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KIDS Aktuell - preprintmedia OHG Agentur für Digitale Medien

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oder alle unangenehmen Situationen von ihm fern<br />

hält. Ganz im Gegenteil: Eltern, die von Anfang an auf<br />

die Einhaltung gewisser Regeln achten, sich nicht von<br />

ihrem Kind dominieren lassen und auch eine gewisse<br />

Risikobereitschaft zeigen, werden es auch selbst<br />

leichter haben das Kind rechtzeitig loszulassen.<br />

Zur sicheren Bindung gehört auch, dass die Bezugspersonen<br />

als Vermittler zwischen dem Kind und seiner<br />

Umwelt auftreten. Vermitteln (Mediation) heißt<br />

nicht nur, ihm Dinge näher zu bringen, die es interessieren,<br />

sondern auch das Kind an Situationen heranzuführen,<br />

in denen es sich unsicher fühlt, die aber <strong>für</strong><br />

seine Entwicklung erforderlich sind. Ein Vermittler in<br />

diesem Sinne nimmt das Kind aber immer ernst und<br />

zeigt ihm Respekt.<br />

Insofern ist das Geschick, mit dem Eltern eines<br />

behinderten Kindes auf das Kind eingehen, trotz der<br />

Diagnose, die sie erschüttert hat, trotz der Kommunikationsproblemen<br />

mit dem Kleinkind und trotz seiner<br />

langsameren Gesamtentwicklung – oder gerade<br />

deshalb – von doppelter Bedeutung <strong>für</strong> die spätere<br />

Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes. So bekommt<br />

es die besten Chancen, um selbständig die Welt kennen<br />

zu lernen und sich von uns zu lösen.<br />

Loslösen: eine Lebensaufgabe.<br />

Nicht nur Khalil Gibran hat den Urwunsch der Kinder,<br />

ihre Eltern zu verlassen, beschrieben. Wolfgang Goethe<br />

schrieb bereits, dass Kinder Wurzeln und Flügel<br />

brauchen. Auch modernere psychologische Forscher<br />

haben diesen Prozess untersucht.<br />

So beschreibt etwa Havighurst (1971) die Loslösung<br />

aus der Abhängigkeit von Erwachsenen als eine der<br />

wichtigen Aufgaben, die Menschen im Jugendalter<br />

lösen müssen. Für die Eltern fängt dann meist eine<br />

harte Zeit an: Sie müssen diese Entwicklung zulassen,<br />

und doch fällt sie ihnen emotional schwer. Die Kinder<br />

brauchen einerseits Fürsorge, Verständnis, Geduld,<br />

Nachsicht, andererseits distanzieren sich dieselben<br />

Kinder oft nicht ohne Opposition und Ablehnung von<br />

den Eltern. Die Kommunikation ist nicht unbedingt<br />

einfach!<br />

Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom haben das<br />

einmalige Glück, dass unsere Kinder uns auch in der<br />

Pubertät noch hemmungslos ihre Zuneigung zeigen.<br />

Wir brauchen weniger zu <strong>für</strong>chten, dass sie falsche<br />

Freunde bekommen oder in die Drogenszene abrutschen<br />

(obwohl das Aufwachsen in einer weniger<br />

beschützten Welt auch <strong>für</strong> sie nicht ohne Gefahren<br />

sein kann), aber unsere Aufgabe wird dadurch nicht<br />

unbedingt leichter. Im Gegenteil, wenn ein Kind<br />

behindert ist, sind die Anforderungen von Anfang an<br />

ungleich viel größer und auch Loslassen wird doppelt<br />

schwer: die Sorge um das Kind ist Teil der täglichen<br />

Routine, von der man sich nicht so leicht löst, denn<br />

unsere Bindung an das Kind ist dadurch oft intensiver.<br />

Die Angst vor seiner Zukunft („wenn wir einmal nicht<br />

mehr sind“) wühlt uns zutiefst auf.<br />

Wir be<strong>für</strong>chten, dass unser Kind größere Schwierigkeiten<br />

haben wird, einmal losgelöst von uns zu leben,<br />

denn<br />

– die Gesundheitsrisiken sind größer,<br />

– seine Fähigkeit, soziale Signale richtig zu<br />

deuten und ihr Verhalten darauf abzustimmen,<br />

ist geringer,<br />

– die Kommunikationsprobleme sind überhaupt<br />

größer,<br />

– seine Möglichkeiten, sich frei zu entfalten,<br />

sind begrenzter,<br />

– seine Mobilität ist begrenzt – es wird z. B. keinen<br />

Führerschein haben,<br />

– die Probleme, einen Beruf zu erlernen, sind<br />

besonders groß usw.<br />

Und so sind unsere Sorgen in Bezug auf ihre Zukunft<br />

mehr als berechtigt.<br />

Darüber hinaus verlaufen geistige Entwicklung und<br />

Reife die normalerweise mit der körperlichen Pubertät<br />

und Adoleszenz einhergehen bei Kindern mit<br />

Down-Syndrom in der Regel langsamer, die psychologische<br />

Pubertät dauert vielleicht länger. Geist und<br />

Körper halten nicht gleich Schritt, sodass wir keine<br />

bewährten Muster haben, an die wir uns halten<br />

können.<br />

Die Opposition gegenüber den Eltern ist nicht unbedingt<br />

geringer, denn es fällt Jugendlichen mit Down-<br />

Syndrom ungleich viel schwerer mitzuteilen, was sie<br />

vom Leben erwarten und wie sie das selber angehen<br />

wollen. Dies kann sich in einer Verweigerungshaltung<br />

äußern, vor allem wenn sie nicht ausreichend beurteilen<br />

können, was ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten<br />

sind. Wir können ihnen auch schwerer erklären, wo<br />

ihre Begrenzungen liegen und bereiten sie nicht immer<br />

ausreichend auf neue Situationen vor. So können<br />

sie sich umso mehr gegängelt fühlen und haben<br />

kaum Möglichkeiten sich dagegen zu wehren.<br />

Die eigene Identität finden<br />

Eine Identitätskrise im Jugendalter ist laut Erikson<br />

(1950) immer Voraussetzung <strong>für</strong> die Loslösung. Junge<br />

Leute müssen diese überwinden und eine neue soziale<br />

Rolle finden, indem sie die Bezugsperson infrage<br />

stellen, sich mit anderen Jugendlichen und dem anderen<br />

Geschlecht auseinandersetzen und im Beruf eine<br />

Aufgabe finden. Die wissenschaftliche Literatur führt<br />

im Hinblick auf die „Ablösung“ von den Eltern Fähigkeiten<br />

wie: Gegenposition zum elterlichen Standpunkt<br />

einnehmen können, selbständig und autonom<br />

handeln, Abhängigkeitsbeziehung auflösen, eigenen<br />

Impulsen nachgehen, sich selbst steuern und sein<br />

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<strong>KIDS</strong> <strong>Aktuell</strong> / Nr. 28 – Herbst 2013

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