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Heft 2/2005 - Offene Kirche Württemberg

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sich mit der jeweiligen politischen Lage.<br />

Lange war der Amtssitz auf der Insel<br />

Akhtamar im Wan-See. Als in Kilikien<br />

ein neues armenisches Königreich<br />

gegründet wurde, verlegte man das<br />

Katholikosamt nach Kilikien in die<br />

Hauptstadt Sis. Es gab aber auch Zeiten,<br />

wo sich verschiedene Katholikosate<br />

gegenüberstanden und den Rechtsanspruch<br />

streitig machten. Im Jahre 1441<br />

wurde Etschmiadsin (heute in Armenien)<br />

endgültig zum Hauptsitz des<br />

Katholikos gewählt und ist es bis heute<br />

geblieben. Im Jahre 1924 sah sich der<br />

greise Katholikos Sahak von Sis gezwungen<br />

auszuwandern, da die Armenier<br />

während des Ersten Weltkrieges in der<br />

Türkei fast ganz ausgerottet worden<br />

waren. Heute besteht in Antilias nahe<br />

der Stadt Beirut ein Katolikosat, das<br />

auch ein großes Priesterseminar betreibt.<br />

Geschichte<br />

Einen tiefen Einschnitt in seiner Geschichte<br />

erlebte Armenien im 7. Jahrhundert<br />

durch die Entstehung des Islam,<br />

bei dessen rascher Ausbreitung im<br />

vorderen Orient arabische Stämme bald<br />

auch nach Armenien gelangten. Von<br />

Osten her drangen im 11. Jahrhundert<br />

die Seldschuken nach Armenien ein und<br />

überfielen u. a. seine berühmte Hauptstadt<br />

Ani. Mitte des 11. Jahrhunderts<br />

wurde das armenische Volk aus seinem<br />

Stammland vertrieben und wanderte<br />

nach Kilikien aus (heutige Südtürkei).<br />

Armenien war für das Abendland immer<br />

das christliche Bollwerk gegen den<br />

Islam. Im Mittelalter leistete das Fürstentum<br />

Kilikien den europäischen Kreuzzüglern<br />

wirksame Unterstützung. Als<br />

Dank wurde das Fürstentum durch<br />

Kaiser Heinrich Vl. und Segen des<br />

Papstes Celestin III. zum armenischen<br />

Königreich erhoben. Es leistete allem<br />

Bedrängen erfolgreich Widerstand, bis es<br />

1375 unter dem Ansturm der islamischen<br />

Mamelucken endgültig zusammenbrach.<br />

Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts<br />

fügte dem armenischen Volk<br />

und seiner <strong>Kirche</strong> schwere Verluste zu.<br />

Zwar wurde nach der Aufteilung Ost-<br />

Armeniens zwischen den Persern und<br />

dem zaristischen Russland im östlichen<br />

Landesteil eine sog. Polejenie (1836)<br />

erlassen und für die im Osmanischen<br />

Reich lebenden orthodoxen Armenier<br />

ebenfalls die Anerkennung als eigene<br />

„Nation“ („Millet“ im damaligen<br />

osmanischen Sinne eine Art religiöskonfessionelle<br />

Volksgruppe) im Jahre<br />

1863 erreicht. Jedoch verhinderte dies<br />

nicht die Massaker, die von Sultan<br />

Abdul-Hamit II. 1894 bis 1896 aus<br />

religiösen Gründen veranlasst wurden.<br />

Während dieser Massaker kamen<br />

300.000 Armenier ums Leben. Vielleicht<br />

das schrecklichste war das<br />

Massaker in Urfa am 28./29. Dezember<br />

1895. Etwa 3.000 armenische Männer,<br />

Frauen und Kinder hatten in der<br />

Kathedrale Zuflucht gesucht, in die<br />

jedoch Soldaten eindrangen. Nachdem<br />

die Türken viele unbewaffnete Opfer<br />

niedergeschossen hatten, trugen sie<br />

Stroh herbei, begossen es mit Petroleum<br />

und setzten es in Brand. Konsul Fitzmaurice<br />

schrieb später darüber: „Die<br />

Pfeiler der Empore und das Holzgebälk<br />

standen sofort in Flammen, worauf die<br />

Türken die Treppe zur Empore mit<br />

ähnlichem brennbaren Material blockierten.<br />

Sie ließen die um ihr Leben ringende<br />

Menschenmenge ein Opfer der<br />

Flammen werden. Mehrere Stunden<br />

lang durchzog der Geruch brennenden<br />

Fleisches die Stadt“. 1909 fanden<br />

weitere Massaker in Kilikien statt, vor<br />

allem in der Stadt Adana; hier wurden<br />

30.000 Armenier bestialisch getötet.<br />

Die größte Katastrophe brach während<br />

des ersten Weltkrieges aus. Das jungtürkische<br />

Regime unter dem Triumvirat<br />

von Enver-, Talat- und Djemal-Pascha<br />

verübte aus nationalistischen Motiven<br />

den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts,<br />

wobei 1915/1916 1,5 Millionen<br />

Armenier durch Mord und brutale<br />

Deportationen („Todesmärsche“) ums<br />

Leben kamen. Ihr Hab und Gut, Grund<br />

und Boden wurden beschlagnahmt, die<br />

armenischen <strong>Kirche</strong>n und Schulen<br />

zerstört. Es bedeutete Zwangsislamisierung,<br />

Vergewaltigung armenischer<br />

Frauen, Zerstreuung der Armenier auf<br />

der ganzen Welt.<br />

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges,<br />

am 28. Mai 1918, wurde die Armenische<br />

Republik ausgerufen. Jedoch hatte<br />

diese Republik in Trans-Kaukasien ein<br />

sehr kurzes Leben: Am 29. November<br />

1920 marschierte die Rote Armee ein<br />

und Armenien wurde sowjetisiert. Diese<br />

kleinste Republik der Sowjet-Union<br />

wurde kurz vor Ende der UdSSR, am<br />

21. September 1991, durch Volksentscheid<br />

wieder unabhängig. Das armenische<br />

Gebiet von „Berg-Karabach“, das<br />

Anfang der zwanziger Jahre von Stalin<br />

an die Aserbaidschanische Sowjet-<br />

Republik angegliedert wurde, ist zwar<br />

seitens der Karabach-Armenier befreit<br />

worden, aber die Frage des Berg-<br />

Karabach ist bis heute noch nicht gelöst.<br />

Armenische Gemeinde e.V. Baden-<br />

Württemberg<br />

Durch Verfolgung, Vertreibung und<br />

Massenvernichtung um die Jahrhundertwende<br />

wurde unser Volk in die ganze<br />

Welt verstreut. Viele Armenier haben in<br />

zahlreichen europäischen Ländern, u. a.<br />

auch Deutschland bzw. Baden-Württemberg,<br />

eine neue Heimat gefunden.<br />

Unsere Gemeindemitglieder sind<br />

zumeist aus der Türkei stammende<br />

armenische Volksangehörige, die in den<br />

60er und 70er Jahren als Gastarbeiter,<br />

vor allem als Handwerker und Akademiker,<br />

nach Deutschland kamen. In Baden-<br />

Württemberg leben etwa 4.500 Armenier,<br />

die sich längst etabliert haben und<br />

deutsche Staatsangehörige sind. Als<br />

Christen fühlen wir uns in Deutschland<br />

sicher und sehr wohl. „Wenn drei<br />

Armenier zusammen sind, dann gründen<br />

sie erst eine <strong>Kirche</strong>, dann eine<br />

Schule und danach eine Zeitung“, heißt<br />

ein armenisches Sprichwort. Obwohl<br />

das nicht in dieser Reihenfolge geschah,<br />

gründeten wir 1974 zuerst mit ein paar<br />

Freunden in Göppingen einen Verein.<br />

Der damalige Kreisverein betreut heute<br />

alle in Baden-Württemberg und West-<br />

Bayern lebenden Armenier. 1983 haben<br />

wir in Göppingen-Bartenbach die erste<br />

Armenische <strong>Kirche</strong> in Deutschland<br />

einweihen können. Die Evangelische<br />

Gemeinde Bartenbach hat uns hierfür<br />

dankenswerterweise ihre alte St. Otmar-<br />

<strong>Kirche</strong> überlassen. In unserer Surp-<br />

Khatsch-<strong>Kirche</strong> (Heilige-Kreuz-<strong>Kirche</strong>)<br />

finden jeden Monat zweimal Gottesdienste<br />

statt.<br />

Da unser Verein ein großes Einzugsgebiet<br />

hat und wir kein eigenes Vereinsheim<br />

besaßen, waren wir gezwungen,<br />

uns an verschiedenen Orten meistens in<br />

Gaststätten zu treffen. Gott sei Dank<br />

haben wir im Februar 1998 in Salach-<br />

Bärenbach von der Gemeinde Salach das<br />

ehemalige Schützenhaus erwerben<br />

können. Hier werden unsere armenischen<br />

Bräuche aufrechterhalten (Muttersprache,<br />

Volkstänze, Volks- und Kinderlieder).<br />

Außerdem betreuen wir in<br />

unserem Vereinsheim sozial Schwache,<br />

Kranke, Rentner, ältere und alleinstehende<br />

Menschen sowie Jugendliche.<br />

Wir wollen in diesem Land nicht nur<br />

Gast bleiben, sondern in diesem Gebäude<br />

auch für unsere deutschen Freunde<br />

Gastgeber sein.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Avedikjan ist Gründer und jetziger Ehrenpräsident<br />

der Armenischen Gemeinde<br />

e.V. Baden-Württemberg, Aynal ist Erster<br />

Vorsitzender der Gemeinde<br />

Seite 6 OFFENE KIRCHE<br />

Nr. 2, Juni <strong>2005</strong>

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