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April 2013 - Theater St. Gallen

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Trug und Selbstbetrug<br />

Terzett im <strong>April</strong><br />

«Kassandra, die Ahnungsvolle, die scheinbar<br />

Warnende und nutzlos Warnende, ist sie immer<br />

ganz unschuldig an dem Unheil, das sie<br />

vorausklagt?», fragt Max Frisch in seinem<br />

Tagebuch. «Irgendeine fixe Meinung unsrer<br />

Freunde, unsrer Eltern, unserer Erzieher,<br />

auch sie lastet auf manchem wie ein altes<br />

Orakel. Ein halbes Leben steht unter der<br />

heimlichen Frage: Erfüllt es sich oder erfüllt<br />

es sich nicht? Mindestens die Frage ist uns<br />

auf die <strong>St</strong>irne gebrannt, und man wird ein<br />

Orakel nicht los, bis man es zur Erfüllung<br />

bringt. Dabei muss es sich durchaus nicht im<br />

geraden Sinn erfüllen; auch im Widerspruch<br />

zeigt sich der Einfluss, darin, dass man so<br />

nicht sein will, wie der andere uns einschätzt.<br />

Man wird das Gegenteil, aber man wird es<br />

durch den andern.»<br />

So kämpfen die Söhne von Willy Loman<br />

im Tod eines Handlungsreisenden verzweifelt<br />

gegen das Bild an, das sich der Vater einst<br />

von ihnen gemacht hat. Längst in die Jahre<br />

gekommen, sollen Biff und Happy noch immer<br />

den unerfüllten Traum vom Erfolg einlösen.<br />

Für jede Diskussion über die triste<br />

Wirklichkeit ist in dieser Familie kein Platz.<br />

Längst werden Erfolge mit ganz anderen<br />

Werten gemacht als mit jenen, an die Willy<br />

Loman glaubt. Sinnbild der vergangenen<br />

Zeit ist seine Gartenoase, die er liebevoll zu<br />

retten versucht: Inzwischen werfen die Betonhochhäuser<br />

der Umgebung ihre langen<br />

Schatten in die einstige Idylle, hier wächst<br />

schon lange nichts mehr. Irgendwo zwischen<br />

Lüge und Selbstbetrug wird in diesem modernen<br />

Klassiker zur veränderten Wirtschaftslage<br />

der 1950er-Jahre eine ganze Familie<br />

zerstört.<br />

«Wir sind noch lange nicht bereit, unsere<br />

Vorstellungen aufzugeben. Wir selber sind<br />

die letzten, die sie verwandeln. Wir halten<br />

uns für den Spiegel und ahnen nur selten,<br />

wie sehr der andere seinerseits eben der<br />

Spiegel unseres erstarrten Menschenbildes<br />

ist, unser Erzeugnis, unser Opfer», schreibt<br />

Max Frisch weiter in seinem Tagebuch.<br />

In unserer zweiten Schauspielproduktion,<br />

die im <strong>April</strong> Premiere haben wird,<br />

droht dem Käthchen von Heilbronn ebenfalls<br />

die Gefahr, Opfer erstarrter Vorstellungen<br />

zu werden.<br />

In der Figur der scheinbar reinen Unschuld<br />

verbirgt sich jedoch ein durchaus<br />

kämpferischer Charakter: Allen Schmerzen<br />

zum Trotz folgt das Mädchen einer Liebe, die<br />

ihr im Traum erschienen ist. Immer neue<br />

Schläge muss sie ertragen, wenn sie dem angebeteten<br />

Menschen begegnet; nur im halbwachen<br />

Zustand ist eine Annäherung möglich.<br />

Bis Graf Wetter vom <strong>St</strong>rahl erkennt,<br />

wen er da vor sich hat. Aber erkennt er sie<br />

wirklich?<br />

Für Max Frisch birgt die Illusion der Liebe<br />

meist schon die Katastrophe in sich:<br />

«‹Du bist nicht›, sagt der Enttäuschte<br />

oder die Enttäuschte, ‹wofür ich dich gehalten<br />

habe.› Und wofür hat man sich denn gehalten?<br />

Für ein Geheimnis, das der Mensch<br />

ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das<br />

auszuhalten wir müde geworden sind. Man<br />

macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose,<br />

der Verrat.»<br />

Karoline Exner<br />

Schauspieldramaturgin<br />

—<br />

4 In der Lokremise<br />

Das Käthchen von Heilbronn<br />

6 Tanz-Premiere<br />

Lovesongs – kein Kuschelrock!<br />

8 Ariadne auf Naxos<br />

Oper von Richard <strong>St</strong>rauss<br />

9 Festspieldetail 4°<br />

11 Kleinveranstaltungen<br />

12 Aus dem Blickwinkel der Presse<br />

15 <strong>Theater</strong> zum Mitmachen<br />

16 Sinfonieorchester<br />

Schweizer Musik(er)<br />

18 Kunstverein<br />

Filipa César – Single Shot Films<br />

20 Veranstaltungsübersicht<br />

—<br />

Titelbild: Daniel Corrales Alvarez und Cecilia Wretemark im getanzten Schauspiel<br />

Die <strong>St</strong>unde da wir nichts voneinander wussten.<br />

Foto: T+T Fotografie / Tanja Dorendorf<br />

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