Heft 2/2005 - Offene Kirche Württemberg
Heft 2/2005 - Offene Kirche Württemberg
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<strong>Kirche</strong>n integriert. Die internen Angebote<br />
entlasten die Seelsorgearbeit in ihrer<br />
Beratungsfunktion, die allein durch die<br />
geographische Ausdehnung der Zuständigkeit<br />
und in ihrer Fülle immer wieder<br />
grenzwertig belastend war und ist.<br />
So kann die Seelsorge ihre Schwerpunkte<br />
in Zukunft hoffentlich noch etwas<br />
erweitern und mehr spirituell stärkende<br />
Angebote einbringen. Die ökumenisch<br />
verantwortete Fastenwanderung für<br />
Studierende an der Fachhochschule war<br />
überbucht, die so genannten Sportexerzitien<br />
eines katholischen Kollegen<br />
sind es seit Jahren. Ein erstmals vom<br />
Evangelischen Polizeipfarramt ausgeschriebenes<br />
Schweigeseminar im Stift<br />
Urach wurde in der ersten Woche der<br />
Ausschreibung intensiv nachgefragt. Ich<br />
denke, dass es auch eine spirituelle<br />
Aufgabe sein wird, noch mehr als bisher<br />
schon nebenher, bewusst Räume zur<br />
Versöhnung zwischen Polizei und<br />
Bevölkerung zu schaffen, Gräben zu<br />
überwinden. Ich denke etwa an Polizisten,<br />
die in Mutlangen eingesetzt waren,<br />
und denen, die dort demonstriert haben.<br />
2. Berufsethik<br />
Kirchliche Arbeit in der Polizei geschieht<br />
in einer „Organisation mit Gewaltlizenz“<br />
(Jan Philipp Reemtsma), in der<br />
sich die Frage nach der „Kultur des<br />
Gewaltmonopols“ immer neu stellt.<br />
„Eine kontroverse Debatte über die<br />
Kultur des Gewaltmonopols unterscheidet<br />
...eine demokratisch legitimierte<br />
Polizei von anderen Polizeien. Und der<br />
<strong>Kirche</strong> steht es gut zu Gesicht, diese<br />
Kontroverse zu befördern bzw. zu<br />
moderieren“, so der ehemalige Polizist<br />
und Soziologe Raphael Behr. Wie das<br />
Gewaltmonopol in unserer Gesellschaft<br />
durch die Polizei wahrgenommen wird,<br />
ist eine entscheidende Frage für die<br />
Qualität des Zusammenlebens in einer<br />
Demokratie, in der die Achtung der<br />
Menschenwürde nicht angetastet<br />
werden soll und einklagbar ist. Im<br />
Verhaltenskodex für Beamte mit<br />
Polizeibefugnissen (1979 bei der<br />
Vollversammlung der UN verabschiedet)<br />
heißt es: „Beamte mit Polizeibefugnissen<br />
sollen Gewalt nur anwenden, wenn dies<br />
unbedingt notwendig ist und in dem<br />
Ausmaß, wie dies in Ausübung ihrer<br />
Pflicht notwendig ist“.<br />
Was heißt das für eine junge Polizistin,<br />
die bis aufs Äußerste gereizt und<br />
gedemütigt worden ist? Was heißt das<br />
für einen gestandenen Polizisten, den<br />
angesichts eines erkennbar gefährlichen<br />
Gegenübers die berechtigte Angst<br />
überfällt? Was bedeutet das im Rahmen<br />
einer Organisation, in der Einzelne ihre<br />
Kraft und Akzeptanz zum Durchhalten<br />
überwiegend durch den Rückhalt in der<br />
eigenen Gruppe, die in ihnen geltenden<br />
Normen und Regeln erfahren („cop<br />
culture“)? Solchen und anderen Fragen<br />
geht die Kirchliche Arbeit in der Polizei<br />
in ihren berufsethischen Angeboten<br />
nach: Wie überbringe ich eine Todesnachricht?<br />
Wie verhalte ich mich an<br />
einem Ort, an dem Menschen verletzt<br />
sind oder sterben? Wie kann ich einen<br />
angemessenen Umgang mit Opfern<br />
gestalten? Wie können wir seelisch<br />
gesund bleiben oder wieder werden?<br />
Wie können Frauen ihre Stärke in der<br />
Polizei leben? Sich das Leben nehmen?<br />
Wie geht Polizei mit all dem um, was<br />
Abschiebungen mit sich bringen?<br />
Berufsethik ist Teil eines vernetzten<br />
Gesamtsystems der polizeilichen Ausund<br />
Fortbildung. Der Unterricht an den<br />
Polizeischulen und an der FH in<br />
Villingen-Schwenningen sowie an der<br />
Akademie der Polizei in Freiburg findet<br />
gemäß der 2002 unterzeichneten<br />
Vereinbarung zwischen den <strong>Kirche</strong>n<br />
und dem Land Baden-Württemberg<br />
statt. Durch die Vergütungen meines<br />
berufsethischen Unterrichts an der<br />
Polizeischule in Göppingen und der FH<br />
in Villingen-Schwenningen wird ein Teil<br />
der Kosten für das Polizeipfarramt<br />
refinanziert.<br />
3.Gremienarbeit auf politischer Ebene<br />
Viele Probleme, die den PolizeipfarrerInnen<br />
in ihrer Seelsorge begegnen, haben<br />
auch eine politische Dimension und<br />
müssen darum auf der politischen Ebene<br />
und mit der Polizeiführung besprochen<br />
werden. Alle vier <strong>Kirche</strong>n in Baden-<br />
Württemberg verantworten gemeinsam<br />
diese Arbeit und haben sich dafür<br />
Strukturen gegeben im Kontakt mit der<br />
Polizeiführung. Auf Bundesebene haben<br />
sowohl die Evangelische wie die<br />
Katholische <strong>Kirche</strong> entsprechende<br />
Gremien. So hat z.B. die Evangelische<br />
Landeskirche in Württemberg zwei<br />
Stimmen in der Konferenz Evangelischer<br />
PolizeipfarrerInnen in Deutschland<br />
(KEPP). Jüngste Frucht der KEPP-Arbeit<br />
war ein Weihnachtsgottesdienst für die<br />
PolizeibeamtInnen, die im Kosovo<br />
Dienst tun.<br />
Der Zusammenarbeit von <strong>Kirche</strong> und<br />
Polizei wird oft mit Vorbehalt begegnet,<br />
außerhalb wie innerhalb der Polizei. Ich<br />
möchte mit einem Auszug aus einer<br />
Rede, die ich bei der Unterzeichnung<br />
der neuen Vereinbarung zwischen Land<br />
und <strong>Kirche</strong> in Löwenstein gehalten<br />
habe, schließen. Sie greift diesen<br />
Vorbehalt auf: „Eine Partnerschaft ist<br />
kein unangemessener Schulterschluss,<br />
wie immer wieder argwöhnisch vermutet<br />
wird. Bei einer Partnerschaft kann<br />
sich im Gegensatz zum Schulterschluss<br />
wirkliche Begegnung ereignen. Die<br />
Kultur von <strong>Kirche</strong> und Polizei können<br />
sich begegnen. Es ist Raum für Solidarität<br />
und Kritik. Was eine Partnerschaft im<br />
Gegensatz zum Schulterschluss auszeichnet,<br />
hat der im Libanon geborene<br />
Philosoph Kahil Ghibran in einem Text<br />
folgendermaßen beschrieben:<br />
... lasst Raum zwischen euch.<br />
Und lasst die Winde des Himmels<br />
zwischen euch tanzen...<br />
Steht nicht zu nah beisammen,<br />
denn die Säulen des Tempels stehen für<br />
sich,<br />
und die Eiche und die Zypresse wachsen<br />
nicht<br />
im Schatten der anderen.<br />
Die Vereinbarung lässt Raum zwischen<br />
der <strong>Kirche</strong>nkultur und der Kultur in der<br />
Polizei. So kann etwas weiterwachsen<br />
zwischen uns, was sich seit 40 Jahren<br />
zu entfalten begonnen hat. Ob die<br />
Winde des Himmels zwischen uns<br />
tanzen können, sagt die Vereinbarung<br />
nicht. Hoffen können wir es.“<br />
Mit der Kirchlichen Arbeit in der Polizei<br />
ist es wie mit der Notfallseelsorge:<br />
Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie<br />
erfinden, sagte sinngemäß ein polizeiliches<br />
Mitglied im neu geschaffenen<br />
Beirat unserer Landeskirche für die<br />
Kirchliche Arbeit in der Polizei. Man<br />
müsste sie erfinden, auch, damit <strong>Kirche</strong><br />
nah bei denen ist, die Jesus selig preist.<br />
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />
<strong>Kirche</strong>nrätin Agster bietet Vorträge<br />
in Gemeinden an zum Thema:<br />
„Was tut die <strong>Kirche</strong> in der Polizei?“<br />
Der Text der Vereinbarung zwischen<br />
Land und <strong>Kirche</strong>n kann beim Ev.<br />
Polizeipfarramt bezogen werden (bitte<br />
einen frankierten Umschlag beilegen).<br />
Kontakt: Evangelisches Polizeipfarramt,<br />
Ecklenstraße 20, 70184 Stuttgart<br />
Tel.: (07 11) 46 20 01; Email: Eva-<br />
Maria.Agster@t-online.de<br />
Seite 10 OFFENE KIRCHE<br />
Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>