Mai 2013 - Greifswald

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wann wird’s mal wieder richtig Sommer?
Wenn es nach diesen beiden Störchen geht,
sofort, und wir anderen denken da sicher auch
nicht anders drüber! Ungeachtet der noch
nicht sommerlichen Temperaturen erhitzt im
Moment ein Thema offenkundig die Gemüter
in der Stadt: die Vergabe eines Unternehmerpreises
an den Vorstand der Medigreif Unternehmensgruppe
aus Greifswald, Herrn Prof.
Dr. Dietmar Enderlein.
Jetzt kann man sicher darüber diskutieren, ob
es auf der Welt im Allgemeinen oder hier bei
uns im Land im Speziellen keine wichtigeren
Themen gibt als dieses, aber sei es drum. Es
gibt in Greifswald wohl kaum einen zweiten
Bürger, über den die Meinungen derart auseinandergehen
wie Dietmar Enderlein, zu DDR-
Zeiten dritthöchster Militärmediziner des Landes,
letzter Kommandeur der MMS, offenbar
„IM“ des Ministeriums für Staatssicherheit und
jetzt erfolgreicher Unternehmer und seit neuestem
Preisträger! Nicht, dass es der erste Preis
wäre, den er bekommen hätte, aber offensichtlich
ist es der unverdienteste, zumindest nach
Ansicht des einen Teils derer, die über ihn richten.
Nach Ansicht des anderen Teils hat er diesen
Preis allerdings mehr verdient als jeder andere!
Die Frage, die sich aber eigentlich stellt,
ist doch vielmehr, wen interessiert das eigentlich?
Ist die Tatsache, das Dietmar Enderlein
ein Leben in der DDR hatte und, um mal in
die militärische Vokabularkiste zu greifen, mit
seinem schnellen Stellungswechsel nach der
Wende für reichlich moralischen Diskussionsstoff
gesorgt hat und sorgt, wirklich politisch so
bedeutsam? Oder ist sie nicht eigentlich genau
so uninteressant wie der Fakt, dass Angela
Merkel während ihres Studiums mal als Bardame
im FDJ-Club gearbeitet hat und dort
wohl auch für Agitation und Propaganda verantwortlich
war! Glaubt jetzt ernsthaft irgendjemand,
dass die Frau aus dem Osten Moskaus
berühmte 5. Kolonne ist, bereit, die Bundesrepublik
in eine große DDR zu verwandeln,
am Besten noch mit der Unterstützung von
Dietmar Enderlein, der aus der Medigreif dann
wahrscheinlich ein Kombinat macht, mit Vertretung
durch den FDGB?
Ist nicht die Tatsache, dass unser Bundesland
einzig durch zwei Faktoren auf dem Arbeitsmarkt
positive Ergebnisse erzielt, nämlich Wegzug
und Verrentung, nicht viel dringlicher zu
diskutieren als Enderleins Preis und Merkels
FDJ-Bluse? Oder, dass durch die Kita-Affäre
oder besser das Kita-Desaster auf junge Eltern,
von denen es bei uns ohnehin zu wenig gibt,
Mehrausgaben in noch ungeahnter Höhe zukommen,
die wahrscheinlich viele von ihnen
bewegen werden, sich entweder kein weiteres
Kind anzuschaffen oder besser noch, dieses
Land gleich zu verlassen?
Was allerdings dann wieder
zu positiven Arbeitsmarktzahlen
führt! Oder, dass die
neu verlegten Stolpersteine in unserer Hansestadt
nur deshalb neu verlegt werden mussten,
weil es nicht nur Sachsen und Thüringen, sondern
auch in unserem Land immer noch zu viele
Geschichtsblinde gibt!
Es fällt schwer, in solch bewegten Zeiten die
Dinge im Auge zu behalten, die wirklich wichtig
sind. Der Preis an, und die Vergangenheit
von, Dietmar Enderlein sind es jedoch ebenso
wenig wie die Zeiten unserer Bundeskanzlerin
als Bardame!
Hoffentlich wird bald mal wieder richtig
Sommer ...
Ihre Grit Juhnke
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