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Australien<br />
Die Idee kam mir vor<br />
etwa 10 Jahren, als ich<br />
meine in Australien<br />
lebende Schwester<br />
besuchte und mit ihr<br />
über die Great Ocean<br />
Road fuhr. „Diese Straße ist wie gemacht<br />
fürs Motorradfahren“, sagte ich mir<br />
damals. 2010 war es dann soweit: Wieder<br />
einmal planten Margaret und ich eine<br />
Australien-Reise und dieses Mal sollte<br />
es endlich eine Motorrad-Tour werden.<br />
Gern hätten wir unsere eigene Maschine<br />
mitgenommen, aber das erwies sich als<br />
nicht praktikabel. Also mieteten wir uns<br />
für zehn Tage eine <strong>Harley</strong> in Sydney.<br />
Schnell gewöhnten wir uns an die<br />
Leihmaschine, denn die mit einem<br />
Tour-Pak ausgestattete Electra Glide<br />
Standard war mit meinem Bike zu Hause<br />
identisch. Als erstes absolvierten wir die<br />
Touristennummer Sydney: einmal über<br />
die Sydney Harbour Bridge, einmal unter<br />
ihr durch, und natürlich jede Menge<br />
Schnappschüsse von der Brücke und vom<br />
Opernhaus. Wir fahren nicht besonders<br />
gern durch Innenstädte und waren froh,<br />
als wir anderntags auf dem Princess<br />
Highway Richtung Melbourne starteten.<br />
Wir fuhren so viel wie möglich auf der<br />
Küstenstraße und erfreuten uns nicht nur<br />
am herrlichen Blick auf die Sea Cliff<br />
Bridge, immer wieder hielten wir an, um<br />
wunderschöne Ausblicke zu genießen.<br />
Wir besuchten wie in den Jahren zuvor<br />
die <strong>Harley</strong>-Davidson Niederlassung in<br />
Wollongong und stellten erstaunt fest,<br />
dass sie ihren Namen geändert hat.<br />
Früher stand „Fairy Meadows“ auf ihren<br />
Shirts, auf denen nun der Schriftzug<br />
„Wollongong“ prangt. Die super<br />
freundlichen Mitarbeiter der Niederlassung<br />
stempelten nach einer Weile Small<br />
Talk unser Meilenformular ab, warnten<br />
uns vor den zahlreichen Radarfallen, mit<br />
denen die erstaunlich rigiden<br />
Geschwindigkeitsbegrenzungen dieses<br />
Landes durchgesetzt werden, das sich<br />
sonst so gern seiner Gelassenheit rühmt.<br />
In Australien herrscht Linksverkehr,<br />
und es gelten fast dieselben Verkehrsregeln<br />
wie in England. Allerdings darf<br />
links und rechts überholt werden, woran<br />
wir uns erst gewöhnen mussten.<br />
Am Ende des zweiten Tages erreichten<br />
wir nach einer sehr entspannten,<br />
wunderschönen Fahrt den Bundesstaat<br />
Victoria. In dem kleinen Örtchen Stratford<br />
am Fluss Avon ergatterten wir das letzte<br />
freie Zimmer eines Motels, vor dem schon<br />
jede Menge Motorräder parkten. Wir<br />
erfuhren schnell, dass die Biker wegen<br />
einer Rally im Nachbarort hierher<br />
gekommen waren, und wir verbrachten<br />
einen fröhlichen Abend in der<br />
Gesellschaft von Bruce, Bruce und Bruce.<br />
Wir schwelgten in Erinnerung an längst<br />
erloschene britische Motorradmarken,<br />
allen voran die Panther, die weniger als<br />
vier Meilen von unserem Heimatort<br />
entfernt gebaut wurde.<br />
Am nächsten Tag, es war ein Samstag,<br />
ging es weiter in Richtung Sorrento Fähre<br />
und Great Ocean Road. Unterwegs hatten<br />
wir ein typisches H.O.G. ® Erlebnis: Wir<br />
trafen auf ein anderes Paar, das ebenfalls<br />
auf einer Electra Glide in derselben<br />
Richtung unterwegs war wie wir. Etwa<br />
eine halbe Stunde lang fuhren wir wie<br />
selbstverständlich Seite an Seite. Bevor<br />
wir uns wieder trennten, hielten wir kurz<br />
an, erzählten uns von unseren Reiseplänen<br />
und tauschten unsere Adressen aus.<br />
Dann ging es mit der Fähre rüber und<br />
weiter nach Geelong, wo wir feststellen<br />
mussten, dass der <strong>Harley</strong> Shop nach guter<br />
australischer Sitte samstagnachmittags<br />
geschlossen ist. Man erklärte uns, dass<br />
alle Australier um diese Zeit Sport treiben<br />
oder in der Kneipe sitzen, um Sportsendungen<br />
am Fernseher zu verfolgen.<br />
Also ging es weiter zur Great Ocean<br />
Road. Da wir die Straße ohne dahin<br />
kriechende Verkehrskolonnen erleben<br />
wollten, beschlossen wir, in Lorne zu<br />
übernachten und das Sahnestück unserer<br />
Reise am Sonntagmorgen in aller Frühe<br />
zu genießen. Diese Nacht gemeinsam<br />
mit sechs Fremden im Zimmer einer<br />
Jugendherberge war für Margaret nicht<br />
gerade das Highlight des Urlaubs, aber<br />
anderseits war es für uns mal eine ganz<br />
neue Erfahrung.<br />
Die Strecke zwischen Lorne und Apollo<br />
Bay lässt Bikerherzen höher schlagen:<br />
Kurven ohne Ende, herrliche Panoramen<br />
und erstklassiger Fahrbahnzustand – und<br />
das alles am Sonntagmorgen ohne Autos<br />
und Wohnmobile, die unseren Fahrspaß<br />
beeinträchtigt hätten. Die Strecke ist<br />
definitiv das beste Stück der Great Ocean<br />
Road, und das Erlebnis hier entlang zu<br />
fahren, ist kaum zu beschreiben. Man<br />
muss es einfach selbst erleben. Wir<br />
waren versucht, an jedem herrlichen<br />
Aussichtspunkt anzuhalten, aber dann<br />
hielt uns der enorme Fahrspaß doch auf<br />
der Straße – wir wollten den einzigartigen<br />
Flow nicht unterbrechen.<br />
Die Fahrt von Warrnambool nach<br />
Skipton war geradezu langweilig.<br />
Meilenweit keine Hügel, keine Kurven<br />
oder Kreuzungen und kein Verkehr<br />
(und keine Polizei und Radarfallen).<br />
In Ballarat legten wir am leeren Lake<br />
Wendouree einen Ruhetag ein, tags darauf<br />
genossen wir bei Daylesford den besten<br />
Kuchen, den ich je gegessen habe und<br />
steuerten dann den <strong>Harley</strong>-Davidson<br />
Händlerstützpunkt in Shepparton an.<br />
Wir verzichteten darauf, in Castlemaine<br />
zu stoppen und das Schloss mit dem<br />
Original zu vergleichen, dem es<br />
nachempfunden ist und das wir während<br />
der Kerry Rally besucht hatten. Wir<br />
passierten Bendigo. Auf Empfehlung eines<br />
dortigen <strong>Harley</strong>-Davidson Mitarbeiters,<br />
dessen Familie in Bright eine Farm<br />
besitzt, bogen wir in die Great Alpine<br />
Road ein und genossen eine herrliche<br />
Fahrt durch eine Landschaft, die wirklich<br />
alpin ist. Bei der Fahrt durch einen Wald<br />
widerstanden wir der Versuchung, einem<br />
Wegweiser mit der Aufschrift „Historic<br />
Tree“ zu folgen, – was sollte es da schon<br />
zu sehen geben? Auch in Bright kamen<br />
wir schnell mit anderen Bikern ins<br />
Gespräch und erhielten wieder einmal<br />
eine gute Empfehlung: ein ganz neues und<br />
sehr vornehmes Hotel bei Falls Creek. Es<br />
war eine wirklich wunderschöne Fahrt auf<br />
einer sehr steilen und kurvigen Straße<br />
nach Mount Beautiful (was ganz nach<br />
australischer Tradition nicht etwa einen<br />
Berg, sondern ein Dorf in einer Talsohle<br />
bezeichnet). Man kann nur empfehlen, an<br />
jedem der dortigen Aussichtspunkte anzuhalten,<br />
die Ausblicke sind unvergleichlich.<br />
Die Nacht in Falls Creek, einem<br />
Wintersportgebiet ohne Schnee, war<br />
ziemlich teuer, dafür aber sehr feudal, die<br />
Badewanne auf dem Balkon war allerdings<br />
außer Betrieb. Wir genossen die Fahrt<br />
nach Wodonga und fuhren weiter über<br />
Carryong bis nach Cooma. Wir fuhren<br />
an einem wunderschönen See entlang,<br />
auf dem tausende von Baumstämmen<br />
schwammen. Dann ging es lange Zeit<br />
durch einsames, bewaldetes Bergland mit<br />
tollen Serpentinen, wir hätten gerne eine<br />
Kaffeepause eingelegt, aber in dieser<br />
Einsamkeit hier oben gab es außer<br />
herrlicher Natur nichts. In Cooma<br />
übernachteten wir und nahmen im<br />
dortigen McDonald’s mittels des<br />
kostenlosen WLAN-Zugangs Kontakt<br />
mit zu Hause auf.<br />
Auf der Fahrt von Cooma nach<br />
Canberra kamen uns viele Biker und eine<br />
ganze Menge Polizeiautos entgegen, die ››<br />
HOG ® Herbst 2010 61