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2.2 Informationsvermittlung: Sprache und Sprachver- wendung

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<strong>2.2</strong> <strong>Informationsvermittlung</strong>: <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Sprachver</strong><strong>wendung</strong><br />

Noch bis vor 10, 20 Jahren war es üblich, den Unterschied zwischen Mensch<br />

<strong>und</strong> Tier darin zu sehen, dass Menschen empfinden <strong>und</strong> leiden, ein Bewusstsein<br />

von sich haben <strong>und</strong> sprachlich miteinander kommunizieren, während den<br />

Tieren all diese Fähigkeiten <strong>und</strong> Dispositionen abgesprochen wurden. Die neuere<br />

Forschung hat massive Zweifel an der Angemessenheit dieser Unterscheidungsmerkmale<br />

angemeldet — es scheint, dass es kein allgemeines <strong>und</strong> eindeutiges<br />

Kriterium gibt, das einen derartig radikalen Unterschied zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Tier zu machen legitimieren würde. Versteht man <strong>Sprache</strong> in einem<br />

sehr weiten Sinn, so scheinen viele höherstufige Lebewesen sprachlich, d.h.<br />

über Laute miteinander zu kommunizieren. Dennoch lässt sich nicht übersehen,<br />

dass ein massiver gradueller Unterschied zwischen tierischen <strong>und</strong> heutigen<br />

menschlichen <strong>Sprache</strong>n besteht. Das, was wir im Alltag <strong>und</strong> in den Wissenschaften<br />

als <strong>Sprache</strong> gebrauchen, geht weit über das ›Äußern von Lauten‹ hinweg.<br />

Wir benützen ausgebildete, auf Regeln fußende <strong>Sprache</strong>n, <strong>und</strong> keine Studentin<br />

einer beliebigen Fachrichtung wird erfolgreich ihre Prüfungen ablegen<br />

können, wenn sie die für ihr Fach relevante <strong>Sprache</strong> nicht gelernt hat. Die <strong>Sprache</strong><br />

ist das maßgebliche Medium, das wir gebrauchen, um unsere Handlungen<br />

zu koordinieren <strong>und</strong> um unsere gewonnenen Einsichten im öffentlichen Raum<br />

auszudrücken.<br />

Uns kann hier natürlich nicht die ganze Breite dessen interessieren, was <strong>Sprache</strong><br />

resp. <strong>Sprachver</strong><strong>wendung</strong> ist. Wir konzentrieren uns erneut auf die kognitiven<br />

Aspekte. Wir wollen insbesondere der Frage nachgehen, inwiefern uns über die<br />

<strong>Sprache</strong> Informationen über unsere natürliche, soziale <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Umwelt zukommen <strong>und</strong> wie zuverlässig derartige Informationen sind, so dass<br />

wir eben von Wissen sprechen dürfen. Unter kognitiven Gesichtspunkten können<br />

wir bezüglich der Leistung der <strong>Sprache</strong> für die Wissensproduktion ganz<br />

ähnliche Fragen wie schon zuvor bezüglich unseren Wahrnehmungen stellen:<br />

• Was heißt es, 'eine <strong>Sprache</strong> zu können'?<br />

• Welche Rolle spielen die einzelnen strukturellen Komponenten einer <strong>Sprache</strong>,<br />

was sagen sie uns im einzelnen über unsere Umwelt?<br />

• Sind sprachliche Äußerungen generell zuverlässige Informationsträger <strong>und</strong><br />

wenn nicht, wo liegen die Probleme?<br />

Wir konzentrieren uns auf die beiden letzten Fragen. Neben der Wahrnehmung<br />

nimmt die <strong>Sprache</strong> insofern eine herausragende Stellung ein, als mit ihr in öffentlicher<br />

Kommunikation anderen etwas mitgeteilt werden kann. Während Sin-


neswahrnehmungen an das Individuum geknüpft sind, steht <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Sprachver</strong><strong>wendung</strong>en in einem spezifischen Raum menschlicher Interaktionen.<br />

Interessanterweise stoßen wir aber auch bei der <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> der <strong>Sprachver</strong><strong>wendung</strong><br />

auf analoge Schwierigkeiten wie zuvor bei den Sinneswahrnehmungen.<br />

Obwohl die Bedeutung der <strong>Sprache</strong> für die Wissensproduktion nicht<br />

bestritten werden kann, bestehen auch auf dieser Seite erhebliche "Friktionen".<br />

Überlegen wir uns einige der Gr<strong>und</strong>probleme, die damit verb<strong>und</strong>en sind, entlang<br />

einer einfachen Situation:<br />

Zustand p<br />

(Ereignis;<br />

Sachverhalt)<br />

Aussage<br />

(a) (b)<br />

Zustand?<br />

(Ereignis;<br />

Sachverhalt)<br />

Abbildung 1: Sprachliche Äußerung als Informationsträgerin<br />

Wir haben eine Person (a) <strong>und</strong> eine Person (b). Die Person (a) sieht einen bestimmten<br />

Sachverhalt oder ein bestimmtes Ereignis, z. B. dass die Katze Moya<br />

auf der Matte liegt. Die Person (b) dagegen sieht dieses Ereignis nicht, sie befindet<br />

sich an einem anderen Ort. Später treffen sich die beiden. Person (a) sagt<br />

dann zu (b): „Die Katze lag heute Nachmittag auf der Matte“. Für den Adressaten,<br />

also für (b), bestehen angesichts einer derartigen Äußerung eine ganze Reihe<br />

von Möglichkeiten. Er kann z. B. einfach an die Aussage glauben, weil die Kollegin<br />

normalerweise glaubwürdig ist. Er kann sie aber auch als Behauptung verstehen,<br />

für die er Gründe einfordern möchte. Er könnte antworten: So, hast du<br />

sie gesehen? Er könnte aber den Satz so verstehen, dass von einer anderen<br />

Katze, sagen wir von Mona, die Rede ist, von der er weiter weiß, dass sie nie auf<br />

einer Matte liegt. Möglicherweise antwortet er dann: „So, das ist ja ganz was<br />

Neues.“ Was hierbei vor allem wichtig ist, ist der in Kapitel 1 gemachte Unterschied<br />

zwischen dem bloßen Haben einer Meinung <strong>und</strong> Wissen. Nach welchen<br />

Kriterien können wir, so die wichtige Frage, entscheiden, dass es sich bei einer<br />

Aussage um den Bericht über Wissen handelt, wenn wir selber keine unmittelbare<br />

Erfahrung über das betreffende Ereignis oder den Zustand haben? Da es<br />

in unserem Alltag <strong>und</strong> in den Wissenschaften viele derartige Situationen gibt, ist<br />

das eine ziemlich ernsthafte Frage. Und es ist gerade auch für interdisziplinäre<br />

Kontexte eine sehr wichtige Frage.<br />

33


34<br />

Wir können die problematische Situation der sprachlichen Informationsübertragung<br />

auch mit Hilfe einiger informationstheoretischer Begriffe beschreiben:<br />

INFOR-<br />

MATION<br />

SENDER MEDIUM EMPFÄNGER<br />

= ENKODIERUNG = = DEKODIERUNG =<br />

SPRACHE SPRACHE<br />

ÄUSSERUNG/ SIGNAL LAUTFOLGE<br />

SCHLUSSFORM:<br />

1. X BEDEUTET, DASS P<br />

2. X IST WAHR (Z.B.<br />

WEIL ...<br />

P (IST DER FALL)<br />

Abbildung 2: Transport von Informationen<br />

ÜBERZEUGUNG<br />

SENDER & MEDIUM:<br />

VERTRAUENSWÜRDIG?<br />

Wir haben einen Sender (eine Sprecherin) <strong>und</strong> einen Empfänger (einen Hörer).<br />

Der Sender erhält einen Informationsinput (macht eine Wahrnehmung) <strong>und</strong> verarbeitet<br />

diesen, d.h. kodiert die Informationen in eine ihm zugängliche <strong>Sprache</strong>.<br />

Nun wird die Information in der enkodierten Version weitergegeben. Bei der<br />

Weitergabe können ganz unterschiedliche Medien involviert sein (z.B. schriftlich,<br />

mündlich). Der Empfänger dekodiert die Informationen <strong>und</strong> verarbeitet sie<br />

selbst. Der Empfänger muss sich dabei die Frage stellen, ob er die Mitteilung<br />

verstanden hat, ob er sie in den Korb seiner Überzeugungen aufnehmen will, ob<br />

er die gebildete Überzeugung für so stark hält, dass er sie für Wissen hält. Da<br />

der Empfänger über keine direkten Wahrnehmungsdaten verfügt, muss er von<br />

der sprachlichen Information auf den Sachverhalt schließen können (gemäß<br />

Schlussform): Welche Bedingung müssen nun erfüllt sein, damit er von der gehörten<br />

(gelesenen) Information schließen kann, dass etwas tatsächlich der Fall<br />

war? Was muss erfüllt sein, damit der Empfänger, die Aussage des Senders,<br />

erstens überhaupt versteht <strong>und</strong> zweitens für wahr oder falsch hält? Welche Krite-


ien für die Glaubwürdigkeit des Senders <strong>und</strong> des Mediums müssen erfüllt<br />

sein? Um uns im zur Verfügung stehenden Raum Antworten auf diese Fragen<br />

etwas anzunähern, wollen wir uns in <strong>2.2</strong>.1 zunächst einen Überblick über einige<br />

Gr<strong>und</strong>funktionen der <strong>Sprache</strong> verschaffen. Daran anschließend werde ich auf<br />

die Hauptschwierigkeit für gelingende Diskurse, die Bedeutungsvielfalt, eingehen<br />

<strong>und</strong> wie zuvor bezüglich Wahrnehmung für einen methodisch-kritischen<br />

Umgang mit unserer <strong>Sprache</strong> plädieren.<br />

<strong>2.2</strong>.1 Sprachliche Kategorien <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>funktionen<br />

Wir können bei <strong>Sprache</strong>n zwischen drei Strukturebenen unterscheiden:<br />

• Syntax: Die formale (logische oder grammatische) Struktur<br />

• Semantik Die Bedeutungsebene (der Ausdrücke, Sätze)<br />

• Pragmatik Die Handlungsebene (was wir mit Aussagen bezwecken)<br />

<strong>Sprache</strong>n (natürliche <strong>Sprache</strong>n <strong>und</strong> technische Wissenschaftssprachen) haben<br />

unabhängig von ihren Inhalten allgemeine formale Strukturen. Das ist der Aspekt<br />

der Syntax. Ausdrücke, Worte <strong>und</strong> Sätze haben weiter einen Inhalt, drücken<br />

etwas aus. Das ist die semantische Seite der <strong>Sprache</strong>. Zwei Aussagen können<br />

schließlich syntaktisch <strong>und</strong> semantisch gleich sein, dennoch eine andere Wirkung<br />

bei den Zuhörerinnen dadurch erzielen, dass sie rhetorisch in ganz unterschiedlicher<br />

Weise vorgetragen wurden. Die Pragmatik ist der Bereich der<br />

<strong>Sprachver</strong><strong>wendung</strong> unter Vorgabe von Zielen, die mit einer Kommunikation erreicht<br />

werden sollen.<br />

Da für uns in erster Linie das Ziel maßgeblich ist, für inter- resp. transdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit einen guten methodischen Rucksack bereitzustellen, richten<br />

sich die folgenden Ausführungen auf dieses Ziel aus:<br />

Zum einen möchte ich darauf hinweisen, dass rationale, auf potentielle<br />

Zustimmbarkeit zielende Verständigung zwischen Individuen — Transport von<br />

verarbeiteten Informationen gemäß des Schemas von Abbildung 2 — auch daran<br />

gekoppelt ist, dass wir unsere Rede in Übereinstimmung mit den Gr<strong>und</strong>funktionen<br />

sprachlicher Ausdrücke führen. Und auch wenn immer eine gebührende<br />

Vorsicht gegenüber einem erreichten Wissensstand angemessen ist, so<br />

kann man sich bezüglich der hier wichtigen Gr<strong>und</strong>funktionen sprachlicher Ausdrücke<br />

auf einen von Sprachanalytikerinnen generell geteilten Wissensstand<br />

bezüglich Syntax <strong>und</strong> Semantik berufen — so lange man sich nicht allzu sehr auf<br />

die Details einlässt. Diese Gr<strong>und</strong>funktionen herauszustellen, ist deswegen<br />

meine erste Aufgabe. Zum anderen soll kenntlich gemacht werden, inwiefern<br />

einige (nicht alle!) der Schwierigkeiten in der Kommunikation im Allgemeinen<br />

<strong>und</strong> in der inter- oder transdisziplinären Zusammenarbeit im Besonderen mit<br />

diesen funktionalen Elementen in Zusammenhang stehen. Die oft auftretenden<br />

Verständigungsschwierigkeiten (›Babylonische <strong>Sprachver</strong>wirrung‹) sind selten<br />

Ergebnis schlechter Absichten oder Unvermögen, sondern sind in erster Linie<br />

35


36<br />

auf die Funktionsmechanismen unseres Gebrauchs von <strong>Sprache</strong> zurückzuführen.<br />

Die folgenden, zugegebenermaßen theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen sollen nicht<br />

zuletzt das Problembewusstsein im Umgang mit Begriffen schärfen:<br />

Klarheit <strong>und</strong> Korrektheit in der Ver<strong>wendung</strong> der sprachlichen Mittel ist eine Voraussetzung<br />

für wissenschaftliche Erkenntnisse im Allgemeinen <strong>und</strong> für gelingende<br />

Verständigung <strong>und</strong> Zusammenarbeit in inter- <strong>und</strong> transdisziplinären<br />

Kontexten im Besonderen.<br />

<strong>2.2</strong>.1.1 Nur von "wohl formierten" Sätzen lässt sich sagen, ob sie wahr oder<br />

falsch sind<br />

Eine äußerst interessante Beziehung zwischen Wissen <strong>und</strong> der sprachlichen<br />

Struktur von Aussagen besteht hinsichtlich 'Wahrheit'. Von Wissen sprechen wir<br />

gemäß Kapitel 1 nur dann, wenn die in Frage stehende Meinung auch wahr ist.<br />

Von Wahrheit (resp. auch von Falschheit) einer Meinung können wir aber wiederum<br />

auch nur dann sprechen, wenn die entsprechende Aussage, die wahr<br />

oder falsch sein soll, gewisse Anforderungen erfüllt, nämlich eben "wohl formiert"<br />

ist.<br />

Vergleichen wir die beiden Äußerungen »Au!« <strong>und</strong> »Louis trägt eine Perücke«.<br />

Der wichtige Unterschied besteht darin, dass wir auf deren Inhalte verschieden<br />

reagieren. Auf ein »Au!« reagieren wir in der Regel mit Anteilnahme oder Besorgnis<br />

gegenüber derjenigen Person, die den Ausruf macht. Wir fragen, ob sie<br />

sich weh getan habe, ob es schlimm sei, etc. Wir verstehen die Äußerung in der<br />

Situation, in der wir uns befinden, weil wir in unmittelbarer Bekanntschaft mit der<br />

betreffenden Person stehen. Mit der Äußerung wird bei den Zuhörerinnen eine<br />

gewisse Wirkung erzielt oder auch bewusst hervorgerufen. Die Hörerinnen fragen<br />

sich aber nicht, ob die Äußerung wahr oder falsch ist, weil diese Frage hier<br />

gar keinen Sinn macht. Dagegen können wir uns sehr wohl fragen, ob es wahr<br />

ist, dass Louis eine Perücke trägt. Und wenn wir Louis schon lange kennen,<br />

Louis dieses Detail uns aber bisher vorenthalten hat, werden wir erstaunt fragen:<br />

Ist das wirklich wahr? Dagegen wird das Äußern von "Au!" nicht als Behauptung<br />

verstanden, die wahr oder falsch ist. Es ist zwar noch immer eine Information,<br />

aber wir ordnen diese anders ein als die Information über Louis.<br />

Vielleicht taucht die Frage auf, ob die Person, die eine solche Äußerung macht,<br />

täuschen oder Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte. Wir können aber nicht<br />

sagen: »Es ist wahr, dass „Au!“« resp. »Es ist der Fall, dass „Au!“«. Wir können<br />

allenfalls sagen: »Die Person x hat zum Zeitpunkt t „Au“ gesagt.« Der Punkt ist,<br />

das eine Äußerung wie »Au!« die Kriterien für eine Behauptung resp. eben für<br />

einen wohl formierten Satz nicht erfüllt. Nur zu solchen können wir aber entweder<br />

zustimmend oder ablehnend Stellung nehmen.<br />

»Louis trägt eine Perücke« ist ein Beispiel für eine Aussage, die wahr oder<br />

falsch sein kann. Wer Skrupel wegen Wahrheit <strong>und</strong> Falschheit hat, kann diese<br />

hier einfach durch Bejahen <strong>und</strong> Verneinen ersetzen. Entscheidend ist, dass


Aussagen, die wahr oder falsch sein können, eine gewisse Struktur haben<br />

müssen. Es besteht heute weit gehend Einigkeit darüber, dass wir nur von Sätzen,<br />

genauer eben von sogenannt wohlgeformten Sätzen, sagen können, dass<br />

sie wahr oder falsch sind. Worin besteht nun diese Wohlgeformtheit? Können<br />

z.B. die einzelnen Komponenten des Satzes, der Eigenname 'Louis' allein oder<br />

der Begriff der Perücke allein eine Aussage bilden, die wir bejahen oder verneinen<br />

können? Tatsächlich geht das nicht. Namen wie ›Louis‹ oder Begriffe wie<br />

›Perücke‹ können allein für sich genommen ebenso wenig wie »Au!« wahr oder<br />

falsch sein. Es lässt sich nicht sagen, dass dieser oder jener Begriff falsch sei,<br />

wir können nur sagen, dass dieser oder jener Begriff in einer bestimmten Situation<br />

falsch verwendet wird oder auf einen fraglichen Gegenstand nicht zutrifft.<br />

Analysieren wir die Komponenten unseres Beispielsatzes, lassen sich die Minimalbedingungen,<br />

die erfüllt sein müssen, um eine Äußerung als wahrheitsfähigen<br />

Satz akzeptieren zu können, folgendermaßen herausstellen: Zum einen<br />

muss ein Zeichen oder ein Name für ein Individuum (›Louis‹) <strong>und</strong> zum anderen<br />

ein Prädikatausdruck als Zeichen für ein allgemeines Merkmal (›trägt eine Perücke‹)<br />

vorkommen. Der Eigenname resp. das betreffende Zeichen muss dabei<br />

etwas bezeichnen, <strong>und</strong> vom Prädikatausdruck wollen wir zumindest sagen können,<br />

dass er auf dasjenige Individuum zutrifft, das wir mit dem Eigennamen bezeichnet<br />

haben. 1<br />

Wenn wir bei einer Aussage wie »Louis trägt eine Perücke« nicht wissen, wer<br />

mit ›Louis‹ gemeint ist, können wir den Satz nicht berechtigterweise für wahr<br />

halten. Wir können ihn zwar für wahr halten, wenn eine Vertrauensperson uns<br />

die Sache plausibel versichert. Berechtigterweise für wahr halten heißt aber,<br />

dass wir gegebenenfalls in der Lage sind, unsere Überzeugung, dass Louis<br />

eine Perücke trägt, zu verteidigen. Und das setzt voraus, dass wir wissen, über<br />

wen wir sprechen. Wir müssen aber auch die Bedeutung der verwendeten Prädikate<br />

kennen. Wenn ich nicht weiß, auf welche Gegenstände Prädikatausdrücke<br />

wie ›ist eine Katze‹ <strong>und</strong> ›ist eine Maus‹ oder ein zweistelliges Prädikat wie<br />

›…frisst…‹ zutreffen, wenn ich weiter nicht weiß, dass ›is a cat‹ <strong>und</strong> ›ist eine Katze‹<br />

bedeutungsgleich verwendet werden, <strong>und</strong> wenn ich schließlich eine Zeit<strong>und</strong><br />

Raumangabe nicht in irgendein Koordinatennetz einordnen kann, dann verstehe<br />

ich Sätze mit entsprechenden Komponenten nicht. Wenn ich sie nicht verstehe,<br />

kann ich auch nicht begründetermaßen mit Ja oder Nein zu den Sätzen<br />

Stellung beziehen.<br />

1 Anmerkung für philosophisch Interessierte: Das mag für manche vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

der modernen formalisierten mathematischen <strong>Sprache</strong>n seltsam klingen, aber die Standardlogik<br />

der Moderne, die Aussagen- <strong>und</strong> Prädikatenlogik 1. Stufe baut auf der skizzierten<br />

Gr<strong>und</strong>lage auf, die Mathematik wiederum auf dieser Standardlogik. Hier in die Details<br />

gehen zu wollen sprengt unseren Rahmen. Für InteressentInnen sei auf B. Russell/N. Whiteheads<br />

Einleitung zur 2. Auflage der Prinzipia Mathematica (Suhrkamp Taschenbuch) oder<br />

auf Wittgensteins Traktatus verwiesen. Heute gibt es auch alternative Logiken, z. B.<br />

den sogenannten Individuenkalkül (Mereologie).<br />

37


38<br />

<strong>2.2</strong>.1.2 Eigennamen (singuläre Terme), Prädikate (generelle Terme) <strong>und</strong> logische<br />

Zeichen<br />

Eine ausgebildete <strong>Sprache</strong> setzt sich zumindest aus diesen drei Typen sprachlicher<br />

Ausdrücke zusammen.<br />

Eigennamen (wie Louis) resp. singuläre Terme stehen immer für einzelne Gegenstände<br />

(oder ganz allgemein für Individuen). Allerdings gibt es nicht nur die<br />

klassischen Eigennamen wie ›Louis‹. Wenn wir z. B. den bestimmten Artikel<br />

der, die, das verwenden, so kann auch ein Eigenname gebildet werden, wie z.B.<br />

›der König von Frankreich‹, ›der Autor von Schuld <strong>und</strong> Sühne‹, ›die Entdeckerin<br />

radioaktiver Strahlung‹ etc. Man spricht in diesem Fall anstelle von Eigennamen<br />

auch von Kennzeichnungen. Auch demonstrative Ausdrücke wie ›dies‹ sind von<br />

ihrer Funktion her gesehen Eigennamen. ›Diese Katze‹ steht für eine ganz bestimmte,<br />

nicht für eine beliebige Katze. Außerdem können wir unter Hinzufügung<br />

einer Raum- <strong>und</strong> Zeitangabe immer eine Stellvertretung für einen Eigennamen<br />

herstellen. Ein Satz wie ›Eine Katze liegt auf einer Matte‹ sagt uns nichts über<br />

ein besonderes Katzenindividuum aus. Dagegen ist ein Satz wie ›Eine Katze<br />

liegt bei rt auf einer Matte‹ (rt = eine bestimmte Raumzeitstelle) hinreichend eindeutig,<br />

um allenfalls identifizieren zu können, um welche Katze es sich handelt.<br />

Will man von all diesen erwähnten Besonderheiten absehen, spricht man allgemeiner<br />

von singulären Termen. Ihre Funktion ist, unter den Gegenständen<br />

des zur Diskussion stehenden Gesprächsbereichs (Gegenstandsbereich)<br />

denjenigen Einzelgegenstand herauszuheben, über den man sprechen möchte.<br />

Prädikate resp. generelle Terme sind Ausdrücke für allgemeine Merkmale (Eigenschaften<br />

oder Beziehungen), d.h. für etwas, was viele Individuen haben können,<br />

wie z. B. ›ist kreisförmig‹, ›ist ein Vegetarier‹, ›ist eine Frau‹ usw. Ein solches<br />

Prädikat kann ein Merkmal oder auch eine Gruppe von Merkmalen benennen.<br />

Es kann sich um ein eindeutiges Merkmal oder um ein weniger eindeutiges<br />

Merkmal handeln. Insbesondere bei Gruppen von Merkmalen gibt es oft<br />

keine scharfen Grenzen. Wir verwenden <strong>und</strong> verstehen den Ausdruck ›ist ein<br />

Mensch‹ ohne genau sagen zu können, welche Eigenschaften insgesamt damit<br />

ausgedrückt werden. Während für singuläre Terme bestimmte Artikel <strong>und</strong> demonstrative<br />

Ausdrücke charakteristisch sind, werden generelle Terme durch die<br />

unbestimmten Artikel ein, eine <strong>und</strong> den unbestimmten Ausdruck ›etwas‹ oder<br />

auch ›alle‹ begleitet. ›Etwas ist rot‹ ist eine ganz andere Aussage wie ›dies ist<br />

rot‹. Man bezeichnet diese Ausdrücke, weil sie sich immer auf Merkmale beziehen,<br />

die von vielen Gegenstände geteilt sein können, als generelle Terme.<br />

Kompositionsregel: Elementare, einfache Sätze haben die Form „singulärer<br />

Term – genereller Term“, wie auch immer die Grammatik in den tatsächlich verwendeten<br />

<strong>Sprache</strong>n dies zum Ausdruck bringt. Beispiel: Louis (= singulärer<br />

Term) ist rothaarig (= genereller Term, Prädikat). Wenn diese Kompositionsregel<br />

erfüllt ist, spricht man von oben in <strong>2.2</strong>.1.1 diskutierten wohlgeformten Sätzen.


Logische Zeichen. Während für Eigennamen <strong>und</strong> Prädikate gilt, dass wir mit<br />

ihnen eine Beziehung zwischen unserer <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> einzelnen Teilen der Welt<br />

herstellen, gilt dies für die dritte Gruppe von Ausdrücken nicht. Logische Zeichen<br />

bezeichnen nicht! Als logische Zeichen gelten solche Ausdrücke wie ›<strong>und</strong>‹,<br />

›nicht‹, ›wenn … dann‹, ›alle‹, ›einige‹. Logische Zeichen verknüpfen Sätze miteinander.<br />

Ob das durch die Zeichen Verknüpfte wahr ist, hängt neben der Funktion<br />

des Zeichens nur davon ab, ob die einzelnen Teile wahr oder falsch sind.<br />

Einige Regeln der logischen Zeichen:<br />

• „p“ ist wahr, genau dann wenn der betreffende Sachverhalt besteht.<br />

• Negation (nicht): „nicht-p“ ist wahr, genau dann wenn der betreffend Sachverhalt nicht<br />

besteht. (Zeichen: ÿp)<br />

• Konjunktion (<strong>und</strong>): „p <strong>und</strong> q“ ist wahr, wenn beide Sachverhalte bestehen. (Zeichen: p Ÿ q)<br />

• Implikation (wenn … dann): „wenn p, dann q“ ist wahr, wenn entweder q besteht oder<br />

nicht-p besteht. (Zeichen: p … q)<br />

• Einsquantor (einer, einige): „es gibt mindestens ein x, das die Eigenschaft F hat“ ist wahr,<br />

wenn es mindestens einen solchen Gegenstand gibt. Ob es einen oder viele derartiger<br />

Gegenstände gibt, spielt dabei für die Wahrheit keine Rolle (Zeichen z.B.: $x(Fx).<br />

• Allquantor (alle): „Für alle x eines bestimmten Bereichs gilt, dass sie die Eigenschaft F haben“,<br />

ist wahr genau dann wenn wirklich alle entsprechenden Gegenstände die Eigenschaft<br />

haben. Wenn nur einer die Eigenschaft nicht hat, ist die Aussage falsch. (Zeichen<br />

entweder (x)(Fx) oder "x(Fx).<br />

Die korrekte Ver<strong>wendung</strong> dieser logischen Verknüpfungsfunktionen in Argumentationen<br />

ist nicht nur eine große Hilfe, sondern geradezu gefordert. Insbesondere<br />

der Allquantor wird häufig gerade in sensiblen Kontexten unsauber<br />

verwendet, mit der Folge des Auftretens von Missverständnissen <strong>und</strong> Fehlinterpretationen.<br />

Betrachten wir ein Beispiel.<br />

In den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren hat sich z.B. insbesondere in Kreisen von politisch<br />

links stehenden, marxistisch orientierten Menschen das Schlagwort von der Interessengeleitetheit<br />

der Wissenschaft durchgesetzt. Damit wird eine allgemeine<br />

Aussage über die Wissenschaft gemacht, nämlich dass die Wissenschaft im<br />

Kapitalismus gr<strong>und</strong>sätzlich kein (oder dann nur zufällig) objektives Wissen produzieren<br />

kann, da sie den Kapitalverwertungsinteressen resp. den Interessen<br />

des "militärisch-industriellen" Blocks untersteht. Schlagende, bis heute in der<br />

Wissenschaftsdiskussion wiederkehrende Beispiele zugunsten dieser Behauptung<br />

sind die militärische Forschung (die USA betreiben noch heute aktive Biowaffen-Forschung)<br />

<strong>und</strong> der Fokus der angewandten industriellen Forschung auf<br />

marktfähige Produkte in absatzstarken Mächten (die Industrie hat kein Interesse<br />

an Forschung über Tropenkrankheiten). Das sind ganz offensichtlich zwei wichtige<br />

Punkte, die es verdienen herausgestrichen <strong>und</strong> kritisch reflektiert zu werden.<br />

Aber sind deswegen alle Wissensproduktionen in der Wissenschaft generell<br />

von Kapitalverwertungsinteressen geleitet <strong>und</strong> die Ergebnisse entsprechend<br />

nicht objektiv? Das trifft eindeutig nicht zu. So wie es gute Beispiele zu Gunsten<br />

der Behauptung gibt, gibt es Gegenbeispiele. So darf man nicht übersehen, wie<br />

vehement Teile der Wirtschaft die wissenschaftlichen Ergebnisse über das<br />

Krebsrisiko von Rauchen <strong>und</strong> Asbest oder bezüglich der globalen Umweltrisiken<br />

bekämpft haben. Allaussagen sind mit anderen Worten sehr heikel!<br />

39


40<br />

Merkregel: Die Wahrheitsbedingungen für Sätze wie „es gibt ein x <strong>und</strong> x ist verdorben“<br />

<strong>und</strong> für Sätze wie „Für alle x gilt, dass x verdorben ist“ sind gr<strong>und</strong>verschieden:<br />

erstere brauchen nur einen Fall, um wahr zu sein, letztere nur<br />

einen Fall, um falsch zu sein.<br />

Diese Merkregel ist deswegen wichtig, weil wir in den Wissenschaften oft Aussagen<br />

dieser Art machen. Wir sprechen in beiden Fällen von allgemeinen Aussagen,<br />

im Gegensatz zu singulären Aussagen. Eine singuläre Aussage hat im<br />

einfachsten Fall die oben eingeführte Form mit einem Eigennamen <strong>und</strong> einem<br />

Prädikatausdruck, also z.B. "Louis ist ein Schreiner". In den Wissenschaften<br />

zielen wir allerdings in der Regel auf komplexere, allgemeine Aussagen. Für<br />

diese gilt, dass darin kein singulärer Ausdruck vorkommt, vielmehr zwei Prädikatsausdrücke<br />

wie z. B. „Metalle sind Wärmeleiter“ oder "Einige Zebras sind<br />

weiß“. Wissenschaften versuchen oft, ihre Ergebnisse ohne Rückgriff auf singuläre<br />

Terme zu formulieren, da sie allgemeine Aussagen über Zusammenhänge<br />

von Merkmalen/Eigenschaften machen wollen (vgl. allerdings die Ausführungen<br />

über "kontextualisierte Wissenschaft" in Kap. 5.3).<br />

<strong>2.2</strong>.1.3 Der Unterschied zwischen Bedeutung <strong>und</strong> Referenz<br />

Da uns im Rahmen unserer kognitiven Überlegungen interessiert, welche Informationen<br />

über die Welt durch sprachliche Äußerungen vermittelt werden <strong>und</strong><br />

da eine <strong>Sprache</strong>-Welt-Beziehung über die singulären <strong>und</strong> generellen Ausdrücke<br />

hergestellt wird, müssen wir noch auf einen wichtigen bei diesen Ausdrücken<br />

auftretenden Unterschied eingehen. Wenn wir von <strong>Sprache</strong>-Welt-Beziehungen<br />

sprechen, müssen wir zwei Funktionen unterscheiden. Ausdrücke können nämlich<br />

eine Bedeutung <strong>und</strong> eine Referenz haben. Statt von 'referieren' spricht man<br />

auch von 'denotieren' oder 'bezeichnen'.<br />

Wir verwenden einen Namen wie 'Louis' zur Bezeichnung einer Person. Die<br />

Person wird 'Louis' getauft. Wir können aber die Person auch anders kennzeichnen,<br />

z. B. durch 'der König von Frankreich'. In den beiden Aussagen "Louis<br />

trägt eine Perücke" <strong>und</strong> "Der König von Frankreich trägt eine Perücke“ sprechen<br />

wir dann über dieselbe Person. Die Referenz der beiden Eigennamen ist in beiden<br />

Sätzen dieselbe. Bei der Informationsübermittlung ist aber nicht ohne weiteres<br />

sichergestellt, dass alle Informationen korrekt ankommen. Es könnte der<br />

Fall sein, dass jemand nicht weiß, dass 'Louis' <strong>und</strong> 'der König von Frankreich'<br />

dieselbe Person bezeichnen. Viele kennen einen Louis, der nicht König von<br />

Frankreich ist. Am Beispiel, dass es Louis’ gibt, die nicht König von Frankreich<br />

sind, es aber auch einige Louis’ gibt, die König von Frankreich sind (waren),<br />

können wir sehen, dass Ausdrücke nicht nur die Funktion haben zu bezeichnen,<br />

sondern auch eine Bedeutung haben. Berühmte Beispiele für unterschiedliche<br />

Bedeutungen bei gleicher Referenz sind, dass jemand nicht wissen kann, dass<br />

der Morgenstern <strong>und</strong> der Abendstern denselben Gegenstand bezeichnen, dass<br />

eine Person A nicht weiß, dass der Mann im braunen Anzug <strong>und</strong> Herr James


Brown identisch sind, obwohl die Person weiß, dass der Mann im braunen Anzug<br />

der Mörder von Eleonor Brown ist usw. Der deutsche Philosoph Gottlob Frege,<br />

der als erster diesen f<strong>und</strong>amentalen Unterschied zwischen Bedeutung <strong>und</strong><br />

Referenz theoretisch durchdrungen hat, hat Bedeutungen als Weisen verstanden,<br />

wie uns ein Gegenstand gegeben ist. Es ist offensichtlich, dass ein <strong>und</strong><br />

derselbe Gegenstand uns auf verschiedene Weise gegeben sein kann <strong>und</strong><br />

dass sich diese Weisen in der Ver<strong>wendung</strong> von unterschiedlichen Kennzeichnungen<br />

<strong>und</strong> unterschiedlichen Begriffen niederschlagen können. Je nachdem,<br />

welche Ausdrücke wir verwenden, kommen wir zu anderen Aussagen über den<br />

fraglichen Gegenstand. ›Diese Suppe ist wässrig‹ <strong>und</strong> ›Diese Suppe ist eine<br />

Bouillon‹ haben einen unterschiedlichen Informationsgehalt <strong>und</strong> können bei<br />

einer Zuhörerin ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen.<br />

Kein sprachlicher Ausdruck hat eine natürliche Bedeutung oder eine natürliche<br />

Referenz. Wohl sind Bedeutungen <strong>und</strong> Referenzen historisch gewachsen, aber<br />

es gibt keine — jedenfalls keine bisher bekannten — Naturgesetze, die die Beziehung<br />

der Wörter (der Lautfolge von Wörtern) einer <strong>Sprache</strong> zu den Gegenständen<br />

der Welt determinieren. Es gibt nichts in der Natur des H<strong>und</strong>es, das<br />

uns veranlasst, diese Tiere im Deutschen ›h-u-n-d-e‹, im Französischen ›c-h-ie-n‹<br />

zu nennen. Statt 'blau' könnten wir auch 'gugu' sagen, statt 'Wasser' 'Luft'.<br />

Wir müssen strikte zwischen Wörtern auf der einen Seite <strong>und</strong> Eigennamen oder<br />

Begriffen auf der anderen Seite unterscheiden. Wörter haben für sich allein weder<br />

Bedeutung noch Referenz. Erst wenn wir Wörter zu Ausdrücken machen, d.h.<br />

wenn wir sie in einer der möglichen Weisen definieren, kommt ihnen Bedeutung<br />

<strong>und</strong> Referenz zu. Das ist der Gr<strong>und</strong> weshalb folgendes Prinzip immer berücksichtigt<br />

werden sollte: Definitionen lösen keine Probleme, aber ohne Definitionen<br />

haben wir nur Probleme.<br />

Da wir ein Wort je nach Kontext gebrauchen <strong>und</strong> definieren können, kann dasselbe<br />

Wort, je nach Kontext, verschiedene Bedeutungen <strong>und</strong> verschiedene Referenten<br />

haben.<br />

Der Name 'Louis' kann viele Träger haben <strong>und</strong> die Kennzeichnung 'der König<br />

von Frankreich' hatte einst einen Referenten, heute aber können wir damit niemanden<br />

bezeichnen. Die Referenz von Namen <strong>und</strong> Kennzeichnungen können<br />

wir in Zweifelsfällen immer präzisieren, indem wir die RaumZeit-Stelle des Referenten<br />

angegeben <strong>und</strong> die kausalen Rollen, die diese Individuen spielen,<br />

verfolgen. Mit den Angaben über Raum <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> den kausalen Rollen<br />

schaffen wir in der Regel Klarheit darüber, welchen Gegenstand wir meinen (da<br />

wir implizit die Voraussetzung machen, dass nur je ein Gegenstand an einer<br />

Raum-Zeit-Stelle sein kann).<br />

Es sind häufig die Begriffe, d. h. Ausdrücke für Eigenschaften (ist blau) oder für<br />

Klassen (ist eine Katze, ist ein Mensch), die Schwierigkeiten machen. Begriffe<br />

erhalten über Definitionen mit Bezug auf einen Gegenstandsbereich die Bedeutungen,<br />

die sie haben. Das öffnet aber den Raum für die Bedeutungsvielfalt.<br />

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Ein berühmtes Beispiel für die Vielfältigkeit von Bedeutungen ein <strong>und</strong> desselben<br />

Ausdrucks ist 'Spiel'. Achten wir auf die vielfältigen Ver<strong>wendung</strong>sweisen dieses<br />

Ausdruck im Alltag <strong>und</strong> auch in den Wissenschaften, so sind wir nicht in der Lage<br />

Kriterien zu nennen, die wirklich in allen Fällen erfüllt sind, wenn wir sagen<br />

›Dies ist ein Spiel‹. Die ökonomische Spieltheorie geht z. B. vom Prinzip der rationalen<br />

Nutzenmaximierung aus. Wer mit einem Kleinkind eine Sandburg oder<br />

ein Legogebäude baut, wird dieses Spiel nicht unter dem Faktor der Nutzenmaximierung<br />

betrachten.<br />

<strong>2.2</strong>.2 Konsequenzen für den wissenschaftlichen Umgang mit<br />

sprachlichen Informationen<br />

Die Haltung, die wir in den Wissenschaften zu sprachlichen Informationen einnehmen<br />

sollten, ist dieselbe wie gegenüber Wahrnehmungsinformationen: Es<br />

gibt weder gute Gründe radikal die Zuverlässigkeit derartiger Informationen zu<br />

bezweifeln noch gute Gründe naiv alle sprachlichen Informationen für zuverlässig<br />

zu halten. So wie uns die Wahrnehmung einer 6 unhinterfragt veranlasst, in<br />

das betreffende Tram zu steigen (resp. nicht zu steigen), so vertrauen wir unserem<br />

Verständnis der Information, dass das Fußballspiel zwischen Basel <strong>und</strong><br />

Genf zu dem Zeitpunkt stattfinden wird, den wir auf Plakaten, in Zeitungen oder<br />

auf der Website mitgeteilt bekommen. Wie Wahrnehmungen allerdings subjektiv<br />

gefärbt oder für eine bestimmte Sache zu unpräzis sein können, so können<br />

sprachliche Informationen sowohl auf der Seite des Senders als auch auf der<br />

Seite des Empfängers subjektiv gefärbt oder für eine bestimmte Sache zu unpräzis<br />

sein. Auch kann ein bestimmtes Medium ungeeignet sein, alle relevanten<br />

Teilinformationen einer sprachlichen Information zu übermitteln.<br />

Ganz besonders heikel ist die Sache bei Ausdrücken, die quer über die einzelnen<br />

Wissenschaften sowie auch im Alltag gebraucht werden. Ein prägnantes<br />

Beispiel hierfür stellen die MGU-Publikationen zur Chaostheorie <strong>und</strong> zur Zeit dar.<br />

Wer die Beiträge aufmerksam liest, stellt fest, dass in den meisten Fällen disziplinbezogen<br />

ein bestimmtes, nicht aber eigens kenntlich gemachtes Verständnis<br />

von Chaos oder Zeit den Beiträgen zugr<strong>und</strong>eliegt. Wenn die Biologinnen<br />

über die Zeit als einer inneren Uhr sprechen, meinen sie nicht unbedingt<br />

dasselbe, wie wenn die Kosmologen über Zeit sprechen. Wenn die Physikerinnen<br />

das Verhalten von einigen Systemen als chaotisch verstehen, dann handelt<br />

es sich dabei für sie um einen spezifischen Typus von deterministischem Verhalten<br />

(gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen, aber ähnliche Ursachen<br />

haben nicht ähnliche Wirkungen). In den Sozial- <strong>und</strong> Kulturwissenschaften dagegen<br />

wurde der Chaosbegriff als Abkehr von deterministisch verstandener<br />

Ordnung überhaupt interpretiert. Schließlich assoziieren wir im Alltag mit "Chaos"<br />

Dinge, die nochmals auf einer ganz anderen Schiene liegen (z. B. Verkehrschaos).<br />

Wenn somit in heterogen zusammengesetzten Kommunikationssituationen<br />

Ausdrücke wie "Chaos" verwendet werden, so ist alles andere denn sichergestellt,<br />

dass ich diejenigen Informationen erfolgreich transportieren kann,


die ich mit der Ver<strong>wendung</strong> der von mir gewählten Ausdrücke transportieren<br />

wollte. Umgekehrt kann ich es nicht für selbstverständlich voraussetzen, dass<br />

ich diejenige Information aufgreife, die mir die Adressatin hat mitteilen wollen.<br />

Wie bei den Wahrnehmungen lassen sich auch an dieser Stelle einige Regeln<br />

bzw. Fragen formulieren, die subjektiven Aspekten bei sprachlichen Informationen<br />

resp. zu wenig präzisen Aspekten insbesondere bei der Ver<strong>wendung</strong> der<br />

Alltagssprache begegnen:<br />

• Verstehe ich, worüber gesprochen wird? Wende ich einen Begriff in einem<br />

Gegenstandsbereich an, der in einem anderen Bereich entwickelt wurde?<br />

Regel: Identifiziere den Gegenstandsbereich, worüber gesprochen wird!<br />

• Kenne ich wirklich die Bedeutung der verwendeten Begriffe? Kenne ich die<br />

Definition des Begriffs? Habe ich das Wort überhaupt definiert? Regel: Identifiziere<br />

resp. definiere die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke! [Salopp<br />

formuliert: Definitionen lösen keine Probleme, aber ohne Definitionen haben<br />

wir nur Probleme.]<br />

• Bin ich mir bewusst, dass es auch andere Bedeutungen eines Wortes gibt?<br />

Berücksichtige ich die Tatsache, dass ich mit der Ver<strong>wendung</strong> eines Ausdrucks<br />

bei Adressaten in anderen mir nicht vertrauten Kontexten Fehlinformationen<br />

generieren kann? Überlege, mit wem du sprichst!<br />

Ergebnis:<br />

Über sprachliche Informationen teilen wir mit unserer sozialen Umwelt unser<br />

Wissen. Obwohl solche Informationen oft verlässlich Wissen transportieren,<br />

kann auch das Gegenteil (Kriegsberichterstattung!!) der Fall sein. Wir müssen<br />

einen kritischen Umgang mit unserem eigenen <strong>und</strong> mit dem Sprachgebrauch<br />

der anderen pflegen, ohne deswegen gegen sprachlich vermittelte Informationen<br />

generell einen skeptischen Bannstrahl richten zu müssen.<br />

Kontrollfragen/Aufgaben:<br />

• Welche Voraussetzungen muss eine sprachliche Äußerung erfüllen, damit<br />

wir von ihr überhaupt sagen können, dass sie wahr oder falsch ist?<br />

• Nennen Sie mindestens drei Gründe, weshalb eine sprachliche <strong>Informationsvermittlung</strong><br />

schief gehen kann.<br />

• Mit welchen sprachlichen Kategorien stellen wir eine Beziehung zu einzelnen<br />

Aspekten der Welt her? Um welche Aspekte handelt es sich dabei?<br />

• Weshalb ist der Unterschied zwischen Bedeutung <strong>und</strong> Referenz wichtig <strong>und</strong><br />

wie schlägt sich dies in den oben formulierten Regeln nieder?<br />

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