Berliner Leben & Arbeit
Weihnachtszauber im Hotel Adlon Kempinski
Weihnachtszauber im Hotel Adlon Kempinski
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LEBEN<br />
sich in die Länge ziehende Balletteinlage.<br />
Kaum erscheint Vladimir Malakhov<br />
auf der Bühne, sind Polina Semionova<br />
und Beatrice Knop nicht weit,<br />
was wiederum gleich Anlass für ein<br />
gemeinsames Tänzchen ist. Irgendeine<br />
Art von Motivation, sei sie nun ganz<br />
abstrakter oder inhaltlicher Art, ist<br />
nicht erkennbar. Nichts ist zwingend<br />
bei diesem hübschen Pas de deux, die<br />
mal eher verspielt und mal etwas leidenschaftlicher,<br />
mal licht, mal dunkel<br />
ausfallen. Man kann sich seinen Teil<br />
denken. Malakhov und Semionova, das<br />
sind Maler und Muse. Wenn Mikhail<br />
Kaniskin und Dmitry Semionov Weintrauben<br />
essen und dann auch noch recht<br />
billig über die Bühne schwanken, liegt<br />
auf der Hand: Dies ist das ausschweifende<br />
<strong>Leben</strong>, dem Caravaggio frönte,<br />
das ungebändigte, zerstörerische Genie,<br />
das das Heilige mit den Gesichtern<br />
von Huren und Strichern malte. Ein Pas<br />
de trois von Malakhov, Shoko Nakamura<br />
und Michael Banzhaf: Das soll wohl<br />
die Dreiecksgeschichte von Caravagio,<br />
der Prostituierten Lena und Ranuccio<br />
sein.<br />
Kurz vor der Pause fährt ein leerer<br />
Bilderrahmen herunter, in der zweiten<br />
Hälfte werden die Szenen etwas theatraler<br />
und mutiger. Aber wenn am Ende<br />
Malakhov und seine Muse tot ineinander<br />
sinken, fragt man sich, wie konnte<br />
das alles nur so schief gehen? „Caravaggio“<br />
ist die erste große Urauf-führung,<br />
die das Staatsballett überhaupt<br />
herausbringt, seit Malakhovs Amtsantritt<br />
vor sechs Jahren. Seitdem hatte<br />
man es in der Regel mit eingekauften<br />
Stücken oder mit kleinen, im Rahmen<br />
von drei-teiligen Ballettabenden präsentierten<br />
Uraufführungen zu tun. Ein<br />
wirklich herausragendes Werk ist dabei<br />
noch nicht entstanden. Auch Christian<br />
Spucks vor drei Jahren herausgebrachtes<br />
„The Seventh Blue“ war sicher<br />
nicht die beste <strong>Arbeit</strong> des vorwiegend<br />
in Stuttgart arbeitenden Choreografen.<br />
Aber was für herausragende, atemlos<br />
machende Ballette hat Spuck über Maler<br />
und ihre Bilder erfunden. Was für<br />
eine Herausforderung hätte für ihn ein<br />
Caravaggio-Abend bedeuten können.<br />
Aber: Nach seinem Einstand in Berlin<br />
hat Vladimir Malakhov bei dem darüber<br />
deutlich enttäuschten Spuck nie<br />
wieder angefragt.<br />
Christian Spuck wäre sicher eine bequemere,<br />
aber im Unterschied zu Mauro<br />
Bigonzetti eine erste Wahl gewesen.<br />
Doch eben diese wagt das Staatsballett<br />
nicht. Dem Intendanten fehlt es an Mut<br />
und so muss man inzwischen sagen,<br />
auch am richtigen ästhetischen Gespür.<br />
Dies ist in der Funktion, die Vladimir<br />
Malakhov innehat ein Problem, das er<br />
selbst auch gar nicht hoch genug einschätzen<br />
kann. Schließlich ist er mit<br />
dem Anspruch in Berlin angetreten, in<br />
der Stadt ein herausragendes, international<br />
konkurrenzfähiges Ballett aufzubauen.<br />
Die Bedeutung, die er als weltweit<br />
gefeierter Tänzer erringen konnte,<br />
war für ihn auch für seine Intendantentätigkeit<br />
die Messlatte. Was das Niveau<br />
seiner Compagnie und die Auswahl der<br />
Tänzer betrifft, ist ihm genau das auch<br />
gelungen. Darüber hinaus hat Malakhov<br />
dem Ballett in der Stadt Glamour<br />
verliehen, er hat es überhaupt populär<br />
gemacht. Doch das Repertoire dümpelt<br />
so vor sich hin, und dieser Provinzpossen-„Carravagio“<br />
zieht das Niveau<br />
jetzt noch weiter hinab. Das Publikum<br />
hat das allerdings nicht gestört. Es hat<br />
sich gemütlich mit diesem kitschigen,<br />
hochkarätigen Ballett eingerichtet, das<br />
nie wehtut, nie herausfordert oder anstrengt.<br />
Empörung würde es wohl eher<br />
geben, wenn sich das Staatsballett aus<br />
dieser etablierten Nische aus Gala und<br />
Zirkusnummer herausbewegen würde.<br />
Ein paar wenige Buh-Rufer hat es dann<br />
aber in all dem vielen Applaus doch<br />
noch gegeben. Sogar für Vladimir Malakhov,<br />
und das wohl zum ersten Mal in<br />
seiner großartigen Karriere. Vielleicht<br />
ist das aber ein Weckruf. Im Sommer<br />
hat Malakhov seinen Intendanten-Vertrag<br />
verlängert, er läuft jetzt bis 2016.<br />
Das ist, wenn Malakhov eine Lösung,<br />
also einen geeigneten Berater findet,<br />
der seine Schwächen ausgleicht, eigentlich<br />
eine gute Lösung.<br />
•<br />
Der gestörte Sittenfrieden<br />
<strong>Berliner</strong> Ensemble: Claus Peymann inszeniert Frank Wedekinds Pubertätsdrama „Frühlings Erwachen“<br />
Claus Peymann weiß, wo<br />
die Gegenwart ihre Wunden<br />
hat. Genau dorthinein<br />
legt er seinen ganzen Finger,<br />
manchmal auch den<br />
ganzen Unterarm. Er fasst<br />
tief ins <strong>Leben</strong> und vermag<br />
gründlich zu irritieren. Er<br />
nimmt dafür Schmähungen<br />
in Kauf, macht sich Feinde;<br />
aber viele sind ihm dankbar<br />
für seine gesellschaftspolitischen<br />
Dienstleistungen.<br />
Er zwingt uns zur Auseinandersetzung<br />
mit heiklen<br />
Themen, wenn wir in unserer Unsicherheit<br />
lieber schweigen. Mit seiner<br />
unbezähmbaren Eitelkeit und seiner<br />
impulsiven Grobheit entreißt er Unheimliches<br />
der Diskretion und stört so<br />
manchen falschen Sittenfrieden.<br />
Auch wenn man Ähnliches von Frank<br />
Wedekind sagen könnte, ist ganz und<br />
gar nicht die Rede von „Frühlings Erwachen“,<br />
das in Peymanns Regie Premiere<br />
hatte. Dazu kommen wir später.<br />
Gemeint ist Peymanns Angebot<br />
an den mehrfachen Mörder und Ex-<br />
RAF-Terroristen Christian Klar, der<br />
wahr-scheinlich im Januar seine Strafe<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Leben</strong> & <strong>Arbeit</strong> 39