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Vivum 06 | COSY

Die vivum ist ein Magazin für trendige Erwachsene der Region Laupheim.

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24<br />

Krass<br />

KULTURSCHOCK<br />

04. März 2010 - Das Auto ist bis obenhin voll beladen und die<br />

Verabschiedung von meiner Familie naht. Diesmal wissen alle, es<br />

wird für längere Zeit sein. Es wird bei der einfachen Fahrt bleiben<br />

- ohne Rückfahrt. Ich verlasse mein geliebtes Frankreich, wo ich<br />

geboren und aufgewachsen bin und über 30 Jahre gelebt habe.<br />

Jacques Brel sagte einmal: „Das Schwierigste für jemanden, der<br />

in Vilvoorde lebt und nach Hongkong möchte, sei nicht, nach<br />

Hongkong zu kommen, sondern Vilvoorde zu verlassen.“ So war<br />

es auch für mich. Ich habe mir diesen Schritt lange überlegt und<br />

nach mehreren Aufenthalten im schönen Schwabenland war für<br />

mich klar, hier kann ich mir vorstellen zu leben. Allerdings ließen<br />

die kulturellen Unterschiede nicht lange auf sich warten.<br />

Kehrwoche? Was heißt das?<br />

Nach über 3 Jahren hier in Süddeutschland wundere ich mich<br />

noch immer über die Geschwindigkeit, mit der die Leute auf den<br />

Straßen unterwegs sind. In Frankreich fährt man gerne gemütlich,<br />

auch mal in der Mitte beider Fahrspuren - „tranquille“ eben.<br />

Dass du Franzose in Deutschland bist, spürst du an den Autos,<br />

die dir nur zu gerne am Kofferraum kleben und dir ständig Lichtzeichen<br />

geben, damit du die Fahrspur wechselst. Ebenso weißt<br />

du, dass du Franzose bist, wenn du der Einzige an der roten<br />

Ampel bist, der die Straße überquert. Die bösen Blicke der wartenden<br />

Fußgänger amüsieren mich immer wieder. Wir sind nicht<br />

so diszipliniert wie die Deutschen. Auch die haltenden Autos an<br />

den Zebrastreifen waren für mich neu. In Frankreich wird das<br />

Überqueren eines Zebrastreifens leicht zu einem gefährlichen<br />

Unterfangen.<br />

Fremd war mir auch die „Kehrwoche“. Sehr gewöhnungsbedürftig.<br />

In Frankreich putzt niemand den Hausgang oder die Treppe,<br />

außer der Hausmeister und der wird schließlich dafür bezahlt.<br />

Auch ein großes Thema: „Recycling“. Wehe wenn man Obstabfälle<br />

in den Hausmüll schmeißt, oder Kaugummi in den Kompost<br />

- oh ja - es bedurfte einiger Monate bis ich diese ganze Mülltrennung<br />

verstanden habe. Zum Glück gibt es heute den Gelben<br />

Sack! Mit einer Sache kann ich mich allerdings bis heute nicht<br />

anfreunden: Schneeschippen. Was? Frühmorgens aufstehen und<br />

den Fußweg und die Einfahrt freischippen?! Ja! Was denken sonst<br />

die Nachbarn?<br />

Auch den Sonntag verbringt man in Frankreich nicht wie hier.<br />

In Frankreich nutzen die Leute den freien Tag, um ihr Auto zu<br />

waschen oder sich handwerklich zu betätigen, den Einkauf<br />

erledigen wir zum Teil am Sonntag, denn es haben einige Supermärkte<br />

auf. Autowaschen am Sonntag im schönen Schwabenland<br />

- einfach undenkbar!<br />

Du weißt ebenso, dass du ein Franzose in Deutschland bist,<br />

wenn du in Frankreich immer der Beste im Englischunterricht<br />

warst und dich hier in Deutschland niemand versteht. Die Deutschen<br />

haben wirklich eine große Stärke für Sprachen. Wo wir<br />

auch schon beim nächsten Punkt wären - Schwäbisch! Warum<br />

habe ich einen 8-monatigen Intensiv-Deutschkurs belegt, wenn<br />

hier niemand richtig deutsch spricht. „Nooch drei Johr hot sich<br />

main Wortschatz allerdings scho mordsmäßig erweiderd ond i<br />

verschdand eich emmer besser.“<br />

Schwäbisch, mein Albtraum!<br />

Im Allgemeinen sind die Deutschen sehr freundlich, hilfsbereit<br />

und zuvorkommend. Allerdings sollte man „la Bise“ (das Küsschen<br />

auf die Wange) vermeiden und es beim einfachen „Hallo“<br />

belassen, um sein Gegenüber nicht in Verlegenheit zu bringen. In<br />

Frankreich ist diese Art von Begrüßung ganz normal. Wenn auf<br />

einer Feier schon 20 Leute da sind, ist man verhungert bis man<br />

sich zum Buffet durchgeküsst hat, aber es gehört nun mal dazu.<br />

Die Anzahl der „Bise“ variiert von Region zu Region. In Paris und<br />

Umgebung sind es zwei, in Marseille zum Beispiel schon vier.<br />

Irritiert war ich auch bei meinem ersten Kinobesuch in Deutschland.<br />

Was - es gibt hier nummerierte Sitzplätze? Ich musste<br />

tatsächlich meinen Platz wechseln (obwohl das Kino nur halb<br />

voll war), weil ich auf dem Platz einer anderen Person saß. Diese<br />

wies mich sehr „freundlich“ darauf hin, indem sie mir ihre<br />

Kinokarte mit dem aufgedruckten Platz zeigte. In Frankreich<br />

hätte diese Person zur Antwort bekommen „Setzen Sie sich doch<br />

woanders hin, es sind noch genügend Plätze frei.“ Auch, dass es<br />

in Deutschland Alkohol im Kino gibt, ist in Frankreich unvorstellbar.<br />

Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was dies für eine<br />

Auswirkung in manchen Bezirken in Frankreich hätte, wenn dort<br />

alkoholische Getränke ausgeschenkt würden.<br />

Du fühlst dich ebenso als Franzose in Deutschland, wenn du an<br />

der Kasse für 3,00 Euro die EC-Karte zückst, anstatt mit einem<br />

50 Euro Schein zu bezahlen. In Frankreich ist die Kartenzahlung<br />

auch bei Kleinbeträgen ganz normal, dort zahlen die Leute zum<br />

größten Teil sogar noch mit Schecks.<br />

Mittlerweile werde ich von meinen französischen Freunden als<br />

„der Deutsche“ bezeichnet. Sie finden, dass ich mich verändert<br />

habe. „Du regst dich schneller auf als früher“, bekomme ich öfter<br />

zu hören. Nur weil ich mich über die verspäteten Busse und die<br />

Hundekacke auf den Straßen aufrege und mich die Kassiererin<br />

an der Supermarktkasse mit ihrer „etwas langsamen Art“ zur<br />

Weißglut bringt. In Deutschland herrscht ein anderer Rhythmus<br />

als in Frankreich, das ist so. Trotz allen Anfangsschwierigkeiten,<br />

bin ich froh, diesen Schritt gemacht zu haben und fühle<br />

mich hier „sauwohl“.<br />

Eugene D. Dorival<br />

Bilder: Zartbitter Eugene

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