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Exhaust<br />

Freiheit, die ich meine<br />

Kaum jemand weiß<br />

besser um die wahre<br />

Bedeutung der Worte<br />

„Flucht“ und „Freiheit“<br />

als Tom Howes…<br />

WENN MENSCHEN DAS Erlebnis<br />

Motorradfahren beschreiben, sprechen<br />

sie nur allzu gern von der vielzitierten<br />

„Flucht aus dem Alltag“. Besonders im<br />

Zusammenhang mit <strong>Harley</strong>-Davidson ®<br />

Motorrädern. Das Wort „Flucht“ hat<br />

unterschiedliche Konnotationen für jeden<br />

von uns, denn wir alle sind in der ein<br />

oder anderen Form gebunden. Aber was<br />

es auch sei, das uns bindet: Die Zeit auf<br />

unserem Motorrad lässt uns entfliehen –<br />

für eine Stunde, ein paar Tage oder sogar<br />

noch länger.<br />

Für mich und meine beiden Kollegen<br />

Marc Gonsalves und Keith Stansell<br />

erhielt das Wort „Flucht“ eine geradezu<br />

überlebenswichtige Bedeutung, als wir<br />

am 13. Februar 2003 mit unserem<br />

Flugzeug mitten im kolumbianischen<br />

Dschungel abstürzten. Zwar überlebten<br />

wir den Absturz, wurden dafür aber kurz<br />

darauf von Kämpfern der berüchtigten<br />

Partisanenbewegung des Landes<br />

gefangengenommen. 1.967 Tage lang –<br />

fast fünfeinhalb Jahre – gab es für uns<br />

keine Freiheit.<br />

Was wir durchgemacht haben und unter<br />

welchen Bedingungen wir leben mussten,<br />

lässt sich nur schwer beschreiben. Dennoch<br />

haben wir in unserem Buch „Out of<br />

Captivity“ davon berichtet. Nur soviel sei<br />

gesagt: Der Begriff „Hölle auf Erden“ trifft<br />

es nicht einmal annähernd. Außerdem<br />

wussten wir, dass unsere Bewacher den<br />

Befehl hatten, alle Gefangenen beim<br />

geringsten Flucht- oder Befreiungsversuch<br />

auf der Stelle zu erschießen, sodass uns<br />

wenig Hoffnung blieb, jemals wieder die<br />

Freiheit zu erlangen.<br />

Unter diesen Umständen half uns<br />

nur noch der Rückzug in das Reich der<br />

Phantasie. Also fingen wir an, über eine<br />

Motorradtour zu reden, die wir unseren<br />

„Freedom Ride“ nannten. Sobald wir mit<br />

dieser Vorstellung beschäftigt waren,<br />

fühlten wir uns nicht mehr wie Gefangene,<br />

wie Marc in unserem Buch beschreibt:<br />

90 HOG ® Herbst 2010<br />

Als mit der Zeit unsere Hoffnung auf Freiheit<br />

ebenso wie die Wahrscheinlichkeit einer<br />

Befreiungsaktion schwand, vertieften wir uns<br />

immer mehr in unsere Freedom-Ride-<br />

Phantasien. Vergesst die Billig-Bikes! Wir<br />

kaufen uns ein paar gebrauchte <strong>Harley</strong>s und<br />

bereisen damit den Südosten der Staaten! Als<br />

unsere Niedergeschlagenheit größer wurde,<br />

bedurfte es noch fantastischerer Hirngespinste,<br />

um dem entgegenzuwirken, also malten wir<br />

uns aus, wie wir in eine <strong>Harley</strong>-Davidson<br />

Niederlassung hineinspazierten, dort von<br />

unserer Gefangenschaft berichteten und<br />

anschließend drei nagelneue Bikes zum<br />

absoluten Freundschaftspreis erhielten.<br />

Und dann würden wir sogleich in den<br />

Sattel springen und von Küste zu Küste reisen.<br />

Selbst wenn wir während der fünfminütigen<br />

Pausen [auf Gewaltmärschen] merkten, dass<br />

unsere Stimmung am Boden war, brachte<br />

einer von uns einen Spruch wie „In Tennessee<br />

soll es eine Straße geben, die man den<br />

Schwanz des Drachen nennt.<br />

Dreihundertundachtzehn Kurven auf elf<br />

Meilen. Da müssen wir unbedingt hin.“<br />

Den Rest des Marschs verbrachte ich<br />

dann auf jener Straße, jede einzelne Kurve<br />

in vollen Zügen genießend.<br />

Am 2. Juli 2008 wurden wir von der<br />

kolumbianischen Armee in einer ebenso<br />

präzisen wie gewagten Aktion befreit.<br />

Als wir wieder zu Hause waren,<br />

überstürzten sich die Ereignisse. Wir<br />

trafen Freunde und Verwandte wieder,<br />

gaben Interviews und fingen an, uns<br />

ganz allmählich wieder an das Leben in<br />

Freiheit zu gewöhnen – und dabei hat<br />

uns <strong>Harley</strong>-Davidson ein wenig geholfen.<br />

Ein mit CNN geführtes Interview war<br />

der Grund dafür, dass die Motor<br />

Company von unserer Situation und<br />

von unseren Freedom-Ride-Phantasien<br />

erfuhr. Daraufhin lud man uns zu den im<br />

Sommer stattfindenden 105th Anniversary<br />

Feierlichkeiten in Milwaukee ein – und<br />

teilte uns mit, jeder von uns möge sich<br />

ein neues Bike als Geschenk aussuchen.<br />

Nachdem ich mich von dem „Schock“<br />

erholt hatte, entschied ich mich für eine<br />

105th Anniversary Road King ® des<br />

Modelljahrs 2008. (Nochmals danke,<br />

<strong>Harley</strong>-Davidson!)<br />

Während meiner Abwesenheit ist<br />

meine alte Existenz in die Brüche<br />

gegangen, und ich bin noch immer dabei,<br />

die Scherben zu kitten. Meine Ehe hat<br />

nicht gehalten, und ich versuche nach<br />

wie vor, mit dem normalen Tempo der<br />

„zivilisierten“ Welt Schritt zu halten.<br />

Und ich bemühe mich nach Kräften<br />

darum, das innige Verhältnis wiederherzustellen,<br />

das ich von jeher zu<br />

meinem Sohn Tommy hatte, der<br />

erst fünf Jahre alt war, als ich in<br />

Gefangenschaft geriet.<br />

Meine <strong>Harley</strong> ® war bei alledem der<br />

perfekte Stress-Ableiter, wie auch im<br />

Buch zu lesen ist:<br />

Alle paar Tage hole ich mein neues Bike aus<br />

der Garage und fahre auf eine morgendliche<br />

Tasse Kaffee zu einem Laden namens Osorio.<br />

Es ist kein besonders schicker Laden, aber<br />

allein die Möglichkeit, jederzeit losfahren und<br />

mir einen Pappbecher voll Kaffee holen zu<br />

können, macht mich zufrieden.<br />

(…) Wenn mein Becher leer ist, bleibe<br />

ich nicht mehr lange. Die Rückfahrt in der<br />

allmählich wärmer werdenden Luft ist stets<br />

erfrischend, aber nichts ist schöner für mich<br />

als das Gefühl, wieder in die heimische<br />

Einfahrt einzubiegen.<br />

Freiheit. Ein Wort mit vielen unterschiedlichen<br />

Bedeutungen. Für die<br />

mehreren Hundert Menschen, die immer<br />

noch von der FARC in Gefangenschaft<br />

gehalten werden, bleibt sie ein Traum.<br />

Darum dürfen wir diese Menschen nicht<br />

vergessen. Für die von uns, die diese<br />

Gefangenschaft überlebt haben, bedeutet<br />

Freiheit, nach Hause zu kommen. Für Sie<br />

möge Freiheit ein Leben lang bedeuten,<br />

dass Sie dem Alltag auf Ihrer <strong>Harley</strong><br />

entfliehen können, wann immer Sie es<br />

möchten. Das wünsche ich Ihnen. ■<br />

Tom Howes ist Mitverfasser des<br />

Buchs „Out of Captivity: Surviving<br />

1,967 Days in the Colombian Jungle“<br />

(zusammen mit Marc Gonsalves und<br />

Keith Stansell). Derzeit lebt er mit<br />

seinem Sohn Tommy auf Merritt<br />

Island in Florida.

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