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soziales - Soziale Welt

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14<br />

KÜNSTLER DES MONATS<br />

Er brachte den Boulevard nach Frankfurt<br />

Dem Künstler flicht die Nachwelt keine<br />

Kränze. Aber manchmal wird er von einer<br />

ganzen Stadt schon zu Lebzeiten ins Herz<br />

geschlossen. Und noch seltener gibt es<br />

dann ein Theater, das floriert und seinen<br />

Namen trägt. Dieses Theater liegt im Zoo-<br />

Gesellschaftshaus. Sein Name:<br />

Fritz Rémond.<br />

Genauer: Fritz Rémond jr., denn er stammt<br />

aus einer sehr aktiven Künstlerfamilie.<br />

Sein Vater, der Senior, war ein bekannter<br />

Heldentenor und brachte es später zum<br />

Intendant der Kölner Oper. Dort konnte er<br />

Otto Klemperer als Generalmusikdirektor<br />

gewinnen. Komödiendichter und<br />

Schauspieler Curt Goetz war sein Neffe.<br />

Auch die Großmutter von Fritz Rémond jr.<br />

war eine bedeutende Sängerin. Von der Oma<br />

hatte er allerdings wenig, denn sie verstarb in<br />

seinem Geburtsjahr 1902.<br />

Der Senior war 1928 in Ruhestand<br />

gegangen und verstarb 1936. Sohn Fritz jr. zog<br />

es auch zur Bühne, allerdings nicht als Sänger,<br />

sondern als Schauspieler mit Ambitionen<br />

zum Theaterleiter. Die Ambitionen in Regie<br />

und Spielleitung konnte er in Prag erfüllen,<br />

bis die Nazis auch dieses deutschsprachige<br />

Theater gleichschalteten. Er schlug sich<br />

bis zum Kriegsende schlecht und recht<br />

durch und wurde dann Impresario einer<br />

Wanderbühne, mit der er von Bad Tölz aus<br />

durch das Land tingelte, um den gebeutelten<br />

Deutschen wenigstens wieder zum Lachen<br />

zu bringen, wenn schon der Magen knurrte.<br />

Die Wanderbühne erreichte auch Frankfurt<br />

am Main.<br />

Auftritt Bernhard Grizmek<br />

Der Neuerfinder das Frankfurter Zoos<br />

und der stimmgewaltige Mime kannten<br />

sich schon aus Prag. Zwei Charaktere, die<br />

gegensätzlicher nicht sein konnten: hier<br />

der Mime, der später durchaus umfänglich<br />

werden würde und als sehr kontaktfreudig<br />

bekannt, wo nicht verschrien war. Dort<br />

der eher spröde Zoologe, aber beide<br />

beharrlich in ihren Zielen und jederzeit<br />

bereit, für ihre Ziele mit jedem zu reden<br />

Das Fritz-Rémond Theater im Frankfurter Zoo<br />

und auch echte Bettelgänge nicht scheuten.<br />

Der Not gehorchend beschloss man eine<br />

Zusammenarbeit zwischen Theater und Zoo,<br />

die heute noch funktioniert. Theater wie Tiere<br />

ziehen Menschen an, wenn auch manchmal<br />

ganz Unterschiedliche, und wecken Interesse<br />

für das andere Metier. 1947 öffnete sich zum<br />

ersten Mal der Vorhang im noch reichlich<br />

improvisierten „Kleinen Theater im Zoo“.<br />

Das neue Haus konnte zwar nicht viel Gagen<br />

bezahlen, aber sich schnell einen guten<br />

Ruf verschaffen. Es gab einen ungeheuren<br />

Nachholbedarf, da fast 20 Jahre ausländische<br />

Stücke und Theater auf deutschen Bühnen<br />

nicht stattgefunden hatten. Man eröffnete<br />

mit Strindbergs „Rausch“, dann folgten<br />

Sommerset Maugham, George Bernhard<br />

Shaw, aus Frankreich Jean Anouilh und Jean<br />

Giraudoux, aber auch Autoren der neueren<br />

Szene aus Deutschland: Arthur Schnitzler,<br />

Axel von Ambesser, Gerhard Hauptmann<br />

und die Wiederentdeckung von Henrik<br />

Ibsen. Diese Autoren und die Klassiker<br />

fanden später auf den großen Bühnen im<br />

Lande eine feste Heimat und Fritz Rémond<br />

und sein kleines Theater wandten sich immer<br />

mehr dem Boulevard zu - mit Erfolg.<br />

Es gelang ihm, die großen Namen des<br />

deutschen Theaters zu Gastspielen zu<br />

überreden: Martin Held, Inge Meysel, Curd<br />

Jürgens, Karlheinz Böhm, Heinz Rühmann,<br />

Hilde Krahl und Lil Dagover aus dem<br />

Drama, Werner Finck und Willy Reichert<br />

von der Komik. Daneben entdeckte und<br />

förderte er auch neue Talente: Louise Martini,<br />

Boy Gobert, aber auch Hans-Joachim<br />

Kulenkampff begannen große Karrieren auf<br />

der kleinen Bühne im Zoo.<br />

Film und TV<br />

Der inzwischen etwas in die Breite gegangene<br />

Komödiant stellt mit Vorliebe skurrile<br />

Käuze, versoffene Melancholiker und andere<br />

Gestalten zwischen bramabasierendem<br />

Hochflug und bitteren Lebensumständen<br />

gar. Er war glänzend, viele der Filme, in<br />

denen er auftrat, waren es ganz und gar<br />

nicht. Die meisten davon sind vergessen,<br />

oft zu recht. Man erinnert sich an zwei<br />

klassische TV-Produktionen: „Dr. Murkes<br />

gesammeltes Schweigen“ von Dieter<br />

Hildebrandt nach Heinrich Böll, und 1969<br />

ein Kabinettstückchen aus der Weimarer<br />

Zeit: „Christoph Kolumbus oder die<br />

Entdeckung Amerikas“, geschrieben von<br />

Walter Hasenclever und Kurt Tucholsky. Die<br />

Besetzung war einer der Sternstunden des<br />

deutschen Fernsehens: Karl Michael Vogler<br />

als Columbus. Hans Clarin als Schiffsjunge<br />

und Kneipenwirt, Margit Trooger als Königin<br />

und eine glänzend besetzte Hofkamarilla<br />

mit Joseph Offenbach, Klaus Schwarzkopf,<br />

Maria Sebaldt in Rollen, wie sie nur<br />

diesem Autorenteam einfallen konnten.<br />

Unvergesslich Theo Lingen als König, der<br />

mit Genuss den ersten Kartoffelpuffer<br />

verspeist; Udo Vioff als Amerigo Vespucci,<br />

der dem greisen Kolumbus das Ei desselben<br />

demonstriert und Befremden auslöst, die junge<br />

Hannelore Elsner, nur mit etwas Kupferdraht<br />

bekleidet und natürlich der Häuptling, der<br />

über das kulturelle Sendungsbewusstsein des<br />

fremden Seefahrers nur lachen kann: Fritz<br />

Rémond. „Zivilisation? Hatten wir auch mal.<br />

Haben wir alles abgeschafft“. Zugunsten der<br />

Zigarre und der Kokosnuss mit „Mach mal<br />

Pause“ drauf. Köstlich. Sollte mal wiederholt<br />

werden.<br />

Der Weg des Rémond-Theaters<br />

1970 konnte Fritz Rémond noch die<br />

Ehrenplakette der Stadt Frankfurt entgegen<br />

nehmen. 1976 verstarb er. Im Foyer wurde<br />

seine Büste aufgestellt, dann wurde das<br />

Theater nach ihm benannt. Das wäre ihm im<br />

Zweifelsfall egal gewesen, aber das Theater<br />

setzte seinen Weg fort, zunächst unter der<br />

Leitung seines langjährigen Mitarbeiters, des<br />

Bühnenbildners Lothar Baumgarten. 1985<br />

übernahm dessen Sohn Egon Baumgarten die<br />

Geschäfte, die in der kulturuninteressierten<br />

Zeit gar nicht gut liefen. Die Bühne war<br />

in Gefahr, die Stadt Frankfurt rief um<br />

Hilfe. Claus Helmer, selbst eine Rémond-<br />

Entdeckung, und Chef der Frankfurter<br />

„Komödie“, übernahm das Rémond-Theater<br />

mit einer schweren Schuldenlast. Heute darf<br />

das Rémond-Theater als gerettet gelten und<br />

bietet einen Spielplan, mit dem sich der<br />

Prinzipal hätte leicht anfreunden können.<br />

Der Prinzipal ist tot – dem Theater ist<br />

viel Erfolg und noch ein langes Leben zu<br />

wünschen.<br />

RS<br />

(Bildquelle: panoramio.com)<br />

CD des Monats: TOM ZÉ – COM DEFEITO DE FABRICAÇÃO – MIT PRODUKTIONSFEHLERN<br />

Das könnte der brasilianische Zappa (mit<br />

Captain Beefheart) sein. Mit seinen eigenwilligen<br />

Arrangements und Rhythmen ist Zé<br />

eine wunderbare Bereicherung der brasilianischen<br />

Musikszene.<br />

Die vorliegende CD aus dem Jahr 1998<br />

spiegelt den Menschen mit Fabrikationsfehlern<br />

in einer Umwelt mit ihren Macken.<br />

Zé ist in der kleinen Stadt Irará, Bahia im<br />

nordöstlichen Sertão aufgewachsen. Nach<br />

einem Universitätsabschluss an der Hochschule<br />

für Musik in Salvador da Bahia zog Zé<br />

nach São Paulo, wo er seine Musiker-Karriere<br />

startete. In seinen frühen Arbeiten verarbeitete<br />

er seine Eindrücke einer Großstadt aus<br />

der Sicht eines einfachen Bürgers aus dem<br />

armen Nordosten des Landes.<br />

Beeinflusst durch die Tropicalismo Bewegung<br />

arbeitete Zé, neben Caetano Veloso,<br />

Gilberto Gil, Gal Costa, Os Mutantes,<br />

und Nara Leão, an dem Album „Tropicália<br />

ou Panis et Circensis“ (1968) mit. Während<br />

die anderen großen Künstler später großen<br />

kommerziellen Erfolg hatten, zog sich Zé in<br />

den 70er und 80er weitestgehend zurück.<br />

Im Jahre 1968 belegte Zé außerdem den<br />

ersten Platz des 4. Festivals für populäre brasilianische<br />

Musik (Música Popular Brasileira)<br />

mit dem Lied „São, São Paulo, Meu Amor“.<br />

Er blieb mit seiner Musik immer den<br />

experimentellen und dada Impulsen der<br />

Tropicália Bewegung treu, die er selbst zu<br />

Beginn mit eingeführt hatte, insbesondere<br />

durch seine unorthodoxer Instrumentation<br />

(wie Staubsauger, Schreibmaschine und<br />

Kreissäge). Musikalisch bedient er sich unter<br />

anderem beim Samba, Bossa Nova, brasilianischer<br />

Folk-Musik, Forró, und vom amerikanischen<br />

Rock and Roll. Seine Arbeit wird<br />

von vielen Avantgarde-Komponisten wegen<br />

seiner Dissonanz, Polytonalität und ungewöhnlichen<br />

Taktarten geschätzt.<br />

In den frühen 90ern erlebte Zés Arbeit<br />

durch den Musiker David Byrne eine Renaissance,<br />

als dieser sein Album „Estudando o<br />

Samba“ von 1975 auf einer Reise nach Rio<br />

de Janeiro entdeckte. Byrne veröffentlichte<br />

daraufhin eine Kompilation von Zés Arbeit<br />

und zwei weitere Alben auf seinem Luaka<br />

Bop Label. Ein Gitarren-Riff aus Zés Lied<br />

„Jimmy, Renda-se“ wurde von R&B Sänger<br />

Amerie für dessen Song „Take Control“ verwendet.<br />

In den 90ern komponierte Zé außerdem<br />

Musik für das Ballett der Formation „Grupo<br />

Corpo“.<br />

Zitat: “Ich mache keine Kunst, ich mache<br />

gesprochenen und gesungenen Journalismus”.<br />

Tom Zé über das Album:<br />

Die Ditte <strong>Welt</strong> hat hat eine stark wachsende<br />

Bevölkerung. Die Mehrheit verwandelt<br />

sich in eine Art “Androiden“, quasi immer<br />

Analphabeten und ohne Spezialisierung für<br />

die Arbeit:<br />

So geschieht es hier in den slums von Rio,<br />

São Paulo und im Nordosten des Landes, sowie<br />

an der gesamten Peripherie der Zivilisation.<br />

Diese Androiden sind viel billiger als die<br />

Industrieroboter aus Deutschland und Japan.<br />

Aber es offenbaren sich einige angeborene<br />

„Fehler“, wie sie aufwachsen, denken, tanzen,<br />

träumen- dies sind sehr gefährliche Fehler für<br />

den Herren der Ersten <strong>Welt</strong>.<br />

Er sieht uns, bei unserem handeln, als<br />

„Androiden“ mit Produktionsfehlern.<br />

Sehr interessant: http://www.tomze.com.br<br />

Es gibt auch Videos auf YouTube!<br />

Texte, Übersetzubg,Bild hjs

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