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Josef Bordat (Berlin) - Philosophia online

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anderen kann man sich vorstellen, dass Technikentwicklung quasi automatisch vonstatten<br />

geht, unabhängig vom Menschen. Dieses Nichtsteuerbarkeitspostulat wird von einer<br />

technikkritischen Richtung vertreten.[19] Und dann als dritte Variante die Vorstellung, dass<br />

alle Technik vom Menschen ausgeht, also nicht vom einem Einzelnen Schöpfer (dem<br />

Ingenieur) und sich auch nicht einfach so entwickelt. Die Gesellschaft verlangt nach<br />

technischen Lösungen und Menschen aus dieser Gesellschaft befriedigen diese Bedürfnisse<br />

zum Wohle aller. Man könnte dies Fortschrittsoptimismus nennen. Die möglichen<br />

Katastrophen, die Technik mit sich bringt, werden insoweit ausgeblendet, als sie nicht<br />

Hemmnisse darstellen sollten, die schleichenden Übel (etwa Umweltverschmutzung) sind<br />

eher Aufforderung zu mehr (und im Sinne des Fortschrittsgedankens: besserer) Technik als zu<br />

Reduktion von Technik.<br />

Zum zweiten Aspekt der Analogie: In Leibnizens Theodizee muss sich Gott für die von ihm<br />

geschaffene Welt angesichts der Übel vor der menschlichen Vernunft verantworten. Dieses<br />

Verständnis von Verantwortung übertragen auf die Technodizee führt zu der Formel, dass sich<br />

der Mensch vor dem Menschen für die Schaffung und den Gebrauch von Technik<br />

verantworten muss. Eingedenk der Tatsache, dass Technik weder die einsame Schöpfung<br />

eines Ingenieurs und auch nicht ein sich verselbstständigender Prozess ist, sondern<br />

gesellschaftlich generiert wird, geht es in der Technodizee also mehr um die<br />

Mitverantwortung aller Akteure, also auch der Konsumenten, die bestimmte Technik wollen,<br />

als um die Generalverantwortung eines einzelnen Ingenieurs. Das macht die Sache schwierig,<br />

weil Abgrenzungen kaum vorgenommen werden können. Wer trägt die Verantwortung, wenn<br />

ein Flugzeug abstürzt? Der Konstrukteur, der Pilot, der Mehrheitsaktionär, der immer<br />

stärkeren Druck ausübt auf die Fluggesellschaft, Kosten zu reduzieren oder gar der Fluggast<br />

selbst, der immer billiger und schneller ans Ziel kommen will?<br />

In diesem Zusammenhang sei an die Rezeption des Erdbebens von Lissabon durch Rousseau<br />

erinnert, der bereits die Meinung vertrat, die Katastrophe bzw. deren Folgen seien vom<br />

Menschen zu vertreten. Er schreibt im Brief der Vorsehung: „Gestehn Sie mir, daß nicht die<br />

Natur zwanzigtausend Häuser von sechs bis sieben Stockwerken zusammengebaut hatte, und<br />

dass, wenn die Einwohner dieser großen Stadt gleichmäßiger zerstreut und leichter beherbergt<br />

gewesen wären, so würde die Verheerung weit geringer, und vielleicht gar nicht geschehen<br />

sein.“[20].<br />

Ich möchte noch den dritten Aspekt nennen, die Frage nach „gut“ und „böse“. In der<br />

Theodizee bei Leibniz ist das klar. Es herrscht das Prinzip des Besten, das Gott veranlasst, ein<br />

Maximum an Ordnung in die Realität zu setzen, was ein Maximum an Harmonie und

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