Reformation und Säkularisierung - Histomat
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Abteilung für das Höhere Lehramt der Universität Bern<br />
Fachdidaktik Geschichte<br />
Unterrichtsbaustein<br />
<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong><br />
Zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde<br />
Thomas Fenner / Philipp Muntwiler 9. Mai 2005
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung ------------------------------------------------------------------------------------------- 3<br />
2. Sachanalyse ----------------------------------------------------------------------------------------- 4<br />
3. Ziele-------------------------------------------------------------------------------------------------- 5<br />
4. Übersicht über die Themen <strong>und</strong> St<strong>und</strong>enverteilung ------------------------------------------- 6<br />
5. Lektionenplanung ---------------------------------------------------------------------------------- 7<br />
6. Religion im Mittelalter ---------------------------------------------------------------------------10<br />
6.1. Aufgaben zum Thema «Religion im Mittelalter» ---------------------------------------12<br />
7. Gruppe «Monastische Reform <strong>und</strong> Investiturstreit»------------------------------------------15<br />
7.1. Monastische Reform <strong>und</strong> Investiturstreit-------------------------------------------------15<br />
7.2. Aufgaben zum Thema ----------------------------------------------------------------------18<br />
7.3. Rollenspiel zum Thema --------------------------------------------------------------------22<br />
8. Gruppe «<strong>Reformation</strong>» ---------------------------------------------------------------------------25<br />
8.1. Material---------------------------------------------------------------------------------------25<br />
8.2. Arbeitsauftrag--------------------------------------------------------------------------------25<br />
8.3. Die <strong>Reformation</strong> im Reich -----------------------------------------------------------------28<br />
8.4. Quellentexte----------------------------------------------------------------------------------33<br />
8.5. Glossar----------------------------------------------------------------------------------------36<br />
9. Gruppe «Zeitalter der Aufklärung» -------------------------------------------------------------39<br />
9.1. Material---------------------------------------------------------------------------------------39<br />
9.2. Arbeitsauftrag--------------------------------------------------------------------------------39<br />
9.3. Das Zeitalter der Vernunft <strong>und</strong> der Aufklärung -----------------------------------------41<br />
9.4. Quellentexte----------------------------------------------------------------------------------45<br />
9.5. Glossar----------------------------------------------------------------------------------------47<br />
Quellen der Titelbilder<br />
Unten links:<br />
http://www.wissen.swr.de/sf/begleit/bg0049/bg0049x/bg0049xx/hoelle.jpg<br />
Mitte:<br />
http://www.stern.de/wissenschaft/kosmos/index.html?id=523339&nv=ct_rl&backref=%2Fwi<br />
ssenschaft%2Fkosmos%2F523258.html%3Feid%3D523921%26%26nv%3Dex_rt&eid=5239<br />
21<br />
Oben rechts:<br />
http://www.foodnews.ch/allerlei/30_kultur/galerie/sakralthemen/pages/Van_der_Goes_Suend<br />
enf.htm<br />
2
1. Einleitung<br />
Warum lernen die Menschen so wenig aus ihrer Vergangenheit? Warum streiten sie sich immer<br />
zu den gleichen Fragen? Warum gibt es zum Beispiel immer wieder Glaubenskonflikte?<br />
Solche Fragen hört man sowohl von Schülern als auch von Erwachsenen, wenn sie sich im<br />
Fernsehen oder in der Zeitung über das neuste Weltgeschehen informieren. Dies hat uns veranlasst,<br />
anhand des Themas «<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong>» der Frage nachzugehen, inwiefern<br />
in der Geschichte der Menschheit über die Jahrh<strong>und</strong>erte tatsächlich Fortschritt <strong>und</strong><br />
Veränderungen erkennbar sind <strong>und</strong> inwiefern sich die Menschen immer wieder mit denselben<br />
Problemen kämpfen <strong>und</strong> sich in der Geschichte kaum was änderte. Um dieser Frage gerecht<br />
zu werden, betrachten wir <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong> nicht nur als linearen Prozess, in<br />
dem die <strong>Reformation</strong> eine Voraussetzung der <strong>Säkularisierung</strong> war, sondern auch als entgegengesetzte<br />
Kräfte, um damit auf die wiederholende Komponente in der Geschichte der Glaubenskonflikte<br />
aufmerksam zu machen. <strong>Säkularisierung</strong> wird dabei als «Einziehung <strong>und</strong> Nutzung<br />
kirchlichen Eigentums durch weltliche Gewalten» <strong>und</strong> <strong>Reformation</strong> als «Erneuerung der<br />
Kirche» (Meyers Lexikon) betrachtet. <strong>Säkularisierung</strong> ist also eine «Verweltlichung der Kirche»<br />
während die <strong>Reformation</strong> als Gegenbewegung die Kirche, <strong>und</strong> damit die Religion, vor<br />
den weltlichen Einflüssen schützen will. Damit rückt die Frage, wie Menschen in der Vergangenheit<br />
das Verhältnis zwischen geistlicher <strong>und</strong> weltlicher Gewalten beurteilt haben, ins Zentrum.<br />
Diese Frage soll anhand von drei Konflikten in verschiedenen Jahrh<strong>und</strong>erten nachgegangen<br />
werden. Es handelt sich dabei um den Investiturstreit (11. Jh.), die <strong>Reformation</strong> von<br />
Luther (16. Jh.) <strong>und</strong> die Aufklärungsbewegung im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Dabei soll sowohl<br />
auf die Ähnlichkeit der Konflikte (die Wiederholung) als auch auf deren Verschiedenheit (der<br />
lineare Prozess oder Fortschritt) aufmerksam gemacht werden.<br />
3
2. Sachanalyse<br />
Der Verlauf der Zeit kann anhand von verschiedenen Modellen betrachtet werden. Bei unseren<br />
Überlegungen zum Verlaufe der Zeit stützen wir uns auf ein Modell aus dem Buch «As<br />
time goes by» der beiden Evolutionsökonomen Chris Freeman <strong>und</strong> Francisco Louçã. Sie versuchten<br />
der Natur der Zeit auf die Spur zu kommen <strong>und</strong> kamen zu folgenden Erkenntnissen:<br />
Obwohl die Natur zyklisch veranlagt sei (zum Beispiel Ebbe <strong>und</strong> Flut am Meer, die Jahreszeiten<br />
oder die Abfolge von Generationen), so wiederholen sich die einzelnen Prozesse doch<br />
nicht immer gleich. Es gibt unterschiedlich starke Fluten (Extremfall Sturmflut), unterschiedlich<br />
warme <strong>und</strong> nasse Jahre <strong>und</strong> unterschiedliche Lebensgeschichten. Gleichzeitig beeinflusst<br />
jedes vorangehende Ereignis das folgende Ereignis. Der Verlauf der Zeit ist also ein irreversibler<br />
Prozess, der wegen seines zyklischen Verlaufes immer wieder ähnliche Situationen<br />
schafft.<br />
Dieses Modell eines zyklisch-linearen Zeitverlaufs versuchten wir auf das Thema «<strong>Reformation</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong>» zu übertragen. Der Kampf von weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Sphäre<br />
wurde dabei als immer wiederkehrendes Element angesehen, während der Evolutionsprozess<br />
gleichzeitig irreversibel voranschreitet. Sowohl der Investiturstreit als auch die <strong>Reformation</strong><br />
Luthers <strong>und</strong> die Aufklärung drehen sich um dieselbe Gr<strong>und</strong>problematik <strong>und</strong> weisen ähnliche<br />
Muster auf, ohne dass diese Ereignisse als reine Wiederholungen aufzufassen wären. Gleichzeitig<br />
sind vorangegangene Konflikte die Voraussetzungen der folgenden Konflikte beziehungsweise<br />
die folgenden Konflikte sind als Resultate der Vorangegangenen zu sehen.<br />
4
3. Ziele<br />
Grobziele:<br />
� Verhältnis zwischen Herrschaft <strong>und</strong> Kirche über einen langen Zeitraum überblicken<br />
� Erste Vorstellungen von Strukturgeschichte <strong>und</strong> Geschichtsmodellen entwickeln<br />
� Veränderungen <strong>und</strong> Kontinuitätslinien in langen Zeiträumen erkennen, darüber nachdenken<br />
<strong>und</strong> diskutieren<br />
Feinziele:<br />
Einführung:<br />
� Religiöses Weltbild im Mittelalter erfassen <strong>und</strong> anwenden können<br />
� Den Zusammenhang zwischen Religion <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung im Mittelalter kennen<br />
Gruppenarbeiten:<br />
� Machtpositionen der einzelnen Interessengruppen (Kaiser, Papst, Reformatoren, Bürgertum,<br />
Aufklärer) sowie die Dynamik in den einzelnen Konflikten (Investiturstreit,<br />
<strong>Reformation</strong>, Aufklärung) kennen<br />
� Die Argumente der einzelnen Interessengruppen kennen<br />
� Die Begriffe «<strong>Reformation</strong>» <strong>und</strong> «<strong>Säkularisierung</strong>» im jeweiligen Kontext erkennen<br />
Schlussbesprechung:<br />
� Über die Ähnlichkeit <strong>und</strong> Verschiedenheit der drei Konflikte nachdenken<br />
� Selbst eine Interpretation der Geschichte zwischen Kirche <strong>und</strong> Staat/Herrschaft finden<br />
5
4. Übersicht über die Themen <strong>und</strong> St<strong>und</strong>enverteilung<br />
Lektion Thema Feinziele<br />
1 bis 2 Einführung<br />
o Einführung ins Thema «<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong>»<br />
o Begriffe <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong> definieren<br />
o Religiöses Weltbild im Mittelalter kennen <strong>und</strong> anwenden<br />
o Zusammenhang zwischen Religion <strong>und</strong> Gesell-<br />
3 bis 5 Gruppenarbeiten<br />
schaftsordnung kennen<br />
Übergeordnete Feinziele:<br />
o Machtpositionen der einzelnen Interessengruppen<br />
sowie Dynamik der Konflikte kennen<br />
o Die Argumente der Interessengruppen kennen<br />
o Begriffe «<strong>Reformation</strong>» <strong>und</strong> «<strong>Säkularisierung</strong>» in den<br />
jeweiligen Kontext stellen<br />
Spezifische Feinziele:<br />
Gruppe «Investiturstreit»<br />
o Verknüpfung von Kaiser <strong>und</strong> Papst im Mittelalter erkennen<br />
o Der Aufstieg des Mönchtums <strong>und</strong> Kirchenreform verstehen<br />
o Gr<strong>und</strong>problematik <strong>und</strong> Verlauf des Investiturstreits<br />
(bis Canossa) erkennen<br />
o Mit Originalquelle in Kontakt kommen<br />
Gruppe «<strong>Reformation</strong>»<br />
o Politischer Verlauf der <strong>Reformation</strong> (bis 1555) kennen<br />
o Ursachen für Luthers Handeln erkennen<br />
o Die Positionen <strong>und</strong> Argumente des Papstes, des Kaisers<br />
<strong>und</strong> Luthers herausarbeiten <strong>und</strong> kennen<br />
o Mit Originalquellen in Kontakt kommen<br />
Gruppe «Aufklärung»<br />
o Argumente <strong>und</strong> Ziele der Aufklärer erkennen<br />
o Aufklärung als eine vielschichtige Geistesströmung<br />
wahrnehmen<br />
o Mit Originalquellen in Kontakt kommen<br />
5 bis 7 Schlussbesprechung o Über die Ähnlichkeit <strong>und</strong> Verschiedenheit der drei<br />
Konflikte nachdenken<br />
o Selbst eine Interpretation der Geschichte zwischen<br />
Kirche <strong>und</strong> Staat/Herrschaft finden<br />
6
5. Lektionenplanung<br />
Einführung (2 Lektionen)<br />
15 Minuten: Einleitung<br />
Kurze Einführung des Lehrers in das Thema «<strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> <strong>Säkularisierung</strong>».<br />
55 Minuten: Einführung in die Religiösen Bilder des Mittelalters<br />
Arbeit alleine oder zu zweit.<br />
20 Minuten: Korrektur<br />
Resultate im Plenum kurz besprechen.<br />
Gruppenarbeiten (3 Lektionen)<br />
Für die Gruppenarbeiten steht ein Zeitraum von drei Lektionen zur Verfügung. Die Gruppen<br />
gehen methodisch unterschiedlich an die Themen heran, trotzdem sollte am Schluss der<br />
Gruppenarbeit jeder Schüler die übergeordneten Feinziele kennen.<br />
Schlussbesprechung (2 Lektionen)<br />
45-60 Minuten: Auswertung der Gruppenresultate<br />
Cluny<br />
Mönchtum<br />
Investiturstreit<br />
Hus/Wicliff<br />
Bettelorden<br />
Gegen Ketzer<br />
<strong>Reformation</strong><br />
Luther<br />
Bauernkrieg<br />
Schema der drei Konflikte an die Wandtafel zeichnen.<br />
7<br />
Galilei<br />
Gegen Täufer<br />
Franz. Revolution<br />
Aufklärung<br />
Moderner Staat<br />
Gegen ökonomische<br />
Gleichheit<br />
ZEIT
Kritik Der weltliche Einfluss<br />
schadet der Kirche<br />
Forderungen Kein weltlicher Einfluss<br />
auf die Kirche<br />
Monastische Reform <strong>Reformation</strong> Aufklärung<br />
Wir haben uns entschieden, die drei Gruppenarbeiten als wellenförmige Gesellschaftsbewegungen<br />
darzustellen. Die erste Bewegung ist die monastische Reformbewegung, welche die<br />
«Verweltlichung der Kirche» im 10. Jahrh<strong>und</strong>ert kritisierte. Diese Reformbewegung erhielt<br />
immer mehr Einfluss in der Kirche <strong>und</strong> führte zur Kirchenreform. Der Gedanke einer Trennung<br />
von weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Sphäre führte schliesslich zum Investiturstreit. Die Kirche<br />
wurde in der Folge so mächtig, dass sie selbst auf die Welt Einfluss nahm <strong>und</strong> der Papst sich<br />
immer mehr wie ein weltlicher Herrscher aufführte. Die Forderung nach einem asketischen<br />
Mönchsleben verlor in der Papstkirche immer mehr an Bedeutung. Kritiker dieser Praxis,<br />
welche sich von der Papstkirche abwandten, wurden verfolgt <strong>und</strong> als Anhänger von Irrelehren<br />
hingerichtet.<br />
Trotzdem wurde die Kritikbewegung am verweltlichten Papsttum immer stärker. Erste leise<br />
Kritik war durch die Bettelorden zu hören. Später wurden bedeutende Papstkritiker auf dem<br />
Scheiterhaufen verbrannt (wie zum Beispiel Jan Hus). Martin Luther konnte sich dem weltlichen<br />
Machteinfluss des Papstes entziehen, indem er vom Kurfürsten Friedrich von Sachsen<br />
Schutz erhielt. Luther kritisierte die Verweltlichung der Kirche (insbesondere den Ablasshandel).<br />
Seine Forderungen nach einer Rückkehr zur Bibel (sola scriptura) <strong>und</strong> nach einer ideologischen<br />
Trennung von weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Sphäre (sola gratia, sola fide) brachen das<br />
mittelalterliche Weltbild <strong>und</strong> die Ständeordnung auf. Nach Luther waren der Papst <strong>und</strong> die<br />
Priester nicht mehr Mittler zwischen Gott <strong>und</strong> den Menschen, sondern alle Menschen konnten<br />
mit Hilfe der Bibel Priester sein. Luthers Ideen führten dazu, dass sich die Bauern gegen ihre<br />
Obrigkeit aufzulehnen begannen. Von diesen Bauern wandte sich Luther allerdings mit aller<br />
Schärfe ab. Der radikale Gedanke von der Gleichheit aller Menschen wurde von Luther erfolgreich<br />
bekämpft, neue Anhänger von «Irrelehren» (wie die Täufer) verfolgt.<br />
8<br />
Verweltlichung der<br />
Papstkirche, Ablasshandel<br />
Nur der Glaube führt<br />
zum Seelenheil, keine<br />
weltlichen Werke<br />
Fürsten gegen Kai-<br />
Glaubenskonflikte als Mönche (Papst) ge-<br />
Gesellschaftskonflikte gen Kaiser<br />
ser/Papst<br />
Folgen Trennung von weltli- Trennung von weltlichem<br />
<strong>und</strong> geistlichen Werken <strong>und</strong><br />
chem Besitz Glauben<br />
Verfolgte Extremisten Katharer (Ketzer) Täufer, Zwinglianer,<br />
Calvinisten, Bauern<br />
Religion als irrationaler<br />
Vorwand für<br />
eine ungerechte Ge-<br />
sellschaftsordnung<br />
Die Religion ist Privatsache,<br />
nicht mehr<br />
öffentlich<br />
Bürgertum gegen<br />
Adel/Klerus<br />
Trennung von Staat<br />
<strong>und</strong> Kirche<br />
(Sozialisten)
Der Gedanke der Gleichheit der Menschen war damit aber nicht gestorben, sondern erfuhr im<br />
Zusammenhang mit der Aufklärung wieder Aufwind. Die Aufklärer waren der Meinung, dass<br />
die Vernunft imstande war, die Wahrheit ans Licht zu führen. Dies führte zu zunehmender<br />
Kritik von Wissenschaftlern an den religiösen Glaubensgr<strong>und</strong>sätzen, welche allerdings (wie<br />
im Falle von Galileo Galilei im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert) unter dem Druck der Kirche von ihren Ideen<br />
abschwören <strong>und</strong> ihre ketzerischen Bücher verbrennen mussten. Mit dem zunehmenden Einfluss<br />
des aufstrebenden Bürgertums konnten sich die Ideen der Aufklärung, welche auf Rationalität<br />
<strong>und</strong> Naturgesetzen beruhten, durchsetzen. Die Religion wurde immer mehr als irrationale<br />
Begründung für die ständische Ungleichheit wahrgenommen, welche die Menschen daran<br />
hinderte, das Glück auf Erden zu suchen. Aufklärer wandten sich gegen die Vorm<strong>und</strong>schaft<br />
durch die Religion. In der Französischen Revolution schliesslich wurden die ständischen<br />
Ungleichheiten beseitigt <strong>und</strong> Staat <strong>und</strong> Religion getrennt. Das Paradies (Glück) sollte<br />
nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde verwirklicht werden können. Damit verb<strong>und</strong>en<br />
war ein starker Fortschrittsglauben, dass eine Art paradiesischer Zustand in Zukunft erreicht<br />
werden könnte. Doch schon bald zeigte sich, dass von den Forderungen während der<br />
Französischen Revolution (Liberté, Egalité, Fraternité) im Bürgertum nicht viel übrig geblieben<br />
war <strong>und</strong> dieses nur für sich das Paradies auf Erden suchte, nicht aber für die Arbeiter.<br />
Einige Leute forderten aber nicht nur die rechtliche Gleichheit sondern auch die ökonomische<br />
Gleichheit der Menschen. Daran wird ein neuer «Glaubenskonflikt» entbrennen.<br />
Die Ausführungen des Lehrers werden durch die Gruppenpräsentationen (Rollenspiele) aufgelockert<br />
<strong>und</strong> sollen den Mitschülern einen Einblick in die Streitigkeiten geben.<br />
30-45 Minuten Diskussion<br />
In dieser Diskussion sollten die Schüler die Gelegenheit haben, das eben erklärte Modell als<br />
Inspirationsquelle zu nutzen <strong>und</strong> daraus ihre eigenen Gedanken über den Gang der Geschichte<br />
abzuleiten. Als Spielregel der Diskussion gilt, dass sachlich argumentiert werden muss <strong>und</strong><br />
die Gedankengänge sich wenn möglich am Modell an der Wandtafel ableiten lassen. Der Lehrer<br />
wirkt während der Diskussion als Moderator im Hintergr<strong>und</strong>.<br />
Die Leitfragen der Diskussion sind der Klasse anzupassen. Mögliche Diskussionsanstösse<br />
wären: «Wie veränderte sich das Verhältnis zwischen weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Sphäre?»,<br />
«Inwiefern sind Glaubenskonflikte Gesellschaftskonflikte?» oder «Wiederholt sich die Geschichte<br />
oder schreitet sie voran?»<br />
Literatur<br />
Chris Freeman / Francisco Louçã, As time goes by – from the industrial revolutions to the information revolution,<br />
Oxford 2001<br />
9
6. Religion im Mittelalter<br />
Leben im Mittelalter<br />
Wie haben sie gelebt, die Menschen im Mittelalter? Wir wissen nicht viel darüber <strong>und</strong> manches<br />
lässt sich nur mit Phantasie rekonstruieren, aber eines ist gewiss: Sie lebten viel härter,<br />
als das unserem Erfahrungskreis heute noch zugänglich ist. Wer je ein paar Wintertage etwa<br />
auf einer Alphütte ohne fliessendes Wasser, bei offenem Herd <strong>und</strong> auf Stroh verbrachte, der<br />
meint heutzutage schon ein Überlebenstraining absolviert zu haben. In dieser Situation lebten<br />
die Menschen bis ins 12. Jahrh<strong>und</strong>ert jedoch tagaus <strong>und</strong> tagein. Um sich vor der Kälte zu<br />
schützen trugen sie grobe Woll- <strong>und</strong> Lodenstoffe, die sich mit Regenwasser vollsaugten <strong>und</strong><br />
damit zusammen mit der Körperwärme eine erträgliche Temperatur hielten.<br />
Auch die Hygiene entsprach keineswegs unseren heutigen Standards. Ohne Seife <strong>und</strong> Zahnpflege,<br />
ohne rechtes Rasiergerät <strong>und</strong> oft ohne Kamm war wohl der grösste Teil der mittelalterlichen<br />
Bevölkerung von jener «Urwüchsigkeit», die uns heute gelegentlich als Kennzeichen<br />
gesellschaftlicher Aussenseiter begegnet. Man kaute Pfefferminzblätter zur M<strong>und</strong>pflege,<br />
wusch sich mit Sand oder dem Absud von Seifenkraut <strong>und</strong> hatte wohl noch manchen Tee oder<br />
getrocknete Pflanzen aus dem Wald <strong>und</strong> Garten zum wohlfeilen Hausmittel, wo uns heute die<br />
Pharmazie zur Seite steht.<br />
Wieweit die härteren Lebensumstände Kräfte weckten, die uns abhanden gekommen sind, <strong>und</strong><br />
ob ihnen das Minimum an medizinischer Fürsorge genügte, wissen wir nicht. Die Bilder von<br />
Vierzig-, Fünfzigjährigen aus der realistischen Malerei des Spätmittelalters sprechen nicht<br />
dafür, auch nicht die niedrigen Lebenserwartungen im ganzen. Nicht jede einfache Lebensweise<br />
ist an sich schon ges<strong>und</strong>. Die Stoffwechselkrankheiten aus einseitigem Fleischkonsum,<br />
Gicht <strong>und</strong> Arthrose, scheinen zumindest nach dem, was wir heute von der Oberschicht wissen,<br />
weiter verbreitet gewesen zu sein als heute.<br />
Zudem waren die Menschen im Mittelalter vielfältigen Gefahren wie Naturgefahren, Hungersnöten,<br />
Krankheiten <strong>und</strong> kriegerischen Überfällen ausgeliefert.<br />
Religiöse Vorstellungen im Mittelalter<br />
Naturkatastrophen, Missernten oder andere Schicksalsschläge <strong>und</strong> Nöte wurden im Mittelalter<br />
als Eingriffe übernatürlicher Mächte in ihr Leben begriffen. Im Gegensatz zu heute war die<br />
übernatürliche Welt unmittelbar in das menschliche Dasein eingewoben <strong>und</strong> greifbar. Während<br />
sich die einen nach der biblischen Offenbarung <strong>und</strong> ihrer Festlegung in einer jahrh<strong>und</strong>ertelangen<br />
Tradition theologischer Kommentare richtete, hielten andere im Volksglauben am<br />
Dasein von Dämonen <strong>und</strong> an der Wiederkehr von Toten, die im Unfrieden aus der Welt gegangen<br />
waren, fest. Das menschliche Dasein stand in stetem Austausch mit dem Übersinnlichen.<br />
In einem Punkt trafen sich aber die Christgläubigen <strong>und</strong> die Anhänger des Volksglauben<br />
wieder: In der Überzeugung von der Bedrohung durch böse Mächte. Zusammengefasst:<br />
Die Furcht vor Gott <strong>und</strong> Teufel hatte den meisten Anhang.<br />
Missernten <strong>und</strong> Krankheiten wurden als Strafe Gottes für menschliche Verfehlungen wahrgenommen,<br />
während Glück <strong>und</strong> Frieden als Belohnung für ein frommes Leben standen. Man<br />
glaubte, dass das Wohlergehen der Lebenden auf der Erde <strong>und</strong> der Verstorbenen im Jenseits<br />
wesentlich vom Gebet der Priester <strong>und</strong> Mönche abhängig sei.<br />
Um Unglück abzuwenden, sollten die christlichen Priester durch Gebete die Dämonen bannen<br />
<strong>und</strong> die Menschen lehren, wie ein gottgefälliges Leben zu führen sei.<br />
Religion <strong>und</strong> Rationalität aus der Sicht von Thomas von Aquin<br />
Thomas von Aquin wurde 1225 auf einem Schloss nahe dem Dorf Aquino geboren, genoss in<br />
verschiedenen Klöstern <strong>und</strong> Universitäten eine hervorragende Bildung <strong>und</strong> gilt als einer der<br />
10
herausragenden Philosophen des Mittelalters. Sein zentrales Anliegen war es, Wissen <strong>und</strong><br />
Glauben miteinander zu versöhnen. Dabei unterscheidet er zwischen einem rational erkennbaren<br />
Reich der Wirklichkeit <strong>und</strong> einem Reich der übernatürlichen Wahrheit. Thomas von<br />
Aquin vertrat die Auffassung, dass der Mensch das Übernatürliche mit Hilfe der Vernunft<br />
nicht erfassen könne, sondern gläubig hinnehmen müsse. Mit dieser Argumentation versuchte<br />
er zu beweisen, dass sich Vernunft <strong>und</strong> Glauben nicht ausschliessen müssen. Übernatürliche<br />
Erscheinungen von Gott seinen deshalb sehr wohl möglich, auch wenn sie vom Menschen mit<br />
seiner Vernunft nicht verstanden würden.<br />
Der Kampf zwischen Himmel <strong>und</strong> Hölle<br />
Besonders beliebt war im Mittelalter das Motiv des Kampfes zwischen Gut <strong>und</strong> Böse. Der<br />
guten Kraft Gottes <strong>und</strong> seiner Helfer, welche als Schutzheilige verehrt wurden, standen die<br />
Mächte der Hölle gegenüber: die Teufel, welche die Menschen zu schlechten Taten (Sünde)<br />
<strong>und</strong> zum Abfall vom Glauben verleiteten.<br />
Nach dem christlichen Glauben ist die Geschichte der Menschheit eine Heilsgeschichte, die in<br />
den Büchern der Bibel geschildert wird. Sie beginnt mit der Schöpfung der Welt <strong>und</strong> dem<br />
Paradies. Da sich Adam <strong>und</strong> Eva als erste Menschen im Paradies von einer Schlange verführen<br />
liessen <strong>und</strong> sich nicht an Gottes Regeln hielten (sündigten), wurden sie aus dem Paradies<br />
vertrieben <strong>und</strong> mussten von nun an mühevoll auf der Erde leben. Die Sünde von Adam <strong>und</strong><br />
Eva wurde an ihre Nachkommen vererbt (Erbsünde). Nach dem damaligen christlichem Verständnis<br />
konnte diese Erbsünde durch gute Werke <strong>und</strong> den Glauben an Jesus, welcher durch<br />
sein Leiden, seinen Tod am Kreuz <strong>und</strong> seine Auferstehung die Menschen von der Sünde befreite,<br />
beseitigt werden. Am Ende der Zeit wird das Gute das Böse besiegen <strong>und</strong> alle Menschen<br />
werden vor ein Gericht gestellt (Jüngstes Gericht), wo die guten <strong>und</strong> schlechten Taten<br />
abgewogen werden. Die gläubigen Menschen, welche ein gutes Leben geführt hatten, dürfen<br />
deshalb am Ende der Welt wieder in den Himmel oder ins Paradies zurückkehren, während<br />
die ungläubigen <strong>und</strong> sündhaften Menschen mit dem Teufel in die Hölle kommen.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Schriften des Apostels Johannes (1. Joh. 5,19) war die ganze Welt in der Gewalt<br />
des Teufels, der die Menschen von Gott abhielt. Alles Weltliche war aus dieser Perspektive<br />
von Natur aus schlecht. Es gab deshalb immer wieder Bewegungen in der Kirche, welche<br />
den Einfluss von allem irdischen auf die Besitztümer oder die Glaubenslehre der Kirche (<strong>Säkularisierung</strong>)<br />
kritisierten <strong>und</strong> eine Rückkehr zu den alten moralischen Werten verlangte (<strong>Reformation</strong>).<br />
Die ständische Gesellschaftsordnung im Mittelalter<br />
Im Mittelalter konnte man die Gesellschaft gr<strong>und</strong>sätzlich in zwei Kategorien unterteilen: Herren<br />
<strong>und</strong> Knechte. Die zahlenmässig kleine Oberschicht der Herren oder Adeligen besass das<br />
meiste Land. Sie hatte dieses vom König, welcher das ganze Land seines Reiches verfügte,<br />
ausgeliehen erhalten. Im Gegenzug waren die Adeligen dem König zu ewiger Treue verpflichtet<br />
<strong>und</strong> mussten mit ihm in den Krieg ziehen. Dem Adel gehörte aber nicht nur das<br />
Land, sondern meistens auch die darauf lebenden Knechte, welche als Bauern das Gr<strong>und</strong>stück<br />
bebauten. Der Herr gewährte seinen Knechten Schutz <strong>und</strong> sorgte für Ordnung, während diese<br />
ihrem Herrn einen Teil ihres Ertrages abzuliefern hatten. Ab dem 11. Jahrh<strong>und</strong>ert entstand die<br />
Ständelehre, welche zwischen drei Ständen unterschied, die von einander abhängig waren:<br />
Der adelige Stand der Krieger, der seinen Knechten Schutz gewährte, der (adelige) Stand der<br />
Mönche <strong>und</strong> Priester, der durch ständiges Beten die Menschen vor schlechten Einflüssen<br />
(Teufel <strong>und</strong> Dämonen) bewahrte <strong>und</strong> der Stand der Knechte oder Bauern, welche das Land<br />
bebauten.<br />
11
Die Begründung dieser Gesellschaftsordnung durch die Kirche<br />
Heutzutage würden wir eine solche Gesellschaftsordnung als ungerecht empfinden. Sie stand<br />
in krassem Wiederspruch zur Vorstellung, dass vor Gott alle Menschen gleich seien. Die Kirche<br />
gab dieser Botschaft eine rein jenseitige Bedeutung: Erst der Tod hebt die ständischen<br />
Schranken auf; erst im Jenseits beginnt das Reich Gottes, wo die Brüderlichkeit herrscht. Beliebt<br />
war der Vergleich mit den Figuren eines Schachspielers: Ist das Spiel zu Ende, schüttet<br />
man die Figuren in den Sack, mitten unter den Bauern auch der König. Im Diesseits dagegen<br />
galt die gottgewollte Gliederung in Stände, von denen jeder sein eigenes Recht besass <strong>und</strong><br />
denen man in der Regel durch die Geburt zugehörte. Die bekannte Klerikerin Hildegard von<br />
Bingen verteidigte diese Ordnung unter anderem mit der Begründung, dass bereits der Teufel<br />
<strong>und</strong> Adam die von Gott gesetzten Grenzen überschritten hätten <strong>und</strong> dafür bestraft worden<br />
seien.<br />
6.1. Aufgaben zum Thema «Religion im Mittelalter»<br />
Aufgabe 1) Welche Zusammenhänge dürfte es zwischen den Lebensverhältnissen <strong>und</strong> der Religiosität<br />
im Mittelalter gegeben haben?<br />
Aufgabe 2) Lesen Sie die Walliser Sage «Der Bischofsstadel». Versuchen Sie, die Sage mit<br />
der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters in Verbindung zu setzen <strong>und</strong> die Aussage der<br />
Sage zu deuten.<br />
Der Bischofsstadel<br />
Im Dörflein Finnen sahen die Leute oft, sowohl am Tage als auch in der<br />
Nacht, unter einem Stadel einen grossen, schwarzen Widder mit starken,<br />
geschwungenen Hörnern, die bis zum Schwanz reichten. Der Widder<br />
hatte nur ein einziges Auge. Des Nachts glänzte <strong>und</strong> funkelte es wie helles<br />
Kerzenlicht. Oft spazierte er tagsüber auf den Finnenbiel [Ort], aber<br />
nicht als Widder, sondern auch als schwarzes Schwein oder schwarzen<br />
H<strong>und</strong>. Sein Weg führte ihn bis zum Hochgericht, wo der Galgen stand.<br />
Des Nachts ging er oft auf eine Anhöhe oberhalb des Dorfes <strong>und</strong> warf<br />
Steine gegen das Dorf. Als aber schon allzu grosse Steine auf die Dächer<br />
der einzelnen Häuser geworfen wurden, fingen die Leute ernstlich an,<br />
daran zu denken, wie man sich vor dem bösen Unhold sicherstellen<br />
könnte. Sie brachten eine Bischofsstatue am Stadel an. Seither hat der<br />
Spuk aufgehört. Auch die Bischofsstatue ist verschw<strong>und</strong>en; der Stadel<br />
heisst aber heute noch der Bischofsstadel.<br />
12
Aufgabe 3) Das untenstehende Bild zeigt einen Ausschnitt des Münsterportals in Bern. Versuchen<br />
Sie das Skulpturgemälde zu verstehen, indem Sie die einzelnen Figuren <strong>und</strong> Zeichen<br />
(zum Beispiel der Drachen- oder Schlangenanzug) zu deuten versuchen.<br />
Aus: Christoph Schläppi et al., Das Berner Münster. Schweizer Kunstführer, Bern 1 1993<br />
13
Aufgabe 4) Tu supplex ora (du bete demütig), tu protege (du schütze), tuque labora (du arbeite).<br />
Das untenstehende Bild zeigt die mittelalterliche Gesellschaft. Versuchen Sie die Bildsprache<br />
der Abbildung zu lesen. Als Hilfestellung dient folgendes Bibelzitat aus dem Römerbrief<br />
des Apostel Paulus (Röm. 12, 4-6): «Denkt an den menschlichen Körper: Er hat viele<br />
verschiedene Teile, <strong>und</strong> jeder Teil hat seine besondere Aufgabe; aber der Körper bleibt deshalb<br />
einer. Genauso ist es bei uns: Obwohl wir viele sind, bilden wir durch die Verbindung<br />
mit Christus ein Ganzes. Als einzelne stehen wir zueinander aber wie Teile, die sich gegenseitig<br />
ergänzen. Wir haben verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade zugeteilt<br />
hat. Diese Gaben sollen wir auch in der rechten Weise nutzen.» Finden Sie diese Sätze im<br />
Bild wieder?<br />
Holzschnitt von Jacob Meydenbach<br />
(Quelle: http://www.eifeltour.de/index.php?type=subitem&item=geschichte&id=10)<br />
Literatur<br />
Cornelsen Geschichtsbuch 2 – Neue Ausgabe, Berlin 1994<br />
Josef Guntern, Walliser Sagen, Olten 1991<br />
Karl Schib, Weltgeschichte 1. Von den Anfängen bis zur französischen Revolution, Zürich 2002<br />
Christoph Schläppi et al., Das Berner Münster. Schweizer Kunstführer, Bern 1 1993<br />
Ferdinand Seibt, Glanz <strong>und</strong> Elend des Mittelalters, München 1991<br />
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7. Gruppe «Monastische Reform <strong>und</strong> Investiturstreit»<br />
Kaiser Heinrich IV. <strong>und</strong> Papst Gregor VII.<br />
Die Gruppenarbeit sollte in 3 Lektionen bewältigt werden.<br />
Die Zeitangaben sollen dabei als Orientierung dienen:<br />
Sorgfältiges Lesen des Textes: 20-30 Minuten<br />
Aufgaben beantworten in 2er Gruppen: 1-1.5 Lektionen<br />
Rollenspiel: 45-60 Minuten<br />
7.1. Monastische Reform <strong>und</strong> Investiturstreit<br />
Kaiser <strong>und</strong> Papst<br />
Das Wort «Kaiser» leitet sich vom römischen Feldherrn Caius Julius Caesar ab <strong>und</strong> war seit<br />
der Zeitwende der Titel für den obersten Befehlshaber im Römischen Reich. Mit zunehmendem<br />
Zerfall des Römischen Reiches wurde es für den Kaiser immer schwieriger, seine Stellung<br />
beim römischen Volk zu rechtfertigen. Unter dem römischen Kaiser Theodosius (380 n.<br />
Chr.) wurde das Christentum zur Staatsreligion erklärt. Sowohl für das Christentum als auch<br />
für den Kaiser hatte die gemeinsame Zusammenarbeit Vorteile. Das Christentum konnte sich<br />
unter dem Schutz des Kaisers nun im ganzen Römischen Reich verbreiten <strong>und</strong> optimal entfalten.<br />
Auf der anderen Seite stärkte der gemeinsame Glaube an Jesus Christus das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
innerhalb des Reiches <strong>und</strong> der Kaiser konnte seine Führungsstellung nun<br />
damit rechtfertigen, dass er der Beschützer des wahren Glaubens sei. Das Christentum wurde<br />
damit zum F<strong>und</strong>ament des Kaisertums. Damit zwischen unterschiedlichen christlichen Glaubenslehren<br />
nicht Streit ausbrach, welcher die Einheit des Reiches gefährden könnte, griff der<br />
Kaiser selbst in Kirchenangelegenheiten ein <strong>und</strong> vereinheitlichte die Religion zusammen mit<br />
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den Bischöfen. Dabei wurde der Bischof von Rom als Papst zum Oberhaupt der Kirche ernannt.<br />
Man glaubte damals, dass der Heilige Petrus der erste Bischof von Rom gewesen sei<br />
<strong>und</strong> der Papst sah sich daher als Nachfolger von Petrus. Nach dem Zerfall des antiken Römischen<br />
Reiches wurde im Jahre 800 n. Chr. Karl der Grosse vom Papst erneut zum Kaiser gekrönt.<br />
Der Papst ernannte nun den Kaiser <strong>und</strong> der Kaiser hatte bei der Wahl des Papstes <strong>und</strong><br />
anderen Bischöfen ein Mitspracherecht. Sowohl der Kaiser als auch der Papst rechtfertigten<br />
ihre Führungsstellung damit, dass sie ihre Position direkt von Gott erhalten hätten.<br />
Entstehung <strong>und</strong> Aufstieg des Klerus (Mönche <strong>und</strong> Nonnen)<br />
Die europäische Christenheit ist das Werk der Mönche. Dieser Satz mag als Übertreibung<br />
erscheinen. Verfolgt man aber das staunenswerte Werk von H<strong>und</strong>erttausenden dieser stillen,<br />
opferbereiten, in mancher Hinsicht zur äussersten Prinzipientreue in ihrer Lebensverwirklichung<br />
entschlossenen Christen <strong>und</strong> Christinnen, dann kann er mit derselben Berechtigung<br />
gelten wie andere historische Generalisierungen auch. Der Satz mag auf den ersten Blick etwas<br />
merkwürdig erscheinen, denn die Mönche, Einsiedler im griechischen Wortsinn, führten<br />
ein von der Welt abgewandtes Leben. Die Mönche konzentrierten sich im Gebet ganz auf<br />
Gott <strong>und</strong> den Glauben, während die Welt für sie unwichtig oder gar verachtenswert war.<br />
Das frühe christliche Mönchtum war angesichts des zunehmenden moralischen Zerfalls der<br />
römischen Welt eine Zuflucht verzweifelter Söhne aus vornehmen Familien, <strong>und</strong> einige Tatkräftige<br />
wirkten als Mönche wieder zurück in die Welt, die sie verlassen hatten. Dies traf unter<br />
anderem auch beim vornehmen Römer Benedikt von Nursia zu, der im 6. Jahrh<strong>und</strong>ert die<br />
gr<strong>und</strong>legenden Lebensregeln eines Mönchs festlegte. Diese beruhten auf dem berühmten Leitsatz<br />
«Ora et labora» (bete <strong>und</strong> arbeite) <strong>und</strong> beinhalteten unter anderem ein eheloses Leben,<br />
einfache Ernährung, wenig Alkoholkonsum sowie einen festen Tagesplan für die Tätigkeiten<br />
schlafen, arbeiten, beten <strong>und</strong> Lesungen beiwohnen.<br />
Das europäische Mönchtum stand in enger Verbindung zur Oberschicht. Adelige Söhne wurden<br />
Mönche, adelige Fräulein gründeten Damenstifte. Vor dem Jahre 1000 ist kein Mönch mit<br />
Namen bekannt, der nicht adeliger Herkunft gewesen wäre. Insgesamt entwickelte sich aus<br />
der Klosterkultur, wohl gerade weil sie aus der Herrenschicht ständig rekrutiert werden musste,<br />
eine neue Gesellschaftsgruppe zwischen Herren <strong>und</strong> Knechten, auch wenn ihre Träger diese<br />
adelige Herrenschicht an Zahl gewiss nicht überstiegen. Die Mönche mussten zwar auch<br />
arbeiten wie die Bauern, waren aber keine Knechte. Die Mönchskutte war einfach <strong>und</strong><br />
schmucklos, aber umhüllte manchen Herrensohn von höchstem Rang. Das Mönchsleben war<br />
dem Spaten näher als dem Schwert 1 , aber an keines geb<strong>und</strong>en 2 <strong>und</strong> auf das Jenseits gerichtet.<br />
Ohne persönliches Eigentum <strong>und</strong> ohne weltliche Strebsamkeit traten die Angehörigen der<br />
Oberschicht in den Dienst der Gemeinschaft <strong>und</strong> begannen aus dieser Zwischenstellung mit<br />
ständiger Armenfürsorge durch die Reichsten oder deren Kinder eine besondere gesellschaftliche<br />
Klammer auszubilden, die nicht auf dem Schwert, nicht auf Macht <strong>und</strong> Unterdrückung<br />
beruhte, sondern durch die Liebe zu werben <strong>und</strong> zu sorgen suchte im Dienst der allen gemeinsamen<br />
christlichen Lehre. Mit dem Mönchtum etablierte sich eine neue Gesellschaftsschicht,<br />
welche die mittelalterliche Welt stark prägte.<br />
Das Kloster von Cluny <strong>und</strong> sein Einfluss auf die Kirche<br />
Als Cluny im Jahre 910 gegründet wurde, schienen die Regeln von Benedikt immer mehr an<br />
Bedeutung zu verlieren: Mönche <strong>und</strong> Priester wandten sich dem Reichtum zu, hatten Familien<br />
<strong>und</strong> immer weniger Zeit für ihre christlichen Pflichten (Beten). Unter anderem wurden<br />
auch Kirchenämter gegen Geld verkauft oder von Bischöfen an ihre Söhne vererbt. Selbst der<br />
1 Symbol für den Adel, welcher Waffen tragen durfte.<br />
2 An ein Schwert geb<strong>und</strong>en sein heisst symbolisch, Knecht eines Herrn zu sein.<br />
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Papst in Rom hatte zu jener Zeit ein uneheliches Verhältnis mit einer Frau. Mit ihr soll er einen<br />
Sohn gezeugt haben, der als Johannes XI. zum Papst ernannt wurde.<br />
Ein Herzog, dem diese Sitten der Mönche gar nicht gefiel <strong>und</strong> fürchtete, dass seine Seele an<br />
diesen Zuständen schaden nehmen könnte, gründete deshalb das Kloster Cluny. Im Gegensatz<br />
zu anderen Klöstern sollte es niemandem ausser dem Papst gehören. In Cluny wurden die<br />
Regeln von Benedikt wieder streng befolgt. Das Kloster wendete sich von jeglichem weltlichen<br />
Einfluss ab <strong>und</strong> war praktisch eine geschlossene Gesellschaft, welche sich in «nüchterner<br />
Trunkenheit des Geistes» von der Welt distanzierte. Das Kloster von Cluny fand bald<br />
Nachahmung <strong>und</strong> so entstand ein ganzes Netz von Klöstern, welche sich wieder streng an die<br />
Regeln des Benedikt von Nursia hielten. Diese Klöster wurden auch Reformklöster genannt,<br />
weil sie zu den alten Formen der Kirche zurückkehren wollten.<br />
Es gelang diesen Reformklöstern, zunehmend Einfluss auf die Kirche auszuüben. Die Klosterreformbewegung<br />
erfasste in der Mitte des 11. Jahrh<strong>und</strong>erts immer grössere Kreise innerhalb<br />
der Kirche <strong>und</strong> übertrug sich schliesslich auf die hohen Ämter in der Kirche (Kirchenreformbewegung).<br />
Die Reformbewegung verlangte die Freiheit der Kirche vor weltlichen Einflüssen<br />
<strong>und</strong> eine Rückkehr zum idealisierten Zustand der alten Kirche 3 . Der damalige Kaiser Heinrich<br />
III. unterstützte die Reformbewegung <strong>und</strong> trieb sie aktiv voran, da auch er Interesse an einem<br />
Ende der verworrenen Zustände innerhalb der Kirche hatte.<br />
Mit der Kirchenreform durch die Mönche aus den Reformklöstern wurden die Strukturen der<br />
Kirche stark verändert <strong>und</strong> nahmen Formen an, die in der katholischen Kirche bis heute noch<br />
ihre Gültigkeit haben: Den Priestern <strong>und</strong> Mönchen wurde die Ehe verboten (Zölibat), der Einfluss<br />
der Welt auf die Kirche wurde ausgeschaltet 4 <strong>und</strong> die Meinung des Papstes wurde zur<br />
alleinigen Wahrheit erklärt. Dies wurde aufgr<strong>und</strong> der Bibel (Matthäus 16,13 «Du bist Petrus,<br />
<strong>und</strong> auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen, <strong>und</strong> die Pforten der Hölle sollen sie nicht<br />
überwältigen») damit begründet, dass der Papst dank dem Apostel Petrus vom Teufel nicht<br />
getäuscht werden könne <strong>und</strong> dadurch als einziger die Wahrheit sehe. Die päpstliche Lehrmeinung<br />
war demnach von Gott gegeben, während alle abweichenden Meinungen der Menschen<br />
vom Teufel eingehaucht wurden. Damit war nur noch der Papst dazu befähigt, den Glauben<br />
richtig zu interpretieren.<br />
Der Investiturstreit<br />
Lange Zeit unterstützten die Kaiser die Kirchenreform, aber die radikale Forderung nach einer<br />
strikten Trennung der Kirche von allen weltlichen Einflüssen ging nun auch dem Kaiser zu<br />
weit. Warum? Nicht nur die adeligen Fürsten, sondern auch viele Klöster besassen Land <strong>und</strong><br />
waren stark in die Verwaltung des Reichs eingegliedert. Die Herrschaft des Kaisers war also<br />
nicht nur auf die Fürsten, sondern auch auf die Kirche abgestützt. So wie die Fürsten vom<br />
Kaiser in ihre Gr<strong>und</strong>herrschaft eingesetzt wurden <strong>und</strong> dafür dem Kaiser die Treue schworen,<br />
wurde dies in ähnlicher Weise auch bei Klöstern <strong>und</strong> Kirchenämtern praktiziert. Die Einsetzung<br />
eines Bischofs wurde dabei Investitur genannt. Das bisherige Recht des Kaisers, Bischöfe<br />
<strong>und</strong> andere Geistliche in ihre Ämter einzusetzen, wollten nun die Reformer verbieten.<br />
Das Gr<strong>und</strong>problem, welches zum Investiturstreit zwischen Kaiser <strong>und</strong> Papst führte, war die<br />
doppelte Funktion der Bischöfe als weltliche als auch als geistliche Amtsträger. Obwohl der<br />
Papst dem Kaiser das Einsetzen von Bischöfen verbot, tat dieser dies in Mailand trotzdem.<br />
Darauf bedrohte der Papst den Kaiser mit dem Kirchenbann, was den Kaiser wiederum dazu<br />
3 Die Kirchenreformer gingen davon aus, dass in der Urkirche (gleich nach der Auferstehung Jesus) noch direkt<br />
der Heilige Geist wirkte, welcher zum waren Glauben führte, <strong>und</strong> dieser im Verlaufe der Jahrh<strong>und</strong>erte durch den<br />
Einfluss der Welt (Teufel) immer mehr verloren ging. Deshalb wollten die Reformer zur guten, alten Urkirche<br />
zurückkehren (Reform => Zurück zu den alten Zuständen).<br />
4 Während der Papst bis anhin von der Bevölkerung von Rom gewählt wurde, wurde dieses Recht nut noch den<br />
höchsten Geistlichen (Kardinäle) zugesprochen. Damit sollte verhindert werden, dass die Kirche in die Hände<br />
von weltlichen Kräften fiel. Denn die Welt war ja bekanntlich vom Teufel beherrscht.<br />
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veranlasste, den Papst für abgesetzt zu erklären. Der Papst reagierte auf diese Botschaft, indem<br />
er den Kaiser exkommunizierte <strong>und</strong> damit für abgesetzt erklärte. Die Exkommunikation<br />
war der Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, wenn ein gläubiger Christ in einem<br />
«Akt des Unglaubens» sich von der Kirche entfernte <strong>und</strong> nicht mehr zur Gemeinde gezählt<br />
werden konnte. Im Mittelalter war damit eine Person nicht nur aus der Kirche, sondern aus<br />
der gesamten Gesellschaft ausgeschlossen <strong>und</strong> verlor ihre Rechte. Da der Kaiser exkommuniziert<br />
war, musste sich ihm gegenüber kein Fürst mehr an den Treueeid halten. Wie der Kaiser<br />
feststellen musste, wandten sich die meisten Fürsten von ihm ab.<br />
Mit der gegenseitigen Absetzung von Kaiser <strong>und</strong> Papst wurde die Verbindung zwischen Kirche<br />
(Religion) <strong>und</strong> Herrschaft («Staat») erstmals brüchig. Obwohl sich Kaiser <strong>und</strong> Papst<br />
schliesslich wieder einsetzten <strong>und</strong> sich auf einem Kompromiss einigen konnten, war der<br />
Kampf der beiden noch keinesfalls beendet, sondern war von da an eine feste Konstante der<br />
mittelalterlichen Geschichte.<br />
Die Verweltlichung der Kirche<br />
Die Trennung der Kirche von allen weltlichen Belangen gelang den Reformern nicht vollständig.<br />
Im Gegenteil: Um die Freiheit der Kirche auch gegen weltliche Wiederstände wie<br />
den Kaiser durchsetzen zu können, musste sich die Kirche selbst weltliche Macht aneignen.<br />
Der Papst wurde in der Folge selbst zu einem weltlichen Herrscher <strong>und</strong> versuchte die Welt in<br />
seinem Sinne zu beeinflussen.<br />
Zum Teil begannen nun Mönche <strong>und</strong> andere Geistliche am luxuriösen, verweltlichten Leben<br />
des Papstes Kritik zu üben, indem sie sogenannte Bettelorden gründeten, welche jeglichen<br />
Reichtum ablehnten <strong>und</strong> in Armut als Bettler lebten. Aber auch andere Gruppen wie die Katharer,<br />
welche auch Ketzer genannt wurden, entfernten sich von der Lehre des Papstes. Die<br />
Katharer forderten eine arme Kirche, welche sich ganz von der materiellen Welt löste <strong>und</strong><br />
lehnten die reiche Kirche des Papstes ab. Der Papst sah in dieser Bewegung eine Gefahr für<br />
die Einheit der Kirche <strong>und</strong> liess deshalb religiöse Strömungen, die den Papst kritisierten oder<br />
die mit seinen Glaubenssätzen nicht übereinstimmten, als Irrlehren (Häresien) verfolgen. Viele<br />
Anhänger von Irrlehren wurden im Namen der Kirche auf dem Scheiterhaufen verbrannt.<br />
Bis ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert konnte der Papst seine weltliche Macht ausdehnen. 1302 erklärte<br />
Papst Bonifaz VIII., dem Papst sei jede weltliche Gewalt (Könige <strong>und</strong> Kaiser) absolut untergeordnet.<br />
Damit wäre der Papst nicht nur der oberste geistliche, sondern auch der oberste<br />
weltliche Herrscher geworden. Dieser Machtanspruch konnte der Papst zwar nie in die Realität<br />
umsetzen, trotzdem gehörten die Päpste neben den Königen zu den mächtigsten Herrschern<br />
des Mittelalters.<br />
7.2. Aufgaben zum Thema<br />
Aufgabe 1) Welche Vorteile hatte die enge Verbindung zwischen der Herrschaft des Kaisers<br />
<strong>und</strong> der Kirche?<br />
Aufgabe 2) Inwiefern gibt es einen Zusammenhang zwischen den Zuständen der Kirche im 10.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, dem Aufstieg des Mönchtums <strong>und</strong> der Kirchenreform? Versuchen Sie bei Ihren<br />
Ausführungen die Begriffe «<strong>Reformation</strong>» <strong>und</strong> «<strong>Säkularisierung</strong>» einfliessen zu lassen.<br />
Aufgabe 3) Bis heute dürfen katholische Priester nicht heiraten <strong>und</strong> der Papst wird von den<br />
Kardinälen gewählt. Welcher Gr<strong>und</strong>gedanke steht hinter diesen Regelungen?<br />
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Aufgabe 4) Warum gab es einen gr<strong>und</strong>sätzlichen Konflikt zwischen dem Kaiser <strong>und</strong> dem<br />
Papst, wer die Bischöfe einsetzen durfte? Wie ist die untenstehende Grafik zu interpretieren?<br />
Aufgabe 5) Lesen Sie die beiden Schriften, in denen sich im Jahre 1076 Kaiser Heinrich IV.<br />
<strong>und</strong> Papst Gregor VII., welcher zuvor Bischof Hildebrand hiess, gegenseitig absetzten. Die<br />
Texte sollen dabei in den Gr<strong>und</strong>zügen, nicht in den Details, erfasst werden.<br />
a) Es fällt auf, dass die Texte in ungewohnter Sprache geschrieben sind, weil oft Bibelzitate<br />
eingebaut wurden. Überlegen Sie sich, warum die Argumentationsweise der beiden Gegenspieler<br />
auf Bibelzitaten basierte.<br />
b) Wie begründen Kaiser <strong>und</strong> Papst ihre Stellung?<br />
c) Was werfen die beiden einander vor?<br />
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Am 14. Februar 1076 schrieb Heinrich IV. folgenden Brief:<br />
20
Die Antwort des Papstes Gregor VII. auf diesen Brief:<br />
21
Zusatzaufgabe) Vergleichen Sie die Forderungen der Kirchenreform mit denjenigen der Ketzer<br />
(Katharer). Warum ging der Papst gegen die Ketzer besonders brutal vor? Warum mussten<br />
diese aus der Sicht des Papstes ausgerottet werden?<br />
7.3. Rollenspiel zum Thema<br />
Auftrag: Sie müssen der Klasse ein Rollenspiel von circa 5-10 Minuten zum Thema «Investiturstreit»<br />
präsentieren. Dabei gibt es fünf Rollen: Ein Sprecher [der die Zuhörer in die Problematik<br />
einführt], der Papst Gregor VII., König Heinrich IV., die Bischöfe von Trier/Mainz<br />
<strong>und</strong> die Herzöge von Sachsen. Bischöfe <strong>und</strong> Fürsten können einfach oder doppelt besetzt werden.<br />
Das Rollenspiel soll schrittweise erarbeitet werden.<br />
1. Schritt) Die Exkommunikation <strong>und</strong> Bannung des Bischofs von Mainz durch den Papst wegen<br />
Ämterkauf stellt die Anfangskonstellation des Rollenspiels dar. Im Verlaufe des Stücks<br />
sollen sich Kaiser <strong>und</strong> Papst, wie im Jahre 1076, absetzen. Benutzen Sie dabei die beiden<br />
Texte aus den Übungen zur Anregung.<br />
2. Schritt) Das Rollenspiel ist so angelegt, dass der Kaiser dem Papst unterliegt. Überlegen<br />
Sie sich aufgr<strong>und</strong> des eben gespielten Rollenspiels, warum dies so ist.<br />
3. Schritt) Das Rollenspiel findet eine Fortsetzung. Im Jahre 1077 reiste Heinrich als Büsser<br />
nach Canossa <strong>und</strong> versuchte dort vom Papst die Aufhebung des Bannes zu erwirken. Spielen<br />
Sie diese Szene <strong>und</strong> die Reaktion der Beteiligten.<br />
4. Schritt) Überlegen Sie sich anhand des Rollenspiels, warum der Gang nach Canossa ein<br />
geschickter Schachzug des Königs gewesen sein dürfte?<br />
5. Schritt) Rollenspiel zur Präsentation vor der Klasse vorbereiten (Dauer des Theaters: maximal<br />
10 Minuten)<br />
Rollen<br />
1 Sprecher<br />
1 Kaiser Heinrich IV.<br />
1 Papst Gregor VII.<br />
1-2 Fürsten (Herzöge von Sachsen)<br />
1-2 Bischöfe (Trier <strong>und</strong> Mainz)<br />
22
Bischof von Trier / Bischof von Mainz<br />
Die Bischöfe von Trier <strong>und</strong> Mainz betrachteten Gregor VII. als gefährlichen Menschen. Der<br />
Bischof von Mainz eine Frau <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> nun verlangte der Papst, dass die Bischöfe keine<br />
Frauen mehr haben dürfen. Dies wollte der Bischof nicht akzeptieren <strong>und</strong> wurde deshalb exkommuniziert.<br />
Die Bischöfe von Mainz <strong>und</strong> Trier waren gegen den zunehmenden Einfluss<br />
des Papstes auf die Bischöfe in Deutschland <strong>und</strong> fürchtete eine «Verknechtung» der Bischöfe<br />
durch den Papst. Die Bischöfe sollten selbst über ihre Kirche bestimmen dürfen. Deshalb waren<br />
die beiden Bischöfe gegen die Kirchenreform von Gregor VII.<br />
Die Bischöfe versuchten sich mit Heinrich IV. gegen den Papst Gregor VII. zu verbünden.<br />
Der Bischof von Mainz wandte sich an den Kaiser, um sich mit ihm gegen den Papst zu verbünden<br />
<strong>und</strong> auch der Bischof von Trier spannte mit ihnen zusammen. Als Heinrich IV. jedoch<br />
vom Papst exkommuniziert wurde, wandte sich der Bischof von Trier von den beiden exkommunizierten<br />
ab, weil er fürchtete, sonst selbst vom Papst exkommuniziert zu werden.<br />
Papst Gregor VII.<br />
Papst Gregor VII. war nicht adeliger Abstammung <strong>und</strong> hiess ursprünglich Hildebrand.<br />
Gregor VII. war tief religiös <strong>und</strong> glaubte, Gottes Werkzeug zu sein. Er sah es deshalb für seine<br />
Aufgabe an, die Welt im Sinne Gottes zu verbessern. Kompromisslos versuchte er dieses<br />
Ziel zu erreichen, denn in seiner Denkweise unterschied er strikte zwischen Gut <strong>und</strong> Böse.<br />
Was seiner Meinung nach von Gott kam war gut, alles was damit nicht übereinstimmte<br />
stammte vom Teufel. Deshalb vertrat er in fanatischer Art <strong>und</strong> Weise die Kirchenreform.<br />
Für Gregor war klar, dass die deutschen Bischöfe ihr Amt erkauft hatte (dies wurde Simonie<br />
genannt) <strong>und</strong> auch sonst den Moralvorstellungen der Kirche nicht genügten. Gegen jeglichen<br />
Wiederstand der Bischöfe schritt er kompromisslos ein <strong>und</strong> enthob einige Bischöfe auch ihres<br />
Amtes, indem er diese exkommunizierte.<br />
Diese Haltung prägte auch sein Verhältnis zum Kaiser. Solange der Kaiser mit der Kirche<br />
gleicher Meinung war, gab es keine Spannungen zwischen Gregor <strong>und</strong> Heinrich. Als aber<br />
Heinrich an seinen Privilegien zur Einsetzung von Bischöfen festhielt, wurde er für Gregor<br />
zum Feind.<br />
Um sich gegen den Kaiser durchzusetzen wandte er sich an die Fürsten (Herzog von Sachsen),<br />
um sich mit ihren gegen den Kaiser zu verbünden.<br />
Herzog von Sachsen<br />
Heinrich IV. hatte unter der Herrschaft seiner Mutter Agnes Gebiete an die Sachsen verloren<br />
<strong>und</strong> versuchte nun, diese von den Sachsen zurückzugewinnen. Die Fürsten von Sachsen fanden<br />
diese Rückeroberung nicht gerechtfertigt <strong>und</strong> sie waren deshalb dem Kaiser gegenüber<br />
feindlich eingestellt. Die Exkommunikation von Heinrich wurde von den Fürsten sehr begrüsst.<br />
Da Heinrich exkommuniziert war, mussten sie ihm nicht mehr gehorchen. Sie wollten<br />
anstelle von Heinrich einen anderen König wählen, falls dieser exkommuniziert blieb.<br />
Heinrich IV.<br />
Da sein Vater Heinrich III. schon früh starb, wurde Heinrich IV. schon in sehr jungen Jahren<br />
zum König gekrönt. Allerdings war er noch zu jung <strong>und</strong> unerfahren, um über sein Reich zu<br />
regieren. An seiner Stelle trat deshalb seine Mutter Agnes als Übergangsregentin. Unter der<br />
Herrschaft von Agnes hat Heinrich aber sehr viel Macht <strong>und</strong> Gebiete in Sachsen an den dortigen<br />
Adel verloren. Im Rollenspiel ist er nun Volljährig.<br />
Heinrich IV. hatte einen schwankenden Charakter, gleichzeitig war er sich aber seiner Rolle<br />
als Kaiser bewusst <strong>und</strong> versuchte seine Macht gegenüber den Fürsten zu verteidigen.<br />
Die Bischöfe waren Heinrich sehr dienlich, um ihm seine Macht im Reich zu sichern. Denn<br />
sie konnten ihren Besitz im Gegensatz zu den Fürsten nicht vererben <strong>und</strong> so fielen ihre Gebiete<br />
immer wieder an den Kaiser zurück. Um seine Macht im Reich zurückzugewinnen übergab<br />
23
er den Bischöfen deshalb grosse Reichsgebiete. Die Bischöfe waren eine Art verbündete von<br />
Heinrich gegen die anderen Fürsten.<br />
Heinrich versuchte seine Macht zu stärken, indem er Bischöfen <strong>und</strong> anderen Geistlichen vermehrt<br />
Reichsgebiete auf Kosten der Fürsten übertrug. Natürlich wollte Heinrich seine Bischöfe<br />
selbst bestimmen dürfen, damit er kaisertreue Personen in diesen Ämtern hatte. Genau diesen<br />
Einfluss des Kaisers auf die Kirche wollte Gregor VII. jedoch unterbinden. Heinrich versuchte<br />
deshalb weiterhin Bischöfe einzusetzen <strong>und</strong> unterstützte die Bischöfe bei ihren Auflehnungsversuchen<br />
gegen den Papst. Heinrich IV. konnte <strong>und</strong> wollte die Investitur von Bischöfen<br />
nicht aufgeben, denn schliesslich war er der oberste Herrscher auf dieser Welt <strong>und</strong><br />
nicht der Papst!<br />
Heinrich versuchte den Fürsten (Herzog von Sachsen) von Anfang an wieder sein Land zu<br />
entreissen. Für ihn war klar, dass der Herzog von Sachsen sich unrechtmässig Land angeeignet<br />
hatte. Daraus ergaben sich notgedrungen Konflikte zwischen dem Kaiser <strong>und</strong> seinen Fürsten.<br />
Nachdem er vom Papst exkommuniziert worden war, hatte er nur noch eine Möglichkeit,<br />
wenn er nicht seine Kaisermacht verlieren wollte: Er musste sich demütig vor dem Papst niederwerfen<br />
um den Ausschluss aus der christlichen Gemeinschaft rückgängig zu machen.<br />
Literatur<br />
Frank Ausbüttel, Gr<strong>und</strong>wissen Geschichte, Stuttgart 1994<br />
Uta-Renate Blumenthal, Der Investiturstreit, Stuttgart 1982<br />
Johann Engelberger, Gregor VII. <strong>und</strong> die Investiturfrage Köln 1996<br />
Werner Goetz, Kirchenreform <strong>und</strong> Investiturstreit, Stuttgart 2000<br />
Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit, München 1996<br />
Franz Josef Schmale, Quellen zur Geschichte Heinrich IV., Darmstadt 1963<br />
24
8. Gruppe «<strong>Reformation</strong>»<br />
Aus: Cornelsen Geschichtsbuch 2, S. 157<br />
8.1. Material<br />
• Kartenmaterial: Cornelsen Geschichtsbuch 2, S. 168, 169, 174<br />
• Übersichtstext zur <strong>Reformation</strong> (siehe unten: Kapitel 8.3)<br />
• Quellenmaterial (Kapitel 8.4)<br />
o Auszug aus Martin Luthers 95 Thesen (Q 1)<br />
o Martin Luthers Rede vor dem Wormser Reichstag 1521 (Q 2)<br />
o Karikaturen zum Papst (um 1500) <strong>und</strong> zu Luther (1535) (Q 3)<br />
Unterstrichene Begriffe werden im Glossar im Kapitel 8.5 erklärt.<br />
8.2. Arbeitsauftrag<br />
Lesen Sie zunächst gründlich die Unterlagen. Entwickeln Sie dann in der Gruppe ein Rollenspiel<br />
von 5-10 Minuten, das Sie in der Auswertungsphase der Klasse vorführen. Es gibt fünf<br />
feste Rollen: Sprecher, Martin Luther, Friedrich von Sachsen, Kaiser Karl V., Papst Leo X.<br />
<strong>und</strong> einige Bauern. Eventuell können Sie noch Thomas Müntzer einbauen. Die Argumente der<br />
verschiedenen Personen müssen Sie aus den Unterlagen herausarbeiten.<br />
Das Rollenspiel handelt in der Zeitepoche von 1517 bis 1525. Dort entwickeln die Kontrahenten<br />
ihre Argumente, was nach 1525 folgte, ist «nur» noch ein politischer Streit über den Status<br />
des neuen Bekenntnisses.<br />
Rollen<br />
1 Sprecher<br />
1 Martin Luther<br />
1 Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen<br />
1 Kaiser Karl V.<br />
1 Papst Leo X.<br />
2 Bauern<br />
(1 Thomas Müntzer)<br />
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Sprecher<br />
Er vermittelt den historischen Kontext <strong>und</strong> beschreibt die dargestellte(n) Szene(n)<br />
Martin Luther<br />
Er wurde 1483 in Eisleben im Kurfürstentum Sachsen geboren. Dem Wunsch des Vaters folgend,<br />
begann er 1501 an der Universität Erfurt mit dem Studium der Rechtswissenschaften.<br />
Doch der plötzliche Tod eines Fre<strong>und</strong>es <strong>und</strong> die Todesangst während eines Gewitters gaben<br />
seinem Leben eine ganz andere Richtung: 1505 trat er dem Orden der Augustiner Eremiten<br />
bei.<br />
Er empfing die Priesterweihe, promovierte zum Doktor der Theologie <strong>und</strong> übernahm auf Geheiss<br />
seiner Ordensoberen eine Professur an der wenige Jahre vorher gegründeten kursächsischen<br />
Universität Wittenberg. Auch ihn beschäftigten die brennendsten Fragen der damaligen<br />
Zeit («Wie kriege ich einen gnädigen Gott <strong>und</strong> die Vergebung meiner Sünden?»). Aus dem<br />
Studium der Bibel fand er die Antwort auf seine Fragen: Allein aus der Gnade Gottes (sola<br />
gratia) <strong>und</strong> allein durch den Glauben (sola fide) konnte der Mensch das ewige Leben erlangen.<br />
Gott war kein strafender Richter. In seiner Barmherzigkeit hatte er den Menschen Jesus<br />
Christus, seinen Sohn, gesandt. In der Bibel sprach er zu den Menschen <strong>und</strong> wies ihnen den<br />
Weg zu seiner Gnade. An der Bibel mussten deshalb alle Lehren der Papstkirche gemessen<br />
werden.<br />
Nichts anderes behauptete Luther in seinen 95 Thesen. Aber plötzlich fand er sich in der Rolle<br />
des Angeklagten wieder, was er nicht verstehen konnte. Er wollte nur auf Irrlehren der Kirche<br />
hinweisen. Von dieser Position wollte Luther auch nicht mehr abrücken. Je schärfer die Auseinandersetzung<br />
wurde, umso gr<strong>und</strong>sätzlicher wurde seine Kritik an der Papstkirche. Er warf<br />
ihr vor, die Menschen durch diese Irrlehren zu unterjochen. Weder der Papst noch ein Konzil<br />
besässen die Autorität, Entscheidungen in Glaubensfragen zu fällen: Allein die Heilige Schrift<br />
konnte den Menschen den Weg zur Gnade Gottes weisen (sola scriptura). Die Freiheit der<br />
Christen bestehe darin, dass sie keinen Mittler zwischen sich <strong>und</strong> Gott brauchen.<br />
Nach Luthers Meinung entfiel damit der Anspruch der Papstkirche, den Menschen den Weg<br />
zur Erlösung weisen zu können. Durch die Taufe wurde jeder Mensch zum Verkünder des<br />
Wort Gottes, der Einzelne brauchte keinen Priester. Aufgr<strong>und</strong> dieser Überlegungen verwarf<br />
Luther die Heiligenverehrung <strong>und</strong> das Mönchtum. Denn wenn alle Menschen die Gnade Gottes<br />
durch den Glauben erlangen konnten, bot das Klosterleben keinen besseren Weg zur Erlösung<br />
als das fromme <strong>und</strong> fleissige Leben eines Bauern oder Handwerkers.<br />
Schritt für Schritt war aus der Kritik am Ablass – <strong>und</strong> einem Versuch, die Kirche zu ihren<br />
Wurzeln zurückzuführen – ein gr<strong>und</strong>sätzlich neues christliches Bekenntnis geworden. Luther<br />
rief die Fürsten <strong>und</strong> Adligen auf, die notwendige Reform der Kirche selbst in die Hand zu<br />
nehmen. Für Papst Leo X. war aber klar, dass Luther als Ketzer verurteilt <strong>und</strong> aus der Kirche<br />
ausgeschlossen werden musste.<br />
Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen<br />
Friedrich wurde 1463 geboren. 1486 trat er die Nachfolge im väterlichen Herrschaftsgebiet<br />
gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Johann an. Er war ein Mann des friedlichen Ausgleichs<br />
<strong>und</strong> hielt sein Herrschaftsgebiet in seiner Regierungszeit aus allen kriegerischen Verwicklungen<br />
heraus. Historische Bedeutung erlangte Friedrich aber vor allem als Förderer von<br />
Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst. So machte er Wittenberg zur repräsentativen Residenz durch den<br />
Neubau von Schloss <strong>und</strong> Schlosskirche <strong>und</strong> die 1502 gegründete Universität.<br />
Bei der Kaiserwahl von 1519 wollte Papst Leo X. einen spanischen Habsburger auf dem<br />
Thron verhindern <strong>und</strong> versuchte, Friedrich zur Kandidatur zu bewegen. Doch dieser lehnte ab,<br />
da er sich nicht zum Instrument der Kurie machen lassen wollte. Ausserdem hatte er die Reformbedürftigkeit<br />
der damaligen Papstkirche erkannt. Und das, obwohl Friedrich noch tief<br />
durchdrungen von spätmittelalterlicher Frömmigkeit war.<br />
26
Der Schutz Martin Luthers vor der Kirchengerichtsbarkeit wurde zu Friedrichs historischem<br />
Verdienst. Dabei bewährte sich sein Repertoire an diplomatischer Hinhaltetaktik auf wirksamste<br />
Weise, das den Gegnern nie eine Angriffsfläche bot, <strong>und</strong> schützte den in seinen Augen<br />
zu Unrecht beschuldigten, da noch keines Irrtums überführten Luther.<br />
Hier, wie auch in anderen Fällen, bildete sich Friedrich ein eigenes Urteil erst nach genauer<br />
Prüfung der Sachlage durch seine Berater <strong>und</strong> das Urteil von ihm anerkannter Gelehrter, wie<br />
in der Luthersache Erasmus von Rotterdam. Friedrich starb 1525.<br />
Kaiser Karl V.<br />
Karl, geboren am 24. Februar 1500 in Gent, gestorben am 21. September 1558 im Kloster San<br />
Jerónimo de Yuste, Extremadura, war als Karl I. von 1516 an König von Spanien <strong>und</strong> von<br />
1519 auch Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Am 23. August 1556<br />
verzichtete er zugunsten seines Sohnes auf den spanischen Thron <strong>und</strong> zugunsten seines Bruders<br />
auf die Kaiserwürde.<br />
Karl V. war ein frommer Mann, einer, der den Anforderungen der Kirche nach einem Gott<br />
gefälligen Leben nachkam. Auch Luther bezeichnete ihn als einen frommen Mann. Daneben<br />
fasste er das Amt des Kaisers als Schutzherr der Christenheit, als weltlicher Hirte, auf. Er hielt<br />
es für seine Pflicht in dem ihm von Gott anvertrauten Amt, die Einheit der Christenheit zu<br />
wahren. Deshalb konnte er Kritik an der Praxis der Kirche akzeptieren <strong>und</strong> auch dafür sorgen,<br />
dass diese Missstände abgestellt wurden. Völlig indiskutabel musste für ihn die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Infragestellung der Autorität des Papstes, des Konzils <strong>und</strong> der Kirchenväter erscheinen,<br />
die von Luther anlässlich seiner Befragung in Worms 1521 unüberhörbar für die ganze Christenheit<br />
vorgetragen worden war.<br />
• Auszug aus der Abdankungserklärung Kaiser Karls V. (Brüssel am 25. Oktober 1555):<br />
«Ich habe ... viele beschwerliche Reisen machen, viele beschwerliche Kriege führen müssen.<br />
Aber niemals mutwillig, sondern stets sehr gegen meinen Willen als Angegriffener.<br />
Grosse Hoffnung hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt, <strong>und</strong> nur wenige bleiben mir: <strong>und</strong><br />
um den Preis welcher Mühen! Das hat mich schliesslich müde <strong>und</strong> krank gemacht. Ihr wisst<br />
alle, wie sehr. Ich habe alle Wirrnisse nach Menschenmöglichkeit bis heute ertragen, damit<br />
niemand sagen könnte, ich sei fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich,<br />
die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Glaubt nicht, dass ich mich irgend Mühen <strong>und</strong><br />
Gefahren entziehen will: Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. Vertraut meinem<br />
Sohn, wie er euch vertraut, seid einig, übt stets Gerechtigkeit <strong>und</strong> lasset den Unglauben nicht<br />
in eure Reihen.»<br />
Papst Leo X.<br />
Giovanni de Medici, geboren am 11. Dezember 1475 in Florenz, gestorben am 1. Dezember<br />
1521 in Rom, war Papst vom 11. März 1513 bis zu seinem Tode 1521.<br />
Für den Neubau des Petersdoms förderte Leo X. den Ablasshandel, was für Martin Luther<br />
einer der Anlässe zu seinen 95 Thesen war. Die Bedeutung der damit beginnenden <strong>Reformation</strong><br />
verkannte er völlig.<br />
Leo X. griff stark in die europäische Politik ein. 1519 wollte er bei der Kaiserwahl im Reich<br />
die Wahl von Maximilians Enkel Karl verhindern, weil die Vereinigung der spanischen mit<br />
der deutschen Krone für den Kirchenstaat schwere Gefahren schaffen musste. Der einzige<br />
denkbare Gegenkandidat war Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, der aber keine<br />
Bereitschaft zeigte, sich in die antihabsburgische Politik der Kurie einspannen zu lassen.<br />
Über seinen Bemühungen in der Politik vernachlässigte Leo X. seine geistlichen Aufgaben.<br />
Auch traf man ihn eher beim Jagen <strong>und</strong> Angeln, typischen Adels- <strong>und</strong> Herrschervergnügungen<br />
jener Zeit, als bei der Messe. Hier <strong>und</strong> in der Tatsache, dass er sich einen prunkvollen<br />
Lebensstil gönnte, wird ersichtlich, wie sehr Leo X. verweltlicht war.<br />
27
Luthers Kritik musste ihn persönlich schwer treffen, da auch sein weltlicher Lebenswandel<br />
zum Thema geworden war.<br />
Seine Argumente gegen Luther zeugen von Sturheit <strong>und</strong> Angst vor Machtverlust: «Der Papst<br />
ist von Gott eingesetzt»; «Luther verbreitet Irrlehren (Ketzerei!)»; «Der Papst ist der Stellvertreter<br />
Christi auf Erden <strong>und</strong> der Nachfolger Petrus’. Dazu ist er der absolute Herrscher des<br />
Kirchenstaates. Aus diesen Gründen hat der Papst immer recht. Wer nicht der Meinung des<br />
Papstes ist, der steckt mit dem Teufel im B<strong>und</strong>e.»; «Luther will die Kirche spalten».<br />
Er starb am 1. Dezember 1521 so plötzlich, dass er nicht einmal die Sterbesakramente empfangen<br />
konnte. Leo X. hinterliess einen für die damalige Zeit unvorstellbar hohen Schuldenberg.<br />
Bauern<br />
Die Bauern sollten zeigen, wie die Stimmung unter der Bevölkerung mit Blick auf die <strong>Reformation</strong><br />
war.<br />
Thomas Müntzer<br />
Müntzer war als Priester zunächst ein engagierter Anhänger <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erer Martin Luthers.<br />
Allerdings richtete sich sein Widerstand nicht nur gegen die vom Papsttum beherrschte geistliche<br />
Obrigkeit, sondern auch gegen die soziale Unterdrückung <strong>und</strong> Ausbeutung der Bauern<br />
<strong>und</strong> der ärmeren Stadtbevölkerung durch ihre weltlichen Herrscher. Wegen seiner radikalen,<br />
sozialrevolutionären Bestrebungen <strong>und</strong> seiner spiritualistischen Theologie, welche sich in<br />
vielen kämpferischen Texten <strong>und</strong> Predigten niederschlugen, distanzierte sich Luther zu Beginn<br />
des Bauernkrieges von Müntzer.<br />
8.3. Die <strong>Reformation</strong> im Reich<br />
An der Wende vom 15. zum 16. Jahrh<strong>und</strong>ert suchten die Menschen auf neue Weise Halt im<br />
Glauben. Ihr Denken kreiste um die Frage: «Wie kriege ich einen gnädigen Gott <strong>und</strong> die Vergebung<br />
meiner Sünden?» Es herrschte die Vorstellung von Gott als strenger Richter vor. Deshalb<br />
flehten die Menschen Maria <strong>und</strong> die Heiligen um Fürbitte an. Es wurden Bilder <strong>und</strong> Altäre<br />
gestiftet, die Menschen gingen auf beschwerliche Wallfahrten. Mit diesen «guten Werken»<br />
wollten sie sich die Gnade Gottes erwerben.<br />
Die Kirche macht aus der Frömmigkeit ein Geschäft<br />
Nach der Auffassung der Papstkirche konnte der Weg zur Erlösung nur durch die Kirche<br />
selbst aufgezeigt werden. Wenn nun aber ein Geistlicher an der Institution «Kirche» Kritik<br />
übte, musste das nachhaltiger wirken. Die Zustände waren in der Tat bedenklich: Tausende<br />
von Geistlichen in Städten <strong>und</strong> Dörfern mussten neben ihrem Amt noch Gaststätten oder Geschäfte<br />
betreiben, damit sie überleben konnten. Im Gegensatz dazu verbanden die Bischöfe<br />
geistliches Amt <strong>und</strong> weltliche Herrschaft. Sie fühlten sich in der Kriegerrüstung wohler als im<br />
Messegewand.<br />
Noch offener traten die Missstände in Rom zu Tage: Als Stellvertreter Christi beanspruchten<br />
die Päpste die alleinige Herrschaft über die Kirche <strong>und</strong> als Herren des Kirchenstaates führten<br />
sie Kriege. Der päpstliche Hof war um 1500 der prunkvollste Europas. Das Geld für diesen<br />
Aufwand holten sie sich einerseits mit Steuern, andererseits durch den Verkauf von Ämtern<br />
<strong>und</strong> Pfründen. Unter Leo X. wurde der Ämterhandel zur wichtigsten Einnahmequelle.<br />
Um die Vergebung der Sünden zu erreichen, mussten die Menschen beichten <strong>und</strong> Busse tun.<br />
Mit Gebeten <strong>und</strong> Fasten wurde die Strafe abgegolten. Später konnte man sich auch durch Almosen<br />
(Geld) freikaufen. Die Päpste begannen, den Ablassbrief zu einer Voraussetzung für<br />
den Erlass der Sünden zu machen. Die Menschen glaubten schliesslich gar, dass nur dieser<br />
28
Ablass Straffreiheit verschaffe <strong>und</strong> dass er sogar Verstorbenen nutzen könne. Um das ewige<br />
Leben zu sichern, war man zu zahlen bereit. Die Päpste <strong>und</strong> Bischöfe unternahmen nichts, um<br />
diese Irrlehren zu bekämpfen, denn sie sahen vor allem das Geld, das sie für ihr Leben <strong>und</strong><br />
ihre Kriege brauchten.<br />
Der Erzbischof von Magdeburg, Albrecht von Hohenzollern, hatte mit seinen drei<strong>und</strong>zwanzig<br />
Jahren bereits Grosses vor, wollte er doch auch noch Erzbischof <strong>und</strong> Kurfürst von Mainz<br />
werden. Das Kirchenrecht verbot jedoch eine solche Ämteranhäufung; nur ein päpstlicher<br />
Dispens konnte davon entbinden. Zähe Verhandlungen führten schliesslich zur Einigung:<br />
Papst Leo X. erteilte gegen Bezahlung eines hohen Bussgeldes den gewünschten Dispens.<br />
Albrecht musste sich das Geld bei Jakob Fugger «dem Reichen» leihen, einem der reichsten<br />
Männer der Welt. Um die Schulden zurückzahlen zu können, sollte nun der Ablass auch in<br />
Brandenburg verkündet werden.<br />
Die Kritik am Ablass<br />
Wittenberg im Kurfürstentum Sachsen war zwar nicht unmittelbar vom Ablass betroffen, aber<br />
viele Bürger zogen über die nahe Grenze ins Kurfürstentum Brandenburg, um sich oder verstorbenen<br />
Angehörigen einen Ablass zu sichern. Am 31. Oktober 1517 beschwerte sich Martin<br />
Luther mit 95 Thesen (Q 1) zum Ablass in lateinischer Sprache bei Erzbischof Albrecht.<br />
Er hatte seine Schrift absichtlich in Latein verfasst <strong>und</strong> wahrscheinlich nie an das Tor der Wittenberger<br />
Schlosskirche angeschlagen, weil er das ganze Problem zur innerkirchlichen Diskussion<br />
stellen wollte. Luther stellte fest, dass nur Gott die Sünden vergeben könne <strong>und</strong> dass<br />
das ganze Leben der Menschen der Busse gewidmet sein sollte. Die Missbräuche streifte er<br />
nur beiläufig. In der Hauptsache befasste er sich mit der korrekten Form des Ablasses. Er vertrat<br />
die Auffassung, der Papst könne Ablass nur für kirchliche Strafen gewähren; überhaupt<br />
könne die Kirche weder im Ablass noch im Busssakrament die Gnade Gottes beschaffen,<br />
sondern lediglich versichern oder verkündigen.<br />
Die Wirkung der Thesen, die ohne Zutun Luthers noch 1517 ins Deutsche übersetzt <strong>und</strong> im<br />
ganzen Reich verbreitet wurden, war gewaltig: Auf einen Schlag wurde Luther zum bekanntesten<br />
Theologen im Reich. Der Zulauf, den der Ablassprediger Tetzel bisher fand, ebbte jäh ab,<br />
den Brandenburgern <strong>und</strong> dem Papst entgingen beträchtliche Einnahmen. Der Dominikanerorden,<br />
dem Tetzel angehörte, veranlasste, dass gegen Luther ein Inquisitionsverfahren eingeleitet<br />
wurde. Wenige Monate später allerdings sistierte Leo X. diese Untersuchung, denn Kaiser<br />
Maximilians Tod stand bevor. Die Kurie wollte die Wahl von Maximilians Enkel Karl verhindern,<br />
weil die Vereinigung der spanischen mit der deutschen Krone für den Kirchenstaat<br />
schwere Gefahren schaffen musste. Der einzige denkbare Gegenkandidat war Kurfürst Friedrich<br />
der Weise, der aber keine Bereitschaft zeigte, sich in die antihabsburgische Politik der<br />
Kurie einspannen zu lassen. Ein Inquisitionsprozess gegen Luther hätte ihn vollends auf die<br />
papstfeindliche Seite getrieben, denn dank Luther nahm die junge sächsische Landesuniversität,<br />
das Lieblingskind des Kurfürsten, einen raschen Aufschwung.<br />
Die «causa Lutheri» im politischen Streit<br />
Am 15. Juni 1520 wurde Luther der Kirchenbann angedroht, falls er seine Schriften <strong>und</strong> Äusserungen<br />
nicht widerrufe. Der Papst forderte die Menschen dazu auf, die Schriften Luthers<br />
zu verbrennen. Im Gegenzug verbrannte Luther die päpstliche Bulle (10. Dezember). Anfang<br />
1521 sprach der Papst den Kirchenbann über Luther aus. Nach altem Herkommen sollte<br />
sogleich die Reichsacht verhängt werden, was aber noch nicht geschah, weil in Karls Wahlkapitulation<br />
verboten wurde, einen Reichsangehörigen ohne Verhör <strong>und</strong> die Zustimmung der<br />
Stände in die Reichsacht zu erklären. So geriet die «causa Lutheri» in den alten Streit zwischen<br />
Kaiser <strong>und</strong> Fürsten um die Macht im Reich.<br />
29
Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, verhinderte die Verkündung<br />
des Kirchenbanns in seinem Territorium. Er erreichte, dass die «causa Lutheri» vor den<br />
Reichstag kommt. Karl lud Luther im Frühjahr 1521 auf den Reichstag nach Worms. Nach<br />
dem Willen des Kaisers sollte Luther nur seine Lehren widerrufen, denn ein Reichstag durfte<br />
nicht über Glaubensfragen diskutieren <strong>und</strong> entscheiden. Luther reiste im Glauben an eine bevorstehende<br />
theologische Diskussion an. Seine Reise glich einem Triumphzug: überall jubelten<br />
ihm die Leute zu. Als er dann erfuhr, dass von ihm lediglich ein Widerruf verlangt wurde,<br />
verweigerte er diesen: «Daher kann <strong>und</strong> will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen<br />
etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!» (vgl. Q 2, Kapitel 8.4.)<br />
Als Luther <strong>und</strong> die ihn unterstützenden Fürsten Worms verlassen hatten, verhängte Karl V. im<br />
«Wormser Edikt» die Reichsacht über Luther (8. Mai 1521). Das Edikt hatte aber geringen<br />
Erfolg. Die Klärung der religiösen Fragen sollte auf ein Nationalkonzil vertagt werden. Friedrich<br />
von Sachsen liess Luther auf die Wartburg in Sicherheit bringen, damit sich die Aufregung<br />
etwas legen konnte. Viele Fürsten <strong>und</strong> Reichsstädte führten das Edikt nicht aus.<br />
Die Rezeption der <strong>Reformation</strong>stheologie in der ländlichen Gesellschaft<br />
In die Aufbruchsphase der reformatorischen Bewegung fällt die grösste bäuerliche Erhebung<br />
in der deutschen Geschichte: der Bauernkrieg von 1525. Ohne den Bauernkrieg lässt sich das<br />
Verhältnis der ländlichen Gesellschaft zur <strong>Reformation</strong> nicht fassen, weil es sich erst hier voll<br />
entfaltete.<br />
Lage der Bauern zu Beginn des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
Zu den Gr<strong>und</strong>tatsachen des bäuerlichen Lebens gehörte die herrschaftliche Abhängigkeit. Der<br />
Bauer hatte den bewirtschafteten Boden von einem Gr<strong>und</strong>herrn geliehen <strong>und</strong> erbrachte diesem<br />
Abgaben (Naturalien oder Geld, vereinzelt Dienste). Nicht selten war der Gr<strong>und</strong>herr gleichzeitig<br />
auch Besitzer des Bauern («Leibherr»). Die Abgaben beliefen sich auf ungefähr 30 Prozent<br />
des jährlichen Bruttoertrages. Neben die wirtschaftliche <strong>und</strong> persönliche Abhängigkeit<br />
trat vielfach eine politische (Gr<strong>und</strong>-, Leib- <strong>und</strong> Gerichtsherrschaft).<br />
Veränderungen für die Bauern in der Vorreformationszeit<br />
• Wirtschaftlich: verhaltene Agrarkonjunktur um 1500, aber auch eine Verschlechterung<br />
der Land-Mann-Relation. Fazit: die Lage für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb<br />
verschlechterte sich. Die Bauern fühlten sich als rechtloser, von ihren Gr<strong>und</strong>herren<br />
ausgebeuteter Stand.<br />
• Politisch: Territorialisierung der Herrschaft, das heisst äussere Abgrenzung gegen<br />
Nachbarherrschaften <strong>und</strong> innere Stabilisierung durch eine wirksamere administrative<br />
Durchdringung. Verschärfung der Leibherrschaft im Südwesten – nicht zufällig steht<br />
in den meisten Beschwerdeschriften die Leibeigenschaft an erster oder zweiter Stelle.<br />
• Sozial: Verschärfung der Gegensätze zwischen Arm <strong>und</strong> Reich.<br />
Schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts war es gegen den Ausbau der Landesherrschaft<br />
auf Kosten der Bauern zu Unruhen gekommen. Den Fürsten war es aber immer wieder<br />
gelungen, die Aufstände niederzuschlagen.<br />
Reformatorische Vorstellungen der Bauern<br />
Mit den Ideen der <strong>Reformation</strong>, die durch Prediger auch in die Dörfer getragen wurden, erhielt<br />
die anhaltende Unzufriedenheit der Bauern neuen Auftrieb. Die Argumentation Luthers<br />
in seiner Schrift «Von der Freyheit eines Christenmenschen» (1520), dass «ein Christenmensch<br />
[...] ein Herr über alle Dinge <strong>und</strong> niemandem untertan» sei, sowie seine Übersetzung<br />
des Neuen Testaments ins Deutsche (1522) waren Auslöser für das Aufbegehren der dörflichen<br />
Bevölkerung: Nun war es auch den einfachen Leuten möglich, die mit dem «Willen Got-<br />
30
tes» gerechtfertigten Ansprüche von Adel <strong>und</strong> Klerus zu hinterfragen. Für die eigene erbärmliche<br />
Lage fanden sie keine biblische Begründung.<br />
Die <strong>Reformation</strong> breitet sich unter den Bauern rasch aus <strong>und</strong> weitet sich zu einem mächtigen<br />
Strom im gesamten oberdeutschen Raum aus: Thüringen, Franken, das Elsass <strong>und</strong> Schwaben,<br />
die Schweiz <strong>und</strong> das Tirol sind Regionen, in denen die Bauern ein vergleichsweise ähnliches<br />
Verständnis von Kirche <strong>und</strong> Religion entwickeln. Hier kam es in den Jahren 1524 <strong>und</strong> 1525<br />
zum grossen Aufstand. Erstmals hatten die Bauern ein gemeinsames, ihre Einzelforderungen<br />
überspannendes Programm:<br />
• Predigt des reinen Evangeliums, eine Theologie auf der Basis des reinen Evangeliums.<br />
Das reine Evangelium in der Redeweise der Bauern ist die Abkürzung für die Wortverkündigung<br />
<strong>und</strong> Auslegung der Bibel im reformatorischen Verständnis ohne die Lehrtradition<br />
der Kirche.<br />
• Lehrentscheidungskompetenz durch die Gemeinde<br />
• Pfarrerwahl durch die Gemeinde; Wahl <strong>und</strong> Abwahl der Geistlichen; unbeschränkte Verfügungsgewalt<br />
über den Zehnten, um damit den Pfarrer besolden zu können<br />
• Residenz des Geistlichen am Ort<br />
• Abschaffung beziehungsweise Kompetenzbeschneidung des geistlichen Gerichts<br />
• Verweigerung der Zahlungen an den Pfarrer für seelsorgerische Handlungen<br />
• Aufhebung der Leibeigenschaft<br />
• Es wird eine gesellschaftliche <strong>und</strong> politische Ordnung angestrebt, die dem Evangelium,<br />
also dem göttlichen Recht entspricht. Die Bauern vertraten die Auffassung, das Evangelium<br />
sei als Massstab zur Ordnung des innerweltlichen Bereichs tauglich<br />
Luther stellte sich gegen die Argumentationsweise der Bauern <strong>und</strong> sprach ihnen das Recht ab,<br />
das Evangelium als Massstab zu benutzen. Er wandte sich an die Bauernschaft <strong>und</strong> ermahnte<br />
sie zum Frieden. An die Herren schrieb er, dass sie einige Forderungen der Bauern erfüllen<br />
sollten, um eine Eskalation zu verhindern.<br />
Der Bauernkrieg 1525<br />
Anfänglich hofften die Bauern, ihre Forderungen friedlich durchsetzen zu können. Aber die<br />
Herren waren zu einem Ausgleich nicht bereit, obwohl sie den «Bauernhaufen» zunächst<br />
nichts entgegensetzen konnten. So kam es zu Gewalttaten: Burgen wurden niedergebrannt<br />
<strong>und</strong> Klöster verwüstet.<br />
In Thüringen radikalisierten sich die Bauernaufstände unter der Führung von Thomas Müntzer.<br />
Im Aufstand der Bauern sah er den Beweis für das Wirken Gottes auf Erden. Die Armen<br />
<strong>und</strong> Unterdrückten seien dazu auserwählt, in einer letzten grossen Schlacht gegen die tyrannischen<br />
Fürsten <strong>und</strong> gegen die unchristlichen Prediger den wahren Glauben zum Sieg zu führen.<br />
Nach seiner Auffassung konnte erst die Niederwerfung der Herrschenden <strong>und</strong> die Befreiung<br />
von sozialer Not den Weg für das Gottesreich frei machen, das nach den Worten der Bibel auf<br />
Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit aller Menschen gegründet sein sollte.<br />
Bewaffnet zog er mit seinen Anhängern zu den kämpfenden Bauern. Bei der Schlacht von<br />
Frankenhausen siegte das vereinigte Fürstenheer aus Sachsen, Hessen <strong>und</strong> Braunschweig über<br />
die Thüringer Bauern. Müntzer konnte fliehen, wurde aber aufgespürt <strong>und</strong> als Aufrührer hingerichtet.<br />
Die Schlacht von Frankenhausen ist ein Beispiel für einige andere Schlachten, die auf dem<br />
Reichsgebiet innerhalb von 14 Tagen stattfanden <strong>und</strong> welche die entscheidenden <strong>und</strong> für die<br />
Bauern verheerenden Niederlagen brachten: 70'000 bis 100'000 Bauern starben nach zeitgenössischen<br />
Schätzungen zwischen Schlachtfeld <strong>und</strong> Galgen. H<strong>und</strong>erte von Dörfern wurden<br />
gebrandschatzt. Unerbittlich war das Strafgericht, das über die Aufständischen hereinbrach.<br />
31
Die gedemütigten geistlichen <strong>und</strong> weltlichen Herren rächten sich grausam an ihren Bauern.<br />
Die Reichsstädte sahen entsetzt die Rachefurien über das Land reiten.<br />
Aber der Schrecken sass tief, so dass es zu vielen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den<br />
Herren <strong>und</strong> ihren Untertanen kam: wirtschaftliche Entlastung für die Güter, Entschärfung der<br />
Leibeigenschaft <strong>und</strong> Steigerung der Rechtssicherheit waren die positivsten Folgen für die<br />
Bauern, auch wenn sich die revolutionären Forderungen nach Gleichberechtigung <strong>und</strong> Mitsprache<br />
nirgends durchsetzen liessen.<br />
Nach dem Bauernkrieg: die <strong>Reformation</strong> «von oben»<br />
Gemeinsam hatten Anhänger <strong>und</strong> Gegner Luthers unter den Fürsten den Aufstand der Bauern<br />
niedergeschlagen. Man war sich einig, dass sich Untertanen nicht gegen ihre Herren erheben<br />
durften. Für die katholischen Fürsten konnte es aber erst Frieden geben, wenn auch die lutherische<br />
Bewegung vernichtet war.<br />
Im Gegensatz zu den katholischen Fürsten behaupteten die Anhänger Luthers, dass es nur<br />
durch die Reformunfähigkeit der alten Kirche zu Aufruhr <strong>und</strong> Blutvergiessen gekommen sei.<br />
Während des Bauernkrieges hatte Luther offen für die Fürsten Partei ergriffen. Jetzt forderte<br />
er sie dazu auf, sich um die Verkündigung des Evangeliums <strong>und</strong> um das kirchliche Leben in<br />
ihren Ländern zu kümmern. Bis zur Regelung der Glaubensfrage durch ein Konzil sollten die<br />
Fürsten als sogenannte «Notbischöfe» der neuen Kirche eine feste Ordnung geben. Der Besitz<br />
der alten Kirche wurde eingezogen, um damit den Aufbau des neuen Kirchenwesens zu finanzieren.<br />
Als «Notbischof» war der Landesherr auch für das Seelenheil seiner Untertanen verantwortlich,<br />
<strong>und</strong> weil er sie zu guten Christen erziehen musste, wurden sie weit strenger<br />
überwacht als früher. Die Religion der Untertanen war Sache der Fürsten geworden, ihre Stellung<br />
als Landesherrn wurde weiter gestärkt.<br />
Was war aus Luthers Forderung nach der freien Verkündigung des Evangeliums in den Gemeinden<br />
geworden? Früher hatte er im Namen des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen<br />
gegen die geistliche Hierarchie gekämpft – jetzt entstanden obrigkeitlich gelenkte Landeskirchen.<br />
Viele verachteten Luther <strong>und</strong> schmähten ihn als «Fürstenknecht». Enttäuscht wandten<br />
sie sich von ihm ab <strong>und</strong> bildeten kleine Gruppierungen, die jetzt ihrerseits von den lutherischen<br />
wie den katholischen Fürsten verfolgt wurden.<br />
Kaiser <strong>und</strong> Fürsten – Kampf um Macht <strong>und</strong> Religion<br />
Auf dem Reichstag von Speyer 1529 zeigte sich, dass aus dem Streit um den Glauben eine<br />
politisch-religiöse Spaltung des Reichs geworden war. Zur Verteidigung ihres Glaubens<br />
schlossen sich 1531 protestantische Fürsten <strong>und</strong> Reichsstädte im «Schmalkaldischen B<strong>und</strong>»<br />
zusammen. Karl V. glaubte, dass nur durch eine Unterwerfung der deutschen Fürsten unter<br />
seine Herrschaft die Religionsfrage entschieden werden könne, die sich zum Streit um die<br />
Verfassung des Reiches <strong>und</strong> die Verteilung der Macht zwischen Kaiser <strong>und</strong> Fürsten ausgeweitet<br />
hatte.<br />
1546 entschloss sich Karl V., die ihm lästige «Luthersache» militärisch zu lösen: Im Schmalkaldischen<br />
Krieg 1546-1547 unterwarf er die protestantischen Fürsten. Als absoluter Herrscher<br />
des Reiches erliess er das «Interim», eine Religionsordnung, welche die Protestanten bis<br />
zur Konzilsentscheidung wieder in die alte Kirche zurückführen sollte. Aber seine Rechnung<br />
ging nicht auf: Die deutschen Fürsten wollten den Umsturz der Reichsverfassung nicht hinnehmen<br />
<strong>und</strong> ihre Freiheiten verteidigen.<br />
Auf dem Augsburger Reichstag von 1555 einigten sich die Fürsten gegen den Willen des Kaisers<br />
auf die rechtliche Tolerierung der Glaubensspaltung im Reich. Der «Augsburger Religionsfriede»<br />
setzte fest:<br />
• Die Lutheraner erhalten unbeschränkten Rechtsschutz, aber auch nur die Lutheraner.<br />
Ausgenommen waren: Täufer, Zwinglianer <strong>und</strong> Calvinisten.<br />
32
• Der Religionsfrieden war in seiner Gültigkeit personal auf die Fürsten beschränkt (ubi<br />
unus dominus ibi una sit religio; oder wie es Joachim Stephani um 1600 formulierte:<br />
cuius regio eius religio). Der Landesherr konnte die Konfession der Untertanen<br />
bestimmen. Der Reichstagsabschied erlaubte jedoch die Auswanderung aus religiösen<br />
Gründen, wenn der Untertan nicht Leibeigener war. Eine Auswanderung bedeutete<br />
aber meist wirtschaftlicher Ruin!<br />
• Ausgenommen von dieser Regelung waren die geistlichen Herrschaften: Wenn ein<br />
geistlicher Fürst zur lutherischen Lehre übertritt, verliert er seine Besitzungen <strong>und</strong><br />
Herrschaftsrechte.<br />
• In den Reichsstädten bleibt der konfessionelle Status quo erhalten: meist waren beide<br />
vertreten. Das hiess konfessionelle Parität innerhalb eines bürgerlichen Gemeinwesens.<br />
Das war nicht der Ausgleich, für den Karl V. jahrzehntelang gekämpft hatte. Er legte die Kaiserkrone<br />
nieder <strong>und</strong> starb 1558 zurückgezogen in einem spanischen Kloster.<br />
8.4. Quellentexte<br />
Q 1<br />
Martin Luther: 95 Thesen (Auszug)<br />
1. Da unser Herr <strong>und</strong> Meister Jesus Christus spricht: Tut Busse etc. (Matth. 4,17), hat er gewollt,<br />
dass das ganze Leben der Gläubigen Busse sein soll.<br />
5. Der Papst will noch kann nicht irgend andere Strafe erlassen ausser der, welche er nach<br />
seinem Gefallen oder laut der Canones, das ist der päpstlichen Satzungen, auferlegt hat.<br />
6. Der Papst kann keine Schuld vergeben als allein sofern, dass er erkläre <strong>und</strong> bestätige, was<br />
von Gott vergeben sei, oder aber, dass er es tue in den Fällen, die er sich vorbehalten hat, <strong>und</strong><br />
wenn dies verachtet würde, so bliebe die Schuld ganz <strong>und</strong> gar unaufgehoben.<br />
13. Die Sterbenden werden durch den Tod von allem gelöst [...].<br />
27. Menschenlehre verkündigen die, die sagen, dass die Seele (aus dem Fegefeuer) emporfliege,<br />
sobald das Geld im Kasten klingt.<br />
28. Gewiss, sobald das Geld im Kasten klingt, können Gewinn <strong>und</strong> Habgier wachsen, aber die<br />
Fürbitte der Kirche steht allein auf dem Willen Gottes.<br />
32. Die werden samt ihren Meistern in die ewige Verdammnis fahren, die meinen, durch Ablassbriefe<br />
ihrer Seligkeit gewiss zu sein.<br />
37. Ein jeder wahrhaftige Christ, er sei lebendig oder schon gestorben, ist teilhaftig aller Güter<br />
Christi <strong>und</strong> der Kirche, aus Gottes Geschenk, auch ohne Ablassbriefe.<br />
50. Man soll die Christen lehren: Wenn der Papst die Erpressungsmethoden der Ablassprediger<br />
wüsste, sähe er lieber die Peterskirche in Asche sinken, als dass sie mit Haut, Fleisch <strong>und</strong><br />
Knochen seiner Schafe erbaut würde.<br />
62. Der rechte wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit <strong>und</strong><br />
Gnade Gottes.<br />
71. Wer gegen den wahren Sinn des päpstlichen Ablasses redet, der sei verworfen <strong>und</strong> verdammt.<br />
75. Es ist irrsinnig zu meinen, dass der päpstliche Ablass mächtig genug sei, einen Menschen<br />
loszusprechen [...].<br />
81. Diese freche Ablasspredigt macht es auch gelehrten Männern nicht leicht, das Ansehen<br />
des Papstes vor böswilliger Kritik oder sogar vor spitzfindigen Fragen der Laien zu schützen.<br />
86. Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die<br />
eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?<br />
Quelle: http://wikisource.org/wiki/95_Thesen; Auslassungen: P. Muntwiler<br />
33
Q 2<br />
Martin Luther: Rede vor dem Reichstag zu Worms, 18. April 1521<br />
Allergnädigster Herr <strong>und</strong> Kaiser!<br />
Durchlauchtigste Fürsten! Gnädigste Herrn!<br />
Ich erscheine gehorsam zu dem Zeitpunkt, der mir gestern abend bestimmt worden ist, <strong>und</strong><br />
bitte die allergnädigste Majestät <strong>und</strong> die durchlauchtigsten Fürsten <strong>und</strong> Herren um Gottes<br />
Barmherzigkeit willen, sie möchten meine Sache, die hoffe ich, gerecht <strong>und</strong> wahrhaftig ist, in<br />
Gnaden anhören. Und wenn ich aus Unkenntnis irgend jemand nicht in der richtigen Form<br />
anreden oder sonst in irgendeiner Weise gegen höfischen Brauch <strong>und</strong> Benehmen verstossen<br />
sollte, so bitte ich, mir dies fre<strong>und</strong>lich zu verzeihen; denn ich bin nicht bei Hofe, sondern im<br />
engen mönchischen Winkel aufgewachsen <strong>und</strong> kann von mir nur dies sagen, dass ich bis auf<br />
diesen Tag mit meinen Lehren <strong>und</strong> Schriften einzig Gottes Ruhm <strong>und</strong> die redliche Unterweisung<br />
der Christen einfältigen Herzens erstrebt habe.<br />
Allergnädigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten! Mir waren gestern durch Eure allergnädigste<br />
Majestät zwei Fragen vorgelegt worden, nämlich ob ich die genannten, unter meinem Namen<br />
veröffentlichten Bücher als meine Bücher anerkennen wollte, <strong>und</strong> ob ich dabei bleiben<br />
wollte, sie zu verteidigen, oder bereit sei, sie zu widerrufen. Zu dem ersten Punkt habe ich<br />
sofort eine unverhohlene Antwort gegeben, zu der ich noch stehe <strong>und</strong> in Ewigkeit stehen werde:<br />
Es sind meine Bücher, die ich selbst unter meinem Namen veröffentlicht habe, vorausgesetzt,<br />
dass die Tücke meiner Feinde oder eine unzeitige Klugheit darin nicht etwa nachträglich<br />
etwas geändert oder fälschlich gestrichen hat. Denn ich erkenne schlechterdings nur das an,<br />
was allein mein eigen <strong>und</strong> von mir allein geschrieben ist, aber keine weisen Auslegungen von<br />
anderer Seite.<br />
Hinsichtlich der zweiten Frage bitte ich aber Euer allergnädigste Majestät <strong>und</strong> fürstliche Gnaden<br />
dies beachten zu wollen, dass meine Bücher nicht alle den gleichen Charakter tragen.<br />
Die erste Gruppe umfasst die Schriften, in denen ich über den rechten Glauben <strong>und</strong> rechtes<br />
Leben so schlicht <strong>und</strong> evangelisch gehandelt habe, dass sogar meine Gegner zugeben müssen,<br />
sie seien nützlich, ungefährlich <strong>und</strong> durchaus lesenswert für einen Christen. Ja, auch die Bulle<br />
erklärt ihrer wilden Gegnerschaft zum Trotz einige meiner Bücher für unschädlich, obschon<br />
sie sie dann in einem abenteuerlichen Urteil dennoch verdammt. Wollte ich also anfangen,<br />
diese Bücher zu widerrufen – wohin, frag ich, sollte das führen? Ich wäre dann der einzige<br />
Sterbliche, der eine Wahrheit verdammte, die Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Feind gleichermassen bekennen,<br />
der einzige, der sich gegen das einmütige Bekenntnis aller Welt stellen würde!<br />
Die zweite Gruppe greift das Papsttum <strong>und</strong> die Taten seiner Anhänger an, weil ihre Lehren<br />
<strong>und</strong> ihr schlechtes Beispiel die ganze Christenheit sowohl geistlich wie leiblich verstört hat.<br />
Das kann niemand leugnen oder übersehen wollen. Denn jedermann macht die Erfahrung, <strong>und</strong><br />
die allgemeine Unzufriedenheit kann es bezeugen, dass päpstliche Gesetze <strong>und</strong> Menschenlehren<br />
die Gewissen der Gläubigen aufs jämmerlichste verstrickt, beschwert <strong>und</strong> gequält haben,<br />
dass aber die unglaubliche Tyrannei auch Hab <strong>und</strong> Gut verschlungen hat <strong>und</strong> fort <strong>und</strong> fort auf<br />
empörende Weise weiter verschlingt, ganz besonders in unserer hochberühmten deutschen<br />
Nation. Und doch sehen sie in ihren Dekreten selbst vor, wie Distinctio 9 <strong>und</strong> 25, quaestio 1<br />
<strong>und</strong> 9, zu lesen steht: Päpstliche Gesetze, die der Lehre des Evangeliums <strong>und</strong> den Sätzen des<br />
Evangeliums <strong>und</strong> den Sätzen der Kirchenväter widersprächen, seien für irrig <strong>und</strong> ungültig<br />
anzusehen. Wollte ich also diese Bücher widerrufen, so würde ich die Tyrannei damit geradezu<br />
kräftigen <strong>und</strong> stützen, ich würde dieser Gottlosigkeit für ihr Zerstörungswerk nicht mehr<br />
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ein kleines Fenster, sondern Tür <strong>und</strong> Tor auftun, weiter <strong>und</strong> bequemer, als sie es bisher je<br />
vermocht hat. So würde mein Widerruf ihrer grenzenlosen, schamlosen Bosheit zugute kommen,<br />
<strong>und</strong> ihre Herrschaft würde das arme Volk noch unerträglicher bedrücken, <strong>und</strong> nun erst<br />
recht gesichert <strong>und</strong> gegründet sein, <strong>und</strong> das um so mehr, als man prahlen wird, ich hätte das<br />
auf Wunsch Eurer allergnädigsten Majestät getan <strong>und</strong> des ganzen Römischen Reiches. Guter<br />
Gott, wie würde ich da aller Bosheit <strong>und</strong> Tyrannei zur Deckung dienen!<br />
Die dritte Gruppe sind die Bücher, die ich gegen einige sozusagen für sich stehende Einzelpersonen<br />
geschrieben habe, die den Versuch machten, die römische Tyrannei zu schützen <strong>und</strong><br />
das Christentum, wie ich es lehre, zu erschüttern. Ich bekenne, dass ich gegen diese Leute<br />
heftiger vorgegangen bin, als in Sachen des Glaubens <strong>und</strong> bei meinem Stande schicklich war.<br />
Denn ich mache mich nicht zu einem Heiligen <strong>und</strong> trete hier nicht für meinen Lebenswandel<br />
ein, sondern für die Lehre Christi. Trotzdem wäre mein Widerruf auch für diese Bücher nicht<br />
statthaft; denn er würde wieder die Folge haben, dass sich die gottlose Tyrannei auf mich berufen<br />
könnte <strong>und</strong> das Volk so grausamer beherrschen <strong>und</strong> misshandeln würde denn je zuvor.<br />
Aber ich bin ein Mensch <strong>und</strong> nicht Gott. So kann ich meinen Schriften auch nicht anders beistehen,<br />
als wie mein Herr Christus selbst seiner Lehre beigestanden hat. Als ihn Hannas nach<br />
seiner Lehre fragte <strong>und</strong> der Diener ihm einen Backenstreich gegeben hatte, sprach er: «Habe<br />
ich übel geredet, so beweise, dass es böse gewesen sei.» Der Herr selbst, der doch wusste,<br />
dass er nicht irren könnte, hat also nicht verschmäht, einen Beweis wider seine Lehre anzuhören,<br />
dazu noch von einem elenden Knecht. Wieviel mehr muss ich erbärmlicher Mensch, der<br />
nur irren kann, da bereit sein, jedes Zeugnis wider meine Lehre, das sich vorbringen lässt, zu<br />
erbitten <strong>und</strong> zu erwarten. Darum bitte ich um der göttlichen Barmherzigkeit willen, Eure allergnädigste<br />
Majestät, durchlauchtigste fürstliche Gnaden oder wer es sonst vermag, er sei<br />
höchsten oder niedersten Standes, möchte mir Beweise vorlegen, mich des Irrtums überführen<br />
<strong>und</strong> mich durch das Zeugnis der prophetischen oder evangelischen Schriften überwinden. Ich<br />
werde völlig bereit sein, jeden Irrtum, den man mir nachweisen wird, zu widerrufen, ja, werde<br />
der erste sein, der meine Schriften ins Feuer wirft.<br />
Es wird hiernach klar sein, dass ich die Nöte <strong>und</strong> Gefahren, die Unruhe <strong>und</strong> Zwietracht, die<br />
sich um meiner Lehre willen in aller Welt erhoben haben, <strong>und</strong> die man mir gestern hier mit<br />
Ernst <strong>und</strong> Nachdruck vorgehalten hat, sorgsam genug bedacht <strong>und</strong> erwogen habe. Für mich ist<br />
es ein denkbar erfreulicher Anblick, zu sehen, wie um Gottes Wort Unruhe <strong>und</strong> Zwietracht<br />
entsteht. Denn das ist der Lauf, Weg <strong>und</strong> Erfolg, den Gottes Wort zu nehmen pflegt, wie<br />
Christus spricht: «Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert; denn ich<br />
bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater usw.» Darum müssen wir bedenken,<br />
wie Gott w<strong>und</strong>erbar <strong>und</strong> schrecklich ist in seinen Ratschlüssen, dass nicht am Ende<br />
das, was wir ins Werk setzen, um der Unruhe zu steuern, damit anfängt, dass wir Gottes Wort<br />
verdammen, <strong>und</strong> so viel mehr einer neuen Sintflut ganz unerträgliche[r] Leiden zustrebt. Wir<br />
müssen sagen, dass die Regierung unseres jungen, vortrefflichen Kaisers Karl, auf dem nächst<br />
Gott die meisten Hoffnungen ruhen, nicht eine unselige, verhängnisvolle Wendung nehme.<br />
Ich könnte es hier mit vielen Beispielen aus der Schrift vom Pharao, vom König Babylons<br />
<strong>und</strong> den Königen Israels veranschaulichen, wie sich gerade dann am sichersten zugr<strong>und</strong>e richteten,<br />
wenn sie mit besonders klugen Plänen darauf ausgingen, Ruhe <strong>und</strong> Ordnung in ihren<br />
Reichen zu behaupten. Denn er, Gott, fängt die Schlauen in ihrer Schlauheit <strong>und</strong> kehret die<br />
Berge um, ehe sie es inne waren. Darum ist's die Furcht Gottes, deren wir bedürfen. Ich sage<br />
das nicht in der Meinung, so hohe Häupter hätten meine Belehrung oder Ermahnung nötig,<br />
sondern weil ich meinem lieben Deutschland den Dienst nicht versagen wollte, den ich ihm<br />
schuldig bin. Hiermit will ich mich Euer allergnädigsten kaiserlichen Majestät <strong>und</strong> fürstlichen<br />
Gnaden demütig befohlen <strong>und</strong> gebeten haben, sie wollten sich von meinen eifrigen Widersachern<br />
nicht ohne Gr<strong>und</strong> gegen mich einnehmen lassen. Ich bin zu Ende ...<br />
35
Weil denn Eure allergnädigste Majestät <strong>und</strong> fürstlichen Gnaden eine einfache Antwort verlangen,<br />
will ich sie ohne Spitzfindigkeiten <strong>und</strong> unverfänglich erteilen, nämlich so: Wenn ich<br />
nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe<br />
ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, <strong>und</strong> mein Gewissen bleibt gefangen<br />
in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es<br />
offenk<strong>und</strong>ig ist, dass sie öfters geirrt <strong>und</strong> sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann<br />
<strong>und</strong> will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun.<br />
Gott helfe mir, Amen.<br />
Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/luther/misc/worms.htm<br />
Q 3<br />
Karikaturen zum Papst (um 1500) <strong>und</strong> zu Luther (1535)<br />
Quelle: http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen17.htm<br />
o Reformer <strong>und</strong> Gegner benutzen den Teufel als Waffe für ihre Sache. Beschreiben <strong>und</strong><br />
begründen Sie das an den Karikaturen. Was werfen sich die Gegner vor?<br />
8.5. Glossar<br />
Ablass: Bei einem Ablass wird nach katholischer Auffassung die Strafe für Sünden aufgr<strong>und</strong><br />
von guten Werken (Gebete, Almosen, Pilgerfahrt) teilweise oder ganz erlassen.<br />
Inquisition: Als Inquisition (lat.: Befragung) wurde seit dem Mittelalter die Behörde bezeichnet,<br />
die für die Bekämpfung solcher Lehren eingesetzt wurde, die von der römischkatholischen<br />
Kirche als ketzerische Irrlehren verurteilt worden waren.<br />
Kirchenbann: Begeht ein Mensch ein schweres Verbrechen oder weicht von der rechten<br />
Lehre ab (Ketzerei), so kann die Kirche als schärfste Strafe über ihn den Kirchenbann (auch<br />
Exkommunikation) verhängen. Damit wird er von den Sakramenten (Abendmahl, Beichte<br />
u.a.) <strong>und</strong> aus der christlichen Gemeinschaft ausgestossen. Kein Christ darf mit ihm sprechen<br />
36
<strong>und</strong> Geschäfte betreiben. Der Kirchenbann kann nach auferlegter Busse wieder aufgehoben<br />
werden.<br />
Konzil ist eine Versammlung von Bischöfen <strong>und</strong> anderen Geistlichen zur Beratung <strong>und</strong> Entscheidung<br />
von Glaubensfragen <strong>und</strong> kirchlichen Angelegenheiten.<br />
Kurwürde / Kurfürst: Ein Kurfürst (lat.: princeps elector imperii oder elector) gehörte zu<br />
der begrenzten Zahl jener Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die das<br />
Kurfürstenkollegium bildeten <strong>und</strong> denen seit dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert das alleinige Recht zur<br />
Wahl (mittelhochdeutsch = kur oder kure) des Römischen Kaisers zustand. Seit 1257 gab es<br />
sieben Kurfürsten (drei geistliche <strong>und</strong> vier weltliche): die Erzbischöfe von Mainz, Trier <strong>und</strong><br />
Köln sowie der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg<br />
<strong>und</strong> der König von Böhmen.<br />
Päpstlicher Dispens: Im katholischen Kirchenrecht steht der Begriff für eine Befreiung von<br />
einem rein kirchlichen Gesetz in einem begründeten Einzelfall, die auf Antrag hin vom Papst<br />
erteilt werden kann. Eine Dispens kann nur erteilt werden, wenn im Einzelfall ein vernünftiger<br />
<strong>und</strong> gerechter Gr<strong>und</strong> vorliegt. Sollte dieser Gr<strong>und</strong> entfallen, verliert eine bereits erteilte<br />
Dispens dadurch ihre Gültigkeit.<br />
Reich (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation): Mit diesem Titel bezeichnet man das<br />
alte, 1806 aufgelöste Deutsche Reich, das seit 962 durch das Kaisertum Ottos I. mit der Tradition<br />
des Römischen Reiches verb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> als dessen Fortsetzung galt. Der Zusatz<br />
«Deutscher Nation» wurde erst im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert beigefügt. Bei seiner grössten Ausdehnung<br />
umfasste das Reich Deutschland, Österreich, Slowenien, die Schweiz, Liechtenstein, Belgien,<br />
die Niederlande, Luxemburg, die Tschechische Republik, den östlichen Teil Frankreichs, das<br />
nördliche Italien <strong>und</strong> das westliche Polen.<br />
Reichsacht: Bei schweren Verbrechen (Mord, Ketzerei) konnten der König oder ein von ihm<br />
beauftragter Richter den Täter ächten. Dieser war damit aus der Gemeinschaft ausgestossen<br />
<strong>und</strong> im ganzen Reich vogelfrei, das heisst jeder hatte das Recht ihn zu töten. Er verlor seinen<br />
Besitz, seine Kinder wurden als Waisen, seine Frau als Witwe betrachtet. Wer einen Geächteten<br />
aufnahm, verfiel selbst der Reichsacht. Eine Lösung aus der Reichsacht war möglich,<br />
wenn sich der Geächtete dem Gericht stellte.<br />
Reichstag: Der Reichstag wurde in der Reichsreform an der Wende vom 15. zum 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
geschaffen <strong>und</strong> trat bis 1653/54 in unregelmässigen Abständen in wechselnden<br />
Reichsstädten zusammen. Das Einberufungsrecht hatte allein der Römische König <strong>und</strong> Kaiser,<br />
wenn auch unter Zustimmung der Kurfürsten. Die im Reichstag versammelten Reichsstände<br />
fanden sich in den drei Kurien des Kurfürsten-, des Reichsfürsten- <strong>und</strong> des Reichsstädterats<br />
zusammen. Ein Reichsgesetz erforderte die getrennte Zustimmung aller drei Kollegien<br />
<strong>und</strong> zuletzt die des Kaisers. Der Reichstag existierte bis zur Auflösung des Heiligen Römischen<br />
Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806.<br />
Säkularisation: Unter Säkularisation versteht man im Allgemeinen eine Verweltlichung einer<br />
Gesellschaft, insbesondere <strong>und</strong> ursprünglich aber die Überführung kirchlicher Besitztümer in<br />
weltliche Hände.<br />
Spiritualistische Theologie: In der christlichen Theologiegeschichte wird mit Spiritualismus<br />
eine Haltung bezeichnet, die in Glaubensangelegenheiten alles Äusserliche ablehnt: von der<br />
kirchlichen Institution über die Sakramente <strong>und</strong> Dogmen bis hin zum schriftlich fixierten Bibelwort.<br />
Spiritualisten beanspruchen für sich den vollen Besitz des Heiligen Geistes (lat. Spiritus<br />
sanctus), der individuell <strong>und</strong> von innen her wirke. Spiritualismus wurde vielen der Ketzerei<br />
beschuldigten Gruppierungen vorgeworfen. Martin Luther nannte die Spiritualisten<br />
«Schwärmer» <strong>und</strong> stand in der zweiten Phase der <strong>Reformation</strong> in heftiger Auseinandersetzung<br />
mit ihnen.<br />
Wahlkapitulation: Im Mittelalter <strong>und</strong> in der Frühen Neuzeit bezeichnete man als Wahlkapitulation<br />
einen schriftlichen Vertrag, durch den Wähler einem zu Wählenden Bedingungen für<br />
seine künftige Regierung stellten. Zentral waren sie im Bereich der Bischofswahlen. 1519<br />
37
musste Karl V. als erster Römischer Kaiser einer solchen Wahlkapitulation zustimmen. Die<br />
königlichen Wahlkapitulationen der Frühen Neuzeit waren Herrschaftsverträge, in denen zur<br />
Begrenzung der monarchischen Macht die Partizipation der Stände festgeschrieben wurde.<br />
Zehnt war eine regelmässige Abgabe an die Kirche, die ursprünglich ein Zehntel des landwirtschaftlichen<br />
Ertrages (Getreide, Vieh, Wein, Früchte) betrug. Der Zehnt wurde zwischen<br />
dem Bischof, dem Pfarrer <strong>und</strong> der Armenfürsorge aufgeteilt <strong>und</strong> ausserdem für den Kirchenbau<br />
verwendet.<br />
Literatur<br />
Cornelsen Geschichtsbuch 2 – Neue Ausgabe, Berlin 1994, S. 156-171<br />
Peter Blickle, Die <strong>Reformation</strong> im Reich, Stuttgart 3 2000<br />
Bernd Moeller, Deutschland im Zeitalter der <strong>Reformation</strong>, Göttingen 4 1999<br />
Luise Schorn-Schütte, Karl V. – Kaiser zwischen Mittelalter <strong>und</strong> Neuzeit, München 2 2000<br />
http://www.luther.de<br />
http://de.wikipedia.org<br />
38
9. Gruppe «Zeitalter der Aufklärung»<br />
Aus: http://www.wabash.edu/Rousseau/<br />
9.1. Material<br />
• Übersichtstext Aufklärung (siehe unten Kapitel 9.3)<br />
• Quellenmaterial (Kapitel 9.4)<br />
o René Descartes: «Discours de la méthode» 1637 (Q 1)<br />
o Immanuel Kant: «Was ist Aufklärung?» 1784 (Q 2)<br />
o Friedrich II. von Preussen über Religionen 1740 <strong>und</strong> 1752 (Q 3)<br />
Unterstrichene Begriffe werden im Glossar im Kapitel 9.5 erklärt.<br />
9.2. Arbeitsauftrag<br />
Lesen Sie zunächst gründlich die Unterlagen durch. Entwickeln Sie dann in ihrer Gruppe ein<br />
Rollenspiel von 5-10 Minuten, das Sie in der Auswertungsphase der Klasse vorführen. Es gibt<br />
fünf feste Rollen: Einen Sprecher, einen Aufklärer, einen Bürger, einen absoluten Fürst, einen<br />
Theologen <strong>und</strong> einige Bauern.<br />
39
Rollen<br />
1-2 Sprecher<br />
1 Aufklärer<br />
1 Bürger<br />
1 Absoluter Fürst<br />
1 Theologe<br />
2 Bauern<br />
Sprecher<br />
Er vermittelt den historischen Kontext <strong>und</strong> beschreibt die dargestellte(n) Szene(n)<br />
Aufklärer<br />
Die Person des Aufklärers tritt vehement für den gesellschaftlichen Emanzipationsprozess ein,<br />
dessen Ziel es war, traditionelle, auf Frömmigkeit beruhende, autoritäre Geisteshaltungen<br />
kritisch zu hinterfragen, um einer Kultur des Verstandes Vorschub zu leisten. Der aufgeklärte<br />
Mensch fordert seine Mitbürger auf, nicht mehr den Vorgaben der Obrigkeit zu trauen, sondern<br />
aus «seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit» (I. Kant) auszubrechen <strong>und</strong> sein Leben<br />
selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.<br />
Auch sollte zum Ausdruck kommen, dass für den Aufklärer der Fortschrittsglaube wichtig ist,<br />
dass er immer nach neuen Erkenntnissen strebt. Er will nicht altes Wissen weiter überliefern,<br />
das auch noch voller Irrtümer ist.<br />
Bürger<br />
Die aufgeklärte Wissenschaft <strong>und</strong> Bildung wurden hauptsächlich vom Bürgertum, das sich<br />
dank der Formierung einer kapitalistischen Marktordnung im Aufstieg befand, aufgenommen.<br />
Für viele Bürger verlor die Kirche nach der <strong>Reformation</strong> <strong>und</strong> den unzähligen Religionskriegen<br />
das Monopol der Welterklärung. Allein durch Beobachtungen konnte man feststellen,<br />
dass einige in Stein gemeisselte «Wahrheiten» der Kirche nicht stimmten.<br />
Absoluter Fürst<br />
Im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert herrschte der Fürst als absoluter Herrscher über seinen Untertanen.<br />
Das bedeutete, dass er sein Amt von Gottes Gnaden erhalten hat <strong>und</strong> ausführt. Er steht<br />
als Träger der Souveränität über den Gesetzen. Es besteht keine Gewaltenteilung, der Monarch<br />
kontrolliert alle drei Staatsgewalten.<br />
Wandte er sich nun der Aufklärung zu – wie dies Friedrich II. von Preussen getan hat –, so<br />
bedeutete das nicht, dass er auf seine absolute Herrschaftsausübung verzichtete. Er brachte<br />
zum Ausdruck, dass er «erster Diener des Staates» ist (Zitat Friedrich II.) <strong>und</strong> nicht mehr von<br />
Gottes Gnaden. Sein Hof wird einfach <strong>und</strong> nüchtern gehalten, um die Effizienz des Staatsapparates<br />
zu erhöhen. Der Einfluss von Adel <strong>und</strong> Kirche ist geringer, das Volk hat freie Religionswahl.<br />
Die Leibeigenschaft wird verboten, die Fronarbeit gemildert <strong>und</strong> das Strafsystem<br />
sieht weniger strenge Strafen vor.<br />
Theologe / Geistlicher<br />
Aufklärung ist zwar auf die Enthüllung der Wahrheit hin ausgerichtet, da sie aber oft den<br />
schönen falschen Schein kritisieren <strong>und</strong> aufheben muss, erscheint sie weitgehend negativ. Die<br />
Aufklärung lebt von der Substanz, die sie durch ihre Kritik zerstört. Sie hat nicht nur unbegründete<br />
Ängste zerstört <strong>und</strong> den Menschen vom Aberglauben befreit, sondern ihm mitunter<br />
die Hoffnung genommen <strong>und</strong> ihn so ins Bodenlose gestürzt.<br />
In der Aufklärung spielt eine Konzeption von Vernunft eine Rolle, die im Individuum so etwas<br />
wie eine unbegrenzte Allkompetenz <strong>und</strong> eine absolute Autonomie einschliesst. Es<br />
40
herrscht eine Tendenz vor, dass der menschliche Geist primär ein Gerichtshof ist, vor dem<br />
alles kritisch geprüft wird. Wir sind nicht so autark, dass wir am Ende alles aus unserer Vernunft<br />
heraus gebären. Das heisst aber nicht, dass wir alles unbefragt <strong>und</strong> unkritisch übernehmen.<br />
Der Mensch muss bei all seinen Fähigkeiten in seiner Endlichkeit <strong>und</strong> Bedingtheit gesehen<br />
werden. Wir müssen alle noch so verborgenen Träume quasi göttlicher Allmacht verabschieden.<br />
Aber dies heisst nicht, dass wir damit auch die Wahrheitsfähigkeit des menschlichen<br />
Geistes aufgeben müssten. Zu dieser Endlichkeit gehört gewiss auch das Wissen um die perspektivische<br />
Erkenntnis von allem.<br />
Bauern<br />
Das Gegenstück zu den Bürgern waren die Bauern, die hier im Rollenspiel stellvertretend für<br />
die ländliche Bevölkerung stehen. Sie lebten weiterhin in ihrer eigenen Welt, abgeschlossen<br />
von den Schriften der Aufklärer. Sie hielten besonders zäh an den überkommenen Vorstellungen<br />
fest, die ihnen von der Kirche überliefert worden waren.<br />
9.3. Das Zeitalter der Vernunft <strong>und</strong> der Aufklärung<br />
Mit dem Ausklingen der konfessionellen Auseinandersetzungen um die Mitte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
<strong>und</strong> angesichts der traumatischen Erfahrung permanenter Religions- <strong>und</strong> Bürgerkriege<br />
(Dreissigjähriger Krieg) setzte zunächst bei einer kleinen Schicht von Gelehrten, Schriftstellern<br />
<strong>und</strong> «Gebildeten» in England, Frankreich, Italien, Deutschland <strong>und</strong> in den Niederlanden<br />
ein Bewusstseinswandel ein. Diese Menschen lösten sich von der Vorherrschaft des theologischen<br />
Denkens, sie stützten sich auf Vernunft <strong>und</strong> Erfahrung statt auf die biblische Offenbarung<br />
oder die Überlieferungen der Antike. Sie wollten eine tendenziell theologie- <strong>und</strong> philosophiefreie<br />
Wissenschaft, indem sie die Wahrheit in der sie umgebenden Wirklichkeit statt<br />
in den überlieferten Büchern suchten. Die Revolution des Denkens <strong>und</strong> der Wissenschaften<br />
entfaltete in der Aufklärung des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts eine gewisse Breitenwirkung <strong>und</strong> ist ohne<br />
die Veränderungen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Leben jener Zeit<br />
<strong>und</strong>enkbar. Dennoch war sie nicht einfach deren Resultat, sondern eine geistige Bewegung,<br />
deren wirklichkeitsverändernde Kraft ihren Ursprung in den Köpfen hatte.<br />
Wandel des Bewusstseins <strong>und</strong> der Erkenntnis<br />
Denken <strong>und</strong> Wissenschaft, das Verständnis von Mensch <strong>und</strong> Welt standen im christlichen<br />
Europa bis zum 16. Jahrh<strong>und</strong>ert im Banne der geoffenbarten Glaubenswahrheiten. Mittelalterliche<br />
Wissenschaft war Bewahrung <strong>und</strong> Weitergabe, Kommentierung <strong>und</strong> Systematisierung<br />
eines aus der Bibel <strong>und</strong> der kirchlichen Lehrtradition gespeisten, aus der Literatur des griechisch-römischen<br />
Altertums ergänzten Wissens, das in seinen wesentlichen Zügen ein für alle<br />
Mal feststand <strong>und</strong> an dessen Verbindlichkeit zu rütteln unter das todeswürdige Verbrechen<br />
der Ketzerei fiel. Die Wissenschaftler des christlichen Mittelalters waren Buchgelehrte, die<br />
sich an die als Autoritäten anerkannten Schriftsteller hielten; ihre Massstäbe für Wahrheit <strong>und</strong><br />
Unwahrheit waren nicht die eigene Erfahrung oder das von allen Vorgaben unabhängige<br />
Nachdenken, sondern die Feststellungen <strong>und</strong> Auffassungen, die sie in den für gültig erklärten<br />
Texten vorfanden.<br />
Dieses statische, seiner ewigen Wahrheiten sichere Wissenssystem geriet im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
ins Wanken, <strong>und</strong> zwar vor allem durch folgende Vorgänge:<br />
• Die 1492 durch Christoph Kolumbus eingeleitete Entdeckung <strong>und</strong> Erschliessung der<br />
«Neuen Welt»: Sie beendete, wie die zeitgleiche Begegnung der Europäer mit den<br />
41
asiatischen Hochkulturen, die Vorstellung der Einzigartigkeit der europäischchristlichen<br />
Kultur.<br />
• Die durch die <strong>Reformation</strong> seit 1517 verursachte Kirchenspaltung: Sie untergrub die<br />
Gewissheit einer allgemein verbindlichen christlichen Glaubenswahrheit.<br />
• Kopernikus' 1543 veröffentlichte Entdeckung, dass nicht die Sonne um die Erde<br />
kreist, sondern die Erde um die Sonne: Sie widerlegte das antike wie biblische Weltbild<br />
von der Erde als dem Mittelpunkt des Kosmos.<br />
• Die in Italien, den Niederlanden <strong>und</strong> England sich ausbreitende kapitalistische Wirtschaftsweise:<br />
Sie lockerte die Bindungen der feudalen Gesellschaft <strong>und</strong> förderte Neuerungen<br />
in Technik, Produktion <strong>und</strong> Handel.<br />
Zu den Voraussetzungen der Aufklärung gehörten also die Formierung einer kapitalistischen<br />
Marktordnung sowie der beginnende Aufstieg bürgerlicher Schichten, die Ausbildung der<br />
Naturwissenschaften wie die Anfänge der historischen Textkritik, die Philosophie des Rationalismus<br />
wie die rationale Politik der souveränen Staaten. Die Kirche verlor nach <strong>und</strong> nach<br />
ihr Monopol der Welterklärung <strong>und</strong> Menschenführung. Zwar ging bis zum 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
kein Aufklärer so weit, die christlichen Glaubenswahrheiten selbst in Zweifel zu ziehen.<br />
Glaube <strong>und</strong> Denken, kirchliche <strong>und</strong> weltliche Wissenschaft rückten auseinander <strong>und</strong> es begann<br />
ein alle Lebensbereiche erfassender Prozess der «<strong>Säkularisierung</strong>» (Verweltlichung).<br />
War früher der Blick der Gelehrten vornehmlich auf die Vergangenheit <strong>und</strong> die «Alten» gerichtet<br />
gewesen, die alle gültigen Massstäbe für das Wahre, Gute <strong>und</strong> Schöne geschaffen zu<br />
haben schienen, so schaute man jetzt auf die Gegenwart <strong>und</strong> die Zukunft. Der französische<br />
Schriftsteller Fontenelle verwarf 1688 die traditionelle Annahme einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Überlegenheit<br />
der antiken <strong>und</strong> frühchristlichen Geistesgrössen <strong>und</strong> behauptete die Ebenbürtigkeit<br />
der zeitgenössischen Wissenschaftler, Schriftsteller <strong>und</strong> Künstler. Er kehrte die Verherrlichung<br />
eines vergangenen «goldenen Zeitalters», dessen Grösse nie wieder zu erreichen sei, in<br />
die optimistische Erwartung eines gegenwärtigen <strong>und</strong> zukünftigen Fortschritts um. Das neue<br />
Selbstbewusstsein gründete sich auf das Vertrauen in die Kräfte der menschlichen Vernunft.<br />
Neue wissenschaftliche Entdeckungen entlarvten viele Erkenntnisse der Antike – durch die<br />
christliche Tradition geheiligte «Wahrheiten» – als Irrtümer, indem man sich ausschliesslich<br />
auf die eigenen Beobachtungs-, Untersuchungs- <strong>und</strong> Denkergebnisse stützte <strong>und</strong> nicht auf das<br />
überkommene Buchwissen. So wurde die Kritik, die schonungslose Infragestellung des traditionellen<br />
Wissens, zum methodischen Gr<strong>und</strong>satz des neuen «wissenschaftlichen Zeitalters».<br />
Die Philosophen, Gelehrten <strong>und</strong> Wissenschaftler versuchten auf verschiedenen Wegen, zu<br />
zuverlässigen Einsichten zu kommen:<br />
• Der rationalistische Ansatz eines René Descartes (1596-1650): In seinem «Discours<br />
de la méthode» (1637) beschrieb er die «klaren <strong>und</strong> distinkten» Vorstellungen des<br />
menschlichen Bewusstseins als die einzige zuverlässige Quelle aller Erkenntnis (cogito<br />
ergo sum = ich denke, also bin ich); für ihn führte der Weg der menschlichen Erkenntnis<br />
von den in der Vernunft des Menschen angelegten Prinzipien <strong>und</strong> Ideen zu<br />
den daraus abzuleitenden Gesetzen <strong>und</strong> Tatsachen des Seins (Deduktion).<br />
• Der empiristische Ansatz eines Francis Bacon (1561-1626): Ihm zufolge beruhte alle<br />
Erkenntnis auf der Erfahrung, auf Wahrnehmungen, Eindrücken, Beobachtungen von<br />
Einzelnem, die zu Regeln <strong>und</strong> Gesetzen verallgemeinert werden (Induktion).<br />
Am Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>ert fügte der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-<br />
1804) beide Ansätze in seiner «kritischen Philosophie» zusammen. Er kam zu dem Ergebnis,<br />
dass zuverlässige Erkenntnis nur möglich ist, wenn jeweils zweierlei zu seinem Recht kommt:<br />
das Denken <strong>und</strong> die Erfahrung, die dem menschlichen Geist innewohnenden Vernunftbegriffe<br />
(«Kategorien») <strong>und</strong> die sinnlich-anschauliche Wahrnehmung, die deduktive Ableitung aus<br />
obersten Prinzipien <strong>und</strong> die induktive Schlussfolgerung aus gegebenen Tatsachen.<br />
42
Der französische Theologe Richard Simon (1638-1712) unternahm es in seiner «Histoire<br />
critique du Vieux Testament» (Kritische Geschichte des Alten Testaments) von 1678, mit den<br />
Mitteln der sprachlichen <strong>und</strong> sachlichen Textkritik die zuverlässige <strong>und</strong> die falsche Überlieferung<br />
voneinander zu trennen, das heisst durch Ausmerzung des Unzutreffenden zu der Rekonstruktion<br />
der wirklichen Vergangenheit zu gelangen. Ziel seiner Bemühungen war es, die eigentliche<br />
Natur der Dinge, der Lebewesen, des Menschen <strong>und</strong> seiner Welt zu erfassen. Dazu<br />
war es nötig, die von Herkommen, Aberglauben, Vorurteilen oder erstarrten Institutionen verbauten<br />
Zugänge zum wirklichen Sein <strong>und</strong> zu einer vernünftigen Lebensordnung zu öffnen.<br />
Die «Aufklärung» sollte helfen, den Menschen von den Fesseln überlebter Traditionen <strong>und</strong><br />
Auffassungen zu befreien <strong>und</strong> ihn zu selbständigem Vernunftgebrauch hinzuführen. Von solcher<br />
Aufklärung erwarteten die Aufklärer die Entfaltung aller im Menschen angelegten Kräfte,<br />
die Verwirklichung aller Rechte, auf die sie, als Menschen, Anspruch hatten, ja selbst die<br />
allgemeine Glückseligkeit.<br />
Freilich zeigte ein Blick auf die Geschichte, dass ein solcher Fortschritt nicht von heute auf<br />
morgen zu erwarten war, sondern grosser Ausdauer bedurfte, <strong>und</strong> dass die Natur <strong>und</strong> die Bestimmung<br />
des Menschen <strong>und</strong> seiner Einrichtungen weder ein für alle Mal feststand noch für<br />
alle Menschen gleich war. Die Erfahrung der historischen Entwicklung <strong>und</strong> der Verschiedenheit<br />
der Menschen, Völker, Staaten, Kulturen legte die Schlussfolgerung einer nur begrenzten<br />
Geltung, einer Relativität vieler Überzeugungen, Werte, Glaubensgewissheiten nahe <strong>und</strong> war<br />
eine Aufforderung zur Toleranz. Wenn es keine absoluten Wahrheiten gab, war Glaubens-<br />
<strong>und</strong> Gewissensfreiheit geboten.<br />
Neue Staats- <strong>und</strong> Gesellschaftstheorien<br />
Im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert definierte Jean Bodin (1530-1596) den Fürst als diejenige Instanz, welche<br />
zwar Rechte setzte, aber selbst diesem Recht nicht unterworfen war (lat. «princeps legibus<br />
solutus»). Von Bodins Staatstheorie leitete sich der Absolutismus ab.<br />
Dieser Rechtfertigung des Staates stellten die Staatsphilosophen des 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
die Lehre vom Naturrecht entgegen. Die Naturrechtstheorie schrieb allen Menschen einen<br />
«natürlichen» Anspruch auf Recht <strong>und</strong> Gerechtigkeit, persönliche Freiheit <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />
zu. Daraus entwickelte sich die Lehre vom «Gesellschaftsvertrag»: Ihr zufolge war der<br />
Staat durch eine Vereinbarung seiner Mitglieder entstanden, um die eigene Existenz zu sichern,<br />
um Recht <strong>und</strong> Ordnung aufrecht zu erhalten <strong>und</strong> um das Eigentum zu schützen. Die<br />
Bewohner eines Staates hatten sich also freiwillig der Staatsmacht samt ihren Leistungsanforderungen<br />
(Gehorsam, Kriegsdienst, Steuern) untergeordnet. Die Schlussfolgerungen, die aus<br />
dieser Theorie gezogen wurden, gingen freilich auseinander.<br />
Thomas Hobbes (1588-1679), der die Wirren des englischen Bürgerkriegs erlebte <strong>und</strong> deshalb<br />
eine starke Staatsgewalt schätzte, verstand den Gesellschaftsvertrag als eine unwiderrufliche<br />
Übertragung der gesamten Staatsgewalt auf einen einzigen Herrscher <strong>und</strong> seine Nachfolger;<br />
damit rechtfertigte er die absolute Monarchie, die in seinen Augen die einzige Staatsform<br />
war, die den in der menschlichen Natur angelegten «Kampf aller gegen alle» zu unterbinden<br />
in der Lage war.<br />
John Locke dagegen (1632-1704), der das Ende des englischen Bürgerkriegs in der «Glorious<br />
Revolution» von 1688 erlebte, verstand die Herrschaftsübertragung an die Regenten als<br />
ein Mandat auf Zeit, das widerrufbar war, wenn die Regierenden die Rechte <strong>und</strong> Freiheiten<br />
der Regierten missachteten. Er wurde zu einem Wegbereiter der Volkssouveränität, des Widerstandsrechtes<br />
<strong>und</strong> der liberalen Demokratie. Als deren gemeinsames Gr<strong>und</strong>prinzip hob er<br />
die Kontrolle der politischen Macht hervor. Deshalb schlug er eine Aufteilung der staatlichen<br />
Hoheitsrechte (Legislative <strong>und</strong> Exekutive) auf zwei Institutionen, das Parlament <strong>und</strong> die Krone,<br />
vor.<br />
43
Lockes Ansatz der Gewaltentrennung wurde von Charles de Montesquieu (1689-1755) weiterentwickelt.<br />
In seinem Hauptwerk «L’esprit des lois» (1748) entwarf er das Modell eines<br />
Idealstaates, der durch die Aufteilung der legislativen, exekutiven <strong>und</strong> judikativen Gewalt auf<br />
drei voneinander unabhängige Instanzen einen Missbrauch politischer Herrschaft zu verhindern<br />
versprach.<br />
In ausdrücklichem Gegensatz dazu entwarf Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) in seinem<br />
«Contrat social» von 1762 die Theorie eines Gemeinwesens, in dem Politik wirklich im Namen<br />
des Volkes geschehen sollte. Die Politik hatte dem «Gemeinwillen» (volonté générale)<br />
zu dienen. Diese «volonté générale» war freilich nicht mit dem Willen aller (volonté de tous)<br />
<strong>und</strong> nicht einmal mit dem Willen der Mehrheit identisch, wie er in Abstimmungen zu ermitteln<br />
war, sondern sie stellte eine Art höherer Vernunft dar, die durchaus auch von einer Minderheit<br />
vertreten werden konnte <strong>und</strong> der sich im Zweifelsfall auch die Mehrheit zu fügen hatte.<br />
Rousseau war somit der Fürsprecher einer direkten Demokratie, in der alle wichtigen Entscheidungen<br />
von der Gesamtheit der Bürger zu treffen waren. Andererseits vertrat er auch<br />
eine absolute, «totale» Demokratie, gegen deren «Gemeinwillen» Widerstand nicht statthaft<br />
war. Insofern war Rousseaus Demokratie nicht dagegen gefeit, in eine Diktatur umzuschlagen,<br />
die sich – zu Recht oder Unrecht – auf den Willen des Volkes berief.<br />
Wie an diesen Beispielen zu sehen ist, hat sich die Aufklärung den Fragen der gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> politischen Ordnung auf der ganzen Breite zugewandt: der Staatsform <strong>und</strong> der<br />
Rechtsordnung, dem Gerichtswesen, der «Policey» (innere Verwaltung) <strong>und</strong> der Wirtschaft.<br />
Eine Verknüpfung von Herrschaft <strong>und</strong> Aufklärung ist bei Friedrich II. von Preussen zu finden:<br />
Für ihn war Politik zwar weiterhin im wesentlichen das Tun des absoluten Herrschers,<br />
allerdings eines solchen, der Herrschaft nicht mehr auf göttliches Recht gründete, sondern auf<br />
den oben beschriebenen Gesellschaftsvertrag.<br />
Auch andere Fürsten im Reich nahmen aufgeklärte Ideen auf <strong>und</strong> bemühten sich um Reformen.<br />
Dies führte dazu, dass das Ansehen der Monarchie noch einmal anstieg, während sie zur<br />
gleichen Zeit in Frankreich einen nicht aufzuhaltenden Niedergang erlebte.<br />
Verbesserung der Bildung als Ziel der Aufklärung<br />
In den fortgeschrittensten europäischen Ländern konnten auch um die Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
nur gerade zehn bis zwanzig Prozent der Menschen lesen <strong>und</strong> schreiben. Zwar hatte eine<br />
Reihe von Staaten längst eine gesetzliche Schulpflicht eingeführt, aber von deren ernsthafter<br />
Durchsetzung blieb man bis ins frühe 19. Jahrh<strong>und</strong>ert weit entfernt. Erst dann erkannte der<br />
sich modernisierende Staat die Wichtigkeit einer guten Schulbildung: Er investierte mehr<br />
Geld für den Bau <strong>und</strong> den Unterhalt von Schulen, verbesserte die Ausbildung <strong>und</strong> Besoldung<br />
der Lehrer <strong>und</strong> regelte den Unterricht durch Lehrpläne <strong>und</strong> Prüfungsbestimmungen. Um 1800<br />
erhielten in Deutschland etwa die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder regelmässigen Unterricht<br />
in öffentlichen Schulen.<br />
Schon im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert waren einige Pädagogen bemüht, die Anschauung zum F<strong>und</strong>ament<br />
des Lernens zu machen <strong>und</strong> sich auf die altersbedingten Lernfähigkeiten <strong>und</strong> -bedürfnisse<br />
ihrer Schüler einzustellen. Diese Entwicklung setzte sich im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert fort. Jean-<br />
Jacques Rousseau betrachtete es als die eigentliche Aufgabe der Erziehung, den Heranwachsenden<br />
zur «natürlichen» Entwicklung <strong>und</strong> Entfaltung der in ihnen angelegten Gefühle, Charaktereigenschaften,<br />
Denkfähigkeiten <strong>und</strong> Wertempfindungen zu verhelfen. Johann Heinrich<br />
Pestalozzi (1746-1827) war bemüht, die «Kräfte» seiner Zöglinge zu wecken <strong>und</strong> auszubilden,<br />
statt ihnen ein abfragbares Gedächtniswissen aufzunötigen.<br />
In neugegründeten Universitäten wurden die modernen Wissenschaftsdisziplinen der Mathematik<br />
<strong>und</strong> der Naturwissenschaften, der Staats-, Policey- <strong>und</strong> Kameralwissenschaften, der<br />
Geschichte <strong>und</strong> der Geographie gelehrt <strong>und</strong> erforscht. Einige Professoren bedienten sich in<br />
ihren Vorlesungen <strong>und</strong> Publikationen nicht mehr der lateinischen Gelehrtensprache, sondern<br />
44
der deutschen Muttersprache. Überall erschienen wissenschaftliche Zeitschriften <strong>und</strong> beförderten<br />
den Austausch der Kenntnisse <strong>und</strong> Meinungen über die Staatsgrenzen hinweg.<br />
Das Zeitalter der Aufklärung liess einen wahren Lese- <strong>und</strong> Schreibhunger entstehen. Lag der<br />
Anteil der erwachsenen Lesek<strong>und</strong>igen um 1750 bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung, so<br />
waren es 1800 schon 25 Prozent. Im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert wurden 200'000 Buchtitel auf den Markt<br />
gebracht, im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert 500'000. Die Gesamtauflage der deutschen Tageszeitungen betrug<br />
um 1800 300'000, was auf eine Leserzahl von etwa drei Millionen schliessen lässt. 1789<br />
zählte man 2500 Zeitschriften, die unterschiedliche Lesebedürfnisse erfüllten: religiöse Erbauung,<br />
moralische Betrachtung, politische Meinungsbildung, berufliche Belehrung, Lebenshilfe<br />
aller Art, aber auch Unterhaltung.<br />
Solche Informations-, Lern- <strong>und</strong> Gesprächsbedürfnisse waren indes nur in jener schmalen<br />
Bevölkerungsschicht des Bürgertums wirksam, deren Lebensumstände <strong>und</strong> Bildungsvoraussetzungen<br />
die Entstehung <strong>und</strong> Pflege kultureller Interessen ausserhalb des kirchlich-religiösen<br />
Lebenskreises begünstigten. Die Masse der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, blieb vom<br />
Gedankengut der Aufklärung weithin unberührt. Oft waren die «einfachen Leute» geradezu<br />
aufklärungsfeindlich <strong>und</strong> hielten mit besonderer Zähigkeit an den überkommenen Vorstellungen,<br />
insbesondere den Lehren der Kirche fest.<br />
9.4. Quellentexte<br />
Q 1<br />
René Descartes: Discours de la méthode (1637)<br />
Weil ich später auf meinen Reisen festgestellt hatte, dass Leute, deren Gesinnungen den unseren<br />
geradewegs zuwiderlaufen, deswegen noch nicht Barbaren oder Wilde sind, sondern dass<br />
mancher von ihnen ebenso viel oder gar mehr Vernunft gebraucht als wir; weil ich mir überlegt<br />
hatte, wie ein <strong>und</strong> derselbe Mensch mit denselben geistigen Anlagen ein ganz anderer<br />
wird, wenn er von Kind auf unter Franzosen oder Deutschen aufgewachsen ist, als er es sein<br />
würde, hätte er immer nur unter Chinesen oder Kannibalen gelebt, <strong>und</strong> wie – bis hin zur Kleidermode<br />
– dasselbe Ding, das uns vor zehn Jahren gefiel <strong>und</strong> das uns vielleicht in zehn Jahren<br />
wieder gefallen wird, uns jetzt unpassend <strong>und</strong> lächerlich erscheint, so dass es viel mehr Gewohnheit<br />
<strong>und</strong> Beispiel ist, was unser Urteil bestimmte, als irgendeine sichere Einsicht, <strong>und</strong><br />
Stimmenmehrheit gleichwohl kein Beweis ist, der für schwer zu entdeckende Wahrheiten die<br />
geringste Kraft hat – denn es ist weit wahrscheinlicher, dass ein Mensch allein sie findet als<br />
ein ganzes Volk –: Deshalb konnte ich mir niemanden wählen, dessen Überzeugungen mir<br />
einen Vorzug vor anderen zu verdienen schienen, <strong>und</strong> fand mich gleichsam gezwungen, es<br />
selbst zu übernehmen, mich zu leiten. Ich entschloss mich aber, wie ein Mensch, der sich allein<br />
<strong>und</strong> in der Dunkelheit bewegt, so langsam zu gehen <strong>und</strong> in allem so umsichtig zu sein,<br />
dass ich, sollte ich auch nicht weit kommen, mich doch wenigstens davor hütete zu fallen. [...]<br />
Sowie die Menge der Gesetze häufig als Entschuldigung für Laster dient, so dass ein Staat<br />
weit besser eingerichtet ist, wenn es in ihm nur wenige gibt, diese aber sehr genau befolgt<br />
werden, ebenso glaubte auch ich, statt jener grossen Zahl von Vorschriften, aus denen die<br />
Logik besteht, an den vier folgenden genug zu haben, vorausgesetzt, ich fasste den festen <strong>und</strong><br />
unabänderlichen Entschluss, sie nicht ein einziges Mal zu übertreten. Die erste besagte, niemals<br />
eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich nicht evidentermassen erkenne, dass sie<br />
wahr ist: d. h. Übereilung <strong>und</strong> Vorurteile sorgfältig zu vermeiden <strong>und</strong> über nichts zu urteilen,<br />
was sich meinem Denken nicht so klar <strong>und</strong> deutlich darstellte, dass ich keinen Anlass hätte,<br />
daran zu zweifeln. Die zweite, jedes Problem, das ich untersuchen würde, in so viele Teile zu<br />
teilen, wie es angeht <strong>und</strong> wie es nötig ist, um es leichter zu lösen. Die dritte, in der gehörigen<br />
Ordnung zu denken, d. h. mit den einfachsten <strong>und</strong> am leichtesten zu durchschauenden Dingen<br />
zu beginnen, um so nach <strong>und</strong> nach gleichsam über Stufen bis zur Erkenntnis der zusammen-<br />
45
gesetztesten aufzusteigen. [...] Die letzte, überall so vollständige Aufzählungen <strong>und</strong> so allgemeine<br />
Übersichten aufzustellen, dass ich versichert wäre, nichts zu vergessen. [...] Was mich<br />
aber an dieser Methode am meisten befriedigte, war die Gewähr, die sie mir bot, in allem<br />
meine Vernunft zu gebrauchen, wenn nicht vollkommen, so doch wenigstens so gut, wie es in<br />
meiner Macht stand.<br />
Aus: Arnulf Moser et al., Vom Ancien Régime zur modernen Welt. Revolution in Amerika <strong>und</strong> Europa, Leipzig<br />
2 2004, S. 10-11<br />
Q 2<br />
Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? (1783)<br />
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.<br />
Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu<br />
bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am<br />
Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung <strong>und</strong> des Mutes liegt, sich seiner ohne<br />
Leitung eines anderen zu bedienen. «Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes<br />
zu bedienen!» ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit <strong>und</strong> Feigheit sind die Ursachen,<br />
warum ein so grosser Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder<br />
Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; <strong>und</strong> warum es anderen<br />
so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.<br />
Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat,<br />
einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw.: So brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.<br />
[...]<br />
Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich<br />
aus der Unmündigkeit herauszuwickeln <strong>und</strong> dennoch einen sicheren Gang zu tun. Dass aber<br />
ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt,<br />
beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende [...] finden, welche,<br />
nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen<br />
Schätzung des eigenen Werts <strong>und</strong> des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um<br />
sich verbreiten werden. [...] Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen.<br />
Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus <strong>und</strong><br />
gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Unterdrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart<br />
zu Stande kommen; sondern neue Vorurteile werden, ebenso wohl als die alten, zum<br />
Leitbande des gedankenlosen grossen Haufens dienen. Zu dieser Aufklärung aber wird nichts<br />
erfordert als Freiheit; <strong>und</strong> zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heissen mag,<br />
nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.<br />
Aus: Arnulf Moser et al., Vom Ancien Régime zur modernen Welt. Revolution in Amerika <strong>und</strong> Europa, Leipzig<br />
2 2004, S. 11-12<br />
Q 3<br />
a) Friedrich II. von Preussen über Religionen 1740<br />
Die Religionen müssen alle toleriert [geduldet] werden, denn hier muss ein jeder nach seiner<br />
Fasson [Glaubensüberzeugung] selig werden. [...] Alle Religionen sind gleich gut, wenn nur<br />
die Leute, die an sie glauben, ehrliche Leute sind, <strong>und</strong> wenn Türken <strong>und</strong> Heiden kämen <strong>und</strong><br />
wollten das Land bevölkern, so wollen Wir ihnen Moscheen <strong>und</strong> Kirchen bauen.<br />
b) Friedrich II. von Preussen über Religionen 1752<br />
Für die Politik ist es völlig belanglos, ob ein Herrscher religiös ist oder nicht. Geht man allen<br />
Religionen auf den Gr<strong>und</strong>, so beruhen sie auf einem mehr oder minder widersinnigen System<br />
46
von Fabeln. [...] Allein diese ... W<strong>und</strong>ergeschichten sind für die Menschen gemacht, <strong>und</strong> man<br />
muss auf die grosse Masse soweit Rücksicht nehmen, dass man ihre religiösen Gefühle nicht<br />
verletzt, einerlei, welchem Glauben sie angehören.<br />
Beide Texte aus: Heinz Dieter Schmid (Hg.), Fragen an die Geschichte 3, Frankfurt/Main 4 1981, S. 47<br />
Fragen zu den Texten:<br />
• Warum wollten sich die Aufklärer nur auf die eigene Vernunft verlassen?<br />
• Welches sind die Haupthindernisse für eine aufgeklärte Denkweise?<br />
• Arbeiten Sie das aufklärerische Gedankengut heraus.<br />
• Welche Rolle spielt die Religion?<br />
9.5. Glossar<br />
Absolutismus: Darunter versteht man eine monarchische Herrschaftsform, in welcher der<br />
Herrscher uneingeschränkte Macht <strong>und</strong> ungeteilte Staatsgewalt ohne Mitwirkung ständischer<br />
Institutionen beansprucht. Der Fürst steht dabei als Träger der Souveränität über den Gesetzen<br />
(«princeps legibus solutus»), bleibt aber an die Gebote der Religion, das Naturrecht <strong>und</strong> die<br />
Staatsgr<strong>und</strong>gesetze geb<strong>und</strong>en. Es besteht keine Gewaltenteilung, der Monarch kontrolliert alle<br />
drei Staatsgewalten: die Exekutive, die Legislative sowie die Judikative. Im Gegensatz zur<br />
Diktatur hat ein absolutistischer Herrscher die Macht legitim (durch Erbfolge) erreicht.<br />
Deduktion (lat. deducere = herabführen) oder deduktive Methode ist in der Philosophie <strong>und</strong><br />
der Logik eine Schlussfolgerungsweise vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Vielen auf<br />
das Eine. Genauer gesagt werden mit Hilfe der Deduktion spezielle Einzelerkenntnisse aus<br />
allgemeinen Theorien gewonnen.<br />
Dreissigjähriger Krieg: Der Dreissigjährige Krieg (1618-1648) war zugleich ein Religionskrieg<br />
<strong>und</strong> ein klassischer Staatenkonflikt um das Gleichgewicht zwischen den Mächten Europas.<br />
In ihm entluden sich zum einen die Gegensätze zwischen der «Katholischen Liga» <strong>und</strong><br />
der «Protestantischen Union» innerhalb des Reichs. Zum anderen trugen die habsburgischen<br />
Mächte Österreich <strong>und</strong> Spanien ihre Interessen- <strong>und</strong> dynastischen Konflikte mit Frankreich,<br />
den Niederlanden, Dänemark <strong>und</strong> Schweden aus. Die Feldzüge <strong>und</strong> Schlachten fanden überwiegend<br />
auf dem Boden des «Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation» statt. Die<br />
Kriegshandlungen selbst, aber auch die durch sie verursachten Hungersnöte <strong>und</strong> Seuchen verheerten<br />
<strong>und</strong> entvölkerten ganze Landstriche des Reiches. In Süddeutschland etwa überlebte<br />
nur ein Drittel der Bevölkerung, eine Neustrukturierung wirtschaftlicher <strong>und</strong> sozialer Verhältnisse<br />
war die Folge.<br />
Fronen / Frondienst ist die unbezahlte Arbeit, die der Leibeigene seinem Herrn leistete. Das<br />
konnten sogenannte Handdienste (Ernte, Bauarbeiten) oder auch Spanndienste (Pflügen,<br />
Transport) sein.<br />
Gewaltentrennung: In der Staatstheorie versteht man unter Gewaltenteilung eine Verteilung<br />
der Staatsgewalten. Ursprünglich bezog sich dies auf Krone, Adel <strong>und</strong> Bürgertum mit dem<br />
Zweck, Macht durch Macht zu zügeln (Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, 1748). Politischer<br />
Machtmissbrauch soll durch die Gewaltenteilung minimiert werden. Die Gewaltenteilung<br />
ist im Zusammenhang mit dem Gewaltmonopol als ein elementarer Bestandteil der (repräsentativen)<br />
Demokratie zu sehen. Es gibt verschiedene Ebenen der Gewaltenteilung; meistens<br />
bezeichnet der Begriff die horizontale Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive<br />
<strong>und</strong> Judikative.<br />
Glorious Revolution: In der «Glorious Revolution» von 1688 entschied das englische Parlament<br />
den seit Beginn des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts geführten Machtkampf mit dem katholischen Kö-<br />
47
nig Jakob II. endgültig zu seinen Gunsten. Jakob II. wurde vertrieben <strong>und</strong> durch den Protestanten<br />
Wilhelm von Oranien ersetzt, um einer befürchteten Rekatholisierung zuvorzukommen.<br />
Induktion bzw. induktives Schliessen bezeichnet in der Logik <strong>und</strong> den Naturwissenschaften<br />
das Schliessen «vom Besonderen auf das Allgemeine» zum Zweck des Erkenntnisgewinns.<br />
Im Gegensatz zur Deduktion ist diese Vorgehensweise nur unter bestimmten Voraussetzungen<br />
gerechtfertigt, da Verallgemeinerungen mit Unsicherheiten behaftet sind.<br />
Kameralwissenschaft / Kameralistik: Darunter verstand man im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
jene Wissenschaften, die den Kammerbeamten die notwendigen Kenntnisse für die Tätigkeit<br />
in der Verwaltung vermittelten. Insofern kann man die Kameralwissenschaft als deutsche<br />
Form des Merkantilismus betrachten.<br />
Policey: Seit dem Mittelalter wurde «gute Policey» als Ausdruck für eine gute Verwaltung<br />
verwendet. Sie wird als eine sich auf alle Lebensbereiche erstreckende, sowohl fürsorgliche<br />
als auch repressive Tätigkeit eines Staates verstanden.<br />
Rationalismus (von lat. ratio = Vernunft) ist eine philosophische Strömung, laut der sich die<br />
universellen Gr<strong>und</strong>sätze einzig mit Hilfe des Verstandes erschliessen <strong>und</strong> dann alle übrigen<br />
Fragen der Philosophie <strong>und</strong> Naturwissenschaften durch Deduktion beantworten lassen.<br />
Reich (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation): Mit diesem Titel bezeichnet man das<br />
alte, 1806 aufgelöste Deutsche Reich, das seit 962 durch das Kaisertum Ottos I. mit der Tradition<br />
des Römischen Reiches verb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> als dessen Fortsetzung galt. Der Zusatz<br />
«Deutscher Nation» wurde erst im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert beigefügt. Bei seiner grössten Ausdehnung<br />
umfasste das Reich Deutschland, Österreich., Slowenien, die Schweiz, Liechtenstein, Belgien,<br />
die Niederlande, Luxemburg, die Tschechische Republik, den östlichen Teil Frankreichs, das<br />
nördliche Italien <strong>und</strong> das westliche Polen.<br />
<strong>Säkularisierung</strong> wurde zur Bezeichnung des Übergangs einer Sache oder von Vermögen aus<br />
dem Eigentum der Kirche in das von weltlichen Staaten.<br />
Literatur:<br />
Arnulf Moser et al., Vom Ancien Régime zur modernen Welt. Revolution in Amerika <strong>und</strong> Europa, Leipzig<br />
2 2004, S. 7-26<br />
Heinz Dieter Schmid (Hg.), Fragen an die Geschichte 3, Frankfurt/Main 4 1981, S. 47<br />
Werner Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, München 2 2001<br />
Rudolf Vierhaus, Deutschland im Zeitalter des Absolutismus, Göttingen 2 1984, S. 107-113<br />
Günter Vogler, Absolutistische Herrschaft <strong>und</strong> ständische Gesellschaft, Stuttgart 1996, S. 107-117 / 220-247<br />
http://de.wikipedia.org<br />
http://www.zeit.de/2004/02/Kant_2fLehmann<br />
48