27.10.2014 Aufrufe

FRS-13014_Systembiologie_8_2014

FRS-13014_Systembiologie_8_2014

FRS-13014_Systembiologie_8_2014

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

künstliches leben<br />

gibt es nicht<br />

Anmerkungen zur Ethik<br />

der synthetischen Biologie<br />

von Thorsten Moos<br />

In der ethischen Debatte um die synthetische Biologie<br />

lassen sich zwei Stränge unterscheiden. Der<br />

eine, fundamentale Strang behandelt Grundfragen<br />

des Verhältnisses von Leben und Technik, insbesondere<br />

anhand des Begriffs „künstliches Leben“; im<br />

anderen, eher pragmatischen Strang bündeln sich<br />

konkrete forschungs- und anwendungsethische<br />

Problemstellungen.<br />

Die prekäre Unterscheidung von Natürlichem und<br />

Künstlichem<br />

Die synthetische Biologie – das dürfte zu einem Gutteil ihren<br />

Reiz ausmachen – spielt mit der kulturell tief verwurzelten<br />

Grenze von Natürlichem versus Künstlichem, Lebendigem<br />

versus Technischem, Gegebenem versus Gemachtem. Diese<br />

Grenze ist niemals fest gewesen, sondern hat sich immer wieder<br />

verschoben. Seit Menschen begannen, die dickeren Körner zur<br />

Wiederaussaat zurückzubehalten, haben sie in das Leben, das<br />

sie vorfanden, eingegriffen. Nicht erst in der Moderne ist dieser<br />

Umstand auch reflektiert worden: Das gegebene Leben enthält<br />

immer auch Gemachtes und in diesem Sinne Künstliches. So<br />

präsentiert etwa die Architektur englischer Gärten eine besonders<br />

‚natürliche‘ Natur als Resultat sorgfältigster Planung. In<br />

diesem Sinne steht die synthetische Biologie in einer Kontinuität<br />

von Biotechnologien der Domestizierung, Züchtung und<br />

genetischen Modifikation von Leben.<br />

Nichts Neues also? Nun, immerhin kommt in der Debatte um<br />

die synthetische Biologie diese Grenze auf neue Weise zu Bewusstsein.<br />

Denn die – teils praktizierte, teils programmatische<br />

– Anwendung ingenieurtechnischer Methoden auf das Gebiet<br />

des Lebendigen geht einher mit dem Versprechen, die Lücke<br />

zwischen dem Lebendigen und dem technisch Hergestellten zu<br />

schließen. Wenn die Top-Down-Ansätze einst erfolgreich eine<br />

Minimalzelle erzeugt und die Bottom-Up-Ansätze bis zur Protozelle<br />

gekommen sein werden, dann – so die Vision der synthetischen<br />

Biologie – werden die Mechanismen des Lebens nicht<br />

nur verstanden, sondern auch standardisiert und beherrschbar<br />

sein, sodass Lebewesen mit nahezu beliebigen Zwecken entworfen<br />

und gebaut werden können. Die Grenze zwischen Gegebenem<br />

und Gemachtem, Natürlichem und Künstlichem wird dann<br />

nicht wieder einmal verschoben, sondern endgültig aufgehoben<br />

sein. Dafür steht der Begriff des künstlichen Lebens, der im Kern<br />

des „Hypes“ (Grunwald, 2013) um die synthetische Biologie steht.<br />

In dieser Leitvorstellung gründen sowohl der forschungsgelderzeugende<br />

Glanz der synthetischen Biologie wie auch das Unbehagen<br />

an ihr, das mit Hilfe von Mythen wie „Golem“ oder „Frankenstein“<br />

wie auch religiös in der Anmerkung, der Mensch dürfe<br />

nicht Gott spielen (Boldt et al., 2012), artikuliert wird.<br />

Die Rede vom künstlichen Leben ist ambivalent. In einem weiteren<br />

Sinne verstanden, kann sie ethisch fruchtbar sein. Im strengen<br />

Sinne halte ich sie jedoch für falsch, da sich zeigen lässt,<br />

dass es schon unter recht schwachen begrifflichen Voraussetzungen<br />

künstliches Leben nicht geben kann. Unter „künstlich“<br />

verstehe ich: technisch hergestellt im Sinne Hannah Arendts<br />

(Arendt, 2011), also zweckhaft modelliert und produziert, sodass<br />

das Hergestellte Produkt ist und bleibt (also insbesondere<br />

bedenkenlos wieder zerstört werden kann). „Leben“ zu definieren<br />

möchte ich nicht versuchen. Was auch immer es sei: Hier<br />

soll nur vorausgesetzt werden, dass der Zugang, den wir als<br />

Menschen zum Lebendigen haben, dadurch ausgezeichnet ist,<br />

dass wir selbst Leben sind. Wenn wir etwas als lebendig wahrnehmen<br />

bzw. anerkennen (Rehmann-Sutter, 2013), erkennen<br />

wir das Lebendige, das uns ausmacht, in ihm wieder. Sollte es<br />

also eines Tages gelingen, bottom up im Labor selbstreplizierende,<br />

stoffwechselnde, irritable Systeme zu erzeugen (woran<br />

zu zweifeln ich keinen prinzipiellen Grund sehe), und sollten<br />

wir diese tatsächlich als Leben erkennen, dann werden diese<br />

Systeme im selben Moment aufhören, bloß Produkte, also im<br />

genannten Sinne „künstlich“ zu sein: eben da sie uns, die wir<br />

Leben sind, als Leben gegenübertreten. Der Mythos lässt Golem<br />

und Frankenstein sich gegen ihre Schöpfer wenden; im Science-<br />

Fiction verliebt sich die Ingenieurin in den im doppelten Sinne<br />

gut gebauten Robotermann. Wir können dem Leben gegenüber<br />

16 Forschung Künstliches Leben gibt es nicht www.systembiologie.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!