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Ein pragmatischer Review - Zeitschrift für Allgemeinmedizin

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398<br />

Originalarbeit<br />

was f ü r Nachteile ihm anhaften, die beim anderen fehlen oder<br />

geringer sind. …<br />

Eugen Bleuler, 1919 [1]<br />

Manches hat sich seither ge ä ndert, vieles nicht.<br />

Hintergrund<br />

&<br />

Im Rahmen des 6. Heidelberger Tages der <strong>Allgemeinmedizin</strong><br />

hielten wir einen Workshop mit dem Titel „ Antibiotika in der<br />

Hausarztpraxis – Gr ü nde jenseits der Indikation “ ab. Den 25<br />

Teilnehmern des Workshops wurde die Fallvignette einer Patientin<br />

zur Entscheidung bez ü glich einer Antibiotikatherapie<br />

vorgelegt. Die Patientin bot das Bild einer akuten Rhinosinusitis.<br />

Danach erarbeitete die Gruppe gemeinsam Faktoren, die einen<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf die Therapieentscheidung f ü r oder gegen die Gabe<br />

eines Antibiotikums in diesem konkreten Fall haben k ö nnen.<br />

Der Moderator stellte die Evidenzlage bez ü glich der Therapieeffekte<br />

von Antibiotika bei akuter Rhinosinusitis anhand einer<br />

Originalstudie [2] und eines klinischen <strong>Review</strong>s [3] vor (Zusammenfassung<br />

der Evidenzlage siehe Abb. 1 ). Der Therapieeffekt<br />

ist allenfalls geringf ü gig. Er steht in ung ü nstigem Verh ä ltnis zu<br />

den zu erwartenden Nebenwirkungen und der zunehmenden<br />

Resistenz bakterieller Erreger gegen ü ber Antibiotika im Allgemeinen.<br />

Bei akuter Rhinosinusitis sollten deshalb in den meisten<br />

F ä llen keine Antibiotika verordnet werden.<br />

Der Gruppe des Workshops waren diese Empfehlungen der internationalen<br />

Literatur weitestgehend unbekannt. <strong>Ein</strong>e deutsche<br />

haus ä rztliche Leitlinie zu diesem Thema ist noch nicht ver ö f-<br />

fentlicht worden. Wir fragten uns, welche Empfehlungen deutsche<br />

Haus ä rzte zur Therapie der akuten Rhinosinusitis erhalten<br />

k ö nnen, sofern sie nicht internationale Fachliteratur und Originalarbeiten<br />

zu Rate ziehen.<br />

Methodik<br />

&<br />

Die deutsche Leitliniendatenbank ( www. leitlinien.de ) des Ä rztlichen<br />

Zentrums f ü r Qualit ä t in der Medizin ( Ä ZQ), wurde nach<br />

entsprechenden deutschsprachigen Leitlinien durchgesehen. In<br />

der gr ö ß ten medizinischen Buchhandlung Heidelbergs wurden<br />

Abb. 1<br />

Wichtige Informationen zur Therapie der akuten Rhinosinusitis.<br />

alle angebotenen Lehrb ü cher und klinischen Ratgeber der <strong>Allgemeinmedizin</strong><br />

und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde auf ihre Empfehlungen<br />

zur Therapie der akuten Rhinosinusitis konsultiert.<br />

Da die Sorge vor potentiellen Komplikationen der Erkrankung<br />

die Therapieentscheidung beeinflussen k ö nnte, suchten wir auß<br />

erdem nach konkreten zahlenm ä ß igen Angaben bez ü glich der<br />

H ä ufigkeit dieser Komplikationen. Diagnostik und Therapie<br />

sollten heute nach verbreitetem Verst ä ndnis Evidenz-basiert erfolgen.<br />

Deshalb untersuchten wir die gegebenen Empfehlungen<br />

auf Quellenangaben. Au ß erdem wurde in den drei wichtigsten<br />

deutschen haus ä rztlichen Fachzeitschriften (Der Hausarzt, Der<br />

Allgemeinarzt, <strong>Zeitschrift</strong> f ü r <strong>Allgemeinmedizin</strong>) nach Artikeln<br />

zum Thema Sinusitis gesucht. Da medizinische „ Boulevard-<br />

Bl ä tter “ wie ‚Medical Tribune‘ und ‚ Ä rztezeitung‘ in den meisten<br />

deutschen Hausarztpraxen zumindest vorhanden sein d ü rften,<br />

wurde auch in deren Archiven nach Aussagen zum Thema Sinusitis<br />

(<strong>Ein</strong>gabe ,Sinusitis ’ in der Suchmaske der Archive) gefragt.<br />

Ergebnisse<br />

&<br />

Lehrbücher und Leitlinien<br />

Die im Folgenden beschriebenen Ergebnisse der Recherche sind<br />

auch in Ausz ü gen in Tab. 1 zusammengefasst.<br />

Wenn Angaben zu den Erregern der akuten Sinusitis gemacht<br />

werden, stehen meist die Bakterien an erster Stelle. Genannt<br />

werden die bekannten Erreger von Atemwegsinfekten in wechselnder<br />

Reihenfolge der H ä ufigkeit.<br />

Formulierungen wie beispielsweise „ … meistens fortgeleitet aus<br />

einer (oftmals Virus-bedingten) Rhinitis … “ [4] mit anschließ<br />

ender Auflistung bakterieller Erreger lassen offen, ob eine anatomische<br />

Fortleitung der weiterhin viralen Entz ü ndung aus der<br />

Nase in die Nebenh ö hlen oder eine Fortentwicklung der zun<br />

ä chst viralen Infektion zur bakteriellen Superinfektion gemeint<br />

ist. Die Begriffe „ eitrige Rhinitis “ oder „ putride Sinusitis “ suggerieren<br />

in der Vorstellung vermutlich der meisten Mediziner eine<br />

bakterielle Ä tiologie. Zweimal [5, 6] wird die Diagnose akute Sinusitis<br />

per definitionem auf bakterielle, pilz- oder allergisch bedingte<br />

Entz ü ndungen eingeschr ä nkt.<br />

Die Therapieempfehlungen der gefundenen Lehrbuch- und Leitlinieninhalte<br />

reichen sinngem ä ß von „ Antibiotikum als Mittel<br />

der Wahl “ bis zu „ Antibiotikum nur in den wenigsten F ä llen “ .<br />

Die Indikation zur Gabe des Antibiotikums ist dabei oft unscharf<br />

formuliert. Angaben wie „ bei ausbleibender Besserung nach<br />

3 Tagen “ [7] , „ in leichten F ä llen symptomatisch … bei Therapieresistenz<br />

Antibiose “ [8] , „ … Sofern mit diesen Ma ß nahmen keine<br />

rasche Besserung zu erzielen ist … “ [9] lassen jede Entscheidung<br />

offen. Selbst die zun ä chst von der Antibiotikatherapie abratenden<br />

Quellen machen die T ü r zur Gabe des Antibiotikums am<br />

Schluss doch wieder weit auf. So halten die „ Evidence-based<br />

medicine Guidelines f ü r <strong>Allgemeinmedizin</strong> “ [10] Antibiotika f ü r<br />

nicht sinnvoll. Patienten „ … deren Beschwerden schon seit mehr<br />

als einer Woche andauern “ k ö nnen aber doch eines erhalten.<br />

Dabei wird nicht gesagt, ob die Beschwerden des grippalen Infekts<br />

oder die der Rhinosinusitis gemeint sind. Auch steht dort<br />

nach grunds ä tzlichem Abraten von der Antibiose unter der<br />

Ü berschrift „ Therapie “ doch noch: „ Therapie der Wahl ist eine<br />

sich ü ber 5 – 7 Tage erstreckende Antibiotikakur “ . Ä hnlich bei<br />

den „ Evidenzbasierten Therapieleitlinien der Arzneimittelkommission<br />

der Deutschen Ä rzteschaft “ [4] . Dort findet sich nach<br />

eindeutigem Votum gegen das Antibiotikum ganz am Ende:<br />

„ Die Indikation zur Antibiotikabehandlung ergibt sich aus der<br />

K ü hlein T et al. Nicht rationale Empfehlungen … Z Allg Med 2007; 83: 397 – 404

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