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Presseheft (pdf) - Dreharbeiten.de

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HINTERGUNDINFORMATIONEN<br />

Grundlage von Fritz Lehners Film ist das allegorische Spiel „Je<strong>de</strong>rmann. Das Spiel vom Sterben<br />

<strong>de</strong>s reichen Mannes“ von Hugo von Hoffmannsthal (1874-1929). 1911 wur<strong>de</strong> es in <strong>de</strong>r Inszenierung<br />

von Max Reinhardt im Berliner Zirkus Schumann uraufgeführt und 1920 anlässlich <strong>de</strong>r ersten<br />

Salzburger Festspiele wie<strong>de</strong>raufgeführt. Bis heute – mit einer Unterbrechung unter <strong>de</strong>n Nationalsozialisten<br />

– ist <strong>de</strong>r „Je<strong>de</strong>rmann“ Grundbestandteil <strong>de</strong>r Salzburger Festspiele, weitere Je<strong>de</strong>rmann-Festspiele<br />

(u. a. in Berlin, Hamburg, Erfurt und Nürnberg) haben sich etabliert. Viele große<br />

Darsteller, von Will Quadflieg bis Curd Jürgens, von Maximilian Schell bis Klaus Maria Brandauer<br />

(1983-1989) haben <strong>de</strong>m Salzburger „Je<strong>de</strong>rmann“ einen jeweils eigenen, unverwechselbaren<br />

Stempel aufgedrückt.<br />

Das Hofmannsthalsche Bühnenwerk um die Nichtigkeit irdischer Schätze beruht auf verschie<strong>de</strong>nen<br />

Quellen. Schon orientalische Parabeln thematisieren <strong>de</strong>n „reichen Prasser“ und seinen Tod.<br />

Der Titel „Everyman“ erscheint zum ersten Mal im 15. Jahrhun<strong>de</strong>rt in einem englischen Mysterienspiel.<br />

Weitere Dichter wie Hans Sachs („Ein comedi von <strong>de</strong>m reichen sterben<strong>de</strong>n menschen“),<br />

Jakob Bi<strong>de</strong>rmann („Cenodoxus“) o<strong>de</strong>r Cal<strong>de</strong>ron („Balthasars Nachtmahl“) verwen<strong>de</strong>n ebenfalls<br />

das Je<strong>de</strong>rmann-Sujet.<br />

Hugo von Hofmannsthal schrieb über die Entstehungsgeschichte seines Je<strong>de</strong>rmanns:<br />

„Alle diese Aufschreibungen stehen nicht in jenem Besitz, <strong>de</strong>n man als <strong>de</strong>n lebendigen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Volkes bezeichnen kann, son<strong>de</strong>rn sie treiben im toten Wasser <strong>de</strong>s gelehrten Besitzstan<strong>de</strong>s.<br />

Darum wur<strong>de</strong> hier versucht, dieses allen Zeiten gehörige und allgemeingültige Märchen abermals<br />

in Beschei<strong>de</strong>nheit aufzuzeichnen. Vielleicht geschieht es zum letztenmal, vielleicht muß es später<br />

durch <strong>de</strong>n Zugehörigen einer künftigen Zeit noch einmal geschehen.“<br />

Fritz Lehner transferiert sein Epos frei nach Hofmannsthal in die Gegenwart und überschreitet in<br />

Dramaturgie und Gestaltung übliche Sehgewohnheiten, ohne dabei seine Wurzeln in <strong>de</strong>r europäischen<br />

Kulturgeschichte zu negieren.<br />

In <strong>de</strong>m Tanz seiner Salome kündigt Lehner wie in einer Ouvertüre zusammengefasst das kommen<strong>de</strong><br />

Schicksal seines Hel<strong>de</strong>ns an. Lehners Bildsprache verwen<strong>de</strong>t bekannte Symbole wie <strong>de</strong>n<br />

schwarzen Hund als To<strong>de</strong>sboten und <strong>de</strong>n Apfel als Versinnbildlichung <strong>de</strong>r Frau. Kenner <strong>de</strong>s Original-Je<strong>de</strong>rmanns<br />

wer<strong>de</strong>n mit Interesse viele Zitate und Um<strong>de</strong>utungen aus <strong>de</strong>r Vorlage <strong>de</strong>chiffrieren:<br />

In <strong>de</strong>r Überschwemmung, durch Je<strong>de</strong>rmanns/Brandauers Unachtsamkeit ausgelöst, wer<strong>de</strong>n sie<br />

leicht verän<strong>de</strong>rt die Pläne seines Vorgängers über sein zukünftiges Lusthaus wie<strong>de</strong>r erkennen<br />

(„Desgleichen an einer verborgenen Stätte/ Recht wie <strong>de</strong>r Nymphe quillend Bette/ Laß ich aus<br />

kühlem glatten Stein/ Eine fließen<strong>de</strong> Badstub errichtet sein.“ Je<strong>de</strong>rmann). Das zeitgemäßexotische<br />

Mahl aus Schwalbennester für die Festgäste fin<strong>de</strong>t sich auch schon in <strong>de</strong>r Vorlage aus<br />

<strong>de</strong>m vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rt („Hab sagen hören, es gibt einen Stein, Den trägt die Schwalbe in ihrem<br />

Bauch, Den haben die großen Ärzt im Brauch ...“ Ein an<strong>de</strong>res Fräulein; „... Ist Mächtig gegen die<br />

Melancholie“).<br />

Doch ist die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Tod ein<br />

zeitloses Thema, so dass auch ein weniger versiertes<br />

Publikum sich, angeregt durch <strong>de</strong>n Film, mit <strong>de</strong>r<br />

eigenen Vergänglichkeit konfrontiert sieht. Fritz Lehner<br />

möchte sowohl die „Verdrängung <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>m<br />

Leben“ als auch <strong>de</strong>n „Zwang, Karriere zu machen“,<br />

d.h. das gesellschaftliche Ethos „Wer keine Karriere<br />

macht, ist nichts wert“ transportiert wissen (O-Ton<br />

Lehner anlässlich <strong>de</strong>r Verleihung während <strong>de</strong>r Grazer<br />

Diagonale 2002).<br />

Allerdings ermöglicht die neue Interpretation <strong>de</strong>s Je<strong>de</strong>rmann-Stoffes<br />

seinem Protagonisten nicht mehr die<br />

Katharsis, die in <strong>de</strong>r Ursprungsfassung noch gegeben war: Der Protagonist bleibt <strong>de</strong>r „verstockte<br />

Sün<strong>de</strong>r“ und bereut nicht. Lehner meint dazu: „Ich glaube ja, dass man so stirbt – wenn man Zeit<br />

dazu hat – wie man lebt“. Damit spiegelt <strong>de</strong>r Regisseur ein neues Bild seiner Epoche, zu <strong>de</strong>m<br />

auch zukünftige Generationen Stellung beziehen können.

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