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RÜCKPASS<br />
Wir erinnern uns an eine<br />
Sport-Episode aus unserem Leben: Schulsport<br />
DIE LETZTE WAHL<br />
Wenn er im Unterricht fehlte, fiel es nicht auf. Meistens<br />
saß Daniel allein im Klassenzimmer, während wir anderen<br />
draußen Fußball spielten. Fußball war nichts für<br />
Daniel. Nur im Sportunterricht spielte er mit. Was<br />
blieb ihm anderes übrig? Man muss ihn dort erlebt haben,<br />
um zu verstehen, warum er lieber allein im Klassenzimmer<br />
saß, als zu kicken. Und, warum er fast immer<br />
als Letzter gewählt wurde. Daniel war für seine<br />
Mannschaft mehr Last als Hilfe. Statt den Gegner zu<br />
attackieren, machte er höflich Platz. Den Ball wollte er<br />
nicht haben. Und wenn er ihn bekam, zögerte er keine<br />
Sekunde und drosch ihn weg. Wohin er flog, war egal.<br />
Hauptsache weg.<br />
Nach neun Jahren treffe ich ihn heute wieder.<br />
Als Treffpunkt hat er eine Starbucks-Filiale in der<br />
Hamburger Innenstadt vorgeschlagen. Ich bin gespannt.<br />
Auch weil meine erste E-Mail nach neun Jahren<br />
in etwa lautete: Hey! Wie geht´s dir? Was machst du?<br />
Du warst doch voll der schlechte Sportler früher. Lass mal<br />
treffen und darüber sprechen. Dann steht er vor mir. Dürr<br />
und blass, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Das lila<br />
Hemd in die schwarze Stoff hose gesteckt, schwarze<br />
Schuhe, Drei-Tage-Bart. Nach wenigen Minuten weiß<br />
ich: Er ist noch immer derselbe. Daniel erzählt mir,<br />
dass er lachen musste, als er meine E-Mail las. Dass er<br />
sie seinen Arbeitskollegen und seiner Schwester gezeigt<br />
hat. Und dass die ihm geraten haben, meine „dreiste<br />
Anfrage“ zu ignorieren. Aber hier sitzen wir nun und<br />
reden über alte Zeiten.<br />
Daniel kann sich nicht erinnern, wie es sich anfühlte,<br />
als Letzter gewählt zu werden. „Bleibende Schäden<br />
habe ich nicht davongetragen“, sagt er. „Ich verstehe,<br />
dass ihr versucht habt, das beste Team<br />
zusammenzustellen. Ich hasse euch deswegen nicht.“<br />
Daniel selbst geht lieber Joggen. „Hauptsache kein<br />
Körperkontakt, das finde ich eklig.“ Dann erinnert er<br />
sich doch. An Benny. Daniel hat Benny positiv in Erinnerung<br />
behalten. „Der hat mich immer relativ früh gewählt.“<br />
Benny? Benny P.? „Ja, der war zwar megaehrgeizig,<br />
aber er hatte auch diese soziale Seite.“ Ich bin<br />
überrascht, aber auch enttäuscht. Ich hatte gehofft, solche<br />
Sätze über mich zu hören. Obwohl ich es besser<br />
hätte wissen müssen.<br />
Mir fällt auf, dass sich Daniel kaum an Schlechtes<br />
erinnert, dafür umso mehr an Gutes. Daran, dass<br />
Benny ihn wählte, dass er beim Völkerball zu den Besseren<br />
gehörte, dass er in der Staffel-Mannschaft war.<br />
Auch, dass er in der Schule als Einzelgänger galt, findet<br />
er heute nicht schlimm. Im Gegenteil. Vor Kurzem hat<br />
ihm seine Mutter ein Buch geschenkt: „Still: Die Bedeutung<br />
von Introvertierten in einer lauten Welt“. „Da<br />
steht auch, dass Bill Gates und Steve Jobs Einzelgänger<br />
waren“, sagt Daniel, und zählt mit Begeisterung all die<br />
Erfindungen auf, die die Welt den „Nerds“ zu verdanken<br />
hat. Als wollte er sagen: Warte nur ab. Als fühlte er<br />
sich von dem Buch bestätigt.<br />
In der Schulzeit war Daniel mir ein Rätsel. Ich<br />
hätte auf ihn zugehen können. Aber es gab spannendere<br />
Fragen, als die, warum Daniel so war, wie er war. Heute<br />
weiß ich zumindest, dass er mir nicht leid tun muss.<br />
Wir werden in diesem Leben keine Freunde mehr werden.<br />
Dazu sind wir zu verschieden. Das wissen wir beide.<br />
Floskeln à la „Wir bleiben in Kontakt“ haben wir<br />
nicht nötig. Nach zwei Stunden ist Daniels Kaffeebecher<br />
noch immer randvoll. Warum er Starbucks als<br />
Treffpunkt vorgeschlagen hat, möchte ich wissen. Am<br />
Kaffee wird es nicht gelegen haben. „Das ist zentral und<br />
jeder kennt es“, sagt er. „Privat wäre Starbucks nur letzte<br />
Wahl.“<br />
AIMEN ABDULAZIZ-SAID<br />
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