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Download (pdf) - Institut für Psychoanalyse der DPG Stuttgart

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So, wie jener Patient, <strong>der</strong> schon das Erstgespräch vor meiner Eingangsfrage<br />

damit einleitete, mich lächelnd wie folgt zu beschreiben:<br />

„Aha, kurzes Haar, aber Mittelscheitel, Brille, Intellektueller, vermutlich<br />

früher ein langhaariger Achtundsechziger mit Bart; schlank, aber nicht<br />

dünn, Freizeitsport; schwarze Schuhe, dunkle Hose, grauer Pulli, dunkles<br />

Jackett – eine graue Maus!“<br />

Er, <strong>der</strong> stets unpünktlich war, sich dabei lobte, es gerade noch geschafft<br />

zu haben, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> den Hühner- und Entendreck seiner Stiefel<br />

auf dem Teppich meines Behandlungszimmers hinterließ und auf meine<br />

Frage, was ihm wohl das Wichtige an seiner Therapie sei, antwortete, daß<br />

wichtigste sei ihm, dass er jeweils vor und nach <strong>der</strong> Therapiestunde Zeit<br />

habe mit Genuss Hörspielfolgen in seinem Autoradio zu hören.<br />

„Wenn mir ein Patient nicht mehr aus dem Kopf geht, weil ich so<br />

großer Sorge bin“, ob ich ihn wohl in <strong>der</strong> therapeutischen Beziehung, in<br />

unserer Beziehung halten kann, ihm unsere Beziehung wichtig genug ist,<br />

um auf Selbstzerstörung o<strong>der</strong> Schädigung an<strong>der</strong>er zu verzichten?<br />

Wie weit geht meine Verantwortung für meinen Patienten, um Schaden<br />

von ihm o<strong>der</strong> durch ihn abzuwenden? Muss ich Maßnahmen einleiten, die<br />

mein Patient vielleicht gar nicht will und zerstöre ich damit unsere Beziehung?<br />

O<strong>der</strong> habe ich große Sorge um mich, weil ich befürchte durch die<br />

Behandlung dieses Patienten selbst Schaden zu erleiden?<br />

In manchen Behandlungen allerdings wechseln sich Ärger, Zweifel, Sorge,<br />

aber auch Wut und „hingezogen fühlen“ in einer überflutenden Intensität<br />

ab. Dann haben wir es meist mit Patienten zu tun, die nicht in <strong>der</strong> Lage<br />

sind, uns mit einer im Alltag notwendigen libidinösen Minimalzuwendung<br />

zu bedenken, uns in unserer eigenen Person ausreichend zu berücksichtigen,<br />

Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen, da sie in ihren<br />

frühen Beziehungen traumatisiert wurden. Wenn ich mit diesen Patienten<br />

in Beziehung bin, retten mich meine Erfahrungen als Gutachter für die<br />

Zentrale Adoptionsvermittlung des Senates von Berlin.<br />

Ich hatte Kin<strong>der</strong> zu begutachten, die in Heimen untergebracht waren o<strong>der</strong><br />

in ihren Ursprungsfamilien lebten, wo sie zumeist lang anhaltend vernachlässigt,<br />

schwerst körperlich misshandelt und sexuell missbraucht worden<br />

waren. Nun sollten sie zur Adoption „freigegeben“ werden, o<strong>der</strong> waren<br />

dies bereits.<br />

Zu sehen, zu hören und zu lesen, was den meisten von ihnen in <strong>der</strong> kurzen<br />

Zeitspanne ihres bis dahin erlittenen Lebens angetan o<strong>der</strong> vorenthalten<br />

wurde, war erschütternd. Und mein vorherrschendes Gefühl diesen<br />

Kin<strong>der</strong>n gegenüber war das, was einer meiner späteren Lehrer, Franz<br />

Heigl, als unerlässliche innere Haltung in <strong>der</strong> Behandlung schwerer<br />

Persönlichkeitsstörungen beschreibt, nämlich ERBARMEN.<br />

Einige <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> begegneten mir mit größtem Misstrauen, zuckten bei<br />

schnelleren Körperbewegungen, lautem Lachen o<strong>der</strong> Zurufen meinerseits<br />

zusammen und verkrochen sich sofort. An<strong>der</strong>e mit grenzenloser Offenheit,<br />

so, als ob wir uns schon ein Leben lang kennen würden - negativ konnotiert,<br />

könnte man dieses Verhalten auch als distanzlos beschreiben.<br />

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