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Tour de France 1998. 15. Etappe.

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Renner: Live-Sportkommentator - aktueller Stand: 20.1.2005- - S. 11 v 13 -<br />

Doping ist aber nicht das einzige wichtige Thema, bei <strong>de</strong>m ein solches Re<strong>de</strong>verbot existiert. In <strong>de</strong>r Übertragung<br />

wer<strong>de</strong>n auch alle Informationen ausgeblen<strong>de</strong>t, die darauf hinweisen könnten, daß es bei hier nicht nur um Sport,<br />

son<strong>de</strong>rn auch um wirtschaftliche Interessen geht. Die Kommentatoren, die sonst alles wissen, wissen zu <strong>de</strong>n<br />

finanziellen Aspekten <strong>de</strong>r <strong>Tour</strong> <strong>de</strong> <strong>France</strong> nichts zu sagen. Sie kennen we<strong>de</strong>r die Kosten <strong>de</strong>r Fernsehübertragung<br />

noch die Umsatzsteigerungen in <strong>de</strong>n <strong>Etappe</strong>norten. Sie schweigt zur Finanzierung <strong>de</strong>r aufwendigen Trainingszeiten,<br />

sagen nichts zu <strong>de</strong>n Ausrüstungskosten und zum Gehalt <strong>de</strong>r Fahrer.<br />

Dieses Tabu gilt auch für <strong>de</strong>n visuellen Erzähler. 19 Die kilometerlange Werbekolonne vor <strong>de</strong>n Fahrern ist in <strong>de</strong>n<br />

Übertragungen nie zu sehen. Glaubt man <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn, so fin<strong>de</strong>t dieses Rennen einzig und allein in <strong>de</strong>r grandiosen<br />

Kulisse Frankreichs statt. Selbst die Firmennamen auf <strong>de</strong>n Trikots <strong>de</strong>r Fahrer scheinen keine Werbung, da in<br />

diesem durch und durch kommerzialisierten Sport diese Firmennamen die Namen <strong>de</strong>r jeweiligen Rennställe<br />

sind.<br />

Kaum weniger als das Doping stellen auch diese kommerziellen Aspekte die Autonomie <strong>de</strong>s Sports in Frage.<br />

Denn in unserem Denksystem gilt <strong>de</strong>r Sport als eine in sich selbst sinnvolle Beschäftigung. Diese Vorstellung<br />

verträgt sich nicht mit <strong>de</strong>r Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen. Nicht von ungefähr gilt <strong>de</strong>r Amateur, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Sport zum Inhalt seiner Freizeit macht, als das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Sports. Der Kommerz <strong>de</strong>gradiert dagegen nach<br />

diesem Denken <strong>de</strong>n Sport zu einem Zirkus, in <strong>de</strong>m die Leistungen <strong>de</strong>r Athleten nur noch abgesprochene Showeffekte<br />

sind.<br />

So gesehen haben we<strong>de</strong>r Pantani noch die Festina-Fahrer <strong>de</strong>n Teufelspakt abgeschlossen. Abgeschlossen hat ihn<br />

bereits Henri Desgrange, als er zur Auflagensteigerung seines Blattes 1903 die <strong>Tour</strong> <strong>de</strong> <strong>France</strong> ins Leben rief.<br />

Dieser Pakt wird so lange fortbestehen, so lange die Sportjournalisten diesen Wettkampf zu einen Mythos stilisieren.<br />

So lange sie ein Wirtschaftsunternehmen mit einer I<strong>de</strong>ologie verbrämen, die aus professionellen Athleten<br />

Recken einer längst vergangenen Vorzeit macht. 20<br />

5. Schlußbemerkungen<br />

Ich habe hier <strong>de</strong>n Typ <strong>de</strong>s dämonologischen Erzählers ähnlich wie eine Metapher als ein Mo<strong>de</strong>ll verwen<strong>de</strong>t, um<br />

damit die spezifischen Leistungen <strong>de</strong>s Off-Kommentators in <strong>de</strong>r Live-Übertragung von Sport-Großereignissen<br />

zu beschreiben. Dieses Vorgehen führt nicht nur zu neuen Einsichten. Es wirft auch theoretische Probleme auf,<br />

die zu weiteren Überlegungen Anlaß geben.<br />

Da ist <strong>de</strong>r doppelte Transfer dieses Mo<strong>de</strong>lls. Es entwickelt sich im Rahmen <strong>de</strong>r Literatur und wird von mir auf<br />

die journalistische Medienkommunikation in einem audiovisuellen Mediums bezogen.<br />

Der Transfer zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Kommunikationsgattungen läßt sich damit rechtfertigen, daß die Sprechhandlung<br />

<strong>de</strong>s Erzählens hinsichtlich <strong>de</strong>r Opposition „authentisch vs. fiktional“ nicht markiert ist. 21 Die weiter<br />

Fragen betreffen die Erzählerfiguren. Ein literarischer Autor kann sie durch das Mittel <strong>de</strong>r Fiktionalität von<br />

seinem Ich abspalten, <strong>de</strong>r journalistische Autor dagegen nicht, was seine Erzählmöglichkeiten vermutlich sehr<br />

beschränkt.<br />

Der Transfer in das audiovisuelle Medium Fernsehen wirft die Frage auf, inwieweit <strong>de</strong>r „Mann am Mikrofon“<br />

ein Erzähler und nicht nur ein Kommentator ist. Denn an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r „Hörfunkmann, <strong>de</strong>r mit seiner Nonstop-<br />

Übertragung für <strong>de</strong>n Rezipienten erst jenes ‘Bild’ <strong>de</strong>s Ereignisses schafft“, liegt <strong>de</strong>m Fernsehreporter dieses Bild<br />

„bereits ohne einen Mucks <strong>de</strong>s Journalisten“ vor (Scheu 1994, S. 250). Eine Antwort bietet die Erkenntnis, daß<br />

<strong>de</strong>r Off-Kommentar das Bild nicht eins-zu-eins beschreibt, son<strong>de</strong>rn Platz für Einordnungen und ergänzen<strong>de</strong><br />

Kommentare läßt. 22 Über diese sprachlichen Informationen wird dann eine spezifisch sprachliche Erzählerperspektive<br />

aufgebaut. Notwendig wird damit aber eine Klärung <strong>de</strong>r Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Off-Kommentator<br />

als <strong>de</strong>n sprachlichen und <strong>de</strong>m Regisseur als <strong>de</strong>m visuellen Erzähler.<br />

Zentral ist aber die Frage, wie diese <strong>de</strong>ckungsgleichen Erzählstrukturen <strong>de</strong>r Literatur und <strong>de</strong>s Sportjournalismus<br />

zu erklären sind. Denn eine bewußte Übernahme ist alles an<strong>de</strong>re als wahrscheinlich. Einen Ansatz zur Erklärung<br />

ist wohl in <strong>de</strong>r spezifischen Sprechsituation <strong>de</strong>s Live-Kommentators zu suchen. Hier fallen erzählte Zeit und<br />

Erzählzeit vollständig zusammen. Der Kommentator spricht in <strong>de</strong>m Moment, in <strong>de</strong>m er das Gesprochene erlebt.<br />

19 Das wird schlagartig <strong>de</strong>utlich, wenn man die Live-Übetragung 1998 mit <strong>de</strong>r Dokumentation Tortur <strong>de</strong> <strong>France</strong>.<br />

Bericht über eine Radrundfahrt vergleicht, die Dieter Ertel 1960 für die ARD Reihe Zeichen <strong>de</strong>r Zeit drehte,<br />

um „ hinter die Kulissen <strong>de</strong>r Monstre-Veranstaltung zu sehen“ (K. Hoffmann 1996, S.130).<br />

20 Bezeichnend ist <strong>de</strong>r bizarre Vorwurf <strong>de</strong>s Verrats, <strong>de</strong>n sich Jens Voigt bei <strong>de</strong>r <strong>Tour</strong> <strong>de</strong> <strong>France</strong> 2004 vom ARD-<br />

Kommentator gefallen lassen mußte, als er entsprechend seiner Team-Or<strong>de</strong>r das gegnerische Team von Ullrich<br />

behin<strong>de</strong>rte. Vgl. Rene Martens (2004): Schwache Leistung. - in: journalist 10/2004, S. 33 f.<br />

21 Vgl. Kanzog 1976, S. 12.<br />

22 Vg. Renner 2001.

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