1 Problemexposition
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung Erkenntnistheorie<br />
2. Lektion<br />
Eine erste Annäherung: die tripartite<br />
Definition & deren Probleme/1<br />
Rückblick auf Lektion 1<br />
Wichtig(st)es Ziel der Erkenntnistheorie:<br />
Erkenntnistheorie zielt auf das Verstehen der<br />
epistemischen Qualtität der menschlichen kognitiven<br />
Performanz<br />
Grundfrage:<br />
Was verleiht einer Meinung einen positiven<br />
epistemischen Status? (Meinen plus X)<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 23<br />
Teil 1<br />
<strong>Problemexposition</strong><br />
1.2<br />
Adäquatheitsbedingungen für<br />
epistemologische Theorien und die<br />
klassische tripartite Definition<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 24<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Lernziele der Lektion<br />
Die Studierenden<br />
kennen wichtige Adäquatheitsbedingungen für eine<br />
Erkenntnistheorie<br />
Kennen die triparitite-Definition<br />
Kennen die durch das Agrippinische Trilemma<br />
entstehende Herausforderung<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 25<br />
Positiver epistemischer Status?<br />
Kriterien innerhalb unserer kognitiven Performanz<br />
Unterscheidung zwischen wahr und nicht wahr.<br />
Unterschied zwischen zuverlässig, begründet,<br />
glaubwürdig, durch Evidenzen gestützt etc. und blossem<br />
Behaupten<br />
Implizit angenommener Zusammenhang zwischen<br />
wahr/nicht wahr & begründet/zuverlässig etc.<br />
Erfahrung, dass Begründung/Rechtfertigung längst nicht immer<br />
Wahrheit garantiert.<br />
Wahrnehmungen und Denken sind „Quellen“ für den<br />
positiven Status<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 26<br />
Adäquatheitskriterien für<br />
Erkenntnistheorien<br />
1) Wir unterscheiden zwischen Meinen & Wissen<br />
2) Es gibt unbegründete Wahrheiten & es gibt<br />
begründete Unwahrheiten<br />
3) wahr/falsch & gerechtfertigt/ungerechtfertigt fallen<br />
nicht zusammen<br />
4) Wir nehmen einen Zusammenhang zwischen Wahrheit<br />
& Rechtfertigung/Begründung an<br />
5) Es gibt Dinge, die wir "direkt" wissen, und solche, die<br />
wir auf Grund von anderen wissen.<br />
6) Es gibt unterschiedliche Wissensformen<br />
(Wissensbereiche)<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 27<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Übergang<br />
Die Aufgabe: Analyse des positiven epistemischen<br />
Status (Meinung plus X)<br />
im Hinblick auf die bestmögliche Einholung (Erklärung)<br />
der Adäquatheitsbedingungen<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 28<br />
Was besagt „auf eine<br />
Definition/Erklärung für Wissen zielen“<br />
Kriterien an die Evaluation einer Definition/Erklärung:<br />
Theoretische und praktische Zwecke?<br />
Realdefinition? (wie "Wasser ist H2O")/Erklärung<br />
natürliche Art, kausal?<br />
Notwendige und hinreichende Bedingungen<br />
Ad hoc, zirkulär, informativ, positiv,<br />
regressvermeidend?<br />
Gegenbeispiele?<br />
Besteht Einigkeit über die Explananda?<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 29<br />
2. Prämisse: veritistische Epistemologie<br />
Erste: Meinungen (beliefs) als Ausgangspunkt<br />
Zweite: Wahrheit = unverzichtbare Komponente<br />
veritistische Erkenntnistheorie: wahres Meinen<br />
ist eine notwendige Bedingung für Wissen<br />
Aber: Wahrheit genügt nicht<br />
Zufällig wahres Meinen (Raten, Auswahl-verfahren etc.)<br />
zählt nicht als Wissen:<br />
Eine Meinung muß begründet, verteidigt werden können,<br />
berechtigt sein o.ä.<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 30<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Gründe für Veritismus?<br />
Teil der Adäquatheitsbedingungen: Anti-Veritismus muss gute<br />
Gründe für die Nivellierung des Unterschieds zwischen wahr &<br />
falsch haben.<br />
Streben nach Wahrheit: wahres Meinen ist ein Gut<br />
Wahrhaftigkeit: „Wahrheitsliebe“ ist eine Tugend<br />
Vorteile für diejenige, die sich an Wahrheit orientiert<br />
Technologische Produkte<br />
Entscheidungen basieren immer auf Meinungen; Erfolg hängt von<br />
deren Richtigkeit ab<br />
Ausführliche Argumente: Goldman (1999), Williams (2002)<br />
Knockout-Argument: Wahrheit erfordert einen Gottesgesichtspunkt,<br />
den wir aber nicht zur Verfügung haben?<br />
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Wahrheit?<br />
Kontroverse Wahrheitstheorien:<br />
Korrespondenz (partial truth, truthlikeness)<br />
Kohärenztheorie<br />
Deflationäre Theorien (ist wahr ≠ Eigenschaft)<br />
Konsenstheorien (wahr ist, was rational/kommunikativ<br />
Handelnde aus guten Gründen akzeptieren)<br />
Erkenntnistheorie dazu neutral<br />
Semantische Annahme: die Wahrheit eines Satzes ist<br />
äquivalent mit dessen bestehenden<br />
Wahrheitsbedingungen (Tarskis T-Bikonditionale)<br />
Veritismus ist begründet & erfordert keinen<br />
Gottesstandpunkt<br />
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Drei zu unterscheidende Aspekte von<br />
„normativ“<br />
Wissen (unter Einschluss von Wahrheit) als Gut (etwas<br />
für uns objektiv Werthaftes)<br />
Einstellung/Verhalten der „Wahrheitsliebe“ als Tugend<br />
Rechtfertigung als normativer Pfeiler der<br />
klassischen Erkenntnistheorie (Pflicht zur Erfüllung<br />
der Rechtfertigungsansprüche)<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 33<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Die „klassische“ Analyse von Wissen<br />
Verallgemeinerung der Kriterien in unserer kognitiven<br />
Performanz:<br />
A weiss p (dass p) genau dann wenn<br />
A die Meinung (belief) hat, dass p<br />
p wahr ist<br />
A p rechtfertigen kann (p gerechtfertigt ist)<br />
A weiss, dass 2 + 2 = 4 genau dann wenn<br />
A meint, dass 2 + 2 = 4<br />
2 + 2 = 4 wahr ist<br />
A rechtfertigen kann, dass 2 + 2 = 4<br />
Plato: Theaitet 201c-202d, Meno 97e-98a)<br />
Viele Textstellen in diesem Sinne, aber selten explizit.<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 34<br />
⇒ Tripartite Definition von Wissen<br />
Drei notwendige Bedingungen:<br />
Rechtfertigung<br />
Wahrheit<br />
Meinung (belief)<br />
die zusammen hinreichend sind.<br />
Zu lesen wie folgt: von links nach rechts: wenn ein Wissenstoken<br />
vorliegt, dann ist das Gemeinte wahr und gerechtfertigt (notwendiger<br />
Aspekt); von rechts nach links: wenn ein Gemeintes wahr und<br />
gerechtfertigt ist, dann liegt ein Wissenstoken vor (hinreichend)<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 35<br />
Teil 2<br />
Herausforderungen an die<br />
Erkenntnistheorie (allgemein und<br />
unter Vorgabe der tripartite-<br />
Definition)<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
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Allgemeine Herausforderung<br />
Ausgangspunkt jetzt: Epistemische Qualität = wahres<br />
Meinen plus X<br />
Das für die Identifikation der epistemischen Qualität<br />
gesuchte X lässt sich<br />
(I) entweder nicht so analysieren, dass wir wissen, was<br />
Wissen ist<br />
oder (II) wenn wir eine Analyse haben würden, würden wir<br />
feststellen, dass wir die Kriterien nicht erfüllen können.<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 37<br />
Herausforderungen (speziell)<br />
Skeptizismus: Wir können nicht wissen, dass wir wissen<br />
(1)<br />
Gettier-Beispiele: tripartite reicht nicht (2)<br />
Wissenschaftliche Praxis: Fallibilismus und Wissenschaftsgeschichte:<br />
Nichtwissen trotz Rechtfertigung (3)<br />
Lebensweltliche Praxis: Wissen ohne Rechtfertigung<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 38<br />
Zwischenhalt: Typen von Realismus<br />
Minimaler (oder metaphysischer) Realismus: etwas existiert<br />
unabhängig vom Gedachtwerden, d.h. objektiv<br />
Lebensweltlicher („ordinary“) Realismus: die Gegenstände<br />
unserer Alltagsaussagen existieren objektiv<br />
Wissenschaftlicher Realismus: die Gegenstände der meisten<br />
wissenschaftl. Aussagen existieren objektiv<br />
Moderater erkenntnistheoretischer Realismus: einige unserer<br />
Meinungen sind objektiv wahr (sagen wie die Dinge an sich sind)<br />
Antirealismus:<br />
bezüglich Entitäten = die fragliche Klasse existiert nicht;<br />
generell bezüglich Wissen = keine unserer wahren Aussagen drückt<br />
aus, wie die Dinge an sich sind.<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
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(1) Die skeptische Herausforderung<br />
Wenn Wissen = wahres, gerechtfertigtes Meinen ist,<br />
dann können wir nicht wirklich wissen (positiv<br />
demonstrieren), dass wir wissen:<br />
Der moderate Realismus lässt sich nicht<br />
positiv verteidigen<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 40<br />
Wer ist eine Skeptikerin?<br />
x ist eine Skeptikerin, wenn x die Frage „Wissen wir,<br />
daß A?“ pessimistisch beantwortet.<br />
A kann ein Fall einer besonderen oder einer sehr<br />
allgemeinen Klasse sein.<br />
Verschiedene Typen des Skeptizismus<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 41<br />
Einige Typen<br />
Radikaler Skeptizismus (alle A betreffend): Sokratisches<br />
„Ich weiß, daß ich nichts weiß“<br />
performativer Selbstwiderspruch<br />
Starker Skeptizismus: Alle positiven Argumente für<br />
Wissen können erfolgreich unterlaufen werden.<br />
Moderater Skeptizismus: kein Beweis für Wissen<br />
möglich (analog: kein Beweis für Notwendigkeit von<br />
Existenz/Seiendem)<br />
Methodischer Skeptizismus: Jedes Wissensstück ist<br />
anfechtbar (defeasible)<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 42<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
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Philosophischer Skeptizismus<br />
Der radikale Skeptizismus ist selbstwidersprüchlich und<br />
die Schlussfolgerungen des starken Skeptizismus sind<br />
höchst unplausibel<br />
Skeptische Argumente haben aber starke intuitive<br />
Plausibilität<br />
Das Studium skeptischer Argumente ist ein wichtiges<br />
methodisches Instrumentarium für die Erkenntnistheorie<br />
„in order to identify the limitations of human reasoning“ (Paul<br />
Moser, 1999, 90)<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 43<br />
Skeptische Argumente (1): Agrippas<br />
(Münchhausens) Trilemma<br />
• A behauptet, dass p<br />
• B fragt:<br />
Annahme? oder Wissen?<br />
A antwortet: Ich weiss, dass p<br />
B fordert A heraus zu zeigen wie A wisse.<br />
B kann auf jede Antwort erneut A fragen, wie er wisse, daß er<br />
wisse.<br />
A hat darauf (auf den ersten Blick) drei Optionen:<br />
Erneut etwas Neues anführen: infiniter Regress<br />
Neue Antwort verweigern: dogmatische Annahme<br />
Antwort wiederholen: im Kreise drehen (Zirkularität)<br />
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Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 44<br />
Konsequenz & Antwortoptionen<br />
Herausforderung = wenn korrekt, dann gibt es<br />
überhaupt keine gerechtfertigten Meinungen<br />
Optionen:<br />
Es gibt Meinungen, die sind selbstgerechtfertigt<br />
(foundationalism, Fundierung)<br />
Zirkularität nicht eo ipso schädlich : System sich wechselseitig<br />
tragenden Meinungen (Kohärentismus)<br />
Prämisse attackieren: A weiß p nur, wenn A p (normativ)<br />
rechtfertigen kann.<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 45<br />
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Vorlesung: Erkenntnistheorie SS 04<br />
Lernziele der Lektion<br />
Die Studierenden<br />
kennen wichtige Adäquatheitsbedingungen für eine<br />
Erkenntnistheorie<br />
Kennen die triparitite-Definition<br />
Kennen die durch das Agrippinische Trilemma<br />
entstehende Herausforderung<br />
Universität Basel<br />
Philosophisches Semianr Prof. Dr. Paul Burger 46<br />
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