Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Indien<br />
Umso stärker empfanden wir unseren<br />
eigenen Zeitdruck. Es war bereits 13 Uhr<br />
vorüber, unsere Bikes mussten noch<br />
getankt werden, wir selbst waren<br />
schrecklich hungrig und das Flugzeug<br />
würde nicht auf uns warten.<br />
Nach einem Abstecher in die schmalen<br />
Seitengassen, in denen einheimische<br />
Kinder uns mit viel Überzeugungskraft<br />
Bücher, Postkarten und Schlüsselanhänger<br />
mit kleinen Taj-Mahal-Schneekugeln<br />
verkaufen wollten, betraten wir die<br />
großzügige Empfangshalle des Oberoi<br />
Hotels, wo wir zu Mittag aßen. Serviert<br />
wurde eine schmackhafte Mischung<br />
aus regionalen Spezialitäten wie zum<br />
Beispiel Mango-Wassermelonensuppe<br />
und vertrauteren Gerichten wie<br />
Hühnchenspieße.<br />
Gestärkt stiegen wir wieder auf unsere<br />
<strong>Harley</strong>s und die zweite Schlacht von<br />
Agra begann für uns, aber diesmal waren<br />
wir besser vorbereitet. Schon bald<br />
verwandelten sich die Straßen von Agra in<br />
eine Hölle auf Rädern, in der wir von der<br />
indischen Mittagssonne gebraten und ein<br />
ums andere Mal zwischen Rikschas und<br />
bunt bemalten Transportlastern in die<br />
Zange genommen wurden.<br />
Schließlich konnten wir im allgemeinen<br />
Verkehrsgewirr die Gruppe nicht länger<br />
zusammenhalten. Von nun an musste<br />
sich jeder von uns auf eigene Faust bis zur<br />
anderen Seite der Stadt durchkämpfen.<br />
Das Lotsenauto war fast nicht mehr zu<br />
sehen. Mein natürliches Bedürfnis, auf die<br />
anderen zu warten, kollidierte mit dem<br />
noch größeren Bedürfnis, den Lotsen<br />
einzuholen, damit wir uns nicht völlig<br />
verirrten. Vorsichtig wühlte ich mich mit<br />
meiner Maschine durch den Verkehr,<br />
um den Wagen im Blick zu behalten,<br />
gleichzeitig hielt ich ständig per<br />
Rückspiegel Ausschau nach Amanda.<br />
Endlich erspähte ich hinter mir das<br />
Licht eines Motorradscheinwerfers, das<br />
sich rasch näherte. Es war Amanda. Sie<br />
rief mir zu, sie habe einen Zusammenstoß<br />
gehabt, es sei ihr aber nichts passiert.<br />
Mehr konnten wir uns nicht zurufen.<br />
Als endlich Shige und John zu uns<br />
aufschlossen, hatten wir eine weitere<br />
Stunde in Agra verloren. Wir formierten<br />
uns wieder hinter unserem Lotsen und<br />
gaben ordentlich Gas.<br />
Die Zeit verging rasch. Schnell wurde<br />
es Nacht und die Dunkelheit hüllte alles<br />
in ein undurchdringliches Schwarz.<br />
Im Verkehrsgetümmel der Umgehungsstraßen<br />
von Neu-Delhi blendeten uns die<br />
entgegenkommenden Fahrzeuge so stark,<br />
dass wir glaubten, alle Fahrer hätten das<br />
Fernlicht eingeschaltet. Wir konnten uns<br />
gar nicht wirklich orientieren.<br />
Wir folgten unserem Lotsen schließlich<br />
blindvertrauend durch ein hölzernes<br />
Tor in den kleinen Hof, der das Depot<br />
für unsere Motorräder war. Endlich<br />
konnten wir absteigen. Wir streckten<br />
unsere Gliedmaßen und sahen uns an.<br />
Auf unseren staubigen Gesichtern<br />
zeigten sich Erleichterung und Siegesfreude,<br />
als wir uns lachend auf die<br />
Schultern klopften und gegenseitig<br />
zu unserer Verrücktheit gratulierten.<br />
Dann eine kurze Dusche im Hotel und<br />
ab ging es mit dem Taxi zum Flughafen.<br />
Unterwegs konnte Amanda uns endlich<br />
erzählen, was ihr in Agra passiert war:<br />
Sie war mit einem dreirädrigen Tuk-Tuk<br />
zusammengestoßen, das sie geschnitten<br />
hatte. Um ein Haar hätte sie die Balance<br />
verloren und wäre mit der Nightster<br />
umgestürzt. Dann war sie noch von<br />
einem Affen verfolgt worden, den sie aber<br />
glücklicherweise abschütteln konnte. Als<br />
sie davon erzählte, musste sie lachen, und<br />
wir lachten mit ihr. Das Lachen tat gut,<br />
es befreite uns von der Anspannung der<br />
anstrengenden Rückfahrt.<br />
Als unser Wagen am Flughafen anhielt,<br />
holte ich vier Schlüsselanhänger mit<br />
kleinen Taj-Mahal-Schneekugeln aus<br />
der Tasche meiner verdreckten und<br />
verschwitzten Motorradjacke. Ich verteilte<br />
sie an Amanda, Shige und John und<br />
behielt einen für mich selbst – billige<br />
Andenken an ein Abenteuer, wie wir es<br />
wohl nie mehr erleben werden. Wir<br />
schüttelten die kleinen Kugeln, um den<br />
Kunstschnee in Wallung zu bringen, und<br />
mir wurde klar, dass dies eine passende<br />
Analogie zu unserem Ausflug war, denn<br />
Schnee auf der Kuppel des Tadsch Mahal<br />
ist ungefähr so selten wie eine <strong>Harley</strong> vor<br />
seiner Pforte.<br />
Aber das wird sich ja nun in Zukunft<br />
vielleicht ändern. Alles scheint möglich in<br />
einem so zauberhaften Land wie Indien. ■<br />
Weitere Informationen über die<br />
Präsenz von <strong>Harley</strong>-Davidson in<br />
Indien finden Sie auf der Website<br />
www.harley-davidson.in<br />
HOG ® Herbst 2010 55