18.06.2014 Aufrufe

1 Abschlussbericht über das zweimonatige Praktikum auf einem Bio ...

1 Abschlussbericht über das zweimonatige Praktikum auf einem Bio ...

1 Abschlussbericht über das zweimonatige Praktikum auf einem Bio ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>zweimonatige</strong> <strong>Praktikum</strong> <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Bio</strong>-Bauernhof in England<br />

In den Sommersemesterferien 2012 habe ich für 2 Monate <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> kleinen <strong>Bio</strong>-Bauernhof North<br />

Aston Dairy in der Nähe von Oxford gearbeitet. Den <strong>Praktikum</strong>splatz habe ich durch eine Freundin<br />

gefunden, die ihr Ethnologie-Studium (mit Schwerpunkt 'Film') an der Filmhochschule in<br />

Manchester weiterführte und deshalb dort für zwei Jahre lebte. Sie kannte den Landwirt der Farm,<br />

Joshua Healy, da sie vor einiger Zeit einen Dokumentarfilm <strong>über</strong> ein Projekt namens<br />

Treesponsibility drehte und der junge Farmer dafür interviewt wurde, um <strong>das</strong> Projekt vorzustellen.<br />

Dieses Projekt hatte allerdings nicht mit seiner Arbeit als Landwirt zu tun. Nach dem Abschluss<br />

seines Chemiestudiums in Manchester hatte er beschlossen, den kleinen Milchbetrieb seines<br />

verstorbenen Vater fortzuführen und kümmert sich nun, gemeinsam mit <strong>einem</strong> Landwirt, der ihn<br />

dreimal die Woche unterstützt, um 20 Kühe.<br />

Meine Euphorie vor dem <strong>Praktikum</strong> war vor allem dar<strong>auf</strong> begründet, <strong>das</strong>s ich einmal in <strong>einem</strong> ganz<br />

anderen Bereich tätig werden konnte, als ich es in m<strong>einem</strong> geisteswissenschaftlichen Studium<br />

gewohnt war, und mir somit Einblick in ein völlig fremdes Leben versprach. Zudem wollte ich, als<br />

angehende Lehrerin für die Fächer Englisch und Spanisch eine persönliche Beziehung zu<br />

Großbritannien <strong>auf</strong>bauen, da ich zwar andere englischsprachige Länder, wie USA und Kanada,<br />

schon besucht hatte, England aber im Grunde nur von <strong>einem</strong> Schüleraustausch kannte. Ich war<br />

gespannt <strong>auf</strong> die britische Lebensweise und wollte wissen, ob die prototypischen Eigenschaften, wie<br />

Zurückhaltung, Höflichkeit und angebliche Reserviertheit in m<strong>einem</strong> <strong>Praktikum</strong> wirklich zutreffen<br />

würden, oder ob es sich dabei nur um Vorurteile handelte. Außerdem beabsichtigte ich an den<br />

Wochenenden Kurztrips zu unternehmen, um somit nicht nur <strong>das</strong> kleine Dorf, sondern auch Städte<br />

wie London, Manchester, Brighton und Oxford kennenzulernen. Nicht zuletzt, war mir natürlich<br />

auch daran gelegen meine Englischkenntnisse zu verbessern und Freundschaften zu knüpfen.<br />

Im Nachhinein, kann ich guten Gewissens behaupten, <strong>das</strong>s sich die meisten meiner Erwartungen<br />

erfüllt haben, manche allerdings nicht in dem Maße, in dem ich es mir ursprünglich erhofft hatte. In<br />

der Tat hatte mein Leben in North Aston nichts mit m<strong>einem</strong> Münchener Alltag zu tun. Jeden<br />

Morgen musste ich um 7:30 die Kühe melken und im Anschluss, die Melkkammer1 und die<br />

Melkanlage säubern, danach wurden entweder die Glasflaschen gereinigt, oder die Milch<br />

pasteurisiert und zu Vollmilch, Halbfettmilch und Sahne verarbeitet und abgefüllt. Nachmittags<br />

wurde die Milch ausgefahren, die Kühe <strong>auf</strong> anderes Weideland getrieben, Felder und Wiesen mit<br />

der Sense gemäht, Unkraut gejätet und Vieles mehr. Abends, gegen 17:30, wurden die Kühe erneut<br />

1 Melkkammer = Stall an dem die Kühe gemolken werden<br />

1


gemolken, was mindestens weitere zwei Stunden in Anspruch nahm. Samstags wurde dann die<br />

Milch, die die nicht ausgefahren wurde, <strong>auf</strong> dem Farmers' Market in Oxford verk<strong>auf</strong>t. Dar<strong>über</strong><br />

hinaus lernte ich wie man Käse und Eiscreme macht, Brot bäckt und einen Bienenstock baut. Die<br />

zwei Monate in North Aston waren sehr bereichernd, vor allem im Hinblick <strong>auf</strong> Kompetenzen<br />

außerhalb meines Studiums, wobei ich nicht damit gerechnet hatte, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>Praktikum</strong> so<br />

arbeitsintensiv und körperlich anstrengend sein würde – Arbeitszeiten von zehn Stunden am Tag<br />

waren keine Seltenheit. Dies war etwas unbefriedigend, da ich zur 'Entschädigung' nur Unterkunft<br />

und Essen erhielt, nicht aber bezahlt wurde. Durch die Abgeschiedenheit des Dorfes waren<br />

Kurztrips an Wochenenden auch erst dann möglich, als ich mir ein Fahrrad leihen konnte und somit<br />

zum nächstgelegenen Bahnhof in Heyford (ein halbe Stunde mit dem Fahrrad) gelangen konnte. Da<br />

die Zugverbindungen nicht besonders optimal waren, waren Tagesausflüge auch nur limitiert<br />

möglich. Obwohl sich <strong>das</strong> Kennenlernen in dem kleinen, gemütlichen Dorf <strong>auf</strong> wenige<br />

Bekanntschaften beschränkte, habe ich nichtsdestotrotz enge Freundschaften geknüpft: besonders<br />

Joshua, aber auch seine beiden Mitbewohner Graham und Alphi sind enge Freunde geworden. Was<br />

an dieser Stelle allerdings unbedingt erwähnt werden muss, ist, <strong>das</strong>s ich bei der Mutter des<br />

Landwirts unweit des Bauernhofes gewohnt habe mit der sich <strong>das</strong> Zusammenleben nicht<br />

unproblematisch herausstellte. Es schien als ob sie von Beginn an Abneigungen gegen mich hegte,<br />

wobei sie sich mit dem männlichen Praktikanten, der <strong>auf</strong> dem benachbarten <strong>Bio</strong>-Gemüse Bauernhof<br />

arbeitete und auch von ihr verpflegt wurde bestens verstand. Ich habe mitbekommen, <strong>das</strong>s dieses<br />

Problem bereits schon einmal bei einer Praktikantin <strong>auf</strong>trat. Diese Situation hat sich, trotz meiner<br />

Bemühen, im L<strong>auf</strong>e der zwei Monate leider nicht geändert. Meine Englischkenntnisse habe ich,<br />

nicht so sehr im Gespräch mit der Mutter, wohl aber durch die Gespräche mit Joshua und seinen<br />

Freunden sicherlich verbessern können. Insbesondere im Bereich meines fachspezifischen<br />

Vokabulars2 ist ein großer Unterschied zu erkennen.<br />

Die Erwartungen bezüglich der 'typisch englischen Art' haben sich nur im Bereich des öffentlichen<br />

Lebens bestätigt, nicht aber bei Personen des täglichen Umgangs mit denen mich eine<br />

freundschaftliche Beziehung verband. Wenn ich, meistens ohne Begleitung, Wochenendausflüge,<br />

beispielsweise nach Oxford, unternahm und etwas ratlos mit <strong>einem</strong> Stadtplan an einer<br />

Straßenkreuzung stand, kam es häufig vor, <strong>das</strong>s Passanten anhielten und mich fragten, ob sie mir<br />

behilflich sein könnten. Diese Höflichkeit und Hilfsbereitschaft war, von meinen Erlebnissen<br />

ausgehend, sowohl im Norden Englands (Manchester), als auch in den südlicheren Regionen<br />

2 Beispiele; Verben: to scythe, to fence cows, to be on heat, to be in calf; Nomen: milking clusters, milking<br />

parlour, vet, rennet etc.<br />

2


(Oxford und London) erkennbar. Schlechte Erfahrungen mit Belästigungen von Männern <strong>auf</strong> der<br />

Straße, widerfuhren mir nie. In Manchester wurde mir allerdings nahe gelegt, als allein reisende<br />

Frau bei Nacht nicht <strong>das</strong> obere Abteil der öffentlichen Doppeldeckerbusse <strong>auf</strong>zusuchen, da es dort<br />

vermehrt zu Übergriffen <strong>auf</strong> Frauen gegeben hatte.<br />

Im privaten Bereich, beziehungsweise im Arbeitsleben, <strong>das</strong> in m<strong>einem</strong> Fall allerdings eng<br />

miteinander verknüpft war, war von der englischen Höflichkeit weniger zu spüren. Zu Beginn<br />

wurden Arbeitsanweisungen zwar noch mit höflichen Redewendungen formuliert wie Would you<br />

like to..? oder Do you mind...? und der Landwirt begegnete mir vorerst ein wenig reserviert, was ich<br />

als etwas zu kühl <strong>auf</strong>fasste. Dies änderte sich aber bereits in den ersten Wochen: Anweisungen<br />

wurden weniger höflich formuliert, Gespräche wurden persönlicher und die Beziehung wurde<br />

freundschaftlicher. An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, <strong>das</strong>s der beschriebene<br />

freundschaftlich ruppige Umgang <strong>auf</strong> Erfahrungen in <strong>einem</strong> Zweimannbetrieb basieren und ich<br />

davon ausgehe, <strong>das</strong>s man sich in großen Betrieben höflicher, aber womöglich auch unpersönlicher<br />

begegnet.<br />

Der Bauernhof hatte bisher noch nie unerfahrene Praktikanten eingestellt, sondern nur mit<br />

Landwirten gearbeitet, die selbst bereits in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiteten und alternativ<br />

organisierte Betriebe besichtigen wollten, um zu sehen,wie ein Unternehmen funktionierte, <strong>das</strong> vom<br />

Melken der Kühe und der Produktion verschieden fetthaltiger Milch und Sahne, <strong>über</strong> <strong>das</strong><br />

Flaschenabfüllen, bis hin zum Verk<strong>auf</strong>, alles alleine regelte. Dies hatte zur Folge, <strong>das</strong>s mir bereits<br />

sehr früh sehr viel Verantwortung zufiel, was sowohl Vorteile, als auch Nachteile mit sich brachte.<br />

Einerseits empfand ich Stolz schon bald <strong>das</strong> Melken der Kühe ganz eigenständig durchführen zu<br />

dürfen, andererseits gab es Situationen in denen ich mich <strong>über</strong>fordert fühlte, wenn die Kühe sich<br />

nicht in den Stall treiben ließen und Alle <strong>auf</strong> der Weide machten was sie wollten. Auch physisch<br />

kam ich bei der Arbeit häufig an meine Grenzen, was ich allerdings nicht unbedingt als negativ<br />

erachte.<br />

Das <strong>Praktikum</strong> in dem kleinen Milchbetrieb ist Jedem sehr zu empfehlen, dem Abgeschiedenheit,<br />

manchmal ein wenig Einsamkeit und harte Arbeit nichts ausmachen. Obwohl Praktikanten nicht<br />

zum festen Bestandteil des Betriebs gehören, ist North Aston Dairy bereit einen Praktikanten<br />

<strong>auf</strong>zunehmen. Die feste Bedingung allerdings ist, <strong>das</strong>s man, vor allem wenn man <strong>über</strong> keinerlei<br />

Erfahrung verfügt, mindestens zwei Monate <strong>auf</strong> dem Bauernhof arbeitet.<br />

Alles in allem, kann ich sagen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>Praktikum</strong> mir gezeigt hat, wie sehr ich, als <strong>über</strong>zeugte<br />

Geisteswissenschaftlerin, mich trotzdem auch für andere Bereiche, wie die Landwirtschaft<br />

begeistern kann. Dieses <strong>Praktikum</strong> war ein einmaliges, wunderschönes und meine Persönlichkeit<br />

3


prägendes Erlebnis. Zeitweise war es einsam und die Arbeit war hart, aber - hey! - Ich kann jetzt<br />

melken!<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!