soziales - Soziale Welt
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KÜNSTLER DES MONATS<br />
Er brachte den Boulevard nach Frankfurt<br />
Dem Künstler flicht die Nachwelt keine<br />
Kränze. Aber manchmal wird er von einer<br />
ganzen Stadt schon zu Lebzeiten ins Herz<br />
geschlossen. Und noch seltener gibt es<br />
dann ein Theater, das floriert und seinen<br />
Namen trägt. Dieses Theater liegt im Zoo-<br />
Gesellschaftshaus. Sein Name:<br />
Fritz Rémond.<br />
Genauer: Fritz Rémond jr., denn er stammt<br />
aus einer sehr aktiven Künstlerfamilie.<br />
Sein Vater, der Senior, war ein bekannter<br />
Heldentenor und brachte es später zum<br />
Intendant der Kölner Oper. Dort konnte er<br />
Otto Klemperer als Generalmusikdirektor<br />
gewinnen. Komödiendichter und<br />
Schauspieler Curt Goetz war sein Neffe.<br />
Auch die Großmutter von Fritz Rémond jr.<br />
war eine bedeutende Sängerin. Von der Oma<br />
hatte er allerdings wenig, denn sie verstarb in<br />
seinem Geburtsjahr 1902.<br />
Der Senior war 1928 in Ruhestand<br />
gegangen und verstarb 1936. Sohn Fritz jr. zog<br />
es auch zur Bühne, allerdings nicht als Sänger,<br />
sondern als Schauspieler mit Ambitionen<br />
zum Theaterleiter. Die Ambitionen in Regie<br />
und Spielleitung konnte er in Prag erfüllen,<br />
bis die Nazis auch dieses deutschsprachige<br />
Theater gleichschalteten. Er schlug sich<br />
bis zum Kriegsende schlecht und recht<br />
durch und wurde dann Impresario einer<br />
Wanderbühne, mit der er von Bad Tölz aus<br />
durch das Land tingelte, um den gebeutelten<br />
Deutschen wenigstens wieder zum Lachen<br />
zu bringen, wenn schon der Magen knurrte.<br />
Die Wanderbühne erreichte auch Frankfurt<br />
am Main.<br />
Auftritt Bernhard Grizmek<br />
Der Neuerfinder das Frankfurter Zoos<br />
und der stimmgewaltige Mime kannten<br />
sich schon aus Prag. Zwei Charaktere, die<br />
gegensätzlicher nicht sein konnten: hier<br />
der Mime, der später durchaus umfänglich<br />
werden würde und als sehr kontaktfreudig<br />
bekannt, wo nicht verschrien war. Dort<br />
der eher spröde Zoologe, aber beide<br />
beharrlich in ihren Zielen und jederzeit<br />
bereit, für ihre Ziele mit jedem zu reden<br />
Das Fritz-Rémond Theater im Frankfurter Zoo<br />
und auch echte Bettelgänge nicht scheuten.<br />
Der Not gehorchend beschloss man eine<br />
Zusammenarbeit zwischen Theater und Zoo,<br />
die heute noch funktioniert. Theater wie Tiere<br />
ziehen Menschen an, wenn auch manchmal<br />
ganz Unterschiedliche, und wecken Interesse<br />
für das andere Metier. 1947 öffnete sich zum<br />
ersten Mal der Vorhang im noch reichlich<br />
improvisierten „Kleinen Theater im Zoo“.<br />
Das neue Haus konnte zwar nicht viel Gagen<br />
bezahlen, aber sich schnell einen guten<br />
Ruf verschaffen. Es gab einen ungeheuren<br />
Nachholbedarf, da fast 20 Jahre ausländische<br />
Stücke und Theater auf deutschen Bühnen<br />
nicht stattgefunden hatten. Man eröffnete<br />
mit Strindbergs „Rausch“, dann folgten<br />
Sommerset Maugham, George Bernhard<br />
Shaw, aus Frankreich Jean Anouilh und Jean<br />
Giraudoux, aber auch Autoren der neueren<br />
Szene aus Deutschland: Arthur Schnitzler,<br />
Axel von Ambesser, Gerhard Hauptmann<br />
und die Wiederentdeckung von Henrik<br />
Ibsen. Diese Autoren und die Klassiker<br />
fanden später auf den großen Bühnen im<br />
Lande eine feste Heimat und Fritz Rémond<br />
und sein kleines Theater wandten sich immer<br />
mehr dem Boulevard zu - mit Erfolg.<br />
Es gelang ihm, die großen Namen des<br />
deutschen Theaters zu Gastspielen zu<br />
überreden: Martin Held, Inge Meysel, Curd<br />
Jürgens, Karlheinz Böhm, Heinz Rühmann,<br />
Hilde Krahl und Lil Dagover aus dem<br />
Drama, Werner Finck und Willy Reichert<br />
von der Komik. Daneben entdeckte und<br />
förderte er auch neue Talente: Louise Martini,<br />
Boy Gobert, aber auch Hans-Joachim<br />
Kulenkampff begannen große Karrieren auf<br />
der kleinen Bühne im Zoo.<br />
Film und TV<br />
Der inzwischen etwas in die Breite gegangene<br />
Komödiant stellt mit Vorliebe skurrile<br />
Käuze, versoffene Melancholiker und andere<br />
Gestalten zwischen bramabasierendem<br />
Hochflug und bitteren Lebensumständen<br />
gar. Er war glänzend, viele der Filme, in<br />
denen er auftrat, waren es ganz und gar<br />
nicht. Die meisten davon sind vergessen,<br />
oft zu recht. Man erinnert sich an zwei<br />
klassische TV-Produktionen: „Dr. Murkes<br />
gesammeltes Schweigen“ von Dieter<br />
Hildebrandt nach Heinrich Böll, und 1969<br />
ein Kabinettstückchen aus der Weimarer<br />
Zeit: „Christoph Kolumbus oder die<br />
Entdeckung Amerikas“, geschrieben von<br />
Walter Hasenclever und Kurt Tucholsky. Die<br />
Besetzung war einer der Sternstunden des<br />
deutschen Fernsehens: Karl Michael Vogler<br />
als Columbus. Hans Clarin als Schiffsjunge<br />
und Kneipenwirt, Margit Trooger als Königin<br />
und eine glänzend besetzte Hofkamarilla<br />
mit Joseph Offenbach, Klaus Schwarzkopf,<br />
Maria Sebaldt in Rollen, wie sie nur<br />
diesem Autorenteam einfallen konnten.<br />
Unvergesslich Theo Lingen als König, der<br />
mit Genuss den ersten Kartoffelpuffer<br />
verspeist; Udo Vioff als Amerigo Vespucci,<br />
der dem greisen Kolumbus das Ei desselben<br />
demonstriert und Befremden auslöst, die junge<br />
Hannelore Elsner, nur mit etwas Kupferdraht<br />
bekleidet und natürlich der Häuptling, der<br />
über das kulturelle Sendungsbewusstsein des<br />
fremden Seefahrers nur lachen kann: Fritz<br />
Rémond. „Zivilisation? Hatten wir auch mal.<br />
Haben wir alles abgeschafft“. Zugunsten der<br />
Zigarre und der Kokosnuss mit „Mach mal<br />
Pause“ drauf. Köstlich. Sollte mal wiederholt<br />
werden.<br />
Der Weg des Rémond-Theaters<br />
1970 konnte Fritz Rémond noch die<br />
Ehrenplakette der Stadt Frankfurt entgegen<br />
nehmen. 1976 verstarb er. Im Foyer wurde<br />
seine Büste aufgestellt, dann wurde das<br />
Theater nach ihm benannt. Das wäre ihm im<br />
Zweifelsfall egal gewesen, aber das Theater<br />
setzte seinen Weg fort, zunächst unter der<br />
Leitung seines langjährigen Mitarbeiters, des<br />
Bühnenbildners Lothar Baumgarten. 1985<br />
übernahm dessen Sohn Egon Baumgarten die<br />
Geschäfte, die in der kulturuninteressierten<br />
Zeit gar nicht gut liefen. Die Bühne war<br />
in Gefahr, die Stadt Frankfurt rief um<br />
Hilfe. Claus Helmer, selbst eine Rémond-<br />
Entdeckung, und Chef der Frankfurter<br />
„Komödie“, übernahm das Rémond-Theater<br />
mit einer schweren Schuldenlast. Heute darf<br />
das Rémond-Theater als gerettet gelten und<br />
bietet einen Spielplan, mit dem sich der<br />
Prinzipal hätte leicht anfreunden können.<br />
Der Prinzipal ist tot – dem Theater ist<br />
viel Erfolg und noch ein langes Leben zu<br />
wünschen.<br />
RS<br />
(Bildquelle: panoramio.com)<br />
CD des Monats: TOM ZÉ – COM DEFEITO DE FABRICAÇÃO – MIT PRODUKTIONSFEHLERN<br />
Das könnte der brasilianische Zappa (mit<br />
Captain Beefheart) sein. Mit seinen eigenwilligen<br />
Arrangements und Rhythmen ist Zé<br />
eine wunderbare Bereicherung der brasilianischen<br />
Musikszene.<br />
Die vorliegende CD aus dem Jahr 1998<br />
spiegelt den Menschen mit Fabrikationsfehlern<br />
in einer Umwelt mit ihren Macken.<br />
Zé ist in der kleinen Stadt Irará, Bahia im<br />
nordöstlichen Sertão aufgewachsen. Nach<br />
einem Universitätsabschluss an der Hochschule<br />
für Musik in Salvador da Bahia zog Zé<br />
nach São Paulo, wo er seine Musiker-Karriere<br />
startete. In seinen frühen Arbeiten verarbeitete<br />
er seine Eindrücke einer Großstadt aus<br />
der Sicht eines einfachen Bürgers aus dem<br />
armen Nordosten des Landes.<br />
Beeinflusst durch die Tropicalismo Bewegung<br />
arbeitete Zé, neben Caetano Veloso,<br />
Gilberto Gil, Gal Costa, Os Mutantes,<br />
und Nara Leão, an dem Album „Tropicália<br />
ou Panis et Circensis“ (1968) mit. Während<br />
die anderen großen Künstler später großen<br />
kommerziellen Erfolg hatten, zog sich Zé in<br />
den 70er und 80er weitestgehend zurück.<br />
Im Jahre 1968 belegte Zé außerdem den<br />
ersten Platz des 4. Festivals für populäre brasilianische<br />
Musik (Música Popular Brasileira)<br />
mit dem Lied „São, São Paulo, Meu Amor“.<br />
Er blieb mit seiner Musik immer den<br />
experimentellen und dada Impulsen der<br />
Tropicália Bewegung treu, die er selbst zu<br />
Beginn mit eingeführt hatte, insbesondere<br />
durch seine unorthodoxer Instrumentation<br />
(wie Staubsauger, Schreibmaschine und<br />
Kreissäge). Musikalisch bedient er sich unter<br />
anderem beim Samba, Bossa Nova, brasilianischer<br />
Folk-Musik, Forró, und vom amerikanischen<br />
Rock and Roll. Seine Arbeit wird<br />
von vielen Avantgarde-Komponisten wegen<br />
seiner Dissonanz, Polytonalität und ungewöhnlichen<br />
Taktarten geschätzt.<br />
In den frühen 90ern erlebte Zés Arbeit<br />
durch den Musiker David Byrne eine Renaissance,<br />
als dieser sein Album „Estudando o<br />
Samba“ von 1975 auf einer Reise nach Rio<br />
de Janeiro entdeckte. Byrne veröffentlichte<br />
daraufhin eine Kompilation von Zés Arbeit<br />
und zwei weitere Alben auf seinem Luaka<br />
Bop Label. Ein Gitarren-Riff aus Zés Lied<br />
„Jimmy, Renda-se“ wurde von R&B Sänger<br />
Amerie für dessen Song „Take Control“ verwendet.<br />
In den 90ern komponierte Zé außerdem<br />
Musik für das Ballett der Formation „Grupo<br />
Corpo“.<br />
Zitat: “Ich mache keine Kunst, ich mache<br />
gesprochenen und gesungenen Journalismus”.<br />
Tom Zé über das Album:<br />
Die Ditte <strong>Welt</strong> hat hat eine stark wachsende<br />
Bevölkerung. Die Mehrheit verwandelt<br />
sich in eine Art “Androiden“, quasi immer<br />
Analphabeten und ohne Spezialisierung für<br />
die Arbeit:<br />
So geschieht es hier in den slums von Rio,<br />
São Paulo und im Nordosten des Landes, sowie<br />
an der gesamten Peripherie der Zivilisation.<br />
Diese Androiden sind viel billiger als die<br />
Industrieroboter aus Deutschland und Japan.<br />
Aber es offenbaren sich einige angeborene<br />
„Fehler“, wie sie aufwachsen, denken, tanzen,<br />
träumen- dies sind sehr gefährliche Fehler für<br />
den Herren der Ersten <strong>Welt</strong>.<br />
Er sieht uns, bei unserem handeln, als<br />
„Androiden“ mit Produktionsfehlern.<br />
Sehr interessant: http://www.tomze.com.br<br />
Es gibt auch Videos auf YouTube!<br />
Texte, Übersetzubg,Bild hjs