Ein pragmatischer Review - Zeitschrift für Allgemeinmedizin
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Originalarbeit<br />
was f ü r Nachteile ihm anhaften, die beim anderen fehlen oder<br />
geringer sind. …<br />
Eugen Bleuler, 1919 [1]<br />
Manches hat sich seither ge ä ndert, vieles nicht.<br />
Hintergrund<br />
&<br />
Im Rahmen des 6. Heidelberger Tages der <strong>Allgemeinmedizin</strong><br />
hielten wir einen Workshop mit dem Titel „ Antibiotika in der<br />
Hausarztpraxis – Gr ü nde jenseits der Indikation “ ab. Den 25<br />
Teilnehmern des Workshops wurde die Fallvignette einer Patientin<br />
zur Entscheidung bez ü glich einer Antibiotikatherapie<br />
vorgelegt. Die Patientin bot das Bild einer akuten Rhinosinusitis.<br />
Danach erarbeitete die Gruppe gemeinsam Faktoren, die einen<br />
<strong>Ein</strong>fluss auf die Therapieentscheidung f ü r oder gegen die Gabe<br />
eines Antibiotikums in diesem konkreten Fall haben k ö nnen.<br />
Der Moderator stellte die Evidenzlage bez ü glich der Therapieeffekte<br />
von Antibiotika bei akuter Rhinosinusitis anhand einer<br />
Originalstudie [2] und eines klinischen <strong>Review</strong>s [3] vor (Zusammenfassung<br />
der Evidenzlage siehe Abb. 1 ). Der Therapieeffekt<br />
ist allenfalls geringf ü gig. Er steht in ung ü nstigem Verh ä ltnis zu<br />
den zu erwartenden Nebenwirkungen und der zunehmenden<br />
Resistenz bakterieller Erreger gegen ü ber Antibiotika im Allgemeinen.<br />
Bei akuter Rhinosinusitis sollten deshalb in den meisten<br />
F ä llen keine Antibiotika verordnet werden.<br />
Der Gruppe des Workshops waren diese Empfehlungen der internationalen<br />
Literatur weitestgehend unbekannt. <strong>Ein</strong>e deutsche<br />
haus ä rztliche Leitlinie zu diesem Thema ist noch nicht ver ö f-<br />
fentlicht worden. Wir fragten uns, welche Empfehlungen deutsche<br />
Haus ä rzte zur Therapie der akuten Rhinosinusitis erhalten<br />
k ö nnen, sofern sie nicht internationale Fachliteratur und Originalarbeiten<br />
zu Rate ziehen.<br />
Methodik<br />
&<br />
Die deutsche Leitliniendatenbank ( www. leitlinien.de ) des Ä rztlichen<br />
Zentrums f ü r Qualit ä t in der Medizin ( Ä ZQ), wurde nach<br />
entsprechenden deutschsprachigen Leitlinien durchgesehen. In<br />
der gr ö ß ten medizinischen Buchhandlung Heidelbergs wurden<br />
Abb. 1<br />
Wichtige Informationen zur Therapie der akuten Rhinosinusitis.<br />
alle angebotenen Lehrb ü cher und klinischen Ratgeber der <strong>Allgemeinmedizin</strong><br />
und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde auf ihre Empfehlungen<br />
zur Therapie der akuten Rhinosinusitis konsultiert.<br />
Da die Sorge vor potentiellen Komplikationen der Erkrankung<br />
die Therapieentscheidung beeinflussen k ö nnte, suchten wir auß<br />
erdem nach konkreten zahlenm ä ß igen Angaben bez ü glich der<br />
H ä ufigkeit dieser Komplikationen. Diagnostik und Therapie<br />
sollten heute nach verbreitetem Verst ä ndnis Evidenz-basiert erfolgen.<br />
Deshalb untersuchten wir die gegebenen Empfehlungen<br />
auf Quellenangaben. Au ß erdem wurde in den drei wichtigsten<br />
deutschen haus ä rztlichen Fachzeitschriften (Der Hausarzt, Der<br />
Allgemeinarzt, <strong>Zeitschrift</strong> f ü r <strong>Allgemeinmedizin</strong>) nach Artikeln<br />
zum Thema Sinusitis gesucht. Da medizinische „ Boulevard-<br />
Bl ä tter “ wie ‚Medical Tribune‘ und ‚ Ä rztezeitung‘ in den meisten<br />
deutschen Hausarztpraxen zumindest vorhanden sein d ü rften,<br />
wurde auch in deren Archiven nach Aussagen zum Thema Sinusitis<br />
(<strong>Ein</strong>gabe ,Sinusitis ’ in der Suchmaske der Archive) gefragt.<br />
Ergebnisse<br />
&<br />
Lehrbücher und Leitlinien<br />
Die im Folgenden beschriebenen Ergebnisse der Recherche sind<br />
auch in Ausz ü gen in Tab. 1 zusammengefasst.<br />
Wenn Angaben zu den Erregern der akuten Sinusitis gemacht<br />
werden, stehen meist die Bakterien an erster Stelle. Genannt<br />
werden die bekannten Erreger von Atemwegsinfekten in wechselnder<br />
Reihenfolge der H ä ufigkeit.<br />
Formulierungen wie beispielsweise „ … meistens fortgeleitet aus<br />
einer (oftmals Virus-bedingten) Rhinitis … “ [4] mit anschließ<br />
ender Auflistung bakterieller Erreger lassen offen, ob eine anatomische<br />
Fortleitung der weiterhin viralen Entz ü ndung aus der<br />
Nase in die Nebenh ö hlen oder eine Fortentwicklung der zun<br />
ä chst viralen Infektion zur bakteriellen Superinfektion gemeint<br />
ist. Die Begriffe „ eitrige Rhinitis “ oder „ putride Sinusitis “ suggerieren<br />
in der Vorstellung vermutlich der meisten Mediziner eine<br />
bakterielle Ä tiologie. Zweimal [5, 6] wird die Diagnose akute Sinusitis<br />
per definitionem auf bakterielle, pilz- oder allergisch bedingte<br />
Entz ü ndungen eingeschr ä nkt.<br />
Die Therapieempfehlungen der gefundenen Lehrbuch- und Leitlinieninhalte<br />
reichen sinngem ä ß von „ Antibiotikum als Mittel<br />
der Wahl “ bis zu „ Antibiotikum nur in den wenigsten F ä llen “ .<br />
Die Indikation zur Gabe des Antibiotikums ist dabei oft unscharf<br />
formuliert. Angaben wie „ bei ausbleibender Besserung nach<br />
3 Tagen “ [7] , „ in leichten F ä llen symptomatisch … bei Therapieresistenz<br />
Antibiose “ [8] , „ … Sofern mit diesen Ma ß nahmen keine<br />
rasche Besserung zu erzielen ist … “ [9] lassen jede Entscheidung<br />
offen. Selbst die zun ä chst von der Antibiotikatherapie abratenden<br />
Quellen machen die T ü r zur Gabe des Antibiotikums am<br />
Schluss doch wieder weit auf. So halten die „ Evidence-based<br />
medicine Guidelines f ü r <strong>Allgemeinmedizin</strong> “ [10] Antibiotika f ü r<br />
nicht sinnvoll. Patienten „ … deren Beschwerden schon seit mehr<br />
als einer Woche andauern “ k ö nnen aber doch eines erhalten.<br />
Dabei wird nicht gesagt, ob die Beschwerden des grippalen Infekts<br />
oder die der Rhinosinusitis gemeint sind. Auch steht dort<br />
nach grunds ä tzlichem Abraten von der Antibiose unter der<br />
Ü berschrift „ Therapie “ doch noch: „ Therapie der Wahl ist eine<br />
sich ü ber 5 – 7 Tage erstreckende Antibiotikakur “ . Ä hnlich bei<br />
den „ Evidenzbasierten Therapieleitlinien der Arzneimittelkommission<br />
der Deutschen Ä rzteschaft “ [4] . Dort findet sich nach<br />
eindeutigem Votum gegen das Antibiotikum ganz am Ende:<br />
„ Die Indikation zur Antibiotikabehandlung ergibt sich aus der<br />
K ü hlein T et al. Nicht rationale Empfehlungen … Z Allg Med 2007; 83: 397 – 404