Festansprache David Statnik (Textversion) - Der Nordschleswiger
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Ansprache von <strong>David</strong> <strong>Statnik</strong>, Vorsitzender der Domowina<br />
– Bund Lausitzer Sorben e. V., zum Deutschen Tag 2011<br />
(Tingleff, 5.11.2011)<br />
Es gilt das gesprochene Wort!<br />
Sehr geehrter Herr Jürgensen, sehr geehrter Herr Jessen, lieber Harro<br />
Hallmann, meine sehr geehrten Damen und Herren, česćeni přitomni,<br />
für Ihre freundliche Einladung zum Deutschen Tag danke ich Ihnen sehr<br />
herzlich. Es ist nicht die erste, aber eine auch für mich persönlich wichtige<br />
Begegnung mit Mitgliedern des Bundes deutscher <strong>Nordschleswiger</strong> seit<br />
meinem Amtsantritt Ende März dieses Jahres. Dabei sind die Kontakte nicht<br />
auf die jährlichen FUEV-Kongresse beschränkt, wie der mehrtägige Besuch<br />
des Bundes sorbischer Handwerker und Unternehmer bei Ihnen im Jahr 2009<br />
gezeigt hat. Wir sind Minderheiten in unseren Ländern und solche Anlässe wie<br />
der Deutsche Tag sind geradezu prädestiniert zum Meinungs- und<br />
Erfahrungsaustausch.<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte zunächst einen kurzen<br />
historischen Rückblick, um dann den Bogen zu schlagen zur heutigen<br />
sprachlichen Situation und den politischen Forderungen der Domowina.<br />
Zur Geschichte der Sorben 1<br />
Unser Volk, die Lausitzer Sorben, lebt seit rund 1400 Jahren in der Lausitz.<br />
Die damals etwa 20 sorbischen/slawischen Stämme besiedelten eine Fläche<br />
von ca. 40.000 km 2 , das im Westen bis an die Saale reichte und im Osten u. a.<br />
von der Oder sowie im Süden vom Erz- und Fichtelgebirge begrenzt wurde.<br />
<strong>Der</strong> fränkische Chronist Fredegar berichtet im Jahr 631, dass <strong>Der</strong>wan, Fürst<br />
eines Stammesverbandes der »Surbi«, vom Frankenkönig Dagobert abgefallen<br />
wäre und sich dem in Böhmen und Mähren entstandenen Reich des Samo<br />
angeschlossen hätte. Neben diesem Großstamm, auf den die Namensgebung<br />
Sorben zurückgeht, zählten die Milzener in der Oberlausitz und die Lusizer in<br />
1 Peter Kunze: Zur Geschichte der Sorben. In: Die Sorben in der Lausitz. 2. Auflage, Bautzen 2003, S. 15 ff.<br />
1
der Niederlausitz mit jeweils 30 Burgbezirken zu den wichtigsten sorbischen<br />
Stämmen.<br />
Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts mehrten sich kriegerische<br />
Auseinandersetzungen mit den benachbarten fränkischen und sächsischen<br />
Stämmen, bis sich im 10. Jahrhundert die Waage zugunsten des frühfeudalen<br />
deutschen Staates neigte. Trotz Gegenwehr verloren die Lusizer im Jahr 963<br />
und die Milzener wenig später, im Jahr 990, ihre politische und ökonomische<br />
Unabhängigkeit. Seitdem, das sei vorweggenommen, haben die Sorben ihre<br />
Unabhängigkeit nie wieder erlangt.<br />
Damit einher ging die Christianisierung dieser Landstriche; Bistümer wurden<br />
gegründet und bald erfasste ein Netz von Kirchen das gesamte sorbische<br />
Siedlungsgebiet. Die Sorben wurden kulturell, politisch und ökonomisch ins<br />
deutsche Reich einbezogen, während sich Sprache, Brauchtum und<br />
Lebensweise weiter eigenständig behaupten konnten. Zu Assimilation und<br />
Germanisierung trugen rechtliche Unterschiede ebenso bei wie generelle<br />
Sprachverbote.<br />
Kein Sachse möge eines Wenden Urteil leiden, und Wenden, die vor<br />
Gericht schon einmal deutsch gesprochen hätten, müssten dies auch<br />
zukünftig tun, hieß es etwa im »Sachsenspiegel«, einem Rechtsbuch<br />
aus dem 13. Jahrhundert. 2<br />
Lediglich uns, den Lausitzer Sorben, Nachkommen der Oberlausitzer Milzener<br />
und der Niederlausitzer Lusizer, ist es gelungen, bis in die Gegenwart unsere<br />
Sprache und Kultur zu erhalten. Die historischen Wurzeln sind bis heute an den<br />
beiden sprachlichen Idiomen sichtbar: dem Obersorbischen auf der Grundlage<br />
des Bautzener Dialekts, das der tschechischen und slowakischen Sprache<br />
näher ist, und dem Niedersorbischen, das aus dem Dialekt um Cottbus<br />
entstanden und dem Polnischen enger verwandt ist. Letzteres wird auch<br />
Wendisch genannt (dies ist eine Fremdbezeichnung); die Sorben selbst haben<br />
sich stets als »Serbja« (os.) und »Serby« (ns.) bezeichnet. 3<br />
2 Kunze, ebd., S. 17<br />
3 Neben dieser Bezeichnung ist im Deutschen heute noch der Begriff “Wenden” verbreitet, insbesondere inn<br />
der Niederlausitz. Dieser geht zurück auf römische Geschichtsschreiber, die ihnen im Einzelnen nicht bekannte<br />
2
Einige sorbische Humanisten erwarben im 16. Jahrhundert den Ruf<br />
hervorragender Gelehrter, zumeist außerhalb der Lausitz. Beispielhaft sei hier<br />
Kaspar Peuker aus Bautzen genannt, Schwiegersohn Philipp Melanchthons,<br />
ein Mathematiker und Mediziner, Rektor der Universität Wittenberg. Er förderte<br />
slawisches Schrifttum und kulturelle Kontakte zu anderen slawischen Völkern.<br />
Peukers und das Wirken anderer Gelehrter ist in engem Zusammenhang mit<br />
der Reformation zu sehen, die im 16. Jahrhundert einen Kulturwandel<br />
auslöste. 4<br />
Die Reformation führte dazu, dass ca. 90 % der Sorben protestantisch wurden.<br />
Lediglich in den Gebieten, die dem Kloster Marienstern und dem Bautzener<br />
Domstift unterstanden, blieb die Bevölkerung – und das bis auf den heutigen<br />
Tag – katholisch.<br />
Martin Luther war der Meinung: „Ein Christ soll wenig Wort und viel Tat<br />
machen.“ Auch, wenn er den Sorben ein baldiges Ende prophezeite, so war<br />
doch das Resultat seines Wirkens positiv für die Entwicklung auch der Lausitz,<br />
denn weitaus wichtiger als die konfessionellen Auseinandersetzungen, so die<br />
Einschätzung sorbischer Wissenschaftler, waren durch die Reformation<br />
verkündete Forderungen wie die Anwendung der Muttersprache im<br />
Gottesdienst oder die Durchsetzung eines neuen Bildungskonzepts.<br />
Verstärkt wurden sorbische Prediger ausgebildet, sorbische Schulen<br />
gegründet, sorbisches Schrifttum entstand und die ersten sorbischen Bücher<br />
für den Kirchen- und Schulgebrauch gedruckt. 5 So gilt die Übersetzung des<br />
Neuen Testaments des Pfarrers Mikławš Jakubica im Jahr 1548 als das älteste<br />
sorbische Sprachdenkmal. Jakubica war Geistlicher in Laubnitz, sorbisch<br />
Lubanice, dem heute in Polen liegenden Lubanica. Als erstes gedrucktes Buch<br />
in sorbischer Sprache erschienen 1574 eine Übersetzung des Kleinen<br />
Katechismus und eine Sammlung sorbischer Kirchenlieder von Albin Moller,<br />
Pfarrer in Straupitz in der Niederlausitz.<br />
Stämme im Osten mit dem Begriff “Veneti” belegten, wovon man im Deutschen später “Wenden” bzw.<br />
“Winden” anleitete.<br />
4 Peter Kunze: Aus der Geschichte der Lausitzer Sorben. In: Die Sorben in Deutschland. Serbja w Němskej.<br />
Bautzen 1993, S. 16 f.<br />
5 Peter Kunze: ebd., S. 17 f.<br />
3
Erst eine Generation später, im Jahre 1594, erschien das erste sorbische<br />
gedruckte Buch in der Oberlausitz: der Kleine Katechismus von Wenzel<br />
(sorb. Wjacław) Warichius. 6<br />
An der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert formierten sich die verschiedenen<br />
stark dialektal geprägten Varianten des schriftlich genutzten Sorbischen zu<br />
Schriftsprachen, und dies in zwei Kernlandschaften: das Obersorbische um<br />
Budissin/Bautzen und die niedersorbische Schriftsprache auf der Grundlage<br />
des Cottbuser Dialekts. Dies ist bis heute so geblieben. 7<br />
Leipzig<br />
An dieser Stelle einige Worte zur sächsischen Universitäts- und Handelsstadt<br />
Leipzig. Diese Stadt, deren sorbische Bezeichnung Lipsk auf das Wort lipa – zu<br />
Deutsch: Linde - zurückgeht ist für uns in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung.<br />
Hier gründeten am 10. Dezember 1716 evangelisch-lutherische Studenten der<br />
Theologischen Fakultät der Universität das Serbske prědarske towarstwo w<br />
Lipsku – das Wendische Predigerkollegium zu Leipzig 8 , den ersten sorbischen<br />
Verein überhaupt. Sie sahen die Notwendigkeit, sich auf die Seelsorge sowohl<br />
in deutscher als auch in sorbischer Sprache vorzubereiten:<br />
»Ihr einziger Zweck ist, sich alle Sonnabend Nachmittags in der ihnen<br />
von der Universität angewiesenen Paulinerkirche von 1 bis 2 Uhr im<br />
wendischen Predigen zu üben, um dereinst denen Wenden in ihrem<br />
Vaterlande desto freudiger und fertiger dienen zu können«, 9 hieß es in<br />
ihrer Satzung<br />
Erst 1899 endete die Kontinutät des Sorabicums, das wenige Jahre nach dem<br />
II. Weltkrieg, 1949, in der Sorabija, einem Zusammenschluss sorbischer<br />
Studenten und Intellektueller, wiederauflebte und bis heute existiert.<br />
Generationen sorbischer Pfarrer, Lehrer, Sorabisten, Mediziner und<br />
Akademiker anderer Fachrichtungen haben an der Alma Mater Lipsiensis<br />
6 Helmut Jenč: Die sorbische Sprache in Vergangenheit und Gegenwart. In: Die Sorben in Deutschland. Serbja w<br />
Němskej. Bautzen 1993, S. 100 f.<br />
7 Helmut Jenč: ebd., S. 102<br />
8 Siegmund Musiat: Sorbische/wendische Vereine 1716 – 1937. Bautzen 2001, S. 19 ff.<br />
9 Statut von 1766, zitiert nach Musiat<br />
4
studiert. 1951 wurde dort das Sorbische Institut mit den Sektionen Sprache und<br />
Literatur sowie Geschichte gegründet. <strong>Der</strong> Lehrer und Volkskundler Pawoł<br />
Nedo, von 1933 bis 1950 Vorsitzender der Domowina, war dessen erster<br />
Direktor.<br />
Das Leipziger Institut bildet heute Sorbisch-Lehrer für alle Schultypen in<br />
Sachsen und Brandenburg aus, und dies sowohl in Ober- als auch in<br />
Niedersorbisch; es ist deutschlandweit die einzige Universität, die Sorabistik-<br />
Philologie und außerdem universitäre Sprachkurse für Nicht-Sorabisten<br />
anbietet. Gegenwärtig studieren an diesem Institut 36 Studenten, unter ihnen<br />
30 angehende Sorbisch-Lehrer, und 2 Doktoranden. Erst vor wenigen Tagen,<br />
bei der Verleihung des Ćišinski-Preises, appellierte die Sächsische<br />
Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Prof. Sabine von Schorlemer:<br />
„Sprechen Sie Sorbisch, wo immer es möglich ist. Das Sorbische gehört<br />
zum Reichtum Sachsens. Suchen und finden Sie gemeinsame Wege<br />
dafür, um auch in Anwesenheit von Menschen, die kein Sorbisch<br />
beherrschen, Ihre Sprache zu sprechen und mit ihr zu leben.“<br />
Sosehr ich dieser Aufforderung zustimme, sosehr weiß ich auch, wie schwierig<br />
das im Alltag ist und wie viel Abwägung es immer wieder erfordert, den<br />
anderen nicht im Ungewissen über den Inhalt zu lassen - eine Situation, die<br />
Ihnen vermutlich nicht unbekannt ist.<br />
Domowina<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, als ich vor einem halben Jahr als<br />
Vorsitzender der Domowina kandidiert habe, haben mich viele gefragt, warum<br />
ich das tue, ja, warum ich mir das antue. Es ist ein Ehrenamt, für mich wie für<br />
alle Mitglieder des Domowina-Bundesvorstandes. Die Antwort ist so einfach<br />
wie schwer: Ich will, dass auch meine Kinder in Sorbisch träumen können.<br />
Ehrenamt – viel Arbeit, wenig Ehr? Ja, ich denke, es ist so. Manchmal sage ich<br />
im Scherz, die Domowina sei, nach Arbeit und Familie, mein drittes Kind.<br />
Dennoch: die Domowina, die im nächsten Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert,<br />
ist für mich die Organisation, die diesen Anspruch nicht nur am längsten,<br />
sondern von Beginn an auch am konsequentesten erfüllt.<br />
5
„Die Absicht dieses Verbandes“, so formulierte es der erste<br />
stellvertretende Vorsitzende, Pfarrer Bogumił Šwjela, in seiner Rede auf<br />
der Gründungsversammlung am 13. Oktober 1912 in Hoyerswerda vor<br />
den Delegierten aus 31 sorbischen Vereinen, „… müssen die Arbeit und<br />
die Bemühungen zum Erhalt des Sorbentums sein …“.<br />
Unsere Organisation hat Unterdrückung, Krieg, Verbot und Vereinnahmung<br />
überlebt. Immer waren Menschen da, denen die sorbische Sprache und Kultur<br />
so wichtig waren, dass sie nicht nur in der Familie, sondern auch in der<br />
Öffentlichkeit, in der Kirche, im Verein ihrer Muttersprache treu blieben.<br />
Aber natürlich hat sich die Jahrhunderte lange Unterdrückung, ja das Verbot<br />
der sorbischen/wendischen Sprache ausgewirkt. So hieß es etwa im<br />
sächsischen Volksschulgesetz von 1873 (§ 12, Abs.4):<br />
„…In den oberen Klassen ist in allen Fächern in deutscher Sprache zu<br />
unterrichten …“ 10<br />
Dabei war Sachsen im Vergleich zu Preußen weit toleranter im Umgang mit<br />
dem sorbischen/wendischen Volk.<br />
Die finsterste Zeit unserer Geschichte war die Nazizeit. Sorbisch zu sprechen<br />
war in Schule und Kirche verboten, sorbische Lehrer und Pfarrer wurden<br />
ausgewiesen, die sorbische Zeitung Serbske Nowiny und Organisationen, auch<br />
die Domowina, 1937 verboten. Manche Menschen, die in der Nazizeit zur<br />
Schule gingen, lernten, wenn sie zu Hause zweisprachig aufwuchsen, zwar<br />
Sorbisch sprechen, aber nicht lesen und schreiben, vor allem nicht mehr in der<br />
mittleren und der Niederlausitz. Heute beherrscht nur noch etwa die Hälfte der<br />
ca. 60.000 Sorben ihre Muttersprache.<br />
Nicht zuletzt die neuen Medien stellen uns vor neue Herausforderungen. Eine<br />
SMS in sorbischer Sprache zu schreiben – Fehlanzeige,<br />
ebenso wie die Möglichkeit einer schnellen Übersetzung per Google translater.<br />
Und doch habe ich den Eindruck, dass ein Umdenken im Gange ist.<br />
10 Zitiert nach: „Die Gesetzgebung des Königreiches Sachsen …, Leipzig 1907. in: Ruta Thiemannowa: Njedźelu,<br />
dnja 13. Oktobra 1912, załožichu Domowinu. Bautzen 1982, S. 19<br />
6
„Ja, wenn die sorbischen Mädchen bei Facebook Fotos posten, und ich<br />
einen Kommentar in Sorbische dazu schreibe, dann kommt das schon<br />
gut an. Das heißt, die sagen sich dann nicht nur 'ah, schön', sondern die<br />
finden das cool und schreiben mir das auch“, zitiert die Leiterin unseres<br />
Witaj-Sprachzentrums Dr. Beate Brězan einen Jugendlichen aus einem<br />
narrativen Interview. 11<br />
Das sorbische Wort „witaj“ heißt „willkommen“ und ist heute längst zu einem<br />
gesamtlausitzer Programm geworden, das auch viele deutsche Eltern gern<br />
nutzen, um ihren Kindern bessere Bildungs- und Berufschancen einzuräumen.<br />
Jährlich genießen ca. 3.000 Kinder in der Oberlausitz und fast 2.000 Kinder in<br />
der Niederlausitz eine bilinguale Erziehung und Schulbildung. 12 Wir freuen uns<br />
über solche politischen Initiativen, wie das jetzt von der sächsischen<br />
Staatsregierung eingebrachte Schulkonzept 2plus (d. H. zwei Sprachen und<br />
weitere) und hoffen, dass es bestätigt und Früchte tragen wird.<br />
Die Vermittlung der sorbischen Sprache für uns als Domowina, aber auch für<br />
mich persönlich das Thema, das mich am meisten umtreibt. Ich will, dass auch<br />
meine Kinder sorbisch träumen können. Die Gestaltung und der Erhalt<br />
öffentlicher Sprachräume gehören ebenso dazu, wie die jetzt vom Witaj-<br />
Sprachzentrum angebotenen und von den Eltern intensiv genutzten<br />
Sprachkurse. Es geht mir, wie schon meinem Amtsvorgänger Jan Nuck, um die<br />
Revitalisierung der sorbischen Sprache, damit die Lausitz wieder zweisprachig<br />
wird.<br />
Die Ambivalenz dieses Themas wird an der regelmäßig wiederkehren<br />
Diskussion um Schulstandorte deutlich. Obgleich den sorbischen Grund- und<br />
Mittelschulen niedrigere Klassenteiler zugesichert und somit Spielräume für<br />
flexible Lehrformen möglich sind, sichert dies nicht deren Standorte,<br />
da die Gemeinden als Träger der Schulen (mit kleineren Klassen und bei<br />
gleichbleibenden Zuschüssen) mit niedrigeren Klassenteilern auch geringere<br />
Zuschüsse erhalten und somit übermäßig belastet werden. Dies bedroht die<br />
11 Beate Brězan: Identität oder Bedürfnisdynamik – Chancen des WITAJ-Projekts. Unveröffentlichtes<br />
Manuskript, Bautzen 2011, S. 1<br />
12 Beate Brězan: ebd., S. 4<br />
7
Existenz der sorbischen Schulen. Um diesen Prozess wirksam zu stoppen,<br />
sollten – so hat es auch unsere Hauptversammlung im März beschlossen - die<br />
Sorben selbst Träger und Gestalter ihres Schulnetzes sein. Die Schulen sollten<br />
unserer Meinung nach entsprechend dem Modell der dänischen Minderheit in<br />
Deutschland organisiert werden.<br />
Das liebe Geld<br />
Sorbische Schüler brauchen sorbische Bücher und Lernmittel – und das in<br />
Kleinstauflagen, in Ober- und in Niedersorbisch, für alle Altersgruppen.<br />
Damit komme ich zu einem neuen Thema, den Finanzen. Alle „sorbischen<br />
Extras“ werden von der Stiftung für das sorbische Volk finanziert, einer<br />
staatlichen Institution, die vor 20 Jahre gegründet wurde, um die sorbische<br />
Sprache und Kultur zu fördern. Sie erhält Zuschüsse vom Bund sowie Sachsen<br />
und Brandenburg. Ihr Jahresetat beträgt etwas mehr als 16 Millionen €, das ist<br />
weniger, als das Jahresbudget etwa des Cottbuser Staatstheaters.<br />
Davon finanziert die Stiftung die sorbischen wissenschaftlichen und kulturellen<br />
Einrichtungen und Projekte.<br />
Sei es das Sorbische National-Ensemble, das Sorbische Institut mit Sitz in<br />
Bautzen und Cottbus, die beiden sorbischen Museen in Bautzen und Cottbus,<br />
der Domowina-Verlag, das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen, die<br />
Niedersorbische Sprachschule Cottbus, das vor 10 Jahren geschaffene Witaj-<br />
Sprachzentrum – sie alle erfüllen im Leben der sorbischen Gemeinschaft in der<br />
Lausitz und im Zusammenleben mit unseren deutschen Nachbarn einzigartige<br />
Aufgaben, auf die wir nicht verzichten können und wollen.<br />
Da im Finanzierungsabkommen für die Stiftung eine Teuerungsrate nicht<br />
eingearbeitet ist, werden uns, trotz sparsamen Wirtschaftens, immer wieder<br />
neue Diskussionen über Inhalte und Strukturen aufgedrückt, die wir lieber für<br />
den eigentlichen Stiftungszweck – die Förderung von sorbischer Sprache und<br />
Kultur – investieren möchten.<br />
Wir als Domowina verstehen uns als Interessenvertreterin des sorbischen<br />
Volkes und stehen Tag für Tag im öffentlichen Fokus, ob wir diesem selbst<br />
gestellten Anspruch gerecht werden oder ob wir uns (nur) als Erfüllungsgehilfe<br />
der Stiftung geben. Unter diesem Blickwinkel ist auch die gegenwärtig geführte<br />
8
Strukturdebatte zu sehen, die das Ziel hat, bisher selbstständige sorbische<br />
Institutionen als „Haus der sorbischen Sprache“ zusammenzulegen, um weiter<br />
zu sparen. Wir als Domowina sind, so hat es unsere Hauptversammlung<br />
beschlossen, bereit, die Trägerschaft sorbischer Institutionen zu übernehmen;<br />
allerdings gibt es noch erheblichen Klärungsbedarf und deshalb ist diese Frage<br />
noch nicht abschließend entschieden.<br />
Domowina heute<br />
Mit mehr als 7.000 Mitgliedern in der Ober- und Niederlausitz hat die<br />
Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V. eine Mitgliederstärke, um die uns<br />
manch andere Vereinigung beneiden mag und die zugleich eine große<br />
Verantwortung bedeutet.<br />
Im März 1948, noch vor Gründung der DDR, hat der Sächsische Landtag das<br />
Gesetz zur Förderung der Rechte des sorbischen Volkes beschlossen. Es war<br />
in der Geschichte der Sorben das erste Mal, dass ein Gesetz zu seinem Schutz<br />
beschlossen wurde. Seit dieser Zeit hat die Domowina die Interessen der<br />
Sorben artikuliert, juristische Bestimmungen initiiert und an der Umsetzung der<br />
Gesetze mitgewirkt.<br />
Die föderalistische Organisation in Deutschland bewirkt, dass viele Fragen der<br />
nationalen Minderheiten Ländersache sind. In Sachsen steht mit Stanisław<br />
Tillich seit 2008 erstmals ein Sorbe als Ministerpräsident an der Spitze der<br />
Regierung, doch auch mit dem Brandenburgischen Ministerpräsidenten<br />
Platzeck habe ich bereits konstruktive Gespräche über die Situation der<br />
Sorben/Wenden in der Niederlausitz führen können. Beide Länder haben<br />
Gesetze zum Schutz und der Ausgestaltung der Rechte der sorbischen<br />
Bevölkerung verabschiedet, es gibt eine Reihe weiterführender Verordnungen<br />
und Rechtsvorschriften, und in beiden Ländern arbeiten Sorben/Wenden-<br />
Beiräte.<br />
Dennoch ist die Umsetzung nicht ohne Hindernisse, wie die bereits erläuterte<br />
Schulsituation zeigt. Vor allem die niedersorbische/wendische Sprache mit nur<br />
noch rund 5.000 Sprechern ist bedroht und Maßnahmen zu ihrem Schutz<br />
werden regelmäßig bei der Evaluierung der Europäischen Sprachencharta<br />
9
angemahnt. Weitere Themen, bei denen wir noch nicht zufrieden sein können,<br />
sind z. B.:<br />
- die fehlende Verankerung von Gruppenrechten des sorbischen Volkes<br />
und fehlende Verbandsklagerechte im Grundgesetz,<br />
- die fehlende staatliche Garantie auf den Fortbestand institutioneller<br />
Rahmenbedingungen für das sorbische Volk und<br />
- die Tatsache, dass das sorbische Siedlungsgebiet nicht vor weiteren<br />
Eingriffen durch den Bergbau geschützt ist.<br />
Wir sind der Meinung, dass sich die Förderung einer Minderheit grundsätzlich<br />
auf alle politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände<br />
beziehen muss, die geeignet sind, eine tatsächliche Gleichheit zwischen der<br />
Mehrheit und der Minderheit herzustellen. Sie muss daher ein<br />
gesamtstaatliches Anliegen sein und kann sich nicht auf Kulturförderung<br />
beschränken.<br />
Die politische Wende in Deutschland hatte weit reichende Veränderungen zur<br />
Folge: die Menschen sind mobiler geworden und wer gut ausgebildet ist, findet<br />
auch außerhalb der Lausitz Arbeit. So arbeiten sorbische<br />
Sprachwissenschaftler in Konstanz und Berlin, ein sorbischer Arzt in Hamburg,<br />
sorbische Unternehmer in Bayern, um nur einige zu nennen. <strong>Der</strong> Trend, der<br />
Arbeit zu folgen, ist zugleich eine Schwierigkeit für die traditionelle sorbische<br />
community, die beim jährlichen Osterreiten, zu dem sich alle katholischen<br />
Sorben wieder in der Lausitz treffen, nicht aufgewogen werden kann. Die<br />
demographische Entwicklung in Ostdeutschland macht sich bei einer<br />
Minderheit mehrfach bemerkbar. Es gibt schon jetzt Ensembles, wie z. B. das<br />
Sorbische Folklore-Ensemble Schleife, das sein Repertoire danach ausrichten<br />
muss, an welchem Wochentag es spielt und wer da zu Hause ist.<br />
Die Einsicht in die Notwendigkeit und Berechtigung einer den Erfordernissen<br />
entsprechenden Förderung bedarf nicht nur guter Gesetze,<br />
sondern einer kontinuierlichen Information, Bildung und Kontrolle seitens der<br />
Volksgruppe selbst, ob der Sorben oder anderer autochthoner Minderheiten.<br />
10
Dennoch denke ich, dass wir als Domowina gut aufgestellt sind, um nicht nur<br />
im kommenden Jahr unser 100-jähriges Bestehen zu feiern - zu dem ich Sie<br />
schon jetzt herzlich einlade - sondern um auch weiterhin der sorbischen<br />
Zivilgesellschaft Zusammenhalt und Perspektive zu bieten. Wir sind<br />
(Ansprech)Partner für die Vertreter von Bund und Ländern, wenn es um Fragen<br />
des sorbischen Volkes geht, und wir wollen dies auch bleiben – mit den vielen<br />
Ehrenamtlichen im Bundesvorstand, in den Domowina-Regionalverbänden und<br />
-Ortsgruppen sowie Mitgliedsvereinen. Bewährt hat sich auch, und das von<br />
Beginn an, eine kleine Zahl Angestellter, ohne die die Vielzahl der Anfragen<br />
und Aufgaben, die Pflege der vielfältigen Kontakte zu unseren<br />
Mitgliedsverbänden im In- und Ausland und natürlich zu Politikern aller Ebenen<br />
und weiteren Partnern nicht machbar wäre. Aktive Interessenvertretung in<br />
diesem Umfang braucht nicht nur eine anerkannte ehrenamtliche<br />
Repräsentanz, sondern auch das professionelle, hauptamtliche Hinterland. Das<br />
ist in Dänemark nicht anders als in Deutschland.<br />
Zu den Höhepunkten im Jubiläumsjahr gehört die Europeade – die<br />
Fußballeuropameisterschaft der autochthonen, nationalen Minderheiten in<br />
Europa. An den Wettkämpfen, die vom 16. bis zum 24. Juni nächsten Jahres in<br />
der Lausitz stattfinden, nehmen 20 Mannschaften teil, und ich freue mich sehr,<br />
dass auch eine Mannschaft der deutschen Minderheit aus Dänemark dabei<br />
sein wird.<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im vergangenen Jahr gestalteten<br />
Studenten der Berliner Akademie Mode & Design unter dem Namen „sorbisch<br />
modern“ aus Trachten eine moderne Kleiderkollektion. In einem Interview 13 ,<br />
das in der Begleitbroschüre veröffentlicht war, antwortete der sorbische<br />
Schriftsteller Jurij Koch auf die Frage:<br />
„Und wie glauben Sie, sieht es in weiteren 1.400 Jahren aus?“ mit einem Zitat<br />
aus einem seiner Gedichte, das ich hier wiedergeben möchte:<br />
„Sein immer weniger, doch niemals werden nichts“.<br />
Und er fügte hinzu:<br />
13 About. Issue one.Brandenburg und die Sorben. Sommer 2010. Ein Studienprojekt der AMD Akademie Mode<br />
& Design Berlin, S. 59<br />
11
„Keiner weiß, was in 1.400 Jahren sein wird, aber irgendetwas wird<br />
bleiben … Es wird immer kleiner, aber es wird niemals null. Und das ist<br />
es, was mir meine Trübnis aufhellt.“<br />
– Dem ist nichts hinzuzufügen.<br />
12