FLUTLICHT Cornelius motiviert die Athleten, wie sich die Anhänger von Freeletics auch nennen, vor allem über das Internet. Obwohl das Unternehmen erst in diesem März gegründet wurde, trainieren weltweit bereits über 120.000 Menschen die Work-outs, sagt Cornelius. „Und es werden täglich mehr.“ „Es ist besser, sich 30 Minuten am Tag schlecht zu fühlen als sein ganzes Leben lang.“ Genau wie über 26.000 andere Facebooknutzer habe ich die Seite von Freeletics geliked. In der Gruppe veröffentlichen Cornelius und seine Kollegen fast täglich Motivationsnachrichten. Meistens sind das Bilder von trainierenden Menschen mit schmerzverzerrtem Gesicht – Fotos, die Vanessa und die anderen Instructors beim Training schießen. Darüber stehen Sprüche wie: „Es ist besser, sich 30 Minuten am Tag schlecht zu fühlen als sein ganzes Leben lang“, „Besessenheit ist nur ein Wort, das die Schwachen benutzen, um die Engagierten zu beschreiben“, „Es tut weh? Großartig. Weiter so!“, „Kriechen ist akzeptabel. Hinfallen ist akzeptabel. Kotzen ist akzeptabel. Weinen ist akzeptabel. Schmerz ist akzeptabel. Aber Aufgeben ist nicht akzeptabel.“ Das oberste Gebot der Athleten lautet: Workouts werden nicht abgebrochen, egal wie lange sie dauern. Und so brüllt Vanessa auf der Theresienwiese: „Aufgeben ist keine Option!“ Und das gilt mir: Die anderen Frauen sind längst fertig, und ich kämpfe noch mit mir selbst. Die Stoppuhr meines Handys zeigt 43 Minuten, als ich die Übungen endlich geschafft habe. „Deine erste Dione, direkt unter 45 Minuten! Super!“, lobt Vanessa. Die anderen Athletinnen belohnen mich mit dem Freeletics-Gruß: dem „Clap-Clap“, einem doppelten Handschlag. Ich fühle mich gut. Das macht mich stutzig. Während wir unsere Matten zusammenrollen, erzählt Anja, dass sie dank Freeletics über zehn Kilo abgenommen hat. Die Jurastudentin ist klein und zierlich, aber wenn sie sich anstrengt, treten ihre Muskeln an Armen, Beinen und Bauch hervor. Anja strengt sich gerne an. Sie hat vor einem Jahr mit Freeletics angefangen und trainiert beinahe täglich. Vanessa schreibt auf ihrem Blog: „Jede hat im Grunde das gleiche Ziel: Sich wohler fühlen in ihrem Körper. Vor dem Spiegel stehen und wirklich zufrieden sein. Im Sommer wieder kurze Shorts oder mal ein bauchfreies Top anziehen. Viel Haut zeigen, weil man es kann, weil man hart dafür gearbeitet hat. Und mit hart, meine ich hart.“ Das Internet spielt bei diesem Trend eine große Rolle. Und so habe auch ich den kostenlosen Newsletter abonniert. Nun bekomme ich einmal in der Woche einen Trainingsplan. In dem Newsletter werde ich aufgefordert, vor dem ersten Training ein Foto meines Körpers zu machen und alle zehn Tage ein neues Bild zu schießen. So soll der Trainingserfolg protokolliert werden. Ich verzichte auf ein Foto – das erscheint mir ein bisschen zu viel Kult um den eigenen Körper. Die meisten Freeletics-Athleten sehen das anders. Im Internet kursieren viele Videos, in denen sich Athleten mehrere Wochen lang filmen. Am Ende jedes Videos ziehen sie ihr T-Shirt aus und zeigen stolz das Ergebnis ihrer harten Arbeit. Sportpsychologen sind sich einig, dass alle Fitnesssportarten, die darauf abzielen, den Körper zu formen, narzisstisches Verhalten unterstützen. Bei Freeletics sei es besonders extrem, sagt etwa der Münchner Sportpsychologe Jürgen Beckmann, weil die Sportler aufgefordert werden, ihren Körper ständig zu präsentieren. Das Ideal ist ein gestählter Körper. Die Krux: Bereits nach zwei Tagen, in denen nicht trainiert wird, kommt es zum Muskelabbau. Deswegen hört für Freeletics-Athleten die Arbeit am eigenen Körper nie auf. „Ich kann euch nur raten, den Schmerz lieben zu lernen.“ Nach meinem ersten Freeletics-Work-out kann ich mich kaum bewegen. Gleich morgen weitermachen? Auf Vanessas Blog lese ich erst mal nach, was die Freeletics-Expertin bei Muskelkater empfiehlt. „Ich kann euch nur raten, den Schmerz lieben zu lernen. Ich bin schon seit über einem Jahr schwer verliebt“, schreibt Vanessa. „Ein Muskelkater ist etwas Schönes. Die ersten Wochen wird er sich stark bemerkbar machen, vielleicht sogar so stark wie noch nie zuvor. Das ist gut.“ Wirklich? Vorsichtshalber bitte ich auch in der Facebookgruppe „Freeletics Femme“ um Ratschläge. Innerhalb weniger Stunden bekomme ich fünf Antworten. „Magnesium vor dem Schlafengehen und viele eiweißhaltige Sachen essen! Manchmal hilft auch eine Aspirin“, empfiehlt Marina. „Du hast ganz toll durchgehalten“, lobt mich Anja. „Der erste Muskelkater ist meistens der schlimmste, danach wird es wesentlich besser werden. Genieß es!“, fügt sie hinzu. Zwei andere Frauen, die wie ich Anfängerinnen sind, verkünden, dass sie trotz Muskelkater trainiert haben. Silke schreibt: „Einfach weitermachen. Durchbeißen! Geht wirklich, glaub‘s mir.“ -- 18 --
Eine Matte, ein Smartphone und das eigene Körpergewicht reichen aus, um an die Grenzen zu gehen – wie hier vor der Münchner Bavaria. Workout mit Instruktor Vanessa