das magazin 2010 - Frankfurter Presse Club
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30 Auslandsjournalismus<br />
Die Welt im Radio<br />
Der Beginn der Auslandsberichterstattung im deutschen Rundfunk<br />
Reichsaußenminister Dr. Gustav Stresemann vor dem Plenum des Völkerbunds.<br />
Seit Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund 1926 wurden regelmäßig Sitzungen<br />
aus Genf direkt übertragen<br />
Bereits wenige Tage nach den ersten Ausstrahlungen des neuen<br />
<strong>Frankfurter</strong> Rundfunks im April 1924 gingen bei der Redaktion<br />
im alten Postgiroamt Zuschriften weit entfernter, vor allem skandinavischer<br />
Auslandshörer ein. Diese Briefe und Postkarten wurden<br />
in den Programmzeitschriften publiziert und sollten beweisen,<br />
wie weit die Ätherwellen <strong>das</strong> Programm vom Main in alle Welt<br />
verbreiteten. In umgekehrter Richtung war der Radius des neuen<br />
Mediums allerdings weit kleiner gesteckt: Aus technischen und<br />
vor allem rundfunkpolitischen Gründen fanden Direktübertragungen<br />
und Reportagen aus dem Ausland vor 1929 im deutschen<br />
Rundfunk kaum und auch danach nur sporadisch statt. Die Welt<br />
im Radio blieb in den Anfangsjahren des Mediums weitgehend<br />
auf Deutschland beschränkt.<br />
In den ersten Monaten verhinderten vor allem technische Gründe<br />
aktuelle Reportagen aus fernen Ländern; die notwendige Aufnahme-<br />
und Übertragungstechnik war schlicht nicht vorhanden<br />
oder, wie <strong>das</strong> anfangs verwendete Kohlemikrofon, hochempfindlich<br />
und chronisch unzuverlässig. Aufnahmen außerhalb eines Studios<br />
waren damit vollkommen undenkbar. Die ersten dynamischen<br />
Mikrofone machten diesem Missstand zwar bald ein Ende, aber<br />
noch gab es keine Übertragungswagen, die Aufnahmen wurden<br />
meist über einen Vorverstärker und normale Telefonleitungen auf<br />
den Sender geschickt. So etwa bei Sendeformen wie den „Verirrten<br />
Mikrophonen“ oder den „Mikrophonen auf Wanderschaft“, die<br />
ab 1925 vom Leben deutscher Großstädte oder von ausgefallenen<br />
Orten berichteten, etwa aus einem Taucherhelm am Meeresgrund<br />
vor Helgoland (Nordische Rundfunk Aktiengesellschaft/NORAG,<br />
1925), aus einer fliegenden Lufthansamaschine (Südwestdeutsche<br />
FPC10 <strong>das</strong> <strong>magazin</strong><br />
Rundfunkdienst-Aktiengesellschaft, Frankfurt/SÜWRAG, 1926)<br />
oder von der Zugspitze (Deutsche Stunde in Bayern, 1927).<br />
Ungeachtet technischer Schwierigkeiten: Übertragungen, Programmübernahmen<br />
und Reportagen auch aus fernen Ländern<br />
waren prinzipiell möglich und fanden sukzessive statt. Anfangs<br />
hatten sie eher experimentellen Charakter, wie die bisweilen skurril<br />
anmutende Auswahl der Themen und Veranstaltungen zeigt.<br />
Die wohl erste Auslandsübertragung überhaupt, die den <strong>Frankfurter</strong><br />
Gebührenzahlern zu Gehör gebracht wurde, war ein Bericht aus<br />
Österreich von der 88. Versammlung der Gesellschaft deutscher<br />
Naturforscher und Ärzte, die vom 21. bis 25 September 1924 in<br />
Innsbruck stattfand. Hierbei handelt es sich, und dies ist charakteristisch<br />
für <strong>das</strong> Rundfunkprogramm der Weimarer Republik, um<br />
ein dezidiert unpolitisches Thema. Der Rundfunk hatte „unpolitisch“<br />
zu sein, da man seine Wirkungsmacht als Mittel vor allem<br />
linker Propaganda fürchtete wie der Teufel <strong>das</strong> Weihwasser. So<br />
waren es vor allem seichte Unterhaltung sowie sportliche und kulturelle<br />
Ereignisse, die aus dem Ausland im deutschen Rundfunk<br />
gesendet wurden. Berühmt geworden ist die Übertragung Alfred<br />
Brauns von der Verleihung des Literaturnobelpreises an Thomas<br />
Mann in Stockholm, deren Aufnahme sich bis heute erhalten hat.<br />
Den meisten Programmverantwortlichen war jedoch klar, <strong>das</strong>s<br />
ein Rundfunk, der sich und seine Informationsaufgabe ernst nahm,<br />
schlechterdings nicht unpolitisch sein konnte. Politische Ereignisse<br />
und Streitfragen wurden von den deutschen Zeitungen ganz<br />
selbstverständlich ausführlich berichtet und in der Bevölkerung<br />
kontrovers diskutiert; von der aktuellen Berichterstattung des<br />
Rundfunks konnten sie dauerhaft nicht ausgenommen bleiben.<br />
Dem trug die <strong>Frankfurter</strong> SÜWRAG ab 1929 mit der Sendefolge<br />
„Zeitberichte“ Rechnung, in der nun vorrangig internationale<br />
Politik behandelt wurde. Noch fehlte den Beiträgen allerdings <strong>das</strong><br />
Moment des (vermeintlich) Unmittelbaren, <strong>das</strong> wir von heutigen<br />
Auslandsreportagen gewöhnt sind. Politikerreden oder wichtige<br />
Parlamentsdebatten etwa wurden nicht im Originalton mit simultaner<br />
Übersetzung gesendet, sondern komplett ins Deutsche übersetzt<br />
und von Schauspielern vorgetragen. Immerhin aber entstanden<br />
so erstmals im deutschen Rundfunk aktuelle Berichte von<br />
politischer Brisanz und hohem dokumentarischem Wert.<br />
Diese Form der Berichterstattung trug dem bereits erwähnten<br />
Umstand Rechnung, <strong>das</strong>s der Rundfunk unpolitisch zu sein habe.<br />
Daher war <strong>das</strong> Programm aller deutschen Sender vor seiner Ausstrahlung<br />
politischen Überwachungsausschüssen vorzulegen, was<br />
Direktübertragungen zumal da ausschloss, wo die Inhalte der Beiträge<br />
im Voraus nicht bekannt waren. Während aus Frankfurt kein<br />
Fall bekannt ist, in dem der Überwachungsausschuss die Ausstrahlung<br />
einer Sendung unterbunden hätte, fand in Berlin eine weit<br />
strengere Zensur statt, und es kam auch zu Sendeverboten. Mit<br />
dem Wechsel Hans Fleschs, seit 1924 erster Künstlerischer Leiter<br />
der SÜWRAG, auf den Intendantenstuhl der „Berliner Funkstun-<br />
31<br />
de“ waren die <strong>Frankfurter</strong> „Zeitberichte“ ab 1929 auch vom größten<br />
deutschen Sender übernommen worden. In der Hauptstadt<br />
saß Erich Scholz als Vertreter der Reichsinnenministers im Überwachungsausschuss,<br />
derselbe Scholz, der 1932 Rundfunkkommissar<br />
werden, Hans Flesch entlassen und als erstes NSDAP-Mitglied<br />
direkten Einfluss auf den deutschen Rundfunk gewinnen sollte.<br />
1929 gehörte Scholz zwar noch der Deutschnationalen Partei an,<br />
war jedoch bereits ein scharfer Zensor und verbissener Gegenspieler<br />
des neuen Intendanten. Die gesamte Linie des Sendeformats<br />
passte ihm nicht; regelmäßig forderte er Manuskripte an und verhinderte<br />
mehrfach die Übernahme von Sendungen aus Frankfurt.<br />
Der Rundfunk in der Hauptstadt stand sowieso weit stärker<br />
unter direkter Beobachtung der Reichsregierung, als dies bei den<br />
Provinzsendern der Fall war. Daher nahm im Falle der Auslands -<br />
berichterstattung auch <strong>das</strong> Auswärtige Amt mehrfach Einfluss und<br />
verhinderte etwa im Winter 1929/30 die Ausstrahlung einer Sendung<br />
über die Auseinandersetzungen zwischen dem polnischen<br />
Präsidenten Pilsudski und dem Sejm-Präsidenten, den Pilsudski<br />
einen „Dummkopf“ genannt hatte. Aus Angst um ein günstiges<br />
Verhandlungsklima mit dem östlichen Nachbarn wurde der<br />
Bericht nicht gesendet.<br />
Ein hauptberufliches Korrespondentennetz gab es noch nicht<br />
Weniger problematisch wurden offenbar die Übertragungen der<br />
Debatten des Völkerbunds bewertet. Bei Deutschlands Aufnahme<br />
im Jahre 1926 war die Eröffnungssitzung des Plenums mit dem<br />
Einzug der deutschen Delegation und den Reden Stresemanns,<br />
des englischen Premiers MacDonald und des französischen Außenministers<br />
Briand gesendet worden. Ab 1929 fanden solche Übertragungen<br />
aus Genf regelmäßig statt. Der Chefredakteur des<br />
Drahtlosen Dienstes (DRADAG), Josef Räuscher, der sich 1926<br />
gemeinsam mit anderen europäischen Rundfunkvertretern in Genf<br />
aufhielt, nutzte die technische Ausstattung vor Ort für eine<br />
Direktübertragung. Eine Einflussnahme der deutschen Politik<br />
und der Überwachungsausschüsse auf diesen „Sonderdienst“ der<br />
DRADAG ist nicht bekannt.<br />
Doch nicht nur politische Gründe schränkten die Auslandsberichterstattung<br />
in der Zeit der Weimarer Republik erheblich ein:<br />
Es fehlte beinahe vollständig an der personellen Ausstattung,<br />
ein hauptberufliches Korrespondentennetz gab es nicht. Reporter<br />
mussten entweder gezielt zu einem Ereignis anreisen, oder es wurde<br />
auf die Berichte der Zeitungskorrespondenten zurückgegriffen.<br />
Vereinzelt gab es auch Deutsche im Ausland, denen ihr Beruf oder<br />
Vermögen erlaubte, sich nebenbei mit Rundfunkreportagen in<br />
die Heimat zu beschäftigen. Der erste, der regelmäßig über die<br />
Vereinigten Staaten nach Deutschland berichtete, war der deutsche<br />
Journalist Kurt G. Sell, der als deutscher Honorarkonsul in<br />
Washington D.C. lebte.Von dort lieferte er nach einem Abkommen<br />
zwischen der Reichsrundfunk-Gesellschaft (RRG) und der Natio-<br />
Der in Washington D.C. lebende deutsche Journalist<br />
Kurt G. Sell berichtete ab 1931 zweimal im Monat,<br />
„worüber man in Amerika spricht“<br />
nal Broadcasting Corporation (NBC) ab 1931 unter dem Titel<br />
„Worüber man in Amerika spricht“ Kurzvorträge über inneramerikanische<br />
Angelegenheiten. Wie seine Reportagen zu ihren deutschen<br />
Hörern gelangten, beschreibt Sell zu Beginn einer seiner<br />
Sendungen selbst: „Ich spreche vom Funkraum der NBC in<br />
Washington [...] in ein Mikrofon, <strong>das</strong> mit einem Telefonkabel nach<br />
Schenectady im Staate New York direkt verbunden ist. In Schenec -<br />
tady sendet ein gewaltiger Motor meine Stimme nach Beelitz;<br />
von dort geht sie nach Berlin und nach Königswusterhausen; von<br />
dort wird sie durch ganz Deutschland, Österreich und die Schweiz<br />
verbreitet.“<br />
Die Berichterstattung über politische Ereignisse außerhalb der<br />
Reichsgrenzen geriet in den Dreißigerjahren zunehmend unter politischen<br />
Druck, 1932 zunächst nur im Rundfunk unter der Regierung<br />
Papen, die alle deutschen Sender verstaatlichte. Nach Hitlers<br />
Ernennung zum Reichskanzler wurden sowohl Rundfunk als auch<br />
<strong>Presse</strong> vollständig der Kontrolle des neuen Propagandaministers<br />
Goebbels unterworfen; <strong>das</strong> Funkprogramm wurde zum Instrument<br />
der Nazipartei, später der Kriegspropaganda. Eine regelmäßige,<br />
unzensierte und westlichen Standards genügende Auslandsberichterstattung<br />
und der Aufbau eines weltumspannenden Korrespon -<br />
dentennetzes sollten erst nach dem Zweiten Weltkrieg und mit<br />
Gründung der ARD erfolgen.<br />
Armin<br />
H. Flesch<br />
Freier Autor und<br />
Journalist<br />
ahf.ffm@ gmx.de<br />
Fotos: Deutsches Rundfunkarchiv Berlin