zwischenwand<br />
vom hinteren Teil des Laderaums abgetrennt.<br />
Eine solche Maschine ist die „375“,<br />
die man heute im Technikmuseum in Speyer<br />
besichtigen kann. Leider entsprechen weder<br />
die derzeitige Bemalung noch die Angaben<br />
über die frühere Verwendung des Luftfahrzeuges<br />
der Realität. Anders als dort<br />
dargestellt, nutzte der Staatsratsvorsitzende<br />
Erich Honecker diese Salonvarianten nicht<br />
für seine VIP-Flüge.<br />
Einsätze der An-26<br />
Die weitaus bekannteren „Sondereinsätze“<br />
der An-26 zur Zeit des Kalten Krieges finden<br />
in Afrika statt. Von 1984 bis 1986 werden drei<br />
Maschinen mit bis zu sieben Besatzungen im<br />
Rahmen der Dürrehilfe in Äthiopien eingesetzt.<br />
Zur Verschleierung des Einsatzes militärischer<br />
Kräfte erhalten diese Maschinen eine<br />
„Interflug-Bemalung“ und eine zivile<br />
Kennung. Auch die Besatzungen erhalten zivile<br />
Fluglizenzen. Aber nicht nur diese drei<br />
Maschinen, sondern alle zwölf An-26 haben<br />
neben ihrer militärischen Kennung auch eine<br />
zivile Kennung (beginnend mit „DDR-SB“),<br />
um sie kurzfristig für ähnliche Aufgaben<br />
verwenden zu können. So bildet man unter<br />
anderem von 1986 bis 1990 eine „Fluggruppe“<br />
zum Einsatz einer An-26 in Mosambik.<br />
56
Transall vor der Ablösung<br />
Zu den regelmäßigen Standardeinsätzen<br />
zählen die Flüge in das ukrainische Lwiw<br />
(Lemberg) zum Transport der für den Aufbau<br />
der „Erdgastrasse“ erforderlichen Arbeitskräfte.<br />
Auch wenn diese Flüge als Charterflüge<br />
für die „Interflug“ mit Interflugrufzeichen<br />
durchgeführt werden, kommen hier<br />
„Schnell – sicher – weltweit – zuverlässig.”<br />
jedoch stets An-26 aus dem normalen Verfügungsbestand<br />
(normalerweise mit militärischer<br />
Kennung) und auch eindeutig als Militär<br />
erkennbare Besatzungen zum Einsatz.<br />
Das Einsatzspektrum der An-26 ist annähernd<br />
mit dem der C-160 vergleichbar, nicht<br />
aber mit Blick auf die Zuladung, die Reichweite<br />
und den Einsatz auf Behelfsflugplätzen.<br />
Hier ist die Transall deutlich überlegen.<br />
Das fliegerische Spektrum der An-26 reicht<br />
vom Instrumentenflug auf internationalen<br />
SONDERVARIANTE: Blick in den vorderen<br />
Teil des Laderaums einer An-26 mit „Salon“.<br />
Foto: TS24<br />
Motto des LTKdo (1968–2010)<br />
Luftstraßen im Passagier- und Lastentransport<br />
bis zum extremen Tiefflug in 25 Metern<br />
über Grund. Auch Flüge in geschlossener<br />
Formation – bei Tag und Nacht – gehören<br />
zum Standardtrainingsprogramm, ebenso<br />
Flüge zum Absetzen von Fallschirmspringern<br />
unter guter Sicht und bei Schlechtwetter.<br />
Das Aufgabenspektrum wird ergänzt<br />
durch den SAR-Einsatz, sowohl zur reinen<br />
Suche Schiffsbrüchiger als auch zum Abwerfen<br />
von Rettungsmitteln. Aufgrund der zu<br />
geringen Reichweite und hierfür fehlender<br />
Navigationsausstattung eignet sich die<br />
An-26 nicht für Langstreckenflüge.<br />
Außerdienststellung der An-26<br />
Nach der Wende entscheidet das Bundesverteidigungsministerium<br />
(BMVg), die am<br />
3. Oktober 1990 von der Luftwaffe übernommen<br />
An-26 aus logistischen Gründen langfristig<br />
nicht weiter zu betreiben. Bis Ende<br />
1990 stellt man bereits die ersten zwei Maschinen<br />
außer Dienst, 1992 folgt eine weitere<br />
An-26. Eine Maschine gilt nach einer zu harten<br />
Landung als Totalverlust.<br />
Mitte 1991 entscheidet das BMVg, bis Ende<br />
1992 den Flugbetrieb mit der An-26 endgültig<br />
einzustellen – mit Ausnahme der<br />
Flugvermessungsmaschine. Zu diesem Zeitpunkt<br />
ist die Umrüstung der von der Luftwaffe<br />
übernommen MiG-29 auf westliche<br />
Avionik noch nicht abgeschlossen, daher bedürfen<br />
die weiter im Betrieb stehenden „öst-<br />
ZUR SCHAU GESTELLT: Eine von der Luftwaffe<br />
der Bundeswehr nach 1990 übernommene<br />
An-26 auf dem Außengelände des Militärhistorischen<br />
Museums Flugplatz Berlin-<br />
Gatow.<br />
Foto: MHM Flugplatz Berlin-Gatow<br />
lichen“ Boden-Navigationsanlagen einer<br />
zwischenzeitlich fortgesetzten Flugvermessung.<br />
Von den einst zwölf An-26 wird schließlich<br />
eine Maschine verschrottet, vier Flugzeuge<br />
werden an deutsche Museen abgegeben<br />
sowie sieben Exemplare nach Russland<br />
verkauft. Letztere befinden sich noch heute<br />
im Einsatz, unter anderem bei den Luftwaffen<br />
des Sudan und Namibias.<br />
Die An-26 ist bereits „deutsche“ Geschichte,<br />
die Transall wird es bald sein. Die<br />
1957 begonnene Ära der zweimotorigen<br />
Transporter der Luftwaffe nähert sich ihrem<br />
Ende. Mit dem Zulauf der viermotorigen<br />
A400M als Nachfolgemuster der Transall<br />
wird die Luftwaffe wohl ab 2015 in die Lage<br />
versetzt, die steigenden Anforderungen im<br />
auch erweiternden Einsatzspektrum zu<br />
meistern. Doch auch dann gilt das seit über<br />
50 Jahren bewährte Motto unserer Transportflieger:<br />
„Schnell – sicher – weltweit – zuverlässig“!<br />
Hans-Werner Ahrens, Jg. 1948, Generalmajor a. D.,<br />
letzter Kommandeur des LTKdo, Münster; von 1970<br />
bis zum Ruhestand in 2010 über 4.500 Flugstunden<br />
auf der Transall. Autor von „Die Luftbrücke nach Sarajevo<br />
1992 bis 1996: Transportflieger der Luftwaffe und<br />
der Jugoslawienkrieg“.<br />
Mathias Brandt, Jg. 1964, Major, Fluglehrer und Flugsicherheitsstabsoffizier<br />
im LTG 62, Wunstorf; von<br />
1987–1992 (bis 1990 ex-NVA) circa 1.200 Flugstunden<br />
auf der An-26, circa 4.000 Flugstunden auf der<br />
Transall.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
57
Schlachten der Weltgeschichte | Sechstagekrieg<br />
Sechs „Tage des Feuers“<br />
Der dritte arabisch-<br />
Israel<br />
Truppenstärke<br />
Soldaten: 264.000<br />
Panzer: 800<br />
Flugzeuge: 400<br />
Verluste<br />
Tote: 776<br />
Verwundete: 4.517<br />
Panzer: 122 (Sinai),<br />
112 (Westjordanland),<br />
160 (Golanhöhen)<br />
Flugzeuge: 46 (circa 20%),<br />
davon 12 im Luftkampf<br />
Hauptgegner Israels (ohne Saudi-Arabien, Irak und Libanon)<br />
Truppenstärke<br />
Soldaten: 403.000 (240.000 Ägypten, 105.000 Syrien, 58.000 Jordanien)<br />
Panzer: 1.930 (1.180 Ägypten, 550 Syrien, 200 Jordanien)<br />
Flugzeuge: 600 (450 Ägypten, 120 Syrien, 30 Jordanien)<br />
Verluste<br />
Die angegebenen Verlustzahlen der arabischen Staaten weichen stark<br />
voneinander ab, liegen aber weit über denen der Israelis. Ägypten allein<br />
hat 10 bis 15.000 Tote zu beklagen und verlor 700 Panzer. Die Toten der<br />
Syrer (2.500) und Jordanier (6.000) belegen ebenfalls einen extrem<br />
hohen Blutzoll dieser Länder.<br />
58
israelische Krieg<br />
Sommer 1967: Für Israel steht die Existenz auf dem Spiel. Der kleine<br />
Staat ist auf drei Seiten von Feinden bedrängt und steht mit dem<br />
Rücken zum Meer. Mit einem gewagten Präventivschlag versucht das<br />
Land die drohende Niederlage abzuwenden… Von Frederick Feulner<br />
IN STELLUNG: Jordanische Truppen<br />
verschanzen sich an der Grenze zu<br />
Israel. Jordanien gehört zusammen mit<br />
Ägypten und Syrien zu den<br />
Hauptgegnern Israels während des<br />
Sechstagekriegs. Foto: picture-alliance/dpa<br />
Clausewitz 5/2013<br />
59
Schlachten der Weltgeschichte | Sechstagekrieg<br />
VORBEREITUNG FÜR<br />
DEN ERNSTFALL:<br />
Israelische Soldaten<br />
springen am Gazastreifen<br />
von ihrem<br />
Halbkettenfahrzeug.<br />
Der Gazastreifen wird<br />
von den Israelis im<br />
Laufe des Krieges erobert.<br />
Heute ist er ein<br />
palästinensisches<br />
Autonomiegebiet.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Israel ist 1967 400 Kilometer lang, an seiner<br />
weitesten Stelle 100 Kilometer, an seiner<br />
schmalsten lediglich 15 Kilometer<br />
breit. Es dauert nur Minuten, um mit einem<br />
Flugzeug jeden Punkt zu erreichen. Nach<br />
zwei von Israel gewonnenen Kriegen 1948<br />
und 1956 wird von den arabischen Nachbarn<br />
eine extrem antiisraelische Politik betrieben:<br />
Jüdische Siedlungen werden immer wieder<br />
von syrischen Stellungen auf dem Golan beschossen,<br />
Sabotageakte auf die Infrastruktur<br />
und Terrorangriffe sind häufig. Anhaltende<br />
Streitigkeiten um das Wasser heizen die Stimmung<br />
zusätzlich an. In Syrien und Libanon<br />
wird versucht, den Jordan umzuleiten, um<br />
die israelischen Siedler vom Wasser abzuschneiden.<br />
Zudem unterstützen beide Länder<br />
Jassir Arafats PLO. Mitte Mai 1967 remilitarisieren<br />
die Ägypter den Sinai zunehmend,<br />
die UN-Truppen ziehen sich zurück.<br />
Am 22. Mai schließt Ägypten die Straße von<br />
Tiran für den Schiffsverkehr – die wichtigste<br />
Route zu den Erdölimporten – und ermutigt<br />
seine Verbündeten Irak, Jordanien und Syrien<br />
dazu, ihre Truppen in Alarmbereitschaft<br />
zu versetzen. Damit ist für Israel die Zeit zum<br />
Handeln gekommen.<br />
Am Vorabend des Krieges<br />
Auf dem Sinai ist der Großteil der ägyptischen<br />
Armee stationiert, zwei gepanzerte<br />
und drei Infanteriedivision, zusammen<br />
100.000 Mann und 1.000 Panzer, massiv aufgerüstet<br />
mit sowjetischer Militärhilfe. Teilweise<br />
stehen die Ägypter im Gazastreifen,<br />
um diesen als Sprungbrett nach Israel nutzen<br />
„Wir werden Israel und seine Bewohner vernichten.<br />
Und für die Überlebenden – sofern es welche gibt –<br />
stehen Boote bereit, um sie zu deportieren.“<br />
PLO-Anführer Ahmad al-Shuqayri<br />
zu können. An der jordanischen Front stehen<br />
zwei gepanzerte und sieben Infanteriebrigaden<br />
bereit, fünf davon auf dem Westufer. Auf<br />
den strategisch wichtigen Golanhöhen haben<br />
sich 40.000 Mann syrische Truppen mit<br />
über 250 Panzern verschanzt.<br />
Auf ägyptischer Seite steht eine große,<br />
mit sowjetischer „Bruderhilfe“ ausgebaute<br />
Armee bereit. Zusammen mit den Verbündeten<br />
Jordanien, Syrien, Irak, sowie Kuwait,<br />
Algerien, Saudi-Arabien und Sudan kommt<br />
man auf über 400.000 Mann, 2.700 Panzer<br />
und über 700 Flugzeuge. Die Armee ist nach<br />
sowjetischem Vorbild in Divisionen organisiert<br />
und umfasst gut ausgebildete Fallschirm-<br />
und Kommandoeinheiten. Trotz eines<br />
dreijährigen Wehrdienstes mangelt es<br />
den durchschnittlichen ägyptischen Soldaten<br />
jedoch an Initiative, Fantasie und Bildung.<br />
Strategisch verfügen die Ägypter über<br />
Bomber, die zusammen mit den verbündeten<br />
Luftwaffen in einem Erstschlag über 500<br />
Tonnen Bomben hätten abwerfen können.<br />
Die Lufttransportkapazitäten ermöglichen<br />
simultane Landungen in Brigadestärke. Syrien<br />
und der Irak sind ebenfalls durch Waffenhilfe<br />
der UdSSR hochgerüstet. Dazu kommen<br />
die Truppen der kleinen, aber gut ausgebildeten<br />
und nach US-Vorbild ausgerüsteten<br />
jordanische Armee.<br />
Was hat Israel dem entgegenzu setzen? In<br />
Friedenszeiten verfügt der junge Staat über<br />
ein stehendes Heer von lediglich 2.000 Berufssoldaten<br />
und 72.000 Wehrdienstleistenden.<br />
Diese sind in ihren Basisformationen<br />
von sieben Brigaden (entspricht US-Regiment)<br />
organisiert, davon vier Infanterie-, eine<br />
Fallschirmjäger- und zwei gemischte Panzerbrigaden.<br />
Vollständig mobilisiert kann<br />
die Armee auf 31 Brigaden (je zwischen<br />
3.500-4.500 Mann) aufgestockt werden: 22<br />
Infanterie-, acht Panzer- und eine Fallschirmjäger-brigade,<br />
zudem einige Reservebrigaden.<br />
Mit einem Verhältnis von 50:50<br />
zwischen Kampf- und Vesorgungseinheiten<br />
ist die IDF sehr schlagkräftig (in Vietnam erreichen<br />
die USA nur einen Wert von 10:90).<br />
Aufgrund der aggressiv-offensiven Aufgaben<br />
sind alle Einheiten weitestgehend motorisiert<br />
und an die Wüste angepasst. Die israelische<br />
Luftwaffe hat vollmobilisiert circa<br />
20.000 Mann und etwa 450 Flugzeuge, meist<br />
französischer Herkunft. Die Marine beschränkt<br />
sich auf vier Zerstörer, zwei U-Boo-<br />
60
Israelische Luftüberlegenheit<br />
te, drei Landungsboote und kleinere Küstenfahrzeuge.<br />
Der stärkste Angriff Israels muss zuerst<br />
gegen den gefährlichsten Feind, Ägypten,<br />
geführt werden. Die Kämpfe an der syrischen<br />
und jordanischen Front sollen hinausgezögert<br />
werden. 1956 drangen die israelischen<br />
Truppen entlang des Golfs von Eilat<br />
über den südlichen Sinai vor. 1967 werden<br />
die Ägypter durch ein Täuschungsmanöver<br />
auf eine falsche Fährte gelockt. Zwei der drei<br />
Panzerbrigaden, die bei Kuntilla stationiert<br />
werden, bestehen aus Attrappen. Der<br />
Hauptangriff soll diesmal im nördlichen Sinai<br />
stattfinden. Der kleine Staat Israel kann<br />
sich keine längergehende Mobil- machung<br />
in Erwartung eines Angriffs erlauben, deshalb<br />
muss umgehend mit einem lange geplanten<br />
und im Geheimen durchexerzierten<br />
Erstschlag gehandelt werden.<br />
KARTE<br />
Der Angriff Israels<br />
Der israelische Erfolg des Sechstagekrieges<br />
ist jedoch im überraschenden Einsatz der<br />
Luftwaffe begründet. In den Morgenstunden<br />
des 5. Juni fliegen etwa 200 israelische<br />
Kampflugzeuge Angriffe auf 19 ägyptische<br />
Flugfelder auf dem Sinai und am Westufer<br />
des Suezkanals – Operation Moked hat begonnen.<br />
Dabei macht sich das rigorose Training<br />
bezahlt: Im Tiefflug und in Funkstille<br />
nähern sich die Maschinen unterhalb des Radarschirms<br />
über See und zerstörten dabei<br />
293 überwiegend moderne Maschinen sowjetischer<br />
Bauart. Zudem werden die Startbahnen<br />
durch Bomben unbrauchbar gemacht<br />
und auf dem Rückweg Gelegenheitsziele<br />
wie SAM-Stellungen angegriffen.<br />
Danach fliegen die Maschinen zurück, wo<br />
sie in einer Turnaround-Zeit von durchschnittlich<br />
acht Minuten betankt, aufmunitioniert<br />
und für die nächste Angriffswelle<br />
startklar gemacht werden. Zur Zeit der Angriffe<br />
befindet sich der ägyptische Oberbefehlshaber<br />
Amer in der Luft und wird vom<br />
gesamten Generalstab auf dem Sinai auf<br />
dem Flugfeld von Bir Thamada erwartet.<br />
Aufgrund mangelnden Vertrauens in die eigenen<br />
Truppen wird der Flugabwehr untersagt<br />
auf Flugzeuge zu schießen, solange<br />
Amers Flugzeug in der Luft ist. Es dauerte<br />
über 90 Minuten bis er schließlich auf dem<br />
Zivilflughafen Kairo landen kann. Binnen<br />
kurzer Zeit wird dadurch die totale Luftüberlegenheit<br />
über dem Sinai erlangt. Um<br />
10.45 Uhr hat ein Großteil der ägyptischen<br />
Luftwaffe faktisch aufgehört zu existieren.<br />
Vor allem die strategischen Bomber vom Typ<br />
Tu-16 „Badger“ hätten den israelischen Ballungszentren<br />
und Atomanlagen in der Negev-Wüste<br />
gefährlich werden können.<br />
Erstes Landziel, das unter allen Umständen<br />
genommen werden muss, ist der Gazastreifen,<br />
in dem sich zwei ägyptische Divisionen<br />
mit zahlreichen schweren Panzern und<br />
Panzerabwehrkanonen hinter einem tiefgestaffelten<br />
Minenfeld eingegraben haben.<br />
Zwei Panzerbatallione, bestehend aus M48<br />
Der Sechstagekrieg vom 5. bis 10. Juni 1967<br />
ZIVILES LEBEN HINTER SANDSÄCKEN: Einwohner<br />
der ägyptischen Stadt Suez während<br />
des Sechstagekrieges. Der Ort wird durch<br />
die Kampfhandlungen stark beschädigt und<br />
zeitweise sogar vollständig evakuiert.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich<br />
Clausewitz 5/2013<br />
61
Schlachten der Weltgeschichte | Sechstagekrieg<br />
Anführer während des Konfliktes<br />
AUF ISRAELISCHER SEITE<br />
General Mosche Dayan (1915–1981)<br />
Erste Kampferfahrungen sammelt Dayan bereits<br />
im Alter von 14 Jahren als Untergrundkämpfer<br />
der „Hagana“, später kämpft er im<br />
paramilitärischen, jüdischen „Palmach“-Verband<br />
unter australischem Kommando gegen<br />
Vichy-französische Truppen im Libanon. Als<br />
Stabschef führt er Israel 1956 auf dem Sinai<br />
zum Sieg. Danach fungiert er als Landwirtschaftsminister,<br />
wird aber im Zuge der ansteigenden<br />
Spannungen am 2. Juli 1967 zum<br />
Verteidigungsminister und damit zum Oberbefehlshaber<br />
ernannt. In insgesamt vier Kriegen<br />
spielt der charismatische, brillante, häufig<br />
aber auch pessimistisch eingestellte Dayan<br />
eine wichtige Rolle. Neben seinen militärischen<br />
Erfolgen ist er als Außenminister auch<br />
an politischen Lösungen beteiligt.<br />
Generalmajor Jitzchak Rabin (1922–1995)<br />
Während des Zweiten Weltkrieges kämpft Rabin<br />
in der „Palmach“, wird später in die neue<br />
israelische Armee übernommen, wo er im Unabhängigkeitskrieg<br />
mit einer Eliteeinheit um<br />
Jerusalem kämpft. Als Generalmajor ist er mit<br />
dem Aufbau der Führungsakademie beauftragt<br />
und übernimmt 1964 das Resort als Stabschef,<br />
wo er für den Ausbau der Panzertruppe<br />
verantwortlich ist. Von 1974–1977 und<br />
1992–1995 ist er israelischer Ministerpräsident<br />
und erhält zusammen mit Shimon Peres<br />
und Jassir Arafat für sein Bemühen zur Lösung<br />
des Nahostkonfliktes den Friedensnobelpreis.<br />
Generalmajor Israel Tal (1924–2010)<br />
Tal beginnt seine Karriere in der britischen Armee,<br />
dient später als Offizier im Unabhängigkeitskrieg<br />
und während der Suezkrise 1956.<br />
Er entwickelt das rigorose Ausbildungsprogramm<br />
für die Panzereinheiten und führt<br />
1967 seine Panzertruppen blitzkriegartig<br />
durch den Gazastreifen entlang des nördlichen<br />
Sinai. Später leitet er das Entwicklungsteam<br />
des Merkava-Panzers.<br />
Generalmajor Avraham Joffe (1913–1983)<br />
Joffe wird bereits 1929 Mitglied der Hagana,<br />
kämpft in der Britischen Armee, bevor er in<br />
die IDF wechselt. Als General der Reserve<br />
wird er 1967 in der zentralen Sinaifront eingesetzt,<br />
wo er mit einem effektiven Vorstoss<br />
durch für Panzer unpassierbar geltendes Terrain<br />
die Ägypter überrascht und zum Sieg am<br />
Mitla-Pass beiträgt.<br />
Generalmajor Ariel Sharon (*1928)<br />
Bereits mit 14 ist Sharon Mitglied der Hagana,<br />
wechselt später zu den Fallschirmjägern,<br />
mit denen er bei Mitla unter relativ hohen<br />
Kosten einen Sieg erringen kann. Sharon<br />
kommandiert die südliche Sinaifront und<br />
überwindet einen stark verteidigten Stützpunkt<br />
bei Um Katef, bevor er die südliche<br />
Flanke sichern kann. Politisch agiert er als<br />
Landwirtschaftsminister,<br />
Verteidigungsminister<br />
und übernimmt<br />
das Amt des<br />
Ministerpräsidenten.<br />
POLITIKER MIT<br />
MILITÄRTRADITION:<br />
Der spätere Ministerpräsident<br />
Sharon<br />
als Soldat im Sechstagekrieg.<br />
Er ist auf<br />
der Sinai-Halbinsel<br />
im Einsatz.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
AUF SEITEN DER VEREINIGTEN ARABISCHEN REPUBLIK<br />
Präsident Gamal Abdel Nasser (1918–1970)<br />
Zuerst nationalistisch eingestellt, propagiert Nasser<br />
später einen Panarabismus unter ägyptischer Führung,<br />
im Zuge dessen sich seine antisraelische Rhetorik und<br />
Politik verstärkt und schließlich zum Sechstagekrieg<br />
führt. Mit dem innerlichen Vakuum nach der Niederlage<br />
weicht der arabische Nationalismus zunehmend islamisch<br />
fundamentalistischen Strömungen.<br />
ADVOKAT DES PANARABISMUS: Diese undatierte<br />
Aufnahme zeigt Gamal Abdel Nasser als Offizier<br />
des ägyptischen Militärs. Foto: picture-alliance/dpa<br />
Feldmarschall Abdel Hakim Amer (1919–1967)<br />
Seit 1939 in der ägyptischen Armee, wird Amer 1952<br />
zum Stabschef befördert, kämpft während der Suezkrise<br />
und im Jemen. 1964 wird er stellvertretender<br />
Oberkommandierender. Er lässt Präsident Nasser im<br />
Unklaren über die eigentliche Situation der ägyptischen<br />
Armee und gibt den Befehl zum Rückzug aus<br />
dem Sinai, der im Desaster endet. Als Folge des Krieges<br />
von 1967 wird er aller Ämter enthoben und unter<br />
dem Vorwand, einen Staatsstreich geplant zu haben<br />
vor die Wahl zwischen einer Anklage und einem Freitod<br />
gestellt. Er entschied sich für letzteres.<br />
Pattons und Centurions unter General Israel<br />
Tal, überwinden unter Verlusten den Sperrgürtel<br />
und treffen bei Rafah auf ein Hornissennest<br />
aus 150 IS-III-Panzern und 90 Geschützen.<br />
Die Ägypter können die Israelis<br />
zunächst für einige Stunden aufhalten, bis<br />
israelische Artillerie- und Luftunterstützung<br />
verfügbar ist und der Vormarsch entlang der<br />
Küste fortgesetzt werden kann. Gleichzeitig<br />
„Wir werden hohe Verluste<br />
erleiden, aber wir haben keine andere Wahl.“<br />
IDF-Stabschef Jitzchak Rabin<br />
beschwört die israelische Regierung den König<br />
von Jordanien, nicht in den Krieg einzutreten.<br />
Dieser fühlt sich jedoch seinem Bündnis<br />
mit Ägypten verpflichtet und greift – von<br />
falschen Siegesmeldungen der Ägypter bestärkt<br />
– im Westjordanland in den Krieg ein.<br />
In der dritten und vierten Angriffswelle des<br />
6. Juni haben die Israelis auch die jordanische<br />
und syrische Luftwaffe weitestgehend<br />
ausgeschaltet und einen irakischen Stützpunkt<br />
angegriffen. Am Ende des ersten Tages<br />
hat die IAF 416 Flugzeuge zerstört, sie<br />
selbst verlor 26 Maschinen. Angesichts des<br />
Erfolges der israelischen Armee versuchen<br />
sich die Ägypter hinter den Suezkanal zurückzuziehen.<br />
Der Vormarsch im Norden<br />
des Sinai unter Generalmajor Tal wird jedoch<br />
bei El Arish zunächt gestoppt. Um den entscheidenden<br />
Schlag gegen Ägypten zu führen<br />
wird beschlossen, nicht den ägyptischen<br />
Verbänden hinterherzufahren, sondern sie<br />
an den strategischen Passstraßen von Mitla<br />
und Gidi im zentralen Sinai, sowie Bir Gifgafa<br />
im nördlichen Sinai abzufangen. Mit den<br />
letzten Treibstoffreserven erreichten Teile<br />
der Brigaden von Tal und Joffe am 7. Juni das<br />
Nadelöhr und verhinderten die Flucht, bis<br />
sich die nachrückenden Israelis unter der<br />
62
Eroberung Ostjerusalems<br />
Führung Sharons sammeln und die Ägypter<br />
in die Zange nehmen können. Die Kämpfe<br />
halten während der Nacht an, bis am Morgen<br />
die IAF eingreifen kann und tausende<br />
brennende ägyptische Fahrzeuge auf dem<br />
Schlachtfeld zurücklässt. Kurze Zeit später<br />
erreicht die israelische Armee den Suezkanal,<br />
und auch der Süden des Sinai mit der<br />
Straße von Tiran wird durch eine Landung<br />
von See her erobert – die ägyptische Besatzung<br />
von Sharm El Sheik hat bereits größtenteils<br />
den Rückzug angetreten. Ägyptens Präsident<br />
Nasser muss am 9. Juni den Waffenstillstand<br />
akzeptieren.<br />
Gegen Syrien und Jordanien<br />
Nachdem jordanische Artillerie am 5. Juni<br />
Vororte von Jerusalem und Tel Aviv beschossen<br />
hat, setzt die IDF ihre Pläne für das Westjordanland<br />
um: Vertreibung der gut ausgerüsteten<br />
Arabischen Legion König Husseins<br />
und Besetzung Ostjerusalems. Am 7. Juni<br />
wird, trotz anfänglicher Bedenken, die Altstadt<br />
von Jerusalem mit ihren heiligen Stätten<br />
von Fallschirmjägern im zähen Häuserkampf<br />
erobert; bereits einen Tag später sind<br />
auch die Reste der jordanischen Armee auf<br />
das Ostufer zurückgedrängt.<br />
Im Norden mischen sich syrische Truppen<br />
zunehmend in das Kriegsgeschehen ein<br />
und greifen am 6. Juni Siedlungen auf israelischem<br />
Gebiet an. Am 7. und 8. Juni wird<br />
das Grenzgebiet Ziel von andauernden Artillerieangriffen.<br />
Obgleich die syrische Luft-<br />
VON DER BESATZUNG ZURÜCKGELASSEN:<br />
Ein zerstörtes ISU-152 Sturmgeschütz aus<br />
sowjetischer Produktion. Das schwere<br />
Selbstfahrartilleriefahrzeug wurde von Josef<br />
Galili fotografiert.<br />
Foto: Sammlung Galili<br />
waffe schon in den ersten Tagen des Krieges<br />
ausgeschaltet ist, zögert die israelische Regierung<br />
mit einem Angriff auf die strategisch<br />
wichtigen Golanhöhen: Ein direkter Angriff<br />
auf einen gut verschanzten Feind an einem<br />
Steilhang hätte zu blutigen Verlusten führen<br />
können. Nachdem sich die Lage an der südlichen<br />
und mittleren Front jedoch positiv<br />
entwickelt, entscheidet man am 9. Juni, einen<br />
Angriff zu wagen. Luftangriffe und Artillerieschläge<br />
weichen die syrischen Befestigungen<br />
auf, und nach harten Kämpfen stehen<br />
am Abend bereits mehrere, teils aus dem Sinai<br />
herangeführte, Brigaden auf dem Golan.<br />
DEN GEFALLENEN<br />
GEWIDMET: Ein israelischer<br />
Soldat<br />
trauert vor einem<br />
schnell zusammengetragenen<br />
Steinhaufen<br />
in der Altstadt<br />
Jerusalems.<br />
An dieser spontan<br />
errichteten Gedenkstätte<br />
wird getöteten<br />
Soldaten die<br />
letzte Ehre erwiesen.<br />
Während des<br />
Sechstagekrieges<br />
erobert Israel ein<br />
Gebiet der dreifachen<br />
Größe des<br />
eigenen Landes.<br />
Foto: picture-alliance/dpa<br />
INMITTEN DER ZERSTÖ-<br />
RUNG: Josef Galili auf dem<br />
strategisch wichtigen Mitla-<br />
Pass. Hier fanden am 6. und<br />
7. Juni 1967 die schwersten<br />
Angriffe auf die fliehenden<br />
ägyptischen Truppen statt.<br />
Foto: Sammlung Galili<br />
Am nächsten Morgen befinden sich die Syrer<br />
auf dem Rückzug, während israelische Fallschirmjäger<br />
per Helikopter eingeflogen werden,<br />
um ohne nennenswerte Gegenwehr<br />
Schlüsselstellungen zu besetzen. Damit stehen<br />
die israelischen Truppen am Abend des<br />
10. Juni bereits 65 Kilometer vor Damaskus.<br />
Nachwirkungen<br />
Die Ägypter verlieren etwa 80 Prozent ihrer<br />
Ausrüstung, diese wird binnen weniger Monate<br />
durch die Sowjetunion ersetzt, die Doktrin<br />
überarbeitet – wie sich sechs Jahre später<br />
zeigt. Die israelische Armee hat jedoch nur geringe<br />
Verluste erlitten. Die arabische Welt ist<br />
nach einer anfänglichen Siegeshysterie erschüttert,<br />
in einer so kurzen Zeit eine so fatale<br />
Niederlage erlitten zu haben, was schließlich<br />
zum Abnutzungskrieg von 1968-70 und dem<br />
Yom-Kippur-Krieg von 1973 führen wird. Israel<br />
hat sich mit einem militärisch hervorragend<br />
ausgeführten Präventivschlag erneut behauptet<br />
und durch die enormen Gebietsgewinne<br />
auf dem Sinai, dem Westjordanland und den<br />
Golanhöhen eine wichtige strategische Tiefe<br />
erlangt. Durch den anhaltenden Siedlungsbau<br />
in diesen Regionen geht dieser Vorteil jedoch<br />
nicht nur verloren, sondern bringt außerdem<br />
noch weitere Probleme mit sich. Die aus<br />
Ägypten, Syrien und Jordanien auf israelisches<br />
Gebiet geführten Terroranschläge verringern<br />
sich merklich, jedoch erhält die PLO<br />
vor allem aus den zahlreichen palästinensischen<br />
Flüchtlingslagern regen Zulauf, was<br />
wiederum zu einer andauernden Spirale der<br />
Gewalt führt. Mit Wirkungen bis heute.<br />
Dr. Frederick Feulner Research Fellow an der University<br />
of York, England. Seine Spezialgebiete sind der Vietnamkrieg<br />
sowie die israelischen Armee. Er hat persönliche<br />
Kontakte nach Israel.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
63
Buchvorstellung | Kampfpanzer Tiger<br />
EINZIGARTIG: Es gibt nur<br />
einen Kampfeinsatz des<br />
Porsche-Tigers – 1944 in<br />
Russland. Zum Befehlswagen<br />
umgebaut, hat dieser Tiger<br />
außerdem einen Zimmerit-<br />
Schutzanstrich und eine<br />
Zusatzpanzerung am Bug.<br />
Foto: Münch<br />
Der bekannteste Panzer des Zweiten Weltkriegs<br />
Die Analyse einer<br />
Legende<br />
Tiger – allein das Wort packt den Leser,<br />
fasziniert und fesselt ihn. Kraft, Stärke<br />
und Eleganz werden damit verbunden.<br />
[…]. Der PzKpfw VI wurde als schwerer Panzer<br />
konzeptioniert. Seine Schöpfer standen<br />
vor der Herausforderung, einen überlegenen<br />
Kampfwagen zu konstruieren. Begriffe wie<br />
[…] Kraft, Durchsetzungsvermögen und Zähigkeit<br />
konnten damit verbunden werden.<br />
Als Bezeichnung bot sich nur etwas gleichwertiges<br />
an, der Name eines Tieres, das eben<br />
den gewünschten Eigenschaften entsprechen<br />
konnte. Tiger!“ So beginnt das Buch von Thomas<br />
Anderson und zieht den Leser sofort in<br />
seinen Bann. Der Autor ist Spezialist für die<br />
deutsche Militärgeschichte von 1933 bis 1945<br />
und verfällt nicht, wie so viele, in eine einsei-<br />
1942 bis 1945: Der PzKpfw VI „Tiger“ gilt heute<br />
noch als einer der kampfstärksten Panzer des<br />
Krieges. In seinem neuen Buch untersucht der<br />
Experte für deutsche Militärgeschichte, Thomas<br />
Anderson, diesen Mythos kritisch.<br />
Vorgestellt von Maximilian Bunk<br />
tige oder naive Betrachtung des Tigers. Denn<br />
einerseits wurde der PzKpfw VI bewusst als<br />
propagandistische „Wunderwaffe“ ausgeschlachtet<br />
– allein die Wahl des Namens ist<br />
hier offensiv. Attribute wie „unbesiegbar“<br />
oder „unverwundbar“ stammen oft aus den<br />
Erinnerungen ehemaliger Panzersoldaten –<br />
die unbestritten eine der wertvollsten Quellen<br />
für das damalige Geschehen darstellen.<br />
Anderson nutzt diesen Zugang, ist sich jedoch<br />
stets bewusst, dass das Gedächtnis als<br />
„kreativer Konstrukteur“ ungenau ist. Niemand<br />
kann sich nach Jahren genau erinnern<br />
– das Gehirn addiert spätere Erlebnisse, bewertet<br />
Altes neu und funktioniert darüber hinaus<br />
selektiv. Diesem Umstand dürfte dann<br />
auch das negative Klischee des Tigers, seine<br />
fast schon legendäre Unzuverlässigkeit, geschuldet<br />
sein. Um diese Problematik in seiner<br />
Analyse zu umschiffen, ohne auf die<br />
64
Die Legende lebt!<br />
PROBLEMATISCH: Das hohe Gewicht des Tigers kann zum logistischen<br />
Alptraum werden. Dieser Panzer hat eine Brücke beim Überqueren<br />
einstürzen lassen und muss nun geborgen werden. Foto: Kadari<br />
VERSCHIFFT: Dieser Tiger wird auf einen Marinefährprahm verladen.<br />
Diese Landungsschiffe sind leistungsfähig und vielseitig einsetzbar.<br />
Foto: Anderson<br />
EINSATZ IN ITALIEN: Dieser<br />
Tiger Ausf. E ist 1944 bei der<br />
s PzAbt 504 im Kampfeinsatz.<br />
Im schwierigen italienischen<br />
Terrain kann der Panzer nicht<br />
seine volle Schlagkraft entwickeln.<br />
Abb.: Claudio Fernandez Cerda<br />
wichtigen Augenzeugenberichte zu verzichten,<br />
reichert Anderson diese mit einer extensiven<br />
Recherche und Auswertung von Originaldokumenten,<br />
Primärquellen und Archivbeständen<br />
an. Er stützt sich somit nicht nur<br />
auf Sekundärliteratur, was in der Vergangenheit<br />
leider viel zu häufig nur zu Reproduktion<br />
und Verhärtung von Mythen und Klischees<br />
geführt hat.<br />
Standardwerk zum Tiger<br />
Eingeteilt ist das Buch in insgesamt fünf<br />
Kapitel – die Entstehungsgeschichte,<br />
das Waffensystem,<br />
die Organisation der<br />
Tiger-Einheiten, der Panzer<br />
im Gefecht sowie eine Betrachtung<br />
zur Instandsetzung.<br />
Hinzu kommen ein<br />
Vorwort, eine höchst interessante<br />
Abschlussbetrachtung<br />
sowie eine Galerie mit farbigen<br />
Rekonstruktionsgrafiken.<br />
Eingestreut sind authentische Erlebnisberichte<br />
von Zeitzeugen, Tabellen mit technischen<br />
Daten und Auszüge aus Originalquellen.<br />
Die Stärken und Schwächen des Tigers<br />
werden so Schritt für Schritt objektiv herausgearbeitet<br />
und mit den Fahrzeugen der Gegner<br />
verglichen. Eine hervorragende Auswahl<br />
von Fotos und zeitgenössischen Zeichnungen<br />
– viele davon bisher unveröffentlicht –<br />
ergänzen kongenial das inhaltliche Niveau.<br />
Anderson ist seinem eigenen Anspruch, die<br />
Legende nüchtern und realitätsbezogen zu<br />
LITERATURANGABEN<br />
Thomas Anderson: Kampfpanzer<br />
Tiger. Geschichte. Technik. Erfahrungsberichte.<br />
160 Seiten, zahlreiche<br />
Fotos, Zeichnungen und<br />
Grafiken. München 2013. 19,99<br />
EUR.<br />
hinterfragen, mehr als gerecht geworden.<br />
Im ganzen Dickicht der Tiger-Literatur<br />
sticht „Kampfpanzer Tiger. Geschichte.<br />
Technik. Erfahrungsberichte“ durch eine<br />
tiefgehende und immer nachvollziehbare<br />
Interpretation heraus.<br />
Ein „faszinierender“ Panzer<br />
Andersons Fazit lautet: „Im Ergebnis bleibt<br />
die Legende unangetastet. Der Tiger bleibt<br />
ein Faszinosum. Gut für die Besatzungen,<br />
die sich in ihm sicher fühlen durften. Ein<br />
Glücksfall für jede Propaganda. Eine wahrlich<br />
schlechte Meldung für den russischen<br />
Soldaten in seinem T-34.“ Wer wissen will,<br />
wie Anderson zu dieser Aussage kommt und<br />
darüber hinaus noch einiges mehr über den<br />
Tiger erfahren möchte, der sollte sich dieses<br />
gut zu lesende, vorzüglich recherchierte und<br />
reich bebilderte Buch zulegen.<br />
Ein überlegt eingesetzter Tiger konnte<br />
selbst in scheinbar aussichtlosen Situationen<br />
verblüffend große Erfolge erzielen!<br />
Clausewitz 5/2013<br />
65
Spurensuche<br />
Maginot-Linie in Frankreich<br />
Bollwerk gegen<br />
Deutschland<br />
SEHENSWERT: Das Festungswerk Fermont<br />
(A2) der Maginot-Linie kann besichtigt werden.<br />
Foto: picture-alliance/Bildagentur-online/TIPS-Images<br />
66
1920: Nach Ende des Ersten Weltkriegs<br />
gibt die französische Regierung Pläne für<br />
den Bau eines großangelegten Verteidigungssystems<br />
entlang der Grenze zum<br />
Deutschen Reich in Auftrag. Ziel ist es,<br />
einen erneuten deutschen Einmarsch zu<br />
verhindern.<br />
Von Jörg Fuhrmeister<br />
EINGENOMMEN: Werkgruppe Hochwald,<br />
Bunker 16 für drei 7,5-cm-Kanonen, Foto<br />
vom August <strong>1940</strong>. Foto: Sammlung Jörg Fuhrmeister<br />
UNBESCHÄDIGT: Viele Bunkeranlagen<br />
der Maginot-Linie fallen <strong>1940</strong> kampflos<br />
in deutsche Hand. Foto: Sammlung Jörg Fuhrmeister<br />
Als Elsass-Lothringen nach dem<br />
deutsch-französischen Krieg 1870/71<br />
an das neu gegründete Deutsche<br />
Reich fällt, beginnt Frankreich seine neuen<br />
Landesgrenzen unter dem Festungsbaumeister<br />
Séré de Rivières gegen mögliche Angriffe<br />
des östlichen Nachbarn zu schützen.<br />
1919 rückt die deutsch-französische Grenze<br />
wieder nach Osten, jetzt liegen die errichteten<br />
Befestigungsanlagen zu weit weg von<br />
der Grenze. Vor allem das Ungleichgewicht<br />
in der Einwohnerzahl Frankreichs zu<br />
Deutschlands (etwa 42 zu 68 Millionen) erfordert<br />
aus Sicht der Franzosen eine neue Befestigung<br />
als „Schild und Schwert“ gegen einen<br />
Angriff von Massenheeren.<br />
Bereits 1920 beginnen Experten mit der<br />
Ausarbeitung von Plänen. 1926 wird eine<br />
Kommission zur Verteidigung der Grenzen<br />
gegründet. Dort werden die technischen Details,<br />
Gliederungen und Kosten festgelegt.<br />
Pläne zum Ausbau<br />
Im Januar 1929 – nach mehrfacher Überarbeitung<br />
– wird schließlich ein Konzept vorgelegt,<br />
nach dem lediglich zwei Festungsgebiete<br />
ausgebaut werden sollen:<br />
- Metz (von Longuyon bis St. Avold)<br />
- Lauter (von der Saar bis zum Rhein)<br />
Zudem soll anschließend das Rheinufer<br />
von Lauterburg bis Basel befestigt werden.<br />
Auch in den Alpen werden Verteidigungsanlagen<br />
errichtet und selbst auf der Mittelmeerinsel<br />
Korsika entstehen Bauwerke der<br />
Maginot-Linie.<br />
Der Ausbau in Frankreich endet zunächst<br />
an der Grenze zu Belgien, da man der Meinung<br />
war, dass der Verbündete im Norden<br />
selbst über eine moderne Landesbefestigung<br />
verfügt. Erst später kommen kompakte<br />
Kampfbunker, mit Pak und MG ausgestattet,<br />
als „verlängerte“ Maginot-Linie in Nordfrankreich<br />
hinzu.<br />
Verschiedene Bauperioden<br />
Die Errichtung des nach dem französischen<br />
Kriegsminister André Maginot (1877–1932)<br />
benannten Verteidigungsgürtels lässt sich<br />
grob in drei Bauperioden einteilen:<br />
1. Von 1925 bis 1929 werden Versuchs- und<br />
Erprobungsanlagen erbaut.<br />
2. Die sogenannte CORF-Bauperiode von<br />
1930–1935 umfasst den Bau der großen Artillerie-<br />
und Infanteriewerke, der Kasematten<br />
für die Zwischenräume, Unterstände<br />
und Beobachtungsstände. Bis 1936<br />
wurden die wichtigsten Teile der Verteidigungslinie<br />
gebaut.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
67
Spurensuche | Maginot-Linie<br />
IN MITLEIDENSCHAFT<br />
GEZOGEN: Artilleriewerk Metrich<br />
(A17), Munitionseingang<br />
mit Verwerfungen durch<br />
Gipsschichten im Boden.<br />
Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
NAHAUFNAHME: Artilleriewerk Billig (A18),<br />
Bunker 5 für zwei 7,5-cm-Kanonen. Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
MASSIV: Artilleriewerk<br />
Kalkofen<br />
(Four à Chaux),<br />
Bunker 6, 4,7-cm-<br />
Pak, Zwillings-MG<br />
und Panzerkuppel<br />
der Wache.<br />
Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
3. Bis <strong>1940</strong> wurden weitere Verstärkungen<br />
und Kriegsbauten – häufig in Form von<br />
„Sparversionen“ – vorgenommen.<br />
Mehr als 100 Baufirmen mit über 20.000 Arbeitskräften<br />
arbeiten Anfang der 1930er-Jahre<br />
gleichzeitig am Bau der Maginot-Linie,<br />
doch werden zahlreiche Bauvorhaben aus<br />
Sparzwängen nicht umgesetzt.<br />
Zudem werden ursprüngliche Bauplanungen<br />
zusammengestrichen, Werke und<br />
Werkgruppen verkleinert und andere erst<br />
gar nicht verwirklicht.<br />
Innerhalb von knapp elf Jahren werden<br />
schließlich erbaut:<br />
Ein linear angeordnetes System, in dem<br />
SCHUTZ DER<br />
FRANZÖSISCHEN<br />
OSTGRENZE: Darstellung<br />
zum Verlauf<br />
und Aufbau<br />
der Maginot-Linie<br />
aus einem deutschen<br />
Zigarettenbilder-Album<br />
der<br />
1930er-Jahre.<br />
Foto: ullstein bild -<br />
Archiv Gerstenberg<br />
die Artilleriewerke die Kernpunkte darstellen<br />
und von den Infanteriewerken gegen Angriffe<br />
gesichert werden.<br />
● 58 Werke und Werkgruppen im Norden<br />
und Nordosten.<br />
● 50 Werke und Werkgruppen in den Alpen<br />
gegen Italien.<br />
● mehr als 400 Kasematten, Unterstände für<br />
Infanterie und Beobachtungsbunker.<br />
Die Wand- und Deckenstärken der Bunker<br />
variieren von einem Meter bis 3,5 Meter<br />
– dabei sind die Frontseiten stärker ausgebildet<br />
als die Rückseiten.<br />
Es werden Bunker ausgestattet mit:<br />
● insgesamt 152 ausfahrbaren und um 360<br />
Grad drehbaren Panzertürmen (sogenannte<br />
Senkpanzer), die eingefahren mit der Bunkerdecke<br />
abschließen. Von diesen Festungspanzerbauteilen<br />
existieren acht verschiedene<br />
Modelle. Diese gliedern sich in Artillerietürme<br />
für 13,5-cm-Haubitzen und<br />
Geschütze Kaliber 7,5 cm Zwilling, für Gra-<br />
VOM GEGNER BESETZT: Werkgruppe Hochwald, Bunker 8, Munitionseingang,<br />
Foto vom August <strong>1940</strong>. Foto: Sammlung Jörg Fuhrmeister<br />
68
Grausamer Erstickungstod der Besatzung<br />
DEM BESCHUSS STANDGEHALTEN: Infanteriewerk Rohrbach<br />
(Fort Casso), Bunker 2, im Hintergrund rechts oben ist Bunker<br />
3 zu erkennen.<br />
Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
IM INNEREN: Der Maschinenraum des Artilleriewerks Simserhof<br />
mit Sulzer Dieselaggregaten 265 PS.<br />
Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
natwerfer Kaliber 8,1 cm und gemischte<br />
Türme für 2,5-cm-Pak und MG.<br />
Insgesamt war der Verteidigungsgürtel mit<br />
344 Geschützen und 500 Panzerabwehrkanonen<br />
– bezogen auf seine Gesamtlänge – artilleristisch<br />
eher dürftig ausgestattet.<br />
Umkämpftes Werk<br />
In die ausgedehnten Anlagen der Maginot-<br />
Linie, die jedoch keine durchgehende Befestigungslinie<br />
darstellen, werden auch die alten<br />
deutschen Festungsbauten aus den Jahren<br />
von 1898 bis 1916 integriert, da diese<br />
bereits aus Eisenbeton bestanden.<br />
Als am 10. Mai <strong>1940</strong> der deutsche Vormarsch<br />
nach Frankreich beginnt, werden<br />
auch die neutralen Staaten Belgien und Niederlande<br />
angegriffen. Kurz darauf überquert<br />
die Wehrmacht mit der Heeresgruppe A<br />
auch in den Ardennen die französische<br />
Grenze. Die verlängerte Maginot-Linie, auch<br />
Weygand-Linie genannt, wird überrannt. Sie<br />
ist nur schwach ausgebaut und besteht in der<br />
Hauptsache aus kleineren Infanteriebunkern.<br />
Am 19. Mai wird das Panzerwerk 505 „La<br />
Ferté“ der Maginot-Linie angegriffen. Nach<br />
massivem Beschuss auf Panzerkuppeln und<br />
Scharten mit Pak und 8,8-cm-Flakgeschützen<br />
fällt der Bunker. Mit einer 40-kg-Sprengladung<br />
wird der versenkbare Panzerturm<br />
aus seiner Verankerung gerissen und bleibt<br />
verkantet im Turmschacht hängen. Als die<br />
Verteidiger trotz der prekären Lage nicht<br />
aufgeben wollen, werfen die Angreifer<br />
Rauchkörper und Sprengladungen in den<br />
nun offenen Turmschacht. Die komplette Besatzung<br />
zieht sich in die Tiefe in den Verbindungshohlgang<br />
zurück, um den Rauchgasen<br />
zu entgehen.<br />
Dramatische Ereignisse<br />
Die Gasmasken sind gegen Rauchgase unwirksam,<br />
auch ein Notausgang ist nicht vorhanden.<br />
Das Schicksal der Besatzung ist besiegelt<br />
– alle 104 Männer erleiden den Erstickungstod.<br />
Drei sind in der Kuppel gefallen.<br />
Anfang Juni werden die Gefallenen aus dem<br />
Werk geboren und beerdigt. Die deutschen<br />
Verluste betrugen im Kampf um „La Ferté “<br />
90 Soldaten. Von allen Werken in der Maginot-Linie<br />
ist „La Ferté“ das einzige, das<br />
HINTERGRUND<br />
Dieses Baumuster verfügt über einen Mannschafts-<br />
und Munitionseingang und ist ausgestattet<br />
mit einem 4,7-cm- oder 3,7-cm-Panzerabwehrkanone<br />
des Modells 1934 und einem<br />
Zwillings-MG 7,5 mm, Modell Reibel,<br />
aus dem Jahr 1931. Dazu kommen jeweils<br />
zwei starre Panzerkuppeln mit MG für die<br />
Wachposten.<br />
Die Eingangsfront besitzt einen sogenannten<br />
Diamantgraben, der nur über eine Brücke<br />
überwunden werden kann. Gesichert ist dieser<br />
zusätzlich mit Auswurfrohren für Handgranaten.<br />
In den Eingangsbauwerken befinden<br />
sich zudem Scharten zur Nahverteidigung.<br />
Über einen Hohlgang (Galerie) gelangt man<br />
mit der Festungsschmalspurbahn zum Munitionslager,<br />
dem Kraftwerk mit vier starken<br />
Dieselaggregaten und zur Kaserne.<br />
Vom Haupthohlgang abzweigend gelangt<br />
man zu den Kampf- und Beobachtungsbunkern<br />
(Blocks), die Treppenhäuser mit Fahrstuhl<br />
führen aus durchschnittlich 30 Metern<br />
Tiefe in die zwei-, dreistöckigen Kampfanlagen.<br />
Aufbau eines Artillerie-Werkes („Gros Ouvrage“)<br />
Die Ausstattung der Artilleriebunker umfasste<br />
drei 7,5-cm-Kanonen Modell 1924 als<br />
Kasemattgeschütze in einem Bauwerk, Senkpanzertürme<br />
für 7,5-cm-Zwilling mit einer<br />
Reichweite von jeweils 12.000 Meter und einer<br />
13,5-cm-Haubitze in Kasematte und<br />
Senkpanzer mit einer Reichweite von 5.600<br />
Metern.<br />
Äußerst effektiv und gefährlich<br />
waren die 8,1-cm-Granatwerfer<br />
in der Kasematte oder<br />
im Senkpanzerturm mit einer<br />
Reichweite von 3.500 Metern.<br />
In einzelnen Werken kamen<br />
noch die „Gemischten<br />
Türme“ zum Einbau, die mit<br />
einer 2,5-cm-Pak und einem<br />
Zwillings-MG 7,5 mm ausgerüstet<br />
waren.<br />
Die Besatzung eines großen<br />
Artillerie-Werkes bestand aus<br />
800 bis 1.100 Mann, davon<br />
40 Prozent Artillerie und 30<br />
Prozent Infanterie und Festungspioniere.<br />
Die Führung eines solchen<br />
Werkes war einem Major oder Hauptmann anvertraut,<br />
unterstützt von etwa 25 Offizieren.<br />
Das größte Werk, der „Hackenberg“, konnte<br />
– vorausgesetzt alle Waffen würden gleichzeitig<br />
feuern – zwei Tonnen Munition pro Minute<br />
verschießen.<br />
ANSCHAULICH: Plan der Anlage „Hackenberg“.<br />
Abb.: Jörg Fuhrmeister<br />
Clausewitz 5/2013<br />
69
Spurensuche | Maginot-Linie<br />
RESTAURIERT: Der Mischwaffenturmunterbau<br />
im Infanteriewerk Rohrbach. Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
einen solch dramatischen Kampf während<br />
des deutschen Vormarschs in Frankreich<br />
überstehen musste.<br />
Heute ist das Werk nahe des Dorfes La<br />
Ferté-sur-Chiers, 24 Kilometer südöstlich<br />
von Sedan, für Besucher geöffnet.<br />
Als die Kampfhandlungen in Frankreich<br />
schließlich Ende Juni <strong>1940</strong> beendet werden,<br />
leisten lediglich große Werke und Werkgruppen<br />
weiterhin Widerstand und kämpfen bis<br />
Anfang Juli weiter. Erst jetzt erteilt der Oberbefehlshaber<br />
der Französischen 2. Armee<br />
General Huntziger den kategorischen Befehl,<br />
die weiße Fahne zu hissen.<br />
Nach der Kapitulation der insgesamt<br />
rund 25.000 Verteidiger ordnet Hitler an, die<br />
Maginot-Linie nicht verkommen zu lassen.<br />
Waffen und Munition verbleiben in den Werken.<br />
In die großen Anlagen ziehen ab 1943<br />
Rüstungsbetriebe ein, um eine bombensichere<br />
Produktion von Rüstungsgütern zu gewährleisten.<br />
Ausbau und Kämpfe 1944<br />
Etwa acht Monate vor Kriegsende, im August<br />
1944, befiehlt Hitler die Wiederbewaffnung<br />
und den Ausbau der deutschen Westbefestigungen<br />
einschließlich der einzubeziehenden<br />
Teile der Maginot-Linie.<br />
Die Heeresgruppe G ist zuständig für<br />
den Ausbau der Maginot-Linie im Abschnitt<br />
von Trier bis zur Schweizer Grenze. Das<br />
Oberkommando „Festungsbereich West“<br />
zeichnet verantwortlich für den Ausbau in<br />
und rückwärts dieser Linie. Die Stadt Metz<br />
mit ihrem Gürtel aus Festungen der Wilhelminischen<br />
Kaiserzeit wird zur Festung erklärt.<br />
Die Besatzungen dieser Anlagen leis-<br />
Literaturtipp<br />
Jean Bernard Wahl: Die Maginot-Linie im Elsaß –<br />
200 km Stahl und Beton, 1989 (neu aufgelegt).
Vandalismus und Plünderungen<br />
GUT ERHALTEN: Das<br />
Kleine Infanteriewerk<br />
Haut-Poirier, Bunker 3.<br />
Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
AUSGEFAHREN: Mischwaffenturm des<br />
Infanteriewerks Oberheid. Foto: Jörg Fuhrmeister<br />
Heute kann man im Elsass und in Lothringen<br />
insgesamt sieben Artillerie-Werkgruppen<br />
besichtigen. Ebenso sind neun Infanterie-Werkgruppen<br />
für Besucher geöffnet.<br />
Von den Zwischenbunkern, Bunkern,<br />
Unterständen und Beobachtungsstellungen<br />
sind rund 20 restauriert und begehbar.<br />
ZEITGENÖSSISCHES FOTO: Werkgruppe<br />
Hochwald, Bunker 14, Versenkturm für<br />
13,5-cm-Zwillingsgeschütz, Foto aus dem<br />
Jahr <strong>1940</strong>. Foto: Sammlung Jörg Fuhrmeister<br />
ten den US-Truppen kurz vor Kriegsende<br />
über einen Zeitraum von sechs Wochen erbitterten<br />
Widerstand. Selbst heftige Bombardements<br />
und massiver Artilleriebeschuss<br />
können die Werke und ihre Verteidiger nicht<br />
niederringen.<br />
Deutliche Spuren der Kampfhandlungen<br />
von 1944 sind heute vor allem noch an den<br />
Bunkern des Forts „Hackenberg“ zu sehen.<br />
Als sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
im heraufziehenden Kalten Krieg die<br />
Spannungen mit der Sowjetunion zu verschärfen<br />
beginnen, entschließt sich die französische<br />
Militärführung, die Maginot-Linie<br />
wieder instand zu setzen.<br />
Die infolge von Kriegseinwirkung und<br />
deutsche Nutzung als Produktionsstätten<br />
zum Teil stark in Mitleidenschaft gezogenen<br />
Artillerie- und Infanteriewerke werden von<br />
1950 bis 1955 modernisiert. Militärisch genutzt<br />
werden die Werke schließlich bis 1970.<br />
Der langsame Verfall der nicht mehr benötigten<br />
Befestigungssystems setzt ein.<br />
Mitte der 1970er-Jahre gründen sich verschiedene<br />
Vereine zum Erhalt der einzelnen<br />
Werkgruppen. Bereits 1976 eröffnet ein Verein<br />
die größte Anlage, die Artillerie-Werkgruppe<br />
„Hackenberg“ nahe Thionville.<br />
Großer Besucherandrang<br />
Informationen zu den unterschiedlichen Öffnungszeiten<br />
sowie weitere Informationen<br />
finden Interessierte im Internet unter dem<br />
Stichwort Maginot-Linie. Die großen Werke<br />
bieten deutschsprachige Führungen an. Es<br />
wird empfohlen, bei Begehungen von Bunkeranlagen<br />
warme Kleidung mitführen, da<br />
die Innentemperaturen bei circa elf Grad Celsius<br />
liegen. Mehr als 300.000 Besucher aus aller<br />
Welt besichtigen diese Anlagen jedes Jahr.<br />
Ein Besuch der nicht genutzten Werke<br />
und Werkgruppen ist hingegen nicht möglich.<br />
Infolge der stark gestiegenen Erlöse für<br />
Stahlschrott und Buntmetalle (Kupfer, Messing)<br />
wurden in jüngster Vergangenheit<br />
zahlreiche Werke aufgebrochen und systematisch<br />
geplündert. Die französische Armee<br />
als Eigentümer ließ die Anlagen daher zuschweißen.<br />
Doch auch diese Maßnahme schreckte<br />
Diebesbanden nicht ab; mit Schneidbrennern<br />
wurde sich immer wieder Zugang zu einzelnen<br />
Werken verschafft. In den letzten Jahren<br />
wurden daher die Eingänge und auch offene<br />
Scharten zum Teil meterhoch übererdet.<br />
Jörg Fuhrmeister, Jg. 1959, ist seit seiner Jugend im<br />
Denkmalschutz tätig. Sein besonderes Engagement<br />
gilt den Westwallbunkern und den Landesbefestigungen<br />
in Deutschland nach 1920. Von 2007 bis 2011<br />
war Fuhrmeister ehrenamtlicher Denkmalbeauftragter<br />
„Westwall“ beim Landesdenkmalamt des Saarlandes.<br />
Clausewitz 5/2013
Feldherren<br />
George S. Patton<br />
Feldherr mit<br />
Ansichten<br />
DEN FEIND IM AUGE: George Patton mit Feldstecher<br />
im Schützengraben. Nach der Landung<br />
der alliierten Truppen in Nordafrika („Operation<br />
Torch“) im November 1942 beobachtet „Old<br />
Blood and Guts“ die Stellungen des Gegners.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
72
zweifelhaften<br />
1941–1945: Ohne Frage ist General Patton eine der facettenreichsten Persönlichkeiten<br />
des Zweiten Weltkrieges. Bis heute ist er ein Mythos, der sich nicht allein auf seine Leistungen<br />
als Kommandeur gründet, sondern vielmehr auf seine Sympathie für den deutschen<br />
Gegner.<br />
Von Michael Solka<br />
George S. Patton entstammt einer Patrizierfamilie<br />
englischer und schottischirischer<br />
Herkunft. Sein Vater war mit<br />
John S. Mosby befreundet, einem bekannten<br />
Kavallerieoffizier und berüchtigtem Guerillaführer<br />
der Konföderierten. Der junge Patton<br />
will unbedingt Soldat werden und besucht<br />
1903/04 das virginische Militärinstitut. Anschließend<br />
wechselt er nach West Point. Dort<br />
zeichnet sich Patton als einer der besten Fechter<br />
aus.<br />
Am 11. Juni 1909 wird er zum Leutnant<br />
der Kavallerie ernannt und dient beim 15.<br />
Kavallerieregiment in Fort Sheridan, Illinois.<br />
Patton ehelicht 1910 Beatrice Banning Ayer,<br />
die Tochter eines Textilindustriellen, und<br />
leistet ein Jahr später seinen Dienst in Fort<br />
Myer, Virginia, ab. Aufgrund seiner guten<br />
sportlichen Leistungen darf Patton 1912 an<br />
den Olympischen Spielen in Stockholm teilnehmen.<br />
Er wird Fünfter im Modernen Fünfkampf.<br />
Dabei löst er eine Kontroverse wegen<br />
seiner Schießkünste aus: Patton schießt mit<br />
einer großkalibrigen Pistole und behauptete,<br />
einige seiner Treffer wären doppelt zu zählen,<br />
da er zweimal genau den gleichen Punkt<br />
getroffen habe.<br />
Der „Banditenkiller“<br />
1915 wird Patton mit Kompanie A des 8. Kavallerieregiments<br />
zum Patrouillendienst an<br />
der mexikanischen Grenze versetzt. Als im<br />
März 1916 mexikanische Aufständische die<br />
Grenzstadt Columbus im Bundesstaat<br />
New Mexico überfallen, wobei mehrere<br />
Amerikaner ums Leben kommen,<br />
nimmt Patton als Adjutant<br />
von John J. Pershing an der<br />
Strafexpedition gegen Pancho Villa teil. Im<br />
April erhält er die Erlaubnis, mit Trupp C<br />
des 13. Kavallerieregiments Jagd auf den Rebellenführer<br />
Villa zu machen. Seine erste<br />
Kampferfahrung gewinnt er am 14. Mai<br />
1916. Mit drei Dodge-Brother-Wagen überraschen<br />
Patton und zehn Soldaten mehrere<br />
von Villas Männern; der Anführer von Villas<br />
Leibgarde, Julio Cárdenas, und zwei weitere<br />
Mexikaner kommen ums Leben. Die Presse<br />
PATTON UND PANZER: Während des Ersten<br />
Weltkriegs beginnt Patton sich für die neue<br />
Panzerwaffe zu interessieren.<br />
Das Foto zeigt ihn als Ausbilder<br />
in der Tankkorps-Schule<br />
der US-Armee in Langres im<br />
Juli 1918.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
DATEN<br />
George S. Patton<br />
1885 Geburt in San Gabriel,<br />
Kalifornien (11. November)<br />
1904 Kadett in West Point<br />
1909 Leutnant der Kavallerie<br />
1910 Heirat von Beatrice Banning Ayer<br />
1916 Motorisierter Angriff auf die<br />
Anhänger Pancho Villas<br />
1917 Beförderung zum Hauptmann<br />
1918 Beförderung zum Oberstleutnant<br />
1941 Beförderung zum Generalmajor<br />
1943 Befehlshaber der 7. US-Armee<br />
1944 Kommandeur der 3. US-Armee<br />
1945 Beförderung zum General<br />
1945 Militärgouverneur von Bayern<br />
1945 Tod in Heidelberg (21. Dezember)<br />
Clausewitz 5/2013<br />
73
Feldherren | George S. Patton<br />
FAKTEN<br />
Gefechte und Schlachten<br />
1916 Mexiko<br />
1918 Saint Mihiel und Meuse Argonne<br />
1942 Marokko<br />
1943 El Guettar, Gela und Messina<br />
1944 Arracourt, Metz und Bastogne<br />
KAMPF UM BASTOGNE: Soldaten von Pattons<br />
3. Armee („Blitz-Army“) im Raum um das belgische<br />
Bastogne beim Aufstocken ihres Munitionsvorrates.<br />
Für Patton war es seine größte Schlacht.<br />
Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto<br />
feiert Patton später als „Banditenkiller“. Die<br />
Strafexpedition wird aber aus politischen<br />
Gründen eingestellt.<br />
Tanks im Ersten Weltkrieg<br />
Zunächst überwacht Patton in Front Royal,<br />
Virginia, die Abstellung von Pferden für die<br />
Armee, aber nach dem Kriegseintritt der<br />
USA wird er Mitglied des Stabs von „Black<br />
Jack“ Pershing. Am 8. Juni 1917 trifft Patton<br />
in Liverpool ein – inzwischen zum Captain<br />
ernannt. In Paris nimmt er an der Ausbildung<br />
der amerikanischen Truppen teil und<br />
entdeckt allmählich sein Interesse für Tanks,<br />
Pershing jedoch möchte ihm das Kommando<br />
über ein Infanteriebataillon anvertrauen. In<br />
Champlieu fährt er einen Renault-Ft-Tank<br />
und testet die Möglichkeit des Fahrzeugs, einen<br />
Schützengraben zu überqueren. Am 3.<br />
April 1918 wird Patton zum Oberstleutnant,<br />
im August zum Kommandeur der 1. provisorischen<br />
Tank-Brigade ernannt. In der<br />
Schlacht von Saint Mihiel befehligt er die<br />
amerikanischen Renault-Tanks. Danach unterstützt<br />
seine Brigade am 26. September<br />
nördlich von Verdun das 1. US-Korps während<br />
der Meuse-Argonne-Offensive. Patton<br />
leitet selbst einige Tanks durch dichten Nebel.<br />
Gegen neun Uhr gerät er in ein Maschinengewehrfeuer<br />
und wird an der linken<br />
Hüfte verwundet. Sein Offiziersbursche rettet<br />
ihn. Zum Oberst ernannt, nimmt Patton<br />
seinen Dienst am 28. Oktober wieder auf.<br />
Affären und Alkohol auf Hawaii<br />
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges<br />
kommt Patton nach Camp Meade, Maryland.<br />
Er vertritt die Ansicht, dass Tanks nicht zur<br />
Unterstützung der Infanterie, sondern als unabhängige<br />
Kampftruppe eingesetzt werden<br />
sollten. Zusammen mit Oberstleutnant<br />
Dwight D. Eisenhower treibt er die Entwicklung<br />
gepanzerter Fahrzeuge voran. 1925<br />
übernimmt Patton in Hawaii die Verantwortung<br />
für die Verteidigung der pazifischen Inseln.<br />
Er verfasst einen Verteidigungsplan, der<br />
einen Luftangriff gegen Pearl Harbor vorhersieht.<br />
Im Mai 1927 wird er zum Kavalleriebüro<br />
nach Washington versetzt. Dort beginnt er,<br />
Konzepte der mechanisierten Kriegsführung<br />
zu entwickeln.<br />
Anfang 1935 wird Patton erneut<br />
nach Hawaii versetzt. Da ein neuer<br />
militärischer Konflikt offenbar nicht<br />
in Sicht ist, stürzt er sich aus Langeweile<br />
in Alkoholismus und Affären.<br />
1938 schließlich kommandiert er wieder<br />
das 3. Kavallerieregiment in Fort<br />
ILLUSTRE BEKANNTSCHAFT:<br />
Ein Freund der Familie Patton war<br />
Oberst John Singleton Mosby, der<br />
als „Gray Ghost“ (Grauer Geist)<br />
während des Sezessionskrieges für<br />
Furore sorgte und auf den sogar ein<br />
Kopfgeld ausgesetzt war.<br />
Foto: picture alliance/Everett Collection<br />
74
Eigenwilliger Umgang mit Untergebenen<br />
Myer. Dort trifft er den Stabschef des Heeres,<br />
George C. Marshall, der sich stark von ihm<br />
beeindruckt zeigt.<br />
Erfolge in Nordafrika<br />
1941 führt Patton mehrere erfolgreiche Manöver<br />
durch. Seine Untergebenen nennen<br />
ihn jetzt einfach „der alte Mann“. Im Sommer<br />
1942 nimmt er mit 24.000 Mann an der<br />
Landung der Amerikaner nahe Casablanca<br />
teil, und trotz hartnäckigem Widerstand der<br />
Vichy-Truppen nehmen seine Soldaten am<br />
Um die Insel Sizilien zu erobern, vertraut<br />
man Patton das Kommando über die 7. US-<br />
Armee an. Am 10. Juli 1943 landen seine<br />
Truppen bei Licata und errichten einen Brückenkopf.<br />
Gegenangriffe werden unter seiner<br />
Leitung zurückgeschlagen. Als General<br />
Bernard L. Montgomerys 8. britische Armee<br />
auf dem Weg nach Messina aufgehalten<br />
wird, erhält Patton die Erlaubnis, Palermo<br />
einzunehmen. Innerhalb von 72 Stunden legen<br />
die Amerikaner 160 Kilometer zurück<br />
und erreichen Palermo! Am 16. August fällt<br />
„Möge Gott Gnade mit meinen Feinden haben,<br />
denn ich werde sie nicht haben.“<br />
11. November die Stadt ein. Der marokkanische<br />
Sultan ist von dem dynamischen Panzergeneral<br />
so fasziniert, dass er ihm den<br />
Orden Ouissam Alaouite verleiht. Am<br />
6. März 1943 ersetzt Patton Generalmajor<br />
Lloyd Fredendall als Befehlshaber des<br />
2. Korps und wird zum Generalleutnant ernannt.<br />
Die 1. Infanteriedivision nimmt am<br />
17. März Gafsa ein und gewinnt die Schlacht<br />
von El Guettar. Während einer Besprechung<br />
mit britischen Offizieren greifen deutsche<br />
Kampfflieger das Gebäude an. Über die<br />
deutschen Piloten sagt Patton später: „Falls<br />
ich diese Hundesöhne ausfindig machen<br />
könnte, würde ich jedem eine Medaille verleihen.“<br />
Danach kehrt er nach Casablanca<br />
zum 1. Panzerkorps zurück.<br />
General George S. Patton<br />
GRUPPENFOTO MIT HUND: Patton in seinem<br />
Hauptquartier nach der Landung in der<br />
Normandie zusammen mit Omar Bradley<br />
(links) und Otto Weyland (Mitte) am 29.<br />
September 1944. Auf dem Sessel im Vordergrund<br />
vergnügt sich Pattons Hund Willie.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Messina. Dennoch können sich 40.000 deutsche<br />
und 70.000 italienische Soldaten mit<br />
10.000 Fahrzeugen auf das italienische Festland<br />
zurückziehen.<br />
Am 3. August 1943 ohrfeigt und beschimpft<br />
Patton den Soldaten Charles H.<br />
Kuhl, der offenbar erschöpft in einem Hospital<br />
liegt. Sieben Tage später schlägt er den<br />
Soldaten Paul G. Bennett unter gleichen Umständen.<br />
Eisenhower unterdrückt die Vorfälle<br />
in den Medien, doch der Journalist Drew<br />
Pearson berichtet darüber im Radio. Patton<br />
wird hart kritisiert, unter anderem von dem<br />
ehemaligen General „Black Jack“ Pershing.<br />
Andererseits setzt sich Kriegsminister Henry<br />
L. Stimson für Patton ein, da „seine aggressive,<br />
gewinnende Führung für die künftigen<br />
bitteren Schlachten vor dem Endsieg“<br />
nötig ist. Patton darf zunächst keine Kampftruppen<br />
kommandieren. Am 26. Januar 1944<br />
erhält er das Kommando über die 3. US-Armee,<br />
eine völlig unerfahrene Truppe. Zudem<br />
ist Patton maßgeblich daran beteiligt, der<br />
Wehrmacht eine Scheinlandung am französischen<br />
Pas de Calais vorzugaukeln. Da die<br />
Deutschen Patton für den fähigsten alliierten<br />
General halten, korrigieren sie ihren Irrtum<br />
selbst dann nicht, als die Verbündeten am<br />
6. Juni 1944 in der Normandie an Land gehen.<br />
EHRENVOLLE AUSZEICHNUNG: Patton wird vom marokkanischen Sultan im Palast von Rabat<br />
empfangen und bekommt von ihm einen Orden verliehen. Zuvor konnte Patton Casablanca<br />
den Vichy-Truppen entreißen.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
LAGEBESPRECHUNG: Patton unterhält sich<br />
mit dem Kommandanten des 30. Infanterie-<br />
Regiments, Lyle Bernard, bei Brolo auf Sizilien<br />
(1943). Auf deutscher Seite gilt der<br />
Amerikaner inzwischen als fähigster alliierter<br />
General.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
Clausewitz 5/2013<br />
75
Feldherren | George S. Patton<br />
Pattons Armee stößt indes bei der Invasion<br />
Frankreichs auf weniger Widerstand als die<br />
anderen alliierten Truppen. Selbstfahrlafetten<br />
und Stoßtruppen decken deutsche Stellungen<br />
mit indirektem Beschuss ein. Pattons<br />
Absicht ist es, die Deutschen daran zu hindern,<br />
sich erneut zu formieren. Das Maschinengewehrfeuer<br />
der M2 Browning erweist<br />
sich als sehr effektiv, deutsche Panzerfaust-<br />
Gruppen werden oft ausgeschaltet. Dank der<br />
Luftaufklärung und dem taktischen Einsatz<br />
von Flugzeugen kommt die 3. US-Armee<br />
rasch voran. Jede Kolonne wird durch P-47-<br />
und P-51-Jagdbomber geschützt. In nur zwei<br />
Tagen legt seine Armee 97 Kilometer zurück.<br />
Ermöglicht wird der rasche Vormarsch auch<br />
durch die größere Anzahl von Lastwagen,<br />
zuverlässigere Panzer und eine bessere<br />
Funkkommunikation.<br />
Deutschland wäre. Ende September schlägt<br />
die 4. US-Panzerdivision in der Schlacht von<br />
Arracourt den Gegenangriff deutscher Panzer<br />
zurück. Im Oktober und November 1944 liefern<br />
sich die 3. US-Armee und die Deutschen<br />
während der Kämpfe um Metz ein Unentschieden.<br />
Mitte November fällt Metz schließlich<br />
doch an die Amerikaner. Patton setzt seine<br />
Divisionen nicht gerade aggressiv ein. Über<br />
den Vormarsch seiner Truppen ist er frustriert.<br />
Vom 8. November bis zum 15. Dezember legt<br />
seine Armee nur 64 Kilometer zurück.<br />
Ardennenoffensive<br />
Im Dezember 1944 massieren die Deutschen<br />
29 Divisionen an einer Schwachstelle der alliierten<br />
Linien, um durchzustoßen. Zu diesem<br />
Zeitpunkt ist die 3. US-Armee bei Saarbrücken<br />
in heftige Kämpfe verwickelt. Eisenhower<br />
weist Patton an, am 22. Dezember mit<br />
mindestens drei Divisionen in Richtung Bastogne<br />
anzugreifen. Schließlich setzt sich die<br />
3. US-Armee mit sechs Divisionen rasch in<br />
Bewegung, um die Belagerung des ostbelgischen<br />
Bastogne aufzuheben und um die<br />
Eingschlossenen zu befreien. Patton schlägt<br />
vor, gegen Koblenz vorzustoßen, doch der<br />
Vorschlag wird abgelehnt. Am 26. Dezember<br />
erreicht die Vorhut der 4. Panzerdivision der<br />
3. Armee Bastogne, um die eingeschlossenen<br />
Alliierten zu entsetzen – ein außerordentliches<br />
Unternehmen. Später schreibt Patton:<br />
„Die bislang brillanteste Operation haben<br />
wir durchgeführt. Sie ist meiner Ansicht<br />
nach die hervorragendste Leistung des Krieges.<br />
Sie ist meine größte Schlacht.“<br />
Abrupter Stillstand<br />
Die Offensive der 3. Armee kommt am 31. August<br />
zum Halten, da ihr außerhalb von Metz<br />
der Treibstoff ausgeht. Den nötigen Nachschub<br />
erhält Montgomerys 21. Armeegruppe<br />
für die Operation Market Garden. Patton ist<br />
der Ansicht, dass er mit 400.000 Gallonen<br />
Treibstoff innerhalb von zwei Tagen in<br />
„Wenn der Krieg einmal vorbei sein sollte, lege ich<br />
all meine Orden ab und lasse nur meine kurze Jacke<br />
an. Dann könnt ihr mich alle mal am Arsch lecken.“<br />
General George S. Patton<br />
Im Februar 1945 sind die deutschen Truppen<br />
in vollem Rückzug. Zwischen dem 29.<br />
Januar und dem 22. März nimmt die 3. US-<br />
Armee Trier, Koblenz, Bingen, Worms,<br />
Mainz, Kaiserslautern und Ludwigshafen<br />
ein. Über 140.000 deutsche Soldaten geraten<br />
in Kriegsgefangenschaft. Als Patton von der<br />
Einnahme Triers erfährt, sagt er bissig: „Wir<br />
haben Trier mit zwei Divisionen genommen.<br />
Soll ich die Stadt zurückgeben?“<br />
Nachdem eine Division der 3. US-Armee<br />
am 22. März den Rhein überquert hat, meint<br />
Patton trocken, er hätte dabei in den Fluss<br />
uriniert. Vier Tage später greift eine Einsatzgruppe<br />
von 314 Mann bei Hammelburg ein.<br />
Ihr Auftrag lautet: Amerikanische Kriegsgefangene<br />
sollen befeit werden. Einer der<br />
Insassen ist Pattons Schwiegersohn<br />
Oberstleutnant John K. Waters, der in<br />
Nordafrika in Kriegsgefangenschaft<br />
OPERATION HUSKY: Patton auf dem Weg<br />
nach Gela – der ersten italienischen Stadt, die<br />
von den Alliierten im Juli 1943 befreit wurde.<br />
Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto<br />
76
Attentat oder Unfall?<br />
FILM<br />
Rebell in Uniform<br />
170 Minuten dauert die Verfilmung von<br />
Pattons Leben, die 1970 erschien. Regie<br />
führte Franklin J. Schaffner, das Drehbuch<br />
stammt von Francis Ford Coppola<br />
und Edmund H. North. Der Film zeichnet<br />
das Leben des umstrittenen Generals<br />
Patton nach, der trotz seiner militärischen<br />
Erfolge bei seinen Vorgesetzten als unbequem<br />
und zynisch gilt. Gedreht wird der<br />
Film im Frühjahr 1969. Das Budget beträgt<br />
an die zwölf Millionen Dollar. Allein<br />
in den USA erreicht der Film ein Einspielergebnis<br />
von nahezu 62 Millionen Dollar.<br />
Im folgenden Jahr gewinnt er sieben Oscars.<br />
2003 wird „Patton“ in das „National<br />
Film Registry“ aufgenommen.<br />
TRAGISCHES ENDE: Patton stirbt bei einem Verkehrsunfall. Das Bild zeigt seine Witwe<br />
nach der Trauerfeier in Heidelberg. Für den Kriegshelden ist es „die Hölle“, auf so profane<br />
Weise aus dem Leben zu scheiden.<br />
Foto: picture alliance/akg<br />
geraten ist. Der Vorstoß der Amerikaner ist<br />
jedoch ein Desaster: Nur 35 Soldaten überleben<br />
ihn, alle 57 Begleitfahrzeuge werden zerstört.<br />
Waters erhält einen Schuss ins Gesäß,<br />
ein internierter serbischer Arzt behandelt<br />
ihn. Zehn Tage später werden die Kriegsgefangenen<br />
schließlich doch noch befreit.<br />
Am 14. April 1945 wird Patton zum General<br />
ernannt. Der Vormarsch der Roten Armee<br />
missfällt ihm, aber Eisenhower lässt ein Vorrücken<br />
in Richtung Prag nicht zu.<br />
Literaturtipps<br />
Earle Rice: George Patton. Philadelphia 2004.<br />
Trevor Royle: Patton: Old Blood and Guts. London<br />
2005.<br />
FILMISCHES DENKMAL: George C.<br />
Scott als Patton in dem Film „Patton -<br />
Rebell in Uniform“. Das biographische<br />
Soldatenporträt basiert u.a. auf dem<br />
Buch „A Soldier‘s Story“ von General<br />
Omar Bradly, der auch als Berater am<br />
Film mitwirkte.<br />
Foto: picture alliance/United Archives<br />
Mysteriöser Tod<br />
Patton bittet um ein Kommando im Krieg<br />
gegen Japan, was er aber nicht erhält. Am<br />
7. Juni trifft er in Bedford, Massachusetts ein<br />
und nimmt Urlaub. Im Juli kehrt der alte<br />
Haudegen nach Europa zurück, um bei den<br />
Besatzungstruppen zu dienen. Patton wird<br />
Militärgouverneur Bayerns. Über seine neue<br />
Stellung ist er nicht gerade glücklich. Als<br />
Patton vom Ende des Krieges gegen Japan<br />
erfährt, zeigt er sich zunehmend launisch.<br />
Seine Position wird skeptisch beurteilt, nachdem<br />
er mehrere Mitglieder der NSDAP in<br />
Bayern politische Posten ausüben lässt. Zudem<br />
ist er von der Waffen-SS stark beeindruckt.<br />
Während einer Pressekonferenz in<br />
Bad Tölz am 28. September 1945 sagt Patton,<br />
er halte die von den Siegermächten verbotene<br />
NSDAP für eine Partei, die auch nichts<br />
anderes sei als eine Partei in den USA. Seine<br />
Einschätzung ist ohne Frage nicht passend.<br />
Der Vorwurf des Antisemitismus wird gegen<br />
ihn erhoben, und Eisenhower entzieht ihm<br />
sein Kommando.<br />
Am 7. Oktober verliert er die Führung der<br />
3. US-Armee. Zum Abschied sagt er: „Alle<br />
guten Dinge müssen zu einem Ende kommen.<br />
Das Beste, was mir jemals geschehen<br />
ist, ist die Ehre und das Privileg die 3. Armee<br />
kommandiert zu haben.“ Wahrscheinlich<br />
provozierte Patton bewusst, um seine Position<br />
klar zu stellen. Es gibt Hinweise, dass der<br />
General plante, die Herausforderungen der<br />
politischen Front anzunehmen. Er kennt Eisenhowers<br />
politische Ambitionen – von ihm<br />
hält er aber nicht viel.<br />
Am 8. Dezember 1945, zwei Tage vor Pattons<br />
geplanter Rückreise in die USA, lädt ihn<br />
sein Stabschef zur Fasanenjagd bei Speyer<br />
ein, um den General aufzumuntern. Am<br />
9. Dezember wird Pattons Cadillac gegen<br />
11.45 Uhr durch einen langen Güterzug zum<br />
Anhalten an einem Bahnübergang gezwungen.<br />
Von hinten rammt ein Lkw, den Sergeant<br />
Robert L. Thompson fährt, Pattons Wagen<br />
und schiebt ihn unter die Güterwaggons.<br />
Seine beiden Beifahrer und der<br />
Sergeant überleben den Unfall, schwer verletzt<br />
wird der General in ein Hospital gebracht.<br />
Verbittert beklagt er sich: „Dies ist die<br />
Hölle, um zu sterben.“ Am 21. Dezember<br />
stirbt Patton gegen 18.00 Uhr an Herzversagen<br />
im US-Hospital in Heidelberg. Beerdigt<br />
wird er im luxemburgisch-amerikanischen<br />
Friedhof in Hamm. Sein Wunsch lautet: „Ich<br />
möchte bei meinen Männern bestattet werden.“<br />
Pattons Tod ist bis heute ungeklärt –<br />
manche reden von einem Attentat.<br />
Michael Solka, M.A., Jg. 1953, studierte Geschichte<br />
und Amerikanistik in München und Eugene/USA; freier<br />
Autor und Redakteur; Verfasser zahlreicher Bücher.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
77
Museen & Militärakademien<br />
AUßERGEWÖHNLICH: Einer der Glanzpunkte<br />
der Ausstellung ist ein Schnittmodell vom<br />
Kampfpanzer Leopard 1 (Vorserie). Foto: Archiv WTS<br />
Wehrtechnische Studiensammlung (WTS) in Koblenz<br />
Militärtechnik und<br />
Militärtheorie<br />
Mit einer Ausstellungsfläche von mehr als 7.200 Quadratmeter gehört die Wehrtechnische<br />
Studiensammlung in Koblenz zu den großen Technik-Sammlungen in Deutschland. Außerdem<br />
verfügt die WTS über eine Fachbibliothek, die ihresgleichen sucht. Von Peter Többicke<br />
Im Jahr 1962 gegründet, ist die WTS seit<br />
1982 dem Bundesamt für Ausrüstung, Information<br />
und Nutzung der Bundeswehr<br />
in Koblenz zugeordnet. Sie ist außerdem<br />
Mitglied der internationalen Vereinigung<br />
von Waffen- und Militärgeschichtlichen Museen.<br />
Untergebracht sind die Sammlungen<br />
der WTS im historischen Gesamtkomplex<br />
von Anlagen des ehemaligen Korpsbekleidungsamtes<br />
des VIII. preußischen Armeekorps<br />
– der späteren Langemarck-Kaserne<br />
(1936–1945).<br />
Die Bestände umfassen eine große Auswahl<br />
an wehrtechnischem Gerät und Material.<br />
So kann eine Vielzahl von Waffensystemen<br />
aus dem Bereich der Handfeuer- und<br />
Maschinenwaffen, Artillerietechnik, Munition,<br />
Flugkörpertechnik, Panzerabwehrwaf-<br />
fen, Rad- und Kettenfahrzeuge, Pioniertechnik,<br />
Luftfahrzeug- und Marinetechnik sowie<br />
Fernmelde-, Elektronik- und optisches Gerät<br />
besichtigt werden. Hinzu kommen Exponate<br />
zur persönlichen Bekleidung und Ausrüstung<br />
von Soldaten.<br />
Einzigartige Bestände<br />
Die militärgeschichtliche Fachbibliothek bildet<br />
– zusammen mit der umfangreichen<br />
technischen Dokumentation – den Mittelpunkt<br />
der WTS. Die Bestände umfassen etwa<br />
100.000 technische Dienstvorschriften,<br />
Gerätebeschreibungen und Handbücher,<br />
25.000 Monographien und Zeitschriftenbände,<br />
8.000 Zeichnungssätze, Unterrichtstafeln<br />
und Zeichnungen, 16.000 Diapositive und<br />
Fotografien sowie 1.000 audiovisuelle Exponate<br />
(Filme, Tonbänder, CD-ROM usw.). Die<br />
Gerätebeschreibungen gehören zur amtlichen<br />
Dokumentation der deutschen Streitkräfte<br />
von 1871 bis 1945, der Bundeswehr<br />
(ab 1955) und der Nationalen Volksarmee<br />
(1955-1990).<br />
ANSEHNLICH: Die Wehrtechnische Studiensammlung<br />
von außen (Teilansicht).<br />
Foto: Archiv WTS<br />
78
LUFTFAHRTGERÄTETECHNIK: Der Erprobungsträger CCV (Control Configured Vehicle) mit<br />
Canard-Flügel auf dem Rumpfrücken auf Basis eines modifizierten Starfighters F-104 G<br />
(vorn) sowie der Prototyp V-2 vom leichten Erdkampfflugzeug VAK-191B (1971). Foto: Archiv WTS<br />
EINZIGARTIG: Seite aus dem<br />
Clausewitz-Manuskript „Vom Kriege“;<br />
rechts daneben eigenhändiger Brief von Clausewitz<br />
an den Kronprinzen von Preußen aus<br />
dem Jahr 1831, worin er sich für die Familie<br />
Gneisenaus verwendet. Noch 1831 erliegt<br />
Carl von Clausewitz selbst der Cholera. Der<br />
Brief wurde mit Nadeln als Desinfektionsmaßnahme<br />
durchstochen (Kreise). Foto: Archiv WTS<br />
Besonders wertvoll sind Bestände, die<br />
von Firmen, aus Nachlässen und Sammlungen<br />
übernommen wurden, handelt es sich<br />
hierbei doch um wahre „Fundgruben“ für jeden<br />
interessierten Besucher. Dazu zählt etwa<br />
das Historische Archiv der Firma Rheinmetall,<br />
das mit 60 laufenden Metern Akten und<br />
Gerätebeschreibungen, 10.000 Fotografien,<br />
Dias und Filmen usw. seit 2002 übernommen<br />
wurde. Hinzuweisen ist zudem auf folgende<br />
Nachlässe und Sammlungen: den Bestand<br />
Fritz Rausenberger (1868–1926), dessen<br />
Nachlass von den Krupp-Werken stammt.<br />
Rausenberger war technischer Direktor des<br />
Konzerns und beeinflusste die Entwicklung<br />
der schweren Heeresartillerie (Konstruktion:<br />
„Paris-Geschütz“); der Bestand Firmenarchiv<br />
Leiber, der die Entwicklung des deutschen<br />
Luftfahrzeugwesens dokumentiert<br />
(1935–1965); der Bestand Nachlass Fritz<br />
Hahn, dem Autor militärtechnischer Werke<br />
zur Geschichte der deutschen Luftwaffe und<br />
der Waffenentwicklung (1933–1945); schließlich<br />
der Bibliotheksbestand Runge mit 1.800<br />
Regiments- und Truppengeschichten, dazu<br />
600 militärgeschichtlichen Werken zur Entwicklungsgeschichte<br />
des Uniformwesens<br />
und der Ausrüstung des Soldaten im 19. und<br />
20. Jahrhundert.<br />
Umfangreiche Bibliothek<br />
In diesem Sammlungsensemble ist der Bestand<br />
Professor Werner Hahlweg (1912–<br />
1989) von herausragender Bedeutung. Der<br />
renommierte Clausewitz-Forscher und einstige<br />
Lehrstuhlinhaber für Militärgeschichte<br />
und Wehrwissenschaften prägte konzeptionell<br />
die WTS, wonach ihre Funktion, über<br />
die rein dokumentarische hinausgehend,<br />
auch in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeu-<br />
tung von ihm erkannt und für die Wehrtechnik<br />
formuliert wurde. Seine Bibliothek (circa<br />
12.000 Bände), seine Handschriften- und<br />
Vorschriftensammlung, dazu das kunsthistorische<br />
Ensemble an Gemälden, verleihen<br />
der Studiensammlung eine eigene Note.<br />
Strategie, Taktik und Waffentechnik sind<br />
seit dem 16. Jahrhundert als Kriegskunst in<br />
wachsendem Maße thematisiert worden. In<br />
Kenntnis dessen hat Professor Hahlweg<br />
nicht nur für jene uns fern liegenden Zeiten<br />
Vollständigkeit für seine Bibliothek angestrebt,<br />
sondern dabei auch bibliophile Auswahlkriterien<br />
gelten lassen. Es versteht sich<br />
von selbst, dass Hahlweg, in profunder<br />
FARBENPRÄCHTIG: Blatt von Jacob de<br />
Gheyn aus seinem Werk „Waffenhandlvng<br />
von den Röhren, Mvsquetten vndt Spiessen“<br />
(1607). Foto: Archiv WTS<br />
Kenntnis des Werkes von Carl von Clausewitz<br />
(1780–1831), für dessen geistige Repräsentanz<br />
gesorgt hat. Seit der Herausgabe des<br />
Werkes „Vom Kriege“, das erstmals 1832 erschien,<br />
hat Hahlweg sich besonders um die<br />
textkritische Edition bemüht (1952) und das<br />
Werk in allen erdenklichen Ausgaben gesammelt.<br />
Bedeutende Spezialsammlung<br />
Schließlich hat Hahlweg, angeregt durch die<br />
Beschäftigung mit den Werken von Scharnhorst<br />
und Clausewitz, eine spezielle Sammlung<br />
von Monographien zu den Themen<br />
„Kleiner Krieg“, „Partisanen-“, „Guerilla-“<br />
und „Volkskrieg“ (heute: Asymmetrischer<br />
Krieg) angelegt, etwa 800 an der Zahl.<br />
Für all jene, die sich jedoch weniger für<br />
die Theorie interessieren: Allein der umfangreiche<br />
Bestand an Waffensystemen und Militärtechnik<br />
zur deutschen Militärgeschichte<br />
ist einen Besuch in der WTS wert.<br />
KONTAKT<br />
WTS – Wehrtechnische<br />
Studiensammlung<br />
Mayener Str. 85-87, 56070 Koblenz<br />
Tel.: 0261 / 400 1423<br />
E-Mail: wts@bundeswehr.org<br />
www.baain.de/wts oder www.vff-wts.de<br />
(Förderverein)<br />
Öffnungszeiten:<br />
Ganzjährig täglich 9:30–16:30 Uhr (geschlossen:<br />
24.12. bis 1.1. und Rosenmontag)<br />
Dr. Peter Többicke, Historiker, Veröffentlichungen zur<br />
deutschen Militär- und Zeitgeschichte.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
79
Ein Bild erzählt Geschichte<br />
Callots Galgenbaum: Die aufgeknüpften<br />
Plünderer aus der Bildreihe<br />
„Schrecken des Krieges“<br />
veranschaulichen die rohe Gewalt,<br />
die das Produkt einer jahrzehntelangen<br />
Auseinandersetzung<br />
ist. Der 18 Blätter umfassende<br />
zweite Zyklus entsteht 1633 und<br />
vermeidet jegliche marktschreierische<br />
Sensationsgier.<br />
Abb.: picture-alliance / akg-images<br />
Gespenstischer Galgenbaum aus dem Dreißigjährigen Krieg<br />
Die gehenkten Plünderer<br />
Eines der eindringlichsten Zeugnisse dieser<br />
grausamen Zeit stellen die „Schrecken<br />
des Krieges“ („Misères de la guerre“)<br />
dar, die in den Jahren 1632/1633 in zwei<br />
Folgen entstehen. Die Radierungen führen<br />
dem Betrachter die dunkelsten Seiten und<br />
bestialischen Auswüchse des Dreißigjährigen<br />
Krieges vor Augen: Überfälle, Hinrichtungen<br />
verschiedenster Art, Plünderungen,<br />
Zerstörungen und – natürlich – Krieg.<br />
Vor Goya und Dix<br />
Geschaffen hat dieses Panoptikum des<br />
Schreckens der französische Künstler<br />
Jacques Callot. Geboren wird er 1592 im<br />
lothringischen Nancy und kennt als Zeitgenosse<br />
den Krieg aus eigener Erfahrung.<br />
Seine Ausbildung zum Kupferstecher erhält<br />
er in Rom und ist anschließend von<br />
1611 bis 1621 Hofkünstler der Medici in Florenz.<br />
Danach lebt er bis zu seinem Tod 1635<br />
in seiner Geburtsstadt. Die Themen seiner<br />
Kreationen reichen von religiösen Stoffen<br />
über historische Ereignisse bis hin zu Szenen<br />
aus dem Volksleben. Callot begreift dabei<br />
die Radierung nicht als bloße Technik<br />
zur Reproduktion, sondern als eigenständige<br />
Kunst, die er dazu nutzt, seine aussagekräftigen<br />
Werke zu komponieren. In seinen<br />
„Schrecken des Krieges“ porträtiert er den<br />
Krieg als ein die Massen heimsuchendes<br />
80
Verse des Geistlichen Michel de Marolles<br />
(1600–1681) kommentieren die Zeichnungen Callots:<br />
bittlich Los vors himmlische Gericht.<br />
Uns zeigt das Diebsgesindel, das hier dicht gedrängt<br />
wie unheilvolles Obst an einem Baume hängt,<br />
dass das Verbrechen selbst (verrufne, finstre Sache)<br />
schon sei ein Instrument der Züchtigung und Rache;<br />
denn früher oder später stellt den Bösewicht<br />
ein unerbittlich Los vors himmlische Gericht.<br />
1618–1648: Teile Europas versinken in den Schrecken eines Konfliktes, der aus vielen Einzelkriegen<br />
besteht. Hunger, Seuchen und Gewalt sind eine Pein für die Bevölkerung und machen<br />
diesen Krieg zur gewaltsamsten Auseinandersetzung des Jahrhunderts. Von Maximilian Bunk<br />
Schicksal. Große Künstler wie Francisco de<br />
Goya mit seiner Grafik-Serie „Desastres de<br />
la Guerra“ (Kampf Spaniens gegen Napoleon)<br />
und Otto Dix mit seinen Bildern zum<br />
Grabenkrieg sind von Callot beeinflusst.<br />
Baumelnde Invaliden<br />
Das vielleicht bekannteste Blatt aus dem<br />
Kriegszyklus sind „Die Gehenkten“. Die<br />
abgebildete Szene trägt sich in einem Armeelager<br />
zu: Die Zelte im Hintergrund sowie<br />
die angetretenen Truppen links und<br />
rechts bilden den Rahmen für den gigantischen<br />
Galgenbaum im Zentrum. Priester<br />
leisten den Verurteilten letzten Beistand,<br />
während die Henker ihrem blutigen Handwerk<br />
nachgehen. Bei den zum Tode verurteilten<br />
handelt es sich um Plünderer – viele<br />
von ihnen sind durch den Krieg bereits zu<br />
Krüppeln geworden und tragen Prothesen<br />
oder verwendeten Krücken, die im Vordergrund<br />
liegen. Gerade hierin liegen die Tragik<br />
und der hohe Symbolgehalt dieser Abbildung.<br />
Die plündernde Soldateska, der<br />
hier der Prozess gemacht wurde, ist sowohl<br />
Täter als auch Opfer des Krieges. Die Grenzen<br />
zwischen Gut und Böse verschwimmen,<br />
und am Ende bleiben nur das Elend<br />
und das Grauen, welches Jacques Callot so<br />
eindrücklich für uns festgehalten hat.<br />
Clausewitz 5/2013<br />
81
<strong>Vorschau</strong><br />
Nr. 15 | 5/2013 | September-Oktober | 3.Jahrgang<br />
Internet: www.clausewitz-magazin.de<br />
Monte Cassino 1944<br />
Die „Vielvölkerschlacht“ in Italien<br />
Januar 1944: Eine der längsten und blutigsten Schlachten des Zweiten<br />
Weltkriegs entbrennt. Auf Seiten der zahlenmäßig weit überlegenen Alliierten<br />
kämpfen Soldaten verschiedenster Nationalitäten gegen die sich bei Monte<br />
Cassino verbissen verteidigenden deutschen Truppen.<br />
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Die Varusschlacht<br />
Roms Niederlage in den Wäldern<br />
Germaniens<br />
9 n. Chr.: Der Untergang von drei<br />
römischen Legionen geht als<br />
„Schlacht im Teutoburger Wald“ in<br />
die Geschichte ein und wird später<br />
oft als „Beginn der deutschen<br />
Geschichte“ interpretiert.<br />
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Im selben Verlag erscheinen außerdem:<br />
SCHIFFClassic<br />
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„Nebelwerfer“<br />
Raketenwerfer der Wehrmacht<br />
1941: Die seit vielen Jahren erforschte Waffe<br />
wird schließlich zum Raketenwerfer weiterentwickelt<br />
und ist während des Zweiten Weltkrieges<br />
eine gefürchtete Artilleriewaffe.<br />
Außerdem im nächsten Heft:<br />
Winterschlacht in Masuren. Die dramatischen Ereignisse im Februar 1915.<br />
Oliver Cromwell (1599–1658). Der „Krieger Gottes“.<br />
Und viele andere Beiträge aus den Wissengebieten Geschichte, Militär und Technik.<br />
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