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Jahresbericht 2012 - Fritz Thyssen Stiftung

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tung grundlegend veränderten. Umso bemerkenswerter ist es, dass das Hochstift nun die<br />

vollkommen unbekannte Entwurfshandschrift zum Romananfang besitzt und damit die<br />

ersten tastenden Versuche des Autors, in den Text hineinzufinden. Es handelt sich um ein<br />

beidseitig beschriftetes Blatt mit den zwei einleitenden Sonetten und dem Text des Titelblatts.<br />

Sichtbar wird nicht nur die komplette Genese der Ausgangssituation des Romans,<br />

sondern auch die von Novalis vorgesehene Abfolge der Texte, von der im Druck (offenbar<br />

versehentlich) abgewichen wurde.<br />

Interessant ist auch die Provenienz des Blattes: Es war in ein Album montiert, das von der<br />

englischen Schriftstellerin Hope Fairfax Taylor Ende 1907 angelegt wurde. Dieses Album,<br />

das ebenfalls erworben werden konnte, enthält neben der Novalis-Handschrift vor allem<br />

Briefe, die an ihre Großtante, die Übersetzerin Sarah Austin (1793–1867) gerichtet waren,<br />

so etwa von Felix Mendelssohn Bartholdy und von Hans Christian Andersen. Ursprünglich<br />

befand sich das Blatt im Besitz des mit Novalis befreundeten Physikers und Galvanisten<br />

Johann Wilhelm Ritter (1776–1810). Ritter versprach Novalis‘ Bruder Carl von Hardenberg<br />

in einem Brief vom 5. August 1808, diesem alle in seinem Besitz befindlichen Papiere des<br />

verstorbenen Dichters zuzusenden, »mit Ausnahme eines Blattes, welches ich Ihnen nennen<br />

werde: das Brouillon von der Zueignung des Ofterdingen. Sie werden mir dies gern als<br />

Reliquie von dem Seeligen lassen. Ich würde mich von diesem Blatt nicht scheiden können<br />

so wenig als von dem Andenken des Novalis selbst.« Dies war bis jetzt das erste und letzte<br />

Zeugnis für die Existenz des Entwurfs.<br />

Übersetzung und Rezeption der »Vier Bücher« | prof. rolf elberfeld und<br />

dr. henrik jäger, Institut für Philosophie, Universität Hildesheim, arbeiten an dem Projekt<br />

»Die erste Übersetzung der ›Vier Bücher‹ in eine europäische Sprache und ihre Rezeption im<br />

Werk von Christian Wolff«.<br />

Die erste lateinische Übersetzung der »Vier Bücher« – der »Bibel« des spätkaiserzeitlichen<br />

China – aus der Feder des Jesuiten François Noël (1651–1729) erschien im Jahr 1711<br />

und wurde schon im folgenden Jahr von Christian Wolff (1679–1754) rezensiert. Dieses<br />

Werk inspirierte Wolff zu seiner berühmten »Rede über die praktische Philosophie der<br />

Chinesen«, die er 1721 in Halle hielt und die einen Sturm der Entrüstung auslöste –<br />

sodass Wolff 1723 bei Androhung der Todesstrafe Preußen verlassen musste.<br />

Dr. Jäger untersucht anhand des Noëlschen Meisterwerks, warum der Bezug auf die chinesische<br />

Philosophie eine solche Erschütterung auslösen konnte. Weiterhin ist es sein Ziel,<br />

Projekt »Die erste Übersetzung der ›Vier Bücher‹ in eine europäische Sprache und ihre Rezeption im<br />

Werk von Christian Wolff«: Originalausgabe der Übersetzung von François Noël von 1711.<br />

auf der Grundlage der »Rede« und weiterer Schriften Wolffs Kriterien zu erarbeiten, die<br />

eine Bewertung und Einordnung seiner Konfuzianismusrezeption und ihrer Wirkung auf<br />

sein Werk ermöglichen.<br />

Die bisherige Projektarbeit hat ergeben, dass die »Rede« selbst den Schlüssel zur Konfuzianismusrezeption<br />

von Wolff liefert: Vergleicht man das Konfuziusbild, das Wolff in<br />

ihr zeichnet, mit den chinesischen Texten, so ergibt sich, dass Konfuzius nicht ein auswechselbares<br />

Modethema war, sondern eine Quelle der Inspiration für zukunftsweisende<br />

Neuerungen in Wolffs Werk. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist seine »Psychologia<br />

Empirica«, die – über die spätere Rezeption durch Wilhelm Wundt – die moderne Psychologie<br />

beeinflusst hat. Aber auch Wolffs Wirken auf die Politik und das Bildungswesen im<br />

Zeitalter der Aufklärung stellt Parallelen zum konfuzianischen Ethos des Gebildeten dar,<br />

der einen Beitrag zu einer menschlicheren und gerechteren Welt leisten wollte.<br />

Nach dem Projektplan steht die Vorbereitung einer Übersetzung (zentraler Passagen) und<br />

umfassenden Analyse des Werkes von Noël im Vordergrund. In seinem Vorwort schreibt<br />

Noël, dass er seine Arbeit vor allem als Beitrag zur Allgemeinbildung der Europäer verstanden<br />

hat: Er betont, wie wichtig es sei, in einer Zeit, in der so viel über China geredet<br />

wird, die geistigen Grundlagen der chinesischen Kultur zu erfassen. Durch dieses Bewusstsein<br />

als Kulturvermittler konnte Noël – jenseits aller theologischen Streitigkeiten – eine<br />

Übersetzung schaffen, von der sich Christian Wolff tiefgreifend beeinflussen ließ. Es bleibt<br />

noch zu erforschen, auf welche Weise Noëls Text auch auf Gelehrte wie Hume, Quesnay<br />

und Voltaire gewirkt hat. Die geplante Chinesisch-Lateinisch-Deutsche Ausgabe der wichtigsten<br />

Passagen der »Vier Bücher« wird diese bislang nicht beachtete Quelle der Aufklärung<br />

einem breiten Leserkreis zugänglich machen.<br />

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