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Kommunale Gesundheitsberichterstattung - Gesundheit in Herne

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Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

<strong>Kommunale</strong> <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong><br />

Aufgabenplanung zwischen Epidemiologie und<br />

<strong>Gesundheit</strong>spolitik – E<strong>in</strong> Praxisbericht aus der Stadt<br />

<strong>Herne</strong><br />

1. Defizite kommunaler <strong>Gesundheit</strong>spolitik<br />

2. Aufbau kommunaler <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> <strong>in</strong> <strong>Herne</strong><br />

3. Projekte und Initiativen <strong>in</strong> <strong>Herne</strong><br />

3.1 Reduzierung der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit<br />

3.2 Auswertung von Mortalitätsdaten<br />

3.3 <strong>Gesundheit</strong>sförderung und Verhaltensprävention<br />

4. Literatur<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

<strong>Kommunale</strong> <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong><br />

Aufgabenplanung zwischen Epidemiologie und <strong>Gesundheit</strong>spolitik – E<strong>in</strong> Praxisbericht<br />

aus der Stadt <strong>Herne</strong><br />

1. Defizite kommunaler <strong>Gesundheit</strong>spolitik<br />

Schon seit e<strong>in</strong>igen Jahren wird die gesundheitspolitische Diskussion stärker durch Fragen bestimmt,<br />

die im Zusammenhang mit der <strong>Gesundheit</strong>svorsorge und Krankheitsverhütung stehen. Dabei kommt<br />

<strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Sicherung und Verbesserung der Umwelt- und Lebensbed<strong>in</strong>gungen den Städten<br />

und Geme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e besondere Rolle zu. Denn die <strong>Gesundheit</strong> wird zu großen Teilen auch<br />

unmittelbar durch die konkreten Lebens-, Umwelt- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den<br />

bee<strong>in</strong>flußt. E<strong>in</strong>e präventiv orientierte <strong>Gesundheit</strong>spolitik wird deshalb auch dort ansetzen müssen, wo<br />

die Menschen leben und arbeiten.<br />

Freilich ist die Kenntnis der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung <strong>in</strong> weiten Bereichen<br />

unzureichend. <strong>Kommunale</strong> <strong>Gesundheit</strong>spolitik wird zumeist ohne detailliertes Wissen über die<br />

gesundheitliche Lage der Stadtbewohner betrieben. Ebenso fehlen Daten über Kosten und Nutzen<br />

e<strong>in</strong>zelner gesundheitlicher Dienstleistungen oder die Gesamtaufwendungen für den<br />

<strong>Gesundheit</strong>sbereich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt. Und nicht zuletzt fehlt nicht selten e<strong>in</strong>e Übersicht über die<br />

Initiativen und Angebote, die die Förderung der <strong>Gesundheit</strong> der Stadtbewohner zum Ziel haben. E<strong>in</strong>e<br />

Abstimmung der Angebote und e<strong>in</strong>e Sichtung ihrer Qualität erfolgt <strong>in</strong> der Regel nicht.<br />

Dies hat zur Folge, daß die kommunale <strong>Gesundheit</strong>spolitik vielfach nur auf Problemfelder reagiert<br />

und kaum <strong>in</strong> der Lage ist, Akzente zu setzen. Die ohneh<strong>in</strong> knappen Haushaltsmittel und Ressourcen<br />

werden dann dort verausgabt, wo der öffentliche Druck oder die öffentliche Wirksamkeit am größten<br />

ist.<br />

Will man die kommunale <strong>Gesundheit</strong>spolitik versachlichen und auf e<strong>in</strong>e rationale Grundlage stellen,<br />

so bedarf es dazu zunächst e<strong>in</strong>er systematischen Beschreibung der „gesundheitlichen<br />

Versorgungslandschaft" und des gesundheitlichen Risikogeschehens. <strong>Kommunale</strong><br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> kann so als Versuch beschrieben werden, e<strong>in</strong>e regionale und mit<br />

aussagekräftigen „Daten" versehene Bestandsaufnahme und problemorientierte gesundheitliche<br />

Geme<strong>in</strong>dediagnose zu erarbeiten, aus der praxisrelevante gesundheitspolitische Empfehlungen<br />

hervorgehen.<br />

Gegenwärtig steckt die kommunale <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> allerd<strong>in</strong>gs noch <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong>derschuhen. Sowohl <strong>in</strong> konzeptioneller H<strong>in</strong>sicht als auch <strong>in</strong> Fragen der praktischen Umsetzung ist<br />

sie kaum erprobt. Auch e<strong>in</strong> Rückgriff auf die epidemiologische Forschung ist nicht ohne weiteres<br />

möglich. Die Standards der epidemiologischen Forschung können angesichts des Praxisdrucks und<br />

der zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten vor Ort kaum e<strong>in</strong>gehalten werden. <strong>Kommunale</strong><br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> ist daher darauf angewiesen, phantasievoll eigene, gleichwohl<br />

abgesicherte Wege zu gehen. Darüber h<strong>in</strong>aus hat die epidemiologische Forschung die Geme<strong>in</strong>de als<br />

gesundheitspolitisches Handlungsfeld auch noch nicht so bearbeitet, daß e<strong>in</strong> Fundus von<br />

Forschungsergebnissen zur Verfügung stünde, der für die <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> genutzt<br />

werden kann. Aus diesem Grund sollte die <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> nicht mit allzu hohen<br />

Erwartungen und Anforderungen überfrachtet werden. Es dürfte kaum möglich se<strong>in</strong>, alle für die<br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> relevanten Problembereiche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Planungsansatz zu <strong>in</strong>tegrieren,<br />

mag dieser auch noch so theoretisch und methodisch fundiert se<strong>in</strong>.<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

Es kommt darauf an, relevante Problembereiche auszuwählen, die für den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die<br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> geeignet s<strong>in</strong>d. <strong>Kommunale</strong> <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> erfordert<br />

zudem <strong>in</strong>novative Organisationsformen zur Verbesserung des Informationsflusses, zur Mitgestaltung<br />

der Entscheidungsabläufe und zur Verfe<strong>in</strong>erung von Abstimmungsprozessen zwischen den<br />

Beteiligten. Schon das Zusammentragen, Aufarbeiten und Auswerten der von verschiedenen<br />

Instanzen gelieferten „Daten" macht deutlich, daß e<strong>in</strong>e praxisbezogene <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong><br />

nur im Zusammenwirken aller relevanten gesundheitspolitischen Akteure realisiert werden kann.<br />

Sowohl die Erarbeitung der Berichterstellung und deren spätere Akzeptanz - <strong>in</strong>sbesondere im<br />

H<strong>in</strong>blick auf ihre praxisrelevanten Empfehlungen -kann nur gel<strong>in</strong>gen, wenn sie als<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe aller gesundheitlichen E<strong>in</strong>richtungen und Dienste unter E<strong>in</strong>schluß der<br />

gesundheitlichen Selbsthilfegruppen begriffen und organisiert wird.<br />

2. Aufbau kommunaler <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> <strong>in</strong> <strong>Herne</strong><br />

Zum Aufbau e<strong>in</strong>es kommunalen <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong>ssystems hat das <strong>Gesundheit</strong>samt der<br />

Stadt <strong>Herne</strong> die Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialmediz<strong>in</strong>ische Forschung BOSOFO<br />

gesucht, das e<strong>in</strong>e Rahmenkonzeption entworfen und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> enger Abstimmung mit dem<br />

<strong>Gesundheit</strong>samt e<strong>in</strong>en Katalog von gesundheitspolitisch relevanten Berichtsgegenständen<br />

ausgearbeitet hat, dessen Bearbeitung schrittweise und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em überschaubaren Zentrum geleistet<br />

werden kann.<br />

Dabei wurde <strong>in</strong>sbesondere auf die Identifizierung der besonderen lokalen Probleme und auf die<br />

Formulierung von Maßnahmen zu deren schrittweisen Überw<strong>in</strong>dung Wert gelegt. Dieses Verfahren<br />

sichert, daß die wirklich relevanten <strong>Gesundheit</strong>sfragen e<strong>in</strong>er Kommune den Ausgangspunkt des<br />

Berichterstattungssystems und des damit e<strong>in</strong>hergehenden Planungsprozesses bilden.<br />

Dabei konnte auf bestehende Initiativen und Strukturen zurückgegriffen werden. Mit der seit 1989<br />

regelmäßig stattf<strong>in</strong>denden <strong>Herne</strong>r <strong>Gesundheit</strong>skonferenz ist bereits e<strong>in</strong> kooperatives<br />

Organisationsmodell entwickelt worden, das für die kommunale <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> e<strong>in</strong>e<br />

unverzichtbare Grundlage darstellt. Die <strong>Gesundheit</strong>skonferenz ist der Ort, an dem sich alle für die<br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> relevanten E<strong>in</strong>richtungen, Dienste, Träger, Gruppierungen unter<br />

E<strong>in</strong>schluß der Öffentlichkeit und der Kommunalpolitik treffen, um über die <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong><br />

zu diskutieren, die Themenauswahl zu erörtern, Empfehlungen auszusprechen und<br />

die Umsetzung e<strong>in</strong>zuleiten.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Bauste<strong>in</strong> des Rahmenentwurfes für e<strong>in</strong>e <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> besteht dar<strong>in</strong>,<br />

daß das <strong>Gesundheit</strong>samt dafür vorgesehen wird, die <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> zu <strong>in</strong>itiieren, zu<br />

moderieren und zu steuern. Das <strong>Gesundheit</strong>samt <strong>in</strong> <strong>Herne</strong> ist für e<strong>in</strong>e solche Aufgabe vorbereitet, da<br />

es im Rahmen der Beteiligung am Modellprogramm Psychiatrie (1980 bis 1985) und <strong>in</strong> dessen<br />

Fortführung <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>depsychiatrie Aufgaben der Initiierung, Steuerung und Moderation sowie<br />

die Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Begleitforschung e<strong>in</strong>üben konnte.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus hat das <strong>Gesundheit</strong>samt noch zahlreiche andere Projekte <strong>in</strong>s Leben gerufen: Durch<br />

die Projekte „K<strong>in</strong>dervorsorge" und „Familien-Hebammen am <strong>Gesundheit</strong>samt" wird e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e<br />

zielgerichtete Schwangerenvorsorge bei bisher nicht genügend erreichten Risikogruppen<br />

sichergestellt, andererseits werden K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> die regelmäßig stattf<strong>in</strong>denden Vorsorgeuntersuchungen<br />

e<strong>in</strong>bezogen, die ansonsten durch das vorhandene Vorsorgesystem fallen. Und nicht zuletzt wurden<br />

neben den Aktivitäten zur kommunalen <strong>Gesundheit</strong>sförderung wie z. B. dem Programm „<strong>Gesundheit</strong><br />

und Sport <strong>in</strong> <strong>Herne</strong>" und Bemühungen zur Stärkung der gesundheitlichen Selbsthilfebewegung mit<br />

den seit 1989 jährlich stattf<strong>in</strong>denden „<strong>Herne</strong>r <strong>Gesundheit</strong>swochen" zentrale Grundgedanken und<br />

Aktionsstrategien des „Healthy Cities"-Projekt der WHO aufgegriffen.<br />

Für die Moderatorenfunktion des <strong>Gesundheit</strong>samtes im kommunalen Berichterstattungs- und<br />

Planungsprozeß sprechen nicht nur die bereits gemachten Erfahrungen, sondern auch die<br />

grundsätzliche Erwägung, daß das <strong>Gesundheit</strong>samt weder e<strong>in</strong> ausgesprochenes partikulares noch<br />

e<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielles Interesse an der <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> hat.<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

So bietet es am ehesten dafür e<strong>in</strong>e Gewähr, die Aufgaben sachlich und unter Berücksichtigung e<strong>in</strong>er<br />

nicht immer unkomplizierten Interessenlage durchzuführen. Allerd<strong>in</strong>gs wird man nicht erwarten<br />

dürfen, daß e<strong>in</strong>e Institution alle<strong>in</strong> und unmittelbar diese Aufgaben bewältigen kann. So kann<br />

festgestellt werden, daß die Verzahnung von <strong>Gesundheit</strong>skonferenz und Berichterstattung erheblich<br />

<strong>in</strong>tensiviert werden muß. Hilfestellungen durch die wissenschaftliche Begleitung sollen sich daher <strong>in</strong><br />

<strong>Herne</strong> auf die Unterstützung bei der Ausarbeitung e<strong>in</strong>zelner, vorher def<strong>in</strong>ierter Berichtsteile, auf die<br />

Aufbereitung und Zusammenführung von empirischem Datenmaterial und auf die Umsetzung von<br />

prioritären <strong>Gesundheit</strong>szielen erstrecken.<br />

3. Projekte und Initiativen <strong>in</strong> <strong>Herne</strong><br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der skizzierten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und <strong>in</strong> Anbetracht der bestehenden<br />

gesundheitlichen Probleme der Stadt lassen sich im folgenden e<strong>in</strong>ige kurz- und mittelfristige<br />

Arbeitsschwerpunkte skizzieren, die die kommunale <strong>Gesundheit</strong>splanung als Leitperspektive und als<br />

Gegenstand e<strong>in</strong>er <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> betrachten:<br />

3.1 Reduzierung der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit<br />

In der Bundesrepublik und <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen bestehen teilweise beachtliche regionale<br />

Unterschiede <strong>in</strong> der Höhe der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit. Nach den Veröffentlichungen des Landesamtes<br />

für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen belief sich 1987 die Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit<br />

landesweit auf 9,4 Todesfälle je 1 000 Lebendgeborener und <strong>in</strong> kreisfreien Städten durchschnittlich<br />

auf 10,0 Todesfälle. Mit 12,8 Todesfällen bezogen auf 1000 Lebendgeborene fielen die<br />

Vergleichswerte für die Stadt <strong>Herne</strong> relativ ungünstig aus. <strong>Herne</strong> lag 1987 auch deutlich über den<br />

Vergleichszahlen des Reg.-Bez. Arnsberg (9,9 v. Tsd., davon krsfr. Städte 11,2 v. Tsd.). Weitere<br />

regionale Unterschiede lassen sich feststellen, wenn als Indikatoren die Totgeburtenrate und<br />

Frühsterblichkeit der Säugl<strong>in</strong>ge (alle Todesfälle von Lebendgeborenen der ersten 7 Lebenstage,<br />

bezogen auf 1 000 Lebendgeborene) verwendet werden. Nach den Per<strong>in</strong>atalerhebungen `86 und `87<br />

für <strong>Herne</strong> und Westfalen-Lippe lag die per<strong>in</strong>atale Sterblichkeit (Totgeburtenrate und die<br />

Frühsterblichkeit) <strong>in</strong> <strong>Herne</strong> mit 12,1 v. Tsd. erheblich über dem Durchschnitt des Landesteils<br />

Westfalen-Lippe mit 8,3 v. Tsd.<br />

Verschiedene E<strong>in</strong>zelfalluntersuchungen <strong>in</strong> der Bundesrepublik bestätigen die Existenz e<strong>in</strong>er<br />

deutlichen Wechselbeziehung zwischen ökonomischer und sozialer Benachteiligung und e<strong>in</strong>em<br />

erhöhten Mortalitätsrisiko. E<strong>in</strong> offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit<br />

und schwierigen sozialen Lebensumständen der Frauen läßt sich für <strong>Herne</strong> durch die<br />

Per<strong>in</strong>atalerhebung `86 und `87 feststellen. Der Prozentsatz der Schwangeren mit ger<strong>in</strong>gem sozialen<br />

Status (bei Deutschen 9,3 Prozent gegenüber 4,2 Prozent <strong>in</strong> Westfalen-Lippe, bei Ausländer<strong>in</strong>nen<br />

23,9 Prozent gegenüber 4,2 Prozent <strong>in</strong> W.-L.) und der Anteil von Frauen mit schlechter Schulbildung<br />

und ohne Berufsausbildung (bei Deutschen 21,5 Prozent gegenüber 11,4 Prozent <strong>in</strong> W.-L., bei<br />

Ausländer<strong>in</strong>nen 66,9 Prozent gegenüber 42,8 Prozent <strong>in</strong> W.-L.) s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Herne</strong> bemerkenswert hoch<br />

(Ärztekammer 1986 und 1987).<br />

Ferner ist bekannt, daß e<strong>in</strong> Zusammenhang zwischen der mangelnden Inanspruchnahme der<br />

Schwangeren-Vorsorge und der Höhe der Totgeburtenrate und der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit besteht.<br />

Gerade Frauen aus unteren sozialen Schichten, Ausländer<strong>in</strong>nen und sehr junge Schwangere weisen<br />

aus sozialen und/oder sprachlichen Gründen die niedrigste Teilnahmefrequenz bei<br />

Vorsorgeuntersuchungen auf. In <strong>Herne</strong> haben nur 66,6 Prozent der Schwangeren 1987 alle<br />

angebotenen Vorsorgeuntersuchungen gegenüber 68,7 <strong>in</strong> Westfalen-Lippe wahrgenommen.<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

In den Niederlanden und Skand<strong>in</strong>avien, die die niedrigsten Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeitszahlen <strong>in</strong> Europa<br />

aufweisen, stützt man sich auf e<strong>in</strong> ausgebautes Vor- und Nachsorgesystem durch Hebammen, die im<br />

Gegensatz zur Bundesrepublik nicht alle<strong>in</strong> für die Geburtshilfe, sondern zugleich auch für e<strong>in</strong>e<br />

spezielle Sozialarbeit qualifiziert s<strong>in</strong>d. Durch das seit 1989 <strong>in</strong>s Leben gerufene Projekt „Familien-<br />

Hebamme am <strong>Gesundheit</strong>samt" sollen Erfahrungen aus den Niederlanden und Skand<strong>in</strong>avien<br />

adaptiert und zielgerichtet bisher nicht genügend erreichte Risikogruppen <strong>in</strong> die präventive und<br />

kurative Versorgung e<strong>in</strong>bezogen werden. Zu den Aufgaben der Familienhebamme gehört daher<br />

<strong>in</strong>sbesondere die Präsenz <strong>in</strong> den sozialen Brennpunkten der Stadt, wobei sich der Tätigkeitskatalog<br />

nicht nur auf die Beratung und Betreuung <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf Schwangerschaft und Geburt sowie den<br />

Umgang mit dem K<strong>in</strong>d erstreckt. Ebenso bedeutsam ist die soziale Beratung (bezüglich<br />

Mutterschutz, Wohngeld, Sozialhilfe, Haushaltshilfe etc.) und die Vermittlung spezieller Hilfen bei<br />

Partner- und Eheproblemen, Erziehungsschwierigkeiten und Suchtproblemen.<br />

Zur Unterstützung des Projektes wurde im Anschluß an die 1. <strong>Herne</strong>r <strong>Gesundheit</strong>skonferenz, bei der<br />

das Problem der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit ausgiebig diskutiert wurde, der Arbeitskreis<br />

Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit gegründet. Hierdurch soll die Zusammenarbeit mit Gynäkologen und<br />

K<strong>in</strong>derärzten sowie mit gynäkologischen Abteilungen der Krankenhäuser nicht unerheblich<br />

ausgeweitet und <strong>in</strong>tensiviert werden.<br />

3.2 Auswertung von Mortalitätsdaten<br />

Die Stadt <strong>Herne</strong> liegt im <strong>in</strong>dustriellen Ballungsraum Ruhrgebiet, den e<strong>in</strong>ige vorliegende<br />

epidemiologische Untersuchungen als Region mit erhöhtem Sterblichkeitsniveau und hohen<br />

gesundheitlichen Belastungen ausweisen. Nach dem <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zeitweise stark beachteten<br />

„Krebsatlas für die Bundesrepublik Deutschland" zählte <strong>Herne</strong> <strong>in</strong> bezug auf die Krebsmortalität bei<br />

Männern und Frauen zu den 20 Prozent höchst belasteten Städten und Kreisen der Bundesrepublik<br />

(Becker et al. 1984). Besonders auffallend s<strong>in</strong>d die deutlich erhöhten Werte bei der<br />

Magenkrebsmortalität bei den Männern. Ebenfalls stark erhöht gegenüber Regionen mit<br />

Durchschnittswerten ist die Lungenkrebsmortalität bei Männern und Frauen.<br />

Die Ursachen der regionalen Mortalitätsunterschiede s<strong>in</strong>d wenig bekannt. Insbesondere fehlen<br />

ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse über die verursachenden und mitverursachenden<br />

Faktoren. Dies gilt sowohl für arbeitsbed<strong>in</strong>gte Belastungen und Umweltrisiken als auch für<br />

Belastungen der persönlichen Lebenssituation (Konegen 1989).<br />

Um zu begründeten Aussagen über die Verursachungsketten der erhöhten Mortalitätsraten zu<br />

gelangen, ist die Stadt <strong>Herne</strong> am Projekt „Mortalitätsanalyse Ruhrgebiet" beteiligt. Hierbei wird die<br />

Gesamtmortalität der Stadt auf Ebene der Stadtteile (Statistische Bezirke) kle<strong>in</strong>räumig disaggregiert.<br />

Durch die so vorgenommene Vermessung der gesundheitlichen „Landschaft" werden wichtige<br />

Basis<strong>in</strong>formationen über Brennpunkte des <strong>Gesundheit</strong>sgeschehens <strong>in</strong> der Stadt erwartet. Zur<br />

weiteren Klärung der Pathologie bestimmter Lebensbed<strong>in</strong>gungen und zur genaueren Ermittlung der<br />

relevanten Verursachungsketten sollten die Ergebnisse durch epidemiologische Feldstudien ergänzt<br />

werden. Die Ergebnisse der Mortalitätsanalyse werden zum Ende des Jahres vorliegen.<br />

3.3 <strong>Gesundheit</strong>sförderung und Verhaltensprävention<br />

Auf dem Teilgebiet der <strong>Gesundheit</strong>sförderung, das sich auf die Bee<strong>in</strong>flussung des <strong>in</strong>dividuellen<br />

<strong>Gesundheit</strong>sverhaltens bezieht, existiert <strong>in</strong> <strong>Herne</strong> mittlerweile e<strong>in</strong>e breitgefächerte Palette von<br />

Kursen, Beratungen, Aktionen etc., die von unterschiedlichen E<strong>in</strong>richtungen und Institutionen<br />

angeboten werden. Die Hilfen und Informationen zur Senkung der vermeidbare <strong>Gesundheit</strong>srisiken<br />

„übermäßiger Nikot<strong>in</strong>- und Alkoholkonsum", „Fehlernährung", „Bewegungsmangel" und „mangelnde<br />

Stressverarbeitung" s<strong>in</strong>d für den potentiellen Nutzer kaum noch überschaubar. Die verschiedenen<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

Maßnahmen sollen nunmehr im Interesse e<strong>in</strong>er verstärkten Verhaltensprävention besser koord<strong>in</strong>iert,<br />

aufe<strong>in</strong>ander bezogen und abgestimmt werden.<br />

Durch die Herstellung e<strong>in</strong>es ständigen Feedback kann nicht nur vermieden werden, daß es zu<br />

Überangeboten bzw. Defiziten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Bereichen der <strong>in</strong>dividuellen <strong>Gesundheit</strong>sförderung<br />

kommt. Vielmehr lassen sich die Angebote zur Prävention und <strong>Gesundheit</strong>sförderung, die oftmals mit<br />

dem Makel der Mittelschichtsorientierung behaftet s<strong>in</strong>d, durch die Abstimmung mit den sozialen<br />

Diensten zielgruppenspezifisch ausrichten, um gerade die <strong>Gesundheit</strong>schancen der gesundheitlich<br />

benachteiligten Gruppen zu verbessern.<br />

Die Ursachen der regionalen Mortalitätsunterschiede s<strong>in</strong>d wenig bekannt. Insbesondere fehlen<br />

ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse über die verursachenden und mitverursachenden<br />

Faktoren. Dies gilt sowohl für arbeitsbed<strong>in</strong>gte Belastungen und Umweltrisiken als auch für<br />

Belastungen der persönlichen Lebenssituation (Konegen 1989).<br />

Um zu begründeten Aussagen über die Verursachungsketten der erhöhten Mortalitätsraten zu<br />

gelangen, ist die Stadt <strong>Herne</strong> am Projekt „Mortalitätsanalyse Ruhrgebiet" beteiligt. Hierbei wird die<br />

Gesamtmortalität der Stadt auf Ebene der Stadtteile (Statistische Bezirke) kle<strong>in</strong>räumig disaggregiert.<br />

Durch die so vorgenommene Vermessung der gesundheitlichen „Landschaft" werden wichtige<br />

Basis<strong>in</strong>formationen über Brennpunkte des <strong>Gesundheit</strong>sgeschehens <strong>in</strong> der Stadt erwartet. Zur<br />

weiteren Klärung der Pathologie bestimmter Lebensbed<strong>in</strong>gungen und zur genaueren Ermittlung der<br />

relevanten Verursachungsketten sollten die Ergebnisse durch epidemiologische Feldstudien ergänzt<br />

werden. Die Ergebnisse der Mortalitätsanalyse werden zum Ende des Jahres vorliegen.<br />

3.4 <strong>Gesundheit</strong>sförderung und Verhaltensprävention<br />

Auf dem Teilgebiet der <strong>Gesundheit</strong>sförderung, das sich auf die Bee<strong>in</strong>flussung des <strong>in</strong>dividuellen<br />

<strong>Gesundheit</strong>sverhaltens bezieht, existiert <strong>in</strong> <strong>Herne</strong> mittlerweile e<strong>in</strong>e breitgefächerte Palette von<br />

Kursen, Beratungen, Aktionen etc., die von unterschiedlichen E<strong>in</strong>richtungen und Institutionen<br />

angeboten werden. Die Hilfen und Informationen zur Senkung der vermeidbare <strong>Gesundheit</strong>srisiken<br />

„übermäßiger Nikot<strong>in</strong>- und Alkoholkonsum", „Fehlernährung", „Bewegungsmangel" und „mangelnde<br />

Stressverarbeitung" s<strong>in</strong>d für den potentiellen Nutzer kaum noch überschaubar. Die verschiedenen<br />

Maßnahmen sollen nunmehr im Interesse e<strong>in</strong>er verstärkten Verhaltensprävention besser koord<strong>in</strong>iert,<br />

aufe<strong>in</strong>ander bezogen und abgestimmt werden. Durch die Herstellung e<strong>in</strong>es ständigen Feedback<br />

kann nicht nur vermieden werden, daß es zu Überangeboten bzw. Defiziten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Bereichen<br />

der <strong>in</strong>dividuellen <strong>Gesundheit</strong>sförderung kommt. Vielmehr lassen sich die Angebote zur Prävention<br />

und <strong>Gesundheit</strong>sförderung, die oftmals mit dem Makel der Mittelschichtsorientierung behaftet s<strong>in</strong>d,<br />

durch die Abstimmung mit den sozialen Diensten zielgruppenspezifisch ausrichten, um gerade die<br />

<strong>Gesundheit</strong>schancen der gesundheitlich benachteiligten Gruppen zu verbessern.<br />

Die Verknüpfung von Umweltmeßdaten mit Daten zum Auftreten und zur Häufigkeit bestimmter<br />

Krankheiten und Todesursachen ist daher e<strong>in</strong>e vordr<strong>in</strong>gliche Aufgabe. Um verursachende und<br />

mitursachende Wirkungszusammenhänge zwischen Umweltbelastungen und Krankheit bzw. Tod<br />

wissenschaftlich nachweisen zu können, s<strong>in</strong>d umfangreiche Datenerhebungen und deren<br />

Auswertung erforderlich. Die Landesregierung NRW hält e<strong>in</strong>en schrittweisen und systematischen<br />

Ausbau umweltmediz<strong>in</strong>ischer Wirkungskataster über den Bereich der Luftre<strong>in</strong>haltepläne h<strong>in</strong>aus für<br />

erforderlich und beabsichtigt, die Bestrebungen der Kommunen zu unterstützen, derartige Kataster<br />

zu erarbeiten (Landtag NRW, Drucksache 10/3927). Im Rahmen ihrer Bemühungen um e<strong>in</strong>en<br />

verbesserten <strong>Gesundheit</strong>sschutz hat sich die Stadt <strong>Herne</strong> als Modellstadt angeboten, beim Aufbau<br />

e<strong>in</strong>es umweltmediz<strong>in</strong>ischen Wirkungskatasters mitzuwirken. Der Ausbau der umwelt-mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Wirkungsforschung hätte allerd<strong>in</strong>gs nicht nur für diese Region e<strong>in</strong>en richtungweisenden Charakter.<br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>


Abteilung 43/5 Fachbereich <strong>Gesundheit</strong><br />

4. Literatur<br />

Ärztekammer und Kassenärztliche Vere<strong>in</strong>igung Per<strong>in</strong>atologische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Westfalen-<br />

Lippe (1986 und 1987), Kurzstatistik 86 und 87, hektogr. Manuskr.<br />

Becker, N., Frentzel-Beyme, R., Wagner, G. (1984), Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Spr<strong>in</strong>ger, Berl<strong>in</strong>/Heidelberg/New York/Tokyo<br />

Konegen, N. (1989), Mortalitätsanalysen zur Beurteilung sozialer und regionaler Risikoverteilungen -<br />

Befunde und Hypothesen am Beispiel des Ruhrgebietes.<br />

In: Viefhues, H. (Hrsg.), <strong>Gesundheit</strong>sförderung <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den - Der Beitrag der kommunalen<br />

<strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong>, edition bosofo, <strong>Herne</strong><br />

Landtag Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen (Drucksache 10/3927), Große Anfrage der SPD-Fraktion „Umwelt und<br />

<strong>Gesundheit</strong>"<br />

Schäfer, H., Wachtel, W. (1989), Umweltbezogene <strong><strong>Gesundheit</strong>sberichterstattung</strong> - Planungsstudie.<br />

Asgard, Sankt August<strong>in</strong><br />

Von A. Brandenburg und N. Konegen, <strong>Herne</strong>

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