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soziales - Soziale Welt

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8 SOZIALE ORGANISATION<br />

Tafel Frankfurt Nord-West<br />

Ein Interview mit der Leiterin- Frau Burger<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong> (im folgenden SW): Liebe Frau<br />

Burger, als wir durch die Eingangshalle der hellen<br />

Kirche der evangelischen Gemeinde Cantate<br />

Domino kamen, haben wir sofort gemerkt, dass<br />

es hier viel Arbeit gibt. Die vielen Lebensmittelkörbe<br />

werden hier von vielen fl eißigen Händen<br />

zusammengestellt. Haben sie denn genügend<br />

Helfer?<br />

Frau Burger: Ja, Helfer sind eigentlich immer<br />

reichlich da und da bin ich recht froh drum.<br />

Wir haben gerade einen Aufruf gemacht bei<br />

den Bedürftigen und haben eine super Resonanz<br />

gehabt. Sie kennen das doch selbst:<br />

wenn man das Bedürfnis hat etwas zurückzugeben,<br />

anzupacken und zu helfen.<br />

SW: Sind da auch viele 1 Euro-Jobber dabei?<br />

Frau Burger: Das kann ich nicht so genau sagen.<br />

Die Menschen, die hier bei uns ankommen<br />

und anfragen, müssen sich ja ausweisen,<br />

mit ihrem Frankfurt Pass, ALG II Bescheid<br />

oder Sozialhilfebescheid, damit sie hier bei<br />

der Lebensmittelausgabe berücksichtigt werden<br />

können. Ich denke schon, dass da auch<br />

1 Euro Jobber dabei sind. Es hat sich jetzt<br />

aber auch jemand hier für einen 1 Euro Job<br />

beworben.<br />

SW: Frau Burger, Cantate Domino Gemeinde<br />

steht auf ihrem Namensschild. Das ist hier<br />

die evangelische Kirchengemeinde, welchen<br />

Bezug haben Sie dazu?<br />

Frau Burger: Ich bin im Kirchenvorstand der<br />

Gemeinde und auch Mitglied bei der Frankfurter<br />

Tafel e.V., schon seit einigen Jahren.<br />

Gerade hier in der Nordweststadt brauchen<br />

wir diese Aktion, weil die Nordweststadt<br />

noch nicht versorgt war. Wir haben auch hier<br />

ein ganz anderes Klientel als beispielsweise<br />

in der Rudolphstraße. Wir haben hier viele<br />

allein erziehende Mütter, sehr viel Ausländer<br />

und alte Menschen, die hier schon- also ich<br />

meine auch das Umfeld Hausen, Eschersheim<br />

und die angrenzenden Gemeinden –<br />

Jahrzehnte lang leben.<br />

SW: Wie lange existiert diese Tafel schon?<br />

Frau Burger: Die Tafel in der Nordweststadt<br />

gibt es jetzt im sechsten Jahr.<br />

SW: Frau Burger, wie ist diese Initiative<br />

„Frankfurter Tafel“ eigentlich aufgebaut und<br />

von wem geht sie aus?<br />

Frau Burger:Die Frankfurter Tafel gibt<br />

es schon seit 15 Jahren. Sie geht auf eine<br />

„Wohnzimmerinitiative“ zurück und wurde<br />

von der 75-jährigen Kauffrau Hella Schmieder<br />

und Frankfurter Bürgern gegründet.<br />

SW: Wie finanziert sich die Tafel?<br />

Frau Burger: Da sind doch ziemlich große<br />

Ausgaben. Also bei der Haupttafel, da ist beispielsweise<br />

ein richtiges Kühlhaus, Transporter,<br />

Gabelstapler – also ein Fuhrpark. Dies<br />

sind Großspenden aus der Industrie oder aus<br />

regionalen Großbetrieben. Es gib da einerseits<br />

die Haupttafel in Frankfurt und dann<br />

noch die dezentralen Tafeln, so wie diese hier,<br />

die von der Gemeinde Cantate Domino, mit<br />

Unterstützung der Tafel e.V., betrieben wird.<br />

Wenn wir Waren brauchen, dann rufe ich an<br />

und kann bei der zentralen Tafel in Frankfurt<br />

Waren holen.<br />

SW: Es gibt hier in der Gemeinde Menschen,<br />

die von sich aus die Initiative ergreifen und<br />

bei den Supermärkten und Läden, Waren<br />

abholen?<br />

Frau Burger: Ja, das ist straff organisiert, es<br />

gibt derzeit ca. 12 Märkte im engen Umkreis,<br />

bei denen wir Waren holen können.<br />

SW: Also fragen die einzelnen Helfer in den<br />

Märkten, ob Waren abgegeben werden können?<br />

Frau Bürger: Das mache ich – immer in Absprache<br />

mit der Tafel in Frankfurt.<br />

SW: Wie viele Mitglieder hat den die Tafel e.V.?<br />

Frau Burger: So viele sind das gar nicht. Es<br />

gibt mehr ehrenamtliche Helfer als zahlende<br />

Mitglieder.<br />

SW: Wie hoch ist der Mitgliedsbeitrag?<br />

Frau Burger: Derzeit 60 Euro im Jahr.<br />

SW: Gibt es hier auch Anfeindungen von Bürgern?<br />

Frau Burger: Man erlebt hier ja alles Mögliche,<br />

das haben sie ja schon selber miterlebt.<br />

Manche freuen sich und andere fühlen sich<br />

benachteiligt. Die verstehen dann nicht, dass<br />

es ja hier auch Leute gibt, die fünf Kinder<br />

haben. Wir versuchen ja auch immer Ruhe<br />

und Gerechtigkeit in der Sache walten zu<br />

lassen. Wir geben z.B. Nummern nach dem<br />

Zufallsprinzip aus, dann braucht keiner zwei<br />

Stunden anzustehen oder seinen Platz zu verteidigen.<br />

Um 12 Uhr werden Nummern per<br />

Los verteilt. Dann wissen wir wie viele Körbe<br />

gebraucht werden anhand der Nummern.<br />

Das ist auch eine Kalkulationshilfe, und die<br />

Leute haben dann auch nur ein wirklich erträgliches<br />

Maß an Wartezeit.<br />

SW: Wie viele Menschen kommen denn so<br />

durchschnittlich?<br />

Frau Burger (ganz links) und ihre MitarbeiterInnen<br />

Frau Burger: Das wird alles sehr genau festgehalten.<br />

Die Menschen bekommen einen<br />

Ausweis. Der Ausweis ist begrenzt gültig:<br />

entweder nach Gültigkeitsdauer<br />

des ALG II/<br />

Sozialhilfebescheides,<br />

oder maximal ein halbes<br />

Jahr. Die älteren<br />

Menschen die Grundsicherung<br />

bekommen,<br />

das kann über Jahre gehen,<br />

haben auch dann<br />

Bescheide, die vielleicht<br />

drei Jahre im Voraus<br />

gültig sind. Das machen<br />

wir nicht, wir wollen<br />

nach einem halben<br />

Jahr eine Erneuerung.<br />

Wir haben hier etwa<br />

dreihundert eingetragene,<br />

gemeldete Haushalte:<br />

vom<br />

Fertig: Die Tafel kurz vor der Ausgabe<br />

Einpersonenhaushalt<br />

bis zum Sechspersonenhaushalt.<br />

Die können einmal in der Woche kommen<br />

und es wird auch das Datum vermerkt. Wir<br />

achten auch, wenn’s irgendwie geht, auf Ernährungsgewohnheiten.<br />

Viele Moslems sind<br />

ja auch da, dann achten wir darauf, dass die<br />

keine Schweinefleischprodukte bekommen.<br />

Die Körbe, die sie sehen, werden vorbereitet.<br />

Wir haben drei verschiedene Korb-Kategorien,<br />

je nach Haushaltsgröße. Die werden<br />

vorgefüllt, damit jeder, bis zum letzten in der<br />

Reihe, ein schönes Angebot hat.<br />

SW: Man sieht, es steckt viel Arbeit und viel<br />

Liebe in der Sache. Wie ist denn eigentlich die<br />

Entwicklung vom Anfang der Tafel bis heute?<br />

Was hat sich im Laufe der Zeit geändert?<br />

Frau Burger: Alle, die hier arbeiten sind ehrenamtlich<br />

tätig. Es wird immer mal etwas<br />

geändert, das ist ein laufender Prozess, nichts<br />

Starres. Nachdem der Kirchenvorstand die<br />

Tafel beschlossen hatte, standen wir drei Tage<br />

später hier. Es waren am Anfang vielleicht 20<br />

Leute, die kamen, mittlerweile sind es 300<br />

die Woche über.<br />

SW: Wie viel Zeit wenden Sie für das Projekt auf?<br />

Frau Burger: Ich sag ihnen nur eines, ich<br />

habe in keiner Weise lange Weile. Mich fordert<br />

das jeden Tag, außer sonntags, weil ich<br />

die Märkte im Auge halten muss. Die Märkte<br />

müssen gepflegt werden. Die Waren dürfen<br />

nicht stehen bleiben und es darf keine<br />

Unordnung bei den Märkten zurückbleiben,<br />

damit keine Verärgerung entsteht. Wir holen<br />

von montags bis samstags die Waren ab. Die<br />

Aufgaben habe ich delegiert, aber ich muss<br />

immer auch nachgucken, ob alles läuft und<br />

wie es mit den Waren aussieht, z. B. sind sie<br />

noch im Kühlbereich, ist die Kühlkette nicht<br />

unterbrochen etc.<br />

SW: Das Engagement, das sie hier haben, betrifft<br />

die ganze Person und beschäftigt sie die<br />

gesamte Woche über. Wie ist es in ihrer Familie?<br />

Findet ihr Engagement da Akzeptanz?<br />

Frau Burger: Ja, das ist so; mein Mann ist<br />

im Ruhestand und aber auf anderer Ebene<br />

genauso engagiert wie ich. Ich habe viel zu<br />

erzählen, wenn ich nach Hause komme, er<br />

aber auch.<br />

SW: Wir stehen hier in der Pfarrkirche Cantate<br />

Domino. Das was ich sehe, erinnert mich<br />

irgendwie an das Matthäusevangelium: Die<br />

Jünger sagen zu Jesus: Wir haben hier zwei<br />

Fische und fünf Brote. Das reicht nicht für<br />

die fünftausend, schickt die Menschen weg,<br />

damit sie sich was zu essen besorgen können.<br />

Jesus schickt aber die Leute nicht weg, denn,<br />

wenn jeder gibt was er hat, dann werden alle<br />

satt, wie es in dem Lied heißt. Was ist ihre<br />

persönliche Motivation für ihr Engagement?<br />

Frau Burger: Das ist schwierig zu sagen. Ich<br />

möchte gerne helfen. Aus meinen persönlichen<br />

Erfahrungen bin ich in einem gewissen<br />

Dank verpflichtet, dass ich dies hier überhaupt<br />

machen kann. Wenn man in seinem<br />

Leben essenzielle Krisen durchlebt hat, so<br />

wie ich gesundheitlich, die man überwinden<br />

konnte, dann macht Arbeit für andere<br />

Menschen Spaß. Es gehört auch ein gewisses<br />

Organisationstalent dazu, was mir doch, so<br />

denke ich, gegeben ist.<br />

SW: Sie haben hier ja feste Termine, hätten<br />

sie etwas dagegen, wenn wir diese Termine<br />

auch in der <strong>Soziale</strong>n <strong>Welt</strong> abdrucken?<br />

Frau Burger: Nein überhaupt nicht, das wäre<br />

gut. Es kann auch kein Tourismus entstehen,<br />

da wir bei den Tafeln alle untereinander vernetzt<br />

sind. Die Körbe sind so üppig voll, dass<br />

jeder Haushalt damit etliche Tage auskommen<br />

kann.<br />

SW: Frau Burger, wir bedanken uns für<br />

dieses Gespräch.<br />

Das Interview wurde von S. Schöpf<br />

und G. Pfeifer geführt.<br />

Frankfurter Tafeln<br />

Die Lebensmittelausgabe ist jeden<br />

Dienstag und Freitag in der Ernst-Kahnstraße<br />

20 im Gemeindezentrum Cantate<br />

Domino (Nord-West-Stadt). Die Nummern-Ausgabe<br />

ist jeweils um 11.45 Uhr.<br />

Die Termine in den anderen Stadtteilen<br />

erfahren Sie über:<br />

(069) 4980825<br />

oder über die Website:<br />

http://www.frankfurter-tafel.de/<br />

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