Vom Deutschland-Besuch de Gaulles zum ... - Charles de Gaulle
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Lan<strong>de</strong>szentrale für politische Bildung Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
Klaus Pfiffer/Eduard Schön, <strong>Vom</strong> <strong>Deutschland</strong>-<strong>Besuch</strong> <strong>de</strong> <strong><strong>Gaulle</strong>s</strong> <strong>zum</strong> Élysée-Vertrag - Vorschläge für <strong>de</strong>n Unterricht, 2012<br />
Mat 1/2<br />
Ansprache von Staatspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong> <strong>Gaulle</strong> an die <strong>de</strong>utsche Jugend,<br />
Ludwigsburg, 9. September 1962<br />
Sie alle beglückwünsche ich! Ich beglückwünsche Sie zunächst, jung zu sein. Man braucht ja nur die<br />
Flamme in Ihren Augen zu beobachten, die Kraft Ihrer Kundgebungen zu hören, bei einem je<strong>de</strong>n von<br />
Ihnen die persönliche Lei<strong>de</strong>nschaftlichkeit und in Ihrer Gruppe <strong>de</strong>n gemeinsamen Aufschwung mitzuerleben,<br />
um überzeugt zu sein, daß diese Begei sterung Sie zu <strong>de</strong> n Meistern <strong>de</strong>s Lebens und <strong>de</strong>r Zukunft<br />
auserkoren hat.<br />
Ich beglückwünsche Sie ferner, junge D eutsche zu sein, das heißt Kin<strong>de</strong>r eines großen Vol kes. jawohl,<br />
eines großen Volkes, das manchmal, im Laufe seiner Geschichte, gro ße Fehler begangen hat.<br />
Ein Volk, das aber auch <strong>de</strong>r Welt fruchtbare ge istige, wissenschaftliche, künstlerische und philosophische<br />
Wellen gespen<strong>de</strong>t und sie u m unzählige Erzeugnisse seiner Erfindungskraft, seiner Technik und<br />
seiner Arbeit bereichert hat; ein Volk, das in seine m friedlichen Werk, wie a uch in <strong>de</strong>n [73 ] Lei<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s Krieges, wahre Schätze an Mut, Disziplin und Organisation entfaltet hat. Das französische Volk<br />
weiß das voll zu würdigen, da es auch weiß, was es heißt, unternehmens- und schaffensfreudig zu sein,<br />
zu geben und zu lei<strong>de</strong>n.<br />
Schließlich beglückwünsche ich Sie, di e Jugend von heute zu sein. Im Augenblick, wo Sie in das<br />
Berufsleben treten, beginnt für die Menschheit ein neues Leben. Angetrieben von einer dunklen Kraft,<br />
auf Grund eines unbekannten Gesetzes, unterliegen die materiellen Dinge dieses Lebens einer immer<br />
rascheren Umwandlung. Ihre Generation erlebt es und wird es noch weiter erleben, wie die Ergebnisse<br />
<strong>de</strong>r wissenschaftlichen Ent<strong>de</strong>ckunge n und <strong>de</strong>r maschinellen Ent wicklung die physischen Lebensbedingungen<br />
<strong>de</strong>r Menschen tief umwälzen. Dieses wun<strong>de</strong>rbare Gebiet jedoch, das Ihnen offens teht, soll<br />
durch diejenigen, die heute in Ihre m Alter stehen, nicht einigen Auserwäh lten vorbehalten bleiben,<br />
son<strong>de</strong>rn für a lle unsere M itmenschen erschlossen we r<strong>de</strong>n. Sie sollen danach streben, daß <strong>de</strong>r Fortschritt<br />
ein gemeinsames Gut wird, an <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r seinen Anteil hat, so daß er zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Schönen,<br />
<strong>de</strong>s Gerechten und <strong>de</strong>s Guten beiträgt, überall und insbeson<strong>de</strong>re in Län<strong>de</strong>rn wie <strong>de</strong>n unseren, die<br />
die Zivilisation m achen; somit soll <strong>de</strong>n Milliar<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Entwicklungs län<strong>de</strong>rn Leben<strong>de</strong>n dazu<br />
verholfen wer<strong>de</strong>n, Hunger, Not und Unwissenheit zu besiegen und ihre volle Menschenwü r<strong>de</strong> zu erlangen.<br />
Das Leben in dieser Welt birgt jedoch Gefahren. Sie sind um so größer, als <strong>de</strong>r Einsatz stets ethisch<br />
und sozial ist. Es geht darum zu wissen, ob im Laufe <strong>de</strong>r Umwälzungen <strong>de</strong>r Mensch zu einem Sklaven<br />
in <strong>de</strong>r Kollektivität wird, o<strong>de</strong>r nicht; ob es sein Lo s ist, von <strong>de</strong>m riesigen Ameisenhaufen angetrieben<br />
zu wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r nicht; o<strong>de</strong>r ob er die materiellen Fortschritte völlig beherrschen kann und will, um<br />
damit freier, würdiger und besser zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Darum geht es bei <strong>de</strong>r gr oßen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung in <strong>de</strong>r Welt, die sie in zwei g etrennte Lager aufspaltet<br />
und die von <strong>de</strong>n Völkern <strong>Deutschland</strong>s und Frankreichs erheischt, daß sie ihrem I<strong>de</strong>al die Treue<br />
halten, es mit ihrer Politik unterstützen und es, ge gebenenfalls, verteidigen und ihm kämpfend <strong>zum</strong><br />
Sieg verhelfen.<br />
Diese jetzt ganz natürliche Solidarität müssen wir selbstverständlich organisieren. Es ist dies Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Regierungen. Vor allem müssen wir ihr aber einen lebensfähigen Inhalt geben, und das soll insbeson<strong>de</strong>re<br />
das Werk <strong>de</strong>r Jugend sein.<br />
[75] Während unsere bei<strong>de</strong>n Staaten die wirtschaftliche, politische und kult urelle Zusammenarbeit<br />
för<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n, sollte es Ihnen und <strong>de</strong>r französischen Jugend obliegen, alle Kreise bei Ihnen und bei<br />
uns dazu zu bewegen, einan<strong>de</strong>r immer näher zu kommen, sich besser kennenzulernen und engere Ban<strong>de</strong><br />
zuschließen.<br />
Die Zukunft unserer bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Grundstein, auf <strong>de</strong>m die Einheit Europas errichtet wer<strong>de</strong>n<br />
kann und muß, und <strong>de</strong>r höchste Trumpf für die Fr eiheit <strong>de</strong>r Welt bleiben di e gegenseitige Achtung,<br />
das Vertrauen und die Freundschaft zwischen <strong>de</strong>m französischen und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Volk.<br />
Quelle: Über die Freundschaft hinaus ...: Deutsch-französische Beziehungen ohne Illusionen, hrsg. vom Deutsch-<br />
Französischen Institut Ludwigsburg, Stuttgart 1988, S. 64-66