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Heft 2/2005 - Offene Kirche Württemberg

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OFFENE KIRCHE<br />

Evang. Vereinigung<br />

in Württemberg<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Nr.<br />

2<br />

Juni<br />

<strong>2005</strong><br />

Familie – quo vadis?<br />

Stephanie Salethi<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Wir alle wissen, dass sich Familien<br />

in ihren Formen verändern, dass die<br />

traditionelle Großfamilie die Ausnahme<br />

geworden ist und Familien<br />

heute ganz anderen Bedingungen<br />

und Zwängen unterworfen sind als<br />

noch zu Großmutters Zeiten. Doch<br />

wie sieht der Familienalltag in den<br />

verschiedenen Formen moderner<br />

Familien heute aus? Ist die Familie<br />

noch ein Zukunftsmodell? Was<br />

leisten Familien, woran leiden sie<br />

und was brauchen sie?<br />

In der Arbeit mit Familien zeigt sich der<br />

vielfach beschriebene Wandel von<br />

Familien auf ganz konkreter Ebene.<br />

Auch wenn die Familie mit Mutter,<br />

Vater und Kind oder Kindern noch die<br />

häufigste Form des familiären Zusammenlebens<br />

darstellt, kann man nicht<br />

darüber hinwegsehen, dass der Anteil<br />

der Alleinerziehenden und der Patchworkfamilien<br />

in den letzten Jahren<br />

deutlich gestiegen ist.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Aus dem Inhalt:<br />

○<br />

Familie<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Genozid<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Weltwasserkrise<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Notsituationen<br />

Anita Z., Mutter zweier Kinder im Alter<br />

von 11 und 14 Jahren, zieht ihre Kinder<br />

alleine groß. Die Kinder essen in der<br />

Schule, die Mutter arbeitet als Krankenschwester<br />

in einer Klinik. Zum Vater<br />

haben die Söhne keinen Kontakt,<br />

vermissen ihn auch nicht. Doch was<br />

passiert, wenn Frau Z. krank wird und<br />

in die Klinik muss? Zum Vater wollen<br />

die Kinder nicht, Großeltern sind auch<br />

nicht in der Nähe. Frau Z. hat Glück, sie<br />

wohnt in einem Mehrfamilienhaus und<br />

kann in Notfällen mit nachbarschaftlicher<br />

Unterstützung rechnen. Zusammen<br />

mit dem professionellen Angebot<br />

der Familienpflege kann sie die Notsituation<br />

in diesem Fall überbrücken.<br />

Das Beispiel zeigt aber, dass Familien in<br />

ihrem Wandel auf neue Netzwerke und<br />

Unterstützungssysteme angewiesen<br />

sind.<br />

Frau Susanne A. hat vier Kinder. Drei<br />

Kinder aus erster Ehe, ein Kind mit<br />

ihrem Lebensgefährten, mit dem sie in<br />

nichtehelicher Gemeinschaft zusammenlebt<br />

– eine Patchworkfamilie.<br />

Typisch für diese Familien sind der<br />

häufig große Altersabstand zwischen<br />

den Kindern aus erster Ehe und dem<br />

gemeinsamen Kind der derzeitigen<br />

Lebenspartner. Auch Frau A. wird<br />

krank, das häufig sehr anstrengende<br />

Zusammenleben mit den vier Kindern<br />

geht an ihre Reserven, sie muss zu einer<br />

www.<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong> Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> .de , E -mail: Redaktion@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong> OFFENE KIRCHE .de, Interentredaktion@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong> Seite .de 1


psychosomatischen Kur. Wer soll sich<br />

um die Kinder kümmern? In diesem Fall<br />

springt der Vater der drei Kinder aus<br />

erster Ehe ein. Bald schon zeigt sich<br />

aber, dass er und der neue Lebensgefährte<br />

seiner Frau dies nicht gemeinsam<br />

bewältigen können.<br />

Karin K. ist verheiratet und hat zwei<br />

Kinder im Alter von drei und fünf<br />

Jahren. Ihr Mann ist ganztags berufstätig,<br />

sie versorgt den Haushalt und die<br />

Kinder. Die Großeltern wohnen, wie bei<br />

den meisten Familien heutzutage, weit<br />

weg. Bei Frau K. wird Brustkrebs<br />

diagnostiziert. Zu Beginn der Krankheit<br />

kann sich der Vater vermehrt um die<br />

Kinder kümmern. Da ihn jedoch die<br />

Sorge um seinen Arbeitsplatz umtreibt,<br />

kann er es sich nicht leisten, all zu oft<br />

zu Hause zu bleiben. Auch diese Familie<br />

benötigt Unterstützung, um ihren Alltag<br />

zu meistern.<br />

Drei ganz normale Familien in ganz<br />

normalen Krisen? Jedenfalls keine<br />

Ausnahmen, sondern Situationen, wie<br />

sie in Familien häufig vorkommen.<br />

Familien sind in ihren verschiedenen<br />

Formen heute vielfältigen Risiken<br />

ausgesetzt und müssen neue Formen<br />

des Umgangs mit Krisensituationen<br />

finden. Sie brauchen neue Netzwerke,<br />

wo traditionelle Formen der gegenseitigen<br />

Unterstützung weggebrochen sind.<br />

Großeltern wohnen oft nicht mehr um<br />

die Ecke oder sind nicht mehr bereit,<br />

einen Großteil Ihrer Zeit der Betreuung<br />

der Enkel zu widmen. Paarbeziehungen<br />

werden brüchiger. Über 200 000 Paare<br />

lassen sich in Deutschland jedes Jahr<br />

scheiden. Viele Familien müssen<br />

häufiger den Wohnort wechseln, da von<br />

den ArbeitnehmerInnen Mobilität<br />

erwartet wird. Nachbarschaftliche<br />

Beziehungen haben nicht mehr dieselbe<br />

Tragfähigkeit wie früher. Insbesondere<br />

in der Anonymität einer Großstadt<br />

bleiben Notsituationen, in die Familien<br />

geraten können, häufig unerkannt.<br />

Chancen der Patchworkfamilie<br />

Im Spiegel all dieser Entwicklungen<br />

stellt sich die Frage, was Familie heute<br />

ist und wie wir Familien bei der Bewältigung<br />

ihrer Lebensschwierigkeiten<br />

unterstützen können. Kinder wachsen<br />

in den unterschiedlichsten Formen des<br />

Editorial<br />

Liebe Leserin,<br />

lieber Leser,<br />

◆ bei der Sommersynode wird das Thema<br />

„Zukunftsmodell Familie“ behandelt. Dazu<br />

haben wir Fachfrauen befragt, aber auch<br />

festgestellt, dass sich schon die VikarInnen<br />

1969 mit der „Eheproblematik“ herumgeschlagen<br />

haben. Nun sind wir gespannt, was<br />

die Synode dazu beitragen wird, dass es<br />

Familien – in welcher Form auch immer – in<br />

Zukunft besser geht. Es sollten auch<br />

Fachmänner mitdiskutieren! Am besten<br />

Menschen, die in den Gemeinden für<br />

Familien da sind oder Angebote vermissen.<br />

Und was ist mit Alleinlebenden? Fast die<br />

Hälfte unserer Gesellschaft? Ich bin gespannt,<br />

ob das auch einmal ein Synodenthema<br />

wird.<br />

◆ Diesmal müssen wir einiges in eigener<br />

Sache loswerden. Erstens: Unsere Homepage<br />

wurde runderneuert. Wer Internet hat,<br />

möge dies unter www.<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

begutachten. Pressemitteilungen sind da<br />

ebenso zu finden wie Vorträge, die anlässlich<br />

der Mitgliederversammlungen oder der<br />

AMOS-Preis-Verleihungen gehalten wurden.<br />

Auch OK-<strong>Heft</strong>e kann man nachlesen, zum<br />

Beispiel den Artikel über den <strong>Kirche</strong>nkreis<br />

Stuttgart, der durch ein technisches Versehen<br />

verunglückt war (worum wir Dekan<br />

Ehrlich um Verzeihung bitten). Natürlich<br />

sind Veranstaltungen angekündigt, sofern<br />

wir davon erfahren. Also, schauen Sie nach –<br />

auch ob Ihre Adresse stimmt – und tragen<br />

Sie sich ein, wenn Sie den elektronischen<br />

Newsletter erhalten möchten. Schreiben Sie<br />

uns bitte unter Internetredaktion@<strong>Offene</strong>-<br />

<strong>Kirche</strong>.de.<br />

◆ Zweitens: Auch wir müssen sparen. Unser<br />

Geschäftsführer und Finanzminister Reiner<br />

Stoll-Wähling hat herausgefunden, dass sich<br />

das Porto halbiert, wenn wir das OK-<strong>Heft</strong><br />

exakt in jedem Quartal versenden. Das ist<br />

ein Argument, bedeutet aber, dass wir <strong>Heft</strong> 3<br />

vor den Sommerferien fertig haben müssen,<br />

damit es im September herauskommen<br />

kann. Das ist wichtig für AutorInnen!<br />

◆ Und nochmal Finanzen: Große, dicke<br />

Bitte an alle, ihren Mitgliedsbeitrag zu<br />

überweisen – sofern noch nicht geschehen –<br />

und evtl. eine AMOS-Preis-Spende springen<br />

zu lassen. Letztere muss auf dem Überweisungsträger<br />

als solche gekennzeichnet<br />

sein. Die Kontonummern finden Sie auf der<br />

Rückseite.<br />

Aus unserer Redaktion hat sich Gerlinde<br />

Maier-Lamparter verabschiedet, die dem<br />

Team seit 1991 angehörte und dank ihrer<br />

Personenkenntnisse immer gute Tipps geben<br />

konnte. Wir wünschen Ihr alles Gute und<br />

uns eine/n neue/n RedakteurIn.<br />

Ihnen erholsame Ferien und viele neue<br />

Eindrücke – auch aus unserem <strong>Heft</strong>!<br />

Ihre Renate Lück<br />

Inhalt<br />

Familie<br />

Quo vadis?<br />

....................................... Seite 1<br />

Von Wunschbild und Wirklichkeit<br />

....................................... Seite 3<br />

Genozid<br />

Die Armenier<br />

....................................... Seite 5<br />

Assyrer und Aramäer<br />

....................................... Seite 7<br />

Sonderpfarrämter<br />

Kirchliche Arbeit in der Polizei<br />

....................................... Seite 9<br />

Globalisierung<br />

Wasserprivatisierung .....................................Seite 11<br />

<strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />

Esslinger Erklärung von 1969<br />

.....................................Seite 13<br />

Christoph Blumhardt d.Ä.<br />

.....................................Seite 15<br />

OFFENE KIRCHE<br />

.....................................Seite 18<br />

Buchbesprechungen Leserbriefe<br />

.....................................Seite 21<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Seite 2 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Zusammenlebens mit Erwachsenen und<br />

anderen Kindern auf. Jede siebte<br />

Familie, so Schätzungen, lebt heute als<br />

Patchworkfamilie. Dabei unterscheiden<br />

sich diese Familien sehr in ihrer Größe,<br />

in ihrer Form sowie in der Art des<br />

Zusammenlebens. Gemeinsam ist allen,<br />

dass sie sich neu zusammenfinden<br />

müssen und wichtige Fragen des<br />

Zusammenlebens geklärt werden<br />

müssen. Akzeptieren meine Kinder<br />

meinen neuen Partner? Wo verbringen<br />

die Kinder Ostern oder Weihnachten?<br />

Wie sind die Besuchszeiten geregelt?<br />

Gleichzeitig bieten gerade Patchworkfamilien<br />

häufig auch neue Chancen.<br />

Plötzlich bekommt das Einzelkind<br />

Geschwister, die Mutter oder der Vater<br />

einen neuen Partner. Kinder wachsen in<br />

neuen Formen des Zusammenlebens mit<br />

all ihren Kompliziertheiten und Schattenseiten<br />

auf und lernen damit umzugehen.<br />

Letztendlich geht es darum, diese<br />

Formen des Zusammenlebens nicht nur<br />

kritisch zu beäugen, sondern auch die<br />

Chancen und Potenziale zu erkennen,<br />

die in Veränderungen liegen. Nur mit<br />

diesem Blickwinkel kann die Familie ein<br />

Zukunftsmodell sein, denn vom Mythos<br />

der heilen Familie, im Sinn einer<br />

traditionellen Familie, werden wir uns<br />

über kurz oder lang verabschieden<br />

müssen. Der gesellschaftliche Wandel<br />

bringt unweigerlich einen Wandel der<br />

Beziehungen mit sich, das Zusammenleben<br />

ist vielfach komplizierter und<br />

schwieriger geworden.<br />

Bei aller Veränderung bleibt aber die<br />

Tatsache, dass Eltern die Verantwortung<br />

für ihre Kinder tragen, für welche Form<br />

des Zusammenlebens sie sich auch<br />

entscheiden. Vielleicht sollte man<br />

„Familie“ zukünftig nicht mehr über die<br />

Vollständigkeit der im Haushalt lebenden<br />

Familienmitglieder definieren,<br />

sondern über Verantwortung für Kinder,<br />

der Eltern in den verschiedensten<br />

Formen versuchen gerecht zu werden.<br />

Die Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit<br />

und Angenommensein ändert sich<br />

bei allem äußeren und inneren Wandel<br />

nicht. Wo diese Sehnsucht ein Zuhause<br />

findet, dort ist Familie, in welcher Form<br />

auch immer.<br />

Dr. Stephanie Saleth ist Ausschussmitglied<br />

der Evangelischen Hausund<br />

Familienpflege, Delegierte der<br />

Frauenarbeit der Evangelischen<br />

Landeskirche und Mutter zweier<br />

Kinder im Alter von fünf und neun<br />

Jahren.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Familie – vom idealen Wunschbild<br />

und der riskanten Wirklichkeit<br />

Familie – Problemzone der Erziehung?<br />

Die Familie ist in der Krise, und mit ihr<br />

die Erziehung. Schuld daran, so die<br />

öffentliche Meinung, seien in der Regel<br />

die Eltern, denn Erziehung ist nun<br />

einmal Privatsache. Aber der öffentlichen<br />

Krisendebatte vom Verfall der<br />

Familie stehen auch andere Meinungen<br />

gegenüber. Entgegen allen anders<br />

lautenden Behauptungen ist die Familie<br />

immer noch die dominierende Lebensform.<br />

In Westdeutschland lebten im Jahr<br />

2000 rund 80 Prozent aller Kinder unter<br />

18 Jahren bei ihren miteinander verheirateten<br />

Eltern. In Ostdeutschland waren<br />

es 69 Prozent . Auch in der subjektiven<br />

Einschätzung von Jugendlichen steht<br />

Familie hoch im Kurs. Misst man die<br />

Wertschätzung des Familienlebens an<br />

der Zustimmung zur eigenen Erziehung,<br />

zeigt sich eine hohe Übereinstimmung<br />

zwischen Eltern und Kindern. Etwa 75<br />

Prozent der befragten Kinder und<br />

Jugendlichen würden ihre eigenen<br />

Kinder später ähnlich erziehen wie sie<br />

selbst erzogen worden sind. Noch nie<br />

seit den 70er Jahren war die Übereinstimmung<br />

zwischen Eltern und Kindern<br />

so ausgeprägt wie heute. Also kein<br />

Anlass zur Aufregung?<br />

Familie – ein uneindeutiger Begriff?<br />

Was ist eigentlich eine Familie? Im<br />

Allgemeinen meint man dabei die so<br />

genannte Kern- oder Kleinfamilie von<br />

Eltern und Kindern. Diese Vorstellung<br />

hat eine Entstehungsgeschichte. Sie<br />

reicht zurück in die zweite Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts, in die beginnende<br />

Industrialisierung und die Durchsetzung<br />

der Klassengesellschaft. Unser heutiges<br />

Familienmodell entstand mit dem<br />

Bürgertum. Sein Kennzeichen war die<br />

Trennung von Beruf und Zuhause,<br />

öffentlich und privat. Die männliche<br />

Arbeit war Erwerbsarbeit in einer<br />

arbeitsteiligen und funktional organisierten<br />

Öffentlichkeit, während die Frauen<br />

für Haushalt und Kinder im privaten<br />

Wohnraum zuständig waren. Kapital des<br />

Bürgertums war seine Bildung. Bildung<br />

war Statussicherung in einer sich<br />

wandelnden Gesellschaft für eine Klasse<br />

ohne Besitz oder politische Macht.<br />

Ursula Pfeifferi<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Deshalb erhielten Kindheit, Erziehung<br />

und Unterricht einen besonderen<br />

Stellenwert. Prototypisches Beispiel für<br />

diese Familienform waren die evangelischen<br />

Pfarrhäuser des 19. Jahrhunderts.<br />

Zurück zur Frage nach der Familie<br />

heute. In der Wissenschaft gibt es keine<br />

„richtige“ Definition von Familie.<br />

Trotzdem gibt es Merkmale, mit denen<br />

Familien beschrieben werden können,<br />

etwa so: als überschaubare Gruppe von<br />

mindestens zwei Generationen, die<br />

dauerhaft, nah und intim zusammenlebt<br />

und die eine Umwelt bildet, in der die<br />

jüngere Generation sich entwickeln und<br />

in die Gesellschaft hineinwachsen kann.<br />

Neu ist, dass heute aufgrund der<br />

gestiegenen Lebenserwartung in der<br />

Regel drei, oft vier, manchmal sogar fünf<br />

Familiengenerationen gleichzeitig leben.<br />

Das gab es bisher noch nie.<br />

Familie – riskante Balance zwischen<br />

den Widersprüchen der Gesellschaft<br />

Die Kulturgeschichte zeigt, dass es<br />

generationsübergreifende Formen des<br />

Zusammenlebens schon immer gab. In<br />

Untersuchungen wurden Männer und<br />

Frauen, die in Familien oder familienähnlichen<br />

Lebensgemeinschaften lebten,<br />

nach den „Familienbildern“ gefragt, an<br />

denen sie sich selber orientieren. Bei<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 3


vielen prägt noch immer das alte<br />

Bild der um den Tisch versammelten<br />

Familie ihre Vorstellung, also ein<br />

Bild für Geborgenheit, Gemütlichkeit,<br />

Gemeinschaft und Solidarität,<br />

Harmonie und Frieden. Für nicht<br />

wenige Menschen ist das bis heute<br />

das archetypische Familienbild. Diese<br />

Bilder entstammen vielfach<br />

keineswegs der Lebenswirklichkeit<br />

der eigenen Familien oder früheren<br />

Erfahrungen. Oft stehen sie für<br />

Wünsche und Phantasien, auch<br />

für explizite Gegenbilder zur eigenen<br />

Erfahrung. Diese Idealvorstellung von<br />

Familie droht uns heute zu überfordern.<br />

Aus einem Leitbild kann dann ein<br />

Leidbild werden.<br />

Familie: Kindzentriert oder –<br />

dezentriert?<br />

Zwei gegenläufige Trends bestimmen<br />

heute das Leben von Heranwachsenden:<br />

einerseits sind sie der Mittelpunkt ihrer<br />

Familie und der Gesellschaft, andererseits<br />

sind sie im Weg, stören sie den<br />

Trend zur Mobilität und Unabhängigkeit.<br />

Die erstgenannte Entwicklung kam<br />

mit der bürgerlichen Familie und<br />

brachte die bürgerliche Kindheit. Wie im<br />

Zuge von Aufklärung und Idealismus<br />

vieles besser werden sollte, so auch die<br />

Kindheit. Kinder rückten in den Mittelpunkt<br />

der Familie. Heute beteiligen sich<br />

neben der Familie noch viele andere<br />

Spezialisten, Erzieher, Psychologen,<br />

Lehrer, Ärzte, Wissenschaftler, Mediziner,<br />

Trainer, Elternbildner, Ratgeberautoren<br />

und Medienprogrammgestalter<br />

an der möglichst optimalen Entwicklung<br />

von Kindern und Jugendlichen. Ihren<br />

Höhepunkt findet diese Entwicklung<br />

derzeit in der Reproduktionsmedizin.<br />

Die ungeteilte Aufmerksamkeit der<br />

Eltern auf das eine „Projekt“ Kind<br />

beginnt mit dem richtigen Zeitpunkt für<br />

sein erwünschtes Erscheinen. Seine<br />

Lebenschancen steigen aus Sicht junger<br />

Eltern dann, wenn sie nicht geteilt<br />

werden müssen, mit Geschwistern zum<br />

Beispiel, alles andere erscheint „verantwortungslos“<br />

in den Augen vieler Eltern<br />

heute.<br />

Es gibt aber auch das Gegenteil: Kinder<br />

werden aus dem Mittelpunkt der<br />

Familie verdrängt. Der wird zum<br />

Umschlagplatz unterschiedlichster<br />

Interessen, über die verhandelt und für<br />

die gekämpft werden muss. Immer<br />

mehr Kinder machen die Erfahrung,<br />

dass sie auch am Rande der Gesellschaft<br />

stehen. Ihre Familien leben in Armut,<br />

bedingt durch Arbeitslosigkeit, Krankheit<br />

oder Kinderreichtum. Rund eine<br />

Million Kinder unter 18 Jahren sind<br />

Sozialhilfeempfänger. Sie können<br />

finanziell nicht mithalten, das beeinflusst<br />

ihre Sozialbeziehungen und ihren<br />

zukünftigen Platz in der Gesellschaft.<br />

Wen wundert es, dass es immer weniger<br />

Kinder gibt? Und wie wird die alternde<br />

Gesellschaft mit der Minderheit ihrer<br />

Kinder und Jugendlichen<br />

umgehen? Der Preis kostbarer<br />

und knapper Güter ist bekanntlich<br />

hoch, das ist eine alte<br />

Erfahrung.<br />

Familie: Keimzelle oder<br />

Krisenherd der Gesellschaft?<br />

Die Familie soll „Keimzelle“<br />

der Gesellschaft sein, sie soll<br />

das leisten, was wir die<br />

Sozialisation in die Gesellschaft<br />

nennen. Aber ihr Ziel ist nicht<br />

ihr Weg. Das Leben in der<br />

Familie folgt anderen Spielregeln<br />

als das gesellschaftliche<br />

Leben. Dort, in der Familie,<br />

stehen die Beziehungen, das<br />

Zusammenleben und die<br />

Individualität der Mitglieder,<br />

die räumliche und emotionale<br />

Nähe, die gegenseitige Solidarität<br />

im Vordergrund. In der<br />

modernen Gesellschaft oder in<br />

der Schule dagegen geht es um eine<br />

spezielle Sache oder um bestimmte<br />

Ziele, um begrenzte Zusammenarbeit,<br />

zeitlich und der Sache nach, um Distanz<br />

zum Persönlichen und Individuellen,<br />

um Leistung und Konkurrenz im<br />

Wettbewerb, um begrenzte Positionen<br />

und Gratifikationen. Vergleicht man<br />

beides, erscheint die Familie mit ihren<br />

Strukturen nicht in die Gesellschaft zu<br />

passen, sie wirkt wie eine zurückgebliebene<br />

vormoderne Lebensform. Kein<br />

Wunder also, dass von der Krise der<br />

Familie heute so oft die Rede ist. Dabei<br />

werden Zweifel laut, ob sie den gesellschaftlichen<br />

Erwartungen an ihre<br />

Erziehungsleistung zur Vorbereitung<br />

auf das spätere Leben in der<br />

Gesellschaft im gewünschten<br />

Umfang noch nachkommt. Aber<br />

das ist nur die eine Seite. Auf eine<br />

andere will ich am Schluss noch<br />

hinweisen. Adorno hat das, was ich<br />

meine, so ausgedrückt: „manchmal<br />

will es scheinen, als wäre die<br />

unselige Keimzelle der Gesellschaft,<br />

die Familie, zugleich auch<br />

die hegende Keimzelle des kompromisslosen<br />

Willens zur anderen. Mit<br />

der Familie zerging der Widerstand, der<br />

das Individuum zwar unterdrückte, aber<br />

auch stärkte, wenn nicht gar hervorbrachte.<br />

Das Ende der Familie lähmt die<br />

Gegenkräfte.“ Nicht um Anpassung also,<br />

sondern um Widerstand geht es hier,<br />

um einen Widerstand, der Ausdruck<br />

eigener Urteilsfähigkeit ist. Und diese, so<br />

Adorno, lernt man eben nur da, wo es<br />

Gegensätze gibt, an denen ein eigenes<br />

Urteil entstehen kann, zum Beispiel in<br />

einer Familie, in der nicht alles glatt<br />

geht. Dass diese Urteilsfähigkeit sich<br />

dann auch als Gegenkraft gegen gesellschaftliche<br />

Zustände artikulieren kann,<br />

das war nach Auschwitz für Adorno<br />

eine überlebenswichtige Funktion der<br />

Familie für die Gesellschaft. Brauchen<br />

wir das heute nicht mehr?<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Die OK-Synodale Dr. Ursula Pfeiffer<br />

ist Professorin an der Pädagogischen<br />

Hochschule Weingarten.<br />

Seite 4 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Genozid<br />

Die Armenier<br />

Hagop-Jan Avedikjan und Benjamin Aynali<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Herkunft<br />

Die Armenier besitzen eine dreitausendjährige<br />

Geschichte. Über ihre Herkunft<br />

gibt es verschiedene wissenschaftliche<br />

und mythologische Aussagen. Die Bibel<br />

sieht in den Armeniern Nachfahren<br />

Noahs, der ja mit seiner Arche am<br />

heiligen Berg der Armenier, am Ararat<br />

landete. Die Armenier selbst sehen es<br />

anders: Ihre ältesten Überlieferungen<br />

berichten von einem Stammvater Hajk,<br />

der auf der Flucht vor dem Tyrannen Bel<br />

aus Mesopotamien in das armenische<br />

Hochland gelangte. Nach dem Stammvater<br />

„Hajk“ nennen sich die Armenier<br />

„Hay“ und ihr Land „Hayastan“ (deshalb<br />

heißt unser Vereinsheim in Salach<br />

„HAY-DUN“ = Haus der Armenier). Die<br />

wissenschaftlichen Theorien besagen:<br />

Die Armenier, wie wir sie heute kennen,<br />

setzen sich aus unterschiedlichen<br />

Völkergruppen zusammen. Das wichtigste<br />

Element bildeten die Urartäer, ein<br />

im Hochland von Armenien ansässiges<br />

Volk, das seine politische und kulturelle<br />

Blüte im 7. bis 9. Jahrhundert v. Chr.<br />

erreichte. Ihr Name lebt u.a. im Wort<br />

„Ararat“ („Ararat“ bedeutet im Assyrischen<br />

„Urartu“) fort, zu dem die<br />

Armenier dagegen „Massis“ sagen. Das<br />

Zentrum des Urartäischen Reiches<br />

befand sich am Wan-See in der heutigen<br />

Ost-Türkei, wo man noch die eindrucksvollen<br />

Befestigungsanlagen und kunstvollen<br />

Bewässerungskanäle, die Ruinen<br />

ihrer Paläste und Burgen der ehemaligen<br />

Urartäer-Metropole Tuschpa sehen<br />

kann. Die zweite wichtige, an der<br />

Bildung des armenischen Volkes<br />

beteiligte Gruppe sind Indoeuropäer, die<br />

vermutlich ab dem 8. Jahrhundert v. Chr.<br />

von der Balkanhalbinsel nach Kleinasien<br />

einwanderten. Diese Indoeuropäer<br />

vermischten sich mit den Urartäern,<br />

wobei sie deren Kultur und Elemente<br />

der Sprache übernahmen. Das Dritte<br />

sind Einflüsse der kaukasischen Sprachen<br />

und Kulturen.<br />

Die armenische Schrift und Sprache<br />

Bis Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr.<br />

hatten die Armenier kein eigenes<br />

Alphabet. Sie benutzten die griechische,<br />

syrische und persische Schrift je nachdem,<br />

wer das Land beherrschte. Als<br />

Armenien im Jahre 387 durch einen<br />

Friedensvertrag zwischen Kaiser<br />

Theodosius und dem Perserkönig<br />

Schapur III. aufgeteilt wurde, galt<br />

in Westarmenien Griechisch als<br />

Hof- und <strong>Kirche</strong>nsprache und in<br />

Ostarmenien Persisch als Hof- und<br />

Syrisch als <strong>Kirche</strong>nsprache.<br />

Der königliche Sekretär Mesrop Maschtots,<br />

berühmt für seine Kenntnisse der<br />

griechischen, persischen und syrischen<br />

Sprache, vollendete nach achtjähriger<br />

Arbeit aufgrund des phönizischen<br />

Alphabets das armenische Alphabet mit<br />

36 Buchstaben (heute sind es 38). Das<br />

war im Jahre 406. Im Jahre 434 beendete<br />

Maschtots seine Übersetzung der<br />

gesamten Bibel. Damit wurde das<br />

Armenische nicht nur Volks- sondern<br />

auch Schrift- und <strong>Kirche</strong>nsprache. (410<br />

schuf M. Maschtots für die Georgier,<br />

423 für die kaukasischen Albaner ein<br />

eigenes Alphabet.) Mit Hilfe der Schrift<br />

vollzog sich eine stürmische Entwicklung<br />

der armenischen Literatur, so dass<br />

die erste Hälfte des 5. Jh. das Goldene<br />

Zeitalter der armenischen Literatur<br />

genannt wird.<br />

Altarmenisch, Grabar genannt, ist noch<br />

heute die <strong>Kirche</strong>nsprache in der Armenisch<br />

Apostolischen <strong>Kirche</strong>. Mittelarmenisch<br />

(11. bis 15. Jh) diente als<br />

Kanzlei- und Umgangssprache am Hofe<br />

des armenischen Königreiches Kilikien.<br />

Die Neuarmenische Sprache entwickelte<br />

sich in Ost- und Westarmenisch. Das<br />

Ostarmenische ist heute die offizielle<br />

Regierungs-, Universitäts- und Umgangssprache<br />

in der Armenischen Republik.<br />

An die fünf Millionen Menschen<br />

sprechen heute Ostarmenisch. Die aus<br />

der Türkei vertriebenen Armenier und<br />

ihre Nachkommen sprechen heute in<br />

der Diaspora Westarmenisch, wobei die<br />

<strong>Kirche</strong>n, Schulen und die Presse<br />

wirksame Hilfen zur Erhaltung der<br />

Sprache leisten. Gut drei Millionen<br />

Menschen sprechen Westarmenisch.<br />

Die Armenische <strong>Kirche</strong><br />

Das Christentum wurde schon sehr früh<br />

in Armenien verbreitet. Die Armenische<br />

<strong>Kirche</strong> führt ihren Ursprung auf die<br />

Apostel Bartholomäus und Thaddäus<br />

(vgl. Matth. 10.3) zurück, die um 50 bis<br />

60. n. Chr. als Prediger nach Armenien<br />

Hagop-Jan Avedikjan (links) und Benjamin Aynal<br />

kamen und dort den Märtyrertod<br />

fanden. Auf das Wirken der Apostel<br />

Christi bezieht sich die Armenische<br />

<strong>Kirche</strong> in ihrer offiziellen Bezeichnung<br />

als „Armenisch-Apostolisch Orthodoxe<br />

<strong>Kirche</strong>“. Historisch nur wenig fassbar ist<br />

die Person Gregor des Erleuchters<br />

(Krikor Lusaworitsch). Er kam als<br />

Missionar nach Armenien. Dabei stieß<br />

er auf den entschiedenen Widerstand<br />

des armenischen Königes Tridates III.<br />

Der Überlieferung nach wurde Gregor<br />

arrestiert und nach 13-jähriger Einkerkerung<br />

aus dem Gefängnis befreit.<br />

Danach soll er König Tridates III. von<br />

einer unheilbaren Krankheit geheilt<br />

haben. Daraufhin bekehrte sich der<br />

König und ließ seine Herrscherfamilie<br />

sowie alle seine Untertanen taufen. Im<br />

Jahre 301 erklärte er das Christentum<br />

zur Staatsreligion Armeniens. Die<br />

Armenier sind daher das Volk mit der<br />

ältesten christlichen Staatskirche der<br />

Welt, denn im Römischen Imperium<br />

wurde das Christentum erst im Jahre<br />

311, mithin zehn Jahre später, durch<br />

Kaiser Konstantin (280 – 337) zur<br />

„allein berechtigten Religion im Reich“<br />

erhoben.<br />

Die armenische <strong>Kirche</strong> anerkennt die<br />

Beschlüsse der Ökumenischen Konzile<br />

von Nizäa (325), von Konstantinopel<br />

(381) und von Ephesus (431). Das<br />

Dogma des vierten Konzils, das 451 in<br />

Chalcedon abgehalten wurde, wonach<br />

Christus zwei Naturen besessen habe,<br />

nämlich eine menschliche und eine<br />

göttliche, wurde von der Armenischen<br />

<strong>Kirche</strong> nicht anerkannt. Bis heute hält<br />

sie an der Einnaturlehre fest. Sie bildet<br />

auch dogmatisch eine selbständige<br />

<strong>Kirche</strong> innerhalb des orthodoxen<br />

Flügels. Nachdem die Armenische<br />

<strong>Kirche</strong> ihre Unabhängigkeit erklärt hatte,<br />

entwickelte sie ihre eigene Tradition. Sie<br />

anerkennt weder den Papst noch den<br />

ökumenischen Patriarchen, sondern nur<br />

den Katholikos, das Oberhaupt der<br />

Armenischen <strong>Kirche</strong>, als die oberste<br />

Instanz. Der Sitz des Katholikos änderte<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 5


sich mit der jeweiligen politischen Lage.<br />

Lange war der Amtssitz auf der Insel<br />

Akhtamar im Wan-See. Als in Kilikien<br />

ein neues armenisches Königreich<br />

gegründet wurde, verlegte man das<br />

Katholikosamt nach Kilikien in die<br />

Hauptstadt Sis. Es gab aber auch Zeiten,<br />

wo sich verschiedene Katholikosate<br />

gegenüberstanden und den Rechtsanspruch<br />

streitig machten. Im Jahre 1441<br />

wurde Etschmiadsin (heute in Armenien)<br />

endgültig zum Hauptsitz des<br />

Katholikos gewählt und ist es bis heute<br />

geblieben. Im Jahre 1924 sah sich der<br />

greise Katholikos Sahak von Sis gezwungen<br />

auszuwandern, da die Armenier<br />

während des Ersten Weltkrieges in der<br />

Türkei fast ganz ausgerottet worden<br />

waren. Heute besteht in Antilias nahe<br />

der Stadt Beirut ein Katolikosat, das<br />

auch ein großes Priesterseminar betreibt.<br />

Geschichte<br />

Einen tiefen Einschnitt in seiner Geschichte<br />

erlebte Armenien im 7. Jahrhundert<br />

durch die Entstehung des Islam,<br />

bei dessen rascher Ausbreitung im<br />

vorderen Orient arabische Stämme bald<br />

auch nach Armenien gelangten. Von<br />

Osten her drangen im 11. Jahrhundert<br />

die Seldschuken nach Armenien ein und<br />

überfielen u. a. seine berühmte Hauptstadt<br />

Ani. Mitte des 11. Jahrhunderts<br />

wurde das armenische Volk aus seinem<br />

Stammland vertrieben und wanderte<br />

nach Kilikien aus (heutige Südtürkei).<br />

Armenien war für das Abendland immer<br />

das christliche Bollwerk gegen den<br />

Islam. Im Mittelalter leistete das Fürstentum<br />

Kilikien den europäischen Kreuzzüglern<br />

wirksame Unterstützung. Als<br />

Dank wurde das Fürstentum durch<br />

Kaiser Heinrich Vl. und Segen des<br />

Papstes Celestin III. zum armenischen<br />

Königreich erhoben. Es leistete allem<br />

Bedrängen erfolgreich Widerstand, bis es<br />

1375 unter dem Ansturm der islamischen<br />

Mamelucken endgültig zusammenbrach.<br />

Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts<br />

fügte dem armenischen Volk<br />

und seiner <strong>Kirche</strong> schwere Verluste zu.<br />

Zwar wurde nach der Aufteilung Ost-<br />

Armeniens zwischen den Persern und<br />

dem zaristischen Russland im östlichen<br />

Landesteil eine sog. Polejenie (1836)<br />

erlassen und für die im Osmanischen<br />

Reich lebenden orthodoxen Armenier<br />

ebenfalls die Anerkennung als eigene<br />

„Nation“ („Millet“ im damaligen<br />

osmanischen Sinne eine Art religiöskonfessionelle<br />

Volksgruppe) im Jahre<br />

1863 erreicht. Jedoch verhinderte dies<br />

nicht die Massaker, die von Sultan<br />

Abdul-Hamit II. 1894 bis 1896 aus<br />

religiösen Gründen veranlasst wurden.<br />

Während dieser Massaker kamen<br />

300.000 Armenier ums Leben. Vielleicht<br />

das schrecklichste war das<br />

Massaker in Urfa am 28./29. Dezember<br />

1895. Etwa 3.000 armenische Männer,<br />

Frauen und Kinder hatten in der<br />

Kathedrale Zuflucht gesucht, in die<br />

jedoch Soldaten eindrangen. Nachdem<br />

die Türken viele unbewaffnete Opfer<br />

niedergeschossen hatten, trugen sie<br />

Stroh herbei, begossen es mit Petroleum<br />

und setzten es in Brand. Konsul Fitzmaurice<br />

schrieb später darüber: „Die<br />

Pfeiler der Empore und das Holzgebälk<br />

standen sofort in Flammen, worauf die<br />

Türken die Treppe zur Empore mit<br />

ähnlichem brennbaren Material blockierten.<br />

Sie ließen die um ihr Leben ringende<br />

Menschenmenge ein Opfer der<br />

Flammen werden. Mehrere Stunden<br />

lang durchzog der Geruch brennenden<br />

Fleisches die Stadt“. 1909 fanden<br />

weitere Massaker in Kilikien statt, vor<br />

allem in der Stadt Adana; hier wurden<br />

30.000 Armenier bestialisch getötet.<br />

Die größte Katastrophe brach während<br />

des ersten Weltkrieges aus. Das jungtürkische<br />

Regime unter dem Triumvirat<br />

von Enver-, Talat- und Djemal-Pascha<br />

verübte aus nationalistischen Motiven<br />

den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts,<br />

wobei 1915/1916 1,5 Millionen<br />

Armenier durch Mord und brutale<br />

Deportationen („Todesmärsche“) ums<br />

Leben kamen. Ihr Hab und Gut, Grund<br />

und Boden wurden beschlagnahmt, die<br />

armenischen <strong>Kirche</strong>n und Schulen<br />

zerstört. Es bedeutete Zwangsislamisierung,<br />

Vergewaltigung armenischer<br />

Frauen, Zerstreuung der Armenier auf<br />

der ganzen Welt.<br />

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges,<br />

am 28. Mai 1918, wurde die Armenische<br />

Republik ausgerufen. Jedoch hatte<br />

diese Republik in Trans-Kaukasien ein<br />

sehr kurzes Leben: Am 29. November<br />

1920 marschierte die Rote Armee ein<br />

und Armenien wurde sowjetisiert. Diese<br />

kleinste Republik der Sowjet-Union<br />

wurde kurz vor Ende der UdSSR, am<br />

21. September 1991, durch Volksentscheid<br />

wieder unabhängig. Das armenische<br />

Gebiet von „Berg-Karabach“, das<br />

Anfang der zwanziger Jahre von Stalin<br />

an die Aserbaidschanische Sowjet-<br />

Republik angegliedert wurde, ist zwar<br />

seitens der Karabach-Armenier befreit<br />

worden, aber die Frage des Berg-<br />

Karabach ist bis heute noch nicht gelöst.<br />

Armenische Gemeinde e.V. Baden-<br />

Württemberg<br />

Durch Verfolgung, Vertreibung und<br />

Massenvernichtung um die Jahrhundertwende<br />

wurde unser Volk in die ganze<br />

Welt verstreut. Viele Armenier haben in<br />

zahlreichen europäischen Ländern, u. a.<br />

auch Deutschland bzw. Baden-Württemberg,<br />

eine neue Heimat gefunden.<br />

Unsere Gemeindemitglieder sind<br />

zumeist aus der Türkei stammende<br />

armenische Volksangehörige, die in den<br />

60er und 70er Jahren als Gastarbeiter,<br />

vor allem als Handwerker und Akademiker,<br />

nach Deutschland kamen. In Baden-<br />

Württemberg leben etwa 4.500 Armenier,<br />

die sich längst etabliert haben und<br />

deutsche Staatsangehörige sind. Als<br />

Christen fühlen wir uns in Deutschland<br />

sicher und sehr wohl. „Wenn drei<br />

Armenier zusammen sind, dann gründen<br />

sie erst eine <strong>Kirche</strong>, dann eine<br />

Schule und danach eine Zeitung“, heißt<br />

ein armenisches Sprichwort. Obwohl<br />

das nicht in dieser Reihenfolge geschah,<br />

gründeten wir 1974 zuerst mit ein paar<br />

Freunden in Göppingen einen Verein.<br />

Der damalige Kreisverein betreut heute<br />

alle in Baden-Württemberg und West-<br />

Bayern lebenden Armenier. 1983 haben<br />

wir in Göppingen-Bartenbach die erste<br />

Armenische <strong>Kirche</strong> in Deutschland<br />

einweihen können. Die Evangelische<br />

Gemeinde Bartenbach hat uns hierfür<br />

dankenswerterweise ihre alte St. Otmar-<br />

<strong>Kirche</strong> überlassen. In unserer Surp-<br />

Khatsch-<strong>Kirche</strong> (Heilige-Kreuz-<strong>Kirche</strong>)<br />

finden jeden Monat zweimal Gottesdienste<br />

statt.<br />

Da unser Verein ein großes Einzugsgebiet<br />

hat und wir kein eigenes Vereinsheim<br />

besaßen, waren wir gezwungen,<br />

uns an verschiedenen Orten meistens in<br />

Gaststätten zu treffen. Gott sei Dank<br />

haben wir im Februar 1998 in Salach-<br />

Bärenbach von der Gemeinde Salach das<br />

ehemalige Schützenhaus erwerben<br />

können. Hier werden unsere armenischen<br />

Bräuche aufrechterhalten (Muttersprache,<br />

Volkstänze, Volks- und Kinderlieder).<br />

Außerdem betreuen wir in<br />

unserem Vereinsheim sozial Schwache,<br />

Kranke, Rentner, ältere und alleinstehende<br />

Menschen sowie Jugendliche.<br />

Wir wollen in diesem Land nicht nur<br />

Gast bleiben, sondern in diesem Gebäude<br />

auch für unsere deutschen Freunde<br />

Gastgeber sein.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Avedikjan ist Gründer und jetziger Ehrenpräsident<br />

der Armenischen Gemeinde<br />

e.V. Baden-Württemberg, Aynal ist Erster<br />

Vorsitzender der Gemeinde<br />

Seite 6 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


24. April 1915 – ein Trauma auch<br />

für Assyrer und Aramäer<br />

Anerkennung als „Völkermord“<br />

Bei den Assyrern spricht man von<br />

„Shato d’ sheifo“, vom „Jahr des<br />

Schwertes“ und jeder Assyrer weiß, dass<br />

es sich hier sich um die Vernichtung<br />

seines Volkes 1915 handelt. Die Öffentlichkeit<br />

bei uns weiß, wenn überhaupt,<br />

vor allem von dem Völkermord an den<br />

Armeniern, weniger davon, dass auch<br />

die Assyrer und Aramäer, die syrischen<br />

Christen im Tur Abdin im Südosten der<br />

Türkei, in gleicher Weise Ziel dieser<br />

Vernichtung durch die damals regierenden<br />

Jungtürken waren. In vielen<br />

Gedenkveranstaltungen wurde in vielen<br />

Ländern an das Massaker der Armenier<br />

erinnert, weniger an das der Assyrer<br />

und Aramäer. Beide, Armenier und<br />

Assyrer fordern bis heute ihr Recht.<br />

Beide setzen sich dafür ein – was bis<br />

heute in vielen Ländern noch nicht<br />

geschehen ist – dass die Vertreibung von<br />

Armeniern und Assyrern mit Hunderttausenden<br />

Toten ein „Völkermord“ war<br />

und so auch anerkannt wird, vor allem<br />

von der Türkei.<br />

Tilman Zülch von der „Gesellschaft für<br />

bedrohte Völker“ schrieb in einem<br />

offenen Brief an die Abgeordneten des<br />

Deutschen Bundestages am 20. April<br />

<strong>2005</strong>, einen Tag vor der Behandlung<br />

eines Antrags der CDU/CSU im Bundestag<br />

zu den Vertreibungen und Massakern<br />

an den Armeniern vor 90 Jahren:<br />

„16 nationale Gesetzgeber, unter ihnen<br />

die französische Nationalversammlung,<br />

die italienische Abgeordnetenkammer,<br />

das kanadische House of Commons, die<br />

russische Staatsduma, das amerikanische<br />

Repräsentantenhaus oder der Vatikan,<br />

haben sich nicht davor gescheut, durch<br />

Entschließungen oder Gesetze diese<br />

Verbrechen als Völkermord (Genozid)<br />

an bis zu 1,4 Millionen Armeniern und<br />

bis zu 500.000 assyrisch aramäischen<br />

Horst Oberkampfi<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Am 24. April jährte sich zum 90. Mal der Völkermord an den armenischen<br />

Christen. 1,4 Millionen Armenier sollen bei diesem Völkermord ums Leben<br />

gekommen sein. Aber nicht nur die Armenier, sondern auch die Assyrer,<br />

Aramäer und Chaldäer sind von diesem Genozid betroffen gewesen. Die Zahl<br />

der Getöteten geht in die Hunderttausende. Wie der Missionar Dr. Johannes<br />

Lepsius, der Gründer der deutschen Orientmission in seinen Berichten damals<br />

erwähnte, handelte es sich nicht nur um eine Vernichtung der Armenier,<br />

sondern um eine Ausrottung der Christen. Die Jungtürken wollten das Land<br />

„türkisieren“, also gleichsam säubern von allen ethnischen und religiösen<br />

Minderheiten, die anders waren als sie.<br />

Christen international zu bestätigen. Im<br />

übrigen haben gerade deutsche Persönlichkeiten<br />

– so der Missionar Dr.<br />

Johannes Lepsius, der jüdische Dichter<br />

Franz Werfel oder der Gründer des<br />

Wandervogels, Hoffmann – die Weltöffentlichkeit<br />

damals alarmiert oder den<br />

Genozid an den Armeniern bekannt<br />

gemacht.“ Im Antrag der CDU/ CSU<br />

wurde der Begriff „Völkermord“ nicht<br />

verwendet. Die deutsche Bundesregierung<br />

schweigt bis auf den heutigen Tag,<br />

vielleicht aus Rücksicht auf die vielen<br />

türkischen Mitbürger in unserem Land<br />

und aus Rücksicht auf die guten politischen<br />

und wirtschaftlichen Kontakte zur<br />

Türkei. Das damalige deutsche Reich<br />

hatte übrigens 1915 ebenfalls gute<br />

Beziehungen zur damaligen türkischen<br />

Regierung und schwieg zu den Vorgängen,<br />

von denen es Kenntnis haben<br />

musste.<br />

Zivilcourage eines syrischen Pfarrers<br />

In der Türkei ist es bis auf den heutigen<br />

Tag äußerst schwierig bis gefährlich,<br />

vom Völkermord an den Armeniern und<br />

Assyrern zu sprechen. Die Türkei beruft<br />

sich auf den § 312 des türkischen<br />

Rechts, in dem sinngemäß steht: Wer<br />

von Völkermord redet, begeht Landesverrat<br />

und wird hart bestraft. Aktuell<br />

wurde dies im Interview, das der<br />

syrische Pfarrer Yussuf Akbulut aus<br />

Diyarbakir im Oktober 2000 privat der<br />

türkischen Zeitung Hürriyet gab und das<br />

auch als Video heimlich aufgezeichnet<br />

und dann im türkischen Fernsehen<br />

gezeigt wurde. Er sagte dort u.a., dass<br />

die Behauptungen über den Völkermord<br />

an den Armeniern richtig seien, und<br />

dass auch seine Glaubensbrüder davon<br />

betroffen gewesen sind. „Nicht nur die<br />

Armenier, auch die Syrer sind damals<br />

mit der Begründung, dass sie Christen<br />

sind, dem Völkermord ausgesetzt<br />

gewesen. Die Syrer wurden in Scharen<br />

ermordet. Und bei diesem Massaker<br />

wurden die Kurden genutzt.“ Dank der<br />

Beteiligung von Beobachtern aus dem<br />

Ausland wurde Pfarrer Akbulut am<br />

5.4.2001 in der dritten Verhandlung<br />

schließlich freigesprochen. Der Vorwurf<br />

wegen angeblicher Volksverhetzung<br />

wurde überraschend fallen gelassen.<br />

Damit ist aber das Problem des Völkermordes<br />

an armenischen und syrischen<br />

Christen von 1915 noch längst nicht<br />

erledigt. Die türkische Regierung und<br />

die türkische Gesellschaft werden sich,<br />

wenn sie in die EU wollen, diesem<br />

besonderen Problem ihrer Vergangenheitsbewältigung<br />

stellen müssen. Schon<br />

lange wird gefordert, alle historischen<br />

Fakten und Dokumente der Öffentlichkeit<br />

zugänglich zu machen, damit die<br />

Vorgänge von 1915 aufgearbeitet und<br />

neu bewertet werden können. Dann<br />

müssen auch die Bestimmungen aus<br />

dem „Lausanner Vertrag“ von 1923<br />

anerkannt werden, in denen den<br />

nichtmuslimischen Bürgern der Türkei<br />

Gleichstellung, religiöse Freiheit und<br />

Toleranz zugestanden werden. Leider ist<br />

die heutige Realität in der Türkei noch<br />

weit entfernt von diesem damals<br />

wegweisenden Vertrag.<br />

Begegnungen mit Zeitzeugen<br />

Im Rahmen meiner Besuche im Tur<br />

Abdin und im Nordirak bin ich 1999 im<br />

armenischen Dorf Azverok im Nordirak<br />

auf Nachkommen von Überlebenden<br />

gestoßen, die 1915 ihr Leben retten<br />

konnten und in den heutigen Nordirak<br />

geflüchtet waren. Unsere Landeskirche<br />

hat diesen armenischen Christen den<br />

Bau einer <strong>Kirche</strong> ermöglicht, um ihren<br />

Glauben wieder feiern zu können, denn<br />

1991 wurde ihre <strong>Kirche</strong> vom irakischen<br />

Diktator<br />

Saddam<br />

zerstört.<br />

Vor Jahren<br />

begegnete ich<br />

im Dorf<br />

Ayinvert im<br />

Tur Abdin<br />

einer alten<br />

Frau – sie ist<br />

inzwischen<br />

gestorben –<br />

die mir<br />

folgendes<br />

erzählte: „Sieh dir diese <strong>Kirche</strong> an. Sie<br />

war 1915 Zufluchtsort von tausenden<br />

von Christen, die ihr Leben vor den<br />

Jungtürken retten konnten“. Sie hielt<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 7


inne und schaute uns traurig an, dann<br />

sagte sie: „Ich war ein Kind und weiß<br />

noch, wie die Menschen sich damals in<br />

unsere <strong>Kirche</strong> flüchteten. Ich kann das<br />

nicht vergessen. Die Angst von damals<br />

steckt in mir bis heute; sie steckt in uns<br />

allen, die wir Christen sind und im Tur<br />

Abdin leben“. Ich stand einer Zeitzeugin<br />

gegenüber, die das „Jahr des Schwertes“<br />

miterlebt hatte.<br />

Neue Entwicklung: Rückkehr<br />

Jahre nach dieser Begegnung gibt es<br />

eine neue und hoffnungsvolle Entwicklung<br />

im Tur Abdin, die sicher ein neues<br />

Kapitel nach all den dunklen Jahren<br />

aufschlägt – vor Jahren hätte niemand<br />

auch nur davon geträumt: Familien, die<br />

ihr Land und ihre Dörfer vor 20 oder 30<br />

Jahren aus Angst verlassen haben,<br />

kehren wieder zurück an den Ort, wo<br />

ihre Wurzeln liegen. „Rückkehr“ ist das<br />

geheime Zauberwort, das gegenwärtig<br />

unter den Assyrern und Aramäer im<br />

westlichen Ausland heiß und kontrovers<br />

diskutiert wird. Die politische Situation<br />

ist entspannter und ruhiger geworden,<br />

die ehemaligen militärischen Auseinandersetzungen<br />

zwischen PKK und<br />

türkischem Militär sind beendet, die<br />

Anstrengungen der Türkei, in die EU zu<br />

kommen, sind auch im Tur Abdin von<br />

den syrischen Christen zu spüren. Was<br />

noch fehlt, ist eine Garantie ihrer<br />

Menschenrechte, so wie sie im Lausanner<br />

Vertrag 1923 festgelegt wurden,<br />

und damit auch eine Anerkennung als<br />

religiöse und ethnische Minderheit. Das<br />

wird aber hoffentlich noch Wirklichkeit<br />

werden!<br />

Die Assyrer heute führen ihre Existenz auf<br />

die altorientalischen Völker der Assyrer,<br />

Chaldäer und Aramäer in Mesopotamien,<br />

dem heutigen Irak zurück. Sie sind Christen<br />

und gehören vor allem vier <strong>Kirche</strong>n an:<br />

„Der Heiligen <strong>Kirche</strong> des Ostens“ (assyrische<br />

<strong>Kirche</strong>, nestorianisch), der „<strong>Kirche</strong><br />

von Antiochien“ (jakobitisch oder syrisch<br />

orthodox), der Chaldäisch Katholischen<br />

<strong>Kirche</strong> und der Syrisch Katholischen <strong>Kirche</strong>.<br />

Wenn von „syrischen Christen“ gesprochen<br />

wird, dann erinnern wir uns an<br />

die ursprüngliche Bezeichnung „Süriani“<br />

für die „ersten Christen“ in Antiochia<br />

(Apost.. 11, 26). Sie sprechen bis heute<br />

einen Dialekt des Aramäischen, der Muttersprache<br />

Jesu.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Pfarrer i.R. Horst Oberkampf<br />

berichtet unter www.nordirakturabdin.de<br />

über seine Reisen in<br />

die Türkei und den Nordirak<br />

Getürkte Realitäten<br />

Pünktlich zum 90-jährigen Gedenken<br />

des Genozids an den Armeniern ist ein<br />

Buch erschienen, das den gegenwärtigen<br />

Stand der historischen Forschung in<br />

spannender Weise darstellt. Allerdings<br />

führt der Titel insofern in die Irre, als die<br />

Aktionen der armenischen Untergrundorganisation<br />

„Operation Nemesis“<br />

mit dem Attentat auf führende türkische<br />

Kriegsverbrecher nur die Einführung<br />

und den Schluss ausmachen. Im<br />

Hauptteil wird ausführlich mit schrecklichen<br />

Details geschildert, wie schon<br />

1895, aber dann vor allem ab 1915<br />

Armenier in den verschiedensten<br />

Landesteilen systematisch vertrieben<br />

und vernichtet wurden. Rolf Hosfeld<br />

arbeitet insbesondere die deutsche<br />

Beteiligung heraus, da das Kaiserreich<br />

alle kritischen Nachrichten unterdrückte,<br />

um im Ersten Weltkrieg den wichtigen<br />

Bundesgenossen nicht zu verlieren.<br />

Es wird aber auch klar, dass die türkische<br />

Rechtfertigung, es habe sich um<br />

notwendige Kriegshandlungen gehandelt,<br />

nur Zweckpropaganda ist. Denn<br />

der Wille zur Vernichtung ist viel älter.<br />

Der Krieg war eine willkommene<br />

Gelegenheit, unbehelligt von den<br />

Großmächten mit einer unbequemen<br />

Minderheit endlich „aufzuräumen“. Der<br />

historisch interessierte Leser, der einige<br />

Schriften von Johannes Lepsius oder<br />

Armin T. Wegner kennt, erfährt noch<br />

Neues. So kennen viele den Roman von<br />

Franz Werfel „Die vierzig Tage des<br />

Musa Dagh“, aber nicht die tatsächliche<br />

Geschichte. Sein wichtigster Zeitzeuge<br />

und Organisator des Widerstands war<br />

nämlich der protestantische Pastor<br />

Dikran Andreasian. So setzt der Autor<br />

vielen Menschen ein Denkmal, deren<br />

Namen keiner mehr kennt.<br />

Das „Nachspiel“ des Völkermords ist<br />

mindestens so deprimierend wie die<br />

Mordgeschichten selbst. Nachdem sich<br />

die Hauptverantwortlichen abgesetzt<br />

hatten, verurteilte sie ein osmanisches<br />

Gericht zum Tode. Von den siebzehn<br />

Todesurteilen werden aber nur drei<br />

vollstreckt. Die Vorstellung des zuständigen<br />

Staatsanwalts bei der Eröffnung des<br />

Hauptverfahrens geht nicht in Erfüllung:<br />

„Die unschuldig Ermordeten werden<br />

wieder auferstehen“. Mustafa Kemal,<br />

genannt Atatürk, löst die Gerichte, die<br />

sich mit dem Völkermord befassen,<br />

1920 auf. In seiner Tradition wird das<br />

Verbrechen bis heute von der türkischen<br />

Regierung geleugnet. Die Hauptverantwortlichen<br />

wurden rehabilitiert und mit<br />

Ehren beigesetzt. Zuletzt erhält 1996<br />

der ehemalige Kriegsminister des<br />

Osmanischen Reiches, Enver Pascha, auf<br />

dem Freiheitshügel in Istanbul ein<br />

posthumes Staatsbegräbnis. Initiator der<br />

Rehabilitierung Envers war übrigens der<br />

damalige islamistische Bürgermeister<br />

von Istanbul und jetzige Ministerpräsident<br />

Recap Tayyip Erdogan. Doch es<br />

gibt auch kritische Stimmen. Der<br />

türkische Journalist Murat Belge bekennt:<br />

„Wir haben die ethnischen<br />

Säuberungen erfunden“. Er fügt hinzu:<br />

„Ich behaupte, die Fortsetzung der<br />

Leugnungspolitik der Türkei widerspricht<br />

ihren nationalen Interessen. Der<br />

Grund für diese Behauptung ist sehr<br />

einfach: weil sie falsch ist. Jede Politik,<br />

die auf falschen Prämissen beruht, ist<br />

dazu verdammt, über kurz oder lang in<br />

sich zusammenzufallen.“<br />

Die Leugner des Völkermordes kann<br />

man fragen, wo denn die Armenier<br />

geblieben seien, deren Siedlungsgebiete<br />

man noch aufspüren kann. 1913 lebten<br />

im Osmanischen Reich auf dem Gebiet<br />

der heutigen Türkei 1.834.900 Armenier,<br />

zur Zeit der Gründung der Türkischen<br />

Republik 1923 waren es noch<br />

300.000, heute sind es 60.000. Selbst<br />

wenn man Auswanderung einbezieht,<br />

schwanken die Opferzahlen zwischen<br />

800.000 und 1,4 Millionen. Der Autor<br />

nennt viele Dörfer und Städte, wo<br />

Armenier gelebt haben. Kein moderner<br />

Reiseführer erwähnt das. Sollte man<br />

nicht einmal einen „alternativen<br />

Baedeker“ herausgeben, mit dem der<br />

heutige Tourist die Spuren der Opfer<br />

finden kann? Bisher muss man sich mit<br />

dem nur antiquarisch erhältlichen Buch<br />

von Johannes Lepsius „Der Todesgang<br />

des Armenischen Volkes“ von 1927<br />

begnügen, der alle Orte detailliert<br />

auflistet.<br />

In jedem Dorf der Türkei gibt es mindestes<br />

ein Denkmal für den Massenmörder<br />

Mustafa Kemal. Wann wird es dort ein<br />

einziges Denkmal für die umgekommenen<br />

Armenier geben? Wann werden<br />

Türken auch hierzulande Trauer und<br />

Scham über den Genozid an den<br />

Armeniern ausdrücken? Sollte man<br />

nicht auch bei uns wie in der kleinen<br />

mutigeren Schweiz die Leugnung dieses<br />

Genozids unter Strafe stellen?<br />

Wolfgang Wagner<br />

Rolf Hosfeld, Operation Nemesis.<br />

Die Türkei, Deutschland und der<br />

Völkermord an den Armeniern.<br />

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln<br />

<strong>2005</strong>, 351 Seiten, 19,90 Euro.<br />

Seite 8 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Kirchliche Arbeit in der Polizei<br />

Eva-Maria Agsteri<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Gehört die <strong>Kirche</strong> in die Polizei? Was hat sie dort überhaupt zu suchen,<br />

nachdem die Zeiten der Vergangenheit angehören, in denen Thron und Altar<br />

oft mehr unheilige denn heilige Verbindungen eingegangen sind? Was ist der<br />

Evangelischen Landeskirche in Württemberg an der „Kirchlichen Arbeit in der<br />

Polizei“ so wichtig, dass sie seit 1962 Jahr für Jahr in die damit verbundenen<br />

Aufgaben investiert? Das heißt vor allem in die Gehälter der beiden hauptamtlichen<br />

PolizeipfarrerInnen und der nach den Kürzungsrunden übrig gebliebenen<br />

einen Sekretärin sowie den bis zum kommenden Sommer begrenzten<br />

halben Dienstauftrag eines Pfarrers z. A., der in einem entscheidenden<br />

Entwicklungsstadium den Ausbau der Notfallseelsorge konzeptionell und<br />

strukturell voranbringen soll (siehe OK 1/2003).<br />

Ich will diesen Fragen mit dem Blick auf<br />

drei Säulen kirchlicher Arbeit in der<br />

Polizei nachgehen.<br />

1. Polizeiseelsorge<br />

Als ich vor viereinhalb Jahren die<br />

Aufgabe der Polizeiseelsorgerin auf der<br />

geschäftsführenden Stelle im Polizeipfarramt<br />

unserer Landeskirche übernommen<br />

habe, wurde mir sehr schnell<br />

deutlich, dass die Frage nach dem, was<br />

die <strong>Kirche</strong> eigentlich in der Polizei zu<br />

suchen hat, nicht getrennt werden kann<br />

von der Erkenntnis, was <strong>Kirche</strong> dort<br />

finden kann: Menschen, die überwiegend<br />

mit den dunklen, schmutzigen,<br />

blutenden, stinkenden, verlogenen,<br />

ohnmächtig aggressiven und skrupellos<br />

gewaltbereiten sowie oft im wahrsten<br />

Sinn himmelschreienden Seiten unserer<br />

Gesellschaft in Berührung sind. Stellvertretend<br />

für uns alle und in einem Maß,<br />

dass der einzelne Polizist, die einzelne<br />

Polizistin manchmal nicht mehr weiß,<br />

wie er, wie sie das aushalten kann.<br />

Diesen Menschen ist die <strong>Kirche</strong> in<br />

seelsorglicher Bringschuld verpflichtet.<br />

Seelsorge heißt für uns PolizeipfarrerInnen,<br />

den Bediensteten in der Polizei den<br />

Rücken zu stärken sowohl in persönlichen<br />

Krisen als auch in belastenden<br />

Situationen ganzer Organisationseinheiten.<br />

Etwa wenn ein Kollege sich<br />

das Leben genommen hat (womöglich in<br />

den Diensträumen und mit der Dienstwaffe),<br />

nach extrem belastenden<br />

Einsätzen an Unfallorten, wenn – Gott<br />

sei Dank ist das selten, dann aber meist<br />

unter skandalierenden Blicken – Polizisten<br />

die Schusswaffe benutzt haben oder<br />

sie in Ausübung ihres Dienstes Opfer<br />

von Gewalt geworden sind. Polizeiseelsorge<br />

heißt auch: Schuld und<br />

Schuldgefühle mit PolizistInnen auszuhalten<br />

und daran mitzuwirken, dass ein<br />

Leben mit dem, was nicht mehr rückgängig<br />

gemacht werden kann, neu<br />

möglich wird. Das fängt nicht erst beim<br />

oft schwer traumatisierenden Gebrauch<br />

der Pistole an. Wer mit Verletzung und<br />

Tod in schrecklichen Ausprägungen so<br />

hautnah und häufig im Kontakt ist wie<br />

im Streifendienst und in entsprechenden<br />

Abteilungen der Kriminalpolizei, kann<br />

heftig umgetrieben werden von der<br />

Frage nach Gottes A(b)nwesenheit.<br />

Einige PolizistInnen verzweifeln daran.<br />

Manche entledigen sich in zynischer<br />

Schutzhaltung aller religiösen Deutungsversuche<br />

und wieder andere spüren in<br />

diesen Grenzsituationen menschlichen<br />

Lebens eine Berührung mit dem, was<br />

das Leben wesentlich macht und mit der<br />

leisen oder laut drängenden Frage nach<br />

dem, was das Leben eigentlich trägt.<br />

Wir PolizeipfarrerInnen wagen immer<br />

wieder stellvertretend das Vertrauen,<br />

dass jenseits unseres begrenzten Horizontes<br />

Gottes Anwesenheit in den<br />

Leidenden und Getöteten geglaubt<br />

werden kann. Dieses Vertrauen bringen<br />

wir ein. Nicht selten unter eigenen<br />

seelischen Qualen und immer wieder<br />

selbst ohnmächtig, traurig oder wütend<br />

angefochten. Aber vor allem auch<br />

bereichert durch das, was wir an<br />

Standfestigkeit von den Menschen im<br />

Polizeidienst lernen können. Wir<br />

versuchen in gut evangelischer Manier,<br />

eine „Kultur des Schmerz-Aushaltens“<br />

(Dr. Raphael Behr, bei der Ökumenischen<br />

Jahrestagung 2002, zwei Tage<br />

nach dem Flugzeugabsturz am Bodensee)<br />

zu entwickeln und in die Polizei<br />

einzubringen. Dass dies der Polizei gut<br />

tut, wird uns oft bestätigt. Im Grunde<br />

stellt sich in diesem Zusammenhang die<br />

Frage nicht wirklich, was bzw. wen<br />

unsere <strong>Kirche</strong> in der Polizei zu suchen<br />

hat. Von Haus aus <strong>Kirche</strong>nferne oder<br />

PolizeischülerInnen in der Vesperkirche<br />

dem Glauben entfremdete Menschen<br />

tun in belastenden Situationen selten<br />

von sich aus den Schritt in eine Ortsgemeinde,<br />

die für sie weit weg ist von<br />

dem, was auf der Straße passiert.<br />

Aufsuchend präsent zu sein, wo andere<br />

ihren Kopf und ihr mutiges, wie ihr<br />

geängstetes Herz den Katastrophen<br />

unserer Welt hinhalten und so nicht<br />

selten selbst Teil der Katastrophe<br />

werden, sieht die <strong>Kirche</strong> als ihre<br />

Aufgabe an. Vor allem dort, wo Gottesbilder<br />

zerbrechen (müssen), sich<br />

finsterste Täler auftun und der Boden<br />

unter den Füßen wankt.<br />

Prof. Dr. Isolde Karle machte bei der<br />

Ökumenischen Jahrestagung für Polizei<br />

und <strong>Kirche</strong> 2004 darauf aufmerksam,<br />

dass wir in der Polizei auf Menschen<br />

treffen, die unsere christlich-jüdische<br />

Tradition gut kennt. In den Klage- und<br />

Rachepsalmen kommen sie zu Wort: Die<br />

ohnmächtig Wütenden und Gekränkten;<br />

die, die ahnen, dass weder die eigene<br />

noch weltlich-staatliche Macht ihrem<br />

verletzten Gerechtigkeitsempfinden<br />

Genugtuung verschaffen kann. Die<br />

<strong>Kirche</strong> begegnet – wenn sie sich auf die<br />

Menschen in der Polizei einlässt – sehr<br />

oft denen, die Jesus selig gepriesen hat:<br />

denen, die hungern und dürsten nach<br />

Gerechtigkeit. Der Schatz und der<br />

Schutz des Seelsorgegeheimnisses ist in<br />

einer Organisation, deren Mitarbeitende<br />

dem Strafverfolgungszwang unterworfen<br />

sind, eine besonders große Chance.<br />

Die Arbeit der Polizeiseelsorge hat<br />

meiner Einschätzung nach in den<br />

letzten Jahrzehnten gezeigt, wie viel<br />

Entlastung und welche not-wendige<br />

Würdigung Menschen erfahren, wenn<br />

ihre seelischen Qualen ohne Wertung<br />

ernst- und wahrgenommen werden. Ein<br />

neues Online-Seelsorge-Angebot für die<br />

Polizei will auch niederschwellig die<br />

Möglichkeiten dazu öffnen. Ein Netzwerk<br />

polizeiinterner Hilfsangebote ist in<br />

den letzten Jahren entstanden. In den<br />

Kriseninterventions-Teams der Polizei<br />

sind die Polizeiseelsorgen beider großen<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 9


<strong>Kirche</strong>n integriert. Die internen Angebote<br />

entlasten die Seelsorgearbeit in ihrer<br />

Beratungsfunktion, die allein durch die<br />

geographische Ausdehnung der Zuständigkeit<br />

und in ihrer Fülle immer wieder<br />

grenzwertig belastend war und ist.<br />

So kann die Seelsorge ihre Schwerpunkte<br />

in Zukunft hoffentlich noch etwas<br />

erweitern und mehr spirituell stärkende<br />

Angebote einbringen. Die ökumenisch<br />

verantwortete Fastenwanderung für<br />

Studierende an der Fachhochschule war<br />

überbucht, die so genannten Sportexerzitien<br />

eines katholischen Kollegen<br />

sind es seit Jahren. Ein erstmals vom<br />

Evangelischen Polizeipfarramt ausgeschriebenes<br />

Schweigeseminar im Stift<br />

Urach wurde in der ersten Woche der<br />

Ausschreibung intensiv nachgefragt. Ich<br />

denke, dass es auch eine spirituelle<br />

Aufgabe sein wird, noch mehr als bisher<br />

schon nebenher, bewusst Räume zur<br />

Versöhnung zwischen Polizei und<br />

Bevölkerung zu schaffen, Gräben zu<br />

überwinden. Ich denke etwa an Polizisten,<br />

die in Mutlangen eingesetzt waren,<br />

und denen, die dort demonstriert haben.<br />

2. Berufsethik<br />

Kirchliche Arbeit in der Polizei geschieht<br />

in einer „Organisation mit Gewaltlizenz“<br />

(Jan Philipp Reemtsma), in der<br />

sich die Frage nach der „Kultur des<br />

Gewaltmonopols“ immer neu stellt.<br />

„Eine kontroverse Debatte über die<br />

Kultur des Gewaltmonopols unterscheidet<br />

...eine demokratisch legitimierte<br />

Polizei von anderen Polizeien. Und der<br />

<strong>Kirche</strong> steht es gut zu Gesicht, diese<br />

Kontroverse zu befördern bzw. zu<br />

moderieren“, so der ehemalige Polizist<br />

und Soziologe Raphael Behr. Wie das<br />

Gewaltmonopol in unserer Gesellschaft<br />

durch die Polizei wahrgenommen wird,<br />

ist eine entscheidende Frage für die<br />

Qualität des Zusammenlebens in einer<br />

Demokratie, in der die Achtung der<br />

Menschenwürde nicht angetastet<br />

werden soll und einklagbar ist. Im<br />

Verhaltenskodex für Beamte mit<br />

Polizeibefugnissen (1979 bei der<br />

Vollversammlung der UN verabschiedet)<br />

heißt es: „Beamte mit Polizeibefugnissen<br />

sollen Gewalt nur anwenden, wenn dies<br />

unbedingt notwendig ist und in dem<br />

Ausmaß, wie dies in Ausübung ihrer<br />

Pflicht notwendig ist“.<br />

Was heißt das für eine junge Polizistin,<br />

die bis aufs Äußerste gereizt und<br />

gedemütigt worden ist? Was heißt das<br />

für einen gestandenen Polizisten, den<br />

angesichts eines erkennbar gefährlichen<br />

Gegenübers die berechtigte Angst<br />

überfällt? Was bedeutet das im Rahmen<br />

einer Organisation, in der Einzelne ihre<br />

Kraft und Akzeptanz zum Durchhalten<br />

überwiegend durch den Rückhalt in der<br />

eigenen Gruppe, die in ihnen geltenden<br />

Normen und Regeln erfahren („cop<br />

culture“)? Solchen und anderen Fragen<br />

geht die Kirchliche Arbeit in der Polizei<br />

in ihren berufsethischen Angeboten<br />

nach: Wie überbringe ich eine Todesnachricht?<br />

Wie verhalte ich mich an<br />

einem Ort, an dem Menschen verletzt<br />

sind oder sterben? Wie kann ich einen<br />

angemessenen Umgang mit Opfern<br />

gestalten? Wie können wir seelisch<br />

gesund bleiben oder wieder werden?<br />

Wie können Frauen ihre Stärke in der<br />

Polizei leben? Sich das Leben nehmen?<br />

Wie geht Polizei mit all dem um, was<br />

Abschiebungen mit sich bringen?<br />

Berufsethik ist Teil eines vernetzten<br />

Gesamtsystems der polizeilichen Ausund<br />

Fortbildung. Der Unterricht an den<br />

Polizeischulen und an der FH in<br />

Villingen-Schwenningen sowie an der<br />

Akademie der Polizei in Freiburg findet<br />

gemäß der 2002 unterzeichneten<br />

Vereinbarung zwischen den <strong>Kirche</strong>n<br />

und dem Land Baden-Württemberg<br />

statt. Durch die Vergütungen meines<br />

berufsethischen Unterrichts an der<br />

Polizeischule in Göppingen und der FH<br />

in Villingen-Schwenningen wird ein Teil<br />

der Kosten für das Polizeipfarramt<br />

refinanziert.<br />

3.Gremienarbeit auf politischer Ebene<br />

Viele Probleme, die den PolizeipfarrerInnen<br />

in ihrer Seelsorge begegnen, haben<br />

auch eine politische Dimension und<br />

müssen darum auf der politischen Ebene<br />

und mit der Polizeiführung besprochen<br />

werden. Alle vier <strong>Kirche</strong>n in Baden-<br />

Württemberg verantworten gemeinsam<br />

diese Arbeit und haben sich dafür<br />

Strukturen gegeben im Kontakt mit der<br />

Polizeiführung. Auf Bundesebene haben<br />

sowohl die Evangelische wie die<br />

Katholische <strong>Kirche</strong> entsprechende<br />

Gremien. So hat z.B. die Evangelische<br />

Landeskirche in Württemberg zwei<br />

Stimmen in der Konferenz Evangelischer<br />

PolizeipfarrerInnen in Deutschland<br />

(KEPP). Jüngste Frucht der KEPP-Arbeit<br />

war ein Weihnachtsgottesdienst für die<br />

PolizeibeamtInnen, die im Kosovo<br />

Dienst tun.<br />

Der Zusammenarbeit von <strong>Kirche</strong> und<br />

Polizei wird oft mit Vorbehalt begegnet,<br />

außerhalb wie innerhalb der Polizei. Ich<br />

möchte mit einem Auszug aus einer<br />

Rede, die ich bei der Unterzeichnung<br />

der neuen Vereinbarung zwischen Land<br />

und <strong>Kirche</strong> in Löwenstein gehalten<br />

habe, schließen. Sie greift diesen<br />

Vorbehalt auf: „Eine Partnerschaft ist<br />

kein unangemessener Schulterschluss,<br />

wie immer wieder argwöhnisch vermutet<br />

wird. Bei einer Partnerschaft kann<br />

sich im Gegensatz zum Schulterschluss<br />

wirkliche Begegnung ereignen. Die<br />

Kultur von <strong>Kirche</strong> und Polizei können<br />

sich begegnen. Es ist Raum für Solidarität<br />

und Kritik. Was eine Partnerschaft im<br />

Gegensatz zum Schulterschluss auszeichnet,<br />

hat der im Libanon geborene<br />

Philosoph Kahil Ghibran in einem Text<br />

folgendermaßen beschrieben:<br />

... lasst Raum zwischen euch.<br />

Und lasst die Winde des Himmels<br />

zwischen euch tanzen...<br />

Steht nicht zu nah beisammen,<br />

denn die Säulen des Tempels stehen für<br />

sich,<br />

und die Eiche und die Zypresse wachsen<br />

nicht<br />

im Schatten der anderen.<br />

Die Vereinbarung lässt Raum zwischen<br />

der <strong>Kirche</strong>nkultur und der Kultur in der<br />

Polizei. So kann etwas weiterwachsen<br />

zwischen uns, was sich seit 40 Jahren<br />

zu entfalten begonnen hat. Ob die<br />

Winde des Himmels zwischen uns<br />

tanzen können, sagt die Vereinbarung<br />

nicht. Hoffen können wir es.“<br />

Mit der Kirchlichen Arbeit in der Polizei<br />

ist es wie mit der Notfallseelsorge:<br />

Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie<br />

erfinden, sagte sinngemäß ein polizeiliches<br />

Mitglied im neu geschaffenen<br />

Beirat unserer Landeskirche für die<br />

Kirchliche Arbeit in der Polizei. Man<br />

müsste sie erfinden, auch, damit <strong>Kirche</strong><br />

nah bei denen ist, die Jesus selig preist.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

<strong>Kirche</strong>nrätin Agster bietet Vorträge<br />

in Gemeinden an zum Thema:<br />

„Was tut die <strong>Kirche</strong> in der Polizei?“<br />

Der Text der Vereinbarung zwischen<br />

Land und <strong>Kirche</strong>n kann beim Ev.<br />

Polizeipfarramt bezogen werden (bitte<br />

einen frankierten Umschlag beilegen).<br />

Kontakt: Evangelisches Polizeipfarramt,<br />

Ecklenstraße 20, 70184 Stuttgart<br />

Tel.: (07 11) 46 20 01; Email: Eva-<br />

Maria.Agster@t-online.de<br />

Seite 10 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Auf dem Weg zu einer Lösung der<br />

Weltwasserkrise?<br />

Auf dem Milleniumsgipfel der Vereinten<br />

Nationen wurden die so genannten<br />

Millenium Development Goals (MDG)<br />

beschlossen. Eines der Ziele lautet, dass<br />

bis zum Jahr 2015 die Anzahl der<br />

Menschen ohne Zugang zu ausreichendem<br />

und sauberem Trinkwasser halbiert<br />

werden soll. Derzeit leiden etwa 1,2<br />

Milliarden Menschen weltweit unter<br />

unzureichendem Trinkwasserzugang.<br />

Will man dieses Ziel tatsächlich erreichen,<br />

müssen jeden Tag 280.000<br />

Menschen einen Zugang zu Trinkwasser<br />

erhalten – eine stolze Zahl. Und die<br />

Vereinten Nationen sind sich durchaus<br />

bewusst, dass dieses Ziel nicht im<br />

Vorbeigehen eben mal so mitgenommen<br />

werden kann. Das Jahr 2003 haben die<br />

Vereinten Nationen zum UN-Jahr des<br />

Süßwassers deklariert, ein Jahr später<br />

hat der UN-Generalsekretär Kofi Annan<br />

einen Wasserbeirat ins Leben gerufen,<br />

der ihn und seine Organisation dabei<br />

unterstützen soll, nach Wegen aus der<br />

Bernhard Wiesmeieri<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Am 22. März <strong>2005</strong> begann die neue UN-Wasserdekade „Water for Life“. Zehn<br />

Jahre lang sollen alle Anstrengungen der Vereinten Nationen sowie der Staaten<br />

darauf ausgerichtet werden, die Wasserkrise in den Griff zu bekommen.<br />

Während die internationale Wasserbewegung immer größer wird, wird über<br />

die Lösungsansätze weiter heftig gestritten. „Brot für die Welt“ hat mit seiner<br />

Kampagne „Menschenrecht Wasser“ schon vor zwei Jahren das Thema<br />

aufgegriffen und maßgeblich an der nationalen und internationalen Vernetzung<br />

der Wasserbewegung mitgestrickt. Ebenso wichtig ist es aber auch, das Thema<br />

Wasser hierzulande auf die Agenda zu bringen und politische Entscheidungsträger<br />

dafür zu gewinnen, sich für das Menschenrecht auf Wasser stark zu<br />

machen.<br />

globalen Wasserkrise zu suchen. Und<br />

wieder ein Jahr später haben die Vereinten<br />

Nationen die Wasserdekade „Water<br />

for Life“ eröffnet. Eindringlich weist die<br />

Staatengemeinschaft darauf hin, dass die<br />

Lösung der Wasserkrise den Schlüssel<br />

zur Armutsbekämpfung und zu neuen<br />

Entwicklungschancen darstellt. Dabei ist<br />

die Verkündung einer UN-Wasserdekade<br />

noch lange keine Erfolgsgarantie.<br />

Die erste Wasserdekade von 1980 bis<br />

1989 hatte sich sogar zum Ziel gesetzt,<br />

am Ende der Dekade allen Menschen<br />

ausreichendes Wasser zur Verfügung zu<br />

stellen. Sie war kläglich gescheitert.<br />

Auch zum jetzigen Zeitpunkt ist längst<br />

nicht klar, ob die MDGs erreicht<br />

werden können. Im September wird in<br />

New York eine erste Evaluierung dazu<br />

stattfinden. Schon zuvor haben UNICEF<br />

und WHO eine erste Zwischenbilanz<br />

gezogen. Das Ergebnis: Auch fünf Jahre<br />

nach der Verkündung der MDGs sind<br />

über eine Milliarde Menschen ohne<br />

Wasserzugang. Erfolgen in manchen<br />

Staaten Asiens stehen massive Probleme<br />

in den meisten afrikanischen Ländern<br />

gegenüber.<br />

Wie so oft wird dabei auch ums Geld<br />

gestritten. Die Angaben, wie viel Kosten<br />

mit einer Lösung der Wasserkrise<br />

verbunden sind, gehen dabei enorm<br />

auseinander. Während der Weltwasserrat,<br />

der eng mit der Weltbank und<br />

großen privatwirtschaftlichen Unternehmen<br />

liiert ist, von einem Volumen von<br />

rund 100 Mrd. US-Dollar spricht,<br />

wurden auf der Süßwasserkonferenz in<br />

Bonn im Dezember 2001 schon ein<br />

Zehntel dieses Betrages als ausreichend<br />

betrachtet. Im Mittelpunkt steht dabei<br />

die Frage, ob große, teure und technologieintensive<br />

Maßnahmen, unter<br />

Berücksichtigung der Privatwirtschaft<br />

von Nöten sind oder eben lokal angepasste<br />

Niedrigkostenlösungen. Klar ist<br />

indes, dass Geld nötig sein wird. In<br />

einer Studie, die er für die Vereinten<br />

Nationen erstellt hat, hat Geoffrey Sachs<br />

gefordert, dass sich die internationale<br />

Entwicklungshilfe schrittweise erhöhen<br />

muss – anders sei die Krise nicht zu<br />

meistern. Bis zum Jahr 2010 sollten alle<br />

Staaten ihre Gaben auf mindestens 0,55<br />

Prozent des Bruttosozialproduktes<br />

steigern. In Deutschland liegt der Anteil<br />

derzeit bei ca. 0,34 Prozent – und<br />

Finanzminister Eichel hat erst vor<br />

kurzem nochmals betont, dass eine<br />

Erhöhung nicht in Frage kommt.<br />

Menschenrecht oder Ware?<br />

An der von Weltbank, verschiedenen<br />

bilateralen Entwicklungsgebern und<br />

nicht zuletzt vom Weltwasserrat (Der<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 11


Weltwasserrat organisiert zusammen mit<br />

Weltbank und anderen die alle drei<br />

Jahre stattfindenden Weltwasserforen;<br />

dort sind auch die Global Player im<br />

Wasserbereich stark vertreten.) favorisierten<br />

Privatisierung der Wasserversorgung,<br />

als Lösungsansatz scheiden sich<br />

die Geister. Noch ist der Anteil privatisierter<br />

Wasserversorgungseinrichtungen<br />

geringer als zehn Prozent, dennoch<br />

sehen viele Unternehmen hierin einen<br />

zukunftsträchtigen Markt. Die bisher<br />

damit gesammelten Erfahrungen zeigen,<br />

dass die Skepsis vieler Privatisierungskritiker<br />

durchaus berechtigt ist. Ob in<br />

Manila, der Hauptstadt der Philippinen,<br />

in Cochabamba (Bolivien) oder Buenos<br />

Aires – überall hat die Privatisierung<br />

ähnliche Ergebnisse gebracht: Das<br />

Wasser wurde erheblich teurer, die<br />

Investitionen der privaten Akteure<br />

blieben weit hinter den Erwartungen<br />

zurück und die Qualität und der Service<br />

wurden schlechter. Erfahrungen, die<br />

zum Teil auch in den Industrieländern<br />

gemacht wurden. In England stiegen die<br />

Preise nach der Privatisierung 1989, in<br />

Atlanta (USA) wurden 400 von 700<br />

MitarbeiterInnen vom privaten Akteur<br />

entlassen, was zu einer Verschlechterung<br />

des Service geführt hat und in<br />

Berlin haben RWE und Veolia bei der<br />

Teilprivatisierung der Wasserwerke eine<br />

jährlich festgeschriebene Rendite von<br />

acht Prozent mit dem Land Berlin<br />

vereinbart – und das, obwohl Berlin<br />

ohnehin zu den am höchsten verschuldeten<br />

deutschen Bundesländern gehört.<br />

Aktuell erregt der Fall von El Alto in der<br />

Wasserszene Aufmerksamkeit. Die<br />

EinwohnerInnen der zweitgrößten<br />

bolivianischen Stadt in der Nähe der<br />

Hauptstadt La Paz haben im Januar den<br />

privaten Versorger aufgefordert, die<br />

Konzession zurückzugeben. Hintergrund<br />

waren enorme Preisanstiege bei<br />

den Wasseranschlüssen. Dabei ist auch<br />

die deutsche Entwicklungszusammenarbeit<br />

in die Kritik geraten. Nach<br />

Auskunft bolivianischer Nichtregierungsorganisationen<br />

hat die deutsche Botschaft<br />

darauf gedrängt, dass der ausländische<br />

Anbieter (SUEZ) weiter Anteile<br />

an der Wasserversorgung der Stadt<br />

behält – ansonsten würden sie die Stadt<br />

nicht mehr unterstützen. Der Ausgang<br />

ist noch völlig unklar. Pikant ist der Fall<br />

auch deswegen, weil<br />

El Alto von den Privatisierungsbefürwortern<br />

und nicht zuletzt vom<br />

Bundesministerium für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung<br />

als gelungenes<br />

Erfolgsbeispiel<br />

einer Wasserprivatisierung<br />

gelobt worden<br />

war.<br />

Wasserbewegung<br />

Die Zivilgesellschaft,<br />

die sich dagegen<br />

wehrt, dass auch<br />

Wasser zunehmend zu<br />

einer Handelsware<br />

wird, ist in den letzten<br />

Jahren stetig gewachsen<br />

– national wie<br />

international. „Brot für<br />

die Welt“ ist seit<br />

Beginn seiner Kampagne<br />

„Menschenrecht<br />

Wasser“ ein wichtiger<br />

Akteur der internationalen<br />

Wasserbewegung. Ausgehend<br />

vom Peoples World Water Forum in<br />

Delhi, bei dem im Januar 2004 über<br />

300 Aktive aus über 60 Ländern<br />

zusammengetroffen waren, vernetzten<br />

sich die lokalen und regionalen Gruppen.<br />

In Lateinamerika gründete sich das<br />

Netzwerk Red Vida, bei dem auch<br />

Partnerorganisationen von „Brot für die<br />

Welt“ aktiv sind, um das Menschenrecht<br />

auf Wasser auf ihrem Kontinent<br />

durchzusetzen. Erster Erfolg: In Uruguay<br />

entschieden sich die Menschen bei<br />

einem Referendum mit großer Mehrheit<br />

dafür, das Menschenrecht auf Wasser in<br />

die Verfassung aufzunehmen. Auf dem<br />

alternativen Weltwasserforum in Genf,<br />

das vom 16. bis 19. März <strong>2005</strong> stattfand,<br />

diskutierten TeilnehmerInnen aus<br />

aller Welt über Strategien zur Lösung<br />

der Wasserkrise, die auf dem menschenrechtsorientierten<br />

Ansatz basieren.<br />

Auch in Deutschland hat „Brot für die<br />

Welt“ gemeinsam mit anderen Organisationen<br />

eine Aktion ausgearbeitet, die<br />

einen Schutzdeich gegen Wasserprivatisierung<br />

bauen will. Gefordert wird<br />

u.a., dass die Entwicklungshilfegelder<br />

für die Verbesserung der Situation der<br />

Armen ausgegeben werden sollen und<br />

nicht, um Unternehmen beim Aufbau<br />

neuer Wassermärkte zu unterstützen.<br />

Wasser soll obendrein aus internationalen<br />

Handelsvereinbarungen ausgenommen<br />

bleiben und die EU soll darauf<br />

verzichten, Liberalisierungsforderungen<br />

im Wassersektor an andere Länder zu<br />

stellen.<br />

Neben der Netzwerkarbeit und der<br />

Lobbyarbeit hat „Brot für die Welt“ aber<br />

auch mit der Kampagne das Ziel, die<br />

Menschen hierzulande über die Wasserkrise<br />

zu informieren. Mit Erfolg: Viele<br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden haben in den<br />

vergangenen zwei Jahren das Thema<br />

„Wasser“ aufgegriffen und es auf lokaler<br />

Ebene umgesetzt. Viele Gemeinden<br />

fragen die Materialien nach, die im<br />

Rahmen der Kampagne entstanden sind.<br />

Und nachdem auf der letzten EKD-<br />

Synode der Beschluss gefasst wurde, die<br />

Kampagne zu unterstützen und <strong>Kirche</strong>ngemeinden<br />

aufgefordert werden, die<br />

Kampagne aufzugreifen, werden sich<br />

sicher noch mehr dafür einsetzen, dass<br />

Wasser das bleibt, was es ist: Gottes<br />

Gabe und ein Menschenrecht.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Der Politologe Bernhard Wiesmeier<br />

arbeitet bei Brot für die Welt in der<br />

Kapagne „Menschenrecht Wasser“<br />

Seite 12 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


<strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />

„Ist überall, wo Gott drauf steht,<br />

auch Gott drin?“<br />

Ein Gespräch mit Dr. Klaus W. Müller, einem der<br />

Mitautoren der Esslinger Erklärung von 1969<br />

Die verdrängte Frage nach der Mitte<br />

der Schrift<br />

Wir leiden unter den Erwartungen, die<br />

ein Großteil der Gemeinde an unser<br />

Verständnis der Bibel heranträgt. Wir<br />

können die Bibel nicht von vornherein<br />

als normatives Wort Gottes betrachten.<br />

Sie hat und gewinnt ihre Autorität nur<br />

durch ihre jeweilige Überzeugungskraft<br />

in der konkreten Situation.<br />

Unser Reden und Handeln als Theologen<br />

können wir nicht selbstverständlich<br />

aus der Bibel ableiten, sondern müssen<br />

uns in erster Linie an der gegenwärtigen<br />

gesellschaftlichen und individuellen<br />

Not orientieren. Bei der Bemühung,<br />

diese Not zu wenden, verstehen wir die<br />

Bibel als einen Gesprächspartner unter<br />

anderen. Das hätte etwa zur Folge, dass<br />

im Gottesdienst nicht mehr einer das<br />

Wort Gottes verkündigen kann, sondern<br />

dass in einem Gespräch gemeinsam<br />

nach dem in der Situation Notwendenden<br />

gesucht werden muss.<br />

(Presseerklärung der Württembergischen<br />

Vikarskonferenz 1969, in: akid<br />

4/69, S. 26)<br />

Für Müller hat sich die Lage, was das<br />

Verständnis der Bibel angeht, nicht<br />

wesentlich geändert. Der Spagat zwischen<br />

wissenschaftlicher Ausbildung an<br />

iHarry Waßmanni<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Die Esslinger Erklärung gehört in ihre Zeit. Sie atmet die Atmosphäre von 1968<br />

und 1969. Das macht Klaus W. Müller gleich zu Beginn unseres Gespräches<br />

deutlich. Er erinnert an die Gründung der „Kritischen <strong>Kirche</strong>“ (später „<strong>Offene</strong><br />

<strong>Kirche</strong>“), an den Rücktritt des von Konservativen im Vorfeld des Stuttgarter<br />

<strong>Kirche</strong>ntags „gemobbten“ Synodalpräsidenten Oskar Klumpp, an die heftigen<br />

Diskussionen um das Schriftverständnis auf dem Stuttgarter <strong>Kirche</strong>ntag und an<br />

die Synodenbegleitung „von oben“: Wie von der Besucherempore aus spontan<br />

erstellte Flugblätter die Redebeiträge kommentierten und die Synodalen z.T.<br />

„per Luftpost“ erreichten. Auch die Wahl von Helmut Claß zum Bischof gehört<br />

für Müller in das Umfeld der Esslinger Erklärung. Er galt als Brückenmensch,<br />

als einer, der es unternahm, die StudentInnen und VikarInnen ernst zu<br />

nehmen. Nach Müllers Erinnerung wollte die Esslinger Vikarskonferenz<br />

einen Beitrag zu einem angemessenen Verständnis des fragwürdig gewordenen<br />

und mißbrauchten Begriffs der Autorität erarbeiten. Dabei seien zwei Kernbereiche<br />

für die jungen TheologInnen besonders wichtig gewesen: 1. Wie ist<br />

die Autorität der Bibel zu beschreiben? und 2. Welche Autorität kommt<br />

bürgerlichen Lebensformen zu – und wie verhält sich dazu die kirchliche<br />

Kasualpraxis?<br />

der Uni und dem weit verbreiteten<br />

Bibelverständnis in der Gemeinde ist bis<br />

heute für die angehenden PfarrerInnen<br />

belastend. Genau das war der Ausgangspunkt<br />

und die Baustelle von Esslingen.<br />

Müller: „Solange das<br />

hermeneutische<br />

Problem nicht offen<br />

verhandelt wird,<br />

bestehe der gleiche<br />

Leidensdruck für<br />

PfarrerInnen weiter.“<br />

Ein offenes Gespräch<br />

über das Verständnis<br />

der Bibel aber<br />

bräuchte gegenseitiges<br />

Vertrauen, das<br />

Annehmen des<br />

Anderen als Christ<br />

und Christin. Vertrauen<br />

kann man nicht<br />

einfordern, es muss<br />

wachsen können. Es<br />

müsse „Arrangements<br />

für Vertrauen<br />

geben“, aber eben<br />

daran, so Müller,<br />

mangele es bis heute.<br />

Zwar habe sich die<br />

Theologie und<br />

Predigtpraxis weithin<br />

auf eine allegorische Bibellektüre<br />

eingelassen. Müller beobachtet auch so<br />

etwas wie eine „Wiederentdeckung der<br />

Erzählung“. Dies sei begrüßenswert,<br />

weil Erzählungen den menschlichen<br />

Erfahrungen besonders nahe sind, um<br />

die es beim Glauben geht. Aber sowohl<br />

im Blick auf Erzählungen als auch<br />

insbesondere, wenn es um ethische<br />

Texte geht, sei das hermeneutische<br />

Problem weiter virulent. Wie verstehen<br />

wir heute den biblischen Dualismus von<br />

Gut und Böse? Oder Phänomene wie<br />

den Bann in der Bibel? Die Mythen und<br />

die Wunderberichte. Buchstäblich?<br />

Allegorisch? Für uns nicht bindend? Für<br />

Müller ist an solche Texte immer und<br />

immer wieder die Frage neu zu stellen:<br />

„Ist überall, wo Gott drauf steht, auch<br />

Gott drin?“ Diese Frage ernst zu<br />

nehmen, heißt für ihn, „nach der Mitte<br />

der Schrift (Bibel) zu fragen“. Aber eben<br />

darüber gibt es bis heute unter den<br />

verschiedenen Bibellesarten in unserer<br />

<strong>Kirche</strong> keine Verständigung.<br />

Der Satz: „Bei der Bemühung, diese Not<br />

zu wenden, verstehen wir die Bibel als<br />

einen Gesprächspartner unter anderen“<br />

und die Wendung „müssen uns in<br />

erster Linie an der gegenwärtigen<br />

gesellschaftlichen und individuellen Not<br />

orientieren“ – seien übrigens nicht aus<br />

seiner Feder und der Grund dafür, dass<br />

er selbst nicht für diese Resolution<br />

gestimmt habe. Beides sei in der Endredaktion<br />

hinzugefügt worden und in<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 13


der Öffentlichkeit aufgespießt worden,<br />

als würde hier die Geringschätzung der<br />

Bibel durch die VikarInnen erkennbar.<br />

Dass es den VikarInnen aber vielmehr<br />

um eine begründete Autorität der Bibel<br />

ging und nicht um ein autoritär verordnetes<br />

„Die Bibel hat doch recht“, das sei<br />

damals nicht begriffen worden.<br />

Die VikarInnen haben sich in Esslingen<br />

1969 durchaus nicht als antiautoritäre<br />

TheologInnen verstanden, sondern seien<br />

auf der Suche nach einer Autorität<br />

gewesen, die davon lebt, dass etwas<br />

überzeugt und einleuchtet. Nicht das<br />

Evangelium als Autorität in Gestalt der<br />

Unterwerfung oder der Preisgabe der<br />

Vernunft, sondern als eine Autorität, die<br />

getragen ist von der Erwartung und der<br />

Erfahrung: Es wird einleuchten. Das sei<br />

auch der Knackpunkt gewesen für ihre<br />

vehemente Kritik an der kirchlichen<br />

Trauung.<br />

Ehe ohne geistlichen Grund<br />

Die Arbeitsgruppe ,,Theologie, Soziologie<br />

und Therapie“ hat unter Aufnahme<br />

von Gedanken der ,,Celler Konferenz“<br />

unter anderem den gesellschaftlichen<br />

Bezug der kirchlichen Amtshandlungen<br />

diskutiert. Dort wurde das Grundproblem<br />

am Beispiel der kirchlichen<br />

Trauung erörtert. Dabei kam man in der<br />

Arbeitsgruppe zu folgenden Ergebnissen:<br />

1 a) Die kirchliche Trauung neben der<br />

bürgerlichen Eheschließung wirkt als<br />

Sanktionierung der letzteren. Die<br />

Institution Ehe wird dadurch zur<br />

göttlichen Ordnung erhoben und so der<br />

Diskussion entzogen.<br />

b) Die Überhöhung der Ehe zur gottgewollten,<br />

unauflöslichen Ordnung hat<br />

u. a. die Diskriminierung von Geschiedenen<br />

zur Folge.<br />

c) Die gegenwärtige Traupraxis der<br />

<strong>Kirche</strong> dient dazu, die Problematik der<br />

Ehe in der heutigen Gesellschaft zu<br />

verschleiern, statt zu ihrer Klärung<br />

beizutragen.<br />

d) Dieser Mißstand kann durch Traugespräche<br />

und Eheberatung höchstens<br />

verdeckt, nicht aber behoben werden,<br />

solange an der kirchlichen Trauung<br />

selbst festgehalten wird.<br />

2. Aus den angegebenen Gründen sollte<br />

die gegenwärtig praktizierte Form der<br />

kirchlichen Trauung nicht weitergeführt<br />

werden.<br />

3. Der Beitrag der <strong>Kirche</strong> zur Lösung<br />

der Eheproblematik müßte darin<br />

bestehen, zu einer sachgemäßen<br />

Diskussion beizutragen. Das könnte in<br />

Gesprächen und Seminaren geschehen,<br />

sofern sie ohne gesellschaftlichen Druck<br />

nicht als<br />

Vorbedingung<br />

einer<br />

kirchlichen<br />

Trauung,<br />

und mit<br />

fachlich<br />

geschulten<br />

Gesprächspartnern<br />

geführt<br />

werden.<br />

(Presseerklärung<br />

der Württembergischen Vikarskonferenz<br />

1969, in: akid 4/69, S. 26)<br />

Diese Passage, so vermuteten die<br />

VikarInnen damals fälschlich, würde<br />

mehr Widerspruch auslösen als die<br />

erste. Aber ihre Kritik der kirchlichen<br />

Trauung ging im Streit um ihr Bibelverständnis<br />

unter. Beim Streit um die<br />

kirchliche Trauung ging es nach Müller<br />

zunächst gar nicht um Theologie. Die<br />

standesamtliche Trauung hatte aus der<br />

Sicht der „Esslinger“ die kirchliche<br />

Trauung verdrängt oder auch überflüssig<br />

gemacht. Man verwahrte sich vehement<br />

gegen eine religiöse Überhöhung<br />

staatlich regulierter Lebensordnungen.<br />

Was Ehe soll, darauf fand die 68-er<br />

Generation in der Theologie keine<br />

Antwort. Sie bewunderten die Therapeuten<br />

und waren von deren Weisheit<br />

überwältigt. Seine Generation, so<br />

Müller, war von einem großen Zutrauen<br />

zur Humanwissenschaft erfasst und von<br />

einem ebenso großen schlechten<br />

Gewissen, „nur Theologe zu sein“.<br />

Wenige seines Jahrgangs seien dann<br />

auch im Pfarramt angekommen.<br />

Müller bemerkt heute demgegenüber<br />

eine witzige Verkehrung: Gerade die<br />

gleichgeschlechtlichen Partnerschaften –<br />

nunmehr staatlich anerkannt – drängten<br />

nach einer religiösen Weihe. Was aber<br />

1968 und in Folge nicht gelang war, die<br />

Gemeinschaft von Frau und Mann –<br />

auch in der Gestalt der Ehe – in ihrer<br />

religiösen Weisheit zu ergründen. Das<br />

blieb offen. Es gehe in Partnerschaften<br />

doch um Verbindlichkeit und Verlässlichkeit,<br />

es gehe um das, was Menschen<br />

beglückt und fördert. Genau das, so<br />

Müller, sei theologisch (weisheitlich) zu<br />

durchdringen und ist eine bis heute<br />

bleibende Aufgabe. Im Herabsetzen<br />

gleichgeschlechtlicher Partnerschaften<br />

und nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften<br />

äußere sich heute „Angst vor dem<br />

Fremden, Angst vor Wandel und<br />

Unsicherheit im Blick auf Lebensorientierung“.<br />

Das Bedürfnis nach<br />

einem festen Reglement ist zwar<br />

erkennbar und verständlich. Es wird<br />

daraus aber eine heikle Geschichte,<br />

wenn mit Lebensorientierungen Macht<br />

über andere ausgeübt wird.<br />

Gemeinsame Erklärungen über die<br />

Grundlagen unseres Glaubens helfen so<br />

lange nicht weiter, solange man sich<br />

nicht angstfrei gegenseitig befragen<br />

kann: „Was meinst du damit? Wie<br />

verstehst du das?“ Für Klaus W. Müller<br />

steckt ein Weg zu einem solchen<br />

gegenseitigen Verstehen verschiedenartiger<br />

Lebenspraxis in dem apokryphen<br />

Wort Jesu bei Lukas 6, 4, wo es heißt:<br />

„An diesem Tage sah Jesus einen Mann,<br />

der am Sabbat arbeitete. Er sprach zu<br />

ihm: Mensch, selig bist du, wenn du<br />

weißt, was du tust. Wenn du es aber<br />

nicht weißt, bist du verflucht und ein<br />

Gesetzesübertreter.“ (Codex Cantabrigiensis).<br />

Zugleich, und das steht am<br />

Ende des Gesprächs, wundert sich<br />

Müller, mit welchem Pathos heute über<br />

Ziele und Reformen von <strong>Kirche</strong> gestritten<br />

wird, kommt es ihm doch so vor, als<br />

hätten sie seinerzeit diese ganzen<br />

Überlegungen schon einmal angestellt.<br />

Aber jede Generation geht neu heran.<br />

Als Leiter des Pfarrseminars sieht er<br />

heute junge TheologInnen heranwachsen<br />

mit einem großen Horizont und<br />

Verstehensmöglichkeiten für ganz<br />

verschiedene Lebenssituationen. Bleibt<br />

zu hoffen, dass ein engstirniges Bibelverständnis<br />

diesen Nachwuchs nicht aus<br />

dem Amt treibt.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Harry Waßmann ist Pfarrer in<br />

Tübingen<br />

Seite 14 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


<strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />

Das Reich Gottes und das<br />

Heil des Menschen<br />

Zum 200. Geburtstag von Johann Christoph<br />

Blumhardt am 16. Juli<br />

Christian Buchholzi<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Möttlingen im frühen 19. Jahrhundert<br />

Möttlingen ist ein kleines Dorf am Rand<br />

des Nord-Schwarzwaldes zwischen Weil<br />

der Stadt und Liebenzell. Armut und<br />

Begrenztheit bestimmen das Leben:<br />

Kleinste Bauernhöfe, wenige Handwerker,<br />

Hausierertätigkeit im Winter. Die<br />

Religiosität ist geprägt von exzessiver<br />

Frömmigkeit, getragen von biblizistischem<br />

Pietismus, scharf ablehnender<br />

Kritik der Aufklärungstheologie und des<br />

Rationalismus. Dämonenglaube, Zauberei<br />

und der Glaube an das Numinose im<br />

Alltag ergeben eine Mischung aus<br />

biblischem Christentum und heidnischer<br />

Volksreligiosität. Viele erwarten die nahe<br />

Wiederkunft Christi. Manche wandern<br />

deshalb nach Palästina oder (über<br />

Korntal) nach Osteuropa aus. Doch die<br />

meisten kompensieren die ersehnte<br />

Hoffnung durch eine spannungsgeladene<br />

Frömmigkeit. Psychische und<br />

körperliche Probleme haben zum Teil<br />

hierin ihre Ursachen. Zu Beginn der<br />

Industrialisierung wird von Doris<br />

Blumhardt eine „Industrieschule“<br />

(Strick- und Nähschule) und 1844 von<br />

Joh. Christoph Blumhardt eine Kleinkinderschule<br />

gegründet und von<br />

Gottliebin Dittus geleitet.<br />

Blumhardts Vorgänger, Christoph<br />

Gottlieb Barth (1799-1862), ist ein<br />

hochgebildeter, weltoffener Mann,<br />

kommt aber in Seelsorge und Predigt bei<br />

der Dorfbevölkerung nicht an. Er hat<br />

Kontakte zur Brüdergemeinde in<br />

Herrnhut, hat die Reformpädagogik von<br />

Johann Friedrich Oberlin (1740-1826)<br />

studiert und ist durch die Gründung des<br />

„Vereins zur Rettung verwahrloster<br />

Kinder“ in Beuggen/Süd-Baden berühmt<br />

geworden. Nachdem er – so sagt er<br />

selbst – „die Gemeinde zu Tode gepredigt“<br />

hat, leitet er schließlich den von<br />

ihm gegründeten Verlagsverein in Calw.<br />

Johann Christoph Blumhardt stammt aus<br />

einer Stuttgarter Bäckersfamilie, von<br />

deren pietistischer Frömmigkeitspraxis<br />

stark geprägt. Trotz des frühen Todes<br />

des Vaters kann er dank eines königlichen<br />

Stipendiums in Tübingen Theologie<br />

studieren. Im Evangelischen Stift gilt<br />

er als strebsam und umfassend gebildet.<br />

Nach kurzem Vikariat in Dürrmenz bei<br />

Mühlacker lehrt er von 1830 bis 1837<br />

an der Missionsschule in Basel Hebräisch<br />

und das „Nebenfach der Nützlichen<br />

Kenntnisse“. In Basel verlobt er<br />

sich mit Doris Köllner aus Sitzenkirch.<br />

Blumhardt kehrt nach Württemberg<br />

zurück, um eine Pfarrstelle zu bekommen.<br />

Kurze Zeit ist er Vikar in Iptingen<br />

bei Vaihingen/Enz. Paul Schempp<br />

(1900-1959), notiert 100 Jahre später<br />

als Pfarrer in Iptingen über Blumhardts<br />

seelsorgerliche Arbeit: „Johann Christoph<br />

Blumhardt war ein Zeuge der Bibel<br />

und das heißt ein Zeuge Jesu Christi.<br />

Mehr wollte er nicht sein; dies aber<br />

wollte er ganz sein. So durchzieht sein<br />

Denken und Leben eine gewaltige<br />

Sehnsucht nach neuen Gottesoffenbarungen,<br />

nach Pfingstzeiten der <strong>Kirche</strong>,<br />

nach deutlichen Machterweisen und<br />

Siegeszügen Jesu und eine ebenso große<br />

Wehmut über die Dürftigkeit und<br />

Magerkeit der <strong>Kirche</strong> und der Gemeinden.“<br />

1838 kommt Blumhardt in das leer<br />

gepredigte Möttlingen. Durch intensive<br />

Hausbesuche und Seelsorge, Unterricht<br />

und Vorträge sowie einfache und klare<br />

Predigten will er das Eis brechen. Aber<br />

die „Gleichgültigkeit war schon so groß,<br />

dass das Dorf schrecklich gelähmt war<br />

durch krassen Aberglauben, der auf Leib<br />

und Seele verderblich wirkte“, so sein<br />

Sohn später. „Ein Tun Gottes musste<br />

helfen, wenn geholfen werden sollte.“<br />

1840 ziehen vier elternlose Geschwister<br />

namens Dittus (auch eine Bäckersfamilie)<br />

in ein ärmliches Häuschen in<br />

der Dorfmitte. Damals eher einem Stall<br />

ähnlich, ist es heute ein kleines Museum.<br />

Ein Spruch am Fensterladen (noch<br />

sichtbar) charakterisiert die religiöse<br />

Stimmung der Zeit: „O Mensch bedenk<br />

die Ewigkeit – und spotte nicht der<br />

Gnadenzeit – denn das Gericht ist nicht<br />

mehr weit.“ Gottliebin, die älteste der<br />

Geschwister, lange körperlich und<br />

seelisch kränkelnd, sucht zögernd<br />

Kontakt zum neuen Pfarrer, als ihre<br />

Leiden sie tiefer belasten. Sie ist fasziniert<br />

von dem jungen Mann und<br />

glänzenden Pfarrer und abgestoßen<br />

zugleich. Oft weist sie ihn bei seinen<br />

Besuchen ab. Sie hängt noch stark an<br />

dem Vorgänger, der sie zur Leiterin der<br />

dörflichen Spinnabende für junge Leute<br />

berufen hatte. Die manchmal zwielichtige<br />

Atmosphäre legt sich auf alle Beteiligten.<br />

Es entwickelt sich eine gereizte und<br />

diffuse Beziehung zwischen Blumhardt<br />

und Gottliebin, die zu keiner Klärung<br />

findet. Blumhardt akzeptiert die Situation<br />

und Gottliebins Verhalten. Er drängt<br />

sich nicht auf. So nimmt eine Krankheits-<br />

und Heilungsgeschichte ihren<br />

Lauf, die unter ernst zu nehmenden<br />

Zeugen geschehen, gut und vielfältig<br />

berichtet, als „Krankheitsgeschichte der<br />

Gottliebin“ in religiöser Erbauungsliteratur<br />

wie auch in der theologischen<br />

und medizinischen Wissenschaft<br />

bekannt ist.<br />

Therapie der Gottliebin<br />

Nie wollte Blumhardt aus seiner Erfahrung<br />

etwas Besonderes machen. Aber er<br />

wird angefeindet durch Ärzte, im<br />

Kollegenkreis und bei der <strong>Kirche</strong>nleitung.<br />

So schreibt er einen ausführlichen<br />

Bericht für das königliche Konsistorium<br />

(die damalige <strong>Kirche</strong>nleitung), der<br />

wiederum unter Vertrauensbruch an die<br />

Öffentlichkeit gelangt und durch<br />

Blumhardt dann verschiedentlich<br />

ergänzt und erweitert wird. Später<br />

nimmt er in seiner Predigt- und Seel-<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 15


sorgearbeit ausdrücklich darauf Bezug.<br />

Diese Heilungsgeschichte prägt sein<br />

Lebenswerk und seine Theologie wie die<br />

seines Sohnes Christoph Friedrich<br />

Blumhardt entscheidend; sie wird zum<br />

integralen Bestandteil ihres Denkens,<br />

Glaubens und Handelns. Rückblickend<br />

sagt Blumhardt ein Jahr vor seinem Tod<br />

in einer Weihnachtspredigt: „Es sind<br />

heute 36 Jahre her, da ich auf der<br />

Kanzel stand in Möttlingen. Ich bin<br />

damals mit einem Triumphgefühl<br />

aufgetreten, da mir der Psalm, den<br />

Maria sang (Lk1,46ff), sehr wertvoll<br />

gewesen ist. Denn es war am Tag,<br />

nachdem ich mit einem eigentlichen<br />

schweren Kampf fertig geworden war.<br />

Das war ein persönlicher Kampf mit den<br />

Persönlichkeiten der Finsternis, da wir<br />

miteinander einunddreiviertel Jahre<br />

gerungen haben, um zu sehen, wer der<br />

Herr würde. So hat der Gedanke an<br />

Jesus, den Anfänger und Vollender des<br />

Glaubens, der nach blutigem Kreuzestod<br />

zur Rechten Gottes erhöht worden ist,<br />

mich stark erhalten; und zuletzt hat<br />

auch die Finsternis ausrufen müssen,<br />

vielleicht zum ersten Mal: Jesus ist<br />

Sieger! Und damit bin ich fertig gewesen.<br />

Jesus war Sieger. Und alle seine<br />

Feinde mussten es laut schreien, so dass<br />

es fast durch den ganzen Ort gehört<br />

wurde: Jesus ist Sieger! Ihr könnt euch<br />

denken, mit welchen Gefühlen ich dann<br />

…auf die Kanzel trat, da alles voll<br />

Erwartung war, wie es noch mit dem<br />

Kampf hinauslaufen würde. Aber kühn<br />

und mutig konnte ich sagen: Es ist<br />

gewonnen!“<br />

In seiner Analyse zu Beginn der Begleitung<br />

stellt Blumhardt sachlich fest:<br />

„Gibt’s eine Zauberei und Hexerei, ist’s<br />

nicht Sünde, sie unangetastet ihr Spiel<br />

treiben zu lassen? Mit solcherlei Gedanken<br />

arbeitete ich mich im Glauben an<br />

die Kraft des Gebetes auch in diese<br />

Sache, bei welcher kein anderer Rat<br />

sonst übrig war, hinein und ich rief der<br />

Kranken zu: Wir beten, sei’s, was es<br />

wolle. Wir probieren’s. Wir verspielen<br />

wenigstens nichts mit dem Gebet. Der<br />

Herr wird tun, was er verheißt.“<br />

Blumhardt erkennt in der Krankheit eine<br />

„Herausforderung an Gott, ein Zeichen<br />

zu tun“ und stellt sich (zusammen mit<br />

den Kranken) dieser Herausforderung<br />

durch intensives und schlichtes Gebet.<br />

Fast nüchtern kann er nach aller<br />

Anspannung formulieren: „Nun schien<br />

die Macht und Kraft des Dämons mit<br />

jedem Augenblick gebrochen zu werden.<br />

Er wurde immer stiller und<br />

ruhiger, konnte immer weniger Bewegungen<br />

machen und verschwand zuletzt<br />

ganz unmerklich, wie das Lebenslicht<br />

eines Sterbenden erlischt…“<br />

Beim Versuch, dieses Ereignis und<br />

Blumhardts Weg zu verstehen und<br />

einzuordnen, fallen verschiedene<br />

Elemente auf, die die neuzeitliche<br />

Sehnsucht nach Spiritualität auf eine<br />

ganzheitlich-geistliche Weise korrigiert:<br />

1. Nicht Blumhardt ist der eigentlich<br />

Agierende: Die Energie der Krankheit<br />

wird umgelenkt. Die Kranke kommt zu<br />

sich selbst und zu ihren ursprünglichen<br />

Kräften. Er schafft „Quartier“, wie<br />

später der Sohn formuliert, für den<br />

Menschen und für Gottes Wirken.<br />

2. Die Heilung geschieht im Raum des<br />

Vertrauens. „Der Heiland kommt nicht<br />

als der große Kaputtmacher, sondern als<br />

der große Seligmacher.“ Die Öffentlichkeit<br />

bleibt während der Heilung ausgeschlossen,<br />

eine heftige Kritik an heutigen<br />

Heilungsspektakeln.<br />

3. Alles zielt auf das Christusbekenntnis:<br />

„Jesus ist Sieger“. Diese Heilung –<br />

wie später auch alle anderen – sind<br />

Anzeichen für den erhofften endgültigen<br />

Sieg. In dem einzigen Lied, das in<br />

unserem Gesangbuch von Blumhardt d.<br />

Ä. aufgenommen ist (EG 375), heißt es<br />

programmatisch: „Dass Jesus siegt,<br />

bleibt ewig ausgemacht.“<br />

4. Blumhardt hält aus. Er gibt – fast<br />

kindlich – nicht auf: Der Gebetskampf<br />

scheint der rote Faden zu sein. Die<br />

Wiederentdeckung der elementaren<br />

Dimension des Gebets, die unsere<br />

Wirklichkeit mehr als berührt, verbietet<br />

Gebetsfloskeln und oberflächliches<br />

Ritual. Blumhardt hält nichts vom<br />

„Andächteln“.<br />

5. Blumhardt nimmt die körperliche<br />

Dimension des Glaubens und die<br />

eigenartige Mächtigkeit der Volksreligion<br />

ernst. „Das Evangelium…ist eine<br />

Kraft.“ Blumhardt interpretiert den<br />

Vorgang als Befreiung: „Die Menschen<br />

bedürfen keiner Bekehrung – denn auch<br />

mit Sünden hatten sie sich nicht von<br />

Gott abkehren wollen – sondern nur<br />

einer Befreiung.“<br />

6. Die medizinische Versorgung durch<br />

den Arzt bleibt Teil der ganzheitlichen<br />

Heilung. „Ich arbeite…einer ärztlichen<br />

Behandlung (wenn sie noch nötig und<br />

verlangt wird) auf die heilbringende<br />

Weise vor.“<br />

7. Der Glaube kann auch heute Wunder<br />

wirken, die nicht auf die Zeit des<br />

historischen Jesus beschränkt sind.<br />

Unser Wirklichkeitsverständnis bleibt<br />

begrenzt.<br />

8. Theologisch ist interessant, dass<br />

Blumhardt nicht nur die synoptischen<br />

Berichte über Heilungswunder auf<br />

seiner Seite hat, sondern auch einen<br />

Grundstrom paulinischer Gedanken<br />

aufnimmt. Die urchristlichen und<br />

prophetischen Zeugen des Glaubens<br />

sind seine Vorbilder.<br />

Deutungen<br />

In der fachkundigen Deutung dieser<br />

Geschichte haben sich nach dem<br />

zweiten Weltkrieg vor allem die Psychotherapeuten<br />

Joachim Scharfenberg und<br />

Gaetano Benedetti (Basel) einen Namen<br />

gemacht: Sie gelten als herausragende<br />

Brückenbauer zwischen Theologie/<br />

Seelsorge und Psychotherapie und als<br />

Vorläufer der klinischen Seelsorge in der<br />

heutigen Pfarrerausbildung: Arzt und<br />

Seelsorger haben ihre je eigene Kompetenz,<br />

die es zu respektieren und in<br />

konstruktiver Zusammenarbeit zu<br />

gestalten gilt. So auch in der tiefenpsychologischen<br />

Interpretation unseres<br />

„Falles“. Nicht Gottliebin sondern der<br />

„Dämon“ steht im Zentrum des „Kampfes“.<br />

Blumhardt tritt als Seelsorger und<br />

Gesprächstherapeut an die Stelle der<br />

Schwachen, weil sie ihrer inneren<br />

Zerrissenheit nicht mehr Herr wird. Er<br />

setzt sich ihr und der ganzen zerstörerischen<br />

Konfliktsituation aus. In dem<br />

„maßvollst gehaltenen Gespräch“ öffnet<br />

sich die Situation, Neues kann wachsen,<br />

damit „von oben her etwas kommen“<br />

kann. Gottliebins Stummheit wird in<br />

Sprachfähigkeit gewandelt. Gefestigt<br />

wird dieser Prozess dadurch, dass<br />

Blumhardt sie danach in die Großfamilie<br />

des Pfarrhauses einbindet. Sie erhält<br />

zudem eine wichtige Funktion im Dorf.<br />

Die Folgen<br />

Rasch wird der Vorfall bekannt – im<br />

Dorf, in der Umgebung, im Land und<br />

darüber hinaus. Öffentliche und intrigante<br />

Beschuldigungen gegen Blumhardt<br />

tragen dazu bei. Im Dorf beginnt<br />

eine spontane Buß- und Erweckungsbewegung:<br />

Einzelne, Eheleute, ganze<br />

Familien kommen zu Blumhardt zur<br />

Seelsorge, zur Beichte. Tränen fließen.<br />

Glaube wird gestärkt. Die Gottesdienste<br />

sind überfüllt. Das Pfarrhaus wird zum<br />

aus allen Nähten platzenden Gasthaus<br />

der Mühseligen und Beladenen. Blumhardt<br />

versteht sich dabei nicht als der<br />

große Heiler, sondern er sehnt sich bei<br />

all dem Trubel und aller bewegten<br />

Frömmigkeit nach „Ausstrahlungen der<br />

Herrlichkeit und Freundlichkeit Jesu<br />

Christi“. „Es war mir, als ob ich in eine<br />

ganz neue, mir völlig unbekannte<br />

Seite 16 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Sphäre hineingezogen würde, in<br />

welcher heilige Geisteskräfte sich<br />

regten.“ Neid und Anfeindungen von<br />

seiten der Pfarrerschaft wachsen, ziehen<br />

doch viele Gemeindeglieder Sonntag für<br />

Sonntag aus ihren Dörfern und Städten<br />

in Kutschen und auf Bauernwagen nach<br />

Möttlingen. Manchmal scheint halb<br />

Stuttgart unterwegs zu sein. Ebenso<br />

häufen sich ganz konkrete Erwartungen<br />

vieler Heilung Suchender. Blumhardt<br />

wird auch von Menschen und Gemeinden<br />

außerhalb Württembergs angefragt<br />

und besucht. Die <strong>Kirche</strong>nleitung wirft<br />

ihm vor, sich in ärztliche und außerparochiale<br />

Angelegenheiten einzumischen.<br />

Der Rückhalt im Dorf nimmt im<br />

Lauf der Jahre ab. Erste Ideen, an<br />

anderer Stelle und in einer anderen<br />

<strong>Kirche</strong> zu wirken, nehmen Gestalt an.<br />

König Wilhelm I. will ihn aber unbedingt<br />

in Württemberg halten.<br />

Nachdem Blumhardt verschiedene<br />

Versuche, seine ausufernde Arbeit<br />

selbständiger gestalten zu können,<br />

erfolglos und enttäuscht abgebrochen<br />

hat, besichtigen seine Frau Doris und<br />

Gottliebin Dittus das heruntergekommene<br />

königliche Kurhaus in Bad Boll, das<br />

zum Verkauf steht, um größere und<br />

attraktivere Räumlichkeiten zu finden.<br />

1852 übernimmt Blumhardt für die<br />

stattliche Summe von 25.000 Gulden<br />

(es gab schon genügend Sponsoren) von<br />

der württembergischen Regierung das<br />

einstmalige „herzogliche Wunderbad“<br />

aus dem Jahr 1595 mit dem weiträumigen<br />

Grund und Boden. Das Bad –<br />

1824 unter dem Königspaar Wilhelm I.<br />

und Pauline restauriert – war von den<br />

„oberen Ständen“ nicht mehr angenommen<br />

und aufs Neue verfallen. Eine erste<br />

Umstrukturierung im Kurhaus ist<br />

programmatisch: Der Tanzsaal wird zum<br />

Gottesdienst-Saal (heute Festsaal und<br />

immer noch Ort für den sonntäglichen<br />

Gottesdienst der Herrnhuter Brüdergemeine).<br />

Nach anfänglichen Schwierigkeiten<br />

setzt sich die Möttlinger Erweckungs-<br />

und Heilungsbewegung in Bad<br />

Boll fort: Menschen aus allen Ständen<br />

(vornehmlich aber Begüterte und<br />

Einflussreiche) suchen Kontakt zu<br />

Blumhardt.<br />

Eine Sehnsucht nach dem „Heiligen“<br />

oder sogar nach dem „heiligen Mann“?<br />

– so fragen wir heute kritisch. Blumhardt<br />

selber hat das ähnlich problematisiert,<br />

andererseits aber seine geistliche<br />

Verantwortung aufgrund seiner Erfahrungen<br />

wahrnehmen wollen. Wie<br />

Paulus konnte er nicht anders: Tröstung,<br />

Heilung, körperliche Genesung, unmittelbaren<br />

und brieflichen Rat sowie<br />

gottesdienstliche und seelsorgerliche<br />

Begleitung suchen die Menschen und<br />

finden dies zum größten Teil bei<br />

Blumhardt persönlich, in der bergenden<br />

Atmosphäre des Kurhauses, in der dort<br />

erlebten Gemeinschaft. Nie wollte<br />

Blumhardt aus seinem Kurhaus eine<br />

„Gebetsheilanstalt“ werden lassen. Aber<br />

es sollte zum Zeugnis werden für den<br />

sichtbaren und greifbaren Weg des<br />

Reiches Gottes in dieser Welt. Deshalb<br />

ist auch die Übersetzung der beiden<br />

Wilhelm und Pauline wiedergebenden<br />

Buchstaben W und P, im Sinn (der<br />

beiden!) Blumhardts – Warten und<br />

Pressieren: Wir warten auf das Reich<br />

Gottes und wir bemühen uns gleichzeitig<br />

darum, ihm hier in unserer Welt<br />

Gestalt zu geben.<br />

1872 stirbt die Weggefährtin Gottliebin:<br />

An ihrem Sterbebett wird den Versammelten<br />

(erneut) die Gewissheit vermittelt:<br />

„Jesus siegt“. Dieses elitäre Bewusstsein<br />

mit dem kämpferischen<br />

Grundton prägt weiter die Wege der<br />

Beteiligten. Im Frühjahr 1880 erkrankt<br />

Blumhardt an einer Lungenentzündung.<br />

Im Stil hebräischer Patriarchen versammelt<br />

er seine Söhne um sich und<br />

verpflichtet sie zum Dienst an der<br />

begonnenen Aufgabe: „Ich segne dich<br />

zum Siegen“ spricht er auf dem Sterbebett<br />

Christoph Friedrich zu, der widerwillig<br />

Theologie studierte und nie den<br />

Vater beerben wollte. Als einfacher<br />

Mitarbeiter hat er – nach verschiedenen<br />

Vikariaten (u.a. in Dürnau bei Bad Boll)<br />

– über zehn Jahre in der Landwirtschaft<br />

des Kurhauses den Stall gemistet, Milch<br />

gemolken und in der Hausverwaltung<br />

mitgearbeitet. Nun ist er in die geistliche<br />

und strukturelle Pflicht genommen.<br />

Fragen und Perspektiven<br />

Ob sich die modernen Heilungsbewegungen<br />

auf Blumhardt berufen können,<br />

ist mehr als zweifelhaft, obgleich sie auf<br />

die körperliche Dimension von Religion<br />

und besonders des christlichen Glaubens<br />

verweisen. Aber der Lärm, der medial<br />

um sie erzeugt wird, verdeckt meist das<br />

freundliche und Mut machende Gebot<br />

der Heilung im NT (Mk 16 u.ö.), das<br />

stets intime Seelsorge mit erlebbarer<br />

Veränderung des Alltags verbindet.<br />

Das Kurhaus existiert noch. Es ist jetzt<br />

Teil der „Diakonie Stetten“, unserer<br />

großen diakonischen Einrichtung in<br />

Württemberg. Das Haus selber wird als<br />

Rehabilitationsklinik für verschiedene<br />

Krankheiten – dank der Schwefel- und<br />

Mineralquelle und der Schiefer-Fango-<br />

Anwendungen – geführt und mit einem<br />

ausgesprochen seelsorgerlich-geistlichen<br />

Angebot ergänzt. Ein „Geistliches<br />

Zentrum“ rundet das moderne Angebot<br />

ab – ganz in der Tradition der beiden<br />

Blumhardts und im Geist der Schenkungsurkunde<br />

von 1920, als das Haus<br />

und der gesamte Besitz von der Blumhardt-Familie<br />

an die Herrnhuter Brüdergemeine<br />

überging: „Bad Boll soll ein<br />

Haus sei, wo der Heiland regiert, in dem<br />

man nach dem Reiche Gottes trachtet<br />

und sich um sein Wort sammelt. Es soll<br />

eine Stätte sein, von der Segen ausströmt<br />

in weite Kreise des Volkes, wo<br />

Arme und Reiche sich in einem Geiste<br />

zusammenfinden, wo Mühseligen und<br />

Beladenen eine Stätte geboten wird, von<br />

der aus sie neu gestärkt wieder hinaustreten<br />

können in den Kampf des Lebens,<br />

und wo Liebe und Barmherzigkeit<br />

wohnen.“<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Christian Buchholz, Schuldekan für<br />

Göppingen und Kirchheim/Teck.<br />

Veranstaltungshinweise:<br />

Sonntag, 7. August, Pilgerweg in<br />

Erinnerung an die beiden Blumhardts<br />

durchgeführt in Bad Boll. Informationen<br />

und Anmeldungen:<br />

www.evanggemeindeblatt.de/<br />

email:redaktion@evanggemeindeblatt.de/<br />

Tel: (07 11) 6 01 00-74<br />

Internationale Tagung über Johann<br />

Christoph Blumhardt: 7. bis 9. Oktober<br />

in der Evangelischen Akademie Bad<br />

Boll. Informationen und Anmeldungen:<br />

www.ev-akademie-boll.de/<br />

email:monika.doludda@ev-akademieboll.de,<br />

Tel: (0 71 64) 79-342<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 17


Bezirk Schorndorf<br />

Ein neues Afrika<br />

scheint möglich<br />

Präsidentin des ökumenischen<br />

Weltrates setzt aufs Positive:<br />

Friede, Demokratie, mehr Rechte<br />

für Frauen<br />

Aids, Kriege, Völkermord, Hunger – das<br />

sind die Stichworte, die spontan zum<br />

Thema „Afrika“ fallen. Alles richtig,<br />

stimmt Dr. Agnes Abuom zu. Und doch:<br />

Ein neues, ein anderes Afrika scheint<br />

möglich; erste Anzeichen von Frieden,<br />

Demokratie und mehr Rechten für<br />

Frauen lassen hoffen. Die Präsidentin<br />

des ökumenischen Weltrates setzt aufs<br />

Positive.<br />

Was die Kenianerin auf Einladung der<br />

Volkshochschule Schorndorf vor rund<br />

50 Gästen von Afrika zu erzählen<br />

wusste, schien manchem Zuhörer als zu<br />

weich gezeichnet, zu optimistisch. Ein<br />

Einwand, den Dr. Agnes Abuom leicht<br />

entkräften kann: „Wenn du ein Pferd<br />

jeden Tag schlägst, wird es müde“,<br />

sprich: Wo keine Hoffnung, ist kein<br />

Vertrauen in die Zukunft, kann nichts<br />

wachsen.<br />

Aus Sicht der Repräsentantin der<br />

afrikanischen <strong>Kirche</strong>n wächst vieles zur<br />

Zeit in Afrika. Die Afrikaner sind, und<br />

das ist neu, bereit, die Verantwortung<br />

für die Geschicke des Kontinents selbst<br />

zu übernehmen, übersetzt Helmut Hess<br />

die englischen Worte der Referentin.<br />

Hess zeichnet bei „Brot für die Welt“ für<br />

Afrika zuständig und hat Agnes Abuom<br />

bereits zum zweiten Mal nach Schorndorf<br />

geholt. Seit ihrem letzten Besuch<br />

vor vier Jahren hat sich in Afrika viel<br />

zum Guten verändert. Das darf nicht<br />

verschweigen, wer ein realistisches Bild<br />

von Afrika zeichnen will, sagt die<br />

Historikerin und zählt auf: Im Sudan<br />

keimt neue Hoffnung für Frieden –<br />

okay, die verfeindeten Parteien haben<br />

nicht zum ersten Mal ein Friedensabkommen<br />

unterzeichnet. Doch kehren<br />

jetzt junge Flüchtlinge in ihre Heimat<br />

zurück, voll Schwung und willens, das<br />

Land neu aufzubauen, demokratische<br />

Strukturen zu etablieren. Nachhaltiger<br />

Friede indes wird nur gelingen, sofern<br />

die uralten Werte erhalten bleiben.<br />

Noch ein Beispiel für Hoffnungsschimmer:<br />

In Somalia gibt’s seit kurzem eine<br />

gewählte Regierung. Ein Viertel der<br />

Parlamentssitze entfällt auf Frauen – ein<br />

riesiger Fortschritt auch hier. Wie in<br />

Ruanda, wo ganz langsam demokratische<br />

Strukturen Einzug halten und<br />

immer mehr Frauen an die Macht<br />

gelangen. Noch so ein Hoffnungszeichen:<br />

Eine neue Partnerschaft für<br />

afrikanische Zusammenarbeit kümmert<br />

sich um eine eigenständige wirtschaftliche<br />

Entwicklung Afrikas. Eine Kenianerin<br />

hat jüngst den Friedensnobelpreis<br />

erhalten. Menschen engagieren sich mit<br />

neuem Schwung, neuer Energie nicht<br />

zuletzt für eine spirituelle Erneuerung:<br />

Die Würde jedes Mannes, jeder Frau<br />

wieder in den Mittelpunkt rücken, das<br />

versteht die Kenianerin darunter. Das<br />

Leben feiern, darum geht es doch, um<br />

diese Stimmung – die sich keiner<br />

vermiesen lassen soll von der Politik<br />

oder auch der <strong>Kirche</strong>. Kritik an der<br />

<strong>Kirche</strong>, die sie vertritt, scheute Abuom<br />

in Schorndorf nicht: Wo in einem Jahr<br />

weit mehr als zwei Millionen Menschen<br />

an Aids sterben. So wie 2004 in Afrika,<br />

muss <strong>Kirche</strong> endlich lernen, offen über<br />

Sexualität zu sprechen.<br />

Lösungsansätze gedeihen<br />

Die Probleme liegen auf der Hand,<br />

Lösungsansätze gedeihen – Bundespräsident<br />

Horst Köhler hat vor seiner Reise<br />

nach Afrika kürzlich gesagt, am Schicksal<br />

Afrikas entscheide sich die Menschlichkeit<br />

der Welt, und damit die Verantwortung<br />

der westlichen Welt für diesen<br />

Kontinent unterstrichen. Der Welt bleibt<br />

auch gar nichts anderes übrig, als<br />

Verantwortung zu übernehmen. Die<br />

Wiege der Menschheit liegt in Afrika<br />

und, so Abuom, „die Zukunft Afrikas ist<br />

Voraussetzung fürs Überleben der<br />

Menschheit insgesamt“.<br />

Schorndorfer Nachrichten vom<br />

9. 3. <strong>2005</strong> – Andrea Wüstholz<br />

Pressemitteilung<br />

Dank an Kling-de Lazzer<br />

Frauenkandidatur ein Erfolg –<br />

Konservative Synodenmehrheit<br />

fehlt das Selbstbewusstsein<br />

anderer Synoden<br />

Die <strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong>, Evangelische<br />

Vereinigung in Württemberg (OK),<br />

dankt Frau Dekanin Dr. Kling – de<br />

Lazzer für ihre Bereitschaft und den<br />

Mut zur Kandidatur als erste Bischöfin<br />

der Evangelischen <strong>Kirche</strong> in Württemberg.<br />

Die OK begrüßt die überzeugenden<br />

Vorstellungen, die Frau Kling-de<br />

Lazzer für eine <strong>Kirche</strong> der Zukunft<br />

entwickelt hat. Die OK wird auch<br />

weiterhin engagiert dafür arbeiten,<br />

Frauen den Weg in kirchliche Leitungsämter<br />

zu ebnen. Die OK fordert die<br />

anderen Kräfte in der Synode auf, das<br />

ihre auf diesem Weg beizutragen.<br />

Als Erfolg wertet es die <strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong>,<br />

dass es gelungen ist, eine Frau für das<br />

höchste Leitungsamt der evangelischen<br />

<strong>Kirche</strong> zu nominieren. Darüber hinaus<br />

hat Frau Dr. Kling-de-Lazzer dazu<br />

beigetragen, das Argument, es gäbe<br />

keine geeigneten Frauen für dieses Amt,<br />

endgültig zu entkräften.<br />

Festzuhalten ist, dass die konservative<br />

Mehrheit der Synode noch weit vom<br />

Selbstbewusstsein der Synoden entfernt<br />

ist, die Frauen wie Maria Jepsen, Bärbel<br />

Wartenberg-Potter oder Margot Kässmann<br />

zu Bischöfinnen gewählt haben.<br />

Auch unserer <strong>Kirche</strong> hätte es wohl<br />

angestanden, mit einer anerkannten<br />

Frau über ihre engen Grenzen hinaus<br />

Profil zu zeigen und damit im Konzert<br />

der EKD einmal wieder eine prägende<br />

Rolle zu spielen. Vor allem die Gruppe<br />

„Evangelium und <strong>Kirche</strong>“ muss sich<br />

vorhalten lassen, zur Frauenpolitik nur<br />

wohlfeile Fensterreden zu halten.<br />

Eine Bischöfin wäre überdies ein<br />

ermutigendes Zeichen für eine gleichgestellte<br />

Gemeinschaft von Frauen und<br />

Männern in der <strong>Kirche</strong> gewesen,<br />

insbesondere aber für die vielen Christinnen<br />

in unserer <strong>Kirche</strong>, die das Gemeindeleben<br />

garantieren und auf deren<br />

Einsatz sich Pfarrerinnen und Pfarrer<br />

zusammen mit der <strong>Kirche</strong>nleitung<br />

selbstverständlich verlassen. Es wird ein<br />

wichtiges Anliegen der OK bleiben, zu<br />

ändern, dass die vielen, die <strong>Kirche</strong><br />

tragenden Frauen, einem ungeschriebenen<br />

<strong>Kirche</strong>ngesetz zufolge überwiegend<br />

von Männern in Leitungsämtern regiert<br />

werden.<br />

Dem neuen Bischof Frank July gratuliert<br />

die <strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong> und wünscht ihm<br />

eine glückliche Hand und Gottes Segen<br />

für seine Amtsführung. Sie warnt davor,<br />

erste Äußerungen Julys nach seiner<br />

Wahl etwa zu Gemeindestrukturen,<br />

Akademien oder Landeskirche Baden-<br />

Württemberg als Festlegungen zu<br />

werten. Solche Fragen bedürfen einer<br />

gründlichen und breiten Diskussion,<br />

bevor sie entscheidungsreif sind.<br />

Albrecht Bregenzer<br />

Pressestelle <strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Seite 18 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


AMOS Preis-<br />

Verleihung<br />

Mitschnitt aus der Erlöserkirche<br />

in Stuttgart, vom 20. Februar <strong>2005</strong><br />

Der gesamte Mitschnitt besteht aus zwei<br />

CDs<br />

CD1: AMOS-Preis für Café Strichpunkt<br />

Stuttgart<br />

◆ Laudatio: Der Stuttgarter<br />

Aidsseelsorger Petrus Ceelen<br />

◆ Ein Portrait von Stefanie Meineke in<br />

SWR1, Sonntagmorgen, 20.02.<strong>2005</strong><br />

Dauer 44:37, Preis 7,50 Euro<br />

CD2: AMOS-Preis für Halina Bortnowska,<br />

Journalistin und Menschenrechtlerin,<br />

Polen<br />

◆ Laudatio: Bundestagspräsident<br />

Wolfgang Thierse<br />

◆ SWR4 Radio Stuttgart, Nachrichten,<br />

Kurzbeitrag von Silke Arning,<br />

◆ Schlusswort: Dr. Erhard Eppler<br />

Dauer 53:43, Preis 7,50 Euro<br />

Beide CDs kosten zusammen 15 Euro<br />

Bestelladresse:<br />

Geschäftsstelle <strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Reiner Stoll-Wähling<br />

70435 Stuttgart, Ilsfelder Str. 9<br />

Telefon: (0711) 5 49 72 11<br />

Fax: (0711) 3 65 93 29<br />

E-Mail: geschaeftsstelle@offene-kirche.de<br />

Thema: Warum OK wählen?<br />

Bezirksverantwortlichen-Versammlung<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Eine stattliche Runde fand sich am<br />

19. März <strong>2005</strong> im Gemeindehaus<br />

der Stuttgarter Erlöserkirche ein,<br />

um sich über das Profil, das Erscheinungsbild<br />

und die Zusammenarbeit<br />

innerhalb der OK auszutauschen.<br />

Außerdem sollten Themen für die<br />

nächste <strong>Kirche</strong>nwahl gefunden<br />

werden.<br />

Die meisten BezirksvertreterInnen und<br />

LK-Mitglieder kamen aus dem Großraum<br />

Stuttgart. Der Süden fehlte. Dass<br />

es „in der Fläche“ wenig OK-Mitglieder<br />

gäbe, dem widersprach Geschäftsführer<br />

Reiner Stoll-Wähling: „Die kleinen<br />

Kreise haben zugenommen, in den<br />

Städten werden es weniger.“ Dem<br />

schlossen sich sofort Überlegungen an,<br />

wie man die OK-SympathisantInnen<br />

dazu bringen könnte, das nächste Mal<br />

zur Wahl zu gehen. Liegt die mangelnde<br />

Wahlbeteiligung daran, dass die <strong>Kirche</strong>nwahl<br />

den <strong>Kirche</strong>nmitgliedern zu wenig<br />

bewusst ist? Müsste das Profil der OK<br />

geschärft werden? Müsste denjenigen,<br />

die in ihrer Gemeinde nicht angesprochen<br />

werden – also in Gruppen und<br />

Aktionen nicht vorkommen – gesagt<br />

werden, dass sie in der OK gut aufgehoben<br />

wären? Besonders Jugendliche<br />

sollten gewonnen werden.<br />

Profil schärfen<br />

Bei dieser Diskussion ging es auch um<br />

die Wortwahl: Mit der Vokabel „<strong>Kirche</strong>nferne“<br />

schließe die „Lebendige<br />

Gemeinde“ Menschen aus der so<br />

genannten Kerngemeinde aus. In der<br />

OK sollte besser von <strong>Kirche</strong>nkritischen<br />

oder <strong>Kirche</strong>ndistanzierten gesprochen<br />

werden. Der gesellschaftliche Trend sei<br />

gegen die OK, wurde behauptet. Die<br />

Menschen hätten heute andere Probleme<br />

als die OK-GründerInnen. Gerechtigkeit<br />

etwa sei ein aktuelles Thema, zu<br />

dem die Landeskirche nichts vorbringt.<br />

Der Mensch müsse im Mittelpunkt<br />

stehen, also die Themen „Arbeits-<br />

In Fensterhülle stecken<br />

und einsenden an:<br />

OFFENE KIRCHE<br />

Geschäftsstelle Reiner Stoll-Wähling<br />

Ilsfelder Straße 9<br />

70435 Stuttgart<br />

Telefon (07 11) 5 49 72 11<br />

Telefax (07 11) 3 65 93 29<br />

email: geschaeftsstelle@offene-kirche.de<br />

Antwort<br />

OFFENE KIRCHE<br />

Geschäftsstelle<br />

Stoll-Wähling<br />

Ilsfelder Straße 9<br />

70435 Stuttgart<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 19


losgkeit“, „Menschenrechte“ u.ä. Die<br />

OK müsste dabei mehr Mut zur Opposition<br />

aufbringen und zeigen, „dass wir<br />

eine andere <strong>Kirche</strong> wollen“. Für Themen<br />

auf die Straße zu gehen, müsse<br />

aber auch Spaß<br />

machen. Ziel sei die<br />

Öffnung der<br />

Gemeinden für<br />

kritische Theologie,<br />

sozial-diakonische<br />

Aufgaben und<br />

echte Integration<br />

der <strong>Kirche</strong>nmitglieder<br />

(das sind<br />

alle, die <strong>Kirche</strong>nsteuer<br />

zahlen!). Die<br />

OK-PfarrerInnen<br />

sollten sichtbar<br />

dabei helfen.<br />

Die Frage, ob die<br />

OK die Bischofswahl verloren habe,<br />

wurde überwiegend verneint. Denn<br />

damit, dass sie eine Frau aufstellte, habe<br />

sie Profil<br />

gezeigt.<br />

Trotzdem<br />

waren die<br />

Synodalen<br />

enttäuscht,<br />

dass so<br />

wenige<br />

Frauen aus<br />

den anderen<br />

Gesprächskreisen<br />

im<br />

ersten<br />

Wahlgang für<br />

die<br />

Kandidatin<br />

gestimmt<br />

haben.<br />

Zukunft<br />

Ein großes Thema war die Zukunft der<br />

OK im Zuge der Sparmaßnahmen. Unter<br />

der Moderation des Gemeindeberaters<br />

Hans-Martin Härter überlegten die<br />

Anwesenden in Gruppen, wie man die<br />

Probleme angehen könnte, wie sich die<br />

OK jetzt zeigt und wie sie in Zukunft<br />

sein sollte. Die Aufgabe: die OK kritisch,<br />

evangelisch und widerständig als<br />

Opposition zu präsentieren. Da auch<br />

kirchliche Sparmodelle nicht immer<br />

gerecht seien, bekräftigte Rainer<br />

Weitzel: „Wir werden uns nicht wegducken<br />

können, sondern müssen genau<br />

darüber Auskunft geben, wie wir uns<br />

die Zukunft vorstellen.“<br />

Renate Lück<br />

OFFENE KIRCHE – kompetent, kritisch, kreativ<br />

Antwort per Fax: 07 11/3 65 93 29<br />

Ja, ich will die OFFENE<br />

KIRCHE kennen lernen:<br />

Senden Sie mir bitte ausführliches<br />

Informationsmaterial<br />

zu:<br />

❑ Ein kostenloses Jahresabo der<br />

Zeitschrift OFFENE KIRCHE<br />

❑ Das OFFENE KIRCHE Wahlprogramm<br />

2001-2007<br />

❑ Nennen Sie mir bitte den Namen<br />

eines Ansprechpartners in der<br />

für mich zuständigen Bezirksgruppe<br />

Ja, ich will die OFFENE<br />

KIRCHE unterstützen:<br />

❑ Ich werde hiermit Mitglied der<br />

OFFENEN KIRCHE mit Stimmrecht<br />

bei den jährlichen Mitgliederversammlungen<br />

und kostenlosem Bezug<br />

der Zeitschrift OFFENE KIRCHE:<br />

Mitgliedsbeitrag jährlich mindestens Euro<br />

50,-, Paare stufen sich selbst ein<br />

zwischen mindestens Euro 50,- und Euro<br />

100,-; in Ausbildung Euro 15,-.<br />

❑ Ich abonniere hiermit die<br />

Zeitschrift OFFENE KIRCHE,<br />

4 Ausgaben jährlich, Euro 15,-jährlich<br />

❑ Ich bestelle das Themenbuch<br />

der OFFENEN KIRCHE: „...und<br />

strecke mich’ aus nach dem,<br />

was da vorne ist“ (Themen für die<br />

Evangelische Landeskirche in Württemberg)<br />

Euro 10,- zuzüglich Porto.<br />

Absender:<br />

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Telefon Fax<br />

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email:<br />

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Geburtstag(freiwillig) Beruf (freiwillig)<br />

OFFENE KIRCHE<br />

Evangelische Vereinigung in Württemberg<br />

Pfarrerin Kathinka Kaden, Vorsitzende,<br />

Schillerstr. 29, 73340 Schalkstetten<br />

Tel. (0 73 31) 4 22 28, Fax (0 73 31) 4 07 68<br />

E-mail: Vorsitzende@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Internet: www.offene-kirche.de<br />

Seite 20 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


Bezirk Marbach<br />

Seid Täter des Wortes<br />

und nicht nur Hörer, wodurch ihr<br />

euch selbst betrügt.<br />

Freitag, 14. Oktober <strong>2005</strong>, 19.00<br />

Uhr, Evangelisches Gemeindehaus<br />

Benningen, In den Hofäckern<br />

◆ warum die Welt auf unsere Mitwirkung<br />

rechnen kann, oder<br />

◆ der Versuch, eine Außenansicht des<br />

Christseins zu skizzieren.<br />

Referent und Gesprächspartner: Pfarrer<br />

Wolfgang Wagner, Studienleiter an der<br />

Evangelischen Akademie Bad Boll.<br />

Frauenarbeit<br />

Wachsende <strong>Kirche</strong>?!<br />

Notwendiger Wandel?!<br />

Welche Auswirkungen haben diese<br />

Projekte der Landeskirche auf die Arbeit<br />

der Frauen?<br />

Das Frauenwerk lädt zu einem Prälaturarbeitstag<br />

ins Gästehaus der Diakonieschwesternschaft<br />

in Herrenberg ein, und<br />

zwar Donnerstag, den 21. Juli <strong>2005</strong> von<br />

13.45 bis 18 Uhr.<br />

Anmeldung bis spätestens 13. Juli unter<br />

(07 11) 20 68-222 oder<br />

Marianne.Trinkle@elk-wue.de<br />

Buchbesprechung<br />

Vernichtet<br />

Das groß angelegte, kirchengeschichtlich<br />

notwendige und theologisch wichtige<br />

Werk der beiden <strong>Kirche</strong>nhistoriker<br />

Röhm (früher in der religionspädagogischen<br />

Aus- und Fortbildung Württembergs<br />

tätig) und Thierfelder (jetzt<br />

emeritierter PH-Professor von Heidelberg)<br />

ist durch einen weiteren Band<br />

ergänzt worden: Beide Autoren, die vor<br />

über zwanzig Jahren durch die Konzipierung<br />

einer außergewöhnlichen<br />

Ausstellung zum Thema „Evangelische<br />

<strong>Kirche</strong> zwischen Kreuz und Hakenkreuz“<br />

EKD-weit bekannt und geschätzt<br />

wurden, haben es sich zur Lebensaufgabe<br />

gemacht, jene dunkle Zeit der<br />

Verfolgung und Vernichtung so aufzuarbeiten,<br />

dass Einzelschicksale im Zusammenhang<br />

von politischen und theologischen<br />

Entscheidungen gesehen und<br />

nachvollziehbar werden. So wachsen<br />

Kenntnis- und Problembewusstsein. Aus<br />

Betroffenheit wird religiöse und politische<br />

Perspektive. Aus selektiver Wahrnehmung<br />

wird eine Gesamtschau, die<br />

die bloße moralische Deutung zu<br />

kirchlicher und gesellschaftlicher<br />

Konsequenz heute lenkt. Viele Details in<br />

diesem dem Prozess der Verfolgung und<br />

Vernichtung der Juden von 1941 bis<br />

1945, sowie den sehr bedeutenden<br />

Hilfsmaßnahmen einzelner Personen<br />

und kirchlicher Stellen gewidmeten<br />

Buch sind erschreckend und beschämend<br />

– so z.B. die furchtbaren Begriffe<br />

„Judensternträger“ und „Sternverordnung“<br />

(ganz im Gegensatz zu dem<br />

autobiografischen Buch von Inge<br />

Auerbacher, Ich bin ein Stern), die<br />

Verweigerung des Abendmahls für<br />

„nichtarische“ Christen, die erzwungenen<br />

Ehescheidungen… Dass es Zeichen<br />

der Solidarität gab (vor allem in den<br />

skandinavischen Ländern und den<br />

protestantischen Gebieten Frankreichs –<br />

neben der berühmten „Pfarrhauskette“)<br />

braucht nicht verschwiegen zu werden<br />

– darf aber nie ein Alibi für eine müde,<br />

introvertierte und angepasste Christenheit<br />

sein. Diese „Lichter in der Dunkelheit“<br />

(S.161) sollten in gegenwärtiger<br />

oberflächlicher Diskussion und auch an<br />

den Stammtischen dazu führen, genauer<br />

hinzusehen und hinzuhören – die<br />

wenigen Dokumente zu beachten, die<br />

Lebenswege und die Verzweiflung von<br />

Opfern und Helfern dahinter zu verstehen<br />

und der Opfer zu gedenken, um<br />

deretwillen sich etwa der schlichte<br />

Berliner Polizist Mattick am Rand seiner<br />

Existenz bewegte, wenn er jüdische<br />

Flüchtlinge im Pfarrhaus der schwedischen<br />

Gesandtschaft in Berlin deckte. So<br />

wird dieses Studierbuch zu einer<br />

heilsamen Lektüre, weil es aus dem<br />

erschrockenen Schweigen zu reflektiertem<br />

Handeln in der Gegenwart führt,<br />

weil es Vorbilder und stellvertretende<br />

Zeugen und Zeuginnen nennt, an denen<br />

wir Heutige uns messen müssen.<br />

Eindrucksvoll ist der Schluss des Bandes,<br />

wo der schwere Weg von Dora Veit<br />

nachgezeichnet wird, die sich als junge<br />

Jüdin aus dem Stuttgarter Raum taufen<br />

ließ, eine kirchliche Ausbildung durchlief<br />

und nach Verfolgung und Emigration<br />

in der Nachkriegszeit nicht nur<br />

Boden unter die Füße bekam sondern in<br />

der württembergischen Landeskirche<br />

eine bedeutende Rolle in Schule und<br />

Bildungsarbeit übernahm. Und dennoch<br />

darf der gewaltsame von Deutschen<br />

verursachte Tod nicht übersehen<br />

werden – etwa im Schicksal des holländischen<br />

Jungen Klaus Seckel, der –<br />

vergleichbar dem Tagebuch der Anne<br />

Frank – von vielerlei Freunden und<br />

Institutionen zunächst behütet seine<br />

täglichen Notizen machen konnte, aber<br />

dessen letzter Satz vor der tödlichen<br />

Deportation im Sommer 1943 lautet:<br />

„Meine Pflanzen sind sehr gewachsen –<br />

sie vertrocknen gerade – wenig Zeit“!<br />

Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder<br />

haben (wieder) eine Lernhilfe geschrieben<br />

– und das ist weit mehr als eine<br />

Sammlung von kommentierten Dokumenten<br />

und Originalen – eine Hilfe,<br />

sich der Vergangenheit heilend zu<br />

erinnern. Dafür sei ihnen beiden<br />

gedankt.<br />

Christian Buchholz<br />

Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder,<br />

Juden-Christen-Deutsche – Band 4/<br />

I:1941-1945 „Vernichtet“, Calwer<br />

Verlag Stuttgart 2004, ISBN 3-7668-<br />

3887-3, 19,90 Euro.<br />

Buchbesprechung<br />

Spätlese bei Ernst Fuchs<br />

Äußerlich schlicht – aber inhaltlich<br />

bedeutungsschwer und manche Wurzeln<br />

aktueller Pfarrertheologie klärend –<br />

kam dieser kleine Gedenkband zum<br />

100. Geburtstag von Ernst Fuchs 2003<br />

daher. Ein eigenwilliger und kantiger,<br />

intellektuell anspruchsvoller und dem<br />

Predigen verpflichteter Theologe und<br />

Sie<br />

Auch<br />

können in der<br />

OFFENEN KIRCHE<br />

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Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 21


Hochschullehrer, der schwäbische<br />

Gemeindepfarrer und Kämpfer für den<br />

herausfordernden Weg der <strong>Kirche</strong> im<br />

Naziregime (dies vor allem sei dankbar<br />

nach dem Jubiläumsjahr von Barmen<br />

vermerkt) und während der Nachkriegszeit,<br />

wird mit diesem Buch bedacht.<br />

Eine ganze Generation ist durch ihn<br />

mitgeprägt worden – so auch Eberhard<br />

Jüngel und – hier im Ländle – Robert<br />

Schuster, die beide bei ihm promoviert<br />

haben! Von diesen beiden sind interessante<br />

biografische und theologische<br />

Beiträge veröffentlicht – aber auch von<br />

Jörg Thierfelder die historische Einordnung<br />

seines Lebenswerks oder von<br />

Christoph Demke (bis 1997 Bischof der<br />

<strong>Kirche</strong>nprovinz Sachsen) eine Auseinandersetzung<br />

um das Vollmachtsverständnis<br />

von Jesus, äußerst informative<br />

knappe Werkstattberichte von jüngeren<br />

Theologen, die kundig zu einzelnen<br />

Themenkreisen der Arbeit von Fuchs<br />

hinführen, lesenswert die Originaltexte<br />

von Predigten, ein Briefwechsel mit<br />

Rudolf Bultmann, Vorträge und – als<br />

kirchengeschichtliches Kleinod – eine<br />

Darstellung der Position der Bekennenden<br />

<strong>Kirche</strong> von 1937, das Urteil über<br />

den Gleichklang von existentialer<br />

Bibelinterpretation in Seelsorge und<br />

Verkündigung bei Fuchs sowie die<br />

ausgezeichnete Einführung in das<br />

„sakramentale“ Textverständnis und ein<br />

älterer Beitrag, der dem „Überfluss<br />

Gottes“ nachdenkt und die „Nötigung<br />

zur Predigt“ als Grundbewegung der<br />

Theologie von Ernst Fuchs bezeichnet.<br />

Das alles klingt wie aus fernen Zeiten.<br />

Ob es uns Heutigen Ansporn zu „intellektueller<br />

Redlichkeit“ und stimmiger<br />

Frömmigkeit, zu vertiefter Predigt-<br />

Bemühung für Pfarrerinnen, Pfarrer und<br />

Gemeindemitglieder sein kann? Ernst<br />

Fuchs und der Gedenkband werden –<br />

nach aufmerksamer und anspruchsvoller<br />

Lektüre – dazu beitragen und einer um<br />

sich greifenden Theologievergessenheit<br />

unsrer Tage abhelfen.<br />

Christian Buchholz<br />

Christian Möller (Hg.), Freude an<br />

Gott – Hermeneutische Spätlese bei<br />

Ernst Fuchs, Waltrop 2003, ISBN 3-<br />

89991-012-15, 374 Seiten, 20 Euro.<br />

Buchbesprechung<br />

Notwendige Abschiede<br />

„Es wackelt alles!“ soll 1896 der junge<br />

Ernst Troeltsch den Freunden der<br />

„christlichen Welt“ zugerufen haben.<br />

Damit meinte er die Bedrohung von<br />

Theologie und <strong>Kirche</strong> durch das historische<br />

Denken, die Auflösung der Offenbarung<br />

Gottes in historische, literarische,<br />

soziologische und religionsgeschichtliche<br />

Vorgänge und also<br />

letztendlich in ein Nichts. Da berührt es<br />

schon seltsam, wenn ein emeritierter<br />

Professor für Praktische Theologie so tut,<br />

als seien die „notwendigen Abschiede<br />

von überlieferten Glaubensvorstellungen“<br />

irgendwie neu. Gleichwohl<br />

müht er sich auf 341 Seiten damit ab<br />

und hat für Vorschläge „auf dem Weg<br />

zu einem glaubwürdigen Christentum“<br />

(3. Teil) nur noch Potenz für ganze 34<br />

Seiten. Das erinnert doch etwas an<br />

einen Hochspringer, der erstmal das<br />

ganze Stadion umrundet und sich dann<br />

wundert, dass er keine Kraft mehr<br />

findet, um über die Latte zu kommen.<br />

Dennoch muss man Jörns dankbar sein,<br />

dass er die gegenwärtige Befindlichkeit<br />

ausführlich erforscht, nicht zuletzt<br />

durch eigene Umfragen. Eine solche<br />

empirisch-kritische Theologie ist viel zu<br />

selten. Andererseits könnten die dargestellten<br />

Differenzen zur offiziellen<br />

kirchlichen Lehre (was immer das ist)<br />

nicht nur der religiösen Autonomie des<br />

modernen Zeitgenossen entspringen,<br />

sondern auch ihre Ursache haben in<br />

einer von ihm selbst beklagten „sich<br />

unter uns ausbreitenden Gottesvergessenheit“.<br />

So wird also erst einmal<br />

Abschied genommen von der reformatorischen<br />

Grundvorstellung „allein die<br />

Schrift!“. Ob seine Abschiede von<br />

„Erwählungs- und Verwerfungsvorstellungen“<br />

oder „von der Vorstellung<br />

einer wechselseitigen Ebenbildlichkeit<br />

von Gott und Mensch“ dem gegenwärtigen<br />

Stand des jüdisch-christlichen<br />

Dialogs entsprechen, sei dahingestellt.<br />

Fatal ist es aber, wenn er wieder die alte<br />

Gegensätzlichkeit von „jüdischer Bibel“<br />

(AT) und „christlicher Bibel“ (NT)<br />

bemüht. Seit Marcion (2. Jahrhundert)<br />

versucht die Christenheit, die ganze<br />

Bibel als Heilige Schrift zu lesen und<br />

allerdings auch zu interpretieren. Für<br />

Evangelische gilt der Maßstab „was<br />

Christum treibet“ (Martin Luther).<br />

Dabei bleiben nun einmal wesentliche<br />

Vorstellungen wie etwa Jesu Tod als<br />

Sühneopfer von Anfang an umstritten.<br />

Es kommt wohl darauf an, wie man mit<br />

dem Streit darum in der <strong>Kirche</strong> umgeht.<br />

Zwischen Verketzerung und Gleichgültigkeit<br />

muss ein verantwortungsvoller<br />

Umgang mit der tradierten Überlieferung<br />

gefunden werden. In seinem Buch<br />

fällt mir dazu ein überaus kritischer<br />

Blick auf die Bibel, aber ein relativ<br />

unkritischer auf Islam und östliche<br />

Religionen auf. Es ist schon kühn, die<br />

Warnung vor Synkretismus eine „inzestuöse<br />

Theologie“ zu nennen. Da das<br />

Christentum keine Stammesreligion ist,<br />

hat es schon immer Anregungen aus<br />

anderen Kulturen aufgenommen. Es<br />

kommt aber theologisch darauf an, alles<br />

zu prüfen und nur das Gute zu behalten.<br />

Gleichwohl enthält das Buch viele<br />

wertvolle Gedanken, die man mit<br />

Zustimmung liest. So ist es sicherlich<br />

richtig, dass „die Arbeit am religiösen<br />

Gedächtnis der Menschheit“ bei der<br />

eigenen Religion beginnen muss.<br />

Mittlerweile haben viele Theologen<br />

benachbarte Gebiete geistlich aufgearbeitet<br />

und auch die Religionswissenschaft<br />

in der Theologie beheimatet. Es<br />

ist erstaunlich, dass Jörns davon wenig<br />

diskutiert. Überhaupt zeigt das Literaturverzeichnis,<br />

dass er vor allem auf die<br />

aktuelle Situation eingeht. Die großen<br />

Meister der evangelischen liberalen<br />

Theologie werden ignoriert. Friedrich<br />

Heiler beispielsweise wird nur indirekt<br />

aus Sekundärquellen zitiert, Rudolf Otto<br />

überhaupt nicht. Bei seinen Vorschlägen<br />

fällt auf, dass kirchliche Praxis in ihrer<br />

Breite vieles längst verwirklicht. Ein<br />

„Tag der Schöpfung“ wird beispielsweise<br />

in vielen Gemeinden gefeiert,<br />

interreligiöse Dialoge gehören insbesondere<br />

in den Schulen zum Alltag. Die<br />

ganze Breite der diakonischen Arbeit,<br />

wo sich die <strong>Kirche</strong> gewissermaßen am<br />

weitesten „in die Welt“ hinaustraut,<br />

wird kaum erwähnt. Vor allem aber<br />

vermisst man den Gesprächspartner der<br />

Gegenposition. Es gibt ja nicht ohne<br />

Grund in den <strong>Kirche</strong>n eine eher evan-<br />

Seite 22 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>


gelikale Reaktion, die sich nicht zuletzt<br />

bei jungen Leuten eines großen Zuspruchs<br />

erfreut. Zwar spricht Jörns<br />

häufig von der weltweiten Ökumene,<br />

doch bleibt sein Horizont ziemlich<br />

deutsch. Aber auch ein heimischer<br />

Theologe wie Klaus Berger, der jüngst<br />

mit seinem Jesusbuch die exegetischen<br />

Grundlagen neu dargestellt hat, wird<br />

nicht recht ernst genommen. So legt<br />

man dieses vielfach anregende Buch<br />

letztendlich doch mit gemischten<br />

Gefühlen aus der Hand.<br />

Wolfgang Wagner<br />

Klaus-Peter Jörns: Notwendige<br />

Abschiede, auf dem Weg zu einem<br />

glaubwürdigen Christentum. Gütersloher<br />

Verlagshaus, Gütersloh 2004,<br />

ISBN: 3-579-06408-8, 416 Seiten,<br />

24,95 Euro.<br />

Buchbesprechung<br />

Buddhismus verstehen<br />

Wer das Buch von Ulrich Dehn „Das<br />

Klatschen der einen Hand“ von 1999<br />

kennt, wird enttäuscht sein. Denn es ist<br />

mit geringen Veränderungen und einem<br />

zusätzlichen Kapitel lediglich mit einem<br />

neuen Titel in einem neuen Verlag<br />

wieder aufgelegt worden. Es ist nicht<br />

sehr aufrichtig, dass dies lediglich in<br />

wenigen Zeilen der Einleitung mitgeteilt<br />

wird. Man wundert sich auch, dass der<br />

Autor sich nicht herausgefordert fühlte,<br />

die Veränderungen in den letzten fünf<br />

Jahren mit einzubeziehen. So ist nicht<br />

nur die Zahl der Anhänger von damals<br />

70 000 auf derzeit ca. 170 000 gestiegen,<br />

sondern die Entwicklung des<br />

Buddhismus in Deutschland hat sich<br />

institutionalisiert und christlich-buddhistische<br />

Dialoge haben auf <strong>Kirche</strong>ntagen<br />

und in Akademien zugenommen. Der<br />

Dalai Lama beispielsweise ist nicht nur<br />

in der Lüneburger Heide und in Graz<br />

aufgetreten, sondern auch auf dem<br />

Ökumenischen <strong>Kirche</strong>ntag in Berlin.<br />

Dies hat erregte Diskussionen zur Folge<br />

gehabt, über die der Autor nichts<br />

mitteilt. So beschränkt er beispielsweise<br />

„Deutschlands buddhistische Geschichte“<br />

auf die Pioniere des letzten Jahrhunderts.<br />

Interessant ist dabei die etwas<br />

ausführlichere buddhistische Beeinflussung<br />

Richard Wagners. Aber aus der<br />

Gegenwart wird lediglich Sylvia Wetzel<br />

erwähnt, die nicht unbedingt typisch ist<br />

für die heutige Diskussion. Ihre Zeitschrift<br />

„Lotusblätter“ heißt längst<br />

„Buddhismus aktuell“ und hat eine<br />

andere Schriftleitung. Bei der Darstellung<br />

des klassischen Buddhismus<br />

beschränkt sich der Autor weiterhin<br />

wesentlich auf den japanischen Zen-<br />

Buddhismus, wo er sich besonders gut<br />

auskennt, und den tibetischen Buddhismus.<br />

Kaum erwähnt wird der Theravada-Buddhismus,<br />

der sozusagen die<br />

Urform tradiert und insbesondre von der<br />

Deutschen Buddhistischen Union<br />

gepflegt wird. Nur gestreift wird der<br />

Amida-Buddhismus, obwohl insbesondere<br />

die evangelisch-theologische<br />

Fakultät Marburg seit Jahren mit den<br />

Vertretern dieser Richtung akademische<br />

Dialogveranstaltungen durchführt.<br />

Angesichts der anschwellenden buddhistischen<br />

Veröffentlichungen in Deutschland<br />

wäre auch eine Auseinandersetzung<br />

mit diesen Publikationen hilfreich.<br />

Wirklich neu ist das 11. Kapitel „Buddhismus<br />

und Gewaltfreiheit – mit einem<br />

Blick auf das Christentum“. Leider<br />

erwähnt der Verfasser nicht, dass er<br />

diese Gedanken in Grundzügen bereits<br />

2002 auf einer Tagung der evangelischen<br />

und katholischen Akademie<br />

vorgetragen hat. (Buddhas Weg nach<br />

Westen, Protokolldienst 22/03 der Ev.<br />

Akademie Bad Boll).<br />

Wichtig für den Dialog ist seine Erkenntnis,<br />

dass auch der Buddhismus durchaus<br />

gewaltsames Verhalten hervorbringen<br />

konnte und kann: „Die häufig zu<br />

hörende Behauptung, es habe in der<br />

Geschichte des Buddhismus keine<br />

buddhistisch legitimierte Gewalt und<br />

keine buddhistisch legitimierten Kriege<br />

gegeben, ist unzutreffend“. Leider<br />

enthält auch diese Neuausgabe am<br />

Schluss kein Verzeichnis der verwendeten<br />

Literatur, die lediglich in den<br />

Anmerkungen nachgewiesen wird. So<br />

übersieht man leicht, dass ja bereits M.<br />

v. Brück und W. Lai (Buddhismus und<br />

Christentum. Geschichte, Konfrontation,<br />

Dialog, München 1997) ein grundlegendes<br />

Werk zu unserer Thematik vorgelegt<br />

haben.<br />

Wolfgang Wagner<br />

Ulrich Dehn: Buddhismus verstehen,<br />

Versuche eines Christen.<br />

Verlag Otto Lembeck, Frankfurt<br />

2004. ISBN: 3-87476-458-3, 210<br />

Seiten, 16 Euro.<br />

Das Zitat<br />

„Die evangelikalen Strömungen<br />

bilden in den USA selbst<br />

eine Bastion des christlichen<br />

Fundamentalismus, und verschiedene<br />

Anzeichen deuten<br />

darauf hin, dass unter dem<br />

Druck der religiösen Rechten<br />

die USA den pluralistischen<br />

Weg verlassen. (...) Der<br />

fundmentalistische Protestantismus<br />

ist in den Sog einer<br />

extremistischen Häresie geraten,<br />

deren Neigung zu Manipulation<br />

und Politisierung<br />

nicht nur Agnostikern Sorge<br />

bereitet, sondern auch Gläubige<br />

aller Konfessionen beunruhigen<br />

muss. Ähnlich wie<br />

im islamischen Fundamentalismus<br />

wird Religion für profan-reaktionäre<br />

Zielsetzungen<br />

missbraucht."<br />

Prof. Dr. Claus Leggewie, Gießen,<br />

(Aus Politik und Zeitgeschichte, 7/<br />

<strong>2005</strong>)<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong> OFFENE KIRCHE<br />

Seite 23


Leserbriefe<br />

Zur Landesbischofswahl:<br />

Über die Qualitäten der Bischofskandidaten<br />

steht mir kein Urteil zu.<br />

Dass die Kandidatin von der Landessynode<br />

nur für halb so qualifiziert<br />

gehalten wurde, wird sicher von vielen<br />

Frauen als Demütigung empfunden<br />

werden. Es wird manche Frauen in<br />

Württemberg abschrecken, für kirchliche<br />

Ämter zu kandidieren. Anderswo<br />

sind die Chancen für Frauen sicherlich<br />

größer. So wurde vor kurzem die erste<br />

Bischöfin der Evangelisch-methodistischen<br />

<strong>Kirche</strong> gewählt. Wahrscheinlich<br />

war es ein Fehler der Bewerberin, mehr<br />

Intellektualität zu fordern. Das lassen<br />

sich Männer nicht gerne sagen. Hier<br />

wurde wieder mal Mut zur Offenheit<br />

nicht belohnt. Wer nicht aneckt,<br />

gewinnt.<br />

Noch problematischer ist für mich, dass<br />

Medien und Öffentlichkeit das Wahlergebnis<br />

entsprechend der Zuordnung<br />

der KandidatIn zu „Gesprächskreisen“<br />

ziemlich genau vorhersagen konnten. Es<br />

scheint demnach eine Gesinnungswahl<br />

gewesen zu sein, bei der wie im Bundestag<br />

kollektiv nach Fraktionen abgestimmt<br />

wurde. Unabhängige Geister mit<br />

eigenständigem Profil scheinen wohl<br />

auch in dieser Synode Mangelware zu<br />

sein. So setzt sich im kirchlichen Bereich<br />

die demokratiefeindliche Praxis fort,<br />

Ausgrenzung und Vereinsamung um der<br />

eigenen Überzeugung willen nicht mehr<br />

riskieren zu können, seitdem wir<br />

autoritäre Herrscher wie Kohl, Strauß,<br />

Schröder und Fischer in einer Demokratie<br />

dulden.<br />

Hansbernhard Mistele, Heilbronn<br />

Zu „Evang. Stimme in Europa“,<br />

<strong>Offene</strong> <strong>Kirche</strong> 1/<strong>2005</strong>:<br />

Dieter Heidtmann berichtet von seiner<br />

Arbeit als Vertreter der Gemeinschaft<br />

der evangelischen <strong>Kirche</strong>n Europas in<br />

Brüssel. Dass das Thema „Europa“ im<br />

OK-Presseorgan Raum findet, ist sehr zu<br />

begrüßen. Bedauerlich ist allerdings,<br />

dass es zum Bericht Heidtmanns von<br />

Seiten der OK-Redakteure keine Nachfragen<br />

und Rückfragen gegeben hat.<br />

Dabei wäre es doch interessant gewesen,<br />

von „unserem Mann in Brüssel“ zu<br />

erfahren, ob es bezüglich der künftigen<br />

EU-Verfassung außer im Zusammenhang<br />

mit der Frage des Gottesbezugs in der<br />

Präambel und der Anerkennung der<br />

Rechtsstellung der <strong>Kirche</strong>n (Artikel 1.<br />

52) noch andere Versuche der Einflussnahme<br />

von kirchlicher Seite gegeben<br />

hat. Wenn es den evangelischen<br />

<strong>Kirche</strong>n in Europa laut Beschluss der<br />

Vollversammlung ihrer Vertreter 2001<br />

in Belfast darum geht, „die theologischen<br />

und ethischen Aspekte und<br />

humanitären Konsequenzen politischer<br />

Entscheidungen aus der Sicht des<br />

Evangeliums“ in Brüssel zur Sprache zu<br />

bringen, dann wäre doch wohl zuallererst<br />

zu den Inhalten der Verfassung<br />

selbst eine Äußerung von kirchlicher<br />

Seite zu erwarten. Doch ist es nach<br />

meiner Wahrnehmung leider so, dass<br />

die „Evangelische Stimme in Europa“<br />

gerade an dieser zentralen Stelle<br />

beharrlich schweigt. Damit wird auch<br />

ein Rückkoppelungs-Potential von einer<br />

an sich begrüßenswerten Sonderpfarrstelle<br />

an die heimische kirchliche<br />

Basis verschenkt. Kein Wort also zu den<br />

gravierenden demokratischen Defiziten<br />

dieses Verfassungs-Entwurfs. Kein Wort<br />

zu der Frage, ob diese Verfassung von<br />

kirchlicher Seite als grundgesetzkompatibel<br />

angesehen werden kann.<br />

Das kirchliche „Wächteramt“ scheint<br />

nur im Sinne des „wir sind (als <strong>Kirche</strong>)<br />

für uns selber da“ wahrgenommen zu<br />

werden. Und das trotz des schönen<br />

Editorials von Hans-Peter Krüger. –<br />

Doch weiter: Kein Wort von Dieter<br />

Heidtmann zu den einseitig neoliberalen<br />

Konturierungen dieser Verfassung. Gab<br />

es da nicht einmal eine EKD-Denkschrift<br />

unter dem Titel „Für eine Zukunft in<br />

Solidarität und Gerechtigkeit“? Das war<br />

1997. Nun zitiert Herr Heidtmann zwar<br />

Römer 14.17.19! Doch wie wirkt dieses<br />

Zitat angesichts der verfassungspolitischen<br />

Realität, die da in Straßburg und<br />

Brüssel geschaffen wird und angesichts<br />

der kirchlichen Stimmenthaltung!?<br />

Übrigens auch kein Wort zur Frage<br />

eines künftigen Europa mit einer – von<br />

der Verfassung geforderten – sehr viel<br />

stärkeren militärischen Ausrichtung, mit<br />

weltweiten Ambitionen! (Siehe auch:<br />

„Europäische Sicherheits-Strategie“ /<br />

ESS). Das macht für die Zukunft Angst<br />

und darum stünde es m. E. der OK gut<br />

an, sich diesem Themenkomplex in<br />

einer der nächsten Informations-<br />

Nummern eingehender zu widmen. Es<br />

ist doch eigenartig: Wir rufen gegenwärtig<br />

die 60 Jahre zurückliegenden<br />

Ereignisse vom Kriegsende und der<br />

Nazi-Diktatur in Erinnerung. Wir<br />

nehmen gleichzeitig aber nicht wahr,<br />

dass wir verfassungspolitisch die Lektionen<br />

aus dem 20. Jahrhundert (zumal als<br />

Christen in Deutschland) geradezu<br />

fahrlässig verdrängen und verleugnen.<br />

Christian Horn, Schwäbisch Hall<br />

Impressum<br />

Die Zeitschrift OFFENE KIRCHE wird herausgegeben<br />

vom Leitungskreis der OFFENEN KIRCHE:<br />

Vorsitzende:<br />

Kathinka Kaden, Pfarrerin, Schillerstr. 29,<br />

73340 Schalkstetten<br />

Tel. (0 73 31) 4 22 28, Fax (0 73 31) 4 07 68<br />

Kontakt: Vorsitzende@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Stellvertretender Vorsitzender:<br />

Rainer Weitzel, Berater, Weilstetter Weg 40<br />

70567 Stuttgart, Tel. (07 11) 7 19 63 06<br />

Kontakt: St.Vorsitzender@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Weitere Leitungskreismitglieder:<br />

Albrecht Bregenzer, Frickenhausen<br />

Kontakt: Albrecht.Bregenzer@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Cornelia Brox, Krankenschwester, Lenningen, MdLs<br />

Kontakt: Cornelia.Brox@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Gisela Dehlinger, Pfarrerin, Heilbronn<br />

Kontakt: Gisela.Dehlinger@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Markus Grapke, Pfarrer z.A., Zuffenhausen<br />

Kontakt: Markus.Grapke@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Renate Lück, Journalistin, Sindelfingen<br />

Kontakt: Renate.Lück@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Michael Kannenberg, Pfarrer, Künzelsau<br />

Kontakt: Michael.Kannenberg@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Dr. Martin Plümicke, Dozent, Reutlingen<br />

Kontakt: Martin.Plümicke@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Reiner Stoll-Wähling, Volkswirt (FH), Stuttgart<br />

Rechner: und Geschäftsstelle<br />

gleichzeitig Bestelladresse der OFFENEN KIRCHE<br />

Reiner Stoll-Wähling,<br />

Ilsfelder Straße 9, 70435 Stuttgart<br />

Tel.: (07 11) 5 49 72 11, Fax: 3 65 93 29<br />

Kontakt: Geschaeftsstelle@<strong>Offene</strong>-<strong>Kirche</strong>.de<br />

Konten :<br />

Kreissparkasse Ulm, Nr. 1661 479 (BLZ 630 500 00)<br />

Postgiro Stuttgart Nr. 1838 50-703 (BLZ 600 100 70)<br />

Redaktionskreis:<br />

V.i.S.d.P.: Renate Lück, Journalistin, Sindelfingen<br />

Friedrich-Ebert-Straße 17/042<br />

Hans-Peter Krüger, Pfarrer und Kommunikationswirt<br />

Jan Dreher-Heller, Theologe und Kommunikationswirt,<br />

Reutlingen<br />

Wolf-Dieter Hardung, Dekan i.R., Tübingen<br />

Die Zeitschrift OFFENE KIRCHE erscheint nach<br />

Bedarf, aber mindestens viermal im Jahr. Für<br />

Mitglieder der OFFENEN KIRCHE ist das<br />

Bezugsgeld im Mitgliedsbeitrag eingeschlossen. Alle<br />

anderen BezieherInnen bezahlen jährlich 15 Euro.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die<br />

Meinung des/der VerfasserIn wieder und stellen<br />

nicht unbedingt die Meinung der HerausgeberInnen<br />

oder der Redaktion dar.<br />

AutorInnen:<br />

Eva-Maria Agster, <strong>Kirche</strong>nrätin, Langenau<br />

Hagop-Jan Avedikjan, Göppingen-Salach<br />

Benjamin Aynal, Reutlingen<br />

Christian Buchholz, Schuldekan, Dürnau<br />

Horst Oberkampf, Pfarrer i.R., Bad Saulgau<br />

Dr. Ursula Pfeiffer, Professorin, Tübingen<br />

Dr. Stephanie Saleth, Altdorf<br />

Wolfgang Wagner, Pfarrer, Bad Boll<br />

Harry Waßmann, Pfarrer, Tübingen<br />

Bernhard Wiesmeier, Politologe, Stuttgart<br />

Anzeigen, Gestaltung, Herstellung: SAGRAL –<br />

Satz, Grafik, Layout – Kommunikationsagentur im<br />

Bereich der <strong>Kirche</strong>n, Reutlingen<br />

Kontakt: SAGRAL@t-online.de<br />

Druck: Grafische Werkstätte der<br />

BruderhausDiakonie, Reutlingen<br />

Versand: Behinderten-Zentrum (BHZ), Stuttgart-<br />

Fasanenhof<br />

Quellennachweis: Seiten 1: epd-Bild; Seite 2: Marcks,<br />

Löwensteiner Cartoon Service (LCS); Seite 3:<br />

Tomaschoff (LCS); Seite 4: Küstenmacher (LCS),<br />

epd-Bild, Capra; Seite 5: Avedikjan; Seite 7: Oberkampf;<br />

Seite 9: Jan Kempe; Seiten 11, 12: Jörg<br />

Böthling, Brot für die Welt; Seiten 13, 14: Radius-<br />

Verlag; Seiten 15, 17: Buchholz; Seiten 19, 20: Lück.<br />

Wir bitten ausdrücklich um Zusendung von Manuskripten,<br />

Diskussionsbeiträgen, Informationen,<br />

Anregungen und LeserInnenbriefen. Die Redaktion<br />

behält sich das Recht der Kürzung vor.<br />

Redaktionsadresse:<br />

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Mittnachtstr. 211<br />

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Fax: (0 71 21) 50 60 18<br />

Seite 24 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>

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