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10:00 abraxas - a-guide.

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Fotos: Dörte Ehrig<br />

19<br />

titelthema<br />

Bert Brecht sagte es so:<br />

In der Stadt A liebte man mich,<br />

aber in der Stadt B war man zu mir freundlich.<br />

In der Stadt A machte man sich mir nützlich,<br />

aber in der Stadt B brauchte man mich.<br />

In der Stadt A bat man mich zu Tisch,<br />

aber in der Stadt B bat man mich in die Küche.<br />

Eigentlich braucht Augsburg genau uns Abwanderer und Exilanten. Wir<br />

sind kreative Köpfe. Künstler, Journalisten, Programmierer, Unternehmer.<br />

Angehende Eltern. Zwischen 20 und 30, wo man das Leben aufzustellen<br />

beabsichtigt, großteils mit Bayernabitur und Berufserfahrung. Damit<br />

niemand denkt, wir wären wenige, blicke ich repräsentativ in mein »Von<br />

A nach B«­Telefonbuch: Anna, Bernhard, Ben, Chris, Dari, Deniz, Dieter,<br />

Fabian, Franzi, Gudrun, Hape, Heike, Jens, Julia, Kerstin, Koko, Lea, Mess,<br />

Moritz, Pe, Peter, Philip, Pola, Roman, Thomas, Till – alle schon hier und<br />

nicht mehr im Fantasyland.<br />

Franzi, die Musikrechtehändlerin, oder Was von Popcity übrig blieb<br />

Einige davon habe ich für den Beitrag angerufen, um mit ihnen über<br />

Augsburg und Berlin zu sprechen. Los geht’s in Kreuzberg. Die Ankerklause<br />

ist eine Kieztradition beim Wochenmarkt am Maybachufer, offen von<br />

Früh stück bis Spätschnaps. Ich treffe Franziska »Franzi« Gierth. Kennen<br />

gelernt habe ich sie in Augsburgs Nullerjahre­Indieszene. Sie passt auf den<br />

ersten und zweiten Blick hervorragend nach Berlin. Arbeitet bei einer<br />

Platten firma, hat einen schicken, androgynen Charme, genießt das Kultur­<br />

und Nachtleben. Franzi schwärmt bei unserem Gespräch aber nur von<br />

Augsburg. Sie hatte in Dresden eine schöne Kindheit und in Burgau eine<br />

langweilige Jugend. Mit dem Studium stolperte sie ins beginnende Augsburger<br />

Popcity­Phänomen und gehörte bald zum Team um die Band Anajo.<br />

Der Produzent Alaska Winter schuf für sie in seinem Echolotstudio einen<br />

Ausbildungsplatz zur »Kauffrau für audiovisuelle Medien«, trotz Krise der<br />

Musik industrie jetzt ein gefragter Beruf. Nach Berlin ging sie für ein<br />

zweijähriges Engagement beim Musikverlag B612, danach stand BMG<br />

(Bertelsmann Music Group) mit Kusshand auf der Matte. Der von Sony<br />

wieder getrennte Großverlag kauft mit neuem Investorengeld Medien­<br />

und Musikrechte auf und Franzi regelt von ihrem Büro aus die Tantiemenangelegenheiten.<br />

»Dass ich meinen Beruf in Augsburg in vollem Einsatz<br />

lernen konnte, war fantastisch«, erzählt Franzi. Sie vermisst die familiäre<br />

Szene der Stadt schmerzlich: Ȇberall Freunde, man kannte und traf sich,<br />

eine Geborgenheit fast wie im Wohnzimmer. Das fehlt mir sehr in Berlin.<br />

Es war hart, allein ein neues soziales Leben aufzubauen.« Überhaupt<br />

verliert Franzi kein schlechtes Wort über Augsburg. »Ich habe wohl Glück,<br />

dass ich gegangen bin, bevor es zu eng wurde«, räumt sie ein. »Beruflich<br />

wäre es in jedem Fall zu eng geworden.« Mit Wehmut stellen wir fest, dass<br />

unsere persönliche Popcity rasant zerfällt. Alaskas Echolotstudio, das<br />

Solinarium­Studio, die alte Kantine, das Kerosin, das Pavian, die Helsinki­<br />

Bar, das Sputnik, das Grüne Haus – keiner mehr da. Von den drei großen<br />

Popcity­Bands ist Anajo übrig geblieben. Nova International funken keine<br />

Signale. Und Roman Fischer? Der funkt seit zwei Jahren aus Berlin.<br />

Genauer gesagt vom Mehringdamm in Kreuzberg.<br />

roman, der Musiker, oder Augsburg zwischen lech und Jammer<br />

Roman kam aus aus dem Landkreis nach Augsburg. Kennen gelernt habe<br />

ich ihn 2<strong>00</strong>2 als liebenswerten und sehr jungen Konkurrenten im »Band<br />

des Jahres«­Finale, beide blieben wir sieglos. Wenig später war er solo am<br />

Start und wurde flugs als »süßer Indie­Boy« klassifiziert. Dieser entpuppte<br />

sich als stimmgewaltiger, leidenschaftlicher und auf mehreren Instrumenten<br />

versierter Songwriter mit tiefgründigen Texten und einem dramatischen<br />

Hang zur klassischen Musik. Seine gemeinsame Wohnung mit Olli<br />

Gottwald von Anajo war bekannt als »Augsburger Pop­WG«. Roman blieb<br />

bescheiden und selbstkritisch. Er war jederzeit zu haben für Projekte mit<br />

anderen Augsburgern. Und sein gutes Aussehen hatte ihm die Szene<br />

schnell verziehen.<br />

»Auf jeden Fall eine gute Zeit, mit tollen Menschen und lieben Freunden«,<br />

resümiert er heute. Doch wir erinnern uns auch, wie wir oft dasaßen und<br />

Ängste teilten, vor der Augsburger Enge, der Beobachtung, den Kleinstadt­<br />

Konfrontationen. »Die Unzufriedenheit, das Sich­selbst­Bemängeln ist eine<br />

Krankheit in Augsburg. Ich hatte am Ende keine Perspektive mehr gesehen«,<br />

sagt Roman. Welche inneren Türen ein Tapetenwechsel aufstoßen<br />

kann, zeigt sein nächstes Album, das demnächst bei Universal erscheint.<br />

Während der Aufnahmen in Berlin und Kopenhagen hat er seinen Hang zum<br />

musikalischen Grübeln eingedämmt. Mächtige Popsongs brechen sich Bahn,<br />

mit klaren Refrains und einer »Wall of Sound« im Rücken. In einem Profimusiker­Leben<br />

wechseln Phasen von großer Hektik mit Phasen kreativer<br />

Ruhe, und da sollte die Umgebung stimmen. »Manchmal ist Berlin sehr<br />

anstrengend, vor allem der Lärm«, sagt Roman, »aber insgesamt ist es eine<br />

unglaubliche Stadt, die auch ihre eigene Melancholie besitzt. Es ist sehr<br />

friedlich hier. Man lässt dich sein, wie du bist.«<br />

Heike, die Herausgeberin, oder komplexe der Daheimgebliebenen<br />

Nicht weit von Romans Wohnung arbeitet Heike Gläser, eine muntere<br />

Person mit Lockenmähne, in ihrer nagelneuen Redaktion am Halleschen<br />

Tor. Sie gehört zu einer anderen Generation als ich, und so viel steht fest:<br />

Ihr Start 1987 in Berlin war enorm aufregend. Heike war damals 20 Jahre<br />

alt, die Stadt geteilt und der Westen ein subventionierter Druck kessel der<br />

Sub­ und Gegenkultur. »Ein Lebensraum mit Mauer außen rum, aber ich<br />

hatte niemals das Gefühl, eingesperrt zu sein«, erzählt sie. »Der Rest der<br />

Republik hat nicht interessiert. Es gab Partys, Demos, keine Sperrstunde<br />

und Leute von überallher. Ich als Augsburger Mädel habe mich da begeistert<br />

reingestürzt.« Mitte der Neunziger, nach einer zwischenzeitlichen<br />

Ehe mit einem Pfarrer in München, volontierte Heike beim Berliner Tagesspiegel.<br />

Zuletzt war sie verantwortliche Redakteurin bei Zitty, einem der<br />

großen Stadtmagazine der Hauptstadt. Vergangenen Herbst wagte sie den<br />

Sprung ins kalte Wasser: Mit dem ebenfalls aus Augsburg stammenden<br />

Zitty­Kollegen Micha Pöppl hat sie ein Kulturmagazin namens Berlin­Block

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