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DIE ENTFALTUNG DES BEWUSSTSEINS ALS EIN WEG ZUR ...

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es in der hiesigen Gegend Tiger geben solle. Nach einer kurzen Phase des Zweifels kommt mir der<br />

Gedanke, daß ich mich im Traum befinden müsse, worauf ich meine Flucht erleichtert fortsetze.<br />

Einige Augenblicke später fällt mir ein, daß ich nicht fliehen muß, da mir ja ein Traumtiger gar<br />

nichts anhaben kann. Jetzt überlege ich mir, was ich tun soll. Einerseits habe ich Interesse daran,<br />

einen angenehmen Flug zu starten, andererseits interessiere ich mich dafür, den Tiger<br />

anzusprechen. Also lasse ich ihn an mich herankommen und frage ihn: 'Wer bist du?'. Der Tiger<br />

schaut verdutzt und verwandelt sich dann in die Gestalt meines verstorbenen Vaters. Als ich ihn<br />

frage, was er wolle, macht er mir mit drohenden Gebärden Vorwürfe der verschiedensten Art. Ich<br />

weise zwar einige Vorwürfe als übertrieben zurück, halte andere aber auch für berechtigt und<br />

entschließe mich dazu, mein Wachleben entsprechend zu ändern. Im gleichen Augenblick wird<br />

mein Vater freundlich und wir reichen uns die Hand zur Aussöhnung. Ich frage ihn, ob er mir<br />

helfen könne. Er ermutigt mich, meinen Weg allein zu gehen. Dann schien er meine eigene Gestalt<br />

anzunehmen und in mich hineinzuschlüpfen. Ich fühle mich wie erlöst und wache danach auf.'<br />

Diesem Bericht ist nachzuschicken, daß mir mein Vater nach seinem Tod sehr häufig als<br />

Alptraumfigur erschienen war, die ich im Kampf besiegte, wobei er sich sogar einmal in eine<br />

Mumie verwandelte. Ich hatte bei solchem blind aggressivem Verhalten zwar ein Triumphgefühl,<br />

doch dieses war jeweils nur von kurzer Dauer. Das aggressive Verhalten paßt eher zum<br />

abendländischen Helden, der das Untier tötet, aber wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht begreift,<br />

daß diesem neue Köpfe wachsen können, oder ein Rächer auftritt, der ihn von hinten erdolcht. Ein<br />

Krieger hingegen raubt sich die Kräfte des Untiers durch die Aussöhnung mit ihm.<br />

Vor aggressivem Verhalten in der inneren Welt sei noch aus anderen Gründen gewarnt. Beim<br />

Töten von Taumgestalten tauchen zuweilen starke Angstgefühle auf, die nach dem Aufwachen<br />

noch anhalten. Außerdem ist es auch aus ethischen Gründen nicht gerechtfertigt, eine<br />

Traumgestalt grundlos anzugreifen, da es möglich ist, daß diese Gestalt ein eigenes Bewußtsein<br />

besitzt und deshalb Schmerzen erleben kann, obwohl - oder, wenn man es richtig versteht, gerade<br />

weil diese Traumgestalt dem gleichen Hirn entstammt wie das Traum-lch (...).<br />

Bei dem beschriebenen Traum kam übrigens ein typischer Autoritätskonflikt zum Ausdruck, der<br />

letztlich auf die Unterdrückung des sog. Aggressionsbedürfnisses aufgrund äußerer und innerer<br />

Zwänge zurückgeht, wie es zuvor erläutert wurde. Dieser Traum hatte positive Folgen für mein<br />

Traum- und Wachleben. Mein Vater tauchte nie mehr als Alptraumgestalt auf. Ich verlor meine<br />

unbegründete Angst vor Autoritäten und trug mutiger das vor, was zu sagen war, obwohl ich mit<br />

Drohungen und Sanktionen zu rechnen hatte. Gleichzeitig wuchs umgekehrt auch meine<br />

Bereitschaft, ichhafte Interessen, die mein Traumvater aufgedeckt hatte, etwas zurückzustecken,<br />

und es wuchs meine Kraft und mein Mut, mehr für die Sache einzutreten. In der<br />

psychoanalytischen Theorie würde man sagen, daß meine Ich-Stärke zunahm, aber innerhalb der<br />

Individual- und Gestaltpsychologie ist der Mut eine Eigenschaft der Gesamtpersönlichkeit, die<br />

gerade aus einer Schwächung des selbstsüchtigen Ichs erwächst. Dieses neigt zu Tollkühnheit, aber<br />

nicht zu Mut.<br />

Ich habe gerade dieses Beispiel an den Anfang gestellt, weil häufig zu Beginn des Weges in die<br />

innere Welt bedrohlich erscheinende Beziehungspersonen, wie Vater und Mutter auftauchen, mit<br />

[51] denen man sich aussöhnen sollte. Nach der Aussöhnung mit einer ursprünglich bedrohlichen<br />

Gestalt kommt es übrigens nicht immer zugleich zum Erleben des Einswerdens mit der<br />

betreffenden Gestalt wie im beschriebenen Beispiel, sondern es besteht auch die Möglichkeit, daß<br />

eine solche Gestalt zunächst zum Verbündeten in der inneren Welt wird, von dem man sich aber<br />

später verabschieden kann, wenn man sich stark genug fühlt, seinen Weg allein fortzusetzen.

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