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alla breve - Sommersemester 2012

Magazin der Hochschule für Musik Saar

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Auftakt<br />

<strong>alla</strong>BREVE<br />

Wolfgang Rihm Foto: Bernhard Schmitt<br />

Prof. Dr. Jörg Abbing<br />

Musik = das Andere<br />

Zum 60. Geburtstag von Wolfgang Rihm<br />

»Heute blüht ein Traditions-<br />

Umgang, der die Tradition<br />

nur umgeht, von ihr das<br />

Vestiment leiht und die<br />

Gestalt – auch als Körper –<br />

verschmäht.«<br />

Wolfgang Rihm<br />

Der 60. Geburtstag des<br />

Komponisten Wolfgang<br />

Rihm gibt reichlich Gelegenheit,<br />

über die Situation<br />

der zeitgenössischen<br />

Musik im alltäglichen<br />

Musikleben nachzudenken.<br />

Angesichts der Tatsache,<br />

dass uns mit Rihm<br />

einer der erfolgreichsten Komponisten seiner Generation<br />

in Deutschland begegnet, verwundert es, dass er nun nicht<br />

zu denjenigen Musikschöpfern gehört, die sich im Bereich<br />

epigonaler Kompositionstechniken Gehör in der breiten<br />

Öffentlichkeit verschaffen. Vielmehr besteht das Credo dieses<br />

Künstlers – der mit den Termini der neueren Kompositionsgeschichte<br />

nur schwer zu beschreiben ist – aus einer subtilen<br />

Mischung von Intellektualität und Expressivität.<br />

Das bedeutet, dass sich seine Authentizität stets aus einem<br />

Ringen mit dem Subjekt, dem Topos – sei es eine literarische,<br />

eine dramatische oder gar eine bildnerische Vorlage (wie<br />

etwa die Ungemalten Bilder von Emil Nolde) – ergibt.<br />

Rihm reüssierte bereits früh in großen Formen: Sein Orchesterwerk<br />

Sub-Kontur (1974/75) beispielsweise wurde 1976 bei<br />

den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt, die Kammeroper<br />

Jakob Lenz (1977/78) nur drei Jahre später in der Opera<br />

Stabile der Hamburger Staatsoper. Für einen komponierenden<br />

Menschen Mitte Zwanzig sind das beachtliche Erfolge.<br />

Mittlerweile gehört er nicht nur zu den gefragtesten,<br />

sondern auch produktivsten deutschen Komponisten. Allein:<br />

Es ist nur die Spitze des gedachten Komponisten-Eisbergs,<br />

die aus dem Wasser in die Luft der Musiköffentlichkeit herausragt.<br />

Die meisten der täglich entstehenden Kompositions-<br />

Derivate bleiben ungehört bzw. erklingen in intim besuchten<br />

Kompositionsabenden der Musikhochschulen und verklingen<br />

dann leider oft für immer.<br />

Demnach diffundiert durch die Grenze zwischen den<br />

Komponisten moderner Musik und dem Rest der (Musik-)<br />

Welt nur wenig; belegbar über die Besuchszahlen der Konzerte,<br />

die Einschaltquoten bei Rundfunksendungen, die<br />

sich dieser Musikrichtung verpflichtet fühlen und die Anzahl<br />

der Studierenden dieser Disziplin an den Konservatorien.<br />

Und doch findet sie statt, die moderne Musik – die sich<br />

schon in ihrer Ontologie immer mehr abzugrenzen bereit ist:<br />

Neue Musik, der Klang der Avant-Garde, das Unerhörte<br />

bzw. das Ungehörte; dann auch Aktuelle Musik oder Moderne<br />

Musik als akustisches Pendant zur Modernen Kunst, die<br />

vom umstrittenen Kunstkritiker Hans Sedlmayr bereits 1948<br />

u. a. wegen ihrer fehlenden Neigung zur geordneten Symmetrie<br />

geschmäht wurde. Sie findet statt, führt jedoch ein<br />

eher hermetisch abgeriegeltes Kunstleben in der Kommunität<br />

verständiger Menschen, die bereit sind, sich die klanglichen<br />

Ergebnisse der mutigen Komponistinnen und Komponisten<br />

der Gegenwart im Kampf mit dem Problem des Postmodernismus<br />

anzuhören.<br />

Die Begriffsvielfalt der letzten Sätze wird nur eher<br />

mühsam voneinander abzugrenzen sein, aber zur thematischen<br />

Positionierung dieses Artikels sei eine kleine Anekdote<br />

erzählt, die mir tatsächlich nach einem Konzert mit Musik<br />

von John Rutter (oder war es Karl Jenkins?) passierte:<br />

Eine Frau kam freudestrahlend zu mir und sagte »Ich wusste<br />

gar nicht, dass moderne Musik so schön klingen kann!<br />

Wenn es mehr von solcher Musik geben würde, würde ich mir<br />

viel häufiger moderne Musik anhören.«<br />

Dass die in unserer Dekade entstandene und entstehende<br />

E-Musik – und schon wieder haben wir eine diffuse Kategorisierung<br />

gestreift – nicht automatisch Moderne Musik (man<br />

beachte die andere Schreibweise) ist, möchte man der Dame<br />

ganz ohne Polemik oder gar Herablassung zurufen, denn diese<br />

Reaktion ist nahezu symptomatisch für das Konzertleben<br />

unserer Zeit, welches dem Konzertbesucher nur die Happen<br />

hinhält, die er auch ohne Kauen noch verschlingen kann.<br />

In keiner anderen Disziplin wird der Bildungsauftrag<br />

deutlicher, den wir Kunstschaffenden wahrnehmen sollen, als<br />

im Bereich der Modernen Musik. In diesem Zusammenhang<br />

sei an das hervorragende Kinderkonzert mit Musik von<br />

Mauricio Kagel in der hfm erinnert, was von allen Beteiligten<br />

in verdienstvoller Kleinarbeit pädagogisch vorbereitet und<br />

zugeschnitten wurde.<br />

Natürlich sind einige der Kagelschen Themen – also<br />

beispielsweise die Dada-Kunst oder der Surrealismus –<br />

wesentlich Kind-kompatibler als Rihms musikalische Auseinandersetzung<br />

mit dem oft digressivem Sprachphänomen<br />

eines Jean Paul, mit den philosophischen Ambivalenzen<br />

Friedrich Nietzsches oder der Theaterästhetik von Antonin<br />

Artaud; aber um Kulturgeschichte in das außerschulische<br />

Bildungsprogramm einzubringen, darf man Dinge vereinfacht<br />

darstellen – zumal für Kinder.<br />

Denken wir nun an das Konzertpublikum, so stellen<br />

sich die Fragen ganz von selbst: Ist die Musik Rihms,<br />

die – insofern sie nicht absolut ist – auch vom Zuhörer eine<br />

Auseinandersetzung mit ihrem Thema verlangt, überhaupt<br />

für eine derartige Popularität gedacht? Ist sie vorbehaltslos<br />

zu rezipieren? Sucht der Komponist im Gespräch über sein<br />

Werk den Diskurs nur mit einem ebenfalls kompetenten<br />

Redepartner? Oder pocht die Musik ganz besonders stark<br />

an die kulturethische Verpflichtung des Menschen, sich<br />

zu bilden und neugierig aller Kunst zu begegnen?<br />

Ein Glück: Wolfgang Rihm kommt bald an die hfm<br />

und wird zwei Tage lang Interpretationen betreuen, die dann<br />

in einem Konzert in der Stiftskirche St. Arnual erklingen<br />

werden – und er wird am 18. Mai <strong>2012</strong> sicherlich unsere<br />

Fragen beantworten, wenn wir sie denn stellen.<br />

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