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War Einstein ein Philosoph?<br />
Einstein hatte von Anfang an eine Affinität<br />
zur <strong>Philosophie</strong>. Sein Interesse wurde zudem<br />
dur<strong>ch</strong> sein Physikstudium genährt, da<br />
es zu jener Zeit übli<strong>ch</strong> war, dass die Physikstudierenden<br />
dazu ermuntert wurden, über<br />
die theoretis<strong>ch</strong>en Grundlagen ihrer Wissens<strong>ch</strong>aft<br />
na<strong>ch</strong>zudenken. So beispielsweise in<br />
dem Kurs „Theorie wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Denkens“.<br />
(1) Die Idee, die Bedeutung wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />
Begriffe zu hinterfragen, anstatt<br />
sie traditionsgemäss zu verwenden, bildet<br />
einen zentralen Teil von Einsteins wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>em<br />
Vorgehen. Dank dem, dass er<br />
ni<strong>ch</strong>t davor zurücks<strong>ch</strong>reckte, die Grundbegriffe<br />
der Physik neu zu definieren, konnte<br />
er Theorien aufstellen, die die Physik revolutionierten.<br />
(2) Obs<strong>ch</strong>on si<strong>ch</strong> sein philosophis<strong>ch</strong>es<br />
Gedankengut in vers<strong>ch</strong>iedensten<br />
S<strong>ch</strong>riften wiederfindet, verfasste er au<strong>ch</strong> diverse<br />
Aufsätze, wie „Motive des Fors<strong>ch</strong>ens“,<br />
„On the Method of Theoretical Physics“,<br />
„Time, Space, and Gravitation“, „Physik und<br />
Realität“, „Über den Frieden“ sowie „Warum<br />
Krieg?“, die si<strong>ch</strong> gezielt philosophis<strong>ch</strong>en<br />
Themen zuwenden. (3) Er verfasste zudem<br />
Texte, die seine physikalis<strong>ch</strong>e Theorie allgemein<br />
verständli<strong>ch</strong> darstellen sollten. (4)<br />
In einem Brief an Robert Thorton s<strong>ch</strong>rieb<br />
er 1944 bezügli<strong>ch</strong> der Wi<strong>ch</strong>tigkeit der philosophis<strong>ch</strong>en<br />
Herangehensweise folgende<br />
Zeilen: “I fully agree with you about the significance<br />
and educational value of methodology<br />
as well as history and philosophy of<br />
science. So many people today – and even<br />
professional scientists – seem to me like<br />
somebody who has seen thousands of trees<br />
but has never seen a forest. A knowledge<br />
of the historic and philosophical background<br />
gives that kind of independence from prejudices<br />
of his generation from whi<strong>ch</strong> most<br />
scientists are suffering. This independence<br />
created by philosophical insight is – in my<br />
opinion – the mark of distinction between a<br />
mere artisan or specialist and a real seeker<br />
after truth.“ (5)<br />
Einstein betonte also, dass Fors<strong>ch</strong>ungsergebnisse<br />
reflektiert verstanden werden<br />
müssen, um sie wirkli<strong>ch</strong> zu verstehen und<br />
na<strong>ch</strong> der Wahrheit zu su<strong>ch</strong>en. Die Su<strong>ch</strong>e<br />
na<strong>ch</strong> Wahrheit ist ni<strong>ch</strong>t nur das Ziel der so<br />
verstandenen Fors<strong>ch</strong>ung, sondern au<strong>ch</strong> der<br />
<strong>Philosophie</strong>, die si<strong>ch</strong> damit s<strong>ch</strong>on solange,<br />
wie es sie gibt, befasst. Dabei entwickelte sie<br />
Methoden, die es Fors<strong>ch</strong>ern erlei<strong>ch</strong>tern soll,<br />
mit Resultaten reflektiert umzugehen. Beispielsweise<br />
werden in der philosophis<strong>ch</strong>en<br />
Disziplin der Erkenntnistheorie die Sinneswahrnehmung,<br />
der Gegenstand von Erkenntnis,<br />
Erkenntnisquellen und derglei<strong>ch</strong>en<br />
mehr, kritis<strong>ch</strong> diskutiert. Die <strong>Philosophie</strong> und<br />
insbesondere die Erkenntnistheorie ermögli<strong>ch</strong>en,<br />
gemäss Einstein, ein unabhängiges<br />
Urteil, wel<strong>ch</strong>es für einen e<strong>ch</strong>ten Fors<strong>ch</strong>er<br />
unabdingbar ist. (6)<br />
Einstein war ni<strong>ch</strong>t nur aufgrund seiner grundlegenden<br />
Herangehensweise an die Probleme<br />
der Physik ein Philosoph. Er lieferte<br />
au<strong>ch</strong> einen wi<strong>ch</strong>tigen Beitrag an die <strong>Philosophie</strong><br />
der Wissens<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zuletzt<br />
dank ihm im 20. Jahrhundert stark weiterentwickelte.<br />
(7) Er versu<strong>ch</strong>te aber ni<strong>ch</strong>t, ein<br />
philosophis<strong>ch</strong>es System zu entwickeln. Seine<br />
Wissens<strong>ch</strong>aftsphilosophie ist vielmehr<br />
eine originelle Synthese von vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Standpunkten, die jeweils unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
philosophis<strong>ch</strong>en Positionen zugeordnet werden<br />
können. Einstein lehnte es bewusst ab,<br />
seine Einstellung einem, wie er es nannte<br />
„-ismus“ (z.B. Realismus) zu zuordnen.<br />
Trotzdem wird im Folgenden versu<strong>ch</strong>t werden,<br />
seine <strong>Philosophie</strong> zusammenfassend<br />
darzustellen. (8) So lässt si<strong>ch</strong> seine Wissens<strong>ch</strong>aftsphilosophie<br />
in 5 Elemente (9) aufteilen:<br />
a) Einstein vertrat die These der sogenannten<br />
empiris<strong>ch</strong>en Unterdeterminiertheit der<br />
Theorie. Das heisst, er war der Ansi<strong>ch</strong>t,<br />
dass eine Theorie, die wir wählen, um einen<br />
bestimmten Sa<strong>ch</strong>verhalt zu erklären,<br />
ni<strong>ch</strong>t von der erfahrbaren (empiris<strong>ch</strong>en)<br />
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