<strong>Swedenborg</strong> <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> <strong>des</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problems</strong> 7 <strong>Swedenborg</strong>s für die Gegenwart fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t werden. I<strong>ch</strong> denke beispielsweise an seine Ausführungen am Anfang seiner »Principia Rerum naturalium«. Das erste Kapitel »handelt von den Mitteln, die zur wahren Philosophie führen«. Er nennt drei, »die empiris<strong>ch</strong>e Erfahrung (experientia), die Geometrie (geometria) und die Fähigkeit zur vernünftigen Beurteilung (facultas ratiocinandi)«. <strong>Swedenborg</strong> sah si<strong>ch</strong> zwei großen erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Systemen gegenüber, dem Empirismus (a posteriori) und dem Rational<strong>im</strong>us (a priori), und interessanterweise vereinigt er in seinem Geiste die Stärken beider Ansätze. Wahre Wissens<strong>ch</strong>aft sollte – dieser Spur folgend – ni<strong>ch</strong>t nur beoba<strong>ch</strong>ten und bes<strong>ch</strong>reiben, sondern au<strong>ch</strong> denken und auswerten, zu den Ursa<strong>ch</strong>en und der quinta essentia der Datenflut vordringen. Zweitens: Es läge ganz auf der Linie <strong>Swedenborg</strong>s, die Erkenntnisse der Gehirnfors<strong>ch</strong>ung bzw. Neurowissens<strong>ch</strong>aften aufzunehmen. Die gegenwärtige Situation bes<strong>ch</strong>reibt der niederländis<strong>ch</strong>e Kardiologe P<strong>im</strong> van Lommel so: »Die meisten Gehirnfors<strong>ch</strong>er vertreten einen materialistis<strong>ch</strong>en Ansatz. Sie gehen von der Annahme aus, dass si<strong>ch</strong> Gedanken, Gefühle und Erinnerungen inhaltli<strong>ch</strong> ganz und gar aus den messbaren Aktivitäten <strong>des</strong> Gehirns herleiten lassen. Die Hypothese, dass Bewusstsein und Erinnerungen auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> in unserem Gehirn erzeugt und gespei<strong>ch</strong>ert werden, ist jedo<strong>ch</strong> <strong>im</strong>mer no<strong>ch</strong> unbewiesen.« 29 Dass eine dualistis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>t mit den Fakten vereinbar ist, zeigte exemplaris<strong>ch</strong> Sir John Eccles (1903–1997), der 1963 den Medizin- Nobelpreis erhalten und zusammen mit dem Philosophen Karl Popper ein Bu<strong>ch</strong> mit dem bezei<strong>ch</strong>nenden Titel »Das I<strong>ch</strong> und sein Gehirn« ges<strong>ch</strong>rieben hatte. Darin tritt er sowohl für die <strong>im</strong>materielle Wesenheit <strong>des</strong> Geistes als au<strong>ch</strong> für die Objektivität der materiellen Welt ein, also für eine dualistis<strong>ch</strong>e Weltsi<strong>ch</strong>t. Drittens: <strong>Swedenborg</strong>s Position erhält seit mehreren Jahrzehnten Unterstützung dur<strong>ch</strong> die Ergebnisse der Nahtod-Fors<strong>ch</strong>ung. P<strong>im</strong> van Lommel beispielsweise vertritt – gestützt auf wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Langzeitstudien – die These: Das Bewusstsein hört na<strong>ch</strong> dem Tod ni<strong>ch</strong>t auf zu existieren, es besteht weiter und ist unabhängig von Gehirnfunktionen. Das Gehirn s<strong>ch</strong>eint nur ein Empfangsmodul zu sein, verglei<strong>ch</strong>bar einem Radio oder Fernsehgerät. Niemand würde behaupten, die Bilder und Töne hätten ihren Ursprung in diesen Apparaten. Jedem ist klar, dass sie aus einem anderen Raum stammen und von diesen Geräten ledigli<strong>ch</strong> empfangen werden. <strong>Swedenborg</strong> ist ein Substanzdualist, der einen geistigen Einfluss lehrt, der allerdings ni<strong>ch</strong>t erst bei der <strong>Seele</strong>, sondern s<strong>ch</strong>on bei Gott beginnt. Inwieweit si<strong>ch</strong> dieser Einfluss allerdings auf der organis<strong>ch</strong>en Ebene zeigen kann, hängt au<strong>ch</strong> von der Verfassung der entspre<strong>ch</strong>enden Organe ab, vor allem <strong>des</strong> Gehirns. Insofern ist in <strong>Swedenborg</strong>s Theorie ein interaktionistis<strong>ch</strong>es Element enthalten. Seine Gesamts<strong>ch</strong>au der Wirkli<strong>ch</strong>keit hatte interessanterweise eine empiris<strong>ch</strong>e Grundlage, denn zum einen kam er aus der Wissens<strong>ch</strong>aft, war einer ihrer hervorragensten Vertreter, und zum anderen s<strong>ch</strong>rieb er später viele Werke »ex auditis et visis«, das heißt na<strong>ch</strong> Gehörtem und Gesehenem. Er konnte daher den Grundstein für eine Wissens<strong>ch</strong>aft legen, in der H<strong>im</strong>mel und Erde versöhnt sind: Psy<strong>ch</strong>e und Physis. Abges<strong>ch</strong>lossen <strong>im</strong> Mai 2011 29 P<strong>im</strong> van Lommel, Endloses Bewusstsein: Neue medizinis<strong>ch</strong>e Fakten zur Nahtoderfahrung, 2011, Seite 192.
Essay für die Übersetzung von <strong>Swedenborg</strong>s Werk »Die We<strong>ch</strong>selwirkung zwis<strong>ch</strong>en <strong>Seele</strong> und Körper«, Züri<strong>ch</strong> 2011