Hamburger Morgenpost Ausgabe vom 14.11.2014 (Vorschau)
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MEINUNG<br />
Sterbehilfe<br />
In ein Leben<br />
ohne Qualen<br />
investieren<br />
Solangeesuns gutgeht, verschwenden<br />
wir kaum Gedankenans<br />
Lebensende. Doch leider<br />
steht vielen vonuns bis<br />
zum letzten Atemzug ein qualvolles<br />
Dahinsiechen bevor.<br />
Ein Leid, vondem so mancher<br />
Betroffene möglichst schnell<br />
erlöst werden möchte–auch<br />
mit Mitteln der Sterbehilfe.<br />
Doch da bewegt sich Deutschland<br />
in einer Grauzone,gesetzliche<br />
Regelungen fehlen.<br />
Siezufinden, ist nicht einfach.<br />
Das zeigtesich gestern auch<br />
im Bundestag bei der Debatte<br />
über legale Möglichkeiten der<br />
Sterbehilfe. Im Kern geht es<br />
um die Frage: Hatjeder einzelne<br />
vonuns ein Recht –solange<br />
er das noch bewusstund<br />
selbstbestimmt kann –, sein<br />
Leben mithilfeautorisierter<br />
Sterbehelfer zu beenden?Eines<br />
scheint zumindest klar:<br />
Ein Ja zur kommerziellen Hilfe<br />
zum Selbstmordwirdesnicht<br />
geben. Unddas ist auch gutso.<br />
Der Toddarfnicht zu einem<br />
Geschäftsmodell werden, mit<br />
dem sich Geld verdienen lässt.<br />
Wiedie Entscheidung letztlich<br />
ausfallen wird, ist offen.<br />
Doch es wäreschon viel geholfen,<br />
wenn jetzt mehr in die Palliativmedizin<br />
investiert würde<br />
–inein Leben ohne<br />
Qualen, das vielleicht<br />
bei so manchem<br />
den Suizid-Wunsch<br />
überflüssig<br />
macht.<br />
MATERNUS<br />
HILGER<br />
politik@mopo.de<br />
POLITIK<br />
Emotionale<br />
Debatte im<br />
Bundestag<br />
Berlin – So andächtig, emotional und<br />
fundiert wird im Bundestag selten<br />
diskutiert. Thema war„das vielleicht<br />
anspruchsvollste Projekt dieser Legislaturperiode“,<br />
wie es Bundestagspräsident<br />
Norbert Lammert nannte:<br />
die Sterbehilfe.<br />
Das Thema bewegt die Menschen –<br />
weltweit, in Medien und sozialen<br />
Netzwerken. Jüngst sorgte die junge<br />
Amerikanerin Brittany Maynard für<br />
Schlagzeilen: Am 2. November setzte<br />
sie ihrem jungen Leben freiwillig ein<br />
Ende. Durch einen todbringenden Gehirntumor<br />
drohten Schmerzen, Siechtum,<br />
Verlust der Kontrolle über ihren<br />
Körper. Eine ähnliche „Exit-Strategie“,<br />
wie er es nannte, wählte imAugust<br />
2013 der ebenfalls an diesem<br />
Hirntumor erkrankte, in Hamburggeborene<br />
Autor Wolfgang Herrndorf<br />
(„Tschick“). 48-jährig erschossersich<br />
in Berlin.<br />
So bizarr es auch klingt: beide,<br />
Herrndorf und Maynard, handelten<br />
„illegal“, haben gegendas Gesetz verstoßen.<br />
Deutschland sucht nun nach<br />
Wegen, die es todkranken Menschen<br />
ermöglichen, „legal“ aus dem Leben<br />
zu scheiden. Wenn nötig mit fremder<br />
Hilfe. 48 Redner aller Parteien meldetensich<br />
dazu gestern im Bundestag zu<br />
4<br />
Wiewollen<br />
Fünf Vorschlägefür ein neues Gesetz zur Sterbehilfeinder Diskussion<br />
Der <strong>Hamburger</strong> Erfolgsautor Wolfgang<br />
Herrndorf: Freitod mit 48 Jahren<br />
Altkanzler<br />
Nur einer<br />
und ihre<br />
neuen Jobs<br />
kriegte den<br />
Hals nicht voll<br />
Foto:hfr<br />
Wort. Weitgehend einig ist man sich<br />
darin, dafür zu sorgen, dass „aus dem<br />
Schutz des Lebens kein Zwang zum<br />
Qualtod“ wird, wie es der CDU-Parlamentarier<br />
(und Ex-Pfarrer) Peter<br />
Hintze ausdrückte. Und das möchten<br />
Hintzeund eine Gruppe aus SPD- und<br />
Unions-Abgeordneten (darunter Karl<br />
Lauterbach, SPD):<br />
➤ Eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfedurch<br />
(mehrere) Ärzte.<br />
➤ Die strikte Ablehnung ärztlich assistierten<br />
Suizids fordert indes –unterstützt<br />
vonder Mehrheit der Ärzteund einer<br />
Mehrheit der Unionsfraktion –eine<br />
Gruppe um BundesgesundheitsministerHermann<br />
Gröhe (CDU). Stattaktiver<br />
Sterbehilfe setzt man auf bereits<br />
vorhandene Möglichkeiten in der Palliativmedizin,<br />
lebensverlängernde<br />
Maßnahmen abzulehnen.<br />
➤ Elisabeth Scharfenbergund Harald<br />
Terpe von den Grünen wollen zwar<br />
die Beihilfezum Suizid grundsätzlich<br />
unter Strafe stellen. Ärzte, Psychologen,<br />
Angehörige sollen aber davon ausgenommen<br />
sein, wenn ein langjähriges „Vertrauens-<br />
und Fürsorgeverhältnis“ besteht.<br />
➤ Die beiden SPD-Abgeordneten<br />
Kerstin Griese und Eva Högel wollen<br />
lediglich die organisierte Sterbehilfe verbieten<br />
–also alle Vereine und Organisationen,<br />
die Tötung auf Verlangen<br />
anbieten.<br />
➤ Die Grünen-Politikerin Renate Künast<br />
setzt sich dafür ein, die Beihilfe<br />
zum Suizid gemeinnützigen Organisationen<br />
und Ärzten zu erlauben.<br />
Erst Anfang nächsten Jahres wird<br />
mit der Vorlage mehrerer Gesetzentwürfe<br />
gerechnet. Die Abstimmung<br />
darüber ist völlig offen. STU<br />
ZITAT DES TAGES<br />
„Dass die SPD die<br />
Daseinsberechtigung der<br />
Wirtschaftsweisen<br />
anzweifelt, zeugt von<br />
politischem Autismus.“<br />
AfD-Chef Bernd Lucke zur Kritik der<br />
SPD an den fünf Wirtschaftsweisen<br />
VomKommandostand in der<br />
Schaltzentraleder Macht ab<br />
in den aktivenRuhestand: Fast<br />
allegroßen deutschen Kanzler<br />
engagierten sich nach ihrer<br />
Regierungszeit weiter politisch,<br />
pflegtenihreHobbys<br />
oder tourten als begehrte Gesprächspartner<br />
durch die<br />
Weltgeschichte: Aber keiner<br />
machteeinen so großen Reibach<br />
wieGerhardSchröder.<br />
Willy Brandt Nach dem Rücktritt<br />
1974 gestand der große<br />
SPDler Freunden: „Umbringen<br />
würde ich mich, wenn<br />
ich eine Pistole hätte.“ Stattdessen<br />
wurde er1976 Chef<br />
der Sozialistischen Internationale,<br />
blieb bis 1987 SPD-<br />
Vorsitzender, lebte eher bescheiden.<br />
Am 8. Oktober<br />
1992 starb er an Krebs.