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SALON<br />
Essay<br />
Gefährlich ist nicht<br />
der Fortschritt,<br />
sondern die Richtung.<br />
Freiheit wird als<br />
Macht definiert<br />
Schau. Seine Botschaft ist die aggressive Affirmation<br />
<strong>des</strong>sen, was da auf uns zukommt, und was nach seiner<br />
Meinung niemand mehr aufhalten kann. Das Projekt<br />
der Singularität meint die Abschaffung der Menschheit,<br />
so wie wir sie kennen, das Ende <strong>des</strong> Menschen als<br />
Gliederbündel aus Fleisch und Haut, Geist und Seele.<br />
Die Idee ist alles andere als neu. Julien Offray de<br />
La Mettries „L’homme machine“ sollte im 18. Jahrhundert<br />
das antimetaphysische Programm der Aufklärung<br />
vollenden. Raymond Kurzweil mit seinen wahlweise<br />
als absurd oder gefährlich empfundenen Ambitionen<br />
ist vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung, wenn er<br />
auf die Frage, ob es Gott gebe, freundlich antwortet:<br />
„Noch nicht!“<br />
Galt vor der Aufklärung und dem säkularen Humanismus<br />
der Mensch allgemein als Ebenbild Gottes,<br />
so sollte er nun in sich selbst begründet sein. Während<br />
den gemäßigten Aufklärern Gott ein Geschöpf<br />
der Fantasie <strong>des</strong> Menschen, also eine Projektion ist,<br />
kehrten die mechanischen Materialisten das alte Verhältnis<br />
von Gott und Mensch nicht einfach nur um.<br />
Sie ersetzten es vielmehr durch das Verhältnis von<br />
Mensch und Maschine: Nur der Mensch als Schöpfer<br />
der Maschine könne sich in seinem Geschöpf selbst erkennen.<br />
Seit Thomas Hobbes gilt bis hin zu den modernen<br />
Kybernetikern: „<strong>Der</strong> Mensch versteht nur das,<br />
was er selbst gemacht hat.“ Dieses Paradigma <strong>des</strong> Maschinenmenschen<br />
gilt für Naturwissenschaft und kulturelle<br />
Moderne gleichermaßen.<br />
GOOGLE UND KURZWEIL machen genau das: Sie bauen<br />
das menschliche Gehirn tatsächlich nach, damit sie<br />
es begreifen können. Das „Google Brain“ präsentiert<br />
sich in den firmeneigenen Laboren als künstliches Gehirn<br />
mit einer schnell wachsenden Zahl simulierter<br />
Synapsen. Es lernt bereits, selbstständig Objekte zu<br />
unterscheiden.<br />
Am Ende dieses Weges leuchtet das Ideal der Autopoiesis,<br />
die vollendete Emanzipation von Gott durch<br />
die Selbsterschaffung <strong>des</strong> Menschen als Maschine. Ein<br />
Ideal, das Kurzweil zwar nicht für erreichbar hält, dem<br />
man sich aber in einer „exponentiellen Explosion“ der<br />
technologischen Entwicklung unendlich nähern kann.<br />
Nur der Marquis de Sade, auch er ein Teil der französischen<br />
Aufklärung, war unerschrockener. Wenn schon<br />
die göttliche Schöpfung aus dem Nichts dem Menschen<br />
verwehrt sei, so bleibe als <strong>letzte</strong> Möglichkeit menschlicher<br />
Selbstbehauptung immerhin die creatio ad nihilo,<br />
die Schöpfung hin zum Nichts. De Sade wünschte<br />
sich, „die Natur selbst müsste man beleidigen können“,<br />
und forderte die Erfindung einer „Weltvernichtungsmaschine“.<br />
Die „virtuelle Welt“, an die wir unseren<br />
Körper verlieren sollen, ist nach der Erfindung<br />
der Neutronenbombe der nächste und vielleicht doch<br />
etwas smartere Anlauf zu einer solchen de Sade’schen<br />
Maschine.<br />
<strong>Der</strong> Transhumanismus ist also letztlich keine Idee,<br />
sondern selbst eine Maschine. Er braucht gar nicht das<br />
Engagement eines Kreativen wie Ray Kurzweil. Er bedarf<br />
keines Propheten, denn er ist seinem Wesen gemäß<br />
eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: So und<br />
nicht anders muss es kommen. Wenn man nämlich annimmt,<br />
dass der Mensch eigentlich nur eine Maschine<br />
ist, dann ist es folgerichtig, auch die Entwicklung hin<br />
zu der Menschmaschine als eine naturgesetzliche Evolution,<br />
als einen Automatismus anzusehen.<br />
GEFÄHRLICH IST NICHT der Fortschritt, gefährlich ist<br />
<strong>des</strong>sen Richtung. Die Verbindung <strong>des</strong> Versprechens auf<br />
grenzenlose Freiheit mit der absoluten Zwangsläufigkeit,<br />
durch die es sich einlösen soll, gründet letztlich<br />
in einem fundamentalen Vorentscheid: Freiheit wird<br />
als Macht definiert.<br />
Eine solche Bestimmung, die gewissermaßen die<br />
Geschäftsgrundlage im Hause Google ist, übersieht jedoch<br />
das Entscheidende. Wahre Freiheit realisiert sich<br />
letztlich nur durch etwas, das dem modernen Denken<br />
zu einer schieren Ungeheuerlichkeit geworden ist:<br />
durch Verzicht. Schon Marc Aurel wusste das.<br />
Verzicht ist keine Kategorie der de Sa<strong>des</strong> und<br />
Kurzweils dieser Welt. In der elitären Überheblichkeit<br />
eines Larry Page, <strong>des</strong> Google-Gründers, der zudem<br />
Auftraggeber <strong>des</strong> größten Lobbyistenheeres der<br />
USA ist, lässt sich der Größenwahn der Nachfahren de<br />
Sa<strong>des</strong> gut erkennen. „Es gibt“, sagt Page, „eine Menge<br />
Dinge, die wir gern machen würden, aber nicht tun<br />
können, weil sie illegal sind. (…) Wir sollten einfach<br />
ein paar Orte haben, wo wir sicher sind. Wo wir neue<br />
Dinge ausprobieren und herausfinden können, welche<br />
Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben.“<br />
OLIVER PRIEN ist Biologe und<br />
Wissenschaftsjournalist und versucht mit<br />
einem eigenen Verlag, dem Ousia-Lesekreis,<br />
seiner Verwandlung in eine Maschine noch<br />
möglichst lange zu entgehen<br />
Foto: Privat<br />
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<strong>Cicero</strong> – 6. 2014