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R1203 Die osteoporotische Wirbelsäule.pdf - OSTAK

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Script– <strong>R1203</strong> DVO Spezialkurs – 10.11.2012 - Regensburg<br />

Wirbelkörperfrakturen: Diagnostischer Algorithmus<br />

Lektion 1: Dr. Daniel Boluki<br />

• <strong>Die</strong> Osteoporose ist eine “…systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige<br />

Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes<br />

charakterisiert ist, mit einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität und der Neigung zu<br />

Frakturen. Sind bereits eine oder mehrere Frakturen als Folge der Osteoporose aufgetreten,<br />

liegt eine manifeste Osteoporose vor.“ [1]<br />

• <strong>Die</strong> klinische Bedeutung der Osteoporose liegt im Auftreten von Knochenbrüchen und deren<br />

Folgen. Häufigster Lokalisationspunkt an der Wirbelsäule ist der thorakolumbale Übergang<br />

zwischen BWK 10 und LWK 2, zweithäufigster die mittlere BWS.<br />

• Aufgrund der Leichtbauweise der Wirbelkörper aus Spongiosa und der biomechanisch bedingten<br />

Druckbelastung der ventralen Säule frakturieren meistens isoliert die Wirbelkörper unter<br />

Aussparung der Hinterkante.<br />

• Leitsymptom ist der neu aufgetretene Rückenschmerz. <strong>Die</strong>ser strahlt häufig unspezifisch in die<br />

untere LWS aus und überlagert ggf. vorhandene degenerative Beschwerden. An der BWS<br />

strahlen die Beschwerden häufig entlang den Rippen nach ventral aus.<br />

• Zur Unterscheidung vom unkomplizierten nicht spezifischen Rückenschmerz können die „Red<br />

Flags“ dienen. Bei deren Vorliegen ist eine umgehende Abklärung indiziert (kein Zuwarten für 6<br />

Wochen gemäß Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Kreuzschmerz). Bzgl. einer<br />

<strong>osteoporotische</strong>n Fraktur sind dies vor allem:<br />

o Alter über 50 Jahre, v.a. bei Frauen<br />

o Systemische Steroidmedikation<br />

o Entzündlich rheumatische Grunderkrankung<br />

o Bekannte Osteoporose, insb. eine manifeste Osteoporose mit Z.n. Wirbelkörperfraktur<br />

• Das relative Risiko für Folgefrakturen steigt nach einer WK-Fraktur um das 3,2fache, nach 2<br />

WK-Frakturen um das 9,8fache und nach 3 Frakturen um das 23,3fache [2].<br />

• Patienten geben häufig verstärkte Schmerzen unter axialer Belastung an, z.B. beim Aufrichten<br />

aus der liegenden Position oder bei Seitdrehung im Liegen.<br />

• Ein adäquates Trauma fehlt üblicherweise. Ein definierter Beschwerdebeginn ist nicht immer<br />

eruierbar. Meistens werden Bagatellbelastungen als Ursache angeschuldigt.<br />

• Eine radikuläre Ausstrahlung in die Beine fehlt typischerweise. Sollte sie doch einmal vorliegen,<br />

ggf. in Verbindung mit sensomotorischer Ausfallsymptomatik, so besteht der Verdacht auf eine<br />

instabile Fraktur bzw. einen Bandscheibenschaden<br />

• <strong>Die</strong> klinische Untersuchung erbringt häufig unspezifische Befunde. Klopfschmerzen über der<br />

Dornfortsatzlinie sind oft diffus, häufiger, aber nicht immer, findet sich ein Rüttelschmerz über<br />

dem Dornfortsatz des betroffenen Wirbels. Ein Lücke in der Dornfortsatzlinie findet sich<br />

typischerweise nicht. <strong>Die</strong> Beweglichkeit der WS ist schmerzhaft eingeschränkt.<br />

Nervendehnungstests und die neurologische Untersuchung ergeben üblicherweise keinen<br />

pathologischen Befund.<br />

• Bildgebende Diagnostik der ersten Wahl ist die Röntgenuntersuchung des WS-Abschnittes in 2<br />

Ebenen, am besten im Stehen (axiale Last). Bei V.a. eine LWK-Fraktur sollte immer der<br />

thorakolumbale Übergang mit abgebildet sein (unspezifische kaudale Ausstrahlung der<br />

Schmerzen nach distal bei Frakturen in diesem Bereich, gleichzeitig Prädilektionsstelle für<br />

<strong>osteoporotische</strong> Frakturen). Schrägaufnahmen und Funktionsaufnahmen bringen keinen<br />

zusätzlichen Nutzen. Beurteilt wird v.a. semiquantitativ die Höhe und Form der Wirbelkörper im<br />

Seitbild.<br />

• Klassifiziert wird zumeist nach Genant [3]. <strong>Die</strong>se Klassifikation dient u.a. zur<br />

Schweregradbeurteilung in der Therapietabelle der DVO-Leitlinie [1].<br />

• Bei radiologischem V.a. auf eine WK-Fraktur schließt sich eine MRT incl. STIR-Sequenz an (Short<br />

Tau Inversion Recovery, fettgesättigte T2-Wichtung zur isolierten Darstellung von<br />

Flüssigkeit/Knochenmarködem). Vorteile der MRT gegenüber der CT sind:<br />

o Frakturalterbestimmung mittels intraossärem Ödem (STIR-Sequenz)<br />

o Abbildung größerer WS-Abschnitte, Aufspüren okkulter Frakturen in benachbarten WK<br />

o Höhere Sensitivität bzgl. Differentialdiagnosen wie Spondylitis oder Malignom<br />

o Bessere Darstellung des Myelons<br />

o Darstellung umgebender Weichteile/Organe<br />

o Strahlungsarmut<br />

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Nachteile sind:<br />

o Geringere Verfügbarkeit / Wartezeit auf Untersuchung<br />

o Nicht geeignet für Schrittmacherträger<br />

o Schlechtere Darstellung feiner Knochenstrukturen (Hinterkante, Pedikel)<br />

o Schlechter geeignet für Patienten mit Klaustrophobie<br />

o Höhere Kosten<br />

• In Einzelfällen kann eine Kombination aus CT und Knochenszintigraphie zur Diagnosefindung<br />

dienen. <strong>Die</strong> alleinige Nutzung der CT z.B. zur Indikationsstellung für operative Verfahren ist<br />

fehleranfällig [5].<br />

• Laboruntersuchungen sind für die Diagnosestellung sekundär. Bei frischen Frakturen kann das<br />

CRP leicht bis mäßig erhöht sein. <strong>Die</strong> Labordiagnostik dient vorwiegend<br />

o der Osteoporosediagnostik (primäre vs. sekundäre Osteoporose)<br />

o dem Ausschluss von Differentialdiagnosen (z.B. Infekt, Tumor)<br />

o der Operationsvorbereitung (Nieren-, Leberfunktion, Gerinnungsstatus)<br />

Abb. 1: Frakturklassifikation nach Genant<br />

Semi-quantitative grading system developed by Genant et al. and currently used as a standard to<br />

diagnose and grade osteoporotic fractures. Grade 1 = mild fracture (reduction in vertebral height<br />

20–25%, compared to adjacent normal vertebrae), grade 2 = moderate fracture (reduction in<br />

height 25–40%), and grade 3 = severe fracture (reduction in height<br />

more than 40%). Bildquelle: SpringerImages (aus [4])<br />

Literatur:<br />

[1] “DVO-Leitlinie 2009 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen -<br />

Langfassung,” Osteologie, vol. 18, no. 4, pp. 304–324, 2009.<br />

[2] M. Lunt, T. W. O’Neill, D. Felsenberg, J. Reeve, J. A. Kanis, C. Cooper, and A. J. Silman,<br />

“Characteristics of a prevalent vertebral deformity predict subsequent vertebral fracture: results<br />

from the European Prospective Osteoporosis Study (EPOS),” Bone, vol. 33, no. 4, pp. 505–513,<br />

Oktober 2003.<br />

[3] H. K. Genant, M. Jergas, L. Palermo, M. Nevitt, R. S. Valentin, D. Black, and S. R. Cummings,<br />

“Comparison of semiquantitative visual and quantitative morphometric assessment of prevalent<br />

and incident vertebral fractures in osteoporosis,” J Bone Miner Res, vol. 11, no. 7, pp. 984–996,<br />

Jul. 1996.<br />

[4] T. M. Link, “The Founder’s Lecture 2009: advances in imaging of osteoporosis and osteoarthritis,”<br />

Skeletal Radiology, vol. 39, no. 10, pp. 943–955, Jun. 2010.<br />

[5] U. Spiegl, R. Beisse, S. Hauck, A. Grillhösl, and V. Bühren, “Value of MRI imaging prior to a<br />

kyphoplasty for osteoporotic insufficiency fractures,” European Spine Journal, vol. 18, no. 9, pp.<br />

1287–1292, 2009.<br />

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Wirbelkörperfrakturen: Differentialdiagnosen<br />

Lektion 2: Prof. Dr. med. Klaus M. Peters<br />

Bei Patienten jenseits des 60. Lebensjahres, der Hauptgruppe der Osteoporose-Patienten, sind<br />

zahlreiche Differentialdiagnosen der Wirbelkörperfrakturen zu beachten. Neben einer durch ein<br />

adäquates Trauma ausgelösten traumatischen Wirbelkörperfraktur finden sich häufig pathologische<br />

Wirbelkörperfrakturen. <strong>Die</strong> häufigsten Ursachen stellen hierbei neben einer Osteoporose die<br />

Osteomalazie, das Plasmozytom sowie Knochenmetastasen dar. In die Differentialdiagnostik<br />

einzubeziehen ist auch die Entstehung einer Wirbelkörpernekrose nach vorausgegangenem Trauma.<br />

Aber auch entzündliche Veränderungen der Wirbelsäule, wie eine bakterielle Spondylitis oder<br />

Spondylodiszitis können zu Wirbelkörpersinterungen führen.<br />

Auch nach einem scheinbar adäquaten Trauma mit anschließender Wirbelkörperveränderung sollte<br />

stets ein osteologisches Basislabor sowie wegen des nicht seltenen Vitamin D-Mangels, auch eine 25-<br />

Hydroxy-Vitamin D 3-Bestimmung erfolgen. Ggf. ist auch frühzeitig ein MRT zu veranlassen.<br />

An acht Kasuistiken werden unterschiedliche Differentialdiagnosen von Wirbelkörperfrakturen bzw.<br />

Veränderungen mit den Kursteilnehmern gemeinsam erarbeitet.<br />

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Osteologische Fallbesprechungen<br />

Lektion 3: Prof. Dr. med. Klaus M. Peters<br />

In der nachfolgenden Lektion werden acht Kasuistiken mit osteologischen Erkrankungen jenseits der<br />

Osteoporose gemeinsam erarbeitet. Es handelt sich dabei sowohl um generalisierte als auch um<br />

lokalisierte osteologische Erkrankungen.<br />

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Therapie von Wirbelkörperfrakturen: Wann konservativ, wann operativ?<br />

Lektion 4: Prof. Dr. Klaus M. Peters<br />

Treten beim Osteoporose-Patienten Schmerzen in der Wirbelsäule auf, ist zunächst eine<br />

Schmerzdifferenzierung vorzunehmen. Handelt es sich um<br />

myofasziale Schmerzen<br />

ossäre Schmerzen<br />

kombinierte myofaszial-ossäre Schmerzen oder liegt eine<br />

aktivierte Spondylarthrose vor.<br />

Myofasziale Schmerzen bei Osteoporose entstehen aufgrund von Fehlstatik, Fehlhaltung und<br />

Fehldynamik. Sie zeichnen sich durch einen Hypertonus der betroffenen Muskulatur aus. Es lässt sich<br />

ein paravertebraler Druckschmerz auslösen. <strong>Die</strong> Wirbelkörper selbst weisen keine oder nur einen<br />

geringen Klopfschmerz auf.<br />

Ossäre Schmerzen bestehen bei Osteoporose aufgrund von Wirbelkörpersinterungen und<br />

Wirbelkörperfrakturen. Hier dominiert ein Klopf- und Druckschmerz der betroffenen Wirbelkörper.<br />

Bei myofaszialen Schmerzen sind Analgetika oft nur schlecht wirksam, hier sind neuraltherapeutische<br />

Verfahren zu bevorzugen sowie die begleitende Gabe von Muskelrelaxantien.<br />

Welche Evidenzen liegen in der Behandlung von akuten Frakturschmerzen vor?<br />

Für NSAR liegt ein Empfehlungsgrad B vor, für Parazetamol und Metamizol lediglich ein<br />

Empfehlungsgrad D. Opiate weisen wiederum einen Empfehlungsgrad B auf.<br />

NSAR<br />

NSAR bedürfen bei älteren Patienten einer strengen Indikationsstellung aufgrund ihrer erhöhten<br />

Organtoxizität. Sie sollten nicht zur dauerhaften Schmerztherapie eingesetzt werden.<br />

Typische Komplikationen bei NSAR:<br />

Oberer Gastrointestinaltrakt: Ulcus, Blutung, Perforationen (Evidenzgrad A)<br />

Kardiovaskuläre Risiken (Evidenzgrad A)<br />

Verschlechterung der Nierenfunktion (Evidenzgrad A).<br />

Bei der Gabe nicht selektiver NSAR bei Vorliegen von Risikofaktoren (z. B. Alter >65 Jahre) ist stets<br />

eine Magenschutztherapie erforderlich (Evidenzgrad B).<br />

Cave:<br />

Langzeiteinsatz von Protonenpumpenhemmern bei Osteoporose-Patienten! (Risikofaktor).<br />

Bei der Gabe von COX 2-Hemmern ist das erhöhte Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen zu beachten.<br />

Opiate<br />

Opiate weisen nur eine geringe Organtoxizität auf, können aber Nebenwirkungen wie Übelkeit,<br />

Benommenheit, Schwindel und Obstipationen erzeugen. Zur Wirksamkeit von Opiaten bei Patienten<br />

mit Osteoporose liegen bisher keine qualitativ hochwertigen Studien vor. Gesichert ist eine erhöhte<br />

Sturzrate von Osteoporose-Patienten unter Opiattherapie (Evidenzgrad A).<br />

Analgetische Wirkung weiterer Medikamente in der Osteoporosetherapie:<br />

Calcitonin weist eine analgetische Wirkung bei frischeren Frakturen auf (Evidenzgrad B), weist aber<br />

eine höhere Nebenwirkungsquote und auch höhere Kosten als Analgetika auf. Bei nasaler Applikation<br />

von Calcitonin ist zudem ein analgetischer Effekt bisher nicht belegt!<br />

Für Bisphosphonate ist eine schwache analgetische Wirkung bei hochdosierter i. v.-Applikation nach<br />

Wirbelkörperfrakturen belegt, nicht aber bei den üblicherweise in der Osteoporosetherapie<br />

verwendeten Dosen (Evidenzgrad B). Zudem tritt die analgetische Wirkung der Bisphosphonate erst 3<br />

bis 6 Monate nach Therapiebeginn auf. Im Langzeitverlauf ist allerdings ein geringeres Auftreten von<br />

Rückenschmerzen gesichert.<br />

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<strong>Die</strong> Schmerztherapie beim Osteoporose-Patienten sollte möglichst multimodal sein.<br />

Schmerzmedikamente sollten möglichst kurzfristig zur Anwendung kommen unter engmaschigen<br />

klinischen Kontrollen. Ein wichtiger Bestandteil ist die Versorgung mit einer wirbelsäulenaufrichtenden<br />

Orthese (Evidenzgrad D).<br />

Kyphoplastie und Vertebroplastie<br />

Beide Verfahren weisen eine klinisch relevante zusätzlich schmerzlindernde Wirkung bei frischen<br />

Wirbelköperfrakturen auf (Evidenzgrad C). Hinsichtlich Nutzrisiken und Nutzen gibt es bisher allerdings<br />

keine Langzeiterfahrungen. Indikationen für den Einsatz der Kyphoplastie und Vertebroplastie gemäß<br />

DVO-Leitlinie:<br />

Anwendung bei schmerzhaften Wirbelkörperfrakturen nur nach<br />

1. dokumentiertem konservativen Therapieversuch über 3 Wochen<br />

2. Berücksichtigung degenerativer Wirbelsäulenveränderungen als Beschwerdeursache<br />

3. dokumentierter interdisziplinärer gutachterlicher Einzelfall-Diskussion.<br />

Haben sich nach Wirbelkörperfrakturen chronische Schmerzen entwickelt, sollte ein multimodaler<br />

Therapieansatz durchgeführt werden. Neben der Pharmakotherapie sollten Physiotherapie und<br />

Ergotherapie (Evidenzgrad D), Indifferenzstrom-Therapie (Evidenzgrad B) wirbelsäulenaufrichtende<br />

Orthesen (Evidenzgrad B) sowie Akupunktur zum Einsatz kommen.<br />

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Konservative Behandlungsverfahren inklusive Orthetik<br />

Lektion 5: Prof. Dr. Klaus M. Peters<br />

Das Spektrum der physikalischen Schmerztherapie bei Osteoporose beinhaltet elektrische<br />

(Elektrotherapieverfahren), thermische (hydrothermische, Hochfrequenz-thermische, lichtthermische)<br />

und mechanisch dynamische (Massage, Krankengymnastik) Reize, die sowohl regional, lokal, als auch<br />

ganzheitlich appliziert werden können. Auch für die Wirksamkeit der physikalischen Therapie ist die<br />

Schmerzdifferenzierung entscheidend.<br />

Es gelten folgende funktionelle Behandlungsprinzipien:<br />

Initial sollte eine konsequente Achsentlastung zur Schmerzminimierung erfolgen, gefolgt von<br />

frühzeitig eingebauten kurzen Phasen der Achsenbelastung (z. B. auf dem Stehbrett).<br />

Je schwächer der Belastungsgrad, desto häufiger sind kurzfristige Belastungsphasen einzubauen.<br />

Ungewohnt starke Belastungen sind strikt zu vermeiden.<br />

Es sollte frühzeitig mit kleinamplitudigen Beckenbewegungen begonnen werden. <strong>Die</strong>s kann bereits im<br />

Liegen erfolgen.<br />

Sitzen ist stets eine Belastung und sollte allenfalls auf dem Pezziball erfolgen.<br />

Jegliche Bewegung der Brustwirbelsäule in Kyphose ist strikt verboten und sollte nur in Aufrichtung<br />

geübt werden. Sinnvoll ist ein kombiniertes Training. Des Weiteren sollte Kraftausdauer der regional<br />

wichtigsten Muskelgruppen mit aerobem Ganzkörperausdauertraining kombiniert werden. Je älter die<br />

Patienten sind, umso wichtiger ist die Ausdauerleistungsfähigkeit.<br />

Orthetik<br />

<strong>Die</strong> Anwendung von Rückenorthesen bei Osteoporose wurde in der Vergangenheit durch die Tatsache<br />

eingeschränkt, dass nur relativ starre Korsette und rigide Halteapparate zur Verfügung standen, die zu<br />

einer passiven Ruhigstellung des Oberkörpers führten und dadurch eine weitere Atrophie der ohnehin<br />

schon bei Osteoporose erheblich in Mitleidenschaft gezogenen Rückenmuskulatur begünstigten.<br />

Zusätzlich schränkten die steifen Drei-Punkte-Orthesen die Atmung ein und führten folgerichtig zu<br />

einer geringen Compliance auf Seiten der Patienten.<br />

<strong>Die</strong> heute gängigen Osteoporose-Orthesen beruhen auf dem Prinzip einer elastisch aufrichtenden<br />

Orthese.<br />

<strong>Die</strong> drei wichtigsten konfektionell auf dem Markt erhältlichen Osteoporose-Orthesen sind:<br />

Spinomed-Orthese<br />

Vibrostatik-Orthese<br />

Osteomed-Osteoporose-Orthese.<br />

<strong>Die</strong> Rückenorthese Spinomed besteht aus einer teils verformbaren Rückenpelotte, die an die Form der<br />

Wirbelsäule angepasst wird und aus einem Gurtsystem mit Klettverschlüssen, das ebenfalls auf die<br />

individuellen Rumpfmaße eingestellt werden kann. Er bewirkt durch Zuggurtung eine Stabilisierung im<br />

Bereich der Lendenwirbelsäule mit Entgegenwirken einer eventuellen Lordosierung. Im Bereich des<br />

Schultergürtels kommt es zu einer Rückführung der Schultern. Dadurch wird die Brustmuskulatur<br />

gedehnt und die Muskulatur der Rückenstrecker gekräftigt.<br />

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Wirbelkörperfrakturen: operative Therapie<br />

Lektion 6: Dr. Daniel Boluki<br />

• Bei der Operationsplanung muss unterschieden werden zwischen<br />

o Frischer stabiler Fraktur<br />

o Frischer instabiler Fraktur (traumatisch)<br />

o Posttraumatischer Deformität (veraltet, postoperativ)<br />

• Grundlage ist neben der Anamnese und Untersuchung (Schmerzen, Immobilisierung) die<br />

geeignete radiologische Abklärung. Hierzu zählen<br />

o MRT (Unterscheidung alt/frisch, Anzahl betroffener Wirbel, Hinterkantenbeteiligung)<br />

o CT (Beurteilung Hinterkante und Pedikel)<br />

o Röntgen (insbesondere WS-Ganzaufnahmen zur Beurteilung der Fehlstatik und OP-<br />

Planung bei Deformitäten)<br />

• Operative Therapie der Wahl bei stabilen Frakturen ist die minimal-invasive<br />

Wirbelkörperaugmentation mit PMMA-Zement, eingeführt als Vertebroplastie 1987 durch<br />

Galibert [1]. Im Laufe der Zeit Abwandlung mit zusätzlicher Verminderung des<br />

Kyphosewinkels (Kyphoplastie) [2], Verminderung der Aushärtetemperatur und Erhöhung der<br />

Zementviskosität.<br />

• Typische Risiken sind Zementextravasate mit Abfluss in den Spinalkanal und daraus folgenden<br />

neurologischen Ausfällen bis hin zum Querschnitt oder der Abfluss über ein lokales Gefäß in<br />

das venöse System mit Einschwemmung von Zement in die Lungenstrombahn<br />

(Zementembolie). Insgesamt handelt es sich jedoch im Vergleich zum offenen operativen<br />

Vorgehen um ein komplikationsarmes Verfahren.<br />

• <strong>Die</strong> alleinige WK-Augmentation kann instabile Frakturen nicht ausreichend sicher stabilisieren.<br />

Allenfalls bei Vorliegen einer geringen, biomechanisch irrelevanten, Hinterkantenbeteiligung<br />

kann isoliert vertebro-/kyphoplastiert werden. Bei nicht zu stark destruiertem Wirbelkörper<br />

bieten sich minimal-invasive Verfahren aber in Kombination mit einer instrumentierten<br />

Stabilisierung (Fixateur interne) an, um einen ventralen Eingriff bei Risikopatienten zu<br />

vermeiden.<br />

• Komplikationen des Fixateur interne liegen vor allem im schlechten Schrauben-Knochen-<br />

Interface bei Osteoporose. <strong>Die</strong> Ausrißfestigkeit ist gegenüber nicht-<strong>osteoporotische</strong>m Knochen<br />

deutlich geringer, was zu einem gehäuften Versagen der Instrumentation führt. Abhilfe erfolgt<br />

durch Verteilung der Kräfte auf mehr Schrauben (Instrumentation „2 drüber, 2 drunter“) und<br />

Verbesserung der Ausrißfestigkeit durch Zementaugmentation des Schraubenlagers. Zur<br />

Vermeidung von Anschlußfrakturen sollte auf eine ausreichende Relordosierung geachtet<br />

werden (balancierte Wirbelsäule), die Spondylodese sollte nicht im Apex einer Kyphose enden<br />

(mittlere BWS). Im Zweifel ist eine langstreckigere Instrumentation besser als eine zu kurze.<br />

• Posttraumatische Deformitäten führen zu einer zunehmenden Immobilisierung der Patienten<br />

aufgrund der nicht mehr balancierten Wirbelsäule. Es resultiert üblicherweise ein Überhang<br />

nach ventral (positive sagittale Imbalance) mit Überlastung der ventralen Säule (Zunahme des<br />

kyphotischen Knickes, Anschlußfrakturen), Risiko der neurologischen Schädigung<br />

(Spinalkanalstenose im Apex des kyphotischen Knicks), Schmerzen durch Überlastung der<br />

Rückenstrecker und erhöhter Sturzgefahr (Überhang nach vorne)<br />

• Ziel der operativen Therapie bei Deformität ist die Rebalancierung der Wirbelsäule. <strong>Die</strong>s<br />

erfordert eine individuelle Planung und üblicherweise ausgedehnte operative Eingriffe (dorsoventral,<br />

Wirbelkörperersatz, Subtraktionsosteotomien).<br />

• <strong>Die</strong> Rebalancierung ist aufwändig und komplikationsträchtig. Angegeben werden in der<br />

Literatur Komplikationsraten bis zu 70% und Revisionsraten bis zu 30%. Viele ältere Patienten<br />

scheuen daher den Eingriff bzw. kommen für derartige Verfahren nicht mehr in Frage.<br />

• Zur Vermeidung einer posttraumatischen bzw. postoperativen Deformität ist daher die<br />

„richtige Operation zum richtigen Zeitpunkt“ essentiell. Daher sollten auch minimal-invasive<br />

Verfahren in einem Wirbelsäulenchirurgischen Zentrum durchgeführt werden, um die Gefahr<br />

fälschlich indizierter Augmentationen zu vermindern. Auch kann das (gut gemeinte) Zuwarten<br />

bei primär instabilen Frakturen zu einem letztlich erhöhten operativen Aufwand und<br />

perioperativen Risiko führen.<br />

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Script– <strong>R1203</strong> DVO Spezialkurs – 10.11.2012 - Regensburg<br />

Literatur:<br />

[1] P. Galibert, H. Deramond, P. Rosat, and D. Le Gars, “Preliminary note on the treatment of<br />

vertebral angioma by percutaneous acrylic vertebroplasty,” Neurochirurgie, vol. 33, no. 2, pp.<br />

166–168, 1987.<br />

[2] S. M. Belkoff, J. M. Mathis, D. C. M. Fenton, R. M. B. Scribner, M. E. Reiley, and K. Talmadge, “An<br />

Ex Vivo Biomechanical Evaluation of an Inflatable Bone Tamp Used in the Treatment of<br />

Compression Fracture. [Miscellaneous Article],” Spine January 15, 2001, vol. 26, no. 2, pp. 151–<br />

156, 2001.<br />

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Vertebroplastie<br />

Lektion 7: Dr. Daniel Boluki<br />

• <strong>Die</strong> Augmentation von Wirbelkörpern mittels PMMA-Zement wurde erstmals von Galibert und<br />

Deramond 1987 beschrieben [1]. Ursprünglich für die Behandlung schmerzhafter/<br />

frakturgefährdeter Hämangiome entwickelt, erfolgte ab Mitte der 90er Jahre die Behandlung<br />

von Wirbelkörpermetastasen/Plasmozytomen und die Behandlung <strong>osteoporotische</strong>r Frakturen<br />

mit der Vertebroplastie.<br />

• Über eine trans- oder parapedikulär eingebrachte Nadel wird PMMA-Zement in den Wirbel<br />

injiziert (entweder über Spritzen oder einen handbetriebenen Pumpmechanismus). Der niedrig<br />

visköse Zement verteilt sich im Wirbelkörper und härtet aus. Eine Reposition der Fraktur kann<br />

nur durch die Lagerung (Durchhang, Traktion) erfolgen, die Fraktur wird ansonsten in situ<br />

fixiert.<br />

• <strong>Die</strong> Besserung frakturbedingter Schmerzen erscheint vergleichbar mit der Kyphoplastie.<br />

Signifikante Unterschiede zeigen sich bei der Rate der Zementextravasate und der<br />

Frakturreposition (Höhengewinn bzw. Verringerung des Kyphosewinkels).<br />

• Durch Einbeziehung der benachbarten Wirbel kann über dort einzementierte Kanülen eine<br />

verbesserte Frakturreposition erfolgen (Lordoplastie) [2]. Eine solche prophylaktische<br />

Zementierung der Nachbarwirbel kann bei Patienten mit einem hohen Risiko für Folgefrakturen<br />

(hochgradig osteoporotisch, Fraktur im thorakolumbalen Übergang, multiple Frakturen)<br />

sinnvoll erscheinen, sollte jedoch nicht routinemäßig erfolgen.<br />

• Vorteile der Vertebro- gegenüber der Kyphoplastie sind vor allem Schnelligkeit (Verzicht auf<br />

den Ballon-Zwischenschritt) und Kostenreduktion (nur wenig Verbrauchsmaterial).<br />

• Zur Vertebroplastie existiert eine Unmenge an Literatur (2.196 Treffer bei Pubmed am<br />

01.11.12), jedoch nur wenige kontrollierte randomisierte Studien, z.B. [3], [4]. <strong>Die</strong>se<br />

unterscheiden sich jedoch teilweise deutlich hinsichtlich der Einschlusskriterien insbesondere<br />

bzgl. Beschwerdedauer und Korrelation von klinischem und radiologischem Befund.<br />

• Zwei prospektiv randomisierte Placebo-kontrollierte Studien [5], [6] zeigen, im Gegensatz zu<br />

den meisten anderen Veröffentlichungen, keinen signifikanten Effekt der Vertebroplastie auf<br />

Schmerzen und Funkionseinschränkungen. Auf den Aussagen dieser Studien beruht die<br />

zurückhaltende Einschätzung der DVO-Leitlinie 2009 bzgl. der Zementaugmentation.<br />

• Für beide Studien konnte gezeigt werden, dass ihre Ergebnisse äußerst kritisch betrachtet<br />

werden müssen. So lag das Frakturalter bei bis zu einem Jahr, in der Studie von Kallmes fand<br />

keine routinemäßige MRT-Diagnostik statt. Das injizierte Zementvolumen war teilweise<br />

äußerst gering (Buchbinder), so dass man von einer unzureichenden Stabilisierung ausgehen<br />

muss [7–9].<br />

• Im klinischen Alltag hat sich folgendes Vorgehen herauskristallisiert:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Bei Verdacht auf <strong>osteoporotische</strong> Fraktur Durchlaufen des diagnostischen Algorithmus<br />

(s. Lektion 1) und Ausschluss von Differentialdiagnosen<br />

Bei geringem Leidensdruck und unkomplizierter Fraktur (Typ Genant 1) ist eine<br />

ambulante konservative Therapie mit radiologischer Verlaufskontrolle angezeigt.<br />

Bei hohem Leidensdruck (VAS, Einschränkung der Mobilisation) stationäre Aufnahme,<br />

in Absprache mit dem Patienten intensivierte analgetische Therapie oder Planung<br />

Zementaugmentation<br />

Bei höhergradiger Fraktur (ab Genant 2 oder Magerl A1.3/A3.1) oder Zunahme der<br />

Fraktur in der Kontrolle sowie passender Klinik Indikation zur Zementaugmentation,<br />

auch vor Ablauf einer evtl. 3-Wochen-Frist nach DVO-Leitlinie<br />

Diagnostik und Therapie der Osteoporose in jedem Fall notwendig<br />

(Anschlussfrakturrisiko!)<br />

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Script– <strong>R1203</strong> DVO Spezialkurs – 10.11.2012 - Regensburg<br />

Literatur:<br />

[1] P. Galibert, H. Deramond, P. Rosat, und D. Le Gars, „Preliminary note on the treatment of<br />

vertebral angioma by percutaneous acrylic vertebroplasty“, Neurochirurgie, Bd. 33, Nr. 2, S. 166–168,<br />

1987.<br />

[2] P. F. Heini und R. Orler, „Alternative methods to kyphoplasty: vertebroplasty — lordoplasty“,<br />

in Balloon Kyphoplasty, 2008, S. 129–141.<br />

[3] M. H. J. Voormolen, W. P. T. M. Mali, P. N. M. Lohle, H. Fransen, L. E. H. Lampmann, Y. van<br />

der Graaf, J. R. Juttmann, X. Jansssens, und H. J. J. Verhaar, „Percutaneous Vertebroplasty Compared<br />

with Optimal Pain Medication Treatment: Short-Term Clinical Outcome of Patients with Subacute or<br />

Chronic Painful Osteoporotic Vertebral Compression Fractures. The VERTOS Study“, AJNR Am J<br />

Neuroradiol, Bd. 28, Nr. 3, S. 555–560, Jan. 2007.<br />

[4] C. A. Klazen, P. N. Lohle, J. de Vries, F. H. Jansen, A. V. Tielbeek, M. C. Blonk, A. Venmans,<br />

W. J. J. van Rooij, M. C. Schoemaker, J. R. Juttmann, T. H. Lo, H. J. Verhaar, Y. van der Graaf, K. J.<br />

van Everdingen, A. F. Muller, O. E. Elgersma, D. R. Halkema, H. Fransen, X. Janssens, E. Buskens,<br />

und W. P. T. M. Mali, „Vertebroplasty versus conservative treatment in acute osteoporotic vertebral<br />

compression fractures (Vertos II): an open-label randomised trial“, The Lancet, Bd. 376, Nr. 9746, S.<br />

1085–1092, Sep. 2010.<br />

[5] R. Buchbinder, R. H. Osborne, P. R. Ebeling, J. D. Wark, P. Mitchell, C. Wriedt, S. Graves, M.<br />

P. Staples, und B. Murphy, „A Randomized Trial of Vertebroplasty for Painful Osteoporotic Vertebral<br />

Fractures“, N Engl J Med, Bd. 361, Nr. 6, S. 557–568, Aug. 2009.<br />

[6] D. F. Kallmes, B. A. Comstock, P. J. Heagerty, J. A. Turner, D. J. Wilson, T. H. Diamond, R.<br />

Edwards, L. A. Gray, L. Stout, S. Owen, W. Hollingworth, B. Ghdoke, D. J. Annesley-Williams, S. H.<br />

Ralston, und J. G. Jarvik, „A Randomized Trial of Vertebroplasty for Osteoporotic Spinal Fractures“, N<br />

Engl J Med, Bd. 361, Nr. 6, S. 569–579, Aug. 2009.<br />

[7] D. Boluki und J. Grifka, „Vertebro- und Kyphoplastie zur perkutanen Zemtentaugmentation<br />

<strong>osteoporotische</strong>r Wirbelkörperfrakturen“, Zeitschrift für Rheumatologie, Bd. 69, Nr. 5, S. 454–456,<br />

2010.<br />

[8] B. Boszczyk, „Volume matters: a review of procedural details of two randomised controlled<br />

vertebroplasty trials of 2009“, Eur Spine J, Bd. 19, Nr. 11, S. 1837–1840, Nov. 2010.<br />

[9] P. F. Heini, „Vertebroplastie: ein Update“, Der Orthopäde, Bd. 39, Nr. 7, S. 658–664, Juli<br />

2010.<br />

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Script– <strong>R1203</strong> DVO Spezialkurs – 10.11.2012 - Regensburg<br />

<strong>Die</strong> Ballonkyphoplastie bei <strong>osteoporotische</strong>n oder osteolytischen<br />

Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule<br />

Lektion 8: Dr. med. Achim Benditz<br />

Als Behandlungsmöglichkeiten für <strong>osteoporotische</strong> oder osteolytische Wirbelkörperkompressionsfrakturen<br />

gibt es zum einen konservative Therapien wie Bettruhe unter Analgesie oder<br />

Korsettanlage. Dem steht die operative Stabilisierung gegenüber. Bei der konservativen Therapie kam<br />

es häufig zu unzureichender Schmerzbesserung und wenn nur langsam. Operativ lagen die Nachteile<br />

bei der Invasivität und wenig Halt der Schrauben im <strong>osteoporotische</strong>n Knochen.<br />

Durch Entwicklung der Vertebroplastie konnten diese operative Nachteile vernachlässigt werden,<br />

jedoch kam es nicht zum Aufrichten des Wirbelkörpers und häufig zu Zementaustritten. Daher wurde<br />

die Ballonkyphoplastie entwickelt. Ziel war es, bei rascher Schmerzbesserung eine Reduktion und<br />

Stabilisierung der Fraktur zu erreichen. Dabei Wiederherstellung der Wirbelkörperhöhe und Reduktion<br />

der Wirbelsäulenverkrümmung.<br />

<strong>Die</strong> Indikation stellt sich seither bei frischen, schmerzhaften, <strong>osteoporotische</strong>n oder osteolytischen<br />

Kompressionsfrakturen an Brust- oder Lendenwirbelsäule ausgehend von primärer Osteoporose,<br />

sekundärer Osteoporose oder osteolytischen Metastasen.<br />

Absolute Kontraindikationen sind Schwangerschaft, Gerinnungsstörungen, Schmerzen ohne klinischen<br />

Bezug zum Wirbelbruch, technische Probleme bei z. B. vertebra plana, Frakturen bei solidem Tumor,<br />

Osteomyelitis des betroffenen Wirbels und Allergie gegen Kontrastmittel.<br />

Relative Kontraindikationen sind Frakturen der WS mit Hinterkantenbeteiligung, alte Frakturen (älter<br />

als 3 Monate) und Patienten unter 40 Jahren.<br />

Nach Identifikation des schmerzhaften Wirbels und dem Alter der Fraktur kann die Indikation gestellt<br />

werden.<br />

Zur Bildgebung eignet sich ein konventionelles Röntgen in 2 Ebenen (Höhenminderung), zur<br />

Bestimmung des Alters der Fraktur ein MRT in der STIR Sequenz als sensitivstes Verfahren.<br />

Komplikationen können Pedikel- oder Wirbelkörperperforationen, Extravasate, Zement-, Fett,<br />

Knochenmarkembolien oder Nerven-, Dura- und Gefäßläsionen sein.<br />

<strong>Die</strong> Nachbehandlung dauert durchschnittlich ein bis zwei Tage im Krankenhaus, danach Rückkehr ins<br />

tägliche Leben, begleitet von statischer und dynamischer Krankengymnastik. Fadenzug nach 10<br />

Tagen, kein Korsett notwendig. Wichtig ist der Beginn oder das Fortführen einer anti-<strong>osteoporotische</strong>n<br />

Behandlung nach der DVO Leitlinie.<br />

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Radiofrequenzkyphoplastie<br />

Lektion 9: Dr. Daniel Boluki<br />

• <strong>Die</strong> minimal-invasiven Augmentationsverfahren bei <strong>osteoporotische</strong>n Wirbelkörperfrakturen<br />

haben sich in den letzten 10 Jahren zunehmend durchgesetzt<br />

• <strong>Die</strong> Wirksamkeit dieser Verfahren wurde zwischenzeitlich erwiesen, u.a. in [1].<br />

Widersprüchliche Studien [2], [3] wurden – zu Recht – vielfach kritisiert. <strong>Die</strong> Studien zeigen<br />

auch eine Überlegenheit der Kyphoplastie gegenüber der Vertebroplastie [4].<br />

• Dennoch haben die gängigen Verfahren Vertebroplastie und Ballon-Kyphoplastie gemeinsame<br />

und individuelle Nachteile. Für die Vertebroplastie sind dies:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Mangelhafte Kontrolle über den Zementfluss bei niedrig viskösem Zement<br />

Daraus resultierend eine erhöhte Extravasatrate<br />

Fehlende mechanische Aufrichtung des kyphotisch deformierten Wirbelkörpers<br />

Für die Ballon-Kyphoplastie sind dies:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Biportaler Zugang, daraus erhöhtes Risiko für Instrumentenfehlplatzierung, erhöhte<br />

Strahlendosis für Patient und Operateur, erhöhter Zeitaufwand<br />

<strong>Die</strong> Ballonphase führt ebenfalls zu erhöhtem Zeit- und Strahlenaufwand<br />

Der Ballon zerstört die vorhandene Restspongiosa<br />

Unter Umständen kommt es zu einem Rekollaps des Wirbels nach Ballonentfernung<br />

(v.a. an der mittleren BWS)<br />

• <strong>Die</strong> Radiofrequenzkyphoplastie (RF-KP) adressiert einige dieser Nachteile:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Der Zement wird mittels Radiofrequenz vor dem Einbringen in den Körper erhitzt. <strong>Die</strong><br />

exotherme Reaktion findet zu großen Teilen bereits extrakorporal statt.<br />

Der nicht aktivierte Zement ist ca. 30 Minuten verarbeitbar. <strong>Die</strong>s ermöglicht eine<br />

Multilevel-Therapie mit einem Zementpaket (zeit- und kostengünstig)<br />

Durch die Aktivierung ist der Zement bereits beim Eintritt in den WK hochviskös. <strong>Die</strong>s<br />

führt zu einem kontrollierten Zementabfluss, der durch zuvor angelegte intraossäre<br />

Kanäle gesteuert werden kann.<br />

Der hochvisköse Zement hat eine geringe Extravasatrate (ungefähr vergleichbar mit<br />

der Kyphoplastie)<br />

Ausgetretener Zement soll ein geringeres Risiko der Verschleppung in Blutgefäßen<br />

haben.<br />

Der Zugang erfolgt in den meisten Fällen monoportal, d.h. verminderte Strahlendosis<br />

und geringere Zeit. Aufgrund der langen möglichen Verarbeitungszeit ist dennoch ein<br />

kurzfristiger Wechsel auf ein biportales Vorgehen möglich.<br />

Der hochvisköse Zement wird mittels Pumpe eingebracht. <strong>Die</strong>se verfügt über eine 3 m<br />

lange Kabelfernbedienung. Dadurch verminderte Strahlenbelastung des Operateurs.<br />

<strong>Die</strong> Aufrichtung erfolgt direkt durch den Zement, dadurch besteht kein Risiko eines<br />

Rekollapses<br />

<strong>Die</strong> Restspongiosa im Wirbelkörper bleibt erhalten, dadurch wird eine bessere<br />

Verzahnung von Zement und Spongiosa erreicht, eine inerte Zementplombe wird<br />

vermieden<br />

Literatur:<br />

[1] S. Boonen, J. Van Meirhaeghe, L. Bastian, S. R. Cummings, J. Ranstam, J. B. Tillman, R. Eastell,<br />

K. Talmadge, and D. Wardlaw, “Balloon kyphoplasty for the treatment of acute vertebral<br />

compression fractures: 2-year results from a randomized trial,” Journal of Bone and Mineral<br />

Research, vol. 26, no. 7, pp. 1627–1637, Jul. 2011.<br />

[2] R. Buchbinder, R. H. Osborne, P. R. Ebeling, J. D. Wark, P. Mitchell, C. Wriedt, S. Graves, M. P.<br />

Staples, and B. Murphy, “A Randomized Trial of Vertebroplasty for Painful Osteoporotic Vertebral<br />

Fractures,” N Engl J Med, vol. 361, no. 6, pp. 557–568, Aug. 2009.<br />

[3] D. F. Kallmes, B. A. Comstock, P. J. Heagerty, J. A. Turner, D. J. Wilson, T. H. Diamond, R.<br />

Edwards, L. A. Gray, L. Stout, S. Owen, W. Hollingworth, B. Ghdoke, D. J. Annesley-Williams, S.<br />

H. Ralston, and J. G. Jarvik, “A Randomized Trial of Vertebroplasty for Osteoporotic Spinal<br />

Fractures,” N Engl J Med, vol. 361, no. 6, pp. 569–579, Aug. 2009.<br />

[4] A. A. Edidin, K. L. Ong, E. Lau, and S. M. Kurtz, “Mortality risk for operated and nonoperated<br />

vertebral fracture patients in the medicare population,” Journal of Bone and Mineral Research, vol.<br />

26, no. 7, pp. 1617–1626, 2011.<br />

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Script– <strong>R1203</strong> DVO Spezialkurs – 10.11.2012 - Regensburg<br />

Bildgebung bei Knochenmarködemen<br />

Lektion 10: Dr. med. Tobias Geith<br />

Das Gesamtgewicht des Knochenmarks beim Erwachsenen beträgt ca. 2,5 – 3 kg. Man kann zwei<br />

Arten von Knochenmark unterscheiden: Das rote blutbildende Knochenmark besteht zu etwa je 40%<br />

aus Fett und Wasser, sowie aus ca. 20% Proteinen. Das gelbe Fettmark besteht zu etwa 80% aus<br />

Fett, zu 15% aus Wasser und zu etwa 5 % aus Proteinen. Vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter<br />

erfolgt eine Umverteilung mit einer Zunahme des gelben Fettmarks und einer Abnahme des roten<br />

blutbildenden Knochenmarks, die einem charakteristischen Verteilungsmuster folgt. Neben dieser<br />

altersabhängigen Veränderung der Verteilung kommt es bei unterschiedlichen physiologischen und<br />

pathologischen Erscheinungen zu teilweise typischen, teilweise unspezifischen Veränderungen der<br />

Verteilung des Fettmarks und des roten Knochenmarks.<br />

Knochenmarködeme werden in der Magnetresonanztomographie (MRT) häufig bei traumatischen,<br />

degenerativen und entzündlichen Erkrankungen sowie bei Ischämien und Neoplasien vorgefunden. Da<br />

sie eine relativ unspezifische Veränderung darstellen, spricht man besser vom Knochenmarködem-<br />

Muster („bone marrow edema pattern“), das sich in STIR- oder PDW (fs)-Sequenzen hyperintens, in<br />

T1w-Sequenzen als hypointens und in T2w-Sequenzen als hyperintens darstellt.<br />

Eine typische Erkrankung mit Knochenmarködem-Muster als alleinigem bildgebenden Korrelat ist die<br />

transiente Osteoporose, für die sich verschiedene Begriffe etabliert haben, darunter auch „Transientes<br />

Knochenmarködem-Syndrom“. Nach einem plötzlichen Symptombeginn mit Gelenkschmerzen v.a. bei<br />

Männern im 3. – 6. Lebensjahrzent zeigen sich die charakteristischen Signalveränderungen. Nach etwa<br />

4 – 9 Monaten konservativer Behandlung verschwinden die Symptome und der Bildbefund normalisiert<br />

sich. Lange Zeit wurde die transiente Osteoporose für eine Frühform der avaskulären Nekrose<br />

gehalten, jedoch sprechen die Ergebnisse neuerer Untersuchungen dafür, dass die transiente<br />

Osteoporose wahrscheinlich eine eigene Entität darstellt.<br />

<strong>Die</strong> avaskuläre Nekrose oder aseptische Osteonekrose tritt häufig im Femurkopf auf und zeichnet sich<br />

durch einen Progress, oft auch unter Therapie aus. Subchondrale Mikrofrakturen verursachen dabei<br />

eine progrediente Arthropathie mit Gelenkflächeneinbruch. Im höheren Erwachsenenalter spielen<br />

mehrere Risikofaktoren (darunter v.a. Cortikosteriodeinnahme, Rauchen, aber auch hämatopoetische<br />

Erkrankungen) eine Rolle. <strong>Die</strong> Diagnose lässt sich bei typischer Klinik bereits im Frühstadium durch die<br />

MRT stellen (Stadium 1: Röntgen unauffällig, bandförmiges Signal in der MRT), in späteren Stadien<br />

lässt sich der dann eintretende Gelenkflächeneinbruch auch im CT bzw. im Röntgen nachweisen.<br />

Wichtig bei der Differenzierung von avaskulärer Nekrose und transienter Osteoporose ist, dass sich ein<br />

Knochenmarködem bei der avaskulären Nekrose nie ohne bereits vorliegende bandförmige<br />

Signalveränderungen nachweisen lässt; bei der transienten Osteoporose hingegen liegt das „Ödem-<br />

Signal“ ohne diese bandförmigen Signalveränderungen vor.<br />

Eine weitere Situation für ein Knochenmarködem-Signal ist das Vorliegen einer akuten<br />

Wirbelkörperfraktur. Obwohl recht zuverlässige morphologische Kriterien zur Unterscheidung beider<br />

Entitäten vorliegen, kommt es v.a. bei sehr frischen Frakturen zu unklaren Situationen, in denen auch<br />

bei <strong>osteoporotische</strong>n Frakturen Veränderungen vorliegen, die eher zu metastasenbedingten Frakturen<br />

passen. Zur Steigerung der Spezifität wurden verschiedene MRT-Techniken untersucht, die zusätzlich<br />

zu den morphologischen Standard-Sequenzen eingesetzt werden können. <strong>Die</strong> Diffusions-Gewichtung<br />

nutzt die Brown’sche Molekularbewegung aus, um Bezirke mit dicht gepackten Zellverbänden (wie in<br />

Tumor/Metastasen) von weniger dichten Zellverbänden (wie im Ödem und nicht maligne verändertem<br />

Knochenmark bei <strong>osteoporotische</strong>n Frakturen) zu unterscheiden. Beim Chemical-Shift-Imaging werden<br />

die unterschiedlichen Präzessionsfrequenzen von an Fett und Wasser gebundenen Protonen<br />

ausgenutzt, um die Zusammensetzung des Knochenmarks bei Tumorinfiltration und normalem<br />

Fettmark darzustellen. Osteoporotische Frakturen enthalten normales Fettmark, in malignen Frakturen<br />

ist dieses durch Tumorzellen ersetzt. Eine weitere Technik ist die dynamisch-kontrastmittelverstärkte<br />

MRT mit anschließendem tracer-kinetic modeling, bei der in hoher zeitlicher Auflösung mit schnellen<br />

T1w Sequenzen die Kontrastmittelverteilung gemessen wird und anschließend mit Hilfe<br />

modellbasierter Analysen Fluss- und Volumenparameter einzelner Gewebekompartimente abgeleitet<br />

werden, die sich ebenfalls zur Differenzierung beider Entitäten auswerten lassen.<br />

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Knochenmarködeme - Therapie<br />

Lektion 11: Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Beckmann<br />

Hintergrund:<br />

•Erstbeschreiber: A.J. Wilson, Radiology, 1988<br />

•Ätiologie: traumatisch & atraumatisch<br />

•Pathophysiologie: erhöhter intra-/ extrazellulärer Flüssigkeitsgehalt & Druck<br />

•Diagnosestellung mittels MRT<br />

•Keine Korrelation zwischen MRT-Befund und Klinik<br />

Klassifikation atraumatisches KMÖ<br />

ischämisch: - Osteonekrose (ON)<br />

- Osteochondrosis dissecans (OD)<br />

- Knochenmarködemsyndrom (KMÖS)<br />

- complex regional pain Syndrom (CRPS)<br />

reaktiv: - Arthritis (entzündlich, infektiös), Arthrose<br />

- Tumor<br />

- postoperativ<br />

Klassifikation traumatisches KMÖ<br />

mechanisch: - Knochenmarkkontusion (Bone bruise)<br />

- Mikrofraktur<br />

- Stress-KMÖ<br />

- Stressfrakturen<br />

- postoperativ<br />

Bildgebende Diagnostik:<br />

• Röntgen: - zu Beginn meist unauffällig<br />

- später periartikuläre Demineralisation<br />

• Szintigraphie:- Mehranreicherung in den ersten Tagen<br />

• CT:<br />

- keine Aussage (außer Frakturausschluß)<br />

• MRT: - Goldstandard<br />

atraumatisches KMÖ als Ausschlussdiagnose, cave: Osteonekrose!<br />

Sonderform: regional wandernde „Osteoporose“<br />

Charakterisierung Osteonekrose (ON):<br />

• Lokalisation: Epiphyse oder Apophyse, selten Metaphyse<br />

• Ursache: primäre oder sekundäre Durchblutungsstörung<br />

• Pathophysiologie: Untergang von spongiösem Knochen<br />

• Stadienhafter Verlauf & Klinik<br />

• Namensterminologie oft nach Erstbeschreiber (M. Perthes, Kienböck, Ahlbäck, Panner etc.)<br />

Der natürliche Verlauf der klinischen Symptome mit Rückgang der Schmerzen und des KMÖS variiert<br />

zwischen 6 und 18 Monaten. Der Verlauf einer ON hingegen ist i.d.R. rasch progredient mit der<br />

Entwicklung schwerer sekundärer Arthrosen. <strong>Die</strong> genaue Unterscheidung zwischen beiden<br />

Erkrankungen ist oft erschwert und daher die korrekte Diagnosestellung oft protrahiert.<br />

Datenlage zur Therapie ist dünn mit geringer Evidenz!<br />

Generelle Therapieoptionen:<br />

• Entlastung<br />

• Magnetfeld<br />

• Stoßwelle<br />

• Hyperbare Oxygenierung<br />

• Infusionen (Iloprost, Bisphosphonate)<br />

• Anbohrung<br />

• Umstellung<br />

• Endoprothetik<br />

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Übersicht kons. Therapie der HKN<br />

Therapie Erfolgsrate Studienlage<br />

Entlastung 25-30% Ia (Metaanalyse), gut<br />

Magnetfeld 60-85% II, III; ausreichend<br />

Stoßwelle 65-90% Ib, II; befriedigend<br />

Oxygen 80% (Stad. I) II, mangelhaft<br />

Iloprost<br />

90% (Stad. I)<br />

60% (Stad. II)<br />

Ib, befriedigend<br />

Bisphosphonat 80-90% Ib, II; befriedigend<br />

Iloprost<br />

intravenös 20(-40)µg über 6-8 Std. für 3-5 Tage, stationär unter kardiopulmonalem Monitoring, teuer,<br />

off-label, häufig Nebenwirkungen (Blutdruck, Kopfweh, Übelkeit, rush, AP-Symptomatik..)<br />

Ibandronat<br />

intravenös 4(-6)mg 1x/ Monat für 3-4 Monate (auch 2-4mg alle 3 Monate beschrieben), ambulant,<br />

teuer, off-label, selten Nebenwirkungen (grippeähnlich), cave: Kiefernekrosen (Zahnstatus!), Ca-<br />

Spiegel und Nephrologie<br />

Anbohrung (core decompression) mit rascher Beschwerdelinderung, gute Erfolgsaussicht insbesondere<br />

auch bei ON, aber operativer Eingriff<br />

Eigene Erfahrung mit bestem Erfolg der Kombination aus Anbohrung und Iloprost bei KMÖ und in<br />

Frühstadien der ON.<br />

Symptomatische Therapie und Teilbelastung bei selbstlimitierender Erkrankung des KMÖS ist<br />

naheliegend und sollte immer erster therapeutischer Ansatz sein!<br />

Bei reaktivem KMÖ muss die Ursachenforschung und Behandlung der Ursache im Vordergrund stehen,<br />

beim mechanischen KMÖ die Schonung.<br />

Zusammenfassung<br />

• Knochenmarködeme mit unterschiedlicher Ätiologie (ischämisch, mechanisch, reaktiv)<br />

• Therapie KMÖ abhängig von Ätiologie (symptomatisch, Anbohrung, Infusion)<br />

• Infusionen trotz off-label Therapie zu erwägen<br />

• ON erkennen, nicht als KMÖS fehldeuten<br />

• Kons. Therapie der ON mit unzureich. Studienlage<br />

• Operat. Therapie: Frühphase Anbohrung, Spätphase Gelenkersatz (Standardprothese)<br />

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Frakturheilung und Endoprothesenintegration unter Bisphosphonaten<br />

Lektion 12: Dr. Benjamin S. Craiovan<br />

1. Frakturheilung und BiP<br />

Angriffsort der Bisphosphonate<br />

Der Knochen setzt sich v. a. aus einem kristallinen Salz und einer Matrix zusammen. <strong>Die</strong><br />

Bestandteile des im Knochen enthaltenen Kristallsalzes sind Kalzium und Phosphat. An diesen<br />

Kristallsalzen auf der Knochenoberfläche greifen die Osteoklasten, an.<br />

Genau an dieser Stelle postieren sich auch die Bisphosphonate. Sind die Salzkristalle der<br />

Knochensubstanz durch die Bisphosphonate besetzt, können sich die für den Knochenabbau<br />

verantwortlichen Osteoklasten hier nicht mehr anlagern und es kommt zur Hemmung des<br />

Knochenabbaus.<br />

Frakturheilung<br />

Eine Fraktur führt zunächst zu einem Verlust an Knochenintegrität und –kontinuität sowie zur Ruptur<br />

von Blutgefäßen.<br />

Im Verlauf zeigt sich eine temporäre Erweiterung des Frakturspalts durch den osteoklastären Abbau<br />

der Frakturenden. Es folgt das langsame Verschwinden der Frakturlinie durch Mineralisation des<br />

Knorpelgewebes bis zur Bildung eines mineralisierten Knochens, der schließlich annährend die<br />

Originalform wiedererlangt.<br />

Im Falle einer rigiden Fixation der Fragmente durch eine interne Osteosynthese<br />

(Kompressionsplatte) ist keine Überbrückung des Frakturspalts mit Kallusbildung notwendig. <strong>Die</strong><br />

Knochenheilung verläuft durch direkte Vereinigung von einem Fragment zum anderen, gewöhnlich<br />

durch lamellären Knochen. Im zweiten Schritt findet an der Frakturstelle das Havers-Remodeling, wie<br />

bei den nicht starr fixierten Frakturen, statt.<br />

Kallusmorphologie<br />

<strong>Die</strong> mechanische Belastbarkeit hängt von drei Faktoren ab<br />

a) Kallusvolumen,<br />

b) Knochenmineraldichte (BMD, bone mineral density), diese kann sich unter der Therapie mit<br />

Bisphosphonaten messbar verändern und<br />

c) Knochenqualität (Kristallgrösse, -form und –abstand, Lebenszeit der Osteozyten (Apoptose) und<br />

Knochenumsatz (turnover)<br />

BiP-Langzeittherapie und Frakturheilung<br />

Bei der Langzeittherapie von Bisphosphonaten kommt es zu einer Hemmung des Knochenumsatzes<br />

(turnover) – wie bei der Osteopetrosis – somit nimmt zwar die Knochenmasse zu, der Knochen wird<br />

jedoch steif und starr und bricht leichter.<br />

Das reduzierte Remodeling führt zu einer verminderten Knochenelastizität und zu einem erhöhten<br />

Frakturrisiko.<br />

Hohe Dosierung von Bisphosphonaten führt über einen kurzen Behandlungszeitraum zu einer<br />

verminderten mechanischen Belastbarkeit „ultimate stress“ des Frakturkallus.<br />

Normale Dosierung der Bisphosphonate bewirkt eine verlangsamte Knochenresorption und einen<br />

ausgeglichenen Knochenturnover (bessere Knochenqualitat), sodass die Knochenmasse zunimmt und<br />

die Frakturinzidenz (z. B. bei Osteoporose) gesenkt werden kann.<br />

<strong>Die</strong> Verbesserung der mechanischen Belastbarkeit des Kallus resultiert v. a. aus der Zunahme des<br />

Kallusvolumens, besonders des äußeren Durchmessers.<br />

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Für die Frakturheilung besteht kein Grund, die Behandlung mit Bisphosphonaten zu beenden oder zu<br />

vermeiden, zumindest nicht bei der Dosierung, welche langfristig prophylaktisch in der<br />

Osteoporosetherapie angewendet werden.<br />

Eine neu aufgetretene Fraktur sollte die Initiierung der medikamentösen Therapie mit<br />

Bisphosphonaten nicht ausschließen, da Bisphosphonate die Konsolidierung der Fraktur nicht<br />

behindern.<br />

Bisphosphonate verzögern die Frakturheilung, reduzieren die -stabilität jedoch nicht.<br />

Bei der intravenösen BiP-Applikationsform sind zwei bis vier Wochen Abstand zum frischen<br />

Frakturereignis einzuhalten, um die Kumulation des BiP im Kallus zu vermeiden.<br />

2. Endoprothesenintegration und BiP<br />

<strong>Die</strong> zur Behandlung der Osteoporose eingesetzten Bisphosphonate könnten die Überlebenszeit von<br />

Endoprothesen verlängern. In einer Kohortenstudie mit ca. 42.000 Patienten war die Verordnung<br />

der Medikamente mit einer Halbierung der Revisionsoperationen verbunden.<br />

Eingriffsmöglichkeiten ergeben sich mit dem Endziel einer Verbesserung der Prothesenstandzeit<br />

im Langzeitverlauf und erscheinen jetzt schon v. a. in Problemfällen der Endoprothetik, wie<br />

beispielsweise Wechseloperationen mit schlechtem Knochenlager, gerechtfertigt zu sein.<br />

Der Einsatz von Bisphosphonaten in der Endoprothetik ist das jüngste Anwendungsfeld dieser<br />

Substanzgruppe.<br />

In hochdosierter Applikation sind Bisphosponate in der Lage, eine quantitative Verbesserung und<br />

eine zeitliche Verkürzung der Osseointegration metallischer Implantate zu etablieren. Bisphosphonate<br />

könnten die so genannte aseptische Lockerung der Prothesen vermutlich verhindern.<br />

Bisphosphonate unterdrücken die durch Makrophagen vermittelte Fremdkörperreaktion im<br />

Rahmen der Freisetzung von Abriebpartikeln der Prothese und reduzieren oder verhindern die<br />

Entwicklung periprothetischer Osteolysen infolge des „stress shieldings“.<br />

Der endgültige Nutzen einer begleitenden Bisphosphonat-Therapie ist in weiteren klinischen Studien<br />

zu untersuchen und zu beweisen.<br />

In hoher Dosierung müssen in diesem Zusammenhang die Vorteile der Bisphosphonate gegenüber<br />

deren potentielle Nebenwirkungen (Kiefernekrose, atypische Knochenbrüche, Magen-Darm-Probleme)<br />

abgewogen werden.<br />

Literatur:<br />

[1] S. Khosla, J. P. Bilezikian, D. W. Dempster, E. M. Lewiecki, P. D. Miller, R. M. Neer, R. R.<br />

Recker, E. Shane, D. Shoback, und J. T. Potts, „Benefits and risks of bisphosphonate therapy for<br />

osteoporosis“, J. Clin. Endocrinol. Metab., Bd. 97, Nr. 7, S. 2272–2282, Juli 2012.<br />

[2] D. Prieto-Alhambra, M. K. Javaid, A. Judge, D. Murray, A. Carr, C. Cooper, und N. K. Arden,<br />

„Association between bisphosphonate use and implant survival after primary total arthroplasty of the<br />

knee or hip: population based retrospective cohort study“, BMJ, Bd. 343, S. d7222, 2011.<br />

[3] C. Seebach, A. Kurth, und I. Marzi, „[The influence of bisphosphonates on fracture healing]“,<br />

Orthopade, Bd. 36, Nr. 2, S. 136–140, Feb. 2007.<br />

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