Europäisches Sprachdenken Von Platon bis ... - Plansprachen.ch
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spra<strong>ch</strong>lose – neukantianis<strong>ch</strong>e Denken und gegen die spra<strong>ch</strong>lose Phänomenologie, vermerkt<br />
Trabant.<br />
Interessant sind Trabants Ausführungen zur weiteren Entwicklung. Zwar haben die<br />
Universitäten (in Deuts<strong>ch</strong>land) die beiden Disziplinen in ihren Studiengängen no<strong>ch</strong><br />
zusammengehalten, aber in den Köpfen der Fors<strong>ch</strong>er spiele der Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />
Texten und Spra<strong>ch</strong>en so gut wie keine Rolle mehr. Spra<strong>ch</strong>en und Texte blieben als<br />
„S<strong>ch</strong>eidungswaisen“ zurück, wie Trabant auf S. 290 s<strong>ch</strong>lussfolgert, Spra<strong>ch</strong>- und<br />
Literaturwissens<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>einen einander ni<strong>ch</strong>ts mehr zu sagen zu haben. In Amerika hatte<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft sowieso nie viel mit Literatur zu tun (und in Russland wurden und werden<br />
die Fä<strong>ch</strong>er ebenfalls getrennt gelehrt. aK). Kommt dazu, dass der Gegenstand der Linguistik<br />
kaum no<strong>ch</strong> etwas mit den konkreten Spra<strong>ch</strong>en zu tun hat, und bei den Philologen hat die Sorge<br />
um den geliebten Text (amore e cognizione) samt Spra<strong>ch</strong>e kaum mehr eine Funktion. Unter dem<br />
Etikett der Literatur-Wissens<strong>ch</strong>aft werden vielmehr politis<strong>ch</strong>e, historis<strong>ch</strong>e, ideologis<strong>ch</strong>e,<br />
philosophis<strong>ch</strong>e, kulturelle und sexuelle Motive traktiert, die zweifellos bedeutsam sind, denn die<br />
Textwissens<strong>ch</strong>aftler wollen ihrerseits ni<strong>ch</strong>ts mehr mit den Texten zu tun haben. Trabant geht so<br />
weit und ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass an den eins<strong>ch</strong>lägigen Instituten für Allgemeine und<br />
Verglei<strong>ch</strong>ende Literaturwissens<strong>ch</strong>aft den Spra<strong>ch</strong>en an si<strong>ch</strong> kaum no<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong>e Bea<strong>ch</strong>tung<br />
zuteil werde. Es sei denn au<strong>ch</strong> völlig egal, in wel<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e die Texte gelesen würden, es<br />
dürfe bitte au<strong>ch</strong> Globalesis<strong>ch</strong> sein. Aber Trabant mö<strong>ch</strong>te darüber ni<strong>ch</strong>t klagen. S<strong>ch</strong>limm sei<br />
allenfalls, so ist Trabants Einwand jedenfalls zu verstehen, dass si<strong>ch</strong> sowohl Grammatiker-<br />
Linguisten wie au<strong>ch</strong> Textwissens<strong>ch</strong>aftler „in zwei herrli<strong>ch</strong> moderne Niemandsländer“<br />
verkro<strong>ch</strong>en hätten, in denen keine bestimmte Spra<strong>ch</strong>e mehr die Bes<strong>ch</strong>äftigung mit Spra<strong>ch</strong>en und<br />
Texten störe. Das Paradies spra<strong>ch</strong>loser Globalität und globaler Spra<strong>ch</strong>losigkeit wie in der<br />
Antike postuliert s<strong>ch</strong>eint unter neuen Voraussetzungen somit verwirkli<strong>ch</strong>t worden zu sein, der<br />
Kreis hat si<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lossen. Auf der Strecke geblieben seien Modernisierungsverlierer und eben<br />
die S<strong>ch</strong>eidungswaisen: Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>, Latein, Deuts<strong>ch</strong>, Französis<strong>ch</strong>, Spanis<strong>ch</strong>, Italienis<strong>ch</strong>, Russis<strong>ch</strong><br />
und die Spra<strong>ch</strong>en anderer Völkerstämme der Vergangenheit. Englis<strong>ch</strong> erwähnt Trabant in dieser<br />
Liste ni<strong>ch</strong>t, und er vermeidet es au<strong>ch</strong>, explizit gegen das Englis<strong>ch</strong>e zu wettern, obwohl man<br />
spürt, dass er auf die Globanglisierung, die den Prozess der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Vereinheitli<strong>ch</strong>ung der<br />
Welt brutal fortsetze, mit Skepsis oder sogar mit Befremden reagiert (S. 322), während andere<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftler si<strong>ch</strong> vom Mainstream tragen lassen - und davon ideell und materiell<br />
profitieren (aK).<br />
Strukturalismus<br />
Für das beginnende 20. Jahrhundert aufzuführen ist in erster Linie der Name Ferdinand<br />
de Saussures (1857-1913), der zwar selbst keine Bes<strong>ch</strong>reibung der Spra<strong>ch</strong>e vorgelegt hat, aber<br />
die Grundlagen für die historis<strong>ch</strong>-dia<strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ule und den Strukturalismus legte<br />
(Opposition langue/parole).* Als sein eigentli<strong>ch</strong>er Erbe gilt der Däne Louis Hjelmslev (1899-<br />
1965), weitere wi<strong>ch</strong>tige Exponenten des Strukturalismus waren Edward Sapir (1884-1939), ein<br />
Sohn litauis<strong>ch</strong>stämmeriger Juden, und der Behaviorist Leonard Bloomfield (1887-1949) in<br />
Amerika, sowie Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929) in Russland. Ferner spri<strong>ch</strong>t Trabant<br />
au<strong>ch</strong> die Tätigkeit der Prager S<strong>ch</strong>ule (Jakobson, Trubetzkoy) an und würdigt den deuts<strong>ch</strong>en<br />
Romanisten Karl Vossler (1872-1949). Der ebenfalls genannte Benjamin Lee Whorf (1897-<br />
1949) war zwar Chemieingenieur von Beruf und erfors<strong>ch</strong>te amerikanis<strong>ch</strong>e<br />
Eingeborenenspra<strong>ch</strong>en, wurde aber vor allem wegen der Sapir-Whorf-Hypothese bekannt.<br />
Einige Ausführungen betreffen au<strong>ch</strong> Noam Chomsky (*1928), dessen Theorien die<br />
Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, der den Niedergang des<br />
inzwis<strong>ch</strong>en als besiegt geltenden Behaviorismus förderte, und der den Aufstieg der<br />
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