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Journal 2013.2014Die jährliche Hauszeitschrift der Konzertdirektion

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Die Ernennung von Andris Nelsons zum Chefdirigenten des Boston Symphony Orchestra<br />

stellt in vielerlei Hinsicht einen Meilenstein dar. Für den 34-jährigen Letten ist sie ein<br />

Höhe punkt in seiner ohnehin schon beeindruckenden künstlerischen Laufbahn, und<br />

auch das traditionsreiche Orchester profitiert vom jüngsten Music Director seit über<br />

hun<strong>der</strong>t Jahren (zur Erinnerung: Arthur Nikisch war 33 Jahre alt, als er das Amt im Jahr<br />

1889 übernahm). In <strong>der</strong> internationalen Orchesterlandschaft steht Nelsons’ Ernennung<br />

stellvertretend für jene neue, verheißungsvolle Dirigentengeneration, <strong>der</strong> auch Yannick<br />

Nézet-Séguin in Philadelphia, Gustavo Dudamel in Los Angeles und Philippe Jordan an<br />

<strong>der</strong> Opéra National de Paris angehören. Eine mutige Entscheidung – insbeson<strong>der</strong>e in<br />

Boston, wo man nach <strong>der</strong> 30-jährigen Ära von Seiji Ozawa lieber auf Nummer sicher<br />

gegangen war und sich für den Kultstatus von Altmeister James Levine entschieden<br />

hatte; und selbst Ozawa war bei seiner Ernennung vier Jahre älter als Nelsons. Wie<br />

viele an<strong>der</strong>e Orchester hatten die traditionsreichen Bostoner bisher eine gewisse Vorliebe<br />

für berühmte Dirigenten <strong>der</strong> älteren Generation – unter ihnen Bernard Haitink, Sir<br />

Colin Davis und Kurt Masur. Wenn Manager Mark Volpe die Musiker jedes Jahr nach<br />

ihren Gastdirigentenwünschen fragte, musste er vor diesem Hintergrund fast flehen:<br />

„Please conductors un<strong>der</strong> 70!“ Nun ist es endlich soweit.<br />

Wenige Künstler werden zu Beginn ihrer Karriere von den<br />

besten Orchestern <strong>der</strong> Welt eingeladen; und nur sehr wenige<br />

Künstler werden dann erneut und immer wie<strong>der</strong> angefragt.<br />

„Ich habe großen Respekt für diese Musiker. Die Hauptsache ist, sie sind davon überzeugt,<br />

dass das, was ich von ihnen verlange, nicht von mir, son<strong>der</strong>n von <strong>der</strong> Musik<br />

gefor<strong>der</strong>t wird. Ein Dirigent sollte nicht ‚ich will’ sagen, son<strong>der</strong>n ‚die Musik will‘“, sagte er<br />

mir einmal. Als ehemaliger Trompeter des Opernorchesters seiner Heimatstadt Riga ist<br />

Andris Nelsons vertraut mit dem Denken und den Erwartungen von Orchestermusikern.<br />

Seine Stärke als Dirigent liegt im Schaffen von Atmosphäre. Somit gelingt es ihm, das<br />

Publikum und das Orchester unmittelbar in seinen Bann zu ziehen. Kein Wun<strong>der</strong> also,<br />

dass er auch als Operndirigent erfolgreich ist: sowohl als Stammgast <strong>der</strong> Wiener Staatsoper<br />

als auch als jüngster Dirigent in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Bayreuther Festspiele (mit<br />

Lohengrin im Jahre 2010). In <strong>der</strong> Symphonik fühlt er sich beson<strong>der</strong>s zu Hause, sobald<br />

die Musik eine Geschichte erzählt: Wie kaum ein an<strong>der</strong>er erweckt er Richard Strauss’<br />

Tondichtungen o<strong>der</strong> Strawinskys Ballette zum Leben, ganz zu schweigen von Mahlers<br />

und Schostakowitschs Epen. Ebenso gewaltig sind seine Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit<br />

geistlicher Musik: Wer einmal seine atemberaubende Interpretation von Brittens War<br />

Requiem erleben durfte, wird dies nie wie<strong>der</strong> vergessen.<br />

Wenige Künstler werden zu Beginn ihrer Karriere von den besten Orchestern <strong>der</strong> Welt<br />

eingeladen; und nur sehr wenige Künstler werden dann erneut und immer wie<strong>der</strong> angefragt.<br />

Andris Nelsons, <strong>der</strong> unter an<strong>der</strong>em jedes Jahr bei den Berliner Philharmonikern<br />

gastiert, fällt definitiv in die zweite Kategorie und wird – seinem aktuellen Terminplan<br />

nach zu urteilen – Einladungen künftig wohl öfters ablehnen müssen. Doch nicht nur als<br />

Gastdirigent hat sich Andris Nelsons bewährt: Als Chefdirigent war er zunächst als<br />

musi kalischer Leiter an <strong>der</strong> Lettischen Nationaloper tätig (2003 – 2007), anschließend bei<br />

<strong>der</strong> Nordwestdeutschen Philharmonie Herford (2006 – 2009) und schließlich beim City of<br />

Birmingham Symphony Orchestra, wo er <strong>der</strong>zeit noch im Amt ist und preisgekrönte Einspielungen<br />

von Strauss, Tschaikowsky und Strawinsky für das Label Orfeo International<br />

produziert hat.<br />

Einer Ausnahmeerscheinung wie Andris Nelsons würde es dennoch nicht gerecht<br />

werden, von einem „jungen Dirigenten“ zu sprechen. Zwar verweisen sein kindliches<br />

Gesicht und seine beim Applaus bescheidene Haltung auf seine Jugendlichkeit; dem<br />

entgegen stehen jedoch Nelsons’ Reife, Beherrschung und Charisma. Selten war die<br />

Diskrepanz zwischen Privatmensch und Künstler dabei so auffällig: Im persönlichen Gespräch<br />

hat man es mit einem sanften, ja schüchternen Mann zu tun, <strong>der</strong> sich beinahe für<br />

seine Anwesenheit entschuldigt. Auf dem Podium hingegen ist er eine Mischung aus<br />

Eleganz und Lebendigkeit, und manchmal auch stattlichem Riesen, dessen natürliche<br />

Autorität und überwältigende Macht die unter ihm spielenden Orchester geradezu mitreißen.<br />

Diese feurige Intensität birgt freilich die Gefahr <strong>der</strong> Selbstgefälligkeit und des<br />

Hangs zum Plakativen o<strong>der</strong> Spektakulären. Dass sich Andris Nelsons solchen Versuchungen<br />

nie hingibt, ist darauf zurückzuführen, dass seine Urkraft ständig durch Demut<br />

und Werktreue ausgeglichen wird. Diese Ehrlichkeit gegenüber <strong>der</strong> Partitur sowie seine<br />

Abneigung gegenüber Showeffekten sind nicht zufällig auch die Haupteigenschaften<br />

seines Lehrers, Mentors und Landsmannes Mariss Jansons – die Ethik des Interpreten,<br />

<strong>der</strong> sich ganz in den Dienst des Komponisten stellt, ist ein auffälliger Berührungspunkt<br />

zwischen beiden Männern. Sogar Nelsons‘ Gestik erinnert sehr an die seines Mentors,<br />

ebenso wie <strong>der</strong> kompakte, leicht nach vorne gebückte Rücken – die Arme am Oberkörper<br />

entlang – und das hoch stehende Pult. Beide schrecken zudem nicht davor zurück,<br />

mit Partitur zu dirigieren, da das Auswendig-Dirigieren ansonsten leicht in eine<br />

Selbstinszenierung umkippen könnte. Diese Ernsthaftigkeit brachte Andris Nelsons bereits<br />

in sehr jungen Jahren die Achtung von erfahrenen, routinierten Orchestermusikern<br />

ein, die oft dreißig bis vierzig Jahre älter waren als er.<br />

Zwischen Nelsons und dem Boston Symphony Orchestra war es<br />

Liebe auf den ersten Blick.<br />

Andris Nelsons’ Vertrag in Boston beginnt zum Anfang <strong>der</strong> Spielzeit 2014 / 2015 und gilt<br />

zunächst für fünf Jahre. Er wird 12 Wochen pro Jahr in Boston dirigieren, zusätzlich zum<br />

Tanglewood Festival im Sommer. Hiermit wird <strong>der</strong> Kreis zwischen Nelsons, dem Boston<br />

Symphony Orchestra und <strong>der</strong> <strong>Konzertdirektion</strong> Schmid geschlossen: Nicht nur, weil <strong>der</strong><br />

Dirigent sowohl im Generalmanagement als auch für Tourneen und PR bei Schmid unter<br />

Vertrag steht, son<strong>der</strong>n auch, weil Firmeninhaberin Cornelia Schmid ihre ersten berufspraktischen<br />

Erfahrungen als Guide in Tanglewood sammelte und Firmengrün<strong>der</strong> Hans<br />

Ulrich Schmid bereits vor über 40 Jahren, im April 1971, das Boston Symphony Orchestra<br />

für eine längere Tournee nach Europa holte. Das Orchester absolvierte damals unter <strong>der</strong><br />

kooperativen Leitung von Chefdirigent William Steinberg, dessen Assistent Michael Tilson<br />

Thomas und Boston Pops-Dirigent Arthur Fiedler volle 17 Konzerte innerhalb von 20 Tagen.<br />

Zwischen Nelsons und dem Boston Symphony Orchestra war es Liebe auf den ersten<br />

Blick, als <strong>der</strong> junge Lette für den erkrankten James Levine einsprang und mit Gustav

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