BISCH DU SCHWUL ODER WAS? - HAZ
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vens’ Verhalten als Zeichen<br />
der Gleichgültigkeit oder gar<br />
Zustimmung. Dieser versäumt<br />
es – wie so oft im Verlauf<br />
des Romans –, Miss Kenton<br />
sein Handeln zu erklären; so<br />
sehr hat sich Stevens hinter<br />
seiner selbstverleugnenden Rolle<br />
verschanzt, dass er sogar vor<br />
kleinen Intimitäten zurückschreckt;<br />
Emotionen zuzulassen<br />
bedroht sein ganzes Ich-<br />
Verständnis. Erst Jahre später<br />
gesteht Stevens sich ein, dass<br />
er auf diese Weise die Chance<br />
auf ein glückliches Leben mit<br />
Miss Kenton fahrlässig und<br />
unwiderruflich verspielt hat.<br />
Stevens’ verspätete Einsicht ist<br />
herzzerreissend, gerade auch<br />
für eine queere Leserschaft:<br />
Der Wunsch, eine gesellschaftlich<br />
vorgegebene Rolle perfekt<br />
zu erfüllen, auch auf Kosten<br />
der persönlichen Bedürfnisse –<br />
wie viele gleichgeschlechtlich<br />
begehrende Menschen blicken<br />
auf ähnliche Geschichten der<br />
Selbstverneinung zurück?<br />
Unterschwellige Homoerotik<br />
Man kann aber auch über<br />
Analogien hinausgehen und fragen,<br />
welches uneingestandene<br />
Begehren Stevens dazu bewegt,<br />
das vermeintliche Glück<br />
heterosexueller Zweisamkeit für<br />
den Dienst an einem Herrn zu<br />
opfern, der sein Leben lang<br />
Junggeselle bleibt. Steht dem<br />
Verzicht auf heterosexuelle<br />
Erfüllung eine verborgene und<br />
vage homoerotische Lust gegenüber?<br />
Stevens’ ganzes Leben<br />
richtet sich danach, die Wünsche<br />
eines Mannes zu erfüllen –<br />
und es ist diese Beziehung, die<br />
er einem Leben mit Miss Kenton<br />
vorzieht.<br />
Um Missverständnisse zu vermeiden:<br />
Was vom Tage übrigblieb<br />
ist kein verkappt schwuler<br />
Roman; Stevens und Lord<br />
Darlington haben’s nicht insgeheim<br />
miteinander getrieben.<br />
Der Punkt ist vielmehr, dass<br />
die scheinbar eindeutig heterosexuelle<br />
Begehrensstruktur auch<br />
von gleichgeschlechtlichen Lust-<br />
formen durchdrungen ist. Ganz<br />
gemäss einem queeren Verständnis<br />
erweist sich das Begehren<br />
bei genauerem Hinsehen<br />
eben nicht als gradlinig hetero<br />
oder homo, sondern als vielgestaltig,<br />
verschlungen und<br />
rätselhaft.<br />
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Kazuo Ishiguro. Was vom Tage übrigblieb. Btb-Verlag, 2007.<br />
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