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MEIN PASSAU

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SERIE<br />

»DAS BIN ICH UND<br />

DAS IST <strong>MEIN</strong><br />

<strong>PASSAU</strong>«<br />

REIBEREIEN,<br />

SCHREIBEREIEN<br />

von Katharina Krückl<br />

und Tobias Schmidt<br />

Seit knapp fünf Jahren<br />

schreibt er Beiträge<br />

für den M+W Zeitschriftenverlag.<br />

Fußballturnier,<br />

Festivalbericht, Flüchtlingsprotest,<br />

„Feld-Waldund-Wiesen-Föjetong“,<br />

gelegentlich auch eine<br />

Fußnote zur Zeit. Ja, und<br />

Zeit wird’s auch, dass ich<br />

Ihnen darum einmal unseren<br />

Freien Mitarbeiter Tobias<br />

Schmidt vorstelle. Der<br />

zierte sich: „Aber ich habe<br />

doch gar keinen ausgewiesenen<br />

Lieblingsort. Bin<br />

doch überall in der Stadt<br />

im Einsatz“. Aber einen<br />

freundlich-bestimmten Augenaufschlag<br />

später waren<br />

diese Zweifel ausgeräumt.<br />

Wie eins zum anderen<br />

kam...<br />

„Ich lebe seit 1997 in Passau.<br />

Kam wegen des Studiums aus<br />

einem zwischen Fläming und<br />

Lausitz gelegenen 2000-Einwohner<br />

zählenden Städtchen<br />

hierher“. Woher, bitte? „Südbrandenburg,<br />

KfZ-Kennzeichen<br />

EE = Elbe-Elster-Kreis.“<br />

Reichlich 100 Kilometer südlich<br />

von Berlin sei das gewesen,<br />

30 Kilometer bis zur nächsten<br />

Autobahn. „Also noch nicht die<br />

Sandböden der Mark“, lacht<br />

Schmidt, „von wegen: ‚Wir in<br />

Bayern hatten schon Kultur,<br />

als sich in der Mark Brandenburg<br />

noch die Wildschweine<br />

den Arsch an den Föhren wetzten’.“<br />

Bekannt ist der Spruch<br />

ja, „stammt vom BVP-Gründer<br />

und Reichstagsabgeordneten<br />

Georg Heim“, erklärt mir<br />

Schmidt. War ja irgendwie klar,<br />

dass er das „A…-Wort“ nicht<br />

ohne „Bildungszuckerl“ stehen<br />

lassen konnte, so ist er halt. In<br />

dem Spruch ginge es ja um Vorurteile<br />

von uns do, über eben<br />

jenes, gemeinhin „Preußen“<br />

genanntes Eck da droben. Begegnet<br />

ihm das öfters? „Merkwürdigerweise<br />

nicht. Durch<br />

die Redaktionsarbeit lerne ich<br />

häufig Menschen kennen. Das<br />

ist schön, so kenne ich das von<br />

damals auf dem Land. Etwa<br />

1-2 Mal im Monat fragt mich<br />

irgendwer, woher ich denn<br />

komme. Oder besser: Dass ich<br />

ja wohl nicht ‚von do’ sei. Ich<br />

erklär mich dann, aber wirklich<br />

nachfragen, wie’s da so ist und<br />

war… …seltenst.“ Ja, und wie<br />

ist es? „Sumpfland. Vielleicht<br />

mag ich deshalb Weiden recht<br />

gern. Letzte Woche hat man<br />

dort einen Elch gesichtet. Ehrlich,<br />

ich hab ein Beweisfoto!“<br />

AUFGEWACHSEN<br />

IN DER DDR<br />

Und von wegen: wie war’s?<br />

Herr Kollege lässt sich heute<br />

recht bitten. „Die DDR habe<br />

ich bis ins Teenageralter erlebt.<br />

Ich bin in einer kirchlich engagierten<br />

Familie groß geworden.<br />

Das hieß seinen Platz immer<br />

etwas abseits der verordneten<br />

Gemeinschaft finden, gestalten<br />

und behaupten. Ich glaube,<br />

so etwas prägt. Auch über einen<br />

gesellschaftlichen Systemwechsel<br />

hinaus.“ Ach wie? Ist<br />

der Herr Schmidt renitent? „I<br />

wo! Aber man lernt früh, sich<br />

Gedanken über gesellschaftliche<br />

Belange und Ordnungen zu<br />

machen. Sicherlich fließt das<br />

auch in die Redaktionsarbeit<br />

mit ein.“ Geht’s vielleicht konkreter?<br />

„Na, ich versuch’s einmal:<br />

ich habe heute ein Buch<br />

dabei, „LTI“, eine Analyse der<br />

Sprache des Dritten Reiches<br />

des Philologen Viktor Klemperer.<br />

Sprache, das ist so ein<br />

gesellschaftliches Ordnungssystem,<br />

darum hatten wir früher<br />

bei der Lektüre dieses Buch<br />

weniger die NS- als die kommunistische<br />

Herrschaft im<br />

Blick. Was bleibt? Erstens, lies<br />

Dinge gegen den Strich! Zweitens,<br />

Sprache, stiftet im Guten<br />

wie im Bösen Gemeinschaft.<br />

Und wenn sie auf Neutralität<br />

bedacht sein will, kommt sie<br />

oftmals seltsam aseptisch, ja<br />

tot daher. Drittens, neben den<br />

offiziellen Bezeichnungen einer<br />

Sache, eines Ortes oder einer<br />

Person interessieren mich<br />

heute mehr denn je auch die<br />

volkstümlichen, im Alltag gebräuchlichen.<br />

Dort liegen jene<br />

Worte, an denen die Seele vor<br />

Anker geht.“ Sind wir da nicht<br />

auch in der Mundart? „Ja!<br />

Gerade dort bin ich auch mit<br />

Freude dabei. Aber eben nur<br />

beim Zuhören. Der Rest, was<br />

immer ich halt so aufschreibe,<br />

bleibt dahinter zwangsläufig<br />

zurück. Gerade die Porträts in<br />

<strong>MEIN</strong> <strong>PASSAU</strong> quälen mich<br />

10<br />

darum manchmal ziemlich. Da<br />

bleibt so ein letztes Trennendes,<br />

wo du doch Sinn vermitteln,<br />

etwas zusammen führen<br />

wolltest. Das… (lacht) …fuxt.“<br />

EIGENTLICH<br />

WOLLTE ICH<br />

PFARRER WERDEN<br />

Mmh. Job verfehlt? „Ich<br />

will und wollte immer Radio<br />

machen. Oder Pfarrer werden.<br />

Oder andersherum. Aber da<br />

hatten andere etwas dagegen.“<br />

Und warum dann hier? Im<br />

Angesicht des ‚letzten Trennenden’?<br />

„Wann immer ich<br />

in einer Großstadt lebte, kam<br />

ich nie an. Hier gibt es mancherorts<br />

so eine wahnsinnige<br />

Gelassenheit. Der möchte ich<br />

auf den Grund gehen.“ Spannend.<br />

Eine Hypothese wäre<br />

jetzt ganz recht. „Ich glaube,<br />

das liegt zu einem Großteil immer<br />

noch daran, dass Passau<br />

eine Grenzstadt ist. Da existiert<br />

man stets im Angesichts<br />

des Anderen, dessen jenseits<br />

des Grenzzauns. Und ein wenig<br />

abgelegen ist es nun auch,<br />

da kommst du nur mit einer<br />

Grundzufriedenheit gegen<br />

an, sonst wird es schnell zu<br />

eng. Ich glaube, so etwas kann<br />

man kollektiv lernen. Keine<br />

Ahnung wie, keine Ahnung,<br />

wie das nicht zu übersteigerter<br />

Selbstzufriedenheit wird,<br />

die Korrektive dieser Mentalität<br />

habe ich all die Jahre noch<br />

nicht ausgemacht. Kommt womöglich<br />

eines mit der Welt der<br />

offenen Grenzen? Das ist für<br />

Fotos: Krückl<br />

jemanden, der aus einer abgeschlossenen<br />

Welt kommt, recht<br />

aufregend. 1985 kontrastierte<br />

ich in einem Schulaufsatz<br />

die grüne Grenze zur damaligen<br />

Tschechoslowakei und die<br />

peniblen Kontrollen an der damaligen<br />

innerdeutschen Grenze.<br />

Gab ein wenig Ärger. Heute<br />

bin ich nicht wegen der europäischen<br />

und bundesrepublikanischen<br />

Hoheitszeichen hier mit<br />

dir an die Grenze gefahren (siehe<br />

kleines Foto) – mich kriegt keine<br />

Fußball-WM zum Fahne hissen,<br />

dazu habe ich noch zu viele Fahnenappelle<br />

auf dem Schulhof<br />

mitgemacht – sondern, weil es<br />

jedes Mal ein großes Glück ist,<br />

die Stadt einfach so von „herent<br />

und drent“ betrachten zu können.<br />

Und dich aber auch beständig<br />

an der großen, manchmal<br />

behäbigen Selbstverständlichkeit<br />

zu reiben, mit der sie das<br />

eben hinnimmt.

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