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texte aus den literaturwerkstätten des - Crespo Foundation

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Hinweis auf eine gewisse Boshaftigkeit gewesen. Doch in<br />

Helens Augen war keine Boshaftigkeit. Da war nichts, gar<br />

nichts, und dahinter, gerade noch zu erahnen, eine abgrundtiefe<br />

Traurigkeit.<br />

Aber vielleicht bildete die junge Designerin sich da ja<br />

auch nur ein.<br />

„Hier sind die Entwürfe… Vorschläge“, stammelte sie. „Ist<br />

der Chef…?“<br />

Sie fühlte, wie Helen sie musterte. „Ich bring sie ihm“,<br />

bot die Sekretärin an, und streckte die Hand <strong>aus</strong>.<br />

Es war typisch für das Design-Team erst einmal die Neue<br />

mit <strong>den</strong> Entwürfen vorzuschicken. Helen konnte die anderen<br />

Angestellten die Hälse recken sehen. Alle Gesichter waren<br />

besorgt. Offenbar war man sich bewusst, dass die Arbeit<br />

nicht die erwünschte Qualität hatte.<br />

„Was?“, knurrte Renner, als sie an seine Tür klopfte. Es<br />

war seine übliche Art, „herein“ zu sagen.<br />

Helen legte ihm die Mappe mit <strong>den</strong> Entwürfen auf <strong>den</strong><br />

Tisch. „Die Vorschläge, Chef“, sagte sie.<br />

Herr Renner griff danach. „Mal sehen…“<br />

Helen hätte nun die Flucht ergreifen können, doch sie blieb.<br />

Sie hatte, vielleicht als einzige in der Abteilung, keine<br />

Angst vor Herrn Renner.<br />

Es blätterte durch die Seiten. „Schrott“, murmelte er.<br />

„Auch Schrott… grauenhaft. Kein Funken Esprit… Keine<br />

Originalität… furchtbar…!“ Eine Vene pochte an seiner Stirn.<br />

„Was soll der Scheiß hier?!“, brüllte er, sodass alle im<br />

Büro ihn hören konnten. „Ist das alles? Haben wir nichts<br />

besseres zu bieten? Wofür wer<strong>den</strong> Sie eigentlich bezahlt!?“<br />

Helen ließ die Tirade über sich ergehen, obwohl sie freilich<br />

lediglich fürs Kaffeekochen und E-Mailsortieren bezahlt<br />

wurde. Aber sie sagte nichts, wehrte sich nicht, ließ<br />

sich anschreien und zusammenstauchen, als sei alles ihre<br />

Schuld. Sie verzog nicht einmal eine Miene. Sie hatte<br />

gelernt, nichts zu fühlen, schon vor langer Zeit. Keinen<br />

Zorn. Keine Furcht. Keine Trauer. Nichts.<br />

Manchmal war ihr Denken träge wie Blei. Was nutzte es<br />

schon, sich aufzuregen? Änderte es irgendetwas? Wurde die<br />

Welt davon besser?<br />

Sie ließ das Geschrei auf sich niederrieseln wie <strong>den</strong><br />

Regen draußen. Es berührte sie kaum. Gleichgültigkeit<br />

schützte sie wie ein Regenschirm. Sie verstand nicht, warum<br />

die anderen Angestellten Angst vor ihrem Chef hatten. Was<br />

konnte er außer Schreien schon tun? Jeman<strong>den</strong> feuern? Dann<br />

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